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Der Schut

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»Gut, ich mache mit, Sir! Aber nicht jetzt, sondern nachher, wenn unser Gespräch beendet ist.«

»So lange warte ich nicht!«

»Wenn ich nicht eher mittue, werdet Ihr doch warten müssen. Ihr habt einen Geniestreich begangen, für welchen Ihr eigentlich einen Orden bekommen solltet. Ihr seid nach Skutari geritten, um Galingré vor Hamd el Amasat zu warnen, und habt statt dessen diesen Hamd el Amasat vor uns gewarnt. Ihr seid nach Antivari gedampft, um uns in den etwa drohenden Gefahren beizustehen, und habt doch alles mögliche getan, uns den Feinden in die Hände zu liefern; ja, Ihr selbst seid ihnen bereits mit größter Unbefangenheit schnurstracks in die Falle gelaufen. Natürlich lachen sie Euch aus. Wenn Ihr da denkt, daß sie Euch für ein Wunder der Klugheit halten, so begreife ich Euch durchaus nicht.«

Diese Worte erhöhten seinen Zorn. Er ballte die Fäuste, stellte sich breitspurig vor mich hin und rief:

»Das, das wagt Ihr mir zu sagen, Ihr Master, Ihr Mister, Ihr Sir, Ihr – Ihr – Ihr Mosjeh? Auf und heran! Das Boxen beginnt! Ich gebe Euch eins, daß Ihr wie ein Milchtopf in Scherben auseinander fliegt!«

»Habt nur noch einen Augenblick Geduld, Sir! Habt Ihr denn nicht geahnt, daß derjenige, dem Ihr Eure Warnung mitteiltet, just derselbe war, vor dem Ihr warnen wolltet?«

»Wie? Was? Hätte ich das getan, so wäre ich allerdings noch dümmer als dumm gewesen; ich müßte mich einen Verrückten nennen.«

»Nun, so nennt Euch so! Mir aber nehmt es ja nicht übel, daß ich nur das Wort Dummkopf in anderer Leute Mund gelegt habe. Ist Euch denn nicht der Name aufgefallen, welchen der Disponent führt?«

»Hamd en Nassr? – Nein.«

»Und derjenige, vor welchem Ihr ihn warntet, heißt Hamd el Amasat!«

»Was tut das, wenn sich die Vordernamen gleichen? Millionen Menschen haben gleiche Vornamen.«

»Gut! Wir haben Euch doch früher unser Erlebnis in der Sahara erzählt, von der Ermordung des jungen Galingré und dann des Führers Sadek auf dem Schott. Könnt Ihr Euch noch auf den Namen des Mörders besinnen?«

»Ja, es war eben dieser Hamd el Amasat.«

»Er nannte sich aber damals anders. Besinnt Euch doch einmal!«

»Ich weiß es wohl. Er nannte sich Vater des Sieges, auf arabisch Abu en Nassr.«

»Nun, so vergleicht einmal diese beiden Namen Hamd el Amasat und Abu en Nassr mit dem Namen des Disponenten, welcher Hamd en Nassr heißt!«

Er hielt noch immer beide Fäuste erhoben. Jetzt ließ er sie langsam sinken. Auch seine Unterlippe sank tiefer und immer tiefer herab, und sein Gesicht nahm den Ausdruck einer so rührenden geistigen Bescheidenheit an, daß ich laut auflachen mußte.

»Hamd – en – Nassr!« stammelte er. »O Himmel! Dieser Name ist aus den zwei Namen des Mörders zusammengesetzt! Sollte – sollte – sollte – — «

Er stockte.

»Jawohl, es ist so, wie Ihr jetzt befürchtet, Sir! Ihr habt den Mörder vor sich selbst gewarnt. Er hat Euch für so – so – ich will sagen, so unschädlich gehalten, daß er Euch sogar einen Empfehlungsbrief in die Hände gab, in welchem an Kara Nirwan die Weisung stand, sich Eurer Person zu bemächtigen. Diesen Brief habt Ihr in rührender Ehrlichkeit an die richtige Adresse geliefert und seid natürlich festgenommen und hierher geschafft worden, um totgeräuchert zu werden, wie eine Finne oder Trichine in der Schlackwurst. Nebenbei aber habt Ihr verraten, daß wir kommen, und also dem Mann, auf welchen wir es abgesehen haben, die Waffe gegen uns in die Hand gegeben. Es ist ein gerade beispiellos guter und kluger Dienst, den Ihr Euch selbst und Euren Freunden geleistet habt. Das wollte ich Euch sagen. Und nun, Sir, kann das Boxen beginnen. Ich bin bereit dazu. Also, come on!«

