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Der Schut

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»In einem derselben steckt Stojko?«

»Ja.«

»In welchem?«

»In demjenigen, welches dem durch den Stollen Kommenden grad gegenüber liegt.«

»Aber es ist verschlossen?«

»Nur durch einen Holzriegel, welchen man leicht zurückschieben kann.«

»Ist denn der Stollen gut gangbar?«

»So gut, daß man gar keines Lichtes bedarf. Er führt immer gradaus und steigt ganz regelmäßig empor. Seine Sohle ist mit Brettern belegt, welche freilich ein wenig schlüpfrig sind. Diese Bretter leiten an einer Stelle über einen unterirdischen Felsspalt, über welchem sie aber so gut befestigt sind, daß nicht die geringste Gefahr vorhanden ist.«

Er machte bei diesen letzteren Worten eine leichte, wegwerfende Bewegung mit der Hand, um die Gefahrlosigkeit zu bezeichnen; aber aus seinen Augen traf mich ein tückischer, triumphierender Blick, und seine dunklen Brauen schnellten empor und wieder nieder, wie von einem federnden Gedanken bewegt. Dieser Blick, dieses Zucken der Brauen hatte kaum eine halbe Sekunde in Anspruch genommen, war aber für mich so vielsagend gewesen, daß ich nun wußte, woran ich war. Grad an dieser Felsenspalte lauerte die Gefahr.

Ueberdies hatte er mich jedenfalls schon vorher belogen. Der untere Teil des Turmes war gewiß nicht massiv gebaut. Wenn die Mauern mehrere Ellen stark waren, so boten sie hinreichende Sicherheit gegen den Feind, zumal der eigentliche Eingang so hoch über der Erde lag. Die früheren Bewohner des Karauls, die Wachtleute, hatten nicht nur Wohnräume, sondern auch Keller und Gewölbe nötig gehabt. Warum sollte man dieselben nicht in dem unteren Teil des Turmes angebracht, sondern im Gegenteil durch das Massivmauern desselben eine solche Zeit – und Materialverschwendung getrieben haben?

Hatte sich wirklich ein Silberbergwerk hier befunden? Das war jedenfalls vor der Türkenherrschaft, während der Regierung der Bulgaren-Khane gewesen. Man weiß ja zum Beispiel von Khan Symeon, welcher vom Jahre 888 bis zum Jahre 927 regierte, daß unter ihm nicht nur das Reich seine größte Ausdehnung erlangte, sondern auch Handel, Künste und Wissenschaften freundliche Pflege fanden und an vielen Orten nach edlen Metallen gegraben wurde. Seine Herrschaft erstreckte sich nach Westen bis ungefähr zu dem heutigen Perserin, also der Gegend, in welcher wir uns jetzt befanden. Da war es allerdings möglich, daß hier ein Schacht eingetrieben wurde. Die Grenze des Landes, welche hier vorüberzog, hatte man mit Wachttürmen besetzt, und einer dieser Karauls sollte speziell diesem Bergwerk zum Schutz dienen.

War diese Vermutung richtig, so durfte man annehmen, daß bei der großen Nähe der Grenze und also der feindlichen Völker dieser Schacht nicht in das Freie, sondern in den Turm gemündet hatte. Der Alim sprach von Gebäudetrümmern, welche bei demselben zu finden seien. Vielleicht auch hatte unter ihnen, also wenigstens im Schutz der Besatzung des Karauls, die Mündung gelegen.

Dazu kam, daß ich nicht an die Ausfüllung des Schachtes glaubte. Alte Bergwerke wirft man nur in zivilisierten Ländern zu. Der Türke hütet sich sehr, eine mühevolle Arbeit zu unternehmen, welche nur Kosten verursacht. Ihm ist es sehr gleichgültig, ob irgend ein Bulgare oder Albanese in das offen gelassene Mundloch eines Schachtes stürzt und da den Hals bricht. »Allah hat es gewollt!« sagt er, und damit beruhigt er sich.

Wenn das Mundloch noch vorhanden war, so mußte es sich entweder im Karaul selbst oder in der Nähe desselben, maskiert von den Trümmern, befinden. Der Alim konnte mir gewiß Auskunft erteilen, aber es war mir unmöglich, ihn dazu zu zwingen. Ich konnte ihm nichts erpressen, von dem ich nicht genau und fest überzeugt war, daß er es wisse. Darum fragte ich in gleichgültigem Ton auf seine letzte Versicherung:

»Aber wo liegt denn da für uns die Gefahr, von welcher du sprachst?«

»Die kommt erst dann, wenn ihr den großen runden Raum betretet, um den Gefangenen zu befreien.«

