Kostenlos

Der Schut

Text
Autor:
0
Kritiken
iOSAndroidWindows Phone
Wohin soll der Link zur App geschickt werden?
Schließen Sie dieses Fenster erst, wenn Sie den Code auf Ihrem Mobilgerät eingegeben haben
Erneut versuchenLink gesendet

Auf Wunsch des Urheberrechtsinhabers steht dieses Buch nicht als Datei zum Download zur Verfügung.

Sie können es jedoch in unseren mobilen Anwendungen (auch ohne Verbindung zum Internet) und online auf der LitRes-Website lesen.

Als gelesen kennzeichnen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Sechstes Kapitel: Unter der Erde

Wir ritten weiter. Nach einiger Zeit traten rechter Hand die Felsen zurück, und es öffnete sich uns ein freier Blick nach Osten, während links uns die Berge weiter begleiteten. Dann sahen wir von fern, zur Rechten von uns, einen Reiter kommen. Da das Terrain zwischen ihm und uns ein ebenes war, erblickte er uns zu gleicher Zeit, und wir bemerkten, daß er den Schritt seines Pferdes so richtete, daß er mit uns zusammentreffen mußte. Als er uns erreichte, grüßte er höflich, und wir dankten ihm ebenso. Er hatte eine behäbige Gestalt und ein ehrliches, offenes Gesicht, welches ganz geeignet war, eine gute Meinung über ihn zu erwecken.

»Wir wollen nach Rugova,« sagte ich ihm. »Ist es noch weit bis dorthin?«

»Noch eine halbe Stunde, Herr,« antwortete er. »Ihr werdet sogleich den vereinigten Drin erreichen, hart an dessen linkem Ufer die Straße hinführt. Ihr scheint fremd zu sein. Auch ich will nach Rugova; ich bin von dort. Erlaubt ihr, daß ich euch begleite?«

»Sehr gern. Du kannst uns, da wir fremd sind, mit Auskunft erfreuen.«

»Ich bin bereit dazu. Sagt nur, was ihr wissen wollt.«

»Zunächst möchten wir erfahren, bei wem man dort einkehren kann.«

Ich hatte die Absicht, bei dem Wirt Kolami, von welchem der Alim gesprochen hatte, abzusteigen, sagte das aber nicht, um vorher über den Khan des Schut etwas Näheres zu erfahren.

»Rugova besitzt zwei Khans,« erklärte er. »Der eine, welcher der größere ist, gehört einem Perser namens Kara Nirwan, der außerhalb des Ortes wohnt; der Wirt des andern, der gleich am Fluß bei der Brücke liegt, heißt Kolami.«

»Zu welchem würdest du uns raten?«

»Zu keinem. Ich überlasse euch selbst die Wahl.«

»Was für ein Mann ist dieser Perser?«

»Ein sehr angesehener. Man wohnt sehr gut und billig bei ihm. Kolami gibt sich aber auch Mühe, seine Gäste zufriedenzustellen, und ist noch billiger als Kara Nirwan.«

»Sind diese beiden Wirte einander freundlich gesinnt?«

»Nein, sie sind Feinde.«

»Warum?«

»Nur aus persönlicher Abneigung. Es ist keine Rache dabei; sie haben einander nichts getan. Aber Kolami kann den Perser nicht leiden; er mißtraut ihm.«

»Warum?«

»Erlaßt mir die Antwort. Ihr seid fremd, und es kann euch also gleichgültig sein.«

»So werden wir bei Kolami einkehren.«

»Es wird ihm lieb sein, solche Gäste zu empfangen; aber ich rate euch nicht von Kara Nirwan ab, denn das tue ich nie; man könnte mich für neidisch und böse halten. Ich bin nämlich der Kolami.«

»Ah so! Nun, da versteht es sich ganz von selbst, daß wir in deinem Hause wohnen.«

»Ich danke dir. Wie lange werdet ihr in Rugova bleiben?«

»Das weiß ich noch nicht. Wir verfolgen einen Zweck, von welchem wir nicht wissen, ob und wann wir ihn erreichen werden.«

»Ist's ein Geschäft, ein Pferdeverkauf? Dann müßt ihr euch freilich an den Perser wenden, welcher Pferdehändler ist. Ich sehe, daß ihr drei ledige Tiere habt.«

»Ja, wir wollen zwei davon verkaufen; aber das ist nicht der eigentliche Grund unseres Kommens. Wir haben noch Anderes vor. Du scheinst ein Mann zu sein, dem man Vertrauen schenken darf. Darum will ich dir mitteilen, daß wir beabsichtigen, Kara Nirwan zu verklagen.«

