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Der Schut

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Fünftes Kapitel: Ein Überfall

Noch niemals hatte der Hadschi mit solcher Eleganz im Sattel gesessen, wie an diesem Morgen. Um nämlich den schönen Kettenpanzer nicht als hinderliches Gepäck mitnehmen zu müssen, hatte er ihn angelegt, den Damaszener umgeschnallt und den Dolch in den Gürtel gesteckt. Mit dieser Rüstung Stojkos ausgestattet, dünkte sich der kleine Kerl etwas anderes und natürlich viel Besseres als gewöhnlich zu sein.

Damit man den Panzer ja nicht übersehen könne, hatte er seinen Kaftan nicht angezogen, sondern mit Hilfe einer Schnur über die Achseln gehängt, so daß derselbe wie ein Mantel ihn umfloß und bei schnellem Ritt wie eine Flagge nachwehte. An seinen Turban hatte er ein rot und gelb gestreiftes seidenes Tuch befestigt, welches ein Andenken an Konstantinopel war; auch dieses flatterte kokett nach hinten. Der sehr blank geriebene Panzer glänzte und funkelte in den Strahlen der Sonne, die sich erhob, als wir, die Gabelung der Wagenspuren hinter uns, über die Höhe ritten, welche hier die Wasserscheide zwischen Drin und Treska bildete und sich in mächtigen Felsenstufen zum Tale des erstgenannten Flusses niedersenkte.

Die öftere Erwähnung von steilen Felswänden, von Schluchten und Rissen darf nicht verwundern. Die Gebirge der Balkanhalbinsel – besonders die westlich gelegenen und vor allen Dingen der Schar Dagh – sind meist von gewaltigen, tief zerklüfteten Felsenmassen gebildet. Senkrechte Wände von mehreren hundert, ja über tausend Fuß Höhe sind da gar keine Seltenheit. Zwischen diesen eng beieinander stehenden Mauern tritt das Gefühl äußerster Hilflosigkeit an den Fremden heran. Es ist, als ob die schweren Massen über ihm zusammenbrechen wollten. Es kommt der Gedanke, wieder umzukehren, um dem Verderben zu entgehen, und unwillkürlich treibt man die Pferde zu größerer Schnelligkeit an, um dem niederdrückenden Bewußtsein menschlicher Ohnmächtigkeit zu entgehen und die Gefahr hinter sich zu legen.

Bei diesem abwehrenden Aufbau des Hochlandes ist es sehr erklärlich, daß die Bewohner desselben den fremden Eroberern gegenüber stets mehr oder weniger ihre Unabhängigkeit bewahrten. Diese finsteren, drohenden, kalten Schluchten und Gründe sind natürlich von großem Einfluß auf den Charakter und die physische Beschaffenheit der Bevölkerung gewesen. Der Skipetar ist gegen Fremde ebenso ernst, abgeschlossen und feindselig wie sein Land. Seine sehnige, kraftvoll elastische Gestalt, sein ernstes Gesicht mit den granitnen, unerbittlichen Zügen, sein kalt blickendes und abweisend drohendes Auge stimmt ganz mit der Beschaffenheit der von ihm bewohnten Berge überein. Sein Inneres zeigt wenig helle, freundliche Punkte; es ist von tiefen Spalten und Rissen durchzogen, in deren Gründen die Wasser des Hasses, der Rache und des unversöhnlichen Zornes schäumen. Selbst untereinander sind diese Leute argwöhnisch und mißtrauisch. Die Stämme schließen sich voneinander ab, die einzelnen Familien und Personen ebenso. Doch dem Eindringling gegenüber scharen sie sich zusammen, wie ihre aneinander stehenden Felsen, welche dem Reisenden nur an seltenen Stellen einen schmalen, mühsamen Durchgang gewähren.

Diese Betrachtungen drängten sich mir auf, als wir dem uns führenden Wagengeleise durch schmale Klüfte und mit Felstrümmern bedeckte Brüche, über scharfe Grate und abschüssige, vom Regen glatt gewaschene Steilungen folgten. Ich konnte nicht begreifen, wie Junak, der Kohlenhändler, hier auf diesem Weg sein armseliges Fuhrwerk hatte fortbringen können. Das Pferd mußte wahre Wunder verrichtet haben. Jedenfalls war der Ruß – und Holzkohlenhandel nicht die eigentliche Veranlassung gewesen, solche mühsame und gefährliche Fuhren zu unternehmen. Ich hatte vielmehr die Ueberzeugung, daß sie den Zweck verfolgten, heimlich den verbrecherischen Absichten des Schut und des Köhlers zu dienen.