»Worin besteht sie?«

»Das weiß ich nicht. Und wenn ich es wüßte, würde ich es dir nicht sagen. Sobald man eine Gefahr kennt, ist sie eben keine Gefahr mehr.«

»Ich kann dich aber mit der Peitsche zwingen, es mir zu sagen!«

»Und wenn du mich totschlägst, kann ich dir nicht etwas sagen, was ich selbst nicht weiß. Wolltest du mich zwingen, so müßte ich, um den Prügeln zu entgehen, eine Lüge ersinnen, welche glaubwürdig erschiene.«

»Aber woher weißt du denn von dem Vorhandensein einer Gefahr?«

»Der Schut hat von ihr gesprochen. Er hat gesagt, daß jeder verloren sei, der ohne sein Wissen den runden Raum betrete. Er wird wohl irgend eine Vorrichtung angebracht haben, durch welche jeder unberufene Besucher des Ortes getötet wird.«

»Hm! Und wie findet man den Eingang zu dem beschriebenen Stollen?«

»Er ist nur vom Wasser aus zu erreichen. Man muß einen Kahn besteigen und eine Strecke im Fluß aufwärts fahren. Drüben am andern Ufer zieht sich die Straße hin, hüben aber, links, steigt eine steile Felswand aus dem Fluß auf. Wenn du genau aufpassest, wirst du eine Stelle finden, an welcher diese Wand – und also auch der Fluß – eine Krümmung macht. Der Fluß ist da sehr tief, und eben dort befindet sich das Stollenloch, welches bei gewöhnlichem Wasserstand so hoch ist, daß man, im Kahn sitzend, grad hinein kann, ohne mit dem Kopf oben anzustoßen.«

»Und dieses Loch hat man erst vor kurzem bemerkt?«

»Ja, weil Kletterpflanzen von oben herabhängen und es vollständig verdecken. Man fährt mit dem Kahn hinein, so weit das Wasser reicht, und bindet ihn an einen starken Pflock, welcher in den Stein getrieben ist.«

»Das ist nicht ganz ungefährlich. Und auf diese Weise ist Stojko hinein geschafft worden?«

»Ja, auch der Engländer, welcher da bei dir steht. Du brauchst ihn nur zu fragen; er wird es dir gewiß bestätigen.«

»Gibt es dort unten noch andere Räumlichkeiten als den runden großen Raum und die daranstoßenden Zellen?«

»Nein. Sie liegen grad, aber tief unter dem Karaul. Wir haben vergeblich nach einem Schacht gesucht, weicher zur Höhe führt. Er ist zugeschüttet worden.«

»Wer bringt denn den Gefangenen Speise und Trank?«

»Das weiß ich nicht.«

»Hast du deiner Beschreibung noch etwas beizufügen?«

»Nein. Ich habe dir alles gesagt, was ich weiß. Der Schut hat mir mitgeteilt, daß Jeder sterben muß, welcher unberufen den Raum betritt. Darum habe ich vorhin gesagt, daß ihr eurem sichern Tod entgegengeht, wenn ihr wirklich etwas gegen Kara Nirwan unternehmen wollt.«

»Nun, wir brauchen ja nicht selbst in den Stollen zu gehen. Wir schicken Andere hinein.«

»So sterben diese, und ihr erfahrt nicht einmal, wie es ihnen drin ergangen ist.«

»So lasse ich den Schut festnehmen, und er muß uns selbst hineinführen.«

»Festnehmen?« lachte er. »Wenn du in Rugova jemanden arretieren lassen willst, so mußt du ja eben zu dem besten Freund des Schut gehen. Du kannst nichts gegen ihn unternehmen. Er steht in einem großen Ansehen. Wenn du Hilfe gegen ihn forderst, so hast du es entweder mit Leuten zu tun, welche seine Verbündeten sind oder ihn für einen so frommen, ehrlichen und wohltätigen Mann halten, daß sie dir kein Wort glauben. Wir, ja wir sind in deine Hände geraten; er aber wird nur über dich lachen. Wenn ihr offen gegen ihn auftretet, so wird man euch als Wahnsinnige behandeln. Handelt ihr aber heimlich gegen ihn, so rennt ihr dem sichern Verderben entgegen. Tut, was ihr wollt. Die Dschehennah ist auf alle Fälle euer Teil!«

»Die Hölle? Der Tod? O nein! Du täuschest dich abermals in uns. Du hast mir viel, viel mehr gesagt, als du wolltest. Du lässest dich einen Alim nennen, einen Gelehrten, und du bist doch so albern, daß ich fast Mitleid mit dir fühle. Du hast mir ja ganz genau gesagt, welchen Gefahren wir entgegengehen.«

»Ich? Ich kenne sie ja selbst nicht!«

»Versuche nicht, mich zu täuschen! Ich habe dir bewiesen, daß du es nicht vermagst. Die erste Gefahr erwartet uns auf der Straße zwischen Kolutschin und Rugova. Dort lauern die Aladschy, welche dich begleiteten. Der Schut hat wohl dafür gesorgt, daß sie wieder bewaffnet sind, und ihnen vermutlich auch noch einige Begleiter beigesellt. Wir werden wahrscheinlich auf dieser Straße reiten, denn wir fürchten die Feinde nicht; sie aber mögen sich vor uns hüten. Greifen sie uns wieder an, so schonen wir ihr Leben nicht mehr.«

Er ließ ein Lachen hören, welches seine Verlegenheit verbergen sollte.

