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Der Schut

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»Weißt du vielleicht etwas näheres über den Schut?« fragte ich ihn.

»Ich weiß auch nicht mehr als du und Andere. Wüßte man seinen Wohnort, so würde man auch ihn selbst kennen, und dann wäre es mit ihm aus.«

»Das ist noch die Frage. Ich bin überzeugt, daß die Behörde mit ihm in Verbindung steht. Weißt du nicht, wo Karanirwan-Khan liegt?«

»Diesen Namen kenne ich nicht.«

»Kennst du auch keinen Mann, der Kara Nirwan heißt?«

»Ebensowenig.«

»Aber einen Perser kennst du, welcher das Geschäft des Pferdehandels treibt?«

»Ja. Der heißt aber im Mund des Volkes Kara Adschemi. Was ist's mit diesem?«

»Ich habe ihn im Verdacht, der Schut zu sein.«

»Was? Dieser Perser?«

»Beschreibe ihn mir einmal!«

»Er ist länger und stärker als du und ich, ein wahrer Riese, und trägt einen schwarzen Vollbart, welcher weit bis zur Brust herabreicht.«

»Wie lange befindet er sich im Lande?«

»Das weiß ich nicht genau. Es sind wohl an die zehn Jahre her, daß ich ihn zum erstenmal gesehen habe.«

»So lange ist es wahrscheinlich auch, daß man von dem Schut gesprochen hat?«

Er blickte mich überrascht an, sann ein wenig nach und antwortete dann:

»Ja, so ungefähr wird es sein.«

»Wie ist das Auftreten dieses Pferdehändlers?«

»Er benimmt sich überaus gebieterisch, wie alle Leute, welche wissen, daß sie reich sind. Er geht stets bis an die Zähne bewaffnet und ist als ein Mann bekannt, mit welchem man keinen Spaß machen darf.«

»So ist er zu Gewalttätigkeiten geneigt?«

»Ja, er ist gleich mit der Faust oder mit der Pistole zur Hand, und man erzählt sich, daß schon Mehrere, die ihn beleidigt hatten, den Mund nicht wieder öffneten, weil ein Toter nicht mehr reden kann. Aber von Raub und Diebstahl weiß ich nichts zu berichten.«

»Diese Beschreibung paßt ganz genau zu dem Bilde, welches ich mir von ihm gemacht habe. Weißt du vielleicht, ob er mit dem Köhler Scharka verkehrt?«

»Davon habe ich noch nichts erfahren. Hast du mit dem Kohlenbrenner auch zu tun?«

»Bis jetzt noch nicht; aber ich denke, daß ich mit ihm zusammentreffen werde; die Fünf wollen zu ihm. Seine Wohnung ist ihnen also bekannt. Weißt auch du sie vielleicht?«

»Ich weiß nur, daß er in einer Höhle wohnt, welche jenseits von Glogovik im tiefen Walde liegt.«

»Hast du ihn gesehen?«

»Nur vorübergehend.«

»Er muß doch von Zeit zu Zeit den Wald verlassen, um seine Kohlen zu verkaufen, oder es müssen Leute zu demselben Zweck ihn aufsuchen.«

»Er verkauft nicht selbst. Da drüben in den Bergen ist ein Kurumdschy (* Rußhändler, Rußbuttenmann.), welcher ihm das alles besorgt. Dieser zieht mit seinem Wagen, auf welchem sich die Kohlen und die Rußfäßchen befinden, im Lande umher.«

»Was ist er für ein Mann?«

»Ein finsterer, wortkarger Kerl, der sich mit keinem Menschen abgibt. Man sieht ihn lieber gehen, als kommen.«

»Hm! Vielleicht bin ich gezwungen, ihn aufzusuchen, um von ihm die Höhle des Köhlers zu erfahren.«

»Als Wegweiser könnte ich dir wenigstens einen Knecht bis Glogovik mitgeben. Weiter hinauf kennt auch er die Wege nicht.«

»Wir nehmen dieses Anerbieten herzlich gern an. Dein Sohn erzählte mir, daß der Köhler im Verdacht des Mordes stehe.«

»Das ist nicht nur Verdacht; man weiß es sicher, obgleich es keine Zeugen gibt, mit deren Hilfe er überführt werden könnte. Er hat sogar im Verkehr mit den Aladschy gestanden, welche von den Soldaten freilich vergeblich bei ihm gesucht worden sind.«

»Auch dein Sohn sprach davon. Er hat diese beiden Menschen heute gesehen.«

»Die Scheckigen? Wirklich? Ich habe oft gewünscht, ihnen einmal zu begegnen, natürlich aber so, daß ich sie nicht zu fürchten habe.«

