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Der Schut

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Der lange Rock war ihm allerdings vom Leibe und in Fetzen gerissen worden. Der kleine Held hatte sich jedenfalls in sehr bedrängter Lage befunden. Verwundet war er nicht; aber ein Kolbenhieb, welchen er auf die linke Achsel erhalten hatte, schmerzte ihn sehr.

Osko war auch nicht verwundet, und nur Omar blutete aus einem tiefen Schnitt quer über den linken Vorderarm.

Halef verband ihn rasch, wozu er die Fetzen seines Kaftans benützte. Ich aber ging zum Lord, dessen Regungslosigkeit mir Sorge machte. Ich untersuchte ihn und dankte Gott: er hatte nicht den Hals gebrochen. Er atmete, und als ich ihn kräftig hin und her rüttelte, kam er zur Besinnung, öffnete die Augen, starrte mich an und sagte:

»Good morning, Master! Seid Ihr denn schon so zeitig munter?«

»Ja, es wird Zeit, daß auch Ihr munter werdet, sonst heißt es nicht guten Morgen, sondern gute Nacht für Euch! Ihr müßt mit dem Kopf sehr schwer aufgeschlagen sein.«

»Aufgeschlagen? Wie? Wann? Wo bin ich denn eigentlich?«

Er setzte sich auf und guckte ganz erstaunt umher. Ich winkte Osko herbei, welcher ihm das Verständnis des Geschehenen eröffnen sollte, und ging zu Bybar, der in einer Blutlache lag. Wenn er sich nicht verbluten sollte, mußte schnell eingegriffen werden.

Ich schnitt einen schmalen Streifen von einem Gewehrriemen und band ihm denselben so fest um den Armstumpf, daß das Blut nur noch in einzelnen Tropfen zum Vorschein kam. Ein zweiter Riemen wurde in derselben Weise hinter dem ersten befestigt, und dann ward auch diese Wunde mit Kaftanfetzen umwickelt.

Vor allen Dingen mußte nun Halef sich auf den Rappen setzen und in das Dorf zurückreiten, um Leute zu holen, denen wir die Besiegten übergeben konnten. Osko ritt bis dahin zurück, wo meine Gewehre mit dem Gürtel lagen, um mir diese Gegenstände zu holen. Omar war verbunden und konnte mithelfen, das Schlachtfeld zu besichtigen.

Der Lord hatte sich erhoben und sich auch endlich auf alles besonnen, was bis zu seinem Sturz geschehen war.

»Verteufelte Geschichte!« brummte er. »Grad als der Tanz losgehen soll, muß mir das Leben abhanden kommen! Aber es ist Euch, wie ich sehe, auch ohne meine Hilfe gelungen, gehörig aufzuräumen.«

»Allerdings, Sir. Vielleicht hätten wir mit Eurer Hilfe nicht so aufgeräumt!«

»Wie meint Ihr das?«

»Ich meine, es sei sehr vorteilhaft für uns gewesen, daß Ihr Euch im richtigen Augenblick niederlegtet, um einzuschlafen. Eure Hilfe hätte uns doch nur Schaden gemacht.«

»Alle Wetter! Seid Ihr toll?«

»Nein. Ihr habt die Eigenheit, daß unter Euren Händen sich alles in das Gegenteil verwandelt.«

»Oho! Das sagt mir nicht, ganz besonders Ihr nicht! Ihr seid an allem schuld, denn Ihr habt mich vom Pferd geworfen!«

»Nachdem Ihr vorher wie ein Rammschiff an mich gerannt waret!«

»Konnte nicht dafür, Master. Der Goldfuchs ging mit mir durch den Hafer.«

»Und dann der Rappe mit mir in die Wicken. Hätte das nicht stattgefunden, so wären wir entkommen, ohne ein Haar zurücklassen und anderer Leute Blut vergießen zu müssen.«

»Nun, der Aderlaß schadet ihnen nichts. Sie haben auch nicht nach dem unserigen gefragt. Wir sind Sieger; das ist die Hauptsache, und zwar haben wir nur einen Schnitt in den Arm davongetragen. Das ist doch glorios! Wie sind denn die Rollen verteilt gewesen?«

»Omar einen, Osko zwei, ich zwei und Halef drei. Ihr seht, daß wir munter sein mußten. Laßt uns nach diesen Leuten sehen.«

Was wir noch zu tun hatten, bestand darin, die Verwundeten zu verbinden, und den nur Besinnungslosen die Hände auf den Rücken zu befestigen. Tot war nur einer: derjenige, welchen ich bei Halef hatte liegen sehen. Der Hadschi hatte ihm eine Pistolenkugel in den Kopf geschossen.