Nachdem wir die Massen des eigentlichen Gebirgsstockes überwunden hatten, wurde der Weg besser. Wir ritten über die Vorberge hinab und sahen bereits von einigen Punkten die Wasser des schwarzen Drin heraufschimmern. Der harte Felsengrund machte weichem Boden Platz. Der finstere Wald trat zurück, um lichterem Forst zu weichen, welcher nach und nach in freundliches Buschwerk überging, durch dessen Fülle sich grüne, wiesenartige Streifen zogen, bis wir endlich an den Fluß gelangten.

Hier war die Furt, von welcher der Alim gesprochen hatte. Die Wagenspuren führten an dieser Stelle in das Wasser und drüben wieder heraus.

Der zurückgelegte Weg war uns durch die mitgenommenen Pferde doppelt beschwerlich gewesen. Jetzt hatten wir große Mühe, sie über den Fluß zu bringen. Wir mußten sie einzeln hinüberreiten. Erfreulicherweise bot von da an der Weg keine Schwierigkeiten mehr. Es ging über eine grasige Ebene und dann sanft bergan, bis wir angebaute Felder erreichten und dann Kolutschin am Fuß des dort beginnenden Bergzuges liegen sahen. Von Gurasenda und Ibali kam linker Hand die Straße herab, an welcher das Dorf lag. Aber diese sogenannte Straße verdiente diesen Namen ebensowenig wie eine Spinne den Namen eines Kolibri oder ein Krokodil denjenigen eines Paradiesvogels verdient.

Den ersten Menschen, welcher uns begegnete, fragten wir nach Dulak, dem Steinbrecher. Der Mann war der Bruder desselben. Er führte uns freundlich nach der Wohnung des Genannten, welcher zu Hause war.

Die Brüder waren starke Männer von halbwildem Aussehen, aber von Zutrauen erweckenden Gesichtszügen. Ihre Wohnungen lagen am diesseitigen Ende des Dorfes. Daher kam es, daß uns noch kein anderer Bewohner desselben gesehen hatte und wir also nicht, wie sonst gewöhnlich, angegafft und belästigt wurden.

Ich schickte die Gefährten mit den Pferden hinter das Haus und trat allein mit den Brüdern hinein, um ihnen mein Anliegen vorzutragen. Es lag mir daran, von möglichst wenig Leuten beobachtet zu werden, damit man nicht erfuhr, daß wir jemand nach der Höhle schickten.

Als ich sagte, was mein Begehren sei, und ihnen den Dolmetscher nannte, zeigten sie sich sofort bereit, auf meinen Wunsch einzugehen, warnten mich aber, mich mit irgend einem Andern einzulassen.

»Du mußt nämlich wissen, Herr,« sagte Dulak, »daß du dich sonst auf niemand verlassen kannst. Der reiche Kara Nirwan hat es verstanden, sich überall beliebt zu machen. Kein Mensch wird glauben, daß er der Schut sei, und sobald man bemerken würde, daß ihm von dir eine Feindseligkeit drohe, würde man ihn vor euch warnen. Wir selbst wollen dir aufrichtig sagen, daß wir nur schwer deine Erzählung für Wahrheit halten können. Aber du hast das Aussehen eines ernsten und ehrlichen Mannes, und da dich mein Freund, der Dragoman, an mich gewiesen hat, so wollen wir tun, was du verlangst. Aber wir dürfen das nicht weiter wissen lassen. Darum werden wir jetzt, da wir noch unbeachtet sind, sofort aufbrechen, und auch du magst nicht länger hier verweilen, als nötig ist.«

»Habt ihr Pferde?«

»Nein. Wenn ich einmal eines Pferdes bedarf, um meine Schwester in Antivari zu besuchen, so bekomme ich leicht eines geliehen. Warum fragst du? Sollen wir etwa reiten?«

»Ja, damit ihr möglichst bald bei dem Dolmetscher eintrefft. Ihr kennt doch den Weg nach dem Tal, welches der Köhler bewohnt?«

»Sehr genau.«

»So will ich euch Pferde geben, welche ihr dann vielleicht für immer behalten könnt.«

Ich erzählte ihnen, auf welche Weise wir zu den Tieren gekommen waren, und fragte sie dann, ob ihnen die Aladschy bekannt seien und ob sie dieselben vielleicht gesehen hätten.