»Dieser Gedanke ist überaus lächerlich!« sagte er. »Die Aladschy tun euch ganz gewiß nichts; sie sind froh, daß sie von hier entkommen sind.«

»Werden ja sehen! Und die zweite, jedenfalls viel größere Gefahr wartet auf uns in dem Stollen an der Stelle, an welcher wir auf den Brettern über den Felsenspalt gehen müssen. Ich sage dir, daß wir die Bretter nicht eher betreten werden, als bis wir sie genau untersucht haben. Vielleicht sind sie in der Weise angebracht, daß der Unbekannte, welcher sie betritt, in den Spalt stürzen muß. Uns soll das gewiß nicht geschehen! Dann später in dem runden Raum, in welchen du die Gefahr für uns verlegtest, dort sind wir ganz sicher, dort wird uns nichts geschehen.«

Er stieß einen Fluch aus und stampfte mit dem Fuß, ohne jedoch sonst ein Wort zu sagen.

»Du siehst also wohl ein, daß ich dich durchschaut habe,« fuhr ich fort. »Ich weiß, daß du mich belogen hast. Du gabst dir Mühe, meinen Blick von der wirklichen Gefahr abzulenken. Ich will nicht weiter mit dir rechten und es dich nicht entgelten lassen. Hunde beißen; das liegt in ihrer Natur, und Hunde seid ihr ja. Ich weiß nun, was ich wissen will, und werde dich wieder in euren Harem schaffen lassen. Gehab dich wohl, Alim, und strenge deine Gelehrsamkeit an, indem du darüber nachdenkst, wie es euch möglich ist, aus der Höhle zu entkommen. Du hast ja die Wasf ül arz studiert und mußt dich also in Felsen und Höhlen zu Hause fühlen.«

 

Er wurde fortgeschafft und wieder an den Füßen gebunden. Dann wollte Halef sein »Feuerchen« wieder anzünden, was ich ihm aber ausredete.

Jetzt wollten wir sehen, welche Summe die beiden Beutel enthielten. Halef brachte sie aus der Stube herbei, öffnete sie und schüttelte den Inhalt auf meine ausgebreitete Schärpe. Wir zählten 600 Piaster in dreißig silbernen Medschidieh-Stücken und achttausend Piaster in goldenen Pfund – und Halbpfund-Stücken. Das waren nach deutschem Geld beinahe sechzehnhundert Mark. Wozu mochte Stojko eine solche Summe bei sich getragen haben?

Das Geld wurde natürlich wieder in die Beutel getan, und dann holten wir die vier Pferde herbei, um sie zu mustern; eins derselben sollte ja ein ausgezeichnetes Tier sein. Es war ein Goldfuchs mit weißer Medaille auf der Stirn, ein so prächtiges Pferd, daß ich sofort aufstieg, um es, wenn auch ohne Sattel, zu probieren. Es zeigte sich sehr feinfühlig gegen die Schenkel, hatte aber, wie ich gleich bemerkte, eine mir unbekannte Schule durchgemacht.

»Brillantes Viehzeug!« meinte der Lord. »Nehmen wir es mit?«

»Natürlich,« antwortete ich. »Wir nehmen überhaupt alle Pferde mit, welche sich hier befinden. Nur der Dragoman behält das seinige da. Es könnte doch sein, daß es den Halunken auf irgend eine unvermutete Weise gelänge, aus der Höhle zu entkommen. Für diesen Fall wollen wir durch die Entfernung der Pferde wenigstens dafür sorgen, daß sie uns nicht schnell nachkommen können.«

»Well! So bitte ich mir den Goldfuchs aus! Habe während des Herweges auf einem Tiere gesessen, welches ein Ziegenbock gewesen sein muß; tut mir jetzt noch mein ganzes Gestell weh. Ist mir zu Mut, als sei ich vom Chimborazo heruntergekollert und unten noch über einen Urwald hinweggerollt. Habt doch hoffentlich nichts dagegen.«

»Gegen diese beneidenswerte Empfindung in Eurem Gestell? Habe gar nichts dagegen.«