»Nun, das ist ja geschehen.«

»Wann sollte das gewesen sein?«

»Heute. Hast du unter den fünf Reitern nicht zwei gesehen, welche auf scheckigen Pferden ritten?«

»Himmel! So befinden sie sich also hier, drüben im Konak meines Nachbarn! Da ist ja das Unheil in der Nähe!«

»Heute brauchst du sie nicht zu fürchten, denn wir sind hier. Sobald sie erführen, daß wir uns bei dir befinden, würden sie sich aus dem Staub machen. Uebrigens wirst du sie vielleicht sehen, wenn du jetzt heimlich hinübergehst. Suche zu erfahren, ob man sie vielleicht belauschen kann.«

Er ging, und wir beschäftigten uns während seiner Abwesenheit angelegentlich mit dem Abendessen. Nach einer kleinen halben Stunde kam er zurück und meldete uns, daß er sie gesehen habe.

»Aber es waren ihrer nur vier,« sagte er. »Der Verwundete befand sich nicht bei ihnen. Sie sitzen neben der Schlafkammer des Nachbars. Ich habe mich rund um das ganze Haus geschlichen und an allen Läden gespäht, ob man durch eine Spalte hineinsehen kann. Endlich kam ich an den betreffenden Laden, welcher ein kleines Astloch hat. Sie saßen mit dem Konakdschi zusammen und hatten einen Krug mit Raki vor sich stehen.«

»Sprachen sie?«

»Ja, aber nicht von eurer Angelegenheit.«

»Ob sie wohl zu belauschen wären? Kann man sie verstehen, wenn man außen am Laden steht?«

»Ich habe nur einzelne Worte richtig hören können. Um ihr Gespräch zu hören, müßte man in die Schlafstube steigen; der Laden steht auf.«

Er beschrieb die Lage dieser Stube und ihr Inneres, und ich erkannte, daß es allzu gefährlich wäre, hineinzusteigen; zumal man annehmen mußte, daß der alte Mübarek sich darin befinde.

»Nein, wir wollen auf dieses Unternehmen verzichten,« sagte ich. »Nachher werde ich selbst einmal hinüberschleichen, um Kundschaft einzuholen.«

Somit hielt ich diese Angelegenheit für erledigt. Im Laufe des weiteren Gesprächs stand Halef auf, um einmal hinauszugehen.

»Ich will nicht hoffen, daß du dich hinüberschleichen willst,« rief ich ihm nach. »Das verbiete ich dir aufs strengste!«

Er nickte nur und ging. Ich aber war nicht beruhigt und beauftragte Omar, ihm heimlich zu folgen. Dieser kehrte schnell zurück und meldete mir, daß der Hadschi nach dem Stall gegangen sei, jedenfalls um sich zu überzeugen, daß es den Pferden, besonders meinem Rappen an nichts mangele. Damit gab ich mich zufrieden. Es verging eine Viertelstunde und noch eine, und da Halef noch nicht wieder da war, so erwachte meine Sorge von neuem. Als ich sie laut werden ließ, ging der Wirt, um nach ihm zu suchen; aber er kehrte unverrichteter Dinge zurück; er hatte ihn nirgends gefunden.

»So habe ich ganz richtig geahnt: er hat eine Dummheit gemacht und befindet sich höchst wahrscheinlich in Gefahr. Osko, Omar, nehmt eure Gewehre – wir müssen hinüber zu dem Konak, denn ich wette, daß er so verwegen gewesen ist, in das Schlafzimmer einzusteigen.«

Ich nahm nur den Stutzen, welcher mehr als genügend war, die ganze Gesellschaft im Zaum zu halten. Draußen war es stockdunkel. Der Schäfer diente uns als Führer. Da ich meinen Fuß zu schonen hatte, gingen wir nur sehr langsam am Ufer hin, bis der Konak als dunkle Masse vor uns lag, etwa fünfzig Schritte von dem Fluß entfernt.

Wir schlichen an der Vorderseite des Hauses hin, wo alle Fenster verschlossen waren, und bogen dann nach derjenigen Giebelseite ab, welche die Stallungen enthielt. Dort standen junge Fichten, die mit ihren unteren Aesten fast den Boden berührten. Zwischen ihnen und dem Hause war nur ein schmaler Raum zum Gehen frei.

Von da aus führte uns der Schäfer nach der hinteren Seite des Gebäudes, an welcher entlang wir hinschlichen. Es war keine Spur von Halef zu bemerken; doch war ich der festen Ueberzeugung, daß er sich jetzt im Innern des Hauses befand, festgenommen von den Leuten, welche er hatte belauschen wollen.

Da blieb unser Wirt stehen und deutete auf zwei Läden, welche, wie alle übrigen, von innen verriegelt waren.