Nun kam Osko zurück. Er führte sein Pferd am Zügel. Auf demselben saß ein am Arm Verwundeter.

»Hier bringe ich den Mann, welchen du vom Felsen herabgeschossen hast, Effendi,« meldete Osko. »Er ist nicht tot.«

»Ich wußte es,« antwortete ich. »Wenn er nicht während des Herabstürzens den Hals brach, konnte er nicht tot sein, denn ich habe auf sein Schlüsselbein gezielt. Verbindet auch diesen Mann. Ich will einmal zu den Pferden dieser Leute zurück.«

Ich brachte meinen zerrissenen Gürtel einstweilen mit Hilfe eines Riemchens wieder zusammen; dann ritt ich nach der Bucht, wo ich die gesattelten Pferde fand. Es war nur auf die Schecken abgesehen. Die andern Tiere ließ ich stehen. Die Schecken aber nahm ich an den Zügeln und kehrte mit ihnen zurück.

»Willst du sie behalten?« fragte Osko.

»Ja; denn diesmal frage ich nicht, ob wir ein Recht dazu haben oder nicht. Hierzulande gehört die Beute dem Sieger. Wir haben bisher Reiter und Pferd geschont; das soll nicht mehr geschehen. Die Aladschy haben uns fortgesetzt angegriffen, um uns zu töten; wenn wir ihnen jetzt die Pferde nehmen, so wird kein Mensch uns Diebe nennen.«

»Und wer soll sie bekommen, Sihdi?«

»Wer meinst du wohl? Die Schecken sind Pferde, welche wohl weit und breit nicht ihresgleichen finden. Dazu kommt der Ruhm, diesen Räubern ihre Tiere abgenommen zu haben. Ich denke, du nimmst eins und Omar eins.«

»Um sie für immer zu behalten?« fragte er hastig.

»Natürlich! Hoffentlich laßt ihr sie euch von den Aladschy nicht wieder abnehmen.«

»Herr, du weißt nicht, welche Freude du mir bereitest. Ich reite mit euch bis Skutari und will dann mein Vaterland, die Czernagora, besuchen, bevor ich nach Stambul zu meiner Tochter zurückkehre. Wie wird man mich dort um das Pferd beneiden!«

Auch Omar sprach seine große Freude aus. Beide fühlten sich ganz glücklich über das Geschenk, welches ich ihnen da gemacht hatte, ohne daß es mich einen Para kostete. Sie waren eben darüber, zu losen, welches Pferd dem einen und dem andern zufallen sollte, als Halef zurückkehrte. Da er erfuhr, daß diese beiden die Schecken haben sollten, sagte er zwar nichts, aber seine Gedanken standen auf seinem Gesicht geschrieben. Er fühlte sich gekränkt und zurückgesetzt.

»Nun, werden Leute kommen?« fragte ich ihn.

»Ja. Ich bin bis in das Gasthaus geritten und habe dort die Botschaft ausgerichtet. Es wird nicht lange dauern, so kommt die ganze Einwohnerschaft des Dorfes herbei. Wie werden sie uns anstaunen ob des glorreichen Sieges, welchen wir erkämpft haben!«

»Sie werden uns gar nicht anstaunen.«

»Meinst du? Warum nicht?«

»Weil wir nicht mehr hier sein werden, wenn sie kommen. Ich habe keine Lust, die kostbare Zeit zu versäumen, um mich von diesen Leuten begaffen zu lassen.«

»Aber wir müssen doch bleiben, um ihnen den Grund und Verlauf des Kampfes zu erzählen. Diese Gesellen hier werden, wenn wir eher aufbrechen, Lügen machen und uns als die Schuldigen hinstellen.«

»Das ist mir sehr gleichgültig. Besorge nur nicht, daß uns jemand anklagen wird.«

»Und was geschieht mit den erbeuteten Waffen?«

»Die zerschlagen wir.«

»So will ich wenigstens eine davon als Andenken mit mir nehmen. Ich habe noch keinen Czakan und will lernen, mit ihm zu streiten.«

Er hob einen der Czakans auf und steckte ihn in den Gürtel.