Ich war aufgestanden und streifte nun auch meine Aermel empor. Aber als ich mich gegen ihn auslegte, wandte er sich langsam ab, ließ sich noch langsamer auf seinen vorigen Platz nieder, senkte den Kopf, kratzte sich mit beiden Händen hinter den Ohren und stieß einen so gewaltigen Seufzer aus, daß es schien, er habe die ernstliche Absicht, mit demselben das Feuer auszublasen.

»Nun, Sir, ich denke, Ihr wollt mich nach der Wüste Gobi fliegen lassen!«

»Seid still, Master!« bat er in kläglichem Ton. »Ich glaube, ich habe die Gobi im Kopf!«

»Mich wie einen Milchtopf in Scherben schlagen!«

»Ich selbst bin der größte Kleistertopf der Welt!«

»Oder mir den Magen aus dem Mund treiben!«

»Schweigt! Ich habe an meinen eigenen Magen zu denken. Ich habe Lord David Lindsay drin, und aber wie! Well! Yes!«

»Es scheint, Ihr bildet Euch auf Euern prachtvollen Gentleman in Skutari nichts mehr ein?«

»O weh! Laßt mich mit diesem Schurken in Ruh! Was muß er von mir denken! Er muß doch glauben, ich habe Schafskäse im Kopf anstatt des Gehirns!«

»Das war vorhin meine Meinung; Ihr wolltet Euch deshalb mit mir boxen. Wollt Ihr etwa jetzt auf diese Genugtuung verzichten?«

»Gern, sehr gern! Vom Boxen kann keine Rede sein, denn Ihr habt nur zu sehr recht gehabt. Ich möchte mich selbst boxen. Seid doch einmal so gut, Master, und gebt mir eine Ohrfeige, aber eine solche, daß man sie in Altengland hören kann!«

»Nein, Sir, das werde ich nicht tun. Wer zur Einsicht seines Fehlers kommt, dem soll man die Strafe erlassen. Und zu Eurer Beruhigung will ich Euch versichern, daß Ihr uns keinen Schaden gemacht habt. Nur Ihr selbst seid von den Folgen Eures Fehlers getroffen worden.«

»Das sagt Ihr nur, um mich zu beruhigen.«

»Nein, es ist die Wahrheit.«

»Das glaube ich nicht. Dieser Hamd el Amasat ist nun auf Euch vorbereitet.«

»Nein; denn er hält uns für tot.«

»Wird ihm nicht einfallen!«

»Doch! Er hat erfahren, daß wir hier getötet werden sollen. Er nimmt an, daß wir, wenn wir ja hier entkommen sollten, dem Schut dann desto sicherer in die Hände laufen. Er ist also ganz ruhig in Beziehung auf die Gefahr, welche ihm von unserer Seite droht.«

»Woher sollte er das alles wissen?«

»Von dem Schut, bei dem er gewesen ist.«

»Ah! Wißt Ihr denn, daß er dort war?«

»Ja. Und was ich nicht gehört habe, das vermute ich. Man kann doch seine Schlüsse ziehen. Wenn Ihr glaubt, der Kaufmann Galingré befinde sich wirklich in Pristina, so irrt Ihr Euch. Er ist vielleicht gar Euer Gefängnisnachbar gewesen, denn er steckt jetzt im Karaul bei Rugova.«