»Verklagen? O, da nehmt ihr euch etwas vor, was nicht leicht zu erreichen ist. Die Leute, an welche ihr euch da wenden müßt, sind alle seine Freunde. Ist er dir Geld schuldig?«

»Nein, ich will ihn eines Verbrechens zeihen.«

Bei diesen Worten richtete er sich schnell im Sattel auf, hielt sein Pferd an und fragte:

»So hältst du ihn für einen Verbrecher?«

»Ja.«

»Was soll er begangen haben?«

»Einen Mord, ja viele Morde, und Räubereien dazu.«

Da rötete sich sein Gesicht; seine Augen leuchteten auf. Er legte mir die Hand an den Arm und fragte wie atemlos:

»Herr, sage, sage mir schnell, ob du vielleicht ein Muchbyr (* Geheimpolizist.) des Großherrn bist?«

»Nein, der bin ich nicht. Ich bin aus einem fremden Land und stehe im Begriff, dorthin zurückzukehren. Vorher aber will ich einen Mann bestraft sehen, der uns in Verbindung mit seinen Anhängern wiederholt nach dem Leben getrachtet hat. Und dieser Mann ist eben der Perser.«

»Allah hakky! Höre ich recht? Ist's möglich! Fände ich endlich einmal einen Menschen, welcher ganz dieselbe Ansicht hat, wie ich?«

»So hältst auch du ihn für einen Bösewicht?«

»Ja, aber man darf es nicht sagen. Ich habe einmal nur ein Wörtchen geäußert; das hätte mir beinahe das Leben gekostet.«

»Welchen Grund hast du, diese Meinung über ihn zu hegen?«

»Er hat mich beraubt. Ich war in Perserin, um Geld zu holen. Dort traf ich mit ihm zusammen, und er erfuhr von mir, daß ich einen gefüllten Beutel bei mir trug. Unterwegs wurde ich überfallen und mußte das Geld hergeben. Es waren vier Männer, welche ihre Gesichter verhüllt hatten. Derjenige, welcher das Wort führte, hatte andere Kleider angezogen; dennoch aber erkannte ich ihn an seiner Stimme, an den Spitzen des Bartes, welche unter der Verhüllung hervorblickten, und an den Pistolen, die er mir entgegenhielt. Es war der Perser. Aber was wollte ich tun? Zwei Bewohner meines Ortes sagten mir am andern Tage freiwillig, daß sie ihn zu einer bestimmten Zeit in Perserin getroffen hätten, und das war genau die Stunde, an welcher ich überfallen worden war. Er konnte beweisen, daß er sich nicht an der Stelle des Ueberfalles befunden haben könne. Ich mußte schweigen.«

»Die Beiden sind jedenfalls dabei beteiligt gewesen. Meinst du das nicht auch?«

»Ich bin überzeugt davon. Seit jener Zeit habe ich ihm aufgepaßt. Ich sah und hörte vieles, ohne jedoch den rechten Zusammenhang zu finden. Endlich bin ich gar auf die Idee gekommen, daß er kein anderer ist, als – als – — «

Er getraute sich nicht, das Wort zu sagen; darum ergänzte ich herzhaft:

»Als der Schut!«

»Herr!« fuhr er auf.

»Was gibt's?«

»Du sagst ja ganz genau, was ich denke!«

»So sind wir einer Meinung, und das ist gut.«

»Kannst du es beweisen?«

»Ja. Ich bin nach Rugova gekommen, um hier das Beweismaterial zu vervollständigen. Er kann mir nicht entgehen.«

»O Allah, wenn das wäre! Dann würde das Land von seinem Schrecken befreit. Herr, ich habe vorhin gesagt, daß ich und der Perser einander nichts getan hätten. Ich mußte so sagen, denn ich kannte dich nicht. Jetzt aber gestehe ich dir, daß ich ihn hasse wie den Teufel, und daß ich sehr wünsche, dir beistehen zu können, um ihn unschädlich zu machen, ihn, den ehrlichen, frommen, geachteten Menschen, welcher doch der größte Bösewicht der Erde ist!«

Man sah es ihm an, daß es ihm mit diesen Worten voller Ernst war. Das Zusammentreffen mit ihm konnte uns nur von Nutzen sein. Darum trug ich kein Bedenken, ihm mitzuteilen, was wir in Rugova tun wollten und was wir erlebt und über den Schut erfahren hatten. Besonders ausführlich war ich bei der Schilderung der Ereignisse am Teufelsfelsen und im Tal des Köhlers. Er unterbrach mich oft mit Ausdrücken des Staunens, der Angst und der Befriedigung. Er hielt im Eifer über das, was er hörte, sein Pferd so oft an, daß unser Ritt dadurch wesentlich verzögert wurde. Am schärfsten wurde seine Aufmerksamkeit, als ich ihm von dem Karaul, dem Schacht und Stollen erzählte. Als ich geendet hatte, rief er aus:

»Man sollte dies gar nicht für möglich halten; aber es stimmt ja alles auf das genaueste, und ich selbst bin bereits auf den Gedanken gekommen, daß dieser Perser Menschen bei sich zurückbehält. Es sind schon viele verschwunden, die vorher bei ihm eingekehrt waren. Und warum fährt er so oft auf dem Fluß spazieren? Er wohnt außerhalb des Ortes und hat doch einen Kahn auf dem Wasser. Kaum hat man ihn einsteigen und fortrudern sehen, so ist er verschwunden. Jetzt begreife ich es: er fährt in den Stollen ein!«

»Ist dir nichts über die Mündung des alten Schachtes bekannt?«

»Nein, gar nichts. Was gedenkst du zu tun, Herr, wenn du angekommen bist? Willst du etwa zum Stareschin (* Ortsvorsteher, Ortsrichter.) gehen und Anzeige machen? Dieser Mann ist sein Busenfreund.«

»Fällt mir gar nicht ein. Noch habe ich keine direkten Beweise gegen den Perser; ich will sie mir erst holen und werde zu diesem Zweck den Stollen aufsuchen.«

»Da kannst du dich eines meiner Kähne bedienen. Wenn du es mir erlaubst, so fahre ich mit.«

»Das ist mir lieb, da du mir dann als Zeuge dienen kannst.«

Wir hatten den Fluß erreicht und ritten hart am Ufer desselben hin. Die Wasser schossen, eng eingezwängt, in heimtückischer Stille dahin. Diesseits war das Ufer eben, jenseits aber stieg eine Felswand hoch und senkrecht empor.

Diesen Felsen bedeckte ein mächtiger Nadelwald, zwischen dessen Grün alte Mauern hindurchschimmerten. Das war der Wachtturm, über welchen vielleicht fast ein ganzes Jahrtausend dahingegangen war. Grad unter ihm machten Fels und Fluß eine Krümmung, hinter welcher das Dorf versteckt lag.

Als wir die Krümmung hinter uns hatten, sahen wir den Ort und auch die Brücke, über welche wir reiten mußten. Doch beeilten wir uns gar nicht, sie zu erreichen. Es galt, den Eingang des Stollens zu entdecken.

Er war sehr bald gefunden, obgleich wir das Loch nicht sehen konnten. Grad vor der Krümmung, wo die Strömung in voller Gewalt den Felsen traf, gab es eine Stelle, an welcher einige Ellen über dem Wasser ein Felsenvorsprung dem Flugsamen der Pflanzen Gelegenheit gegeben hatte, festen Halt zu fassen. Von dieser Stelle hingen dichte Ranken hernieder, die einen natürlichen Vorhang bildeten, hinter welchem der Eingang des Stollens verborgen lag.

Wegen der heftigen Strömung war es nicht ungefährlich, diese Stelle mit dem Kahn zu befahren. Es gehörten kräftige Hände dazu, den Druck des Wassers zu überwinden und nicht an den Felsen gedrückt zu werden. Nachdem wir hierüber Klarheit erhalten hatten, ritten wir schneller und kamen bald über die Brücke, die man zu Pferd nur mit großer Vorsicht benutzen durfte. Die Planken derselben waren durchfault und hatten zahlreiche Lücken, durch welche man das Wasser unten fließen sah.

 

Das Dorf lag ziemlich eng zwischen den Höhen eingeklemmt und machte keineswegs den Eindruck einer wohlhabenden Ortschaft. Links sah man eine Straße nach dem Berg hinansteigen. Es war diejenige, welcher wir später folgen mußten.

Die Brücke mündete auf ein freies Plätzchen, das von armseligen Häusern umgeben war, unter denen sich ein besseres Gebäude auszeichnete. Dieses war der Khan Kolamis. Ein Seiler war auf dem Platz mit seiner Arbeit beschäftigt. Ein Schuster saß vor seiner Türe und flickte an einem Pantoffel herum. Daneben pickten Hühner und gruben Kinder mit ihren schmutzigen Patschen nach den Schätzen eines Düngerhaufens, und nicht weit davon standen einige Männer, welche ihr Gespräch unterbrochen hatten, um uns mit neugierigen Blicken zu betrachten.

Auf einen unter ihnen paßte das Wort »neugierig« freilich nicht. Nicht Neugierde, sondern etwas ganz Anderes, was ich lieber Entsetzen nennen möchte, war auf seinem Gesicht zu lesen.