»Well!« sagte der Engländer, als er das bemerkte. »Wenn Halef es tut, nehme auch ich mir so eine Streitaxt mit. Will sie mir aufheben als Andenken an den unvorsichtigen Master, der mich hier vom Pferd geworfen hat. Und da man mich um meinen Hut gebracht hat, wird mir einer dieser Gentlemen erlauben müssen, mich seines Fez für meinen Kopf zu bemächtigen.«

Er nahm die andere Axt auf und probierte dann die roten Mützen sämtlicher Besiegten durch, um eine ihm passende zu finden. Diese liebe Unbefangenheit nötigte mir ein heimliches Lächeln ab; ich ließ ihn aber gewähren, ohne ihn zu warnen. Er mußte allerdings eine Mütze haben, da es im Orient geradezu eine Schande ist, sich ohne Kopfbedeckung sehen zu lassen; aber eine bereits gebrauchte zu nehmen, was bei ihm freilich nicht gut anders möglich war . – man mußte die Folgen abwarten.

Auch ich nahm meinen Czakan zu mir.

Dann verließen wir schleunig den Ort, welcher unser Sterbebett hatte werden sollen.

Osko und Omar ritten ihre Schecken; die bisher benutzten Pferde wollten sie verkaufen. Neben diesen beiden letzteren mußten sie auch dasjenige am Zügel führen, welches ich für Stojko zurückbehalten hatte.

Glücklich, so leichten Kaufes davongekommen zu sein, trabten wir von dannen, nachdem wir vorher die Waffen der Feinde vernichtet oder wenigstens unbrauchbar gemacht hatten.

Wir ritten fortwährend zwischen bewaldeten Felshöhen dahin. Dabei verstand es sich ganz von selbst, daß das letzte Erlebnis gehörig durchgesprochen wurde.

Nur Halef blieb sehr einsilbig. Er konnte aber seine Gefühle und Gedanken nicht verheimlichen; darum wußte ich, daß er bald kommen werde, um mir Vorwürfe zu machen. Und wir waren noch keine Stunde wieder unterwegs, so kam er an meine Seite und fragte in seinem freundlichsten Ton:

»Sihdi, willst du mir wohl eine Frage aufrichtig beantworten?«

»Sehr gern, mein lieber Halef.«

»Meinst du, daß ich heute meine Sache gut gemacht habe?«

»Vortrefflich.«

»Ich bin also tapfer gewesen und habe deine Zufriedenheit erworben?«

»Im vollsten Maß.«

»So sind aber wohl Omar und Osko noch tapferer gewesen als ich?«

»O nein, obgleich auch sie ihre Schuldigkeit vollauf getan haben.«

»Aber du hast sie doch so sehr vor mir ausgezeichnet!«

»Das wüßte ich nicht.«

»Du hast ihnen doch die Schecken gegeben! Omar hat nur einen Feind besiegt, Osko zwei und ich tat's sogar mit dreien!«

»Allerdings mit meiner Hilfe, Halef.«

»Hast du nicht auch Osko geholfen? Warum hat denn er einen Schecken bekommen und nicht ich? O Sihdi, ich bin dein Freund und Beschützer und habe geglaubt, daß du mich liebst. Nun aber finde ich, daß Andere dir mehr gelten.«

 

»Du täuschest dich, Halef. Du bist mir der liebste von allen.«

»Das hast du heute bewiesen. Wer wird stolz sein auf Osko, wenn er auf dem Schecken durch die Czernagora reitet? Wer wird sich freuen über Omars Pferd? Er hat keine Verwandten, er ist jetzt vollständig fremd in der Welt. Ich gönne ihm die Freude, denn er ist ein braver Kamerad und ich habe ihn sehr lieb. Aber denke einmal an Hanneh, an mein Weib, die Rose der Frauen, die sanfteste und zarteste unter den Töchtern der Mütter und Großmütter! Wie würde sie entzückt sein, und wie würde ihr Stolz sich erheben, wenn ihr Hadschi Halef, der Tapferste der Tapfern, geritten käme auf einem erbeuteten Schecken der Aladschy! Sie würde von Zelt zu Zelt eilen, um zu verkündigen: »Er ist zurückgekehrt, mein Gemahl und Gebieter, der Held unter den Heldenhaftesten, der Mann unter den Männlichsten, der Kriegerischste unter den Streitbaren! Er ist da, der tötende Säbel, der Vater des Sieges, der Bruder und Schwager des Triumphes. Er hat den Erdkreis umritten und Sieg um Sieg erfochten. Er hat mit wilden Bestien und mit starken Menschen gekämpft, und niemand hat ihn zu überwinden vermocht. Sogar den Bären hat er getötet und seine Tatzen verzehrt. Jetzt ist er heimgekehrt auf dem Scheckigsten der Schecken, den er erobert hat von den Gewaltigsten unter den Anführern der Räuber. Sein Sihdi, den ihr alle kennt, hat ihm dieses herrliche Pferd verehrt als Preis seiner Tapferkeit, als Lohn seiner Stärke und als Zeichen seines unvergänglichen Ruhmes. Preis sei diesem Sihdi, dem Gerechten, der nach Verdienst belohnt, und Ehre sei meinem Herrn, Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawuhd al Gossarah!« So würde sie sagen, und alle Söhne der Araber würden einstimmen in das Lob deiner Gerechtigkeit; sie würden Lobgesänge dichten auf deine Unparteilichkeit und herrliche Strophen auf den Glanz deines Biedersinnes. Nun aber ist das unmöglich, denn du hast mich mißachtet und mir die verdiente Belohnung vorenthalten!«