»Hier dieser erste Laden,« flüsterte er, »gehört zu der Stube, in welcher die Männer saßen; der zweite aber zur Schlafkammer.«

»Sagtest du nicht, daß dieser zweite Laden offen gewesen sei?«

»Ja, vorhin stand er auf.«

»So ist er seitdem zugemacht worden. Das muß einen Grund haben. Und welcher Grund könnte es sonst sein, als daß die Halunken bemerkt haben, daß man sie belauscht?«

Ich huschte an den ersten Laden und blickte durch das Astloch. Die Stube war durch eine Unschlittkerze, welche in einem Leuchter von Draht steckte, nur notdürftig erhellt; aber ich sah genug.

An einem Tisch saßen Manach el Barscha und Barud el Amasat. Vorn am Eingang stand ein Mann von untersetzter, kräftiger Gestalt und rohen Gesichtszügen, jedenfalls der Wirt. An der Wand zu meiner rechten Hand lehnten die beiden Aladschy. Die Gewehre dieser Leute waren in der Ecke an hölzernen Haken aufgehängt. Die Blicke aller fünf richteten sich auf – Halef, welcher auf dem Boden lag, an Händen und Füßen gebunden. Die Gesichter seiner Feinde weissagten nichts Gutes. Manach el Barscha schien das Verhör zu führen. Er befand sich jedenfalls in zorniger Erregung, denn er sprach so laut, daß ich jede Silbe verstehen konnte.

»Siehst du etwas, Sihdi?« fragte Omar.

»Ja,« antwortete ich leise. »Der Hadschi liegt gebunden auf dem Boden und wird jetzt eben verhört. Kommt her! Sobald ich den Laden zertrümmere, helft ihr mit und streckt dann die Mündungen eurer Gewehre hinein. Der Laden muß aber im Nu in Stücke gehen, damit sie nicht Zeit finden, sich an Halef zu vergreifen, ehe wir ihn schützen können. Und nun still!«

Ich horchte.

»Und wer hat dir gesagt, daß wir hier sind?« erkundigte sich Manach el Barscha.

»Suef hat es selbst gesagt,« antwortete Halef.

Ich sah den Genannten nicht; aber jetzt trat er von links herein. Er mochte in der Schlafstube gewesen sein.

»Hund, lüge nicht!« sagte er, indem er Halef einen Fußtritt versetzte.

»Schweig und schimpfe nicht!« antwortete der Kleine. »Hast du nicht in unserer Gegenwart zu dem Wirt in Rumelia gesagt, daß du nach dem Treska-Konak reiten wolltest?«

 

»Ja, aber ich habe nicht gesagt, daß sich auch diese Männer hier befinden werden.«

»Das konnten wir uns doch denken. Mein Effendi hat dir ja in Kilissely ins Gesicht gesagt, daß du schnell aufbrechen würdest, um ihnen zu folgen.«

»Der Scheïtan hole diesen Effendi! Wir werden ihm die Sohlen zerfleischen, damit er weiß, was ich heute empfunden habe. Ich kann kaum stehen.«

Er ließ sich neben Halef auf den Boden nieder.

»Wie aber habt ihr erfahren, wo der Treska-Konak liegt?« erkundigte sich Manach weiter.

»Wir haben gefragt; das versteht sich ja ganz von selbst.«

»Und warum bist du uns allein nachgeritten? Warum blieben die Andern zurück?«

Halef war doch so schlau gewesen, zu tun, als ob er sich allein hier befände. Er benahm sich überhaupt sehr gefaßt. Und das war auch nicht zu verwundern, denn er konnte sich sagen, daß die Sorge um ihn uns bald herbeiführen würde.

»Hat euch Suef denn nicht gesagt, daß mein Effendi in das Wasser gestürzt ist?«

»Ja, und hoffentlich ist er ersoffen!«

»Nein, diesen Gefallen hat er euch nicht getan. Er lebt noch, obgleich er krank geworden ist. Die Andern müssen ihn pflegen. Mich aber hat er vorausgeschickt, um euch zu beobachten. Wenn es möglich ist, kommt er morgen nach. Bis zum Abend ist er sicher hier, und dann wird er mich befreien.«

Sie lachten alle hellauf.

»Dummkopf!« rief Manach el Barscha. »Meinst du denn wirklich, daß du morgen abend noch unser Gefangener sein wirst?«

»So wollt ihr mich eher frei lassen?« fragte er mit dummer Miene.