»Unsinn! Meine, daß ich den Fuchs reite?«

»Nehmt ihn immerhin!«

»Auf wie lange?«

»Das weiß ich freilich nicht, da er unser Eigentum nicht ist.«

»Wollt Ihr auch hier den Herrn ausfindig machen?«

»Vielleicht. Ich traue dem Köhler kein solches Pferd zu. Es ist gestohlen. Vielleicht gehört es Stojko.«

»Hört, Master, Ihr habt zwei oder drei Eigenschaften, die mir nicht übel gefallen; andere Vorzüge aber entgehen Euch ganz und gar. Zum Stehlen zum Beispiel scheint Ihr kein Talent zu haben.«

»Besitzt Ihr es vielleicht?«

»Ueberflüssige Frage! Ein Lord stiehlt nie; aber diesen Fuchs würde ich mitnehmen, ohne mich groß zu bedenken. Haben ja das volle Recht, ihn als gute Beute zu betrachten!«

»Dem Spitzbuben ist eben alles gute Beute, was er auf die Seite zu bringen vermag. Führt die Pferde wieder fort! Wir wollen uns um das Feuer setzen und sehen, ob wir noch Bärenschinken genug für alle haben. Ein Stück Tatze für Sir David Lindsay ist noch da.«

»Bä – Bärenschinken? Bä – Bärentatze?« fragte Lindsay, indem er den großen Mund gänzlich aufriß.

»Jawohl, Sir! Osko und Omar mögen unsere Pferde herbeiholen, denn bei diesen befinden sich die Leckerbissen, welche ich Euch genannt habe.«

»Von einem wirklichen Bären?«

»Ja, sogar von einem Eisbären, welchen wir vorgestern im Sprenkel gefangen haben. Er ging sehr leicht ein, weil wir ihn mit Mehlwürmern geködert hatten.«

»Albernheit! Redet verständig, Sir! Habt Ihr wirklich Bär?«

»Nun ja. Es gelang uns, so ein Tierchen zu erlegen.«

»Hallo! Das müßt Ihr erzählen!«

»Laßt es Euch von Halef erzählen! Der hat ihn erlegt und also das Fell bekommen, an dem Ihr ersehen könnt, welch ein gewaltiger Petz es war.«

»Halef, der Kleine? Der hat einen Bären erlegt? Well! Ich traue es ihm zu. Dieser Hadschi springt durch dick und dünn, wenn es gilt, eine mutige Tat zu verrichten. Bären hier am Schar Dagh! Wer hätte das gedacht! Halef, seid doch so gut und berichtet mir das Abenteuer!«

Der Hadschi versäumte nicht, dieser Aufforderung nachzukommen. Erzählen war seine größte Lust, besonders wenn es sich um eine Tat handelte, an welcher er selbst teilgenommen hatte. Er begann nach seiner bekannten Art und Weise:

»Ja, Herr, wir haben den Bären getroffen und den Riesen des Schar Dagh erlegt. Seine Spuren waren wie die Stapfen eines Elefanten, und seine Größe konnte die Völker der Erde erbeben machen. Dennoch ist unsere Kugel ihm in die Brust gedrungen, und unser Messer hat ihm das Leben zerschnitten. Er kann nun nicht mehr Pferdefleisch fressen und zum Nachtisch seinen Gaumen mit Himbeeren letzen. Wir haben seine Füße gebraten und die rechte Seite seines Ausruhens beinahe aufgespeist. Wie es gekommen ist, daß wir ihn ausgelöscht haben aus dem Register des irdischen Wandels, das sollst du erfahren, damit dir die halbe Tatze, welche wir noch haben, um so besser schmeckt.«

Bekanntlich verstanden Lindsay und Halef es, sich trotz ihrer gegenseitigen mangelhaften Sprachkenntnisse einander leidlich verständlich zu machen. Der Lord hatte einen kleinen Vorrat arabischer und türkischer Wörter gesammelt, und Halef hatte während der Zeit unseres Beisammenseins mit Lindsay sich möglichste Mühe gegeben, englische Ausdrücke aufzuschnappen und seinem Gedächtnis einzuprägen. Dazu kam, daß ich, wenn es sonst nichts zu besprechen gab, dem Kleinen von meinem Vaterland erzählen mußte. Er interessierte sich aus Liebe zu mir ganz außerordentlich für dasselbe. Ich mußte ihm das Unverständliche erklären und die Dinge bei ihren deutschen Namen nennen, welche er sich zu merken trachtete. Auf diese Weise hatte er sich auch eine gute Anzahl deutscher Ausdrücke angeeignet und war erpicht darauf, diese in seinen Augen ganz bedeutenden Kenntnisse in Anwendung zu bringen. Dazu bot sich ihm jetzt eine Gelegenheit, welche er mit Freuden ergriff.