Sein Schmerz erging sich in sehr überschwenglichen Ausdrücken. Es war ihm Ernst dabei, obgleich es mir heimlich Spaß bereitete. Ich besaß das beste Mittel, ihn sogleich aufzurichten und in die größte Wonne zu versetzen. Darum sagte ich:

»Du irrst. Ich habe dich nicht zurückgesetzt. Ich hatte vielmehr die Absicht, deine Dienste noch ganz anders zu belohnen. Osko und Omar sollten dich beneiden.«

»Wie können sie mich beneiden, wenn sie die Schecken besitzen?«

»Du sollst ein Pferd haben, welches fünfzigmal mehr wert ist, als die Schecken der Aladschy zusammen.«

»Ich? Welches Pferd sollte das sein?«

»Das errätst du nicht?«

»Nein, Sihdi.«

»So muß ich es dir sagen. Ich werde dir, wenn wir scheiden, meinen Rih schenken. Du sollst ihn zu Hanneh bringen, der Holdesten der Holden.«

Das gab ihm einen solchen Ruck, daß er sein Pferd anhielt und mich offenen Mundes anstarrte.

»Sihdi,« stieß er hervor, »habe Erbarmen mit mir! Wenn du sagst, daß Rih mein Eigentum sein soll, so machst du mich unglücklich!«

»Unglücklich? Warum?«

»Weil es nicht wahr sein kann. Kein Mensch verkauft ein solches Pferd!«

»Ich will es ja nicht verkaufen, sondern dir schenken!«

»Kein Mensch wird es verschenken!«

»Habe ich es nicht geschenkt erhalten?«

»Ja, als Lohn deiner großen Verdienste um den Stamm, welcher ohne dich vernichtet worden wäre, und als Zeichen der großen Freundschaft des Scheiks, welcher Sohn und Anführer dieses Stammes war.«

»So schenke ich es dir aus denselben Gründen. Habe ich dich nicht noch lieber, als der Scheik mich haben konnte? Bist du nicht mein bester Freund auf Erden? Hast du dir nicht große Verdienste um mich erworben? Lebte ich wirklich noch, wenn du nicht stets mein Freund und Beschützer gewesen wärst?«

Das ging ihm tief zu Herzen. Die Tränen traten ihm in die Augen, und er sagte wehmütig:

»Ja, ich bin dein Freund und ich habe dich so lieb, so lieb, daß ich mein Leben tausendmal für dich hingeben würde, wenn das möglich wäre. Ich würde sogar vielleicht Hanneh verlassen, wenn es zu deinem Glück notwendig wäre. Aber doch spottest du meiner!«

»Denke das nicht! Hast du nicht bereits Hanneh vernachlässigt um meinetwillen? Hast du sie nicht verlassen, sie und dein kleines Söhnchen, um mir zu folgen durch jede Not und alle Gefahren? Und ich sollte deiner spotten!«