»Ja, wir lassen dich eher frei. Wir werden dir erlauben, zu gehen, aber nur in die Hölle.«

»Ihr scherzet. Dorthin weiß ich den Weg gar nicht.«

»Mache dir keine Sorge. Wir werden ihn dir schon zeigen. Vorher aber müssen wir dir noch eine kleine Lehre geben, welche dir vielleicht nicht behagen wird.«

»O, ich pflege für jede Belehrung dankbar zu sein.«

»Wollen hoffen, daß dies auch hier der Fall ist. Wir wollen dich nämlich daran erinnern, daß es ein Gesetz gibt, welches heißt: Auge um Auge, Gleiches mit Gleichem. Ihr habt Habulam, Humun und Suef gepeitscht; gut, so wirst auch du die Bastonnade erhalten, und zwar so, daß dir die Fetzen von den Füßen fliegen. Ihr habt das Wasser auf den Turm gepumpt, damit wir ertrinken sollten; wohlan, wir werden auch dich unter Wasser setzen, so daß du elendiglich ersäufst, aber schön langsam, damit wir eine Freude daran haben. Wir werden dich in den Fluß hier hineinlegen, so daß nur deine Nase herausragt. Da magst du so lange Luft schnappen, wie es dir möglich ist.«

»Das werdet ihr nicht tun!« rief Halef in kläglichem Tone.

»Nicht? Warum sollten wir darauf verzichten?«

»Weil ihr gläubige Söhne des Propheten seid und einen Moslem nicht martern und ermorden werdet.«

»Geh zum Scheïtan mit deinem Propheten! Wir machen uns nichts aus ihm. Du sollst eines Todes sterben, welcher schlimmer sein wird, als die Verdammnis, in welche du sodann fährst.«

»Was habt ihr davon, wenn ihr mich tötet? Das böse Gewissen wird euch peinigen bis zu dem Augenblick, an welchem der Engel des Todes zu euch tritt.«

»Mit unserem Gewissen werden wir selbst fertig. Du fühlst wohl bereits jetzt die Angst des Todes? Ja, wenn du klug sein wolltest, so könntest du ihm noch einmal entgehen.«

»Was müßte ich tun?« fragte Halef schnell.

»Uns alles gestehen.«

»Was denn?«

»Wer dein Herr ist, was er von uns will und was er beabsichtigt, gegen uns zu tun.«

»Das darf ich nicht verraten.«

»So mußt du sterben. Ich hatte es gut gemeint. Wenn du aber meinen Fragen deinen Mund verschließest, so ist dein Schicksal entschieden.«

»Ich verstehe dich,« erwiderte Halef. »Du willst mich durch dein Versprechen täuschen. Wenn ich dann alles gesagt habe, so lacht ihr mich aus und haltet nicht Wort.«

»Wir werden Wort halten.«

»Schwörst du es mir zu?«

»Ich schwöre es dir zu bei allem, was ich glaube und verehre. Nun entschließe dich schnell, denn die Stimmung der Gnade hält bei mir nicht lange an.«

Halef tat so, als ob er ein kleines Weilchen nachdächte, und sagte dann:

»Was habe ich von dem Effendi, wenn ich tot bin? Gar nichts! Ich ziehe es vor, zu leben, und will euch also Auskunft erteilen «

»Das ist dein Glück!« sagte Manach. »Also sage uns zunächst, wer dein Herr eigentlich ist?«

»Habt ihr denn nicht gehört, daß er ein Deutscher ist?«

»Ja, das hat man uns gesagt.«

»Und ihr glaubt es auch? Kann ein Deutscher alle drei Pässe von dem Großherrn haben mit dem Siegel des Wesirs darunter?«

»So ist er wohl gar nicht ein Nemtsche?«

»Das fällt ihm nicht ein!«

»Aber ein Giaur ist er?«

»Auch nicht. Er verstellt sich, damit man nicht ahnen soll, wer er ist.«

»Dann also heraus damit! Wer ist er?«

Halef machte ein überaus wichtiges Gesicht und antwortete:

»Seinem ganzen Auftreten nach müßt ihr doch einsehen, daß er kein Kütschük jijit (* Kleiner Mann.), sondern etwas ganz Außerordentliches ist. Ich habe schwören müssen, sein Geheimnis nicht zu verraten; aber wenn ich nicht spreche, so tötet ihr mich, und der Tod hebt alle Schwüre auf. So sollt ihr denn erfahren, daß er ein fremder Schahnameh ist (** Kmönigssohn.).«

»Hund! Willst du uns belügen?«

»Wenn ihr es nicht glaubt, so ist es nicht meine Schuld.«

»Soll er etwa gar ein Sohn des Großherrn sein!«

»Nein. Ich habe doch gesagt, daß er fremd sei.«

»Aus welchem Lande?«

»Aus Hindistan (*** Indien.), welches jenseits Persien liegt.«

»Warum ist er nicht dort geblieben? Warum reitet er bei uns im Lande umher?«

»Um sich ein Weib zu suchen.«

»Ein . – Weib?« fragte Manach el Barscha, aber nicht etwa im Ton des Erstaunens, sondern mit einer Miene, welche ein Deutscher sehen läßt, wenn er das Wort »Aha!« ausruft.