Er trug die Tracht der mohammedanischen Skipetaren: kurze, glänzende Stiefel, schneeweiße Fustanella, rote, mit Gold verbrämte Jacke, auf deren Brustteilen silberne Patronenbehälter befestigt waren, einen blauen Gürtel, aus welchem die Griffe zweier Pistolen und eines krumm gebogenen Handschars hervorsahen, und auf dem Kopf einen roten Fez mit goldener Quaste. Dieser Kleidung nach war er ein sehr wohlhabender Mann.

Sein hageres Gesicht mit außerordentlich kühn geschnittenen Zügen hatte eine intensiv gelbe Farbe – »schut« nennt das der Serbe; ein dichter, schwarzer Bart ging ihm in zwei Spitzen fast bis auf die Brust herab, und tiefschwarz war auch die Farbe seiner Augen, welche weit offen und groß auf uns gerichtet waren.

Er hatte den Mund geöffnet, so daß seine weißen Zähne zwischen dem Bart hervorschimmerten, und seine Rechte hielt den Griff des Handschars umfaßt; dabei war sein Körper weit nach vorn gebeugt. Es hatte ganz das Aussehen, als ob er mit der Klinge sich uns entgegenstürzen wollte. Ich hatte ihn noch nie gesehen; aber ihn erblicken und erkennen, das war eins. Ich raunte dem Wirt zu:

»Das ist der Schut, der Gelbe, nicht?«

»Ja,« antwortete er. »Wie unwillkommen, daß er uns gleich sehen muß!«

»Mir ist es aber ganz willkommen, denn dadurch wird sich die Angelegenheit beschleunigen. Er erkennt mich an meinem Rappen; er erkennt den Goldfuchs und die Pferde der Aladschy; er weiß also jetzt nicht nur, daß wir entkommen sind, sondern daß sich auch der Köhler und die Aladschy unter unsern Händen befunden haben. Er ist überzeugt, daß unser Kommen ihm gilt, und da er blind sein müßte, um den Engländer nicht zu erkennen, welchen er im Schacht gefangen gehalten hat, so kann er sich sagen, daß wir es zunächst auf diesen Schacht abgesehen haben werden. Paß auf! Der Tanz wird gleich beginnen.«

Wir beide ritten voran. Osko und Omar folgten uns. Halef war mit dem Lord ein wenig zurückgeblieben, und der Engländer hatte, da er sich mit dem Hadschi im Gespräch befand, nicht auf die Gruppe der Männer geachtet. Jetzt aber bemerkte er sie. Er hielt sein Pferd an und fixierte den Perser.

Wir konnten den Vorgang gut beobachten, weil wir mittlerweile vor der Türe des Khans angekommen und von den Pferden gestiegen waren. Nicht mehr als zwölf Schritte von uns entfernt standen die Männer. Ich sah, daß der Schut die Lippe an den Zähnen wetzte. Auf seinem Gesicht lag der Ausdruck des Grimmes und zugleich der Angst.

Da gab Lindsay seinem Pferd die Sporen, schoß herbei und parierte den Fuchs so nahe an dem Schut, daß er diesen fast umgerissen hätte. Dann begann er, eine Rede loszulassen, welche alles enthielt, was er an englischen Kraftausdrücken wußte und an arabischen und türkischen Schimpfwörtern gesammelt hatte. Sie strömte ihm so schnell vom Mund, daß die einzelnen Ausdrücke gar nicht verstanden werden konnten. Dazu gestikulierte er mit Armen und Beinen vom Pferd herab, als wäre er von einem bösen Geist besessen.

»Was will dieser Mann?« fragte einer aus der Gruppe.

»Das ist der Stareschin,« erklärte mir der Wirt.

»Ich weiß es nicht; ich verstehe ihn nicht,« antwortete der Schut dem Frager. »Aber ich kenne ihn und wundere mich sehr, ihn hier wieder zu sehen.«

»Ist es nicht der Inglis, welcher mit seinem Dolmetscher und seinen Dienern bei dir wohnte?«

»Ja. Ich habe dir noch gar nicht gesagt, daß er mir diesen Goldfuchs gestohlen hat und mit demselben verschwunden ist. Du wirst die Güte haben, ihn zu arretieren.«

»Sogleich! Wir wollen diesen fremden Giaurs das Pferdestehlen verleiden.«

Er trat zu Lindsay heran und erklärte diesem, daß er arretiert sei. Der Lord verstand ihn aber nicht; er fuhr fort zu schreien und zu gestikulieren, und stieß, als der Stareschin ihn am Bein faßte, denselben kräftig mit dem Fuß von sich ab.