»Master!«

»Ja, ja! Hamd el Amasat ist nur deshalb bei ihm ins Geschäft getreten, um ihn zu ruinieren. Er hat ihn nach Pristina begleitet und ihn dem Schut in die Hände geliefert. Dort haben sie ihm sein Geld abgenommen. Da er Getreideeinkäufe machen wollte, so nehme ich an, daß er eine nicht geringe Summe bei sich trug. Hamd el Amasat hat ihm ferner, wie ich vermute, den Verkauf des Geschäftes und die Gründung eines neuen eingeredet. Dadurch ist das Vermögen Galingrés flüssig gemacht worden. Da er nicht selbst in Skutari ist, so gelangt es in die Hände seiner Frau oder seines Schwiegersohnes. Um es zu erlangen, muß Hamd el Amasat sich dieser Personen versichern, und zwar so, daß niemand es erfährt. Darum hat er ihnen der Wahrheit zuwider die Botschaft gebracht, Galingré sei direkt nach Uskub gereist, und sie sollten schnell dorthin nachkommen. Sie packen nun und werden reisen, aber nicht nach Uskub, sondern nur nach Rugova, wo sie verschwinden werden mit allem, was sie bei sich führen. Dieser Plan ist bereits vor längerer Zeit gefaßt und mit raffinierter Schlauheit ausgeführt worden. Hamd el Amasat hat seinen Bruder Barud aufgefordert, zu ihm zu kommen und in Rugova, im Karanirwan-Khan, mit ihm zusammenzutreffen. Dieser Zettel fiel in meine Hände und diente mir als Wegweiser. Die beiden Brüder beabsichtigen wohl, mit dem geraubten Geld irgendwo ein Geschäft anzufangen oder von dem Geld zu leben. Ein Teil des Raubes wird oder soll auf den Schut fallen. Man hat Galingré nicht ermordet, sondern man läßt ihn noch leben, um mit Hilfe seiner Unterschrift etwaige noch nicht eingegangene Außenstände später eintreiben zu können. So setze ich mir die ganze Geschichte zusammen, und ich glaube nicht, daß ich dabei viel irre gehen werde.«

Lindsay schwieg. Sein Fehler drückte ihn so sehr, daß er zunächst an nichts anderes denken mochte. Ich hielt die Bärentatze über das Feuer, um sie wieder warm zu machen, und reichte sie ihm dann mit den Worten hin:

»Laßt das Geschehene jetzt ruhen und beschäftigt Euch lieber mit dieser Delikatesse. Das wird Euch dienlicher sein.«

»Glaube es schon, Master! Aber für solche Dummheiten mit einer gebratenen Bärentatze belohnt zu werden, das muß ich allzuviel Nachsicht nennen. Ich will sie dennoch nehmen; aber ich werde meinen Streich quitt machen. Wehe diesem Disponenten, wenn ich ihn zwischen meine Hände bekomme!«

»Ihr werdet keine Gelegenheit finden, es ihm heimzuzahlen. Der Führer Sadek, welchen er erschoß, war der Vater unsers Omar. Hamd el Amasat ist also Omars Blutrache verfallen. Wir können nichts anderes tun, als der Sache einen möglichst humanen Abschluß geben. Eßt also jetzt, Sir! Wie es Euch in Rugova ergangen ist, könnt Ihr mir später sagen.«

»Das könnt Ihr sogleich erfahren. Mein Bekenntnis wird mir das Salz zum Braten sein.«

Er schob eine tüchtige Schnitte zwischen die Zähne, kaute, daß die Nase auf und nieder stieg, und berichtete:

»Wir quartierten uns, als wir Rugova erreichten, natürlich im Khan des Kara Nirwan ein. Der Wirt war selbst daheim, und ich gab den Empfehlungsbrief ab. Er las ihn bedächtig durch, steckte ihn ein und reichte mir auf das herzlichste die Hand, wobei er mir mit Hilfe des Dolmetschers versicherte, daß ich ihm bestens empfohlen sei und auf ihn rechnen könne; ich sei sein Gast, so lange es mir beliebe, und solle ja nicht etwa daran denken, etwas bezahlen zu müssen.«

»Wie ich Euch kenne, ließet Ihr nun grad Euer Geld sehen?«

»Natürlich! Dieser Mann sollte bemerken, daß ein Lord Altenglands bezahlen und dann, wenn man keine Bezahlung annehmen will, reichlich belohnen kann.«

 

»Ich hörte davon, als ich hier ein Gespräch des Köhlers mit dem Alim belauschte. Letzterer erzählte, daß Ihr sehr reich sein müßtet. Es ist stets unvorsichtig, in der Fremde – und zumal hier bei diesen unzähmbaren Leuten – reichliche Geldmittel sehen zu lassen.«

»Sollte man etwa denken, daß ich ein Lump sei, der sich nur deshalb um Empfehlungsbriefe bemüht, weil er umsonst essen und trinken will?«

»Das ist Eure Ansicht, Sir. Ich aber sage Euch, daß wir während unseres Rittes fast nie bezahlen durften und doch nicht für Lumpen gehalten worden sind.«