Die Aussage des Hadschi erschien diesen Leuten gar nicht so unglaublich. Hunderte von morgenländischen Märchen behandeln das Thema von dem Fürstensohne, welcher unerkannt im Lande umherzieht, um sich die Schönste der Schönsten, welche natürlich stets die Tochter blutarmer Leute ist, zur Frau zu erkiesen. Dies konnte ja auch hier der Fall sein.

»Warum aber sucht er grad hier im Land der Skipetaren?« lautete die nächste Frage.

»Weil es hier die schönsten Töchter gibt und weil es ihm geträumt hat, daß er die Blume seines Harems hier finden werde.«

»So mag er nach ihr suchen! Aber was hat er sich um uns zu kümmern?«

Den Kleinen kitzelte der Schalk trotz der bösen Lage, in welcher er sich befand. Er antwortete im ernstesten Ton:

»Um euch? Das fällt ihm gar nicht ein. Er hat es nur mit dem Mübarek zu tun.«

»Inwiefern?«

»Weil er im Traum den Vater der Schönsten gesehen hat und auch die Stadt, in welcher er ihn finden soll. Die Stadt ist Ostromdscha, und der Vater ist der alte Mübarek. Warum flüchtet sich derselbe vor meinem Herrn? Er mag ihm seine Tochter geben, so wird er als Kain ata (* Schwiegervater.) des reichsten indischen Fürsten große Macht erlangen.«

Da ertönte aus dem Nebenraum die schnarrende Stimme des Verwundeten:

»Schweig, du Sohn einer Hündin! Ich habe nie im Leben eine Tochter gehabt. Deine Zunge hängt voll Lügen, wie die Nessel voll von Raupen. Meinst du denn, ich wisse nicht, wer dein Herr ist, dem ich die Qualen der zehntausend Höllen wünsche? Trägt er nicht das Hamaïl noch heute an seinem Hals, obgleich er ein verfluchter Sohn der Ungläubigen ist? Ich habe es bisher verschwiegen, denn ich wollte die Rache allein genießen. Aber deine Lüge ist so groß, daß sie mir in den Ohren brennt. Ich muß nun sagen, was ich weiß, und darf nicht länger schweigen.«

»Was ist's, was ist's?« fragten die Andern.

»Wisset, ihr Leute, daß dieser Fremde nichts ist als ein verfluchter Riswaidschi (* Schänder.) der Erazü mübarek (** Heilige Orte.)! Ich habe ihn in Mekka gesehen, in der Stadt der Anbetung. Er wurde erkannt; ich stand neben ihm und streckte die Hand zuerst nach ihm aus, aber der Scheïtan stand ihm bei, daß er entkam. Und dieser Hadschi Halef Omar war bei ihm und hat ihm geholfen, das größte Heiligtum der Moslemin mit dem Blick eines Christenhundes zu besudeln. Ich habe die Gesichter dieser beiden nie vergessen und sie wieder erkannt, als ich als Krüppel an der Straße von Ostromdscha saß und sie an mir vorüberritten. Laßt euch nicht mit frechen Lügen beträufeln, sondern nehmt fürchterliche Rache für diese Freveltat. Ich habe gesonnen und gesonnen, welche Strafe diese Frevler erleiden müssen, aber ich habe keine Züchtigung gefunden, welche mir groß genug erschien. Darum schwieg ich bis jetzt.«

Er hatte schnell und übereifrig gesprochen, wie Einer, der im Fieber liegt. Dann stöhnte er laut, denn die Schmerzen seiner Wunde übermannten ihn. Es war ganz genau so, wie ich gesagt hatte: man hatte ihn im Schlafzimmer untergebracht.

Und nun wurde es plötzlich hell in mir. Also darum war mir sein hageres, charakteristisches Gesicht so bekannt gewesen! Darum war es mir wie träumend vorgekommen: ein Meer von Menschen, empört und erregt, und inmitten dieses Meeres diese eine Gestalt, die langen, dürren Arme nach mir ausstreckend und die Knochenfinger krallend, wie ein Raubvogel, welcher auf seine Beute schießt! In Mekka war es gewesen, wo ich ihn gesehen hatte. Sein Bild hatte sich, mir unbewußt, meinem Gedächtnis eingeprägt, und als ich ihn dann in Ostromdscha wiedersah, ahnte ich wohl, ihm schon einmal begegnet zu sein, konnte mich aber nicht des Ortes erinnern, an welchem dies geschehen war.

Nun verstand ich auch den haßerfüllten Blick, den er in Ostromdscha auf mich geworfen hatte, und die feindselige Art und Weise, in welcher ich von ihm behandelt worden war.