»Allah!« rief der Beamte. »Das hat noch niemand gewagt! Herbei, ihr Männer! Nehmt ihn vom Pferd, und schafft ihn fort!«

Die Männer gehorchten und traten zu dem Lord heran. Aber als sie nach ihm fassen wollten, ergriff er sein Gewehr, legte auf sie an und schrie in einem englisch-türkischen Wortgemisch:

»Away! I atmak! I atmak!«

Er hatte sich gemerkt, daß schießen »atmak« heißt. Die Angreifenden traten eiligst zurück, und der Stareschin sagte:

»Der Mensch ist toll. Er versteht uns nicht. Wenn wir doch den Dolmetscher hier hätten, um ihm begreiflich machen zu können, daß Widerstand ihm nichts nützt und seine Lage nur verschlimmert!«

Da trat ich zu ihm hin und sagte:

»Verzeihe, Stareschin, daß ich dich in der Ausführung der Obliegenheiten deines Amtes störe. Wenn du eines Dolmetschers bedarfst, so kann ich dir dienen.«

»So sage diesem Pferdedieb, daß er mir in das Gefängnis folgen muß.«

»Pferdedieb? Du irrst dich sehr. Dieser Effendi ist kein Pferdedieb.«

»Er ist einer, denn mein Freund Nirwan hat es gesagt.«

»Und ich sage dir, daß dieser Inglis in seinem Lande eine Stellung hat, welche wenigstens ebenso hoch ist, wie hier diejenige eines Pascha mit drei Roßschweifen. Ein solcher Mann stiehlt nicht. Er hat in seinem Stall daheim mehr Pferde, als hier in Rugova vorhanden sind.«

Ich sprach zwar in bestimmtem, aber doch sehr höflichem Ton. Das schien in dem Stareschin die Ansicht zu erwecken, daß ich eine sehr hohe Achtung für sein Amt und seine Person hege und er mir infolgedessen imponieren könne. Also schnauzte er mich an:

»Schweig! Hier gilt nur das, was ich sage! Dieser Inglis hat hier ein Pferd gestohlen und ist ein Dieb, wofür ich ihn bestrafen lassen werde. Sage ihm das!«

»Das kann ich ihm nicht sagen.«

»Warum nicht?«

»Weil es eine Beleidigung sein würde, welche er mir nie verzeihen könnte. Ich will seine Freundschaft nicht verlieren.«

»Also bist du der Freund eines Pferdediebes? Schäme dich!«

Er spuckte vor mir aus.

»Unterlaß das, Stareschin!« warnte ich ihn. »Ich spreche in Höflichkeit mit dir, und du lässest mich dafür den Speichel deines Mundes sehen! Wenn das noch einmal geschieht, so bediene ich mich einer anderen Sprache, welche deinem Verhalten angemessen ist.«

Das war in bedeutend schärferer Tonart gesagt. Der Schut hatte mich vom Kopf bis zu den Füßen gemustert. Jetzt hustete er und machte eine Handbewegung, welche den Zweck hatte, den Zorn des Stareschin gegen mich zu entflammen. Es gelang ihm, denn das Oberhaupt der Stadt antwortete mir:

»Welche Sprache wolltest du denn führen? Es ist gegen mich nur diejenige der Höflichkeit möglich; jede andere würde ich auf das allerstrengste bestrafen. Ich habe vor dir ausgespuckt, weil du einen Dieb deinen Freund nanntest. Und dazu habe ich ein so gutes Recht, daß ich gleich noch einmal ausspucke. Sieh, das gilt dir wieder!«

Er spitzte den Mund, und ich trat rasch einen Schritt vor, holte aus und gab ihm eine so herzhafte Ohrfeige, daß er zu Boden taumelte. Dann zog ich den Revolver. Meine Begleiter griffen sofort zu ihren Waffen. Auch der Schut zog seine Pistole.

»Weg mit der Waffe!« herrschte ich ihn an. »Was geht dich diese Ohrfeige an?«

Er gehorchte unwillkürlich. So wie ich, hatte ihn wohl noch niemand angeschrieen.

Der Stareschin erhob sich. Er hatte ein Messer im Gürtel stecken. Ich glaubte, er werde es ziehen, um Rache zu nehmen für meinen Schlag. Aber Großsprecher sind ja gewöhnlich, wenn es ernst wird, feige Menschen. Der Mann hatte keinen Mut und wendete sich an den Schut:

»Willst du es dulden, daß ich mißhandelt werde, wenn ich mich deiner Angelegenheit annehme? Ich hoffe, daß du diese Beleidigung, welche eigentlich nur dir gilt, augenblicklich rächen wirst!«

Der Blick des Persers wanderte einige Male zwischen dem Stareschin und mir hin und her. Dieser gewalttätige und gewissenlose Mensch besaß jedenfalls einen hohen persönlichen Mut; aber das Erscheinen der Leute, welche er tot oder wenigstens unschädlich gemacht wähnte, und die nun plötzlich unversehrt vor ihm standen, lähmte seine Tatkraft. Dazu kam unsere selbstbewußte Haltung. Wir hatten die Waffen in den Händen, und es war uns wohl anzusehen, daß dies nicht geschah, um nur zu scherzen. Es kostete ihn sichtlich eine Anstrengung, dem Ortsvorsteher zu antworten:

»Diese Ohrfeige hat dir gegolten und nicht mir. Du bist es, der sie erhalten hat, und wirst wissen, was du zu tun hast. Ich bin aber bereit, den Befehlen, welche du erteilen wirst, Nachdruck geben zu helfen.«

Er legte die Hand wieder an den Griff der Pistole.