Seine Erzählung war halb türkisch, halb arabisch gehalten und reichlich mit englischen und deutschen Bezeichnungen gespickt. Letztere brachte er möglichst oft an, ohne sich sehr darum zu bekümmern, ob sie richtig seien oder nicht. Das gab denn einen Mischmasch, welcher mir heimlich außerordentliches Vergnügen machte. Der Lord aber hörte sehr ernsthaft zu und warf nur zuweilen eine Frage ein, wenn Halef durch eine allzu kühne Anwendung seiner Kenntnisse unverständlich wurde. Uebrigens trugen die lebhaften Gesten, mit denen der Kleine seinen Bericht begleitete, sehr viel zur Verdeutlichung desselben bei.

Indessen brachten Osko und Omar unsere Pferde, und wir etablierten einen Bratspieß, an welchem die Reste des Bären in einen genießbaren Zustand gebracht wurden. Uebrigens gab Halef der Wahrheit die Ehre. Er stellte zwar sein Verhalten sorgsam in ein möglichst glänzendes Licht, behauptete aber, daß er nicht mehr am Leben sein würde, wenn ich nicht zur rechten Zeit mit dem Messer gekommen wäre.

Während seiner Erzählung war es ein wahres Gaudium, das Mienenspiel des Lords zu beobachten. Er hatte die Gewohnheit, besonders wenn ihn eine Rede lebhaft interessierte, kein Auge von dem Sprechenden abzuwenden, und die Gesichtsbewegungen desselben nachzuahmen. Das tat er auch jetzt. Auf seinem Antlitz wiederholte sich das lebhafte Mienenspiel des Hadschi auf das genaueste. Seine Augen, die Brauen, die große Nase, der breite Mund, sie befanden sich unausgesetzt in Bewegung, und diese Bewegung brachte infolge seiner eigentümlichen Gesichtsbildung und des Kontrastes mit Halefs Mienenspiel eine höchst erheiternde Wirkung hervor, von welcher man aber nichts merken lassen durfte.

»Well!« sagte er, als Halef geendet hatte. »Ihr habt Eure Sache gut gemacht, lieber Hadschi. Zwar kommt es mir ganz so vor, als ob dabei von Eurer Seite einige kleine Unregelmäßigkeiten mit unterlaufen seien, aber gefürchtet habt Ihr Euch nicht – das ist sicher. Wollte, ich wäre dabei gewesen! Mir passiert so etwas nicht! Wenn ich einmal anfange, eine Heldentat auszuführen, kommt mir stets etwas dazwischen, wodurch ich daran verhindert werde.«

»Ja,« nickte ich ihm zu, »es kommt sogar vor, daß Ihr dabei ergriffen und in einen Karaul gesperrt werdet. Welche Heldentat war es denn eigentlich, welche Euch veranlaßte, so Hals über Kopf nach Albanien zu kommen?«

»Hm! Habe diese Frage schon längst erwartet. Wußte, daß ich endlich beichten müsse. Ihr könnt Euch darauf verlassen, daß ich nur aus Liebe und Freundschaft für Euch hierher gekommen bin.«

»Das rührt mich tief. Eine Freundschaft, welche es riskiert, sich in einer Höhle des Schar Dagh toträuchern zu lassen, kann mir die bittersten Tränen des Entzückens erpressen.«

»Spottet nicht! Es war wirklich gut gemeint. Wollte Euch zu Hilfe kommen.«

»Ah so? Wußtet Ihr denn, wo Ihr uns treffen könntet, und kanntet Ihr die Gefahr, in welcher wir uns befanden?«

»Natürlich! Bevor ich von Stambul fortging, besuchte ich Maflei, bei welchem Ihr gewohnt hattet, um mich zu verabschieden. Sein Sohn Isla war soeben aus Edreneh zurückgekehrt. Er erzählte, was dort geschehen war. So erfuhr ich, daß Ihr nach Skutari zu dem Kaufmann Galingré reiten wolltet, um ihn vor großem Schaden und vielleicht noch anderen Gefahren zu bewahren. Ich hörte, daß Ihr es auf die Entflohenen abgesehen hättet; man schilderte mir ihre Gefährlichkeit; man erzählte mir so viel von dem Kerl, den Ihr den Schut nennt, daß mir um Euch bange wurde. Ich beschloß, Euch zu Hilfe zu kommen.«

»Diese Liebe kann ich Euch niemals vergelten, Sir! Ihr seid uns so wacker und nachdrücklich zu Hilfe gekommen, daß uns schließlich nichts anderes zu tun blieb, als Euch hier aus dieser Höhle herauszuziehen.«