Seine Worte brachten die von ihm erwartete Wirkung hervor. Diese Menschen waren Verbrecher, aber sie waren auch Moslemim, und wenn Manach el Barscha auch gesagt hatte, daß er sich aus dem Propheten nichts mache, so war dies doch nicht wörtlich zu nehmen. Der Gedanke, ich sei ein Christ und habe die heilige Kaaba entweiht, rief ihre tiefste Empörung hervor. Und daß Halef sich bei mir befunden und also an dieser Todsünde teilgenommen hatte, das erfüllte sie mit einem Rachegefühl, welches für ihn weder Gnade noch Barmherzigkeit übrig ließ.

Kaum hatte der Mübarek ausgesprochen, so sprangen die am Tisch Sitzenden auf, und auch Suef schnellte vom Boden empor, wie von einer Natter gestochen.

»Lügner!« brüllte er, indem er mit dem Fuß nach Halef stieß. »Verdammter Lügner und Verräter seines eigenen Glaubens! Hast du den Mut, zu sagen, daß der Mübarek nicht die Wahrheit gesprochen habe?«

»Ja, rede!« schrie auch einer der Aladschy. »Rede, oder ich zermalme dich hier zwischen diesen meinen Fäusten! Bist du in Mekka gewesen?«

Halef verzog keine Miene. Der kleine Hadschi war wirklich ein mutiger Mann. Er antwortete:

»Was regt ihr euch auf? Warum tut ihr, als ob der Raubvogel unter die Enten gefahren sei? Seid ihr Männer oder Kinder?«

»Mensch, beleidige uns nicht!« rief Manach el Barscha. »Deine Strafe wird schon ohnedies eine fürchterliche sein. Willst du sie noch entsetzlicher machen dadurch, daß du unsern Zorn verdoppelst? Antworte also: bist du in Mekka gewesen?«

»Muß ich denn nicht dort gewesen sein, da ich doch ein Hadschi bin?«

»Und war dieser Kara Ben Nemsi mit dir dort?«

»Ja.«

»Er ist ein Christ?«

»Ja.«

»Er ist also kein Königssohn aus Indien?«

»Nein.«

»So hast du uns belogen! Heiligtumsschänder! Das sollst du büßen, und zwar jetzt. Wir werden dich knebeln, daß du keinen Laut auszustoßen vermagst, und dann soll die Marter beginnen. Konakdschi, gib etwas her, womit wir ihm den Mund verstopfen.«

Der Wirt ging und kehrte im Augenblick mit einem Tuche zurück.

»Sperre das Maul auf, Hund, daß wir dir den Knebel hineinschieben!« gebot Barud el Amasat, das Tuch nehmend und sich zu Halef niederbeugend. Und da der Hadschi diesem Befehle nicht Folge leistete, fügte er hinzu: »Oeffne, sonst breche ich dir die Zähne mit der Klinge auseinander!«

Er kniete neben dem Hadschi nieder und riß sein Messer aus dem Gürtel. Jetzt war es die höchste Zeit, der Sache ein Ende zu machen.

»Schlagt zu!« sagte ich.

Ich hatte den umgekehrten Stutzen bereits stoßbereit in die Hände genommen. Ein Hieb, und zwei Bretter des Ladens flogen in die Stube. Zu beiden Seiten von mir schlugen auch Osko und Omar zu, so daß die andern Teile des Ladens nachfolgten. Im Nu hatten wir die Gewehre umgedreht und die Mündungen derselben nach der Stube gerichtet.

»Halt! Rührt euch nicht, wenn ihr nicht unsere Kugeln haben wollt!« rief ich hinein.

 

Barud el Amasat, welcher sein Messer über das Gesicht Halefs gehalten hatte, fuhr in die Höhe.

»Der Deutsche!« rief er erschrocken.

»Sihdi!« rief Halef. »Schieß' sie nieder!«

Aber zu schießen wäre Unsinn gewesen, da es keine Ziele für unsere Kugeln mehr gab. Kaum hatten nämlich die Wichte meine Worte gehört und mein Gesicht gesehen, welches sie bei dem Scheine des Lichtes erkennen konnten, so rissen sie ihre Gewehre von dem Haken und rannten zur Stube hinaus, der Wirt mit ihnen.

»Hinein zu Halef!« gebot ich Omar und Osko. »Bindet ihn los! Löscht aber das Licht aus, damit ihr nicht etwa den feindlichen Kugeln ein Ziel bietet. Bleibt ruhig in der Stube, bis ich komme!«

Sie gehorchten sofort.

»Du kannst mich hier erwarten,« sagte ich zu dem Schäfer und eilte der Mauer entlang nach der Ecke, um welche wir vorhin gekommen waren, und huschte dann zwischen den jungen Fichten und dem Hause bis an die vordere Seite desselben.