»Ja, denn du nennst mich deinen Beschützer!«

»Du nennst dich ja selbst oft so!«

»O Sihdi, du weißt gar wohl, wie das zu nehmen ist. Nicht ich bin dein Beschützer, sondern du bist der meinige. Oft hast du mir das Leben gerettet, indem du das deinige wagtest. Und das ist die Wahrheit. Du weißt gar wohl, daß mein Mund zuweilen mehr sagt, als ich selbst glaube. Du nimmst es ruhig hin und lächelst im Stillen über deinen kleinen Hadschi, der froh ist, wenn du deine Hand nicht von ihm nimmst. Und nun sollte ich für meine Verdienste, welche ich gar nicht kenne und besitze, den Hengst bekommen? Das ist nicht möglich! Denke, wie stolz du auf ihn sein kannst, wenn du einreitest in das Land deiner Väter! Die Söhne deines Volkes werden staunen und dich beneiden; in allen Städten wird man reden und erzählen von diesem Pferd und von seinem Reiter, und in allen Dscherideler (* Zeitungen.) wird dein Bildnis erscheinen, wie du auf dem Rappen sitzest, die Büchse am Sattel und den Czakan an der Seite!«

»Nein!« lachte ich. »Man wird weder davon sprechen, noch davon schreiben. Nur wenige Menschen werden sich darum kümmern, ob ich überhaupt ein Pferd habe oder nicht. Die Verhältnisse meines Landes sind nicht diejenigen des deinigen. Bringe ich Rih mit nach Hause, so kostet er mich so viel Geld, wie ich gar nicht habe; davon hast du keinen Begriff. Ich müßte ihn verkaufen, sonst würde er mich aufzehren.«

»Nein, nein, Sihdi, verkaufen darfst du ihn nicht! Wer versteht dort die Behandlung dieses Pferdes, welches der König der Rappen ist!«

»So bist du also meiner Ansicht. Und selbst wenn ich ihn verkaufen wollte, so würde er beim reichsten Besitzer langsam dahinsiechen und sich nach dem freien Leben sehnen, welches er gewohnt ist. Du beobachtest ihn nicht so, wie ich es tue. Er ist die Wüste gewohnt und den Sonnenbrand. Er braucht das Futter, welches er nur dort haben kann. Er wird sich beim ärmsten Araber wohler fühlen, als in meiner Heimat im herrlichsten Stall. Wer wird ihn dort behandeln wie ein Kind des Hauses? Wer wird ihm des Abends vor dem Schlafenlegen die Suren des Kuran in das Ohr sagen, so wie er es seit dem Tag seiner Geburt gehabt hat? Noch sind wir im Land des Großherrn, und doch ist er bereits krank. Sein Haar ist nicht mehr wie der Faden der Spinne; seine Augen sind hell, aber nicht mehr voll Feuer. Suche nach den drei Locken: zwischen den Ohren, am ersten Halswirbel und an der Wurzel des Schwanzes, welche sichere Zeichen der drei Vortrefflichkeiten eines echten Blutes sind. Das Haar ist nicht mehr gelockt: es ist schlicht und straff geworden. Er würde vielleicht elend aussehen, aber er liebt mich, und dies erhält ihm die Munterkeit und Spannkraft. So wird er auch dich lieben, aber keinen Andern. Er weiß, daß du sein Freund bist, und wird dir gehorchen, wie er mir gehorcht hat, wenn du des Abends die Sure nicht vergissest. Also um seinetwillen darf ich ihn nicht behalten. Ich muß ihn der Heimat zurückgeben aus Dankbarkeit für das, was er mir geleistet hat. Und wenn ich, indem ich das tue, zugleich dich glücklich mache, so ist das ein Grund mehr, ihn dir zu schenken. Sobald wir das Wasser der See erreichen, ist er dein Eigentum. Dann kannst du ohne Verdruß sehen, daß Osko und Omar die Schecken reiten, denn sie sind mit Rih nicht zu vergleichen.«

»Ich kann es aber nicht glauben, Sihdi. Freilich, mein Schmerz wird groß sein, wenn ich mich nun bald von dir trennen muß, und das Tier zu besitzen, welches du geritten hast, wäre mir ein Trost in diesem Leid; aber bedenke die Größe dieser Gabe! Als Besitzer des Rih wäre ich ein reicher, ein sehr reicher Mann und einer der Angesehensten des Stammes. Ich weiß, daß du keine Schätze besitzest; wie dürfte ich da ein solches Geschenk von dir annehmen!«

»Du darfst, und du sollst. Sprechen wir nicht weiter davon!«

Er sah mir forschend in das Gesicht. Als er sah, daß es mir Ernst war, erglänzte das helle Entzücken in seinen noch feuchten Augen. Und doch sagte er zagend:

»Ja, Sihdi, sprechen wir nicht länger davon! Das ist eine so hochwichtige Angelegenheit, daß du sie dir reiflich überlegen mußt.«