»So weiß ich wirklich nicht, auf welche Weise Ihr das anfangt. Ich kann kommen, wohin ich will, so ist Geld stets das erste, was man bei mir sehen will. Und je mehr ich bezahle, desto dringender fährt man fort, Geld zu verlangen. Kurz und gut, ich gab sofort jedem Bediensteten des Karanirwan-Khanes ein tüchtiges Bakschisch, wofür sie mir alle die höchste Dankbarkeit zollten.«

»Ja, eine Dankbarkeit, welche endlich darin gipfelte, daß man Euch alles nahm, sogar die Freiheit. Auf welche Weise wurdet Ihr denn in die Falle gelockt?«

»Durch den Dolmetscher, dem ich unterwegs von meinen Reisen erzählt hatte. Unter anderem hatte ich ihm auch gesagt, daß ich gern vergrabene Altertümer zutage fördere, geflügelte Stiere und so weiter, aber nie ein rechtes Glück dabei gehabt hätte. Das hatte er dem Wirt wieder gesagt, und dieser ließ mich fragen, ob ich vielleicht in diese Gegend gekommen sei, um auch solche Ausgrabungen vorzunehmen. Auf meine Erkundigung teilte er mir mit, daß er allerdings einen Ort kenne, an welchem etwas sehr Wertvolles zu finden sei, doch habe die Regierung verboten, Nachforschungen zu halten.«

»Ah so! Dieses Verbot mußte er ersinnen, um Euch des Nachts fortlocken zu können.«

»So ist es. Er deutete heimlich auf den Dolmetscher und machte dabei eine Gebärde, aus welcher ich entnahm, daß auch dieser nichts erfahren dürfe. Da kam ich auf den Gedanken, dem Wirt das Wörterbuch zu geben, welches ich in Stambul gekauft hatte, ohne es brauchen zu können. Er nahm es und ging fort, jedenfalls, um darin zu studieren.«

»Das habt Ihr sehr brav gemacht. Er konnte nicht ohne Hilfe des Dolmetschers mit Euch sprechen. Dieser hätte jedenfalls Euch gewarnt. Durch das Buch gabt Ihr dem Schut das beste Mittel in die Hand, Euch, ohne daß der Dolmetscher Mißtrauen fassen konnte, in das Netz zu locken. Sagt ja nicht, daß der Dragoman die Schuld trage. Ihr habt Euch selbst alles zuzuschreiben. Fand sich denn der Schut in das Buch?«

»Sehr leicht; er konnte ja die türkische Schrift lesen. In einem unbewachten Augenblicke des nächsten Tages winkte er mir, ihm in eine abgelegene Stube zu folgen, in welcher wir allein waren. Das Buch lag auf dem Tisch. Er hatte sich Wörter angezeichnet, las sie mir türkisch vor und deutete dann auf die daneben stehende englische Uebersetzung. Am meisten wiederholten sich dabei die Worte Kanad aslani und Maden.«

»Also ein geflügelter Löwe in einem Bergwerk?«

»Ja, das war es, wie ich nach und nach verstand. Er zeigte mir durch die Wörter, welche er ausgesucht hatte, an, daß er mich des Nachts über den Fluß in einem Kahn nach einem Bergwerk führen werde, in welchem ein geflügelter Löwe zu finden sei.«

»Und diesen Unsinn habt Ihr geglaubt?«

»Warum nicht? Gibt es am Tigris geflügelte Stiere, so kann es auch hier am Drin geflügelte Löwen geben.«

»So seid Ihr freilich in der Geschichte besser bewandert als ich, der ich so etwas nicht für möglich halte.«