»Lacht nur, lacht! Konnte ich etwas von diesem Loch wissen?«

»Nein, auch wir kannten die Höhle nicht, sind aber trotzdem nicht hineingesteckt worden. Wie gelang es Euch denn aber, Euern gloriosen Plan so schnell in Ausführung zu bringen?«

»Sehr einfach. Ich erkundigte mich im Hafen nach einer passenden Gelegenheit, fand aber keine, die mich schnell genug fortgebracht hätte, mietete also einen kleinen Dampfer, einen Franzosen, welcher nicht recht wußte, welche Ladung er stauen sollte.«

»Das klingt freilich ganz nach Lord David Lindsay! Weil er nicht sofort eine passende Verbindung findet, mietet er gleich einen ganzen Dampfer. Wo liegt denn das Schiff? Ist es abgefahren, nachdem es Euch an das Land gesetzt hatte?«

»Nein, es muß auf meine Rückkehr warten. Liegt drunten in Antivari. Schlechter Hafen, ist zu seicht; ging aber leider nicht anders.«

»Nun weiter! Was tatet Ihr, als Ihr am Land gewesen waret?«

»Was sollte ich tun? Könnt es Euch doch denken! Ich nahm Pferde, Dolmetscher und einige Diener und ritt fort, hier herauf, wo wir nun zusammengetroffen sind. Das ist alles!«

»Wenn Ihr das »Alles« nennt, so möchte ich erst wissen, was >Nichts< ist! Ihr hattet unterwegs zur See Zeit genug, Euch einen Plan zurechtzulegen.«

»Plan? Geht mir mit Euren Plänen! Die Geschichte wird doch stets ganz anders, als sie im Plan lautet.«

»Nun, dann wundert es mich freilich nicht, daß Ihr so prächtig hineingefallen seid. Wenn man so etwas unternimmt, wie Ihr, muß man doch über die Art und Weise, wie es auszuführen ist, ein wenig nachdenken.«

»Das habe ich auch getan, und ich brauchte gar keine lange Zeit dazu. Ich kaufte mir zunächst das Buch »Redhouse Turkish and English dictionary«; habe hundertachtzig Piaster dafür bezahlt – — «

»Und trotz dieses Wörterbuches einen Dolmetscher genommen?«

»War gezwungen dazu. War in dem Buch zu viel türkische Schrift, die man nicht lesen kann.«

»So war also bereits die Einleitung zu Eurer Errettungsfahrt von ungeheurem Erfolg begleitet! Ihr kauftet Euch ein Buch, welches Ihr nicht lesen konntet. Das ist sehr gut! Nun brauchtet Ihr Euch, um die Sache noch besser zu machen, nur noch einen Dolmetscher zu nehmen, der nicht Englisch verstand, so konnten die Heldentaten beginnen.«

»Hört, Sir, wenn Ihr mich auslacht, so steige ich auf den Goldfuchs und lasse Euch hier jämmerlich sitzen!«

»Ja, und reitet den Aladschy und dem Schut wieder in die Hände, um abermals eingesteckt zu werden. Der Gedanke, nach Rugova zu reiten, war übrigens nicht ganz übel von Euch. Wie seid Ihr denn auf denselben gekommen?«

»Durch Erkundigung bei dem Dolmetscher und durch die Landkarte. Ich hatte erfahren, daß Ihr nach Menlik geritten seid; ich wußte, daß Ihr nach Skutari wolltet. Es gab nur einen einzigen Weg, welchen Ihr da benutzten konntet, und ich mußte Euch also auf demselben entgegenreiten.«

»Bei dieser Spekulation habt Ihr aber außer acht gelassen, daß es meine Gewohnheit nicht ist, auf der Heerstraße zu ziehen. Es ist auch wirklich nur ein Zufall, daß wir uns hier befinden. Hätten wir den Schut in einer andern Gegend suchen müssen, so wäre Euer Tod eine ausgemachte Sache. Einmal im Ernst gesprochen, muß ich Euch wirklich herzlich dankbar dafür sein, daß Ihr Euch unsertwegen in solche Gefahren begeben habt. Aber ich habe doch eine leise Ahnung, daß Euch noch eine kleine andere Absicht geleitet hat.«

 

»Welche denn?«

»Das wißt Ihr selbst. Habe ich recht?«

Ich deutete über meine Achsel hinweg dorthin, wo jetzt unsere Pferde standen. Der Lord schob seine Nase hin und her, als ob sie ihm in seiner Verlegenheit im Weg sei, räusperte sich einige Male und antwortete dann:

»Well! Ihr ratet ganz richtig. Dachte, daß Ihr Euch wegen des Rappen doch noch eines Besseren besonnen hättet. Möchte das Tier doch gar zu gern haben. Bezahle Euch ein Heidengeld dafür!«