»Sie ist überlegt und längst beschlossen.«

»So überdenke es noch einmal; noch ist die Trennungsstunde nicht gekommen. Aber eine große, große Bitte habe ich, Herr!«

»Welche denn?«

»Erlaube mir, von heute an dem Rih des Abends an deiner Stelle die Sure in das Ohr zu sagen. Er wird dann wissen, daß er mir gehören soll, und sich an diesen Gedanken gewöhnen. Der Schmerz der Trennung von dir wird ihm dadurch erleichtert werden.«

»Ja, tue das! Ich werde von jetzt an auch darauf verzichten, ihm Futter und Wasser zu geben. Er ist dein Eigentum, und von diesem Augenblick an habe ich ihn nur von dir geliehen. Aber ich knüpfe eine Bedingung an diese Gabe, Halef.«

»Sage sie! Ich werde sie erfüllen, wenn es mir möglich ist.«

»Es ist dir möglich. Ich möchte nicht für immer von dir scheiden. Du weißt, daß ich nach meiner Ankunft in der Heimat fast immer bald wieder von dannen gehe. Es ist möglich, daß ich wieder einmal in das Land komme, wo du mit Hanneh, der Unvergleichlichen, wohnst. In diesem Fall gehört Rih wieder mir für so lange Zeit, als ich ihn dort brauche.«

»Herr, ist's wahr? So wolltest du uns besuchen? O, welche Freude würde das geben auf den Weideplätzen und unter allen Zelten! Der ganze Stamm käme dir entgegen, um dir das Ahla wa sahla wa marhaba (* Willkommen.) zu singen, und du würdest auf dem Rih einreiten in das Duar (** Zeltdorf.) und ihn besitzen, so lange es dir beliebt. Der Gedanke, dich wiederzusehen, wird mich beim Scheiden trösten und es mir erleichtern, die kostbare Gabe anzunehmen, welche du mir machen willst. Ich werde den Rappen nicht als mein, sondern als dein Eigentum betrachten, welches du mir anvertraut hast, es dir gut zu bewahren.«

Natürlich war es ihm unmöglich, dieses Thema so schnell fallen zu lassen. Er besprach dasselbe von allen möglichen Gesichtspunkten aus und redete sich in eine wirkliche Begeisterung hinein. Dann aber gab es nichts Notwendigeres für ihn, als den Gefährten die Größe seines Glückes mitzuteilen. Sie gönnten ihm dasselbe von ganzem Herzen. Nur der Lord, dem Halef mehr in Gesten, als in Worten die betreffende Mitteilung gemacht hatte, kam herbei und sagte beinahe zornig:

»Hört, Master, ich erfahre soeben, daß Ihr den Rih weggeschenkt habt. Ist das wahr, oder habe ich die Armbewegungen und Ausrufe des Kleinen falsch verstanden?«

»Es ist wahr, Sir.«

»So seid Ihr zehnmal verrückt!«

»O, ich bitte! Hält man es in Altengland für eine Verrücktheit, einen braven Menschen glücklich zu machen?«

»Nein, aber man hält es für Wahnsinn, ein solches Prachttier einem Bedienten zu schenken.«

»Halef ist nicht mein Domestik, sondern mein Freund, der mich weithin begleitet und deswegen seine Heimat verlassen hat.«

»Das entschuldigt Euch nicht. Bin ich Euer Freund oder Euer Feind?«

»Ich denke, das erstere.«

»Habe ich Euch begleitet oder nicht?«

»Ja, wir sind eine lange Zeit beisammen gewesen.«

»Habe ich die Heimat verlassen oder nicht?«

»Seid Ihr meinetwegen aus Altengland fort?«

»Nein; aber ich wäre längst wieder dort. Das ist ganz dasselbe. Und habe ich Euch nicht etwa große Dienste erwiesen? Bin ich nicht, weil ich Euch retten wollte, in dieses verteufelte Gebirg gekommen und ausgeraubt und eingesperrt worden?«

»Letzteres geschah nur infolge Eurer Unvorsichtigkeit. Uebrigens, wenn wir aufrichtig sein wollen, sinkt hier meine Wagschale tiefer als die Eurige. Daß Ihr uns retten wolltet, ist ganz schön und gut von Euch, und wir erkennen es mit aufrichtiger Dankbarkeit an; aber ich habe Euch bereits vorhin gesagt, daß sich unter Eurer Hand alles in das Gegenteil zu verwandeln pflegt. Nicht Ihr habt uns, sondern wir haben Euch gerettet. Soll ich Euch dafür den Rappen schenken?«