»Weg mit der Hand!« rief ich ihm zu. »Du bist nicht Polizist. Von dir dulde ich keine Drohung. Habe ich diesem Stareschin gezeigt, wie ich Unhöflichkeiten beantworte, so werde ich wohl auch wissen, den Drohungen eines Privatmannes, der gar nichts zu befehlen hat, zu begegnen. Eine Pistole ist eine lebensgefährliche Waffe. Droht man mir mit derselben, so habe ich das Recht der Notwehr. Sobald du sie ziehst, wirst du meine Kugel im Kopf haben. Das beachte wohl; ich scherze nicht!«

Er nahm die Hand vom Gürtel, rief mir aber zornig zu:

»Du scheinst nicht zu wissen, mit wem du redest! Du hast den Gebieter dieses Ortes geschlagen. Ihr droht uns mit euren Gewehren und werdet das selbstverständlich büßen müssen. Sämtliche Bewohner von Rugova werden herbeieilen, euch gefangen zu nehmen. Im Lande des Großherrn ist es nicht Sitte, daß Pferdediebe gerechte Männer mit dem Tode bedrohen!«

»Was du sagst, ist lächerlich. Ich werde euch sogleich beweisen, daß ich weiß, mit wem ich rede. Die Leute von Rugova habe ich nicht zu fürchten, da ich gekommen bin, sie von einem Teufel zu befreien, welcher in ihrer Mitte und weithin im Lande sein Wesen treibt. Wenn uns ein Räuber und Mörder Pferdediebe nennt, so lachen wir darüber, aber dieses Lachen wird ihm sehr gefährlich werden!«

»Seid ihr es nicht?« fragte er. »Dieser Engländer reitet meinen Fuchs, und diese beiden Begleiter von dir sitzen auf Schecken, welche ihnen nicht gehören; sie haben dieselben gestohlen.«

»Woher weißt du, daß sie ihnen nicht gehören?«

»Weil diese Pferde das Eigentum zweier meiner Freunde sind.«

»Dieses Geständnis ist eine große Unvorsichtigkeit von dir. Wir haben die Schecken allerdings nicht gekauft, sondern sie den Aladschy abgenommen. Wenn du zugibst, daß diese berüchtigten Räuber deine Freunde sind, so hast du dir selbst dein Urteil gesprochen. Sage mir einmal,« fuhr ich fort, indem ich mich an den Stareschin wendete, »ob du weißt, daß die Aladschy Schecken reiten?«

»Was gehen mich die Aladschy an?« antwortete er. »Ich habe es jetzt nicht mit ihnen, sondern mit euch zu tun.«

»Das ist mir lieb, denn ich wünsche sehr, daß du dich ein wenig mit uns beschäftigest. Freilich muß dies in einer andern Weise geschehen, als es in deiner Absicht zu liegen scheint.«

»Oho! Hast du hier zu befehlen? Hast du Ohrfeigen auszuteilen? Ich werde Leute von Rugova versammeln, um euch gefangen nehmen zu lassen. Jetzt sogleich werde ich den Befehl dazu geben!«

Er wollte fort.

»Halt! Noch einen Augenblick!« gebot ich ihm. »Du hast noch gar nicht gefragt, wer wir sind. Ich werde es dir sagen. Wir – — «

»Das ist gar nicht notwendig!« unterbrach mich der Schut. »Du bist ein Giaur aus Germanistan, den wir bald kleinmütig machen werden.«

»Und du bist ein Schiit aus Persien, welcher Hassan und Hosseïn verehrt. Nenne dich also ja nicht einen Rechtgläubigen und bringe das Wort Giaur nicht noch einmal, sonst bekommst du eine solche Ohrfeige wie der Stareschin!«

»Bietest du mir eine solche Beleidigung?« brauste er auf.

 

»Ja; ich biete dir überhaupt noch weit mehr. Woher weißt du, daß ich ein Fremder aus Germanistan bin? Du hast dich durch dieses Wort verraten. Deine Rolle als Schut ist in diesem Augenblick ausgespielt!«

»Schut?« fragte er erbleichend.

»Schut?« riefen auch die Andern.