»Mein Rih ist mir nicht feil; dabei bleibt es. Schweifen wir nicht von Eurer Erzählung ab! Dachtet Ihr denn in Antivari nicht an das Notwendigste, was Ihr tun mußtet: an den Kaufmann Galingré?«

»Habe natürlich an ihn gedacht; bin auch dort gewesen. Das verstand sich ja ganz von selbst. Ihr wolltet zu ihm. Da mußte ich mich doch erkundigen, ob Ihr vielleicht schon angekommen wäret.«

»Das war unmöglich. Aber warnen mußtet Ihr ihn, Sir!«

»Habe es auch getan.«

»Was sagte er dazu?«

»Er? Hm, er war gar nicht da.«

»Wo war er denn?«

»Fort, in die Gegend von Pristina, in das sogenannte Amselfeld, um Getreide einzukaufen. Galingré hat sich nämlich durch den Getreidehandel bedeutende Reichtümer erworben. Jetzt hat er das Geschäft verkauft und will in das Innere, nach Uskub, um dort ein neues Geschäft zu gründen, weil die Gegend dort überaus fruchtbar ist und durch die neue Eisenbahn ein Absatzweg eröffnet wird.«

»Von wem habt Ihr das erfahren?«

»Vom Dolmetscher, der es in der Stadt hörte.«

»Nicht bei Galingré selbst?«

»Nein.«

Ich kannte den guten Lord sehr genau und ahnte, daß er hatte pfiffig sein wollen, aber grad auf die allergrößte Dummheit verfallen war. Er liebte es, Abenteuer aufzusuchen, fiel aber diesen Abenteuern fast regelmäßig zum Opfer.

»Habt Ihr den Dolmetscher und die Diener schon in Antivari engagiert?« fragte ich ihn.

»Natürlich! Wir ritten dann nach Skutari. Dahin gab es schlechten Weg, hart gepflastert und von Zeit zu Zeit wieder aufgerissen, um ihn für den Kriegsfall ungangbar zu machen. Dann ging es stundenlang durch Morast, kamen sehr beschmutzt und glücklich in Skutari an, wo ich mich sogleich nach Galingrés Wohnung erkundigte und zu ihm ging.«

»Von wem wurdet Ihr empfangen?«

»Er war verreist, nach Pristina, wie ich bereits sagte. Ich wurde in das Kontor geführt, welches ganz leer war, da er das Geschäft verkauft hatte. Es empfing mich sein Disponent, ein feiner, gewandter, erfahrener und höchst liebenswürdiger Mann.«

»Hörtet Ihr seinen Namen?«

»Allerdings. Er hieß Hamd en Nassr.«

»Ah! Ausgezeichnet!«

»Kennt Ihr ihn vielleicht, Master?«

»Sehr genau sogar.«

»Nicht wahr, ist ein prächtiger Kerl?«

»Sehr prächtig! Er wird sich gefreut haben, Euch kennen zu lernen, zumal wenn Ihr ihm von mir erzählt habt.«

»Sonderbar! Er tat gar nicht so, als ob er Euch kenne!«

»Er wird wohl einen Grund dazu gehabt haben. Natürlich habt Ihr ihm gesagt, was der Zweck Eures Kommens sei?«

»Ja, habe ihm alles erzählt, Eure Erlebnisse in Stambul und Edreneh, die Flucht Barud el Amasats, Manach el Barschas und des Gefängnisschließers, und habe ihn schließlich ernstlich vor dem Bruder des ersteren, vor Hamd el Amasat, gewarnt. Habe ihm gesagt, daß dieser Kerl ein Schurke sei, der Master Galingré betrügen wolle, ein Mörder, welcher lange Zeit, aber leider vergeblich, verfolgt worden ist.«

»Ausgezeichnet! Was sagte er dazu?«

»Er bedankte sich wiederholt bei mir durch die herzlichsten Händedrücke und ließ Wein bringen. Hamd el Amasat war durchschaut und bereits fortgejagt worden. Das war klug. Dann erkundigte er sich nach dem Weg, den ich einschlagen wolle, um Euch zu treffen. Ich sagte ihm, daß ich nach Kalkandelen und Uskub gehen werde, auf welcher Route ich Euch sicher begegnen müsse. Er hieß das sehr gut und gab mir die besten Ratschläge.«

»Der brave Kerl!«

»Ja, ist zwar nur ein Türke, aber dennoch durch und durch ein Gentleman. Gab mir sogar einen Empfehlungsbrief mit.«

»So! An wen, mein verehrter Herr?«

»An den bedeutendsten Pferdehändler des Landes, Kara Nirwan in Rugova, durch welchen Ort mich meine Straße führte. Hat diesen Kerl aber doch nicht genau gekannt, denn grad durch diesen Pferdehändler bin ich in die Patsche geraten.«