»Wer hat das verlangt! Es fällt mir nicht ein, eine Belohnung von Euch zu begehren; aber Ihr wißt, wie sehr ich mich nach dem Besitz dieses Pferdes sehne. Ich hätte es Euch abgekauft. Ich hätte Euch eine Anweisung gegeben, ein Blankett, welches Ihr mit der von Euch gewünschten Summe ausfüllen konntet, ohne daß ich hingeschaut hätte; sie wäre Euch ausgezahlt worden. Rih hätte einen Stall erhalten, in welchem ein Fürst wohnen könnte, und wäre aus marmorner Krippe mit dem aromatischen Heu aus Wales, dem besten Hafer aus Schottland und dem saftigsten Klee aus Irland gefüttert worden!«

 

»Und wäre dabei zu Grunde gegangen. Rih will in der Wüste wohnen und ihre Kräuter fressen. Einige Bla Halefa (* Geringste Sorte getrockneter Datteln, Pferdefutter.) sind die größte Delikatesse für ihn. Nein, Sir; Ihr seid ein reicher Mann, ein Millionär, und habt die Mittel, alle Eure Wünsche erfüllt zu sehen. Halef aber ist ein armer Kerl, der nichts wünschen darf, weil er weiß, daß er nichts bekommen kann. Dieses Geschenk geht ihm über alle Freuden und Wonnen, welche Mohammed den Gläubigen bereits hier auf Erden verheißt. Er soll es haben. Ich habe es gesagt und kann nicht zurück.«

»So! Ihn wollt Ihr selig machen; ihn hebt Ihr in den siebenten Himmel; aber meine Freuden und Wonnen gehen Euch nichts an. Hole Euch der Teufel, Sir! Wenn jetzt ein Spitzbube käme, der Euch mir stehlen wollte, ich würde nichts dagegen sagen, sondern ihn vielmehr flehentlichst bitten, Euch mitzunehmen und beim Trödler für sechs oder acht Para zu verkaufen!«

»Danke für diese Wertschätzung! Acht Para sind noch nicht ganz vier Pfennige. Ich habe wirklich nicht geahnt, daß ich ein gar so billiger Artikel bin. Aber was habt Ihr denn? Leidet Ihr an Kopfschmerzen, Sir?«

Er hatte nämlich mehrere Male, bald mit der linken, bald mit der rechten Hand nach seinem Kopf gegriffen, den Fez in die Stirn oder in das Genick geschoben und dabei mit den Fingern diejenigen energischen Bewegungen gemacht, welche geeignet sind, ein gewisses kleines Wildbret aufzustöbern.

»Kopfschmerzen? Wie so?« fragte er.

»Weil Ihr so oft nach dem Kopfe greift.«

»Davon weiß ich nichts; das geschieht ganz unwillkürlich, wohl weil der Fez nicht ganz richtig sitzt.«

Aber noch während er sprach, kratzte er sich abermals.

»Seht, soeben geschieht es wieder, und der Fez hat doch ganz richtig gesessen.«

»Ja, hm! Wißt Ihr, es scheint, ich habe verdorbenes Blut. Es setzt sich in der Kopfhaut fest und beginnt zu jucken. Ich werde, wenn ich nach Altengland komme, eine Blutreinigungskur vornehmen, Lindenblüten – und Holundertee mit strengster Diät und einem achtpfündigen Plumpudding täglich.« »Quält Euch nicht mit einer solchen Hungerkur! Die Pflaumen und Rosinen des Puddings würden Euch den Magen verderben. Ein wenig Fett mit Quecksilber tut es auch, und zwar erfordert diese Kur die Zeit von nur fünf Minuten.«

»Meint Ihr?«

»Ja. Wolltet Ihr warten bis zum Holundertee in Altengland, so würdet Ihr jedenfalls nur als Skelett dort ankommen; die weicheren Körperteile wären indessen verspeist worden.«

»Von wem?«

»Von dem, was Ihr unreines Blut nennt. Diese sonderbaren Blutstropfen haben nämlich ganz eigentümlicherweise sechs Beine und einen Rüssel, welcher höchst unangenehm wirken kann.«

»Wie – wa – waaas?« fragte er, mich erschrocken ansehend.