»Ob möglich oder nicht, ich glaubte es. Er nickte mir fragend zu, und ich nickte ihm antwortend. Die Sache war abgemacht, und als Alle schliefen, holte er mich ab und führte mich zu dem Dorf an das Ufer des Flusses. Dort war ein Kahn und wir stiegen ein. Er ruderte stromaufwärts, bis wir eine Felswand erreichten, in welcher es ein Loch gab, von herabhängenden Pflanzen dicht überdeckt. Dahinein ging es. Der Kahn wurde angebunden, und dann brannte der Schut eine Fackel an, welche er mitgenommen hatte. Wir stiegen aus und befanden uns in einem Gang, welcher ein Stollen zu sein schien, auf dessen Boden Bretter gelegt waren. Er winkte mir, ihm zu folgen, und schritt mit der Fackel voran. Der Stollen stieg stetig bergan, bis wir in eine große, runde Kammer kamen, in deren Wand ich mehrere niedrige Türen bemerkte. Auch sah ich einen eisernen Ring in der Mauer, in welchen der Schut die Fackel steckte. Dann klatschte er in die Hand. Es öffnete sich eine der Türen, und es trat einer der Knechte hervor, welchen ich am Tag ein Bakschisch gegeben hatte. Er trug einen Hammer in der Hand. Der Schut öffnete eine zweite Türe und deutete hinein. Als ich mich bückte, um da hinein zu sehen, versetzte mir der Knecht mit dem Hammer einen Schlag auf den Kopf, daß ich niederbrach.«

»Aber, Sir, hattet Ihr denn gar kein Mißtrauen gefaßt?«

»Nein. Seht Euch nur diesen Kara Nirwan an und sagt mir dann, ob es Euch möglich sei, ihn für einen solchen Halunken zu halten! Er hat ein so ehrliches Gesicht, daß man ihm sofort das größte Vertrauen schenken muß. Ich habe erst hier erfahren, daß er der Schut ist.«

»Nun, hoffentlich bekomme ich ihn auch zu sehen und da werde ich mir seine Physiognomie genau betrachten. Weiter!«

»Als ich wieder zu mir kam, befand ich mich allein. Die Hände hatte ich frei; die Füße steckten in eisernen Ringen, welche in den Boden eingelassen waren. Unter mir, rechts, links und hinter mir hatte ich Fels. Die Decke konnte ich mit dem Arm nicht erreichen, da es mir nicht möglich war, aufzustehen. Ich konnte nur sitzen oder liegen – ich war gefangen!«

»Eine sehr energische, aber nicht ganz unverdiente Bestrafung Eurer Unvorsichtigkeit! Wie war Euch denn zumute? Was dachtet Ihr?«

»Das könnt Ihr Euch doch denken. Ich habe geflucht und gebetet; ich habe stundenlang gerufen und gebrüllt, ohne daß jemand auf mich hörte. Ich fand, daß ich vollständig ausgeraubt sei. Nicht einmal die Uhr hatte man mir gelassen, und auch der Hut war weg.«

»Nun, über den hohen, grauen Zylinderhut werdet Ihr Euch leicht trösten, obgleich Ihr den Ritt hierher nun ohne Kopfbedeckung gemacht habt. Und was die Uhr betrifft, so werdet Ihr doch nicht erwarten, daß ein Räuber Euch ein so kostbares, mit Brillanten besetztes Prachtstück lassen wird, nur daß Ihr in einer durchaus finstern Zelle nach der Zeit sehen könnt.«

»Ich hätte sie repetieren lassen. Nun aber wußte ich nicht, wie lange ich ohne Besinnung gelegen hatte. Welche Zeit ich nun wartete, bis jemand erschien, das kann ich nicht bestimmen. Endlich wurde die Türe geöffnet. Draußen stand der Schut. Er hatte ein Licht, Tinte, Papier, Feder, mein Buch und einen Zettel. Dies alles setzte und legte er vor mich hin. Mit zwei Pistolen hielt er mich im Schach, daß ich mich nicht an ihm vergreifen würde, da ich ja die Hände frei hatte. Mit Hilfe der Auszüge, welche er aus meinem Buch auf den Zettel gemacht hatte, erfuhr ich, daß ich sterben müsse, wenn ich ihm nicht eine Anweisung auf zwei und ein halbes Hunderttausend Piaster gebe. Diese Anweisung sollte ich auf das Papier schreiben. Er zog dabei den mir abgenommenen Siegelring aus der Tasche und ein Stück Petschierlack dazu.«

»Das sind fast sechzehntausend Taler. Das Geschäft dieses Mannes wäre ein ganz ausgezeichnetes, wenn er öfters solche Vögel finge und auch wirklich Geld erhielte. Ihr habt Euch aber geweigert, darauf einzugehen?«