»Wir kennen sie,« antwortete der Steinbrecher, »denn sie haben sich zu verschiedenen Malen in dieser Gegend umhergetrieben. Sie sind gefürchtet, wagen es aber doch nicht mehr, im Dorf einzukehren. Wenn ich richtig vermute, so befinden sie sich wieder hier, und zwar in Gesellschaft Anderer. Das möchte ich vermuten nach dem, was ich gestern gesehen habe.«

»Darf ich es vielleicht erfahren?«

»Ich habe keinen Grund, es dir zu verschweigen. Der Steinbruch, in welchem ich beschäftigt bin, liegt seitwärts der nach Rugova führenden Straße, links im Wald. Um ihn zu erreichen, muß ich durch das Dorf und noch eine halbe Stunde über dasselbe hinaus. Dann geht mein Weg von der Straße ab und in den Forst hinein. An der Stelle, wo das geschieht, bildet der Berg eine kleine, halbkreisförmige Bucht, die mit dichtem Gebüsch bewachsen ist und an deren Oeffnung die Straße vorbeiführt. Durch diese Bucht muß ich gehen, um nach dem Ort meiner Arbeit und des Abends von da wieder zurückzukommen. Gestern abend nun hörte ich, als ich die Bucht erreichte, zur Seite meines Weges Stimmen im Gebüsch. Ich trat hinein und sah acht oder neun Pferde stehen, bei denen ebenso viele Männer saßen. Ich konnte die Gesichter derselben nicht erkennen; aber es war doch noch hell genug, zu bemerken, daß sich bei den Pferden zwei Schecken befanden. Da es bekannt ist, daß die Aladschy Schecken reiten, kam ich sogleich auf den Gedanken, daß diese beiden Männer hier anwesend seien.«

»Wurdest du von den Leuten gesehen?«

»Nein, ich wich sogleich zurück. Ich kam aus der Bucht heraus und wendete mich nun auf der Straße nach rechts, dem Dorfe zu. Da, wo der Wald zu Ende geht und man beinahe die ersten Häuser sieht, saß wieder ein Mann im Gras. Sein Pferd weidete in seiner Nähe. Er saß so, daß er nach dem Dorf blickte. Es hatte den Anschein, als ob er von dort her jemand erwartete.«

»Sprachst du mit ihm?«

»Nein. Ich werde mich hüten, mich um die Angelegenheit dieser Leute zu bekümmern.«

Ich war überzeugt, daß die Aladschy uns in der Bucht überfallen wollten. Sie mußten ja annehmen, daß wir da vorüberkommen würden. Der einzelne Reiter war ein vorgeschobener Posten, welcher unsere Ankunft melden sollte. Es kam also darauf an, das Terrain kennen zu lernen. Darum erkundigte ich mich:

»Kann man nicht auf einem andern Weg von hier nach Rugova kommen?«

»Nein, Herr, es gibt keinen zweiten.«

 

»Aber kann man nicht vielleicht einen Umweg nach dem Ort machen?«

»Auch das geht nicht, und die Bucht ist gar nicht zu vermeiden.«

»Kann man denn nicht nach rechts, nach dem Fluß abweichen?«

»Leider nicht. Rechts von der Strecke hast du von hier aus zunächst einige Felder, dann Wiese, und sodann gibt es zwischen Straße und Fluß nur tiefen Sumpf. Wo der Sumpf aufhört, beginnen hohe, steile Felsen. Die Straße führt wohl über eine Stunde lang zwischen unbesteigbarem Gestein hin, bis du fast die Nähe von Rugova erreicht hast. Zwar gibt es hier oder da, zur rechten oder linken Hand, einen Einschnitt, aber wenn du ihm folgest, so bist du schon nach kurzer Zeit gezwungen, umzukehren, weil du nicht weiter kannst.«

»Also zur Linken liegt die Bucht. Wie ist die ihr gegenüberliegende Stelle rechts der Straße beschaffen?«

»Da ist noch Sumpf. Laß dir's ja nicht einfallen, da hinein zu reiten! Du wärst verloren. Dann aber beginnt gleich das Gestein.«

»Dann ist freilich das Terrain für uns im höchsten Grad gefährlich; aber wir müssen durch.«

»Vielleicht gelingt es euch durch außerordentliche Schnelligkeit; aber Steine und Kugeln wird es genug geben.«

Nach dieser Erkundigung übergab ich ihm und seinem Bruder die Pferde. Ich behielt nur den Goldfuchs und das zweitbeste der mitgebrachten Tiere für Stojko zurück. Halef mußte den Brüdern aus seiner Almosenkasse ein Geschenk geben, über welches sie sich sehr erfreut zeigten. Dann verabschiedeten wir uns.