»Ja, dieser Schiit Nirwan ist der Schut. Ich werde es euch beweisen. Hier, Stareschin, hast du meine Legitimationen. Sie sind vom Großherrn und Großwesir ausgestellt, und ich hoffe, daß du ihnen die gebührende Ehrerbietung erweisest. Tätest du das Gegenteil, so würde ich es unverzüglich dem Wali in Prisrendi und auch dem Wesir nach Stambul melden. Wische deine schmutzigen Hände ab und hüte dich, meine Pässe zu beflecken!«

Ich öffnete die Dokumente und hielt sie ihm entgegen. Als er die großherrlichen Siegel erblickte, wischte er wirklich die Hände an seinen Hosen hin und her, griff dann an Stirn und Brust, verbeugte sich, nahm sie entgegen und legte sie unter einer abermaligen Verneigung an die Stirn, um sie dann zu lesen.

»Master,« sagte der Engländer, »Ihr könntet ihm auch meinen Paß zeigen; aber der Perser hat ihn mir mit den andern Sachen abgenommen.«

»Wenn er nicht vernichtet ist, werdet Ihr ihn wieder bekommen. Uebrigens genügt es, wenn er nur meine Papiere liest. Ihr seid mein Freund, und ich legitimiere Euch.«

Die Leute waren aus den umliegenden Häusern getreten und hielten die neugierigen Blicke auf uns gerichtet. Einige liefen fort, in die enge Gasse hinein, welche auf den Brückenkopf mündet, um Andere zu holen, und es hatte sich schnell ein Publikum gebildet, welches uns im Halbkreise umstand.

Das schien dem Schut willkommen zu sein. Er fühlte sich jetzt sicherer als vorher, da er glaubte, sich auf den Beistand dieses Volkes verlassen zu können. Sein Gesicht nahm einen trotzigen Ausdruck an, und seine schon an sich hohe Gestalt richtete sich noch höher auf. Man sah es ihm an, daß er ebenso gewandt wie kräftig sei. Im Ringkampf war er jedenfalls mehr zu fürchten als einer der Aladschy, welche nur über ihre rohe, ungeschulte Körperkraft zu verfügen gehabt hatten. Ich nahm mir vor, es nicht auf einen solchen Ringkampf ankommen zu lassen, sondern ihn gegebenen Falls mit einer Kugel so zu verwunden, daß er unfähig zur Verteidigung würde.

Endlich hatte der Stareschin die Papiere gelesen. Er drückte sie wieder an die Stirn und auch an die Brust, faltete sie zusammen und machte Miene, sie einzustecken.

»Halt!« sagte ich. »Diese Dokumente sind mein Eigentum, nicht aber das deinige.«

»Aber du willst hier bleiben?« fragte er.

»Ja.«

»So werde ich sie behalten, bis euer Prozeß beendet ist.«

»Nein, das wirst du nicht. Wie kannst du, ein einfacher Kiaja, es wagen, die Papiere eines Mannes, welcher so hoch über dir steht, an dich zu nehmen! Schon die bloße Absicht dazu ist eine Beleidigung für mich. Und was fällt dir ein, von einem Prozeß zu sprechen! Du weißt jetzt, mit wem du sprichst, und ich werde dir sagen, was ich von dir fordere. Ich will dir entgegenkommen und diese Legitimation nicht zu mir selbst nehmen. Da ich bei dem Khandschy Kolami wohnen werde, so mag er sie in Verwahrung nehmen. Gib sie ihm also! Er wird sie ohne meine ganz ausdrückliche Billigung nicht aus den Händen geben.«

Er gehorchte, wenn auch widerstrebend. Dann fuhr ich mit erhobener Stimme, so daß alle Umstehenden es hören konnten, fort:

»Und nun will ich mich ernstlich dagegen verwahren, daß einer von uns ein Pferdedieb genannt werde. Wir sind ehrliche Leute und kommen vielmehr zu dem Zweck, euch von dem größten Dieb dieses Landes zu befreien. Dieser Goldfuchs hat nicht dem Perser gehört, sondern einem Skipetaren, nämlich dem Barjactar Stojko Wites aus Slokuczie, welcher mit seinem Sohn nach Batera reiten wollte, um ihn dort zu vermählen. Sie kamen in das Teufelstal zum Köhler Scharka, welcher ein Untergebener des Schut ist und den Barjactar überfiel und beraubte. Er selbst blieb leben, aber sein Sohn wurde ermordet und verbrannt. Ich kann euch die Knochenreste zeigen. Dieser Panzer, welchen mein Begleiter einstweilen angelegt hat, dieses Schwert und dieser Dolch sind Teile des Raubes. Der Barjactar wurde zu Kara Nirwan geschleppt, um erst später ermordet zu werden, wenn es gelungen sein würde, ihm noch ein bedeutendes Lösegeld abzupressen.«