»Wie sich das ganz von selbst versteht. Er kam noch einige Male, aber mit demselben Mißerfolg. Er brüllte mich türkisch oder armenisch, meinetwegen auch persisch an, und ich antwortete englisch. Wir verstanden die Worte nicht, aber wir wußten sehr wohl, was sie zu bedeuten hatten. Endlich kam er noch einmal und brachte den erwähnten Knecht wieder mit. Die Hände wurden mir gebunden und die Füße aus den Klammern befreit. Man fesselte sie mir wieder zusammen; dann bekam ich ein Tuch um die Augen und wurde fortgeschleppt.«

»Wohin? Wieder durch den Stollen?«

»Nein. Es ging durch mehrere Kammern und Gänge, wie ich an dem Schall ihrer Schritte erkannte. Ich selbst konnte nicht gehen – ich wurde getragen. Dann legte man mich nieder. Ich ward an einen Strick gebunden und eine ganze Zeitlang, welche mir wie eine Ewigkeit erschien, emporgezogen.«

»Ah! So gibt es also doch einen Schacht! Wenn Ihr nur die Mündung desselben gesehen hättet!«

»Wartet nur! Oben, als ich frische Luft spürte, wurde ich niedergelegt. Menschen sprachen leise miteinander, und ich hörte das Schnauben von Pferden. Dann wurden mir die Fußfesseln gelöst. Man hob mich in einen Sattel und band mir die Füße mit einem Strick zusammen, welcher unter dem Leib des Pferdes hinlief. Dabei war das Tuch ein wenig emporgerutscht, und ich konnte sehen, wenn auch nicht viel. Ich sah Häusertrümmer und einen starken, runden Turm, welcher wohl der Karaul gewesen sein mag. Sonst gab es rundum Wald.«

»Also mündet der Schacht bei den Trümmern in der Nähe des Turmes, wie ich's mir dachte.«

»So ist es. Ich wurde fortgeschafft, wohin und in welcher Gesellschaft, das wißt Ihr ja.«

»Behieltet Ihr das Tuch noch lange um die Augen?«

»Erst kurz vor unserer Ankunft hier wurde es mir abgenommen, da es indessen dunkel geworden war und ich doch nichts sehen konnte. Das übrige brauche ich nicht zu erzählen.«

»Und wie war es denn mit Ihnen?« fragte ich den Dragoman. »Das Verschwinden des Lords muß Euch doch aufgefallen sein.«

»O nein,« antwortete er. »Ich sah ihn zwar nicht, als ich erwachte; aber als ich nach ihm fragte, sagte man mir, er sei in der Richtung des Dorfes fortgegangen, langsam und gemächlich, als ob er spazieren wolle. Das war nichts Außergewöhnliches. Ich konnte dem Lord doch nicht verbieten, sich ohne meine Begleitung das Dorf und den Fluß zu betrachten. Dann kam der Alim geritten; es war noch früh am Morgen. Er sagte mir, daß er den Lord gesehen habe und mich an die betreffende Stelle führen könne – — «

»Sagte er das sofort, als er kam?«

»Nein. Er hatte erst mit dem Wirt gesprochen.«

»Dachte es mir! Dieser hatte ihn instruiert, wie er es anfangen solle, auch Sie festzunehmen. Der Alim machte nämlich am Abend vorher hier aus, wie er Sie mitbringen wolle, da der Köhler ja nicht mit dem Lord sprechen könne. Gingen Sie mit ihm?«

»Ja. Er zeigte mir die Stelle, an welcher er den Lord gesehen hatte, aber dieser war nicht da. Also suchten wir ihn.«

»Sehr schlau! Es wurden indessen die Männer bestellt, welche sich Eurer bemächtigen sollten.«

»So ist es. Der Alim führte mich endlich zum Karaul, wo ich die Pferdeknechte des Wirts fand. Dort wurde mir gesagt, der Engländer müsse eine kleine Reise antreten, und ich solle ihn begleiten. Eine Weigerung werde mein Tod sein. Ich wurde festgenommen, auf das Pferd gebunden und erhielt auch ein Tuch, so wie der Lord. Einer Schuld an diesem Vorfall kann mich niemand zeihen.«

»Das wird keinem Menschen im Ernst einfallen. Sie hätten hier ganz unschuldig das Leben lassen müssen. Sie können nun viel dazu beitragen, daß diese Leute ihre Strafe erleiden. Hoffentlich bewachen Sie dieselben sorgfältig!«

»Das versteht sich ganz von selbst; aber ich hoffe, daß Sie mich nicht zu lange warten lassen. Man weiß nicht, was geschehen kann.«