Durch das Dorf ritten wir im Galopp, draußen aber hielten wir an. Ich teilte den Gefährten mit, was der Steinbrecher zu mir gesagt hatte, tauschte meinen Rih gegen Halefs Pferd um, und bat sie, noch einige Minuten zu warten und dann langsam nachzukommen. Dann ritt ich so schnell fort, daß ich den Posten erreichen mußte, bevor derselbe die mir folgenden Reiter sehen konnte. Schon von weitem erblickte ich den Posten, aber er bestand aus zwei Männern, welche hart an der Waldecke im Gras lagen. Ihre Pferde standen neben ihnen.

Sie sahen mich kommen und teilten sich wahrscheinlich ihre Bemerkungen über mich mit. Ihre Kleidung war lumpig; Kühnheit und Hinterlist aber leuchteten aus ihren Augen.

Ich grüßte, stieg ab und schritt langsam zu ihnen hin. Sie erhoben sich und musterten mich mit scharfen Blicken. Daß ich nicht im Sattel blieb, war ihnen sehr ärgerlich. Das sah ich ihnen an.

»Was willst du hier? Warum reitest du nicht weiter?« fuhr mich der Eine an.

»Weil ich mich bei euch nach dem Wege erkundigen will,« lautete meine Antwort.

»Dabei konntest du sitzen bleiben. Wir haben keine Zeit, uns mit dir abzugeben.«

»Ich sehe doch nicht, daß ihr mit einer Arbeit beschäftigt seid?«

»Das geht dich nichts an! Frage, und wir werden antworten; dann aber trolle dich von dannen!«

Sie hatten ihre Gewehre liegen lassen. Die Messer und Pistolen trugen sie griffgerecht in den Gürteln. Ich mußte so schnell verfahren, daß sie keine Zeit fanden, zu den Waffen zu greifen. Da ich, um nicht ihr Mißtrauen zu erregen, meine Gewehre am Sattelknopf hatte hängen lassen, so kam es darauf an, eines der ihrigen zu erwischen, weil ich sie mit dem Kolben niederschlagen wollte. Ich gab mir eine recht harmlose Miene und sagte:

»Ihr scheint bei so übler Laune zu sein, daß ich freilich am liebsten sogleich davonreiten möchte; aber da ich den Weg nicht kenne, so bin ich gezwungen, euch um Auskunft zu bitten.«

»Hast du denn nicht im Dorf gefragt?«

»Ja, aber das, was ich dort erfuhr, befriedigt mich nicht.«

»So hast du wohl den Dialekt dieser Leute nicht verstanden. Man hört es deiner Sprache an, daß du ein Fremder bist. Wo kommst du denn her?«

»Von Ibali.«

»Und wohin willst du?«

»Nach Rugova, wohin diese Straße wohl führen wird.«

»Sie führt dorthin. Du brauchst ihr nur zu folgen und kannst gar nicht irren, weil nicht ein einziger Seitenweg abzweigt. Zu wem willst du in Rugova?«

»Zum Pferdehändler Kara Nirwan, um mit ihm ein größeres Geschäft abzuschließen.«

»So! Wer bist du denn?«

»Ich bin ein – — «

Ich wurde unterbrochen. Der Andere, welcher bisher geschwiegen hatte, stieß einen lauten Ruf aus und trat einige Schritte vor, so daß er sich von den Gewehren entfernte. Er blickte nach dem Dorf hin.

»Was gibt's?« fragte sein Genosse, indem er ihm folgte, während ich stehen blieb.

»Dort kommen Reiter. Ob sie es sind?«

»Es sind vier. Das stimmt. Wir müssen sofort – — «

Er kam nicht weiter in der Rede. Ich hatte mich hinter ihnen in das Gras gebückt und eine der Flinten ergriffen. Er brach unter dem ersten Kolbenschlag zusammen, und der zweite Hieb traf seinen Kameraden, bevor sich dieser umwenden konnte. Dann schnitt ich den Pferden die Zügel, Sattelgurte und Bügelriemen ab, um mit denselben die beiden Burschen zu binden. Ich war mit dieser Arbeit just fertig, als meine Gefährten ankamen.

»Zwei für Einen?« meinte der Lord. »Das heißt gute Arbeit!«

Da die Waffen der Freibeuter für uns gar keinen Wert besaßen, so zerschlugen wir die Flinten und Pistolen und warfen die Trümmer derselben in eine nahe Wasserpfütze.

Jetzt handelte es sich um Vorsicht. Ich bestieg den Rappen wieder, und dann ritten wir langsam vorwärts, wobei wir die Gewehre in Händen hielten. Hätte es links von uns ebenen Waldboden gegeben, so wäre es leicht gewesen, uns unter dem Schutz der Bäume unbemerkt anzuschleichen; aber gleich mit Beginn des Waldes stieg auch der mit Tannen bewachsene Fels sehr steil empor.