»Lüge, Lüge und tausendfache Lüge!« schrie der Perser. »Dieses Pferd gehört mir, und von einem Barjactar weiß ich nicht das geringste!«

»Die Lüge ist auf deiner Seite. Du hast den Barjactar im Schacht stecken, wo du auch diesen Inglis gefangen hieltest. Du hast diesen Inglis zu dem Köhler schaffen lassen, um ihm ein Lösegeld abzuzwingen und ihn dann zu töten. Es ist uns gelungen, ihn zu befreien, und nun kehrt er zurück, um dich anzuklagen.«

»Allah, Allah! Das soll ich hören und dulden! Ich soll ein Räuber und Mörder sein! Frage die Leute, welche deine Lügen hören! Sie werden dir sagen, wer ich bin. Und wenn du fortfährst, mich in einer so frechen Weise zu beschuldigen, so werden sie das nicht dulden, sondern mich beschützen. Nicht wahr, das werdet ihr, ihr Männer und Einwohner von Rugova? Könnt ihr ruhig zusehen, daß ein Fremdling, ein Christ, es wagt, mich, der ich der Wohltäter so vieler bin, in dieser Weise zu beschuldigen und anzuklagen?«

»Nein, nein!« riefen mehrere Stimmen. »Fort, weg mit diesem Giaur! Er soll kein Wort mehr sagen dürfen!«

Ich ahnte, was nun kommen werde. Ich dachte mir, daß später große Eile notwendig sei, und darum gebot ich Halef leise, einstweilen die Pferde unterzubringen. Dann wendete ich mich an die Leute:

»Ist es Schimpf, ein Christ zu sein? Wohnen nicht grad hier in Rugova Bekenner des Islam und der Bibel friedlich beisammen? Sehe ich nicht hier Leute stehen, welchen den Rosenkranz umhängen haben, die also Christen sind? An diese Leute wende ich mich, wenn Kara Nirwan sich auf die Mohammedaner stützt. Was ich ihm vorgeworfen habe, ist alles wahr; ich werde es beweisen. Und nun hört noch das letzte, das ärgste! Der Perser ist der Schut, verstanden – der Schut! Auch das kann ich euch beweisen, wenn ihr es ruhig anhören wollt.«

Da donnerte mich der Pferdehändler an:

»Schweig! Sonst schieße ich dich nieder wie einen Hund, den man nur durch die Kugel von seiner Räude befreien kann!«

Ich hätte ihn am liebsten niedergeschlagen; aber die Stimmung war, wie ich deutlich sah, gegen mich. Darum übersah ich es, daß er nach seinem Gürtel griff, und antwortete ihm:

»Verteidige dich nicht durch Worte, sondern durch die Tat! Führe uns in den Schacht hinab, und beweise uns, daß Stojko nicht unten steckt!«

»Ich kenne keinen Schacht!«

»So kenne ich ihn und werde diese Leute hinabführen!«

Ein höhnisches Zucken ging über sein Gesicht, und ich wußte auch, weshalb. Ich hütete mich wohl, von dem Stollen zu sprechen, durch welchen ich eindringen wollte; er sollte denken, daß der Eingang zu demselben von dem Lord vergessen worden sei. Ich wollte den Glauben in ihm erwecken, daß wir nach dem Karaul wollten, um durch den Schacht einzudringen. Darum fuhr ich fort:

»Und nicht nur diesen einen Gefangenen hat er in dem Schacht unter dem Karaul verborgen, sondern noch einen zweiten, einen Kaufmann aus Skutari, dessen Geld er genommen hat und dessen übriges Vermögen er auch noch haben will. Ihr werdet auch diesen Mann unten finden. Er und Stojko werden euch erzählen, was mit ihnen geschehen ist, und dann werdet ihr glauben, daß Kara Nirwan der Schut ist. Ich fordere euch und den Stareschin hiermit auf, ihn gefangen zu nehmen und nach dem Turm zu schaffen. Dort muß er euch den Eingang des Schachtes zeigen.«

»Ich, ein Gefangener!« rief der Schut. »Ich will denjenigen sehen, der mich angreift. Ich kenne keinen Schacht. Ich bin bereit, freiwillig mitzugehen. Sucht euch den Schacht; ich kann ihn euch nicht zeigen, weil ich ihn selbst nicht weiß. Findet ihr ihn, so steigt hinab! Bewährt sich dann die Aussage dieses Fremden, so werde ich mich ohne Weigerung und Widerstand binden lassen, damit man mich nach Prisrendi schaffe. Stellt es sich aber heraus, daß er gelogen hat, so werde ich die strengste Bestrafung verlangen.«