»Ich werde mich beeilen. Wäre ich in Kolutschin bekannt, durch welches wir kommen, so würde ich Ihnen von dorther einige zuverlässige Männer senden, damit Sie Gesellschaft hätten. Aber ich kenne dort keinen Menschen und müßte gewärtig sein, Ihnen solche Leute zu schicken, welche Freunde des Köhlers sind.«

»Was das betrifft, so bin ich imstande, Ihnen einen zu nennen, an welchen Sie sich wenden können, oder sogar zwei. Ein Nachbar von mir in Antivari hat eine Frau, welche aus Kolutschin gebürtig ist. Sie hat zwei Brüder in der Heimat, von denen der eine sie oft besucht. Ich kenne ihn sehr genau und kann, wenn Sie es verlangen, darauf schwören, daß er ein treuer und sicherer Mann ist, der mir sehr gern den Gefallen tun wird, hierher zu kommen. Er kann seinen Bruder und vielleicht noch einen Bekannten mitbringen.«

»Wer ist dieser Mann?«

»Er ist ein Taschdschy (* Steinbrucharbeiter, Steinbrecher.), ein kräftiger Bursche, welcher sich vor drei Andern nicht fürchtet, und heißt Dulak. Wollen Sie nach ihm fragen?«

»Ja, ich sende ihn her, nämlich wenn er auf diesen Wunsch eingeht. Findet er noch jemand, der ihn begleiten will, so können wir ihnen, wenn sie keine Pferde haben, um schnell herbeizukommen, diejenigen geben, welche wir von hier mitnehmen. Und nun glaube ich, wir haben genug gesprochen. Wir wollen schlafen; wir wissen nicht, was die nächste Nacht bringt. Wir wollen losen, wie die Reihe der Wache läuft. Beim Morgengrauen brechen wir auf, um womöglich schon am Mittag in Rugova zu sein.«

 

»Herr,« sagte der Dolmetscher, »es soll keiner wachen, als nur ich. Sie und Ihre Begleiter müssen sich morgen anstrengen, während ich hier ruhen kann. Auch sind es nur wenige Stunden von jetzt bis zur Morgenröte. Diese Bitte müssen Sie erfüllen.«

Ich wollte nicht; da er aber darauf bestand, so tat ich ihm den Willen. Ich war ja überzeugt, daß er ein treuer Mann sei, welcher während unseres Schlafes nichts Unrechtes vornehmen werde.

Dennoch war es mir nicht möglich, ruhig zu schlafen. Der Gedanke an so viele eingesperrte Schurken, welche vielleicht doch die Mittel fänden, sich zu befreien, beunruhigte mich. Als der Morgen anbrach, war ich zuerst auf den Beinen. Ich ging nach dem Stall zu den vier Pferden. Da hingen die Sättel und Decken. Zwei Decken trugen in einer Ecke die beiden Buchstaben St und W. Das sollte jedenfalls Stojko Wites heißen. Zwei Pferde, darunter der Goldfuchs, und zwei Sättel gehörten ihm. Er sollte sie wieder bekommen.

Nun weckte ich die Genossen und kroch dann in die Höhle, um mich zu überzeugen, daß die Gefangenen sicher verwahrt seien. Ich ließ ihnen Wasser bringen, damit sie trinken konnten. Essen bekamen sie nicht, obgleich ich in der Stube des Köhlers Mehl und anderes Eßbare gesehen hatte, aber in welchem Zustand!

Anfangs hatten wir die im Meiler gefundenen Waffen, welche nicht verteilt worden waren, verbrennen wollen; wir ließen sie jedoch unbeschädigt. Der Dolmetscher konnte sie an sich nehmen und damit tun, was ihm beliebte. Er sagte, daß er die Stücke, welche er nicht gebrauchen könne, den Leuten geben wolle, welche wir ihm aus Kolutschin schicken würden. Wir empfahlen ihm noch einmal, den Eingang der Höhle gut zu verwahren, und verabschiedeten uns von ihm, hoffend, ihn bald wiederzusehen. Im Gegenfall versprach ihm der Lord, die versprochene Bezahlung in seine Behausung zu Antivari abzuliefern. Die Sonne war noch tief unter dem östlichen Horizont, als wir das verhängnisvolle Tal verließen.

– — —