Rechts sahen wir den erwähnten Sumpf. Trügerische, mit Moos bewachsene oder mit großblätterigen Moorpflanzen bedeckte Stellen wechselten darin mit öligen Lachen, die ein sehr heimtückisches Aussehen hatten.

Um unsere Zahl zu verdecken, ritten wir einzeln dicht hintereinander. Leider war der Weg so steinig, daß bei der ringsum herrschenden Stille der Hufschlag unserer Pferde ziemlich weithin vernommen werden konnte. Nach ungefähr einer Viertelstunde erblickten wir zur rechten Seite das Ende des Sumpfes und diejenige Stelle, an welcher sich das Gestein aus demselben erhob. Zur linken Hand senkte sich die Höhe nieder, um die Bucht zu bilden, von welcher der Steinbrecher gesprochen hatte. Wir hatten gar nicht mehr weit bis dorthin. Nun ritten wir noch langsamer und vorsichtiger als bisher. Ich ritt an der Spitze und eben wollte ich mich umwenden, um die Gefährten aufzufordern, in Galopp zu fallen, als ein lauter Ruf erscholl. Ein Schuß krachte – die Kugel pfiff an mir vorüber, und zugleich erhielt ich einen Stein an den Kopf, daß ich fast die Besinnung verlor und mir alle Farben des Regenbogens vor den Augen funkelten. Der Stein hatte mich glücklicherweise nur gestreift. Das war mit der Schleuder geschehen. Wen ein solcher Wurf getroffen hat, der glaubt es sehr gern, daß David einst Goliath mit Stein und Schleuder tötete.

Aber zu solchen Betrachtungen gab es keine Zeit. Ein Stein hatte den Goldfuchs getroffen, und dieser ging in die Luft, so daß Lindsay alle seine Geschicklichkeit aufbieten mußte, um nicht herabzufallen.

»Fort!« schrie Halef. »Fort, hindurch!«

Er gab seinem Pferd einen Peitschenhieb und schoß davon. Osko und Omar folgten. Lindsay brachte sein Pferd nicht weiter. Es schlug mit allen vieren aus und bockte an derselben Stelle.

Ich aber hielt mitten auf dem Weg. Es war mir, als hätte ich tausend Glocken der verschiedensten Größe im Kopfe gehabt, welche alle läuteten. Ich konnte weder zu einem Gedanken, noch zu einer vorwärts treibenden Bewegung kommen. Da krachte wieder ein Schuß. Er kam von einem Felsenabsatz herab, auf welchem der Schütze stand. Die Kugel schlug hart vor meinem Rappen auf dem Boden auf und spritzte Steintrümmer umher.

Ich sah den Schützen stehen, ungefähr neun oder zehn Manneshöhen über dem Weg. Er grinste mich höhnisch an und richtete die Pistole auf mich. Das gab mir einen Teil der Besinnung wieder. Rasch hob ich den Stutzen empor und schoß. Seine Pistole blitzte zu gleicher Zeit auf. Er traf abermals nicht, aber meine Kugel nahm ihn so sicher, daß er herabstürzte. In demselben Augenblick entfiel mir der Stutzen. Lindsays Goldfuchs war doch nun zu der Ansicht gekommen, daß es hier nicht ganz geheuer sei. Er nahm den Kopf noch einmal zwischen die Beine, warf den Hinterkörper empor und schoß davon, aber unglücklicher Weise so hart an mir vorbei, daß der Reiter mit dem Kopf an mein noch erhobenes Gewehr stieß und es mir aus den Händen schleuderte. Zugleich erhielt ich einen Stoß in die linke Hüfte, daß ich mit den Händen auf den Hals des Pferdes flog – einen Ruck an meinem Gürtel, infolgedessen mein Rappe zur Seite prallte, da ich ihn fest zwischen die Schenkel genommen hatte, sonst wäre ich herabgerissen worden – dann noch ein gewaltiger Hieb gegen meinen Kopf, und der Lord flog davon.