»War der Empfehlungsbrief ein offener?«

»Nein.«

»Und Ihr habt ihn auch nicht geöffnet und gelesen?«

»Was denkt Ihr von mir, Master! Ein Gentleman, ein Lord von Altengland, und Entheiligung eines Briefgeheimnisses! Oder haltet Ihr mich wirklich für so ordinär?«

»Hm! Ich gestehe Euch offen, daß ich in diesem Fall ganz gewiß sehr ordinär gewesen wäre.«

»Wirklich? Fremde Briefe macht Ihr auf, aber ein fremdes Pferd ist Euch heilig! Sonderbarer Kerl, der Ihr seid!«

»Es ist oft von Vorteil, sonderbar zu sein. So habt Ihr also nur mit diesem Master gesprochen. Hat Galingré keine Familie?«

»Frau und verheiratete Tochter. Der Schwiegersohn wohnt in demselben Hause.«

»So hätte ich an Eurer Stelle mich diesen Personen vorstellen lassen!«

»Wollte es auch, aber der Schwiegersohn war nicht daheim und die Damen befanden sich in Negligé, waren überhaupt so mit Einpacken beschäftigt, daß sie keinen Augenblick übrig hatten, Besuch zu empfangen.«

»Ließen sie Euch das sagen?«

»Nein, der Disponent sagte es.«

»Warum packten sie ein?«

»Weil sie eben nach Uskub ziehen. Galingré hatte ihnen aus Pristina einen Boten gesandt, daß er gar nicht erst wieder heimkommen, sondern gleich von dort aus nach Uskub gehen werde, um sie dort zu erwarten. Sie wollten zwei oder drei Tage nach mir aufbrechen.«

»Wißt Ihr, wer der Bote gewesen ist, den Galingré angeblich gesandt hat?«

»Nein.«

»So! Hm! Hat denn dieser vortreffliche Hamd en Nassr Euch nicht anvertraut, daß er selbst es gewesen ist?«

»Er sagte nichts davon. Uebrigens irrt Ihr Euch da. Er selbst kann diese Botschaft nicht gebracht haben, da er als Disponent daheim bleiben mußte.«

»O nein! Er ist mit Galingré geritten und dann wieder umgekehrt, um dessen Familie und . – Vermögen nachzuholen.«

»Wäre dies der Fall, so hätte er es mir gesagt.«

»Er hat Euch noch ganz andere Dinge verschwiegen. Dieser liebenswürdige Herr, den Ihr einen echten Gentleman nennt, ist ein Schurke durch und durch.«

»Master, das könntet Ihr nicht beweisen!«

»Sogar sehr leicht. Er hat, als Ihr fort waret, Euch sicher ganz gewaltig ausgelacht.«

»Das will ich mir verbitten!«

»Ich will Euch sogar sagen, daß er Euch für einen riesigen Dummkopf gehalten hat und heute noch hält.«

Während des Gespräches war der Schinken und die Tatze gebraten worden. Lindsay hatte die Tatze erhalten und sich soeben das erste Stück davon in den Mund geschoben. Bei meinen letzten Worten vergaß er, denselben zu schließen. Er starrte mich eine Weile an, die Tatze in der Linken, das Messer in der Rechten und das Fleischstück in dem offenen Mund. Dann spuckte er das Fleisch aus und fragte:

»Ist das Euer Ernst, Sir?«

Er nannte mich stets Master. Sagte er ja einmal »Sir« zu mir, so war das ein sicheres Zeichen seines Zornes.

»Ja, mein völliger Ernst,« antwortete ich.

Da sprang er auf, warf Messer und Tatze fort, streifte sich die Aermel auf und rief:

»Well! So boxen wir! Steht auf, Sir! Ich werde Euch einen Dummkopf auf den Magen geben, daß Ihr hier aus dem Tal hinaus bis in die Wüste Gobi fliegt! Ich, Lord David Lindsay, ein Dummkopf!«

»Bleibt doch sitzen, Sir!« antwortete ich ruhig. »Nicht ich nenne Euch so, sondern ich habe nur gesagt, daß jener Mensch Euch für einen solchen hält.«

»Woher wißt Ihr es?«

»Ich denke es mir.«

»So! Aber diesen Gedanken werde ich Euch austreiben, Sir! Ob Ihr mich einen Dummkopf nennt oder es mir sagt, daß ein Anderer mich so heißt, das ist ganz und gar gleich. Steht auf! Wer den Mut hat, mich zu beleidigen, der muß auch den Mut haben, sich mit mir zu boxen! Legt Euch nur aus! Ich gebe Euch eins auf den Magen, daß Euch derselbe aus dem losen Munde springen soll!«