Was ich vermutet hatte, geschah. Ich sah trotz der Dunkelheit mehrere Gestalten auf mich zukommen und trat schnell zurück, um mich unter die niedersten Aeste der Fichten zu verkriechen. Kaum lag ich da, so kamen sie: Manach, Barud, die Aladschy, Suef und der Wirt.

»Vorwärts!« kommandierte Barud leise. »Sie stehen noch am Laden. Das Licht muß aus der Stube auf sie fallen und sie beleuchten. Wir sehen sie also und schießen sie nieder.«

Er war der Vorderste von ihnen. Als er die Ecke erreichte und an der hintern Seite des Hauses hinabblicken konnte, blieb er stehen.

»Verdammt!« sagte er. »Man sieht nichts. Das Licht ist fort. Was ist zu tun?«

Es trat eine Pause ein.

»Wer kann das Licht ausgelöscht haben?« fragte endlich Suef.

»Vielleicht hat es einer von uns während der Flucht vom Tische gerissen,« antwortete Manach.

»Verdammt!« knirschte auch einer der Aladschy. »Dieser Deutsche steht wirklich mit dem Teufel im Bund. Kaum meinen wir, ihn oder einen seiner Leute fest zu haben, so zerrinnt er wie Nebel. Nun stehen wir da und wissen nicht, was wir tun sollen.«

In diesem Augenblick ließ sich von daher, wo der Schäfer stand, ein leises Husten hören. Er hatte den Hustenreiz nicht unterdrücken können.

»Hört ihr es? Er steht wirklich noch dort,« meinte Manach.

»So geben wir ihm eine Kugel,« sagte Sandar, der Aladschy.

»Nieder mit der Flinte!« gebot Manach. »Du kannst ihn nicht sehen, und wenn du schießest, so triffst du ihn nicht, aber du verrätst ihm unsere Anwesenheit. Es muß etwas Anderes geschehen. Konakdschi, kehre in das Haus zurück, und berichte uns, wie es drinnen steht.«

»Alle Teufel!« antwortete der Wirt bedenklich. »Soll ich mich für euch niederschießen lassen?«

»Sie werden dir nichts tun. Du sagst, daß wir dich gezwungen haben. Du schiebst alles auf uns. Sie konnten ja auf uns in der Stube schießen, haben es aber nicht getan. Daraus magst du ersehen, daß sie uns nicht nach dem Leben trachten. Also geh', und laß uns nicht lange auf dich warten.«

Der Wirt entfernte sich. Die Andern flüsterten leise zusammen. Es dauerte nicht lange, so kehrte er zurück.

»In das Haus könnt ihr nicht,« meldete er; »denn sie haben die Stube besetzt.«

Sie berieten sich eine Weile, ob sie fliehen oder bleiben sollten. Noch bevor sie einen Entschluß gefaßt hatten, geschah etwas, was selbst mir überraschend vorkam. Man hörte nämlich taktmäßige Schritte sich von hinten dem Hause nahen, und eine gedämpfte Stimme kommandierte:

»Dur! Askerler, tüfenkler dolduryniz . – halt! Soldaten, ladet die Gewehre!«

Das war die Stimme des Hadschi, wie ich zu meinem Erstaunen hörte.

»Scheïtan!« flüsterte der Wirt. »Habt ihr es gehört? Es sind Soldaten da. Und war es nicht der kleine Halef, welcher kommandierte?«

»Ja, er war es ganz gewiß,« antwortete Barud el Amasat. »Er ist losgebunden worden und durch das Fenster gesprungen, um die Soldaten herbei zu holen, welche sein Herr mitgebracht hat. Das können nur Truppen aus Uskub sein. Woher mag er diese Leute so schnell bekommen haben!«

»Der Scheïtan sendet ihnen von allen Seiten Hilfe!« zischte Manach el Barscha. »Unseres Bleibens ist hier nicht. Horcht!«

Wieder tönte die Stimme des Hadschi:

»Duryn bunda! Araschtyrarim – Wartet hier! Ich werde rekognoszieren.«

»Wir müssen fort,« flüsterte Manach. »Wenn der Hadschi aus der Stube fort ist, so sind auch die Andern nicht mehr drin. Gehe schnell hinein, Konakdschi! Sind sie nicht mehr dort, so bringst du den Mübarek heraus. Sein Fieber mag noch so heftig sein – er muß auch verschwinden. Wir holen unterdessen unsere Pferde. Du triffst uns rechts von der Furt unter den vier Kastanien. Aber schnell, schnell! Es ist kein Augenblick zu verlieren.«

Die Andern schienen hiemit einverstanden zu sein und huschten fort. Jetzt galt es für mich, noch vor ihnen die Kastanien zu erreichen. Ich war mit der Oertlichkeit nicht vertraut, wußte aber nun, daß diese Bäume zur rechten Seite der Furt ständen, und da ich an dieser vorübergekommen war, so hoffte ich, das Stelldichein leicht zu finden.