Dieser unglückselige Englishman hatte mich fast ganz waffenlos gemacht, wo ich doch der Waffen so nötig bedurfte. Wie es gekommen war, hatte ich nicht gesehen, weil meine Augen noch fest auf den herabstürzenden Mann gerichtet waren. Ich erfuhr es erst später von Lindsay. Er hatte sein Gewehr in der Rechten und hielt es sehr fest, damit es ihm bei dem Widerstand seines Pferdes nicht entfallen sollte. Als der Goldfuchs dann mit ihm so eng an mir vorüberschoß, stieß er mir erstens mit dem Kopf den Stutzen aus den Händen und zweitens den Flintenlauf gegen die Hüfte, so daß dieser sich unter meinen Gürtel bohrte, diesen zerriß und sich dann in den Riemen verfing, mit welchem der Bärentöter an meinem Sattelknopf hing; auch dieses Gewehr wurde herabgerissen. Zwar griff ich schnell zu, aber ich erwischte weder Büchse, noch Gürtel, sondern nur den Czakan, welcher in dem Gürtel gesteckt hatte. Büchse, Stutzen, Gürtel und Schärpe mit dem Messer und den Revolvern lagen am Boden.

Ich wäre gern abgesprungen, um mich ihrer wieder zu bemächtigen, aber der Zusammenprall mit dem Goldfuchs hatte meinen sonst so verständigen Rappen wild gemacht. Er wieherte zornig und setzte hinter dem dahinstürmenden Missetäter her, so daß ich nur zu tun hatte, mich wieder zurecht zu setzen und wenigstens den Czakan festzuhalten.

Das war das erste Mal, daß es Rih unternahm, mit mir durchzugehen, und er tat es denn auch so nachdrücklich, daß ich an der Bucht wie im Flug vorüberschoß. Schüsse krachten – Menschen brüllten – ein Czakan wirbelte mir hart an der Nase vorüber. Ich nahm die Zügel hoch und warf mich nach hinten, um den Rappen zu bezwingen. Darüber konnte ich auf nichts anderes achten – ein Krach, ein Schrei – der Lord schlug einen Purzelbaum aus dem Sattel zur Erde herab – mein Rappe war mit ihm und dem Goldfuchs zusammengerannt. Heute bin ich fest überzeugt, daß dies in der Absicht des Rappen gelegen hatte. Er hatte nun seinerseits dem Fuchs einen Stoß versetzen wollen.

Sein Zweck war erreicht. Er wieherte abermals und gehorchte ganz willig dem Zügel. Mir aber war es nicht so wohl zumut wie ihm: mir schwindelte; es wollte mir schwarz vor den Augen werden. Hinter mir hörte ich Hufschläge und wild schreiende Stimmen. Vor mir rief Halefs Stimme:

»Der Lord, der Lord! Zurück, schnell zurück!«

Ich nahm mich mit Gewalt zusammen und sprang – nein, ich taumelte aus dem Sattel, um Lindsay beizuspringen, welcher ohne Bewegung auf der Erde lag. Aber das Heulen hinter uns lenkte meine Aufmerksamkeit von ihm ab. Die Aladschy kamen in gewaltigen Sätzen herangesprungen, gefolgt von sechs oder acht Kerlen, welche ein Höllengebrüll ausstießen und im Laufen auf uns schossen – eine Albernheit von ihnen, denn sie trafen nicht. Hätten sie ihre Kugeln gespart, bis sie da waren, so wäre es mit uns vorbei gewesen.

In solchen Augenblicken hat man keine Zeit zur Angst, auch keine Zeit, auf das Brummen des Kopfes zu achten. Ich sah die heranstürmenden Feinde und die wieder zu uns zurückkehrenden Freunde. Halef war der Vorderste.

»Wo sind die Gewehre?« fragte er, indem er fast noch im Galoppieren aus dem Sattel sprang. »Sihdi, wo hast du sie?«

Natürlich hatte ich keine Zeit zur Erklärung, denn die Aladschy brauchten nur noch vier Sekunden, um uns zu erreichen.

»Steht fest! Schießt!« rief ich laut und dann hatte ich nur noch Zeit, dem Hadschi mit der Linken den Golkondasäbel aus der Scheide zu reißen. In der Rechten den Czakan, so sprang ich an die Straßenseite zum Felsen, um Rückendeckung zu bekommen. Als ich mich umdrehte, schnellten beide Aladschy mit den Bewegungen wilder Tiere auf mich los. Ihre Czakans fest in den Fäusten, hielten sie mit den linken Händen die Pistolen auf mich gerichtet und drückten auf kaum zwölf oder dreizehn Schritt Entfernung ab. Ich warf mich zu Boden. Die Kugeln prallten über mir gegen den Felsen. Da sie abermals schießen würden, denn ihre Pistolen konnten zweiläufig sein, darum stand ich nicht an derselben Stelle wieder auf, sondern ich schnellte mich augenblicklich so weit wie möglich an der Felswand hin, indem ich jedoch Säbel und Czakan fest in den Händen behielt . – richtig! Wieder zwei Schüsse, die mich abermals nicht trafen; dann fuhr ich empor.