»Ja, mein lieber Herr! Vielleicht habt Ihr das Latein Eurer Jugendjahre noch einigermaßen fest. Wißt Ihr noch, was Pediculus capitis bedeutet?«

»Hab's jedenfalls gewußt, ist mir aber entfallen.«

»Oder wißt Ihr, welches liebliche Geschöpf der Araber »Khamli«, der Türke aber >Bit< nennt? Der Russe sagt >Woschj<, der Italiener >Pidocchio<, der Franzose >Pou< und der Hottentott >t' Garla<.«

»Seid still! Laßt mich mit Türken und Hottentotten in Ruh! Ich verstehe keines dieser Wörter!«

»So habt die Güte, Euer Haupt zu entblößen und einmal das Innere Eures Fez zu untersuchen. Vielleicht macht Ihr eine wichtige Entdeckung, welche Euch den Ruf eines berühmten Insektenkenners einbringen wird.«

Er riß die Mütze vom Kopf, blickte aber nicht hinein, sondern fragte ganz betroffen:

»Wollt Ihr mich beleidigen? Oder meint Ihr etwa, daß da drin – — ?«

»Ja, ich meine, daß da drin – — !«

»Etwas – etwas Lebendiges krabbelt?« fuhr er fort.

»Richtig! Ganz dasselbe meine ich.«

»Alle Teufel! Ah!«

Er hielt sich die Mütze vor das Gesicht und starrte hinein.

Seine Nase fuhr hin und her, nach oben und nach unten, als hätte sie sich ganz separat auf die eifrigste Okularinspektion legen wollen. Dann ließ er die Hände mit der Mütze sinken und rief erschrocken aus:

»Woe to me! Louses! Lice!«

Er wollte den Fez wegwerfen, besann sich aber anders, stülpte ihn vor sich auf den Sattelknopf, fuhr sich mit beiden Händen in das Haar und begann nun eine ganz entsetzliche Verwüstung seiner Toilette anzurichten. Dabei erging er sich in Ausdrücken, welche gar nicht wiederzugeben sind, und war am grimmigsten darüber, daß diese Tierlein nicht einmal das ehrenwerte Haupt eines Lords von Altengland respektierten.

Dieser Zorn brachte mich zum Lachen. Er ließ die Hände vom Kopf, wendete sich wieder zu mir und schrie mich an:

»Lacht nicht, Sir, sonst boxen wir! Wie steht es denn mit Eurem Fez? Erfreut auch er sich einer solchen Einwohnerschaft?«

»Habe nicht die Ehre, mein lieber Lord. Diese Art von Soldiers hält sich fern von mir, weil ich mich niemals so zuvorkommend wie Ihr gegen sie erwiesen habe.«

»Welche Unvorsichtigkeit, diesen Fez zu nehmen! So ein Unheil, welches er angerichtet hat! Und in dieser kurzen Zeit! Sollte man es für möglich halten!«

»O, was das betrifft, so hat der Türke eine Redensart, welche lautet: Tschapuk ok gibi hem bit gibi – schnell, wie der Pfeil und die Laus. Und in der Türkei versteht man sich auf diese Sache doch sehr gut.«

»Aber was tue ich, was fange ich an? Gebt mir doch einen guten Rat! Ich darf den Palast, welchen dieses unheilvolle Volk bewohnt, nicht wegwerfen, denn es wäre eine Schande, unbedeckten Hauptes in Rugova einzureiten. Und ob es dort einen Laden gibt, in welchem ich eine neue Kopfbedeckung erhalten kann, das ist doch fraglich.«

»Sogar sehr! Vor uns braucht Ihr Euch nicht zu genieren und könnt den Gefährten ganz ruhig Euer Unglück wissen lassen. Steigen wir für zwei Minuten ab.«

Nachdem die Andern erfahren hatten, um was es sich handelte, erbot sich Osko, die Exekution zu übernehmen. Er legte die Mütze auf einen Stein und tat eine dünne Schicht Erde oben darauf. Auf diese kam dann ein Haufen trockener Zweige, welcher angebrannt wurde. Dadurch erreichten Erde, Stein und Mütze einen Wärmegrad, welcher den beabsichtigten Zweck unbedingt erfüllte. In der Nähe tröpfelte Wasser vom Fels und bildete eine kleine Pfütze, in welcher der Fez nach dem warmen Verfahren einer nassen Behandlung ausgesetzt wurde. Dann erhielt der Lord den Schutz der Würde seines Hauptes zurück, und wir ritten weiter. Auf dergleichen Episoden muß man im Orient stets gefaßt sein, selbst wenn man zufälligerweise ein Lord von Altengland ist.

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