Das Gewehr, welches ich bei mir hatte, ließ ich einstweilen hier unter den Fichten liegen, da es mir leicht hinderlich werden konnte.

Ich hörte eine Türe knarren, jedenfalls die Stalltüre, und eilte nun, so schnell ich konnte, nach der Furt. Bei derselben angekommen, wendete ich mich nach rechts und war kaum gegen vierzig Schritte gegangen, als ich mich bei den vier Bäumen befand. Sie waren dicht belaubt. Zwei von ihnen trugen ihre Krone hoch; bei den andern reichten die untersten Aeste so weit herab, daß ich sie beinahe mit den Händen erreichen konnte. Ich umfaßte den einen Stamm; einige Griffe, einen Schwung, und ich saß oben auf einem Ast, welcher stark genug war, mehrere Männer von meinem Gewicht zu tragen. Kaum hatte ich mich gesetzt, so hörte ich nahende Pferdeschritte. Die Flüchtigen hatten ihre Tiere am Zügel und nahmen unter mir Posto. Und da führte auch schon der Wirt den Mübarek herbei. Vom Hause her hörte man Halefs Stimme:

»Kapudan itschine giririz. Mahazzalar partschalarsiz, atmalerimiz ejer itschitirsiz – wir gehen hinein. Schlagt die Läden ein, wenn ihr unsere Schüsse hört!«

»Allah sucht mich schwer heim,« klagte leise der Mübarek. »Mein Leib ist wie Feuer, und meine Seele lodert wie eine Flamme. Ich weiß nicht, ob ich reiten kann.«

»Du mußt!« antwortete Manach. »Auch wir hätten gern geruht, aber diese Teufel hetzen uns von Ort zu Ort. Wir müssen fort, und doch ist es für uns notwendig, zu wissen, was hier heute noch geschieht. Konakdschi, du wirst uns einen Boten nachsenden.«

»Wo wird er euch treffen?«

»Irgendwo auf dem Weg zur Höhle des Köhlers. Du aber mußt diese Fremden auf unsere Spur lenken. Du mußt ihnen sagen, daß wir zu Scharka reiten wollen. Sie werden uns ganz gewiß folgen und dann sind sie verloren. Wir werden ihnen am Scheïtan kajaji auflauern. Dort können sie weder rechts noch links ausweichen und müssen uns in die Hände laufen.«

»Und wenn sie uns trotz alledem entgehen?« fragte Bybar, der andere Aladschy.

»So fallen sie beim Köhler desto sicherer in unsere Hände. Der Konakdschi mag ihnen von den Schätzen der Höhle erzählen, wie er es all den Andern erzählt hat, welche in die Falle gegangen sind. Es müßte die ganze Hölle mit ihnen im Bunde stehen, wenn sie die Ip merdiwani (* Strickleiter.) fänden, welche empor in die hohle Eiche führt. Das Pferd des Deutschen wird freilich Karanirwan für sich haben wollen. Das Andere aber teilen wir unter uns, und ich denke, daß wir zufrieden sein werden. Ein Mensch, welcher solche Reisen macht und ein solches Pferd besitzt, wie dieser Deutsche, muß sehr viel Geld bei sich haben.«

Da befand er sich freilich in einem außerordentlichen Irrtum. Mein ganzer Reichtum bestand augenblicklich in dem, was ich von ihm hörte. Ich wußte nun, daß Karanirwan der Schut sei. Ich wußte auch, daß die Opfer des Köhlers durch gewisse Schilderungen des Konakdschi in die Höhle gelockt worden waren. Und ich wußte, daß diese Höhle einen zweiten Ein – oder auch Ausgang hatte, welcher in eine hohle Eiche emporführte. Diese Eiche hatte jedenfalls einen bedeutenden Umfang und eine entsprechende Höhe und mußte also so in die Augen fallen, daß sie nicht schwer zu finden war.

Weiter bekam ich nichts mehr zu hören. Der Wirt war voll von Angst und mahnte zum Aufbruch. Die Männer bestiegen ihre Pferde; dem stöhnenden Mübarek wurde in den Sattel geholfen, und bald hörte ich das Plätschern, als sie durch die Furt ritten. Nun stieg ich vom Baum und ging nach dem Hause zurück. Ich wußte nicht, was besser sei, einzutreten oder erst durch den eingeschlagenen Laden zu schauen; da aber vernahm ich Halefs laute Stimme in dem Hause und ging also hinein.