 

Zwischen den ersten zwei und den letzten beiden Schüssen war kaum eine Sekunde vergangen. Die Aladschy waren zu hitzig. Aber nun warfen sie die nutzlosen Pistolen weg und sprangen mit hoch erhobenen Beilen auf mich los.

Ich konnte nur auf mich selbst achten, sah aber doch, daß der Lord noch immer regungslos auf der Erde lag. Die andern Drei hatten ihre Gewehre auf die Angreifer abgeschossen und einige von ihnen getroffen, wurden aber nun von den Uebrigen umringt.

Halef sagte mir später in feierlicher Beschämung, daß er auf die Aladschy gezielt, aber keinen getroffen habe, weil die Aufregung seine Hände zittern machte. Jetzt standen sechs Feinde gegen ihn und die zwei Gefährten; ich konnte ihnen nicht zu Hilfe kommen. Jeder von uns hatte zwei Feinde gegen sich.

Wäre es ja einmal mein Wunsch gewesen, einen wirklich auf das Leben gehenden Kampf mit dem Heiduckenbeil mitzumachen, so hätte ich mich jetzt vollständig befriedigt sehen können. Zwei Czakans gegen einen! Zwei Riesen, welche auf diese Waffe eingeübt waren, gegen mich, der ich bisher nur den viel leichteren, ich möchte sagen, eleganteren Tomahawk im Nahkampf geführt hatte! Nur die größte Kaltblütigkeit konnte mich retten. Ich durfte meine Kraft nicht ausgeben; ich mußte mich darauf beschränken, die gegen mich gerichteten Hiebe vorsichtig zu parieren, um dann jeden sich mir bietenden Vorteil blitzschnell auszunützen. Was man in solchen Augenblicken denkt und fühlt, das weiß man später nicht mehr.

Die Aladschy waren zu meinem Glück wie blind vor Wut. Sie hieben ganz regellos auf mich ein. Der eine verdrängte den andern, um einen tödlichen Hieb anzubringen; ihre Beile waren einander hinderlich. Dazu brüllten sie wie angeschossene Tiger, denen man die Jungen fortschleppt.

Mit dem Rücken nahe der Felswand, aber ja nicht an sie gelehnt, was mich in den Bewegungen des Armes gehindert hätte, und den Blick scharf auf sie gerichtet, so wehrte ich ihre Hiebe ab, bald in fester Parade, bald durch Gegenhieb von unten herauf, bald durch Kreiswirbel, wenn sie zugleich schlugen, je nachdem es erforderlich war. Keiner ihrer Hiebe kam zu sitzen. Meine Ruhe verdoppelte ihren Grimm und verleitete sie zu regellosem Kämpfen.

Drüben auf der Mitte des Weges schrie, fluchte und tobte es, als ob Hunderte gegeneinander stritten. Beide Parteien hatten die Flinten abgeschossen, einige Pistolenschüsse waren gefallen; nun befanden sie sich im engsten Handgemenge. Mir wurde bang um die Gefährten; ich mußte versuchen, meine Gegner möglichst rasch los zu werden.

Die Gesichter dieser beiden waren fast blaurot geworden vor Wut und Anstrengung. Sie keuchten, und von ihren Lippen troff der Geifer. Da ich jeden ihrer Hiebe parierte, begannen sie, mit den Füßen nach mir zu treten. Das mußte ich benützen.

Eben hatte ich zwei gleichzeitige Czakanhiebe mit einem Kreisschlag abgewehrt, da erhob Sandar den Fuß, um mich gegen den Leib zu treten, während sein Bruder zum nächsten Hieb ausholte. Sofort sauste mein Czakan auf sein Knie nieder und schnell glitt ich zur Seite, um Bybars Beil zu entgehen, welches zu parieren ich keine Zeit hatte. Sandar fiel zu Boden und heulte vor Schmerz; das Beil entglitt seiner Hand.

»Hund!« brüllte Bybar. »Das ist dein Tod!«

Er holte so weit aus, daß ihm die Axt beinahe nach hinten entfiel. Ich brauchte seinen Bruder nicht mehr zu fürchten, und es war nicht mehr nötig, rückenfrei zu sein, darum veränderte ich meinen Platz, indem ich einen Sprung machte, um mich von dem Felsen zu entfernen. Bybar konnte nicht schlagen, weil ich ihm nicht standhielt. Ich umkreiste ihn, indem ich die Augen starr auf das seinige richtete und zugleich meine beiden Waffen in den Händen wechselte, so daß ich den Czakan in die Linke und den Säbel in die Rechte bekam. Er drehte sich, um mir stets das Gesicht zu zeigen, um seine eigene Achse. Als er meine Manipulation bemerkte, rief er, höhnisch lachend:

»Willst du mir mit dem Säbel zu Leibe? Das soll dir vergehen, du Wurm!«

»Schlag zu!« schrie der Andere, welcher auf der Erde saß und sein Knie mit beiden Händen hielt. »Er hat mir das Bein zerschmettert. Schlag zu!«

»Gleich, gleich! Da, da soll er es haben!«

Ich war stehen geblieben, um ihm Zeit zum Hieb zu geben. Sein Czakan sauste nieder, der meinige, von der Linken geführt, sauste empor; beide prallten zusammen. Natürlich hatte sein Hieb mehr Wucht gehabt, als der meinige; das hatte ich vorher gewußt, und das wollte ich. Ich ließ mein Beil fahren, als ob er es mir aus der Hand geschlagen hätte.

»So ist's recht!« brüllte er. »Jetzt gilt's!«

Er holte zum zweitenmal aus.

»Ja, jetzt!« antwortete ich.

Der Damascener blitzte auf – ein Sprung von mir nach seinem erhobenen Arm empor, ein schneller Streich – die Axt fiel mit der daran hängenden Hand herab; sie war von der ausgezeichneten Klinge hart hinter dem Gelenk abgetrennt worden.

Bybar ließ den Arm sinken, starrte einige Augenblicke den Stummel an, aus welchem das Blut hervorschoß, und richtete dann den Blick auf mich. Sein Gesicht wurde fast blau. Seine Augen wollten aus ihren Höhlen treten; ein unartikuliertes Brüllen entfuhr seinem Mund, wie wenn ein unter das Wasser Sinkender den letzten Hilferuf ausstößt, welcher durch das Gurgeln der Flut verschlungen wird. Er erhob die gesunde Faust zum Schlag, schlug aber nicht; sein Arm sank kraftlos nieder. Er drehte sich langsam im Halbkreise und fiel dann schwer zu Boden.

Sandar schien starr vor Entsetzen zu sein. Als er die Hand seines Bruders fallen sah, war er aufgesprungen. Er stand noch jetzt aufrecht da, trotz des verletzten Beines. Seine auf mich gerichteten Augen waren ganz ausdruckslos, der Blick war leer, wie derjenige einer Leiche. Ein Zischen drang zwischen seinen blutlos gewordenen Lippen hervor, ein quirlendes Stöhnen, wie das angstvolle Lallen eines vom Schlag Gerührten, dann plötzlich ein lauter, gräßlicher Fluch, bei welchem er sich auf mich werfen wollte; aber als er das unverletzte Bein erhob, knickte das andere zusammen. Er stürzte nieder.

Jetzt war ich frei und schaute nach den Andern. Mir gegenüber lehnte der Hadschi an den Felsen und wehrte mit dem Kolben zwei Gegner von sich ab. Ein dritter lag vor ihm auf dem Boden. Weiter nach mir zu lag wieder einer unserer Feinde, sich hin und her wälzend. Rechts davon lag Osko, welcher einen Gegner umschlungen hatte, und dieser ihn. Jeder von ihnen hielt die mit dem Messer bewaffnete Hand des Andern mit der Linken von sich ab, während er ihn mit der Rechten umkrallt hatte. Und gar nicht weit davon kniete Omar auf Einem, den er mit der Linken bei der Gurgel hatte, während er mit der Rechten zum Messerstoß ausholte.

»Omar, nicht töten, nicht töten!« rief ich ihm zu.

Da warf er das Messer weg und legte dem Gegner nun auch die Rechte um den Hals. Ich sprang zu Halef hinüber, welchem Hilfe am nötigsten war, und versetzte dem einen seiner Widersacher einen Säbelhieb in die Schulter und dem andern einen Hieb in den Oberschenkel. Töten wollte ich sie nicht. Sie ließen heulend von ihm ab, worauf ich auch Osko von seinem Bedränger befreite, indem ich eins der daliegenden Gewehre aufhob und ihm den Kolben desselben an den Kopf schlug.

»O Allah!« rief Halef, tief aufatmend. »Das war Hilfe in der höchsten Not, Sihdi. Sie hätten mich baldigst übermannt. Ich hatte zuletzt gar drei gegen mich!«

»Bist du verwundet?«

»Das weiß ich selbst noch nicht. Aber mein Kaftan ist sehr verwundet. Dort liegt er. Sie haben ihm die Arme ausgerissen und die Rippen eingeschlagen. Er wird wohl nicht wieder ins Leben zurückzubringen sein!«