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Der Schut

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Wir stiegen hinab zu Omar, welcher die Pferde bewachte. Dort nahm ich dem Pferd des Konakdschi den Sattel und das Zaumzeug ab, warf beides zur Erde und jagte das Tier in der Richtung fort, aus welcher wir gekommen waren. Es lag nicht in meiner Absicht, dieses Pferd mitzunehmen. Ich mußte es sich selbst überlassen, und da war es besser, wenn es ganz ledig wahr. Dadurch war der Möglichkeit vorgebeugt, daß es sich mit dem Zügel oder mit den Bügeln im Wald verfangen und infolgedessen elend zugrunde gehen könne.

Nun stiegen wir auf unsere Pferde und erreichten bald die Stelle, an welcher Manach el Barscha lag. Sein zerschmetterter Körper bot einen schauderhaften Anblick. Wir stiegen nicht ab, denn diese Leiche zu betrachten, hatte keinen Zweck. Unsere Pferde konnten nur schwer dazu gebracht werden, über dieselbe hinweg zu treten.

»Das ist ein ernstes Gericht,« sagte Halef, indem er das Gesicht abwendete. »Allahs Hand trifft alle Gottlosen, den einen früher und den andern später, und doch wollen sie sich nicht bessern. Fort von dieser schrecklichen Stelle!«

Er drängte sein Pferd rascher vorwärts, und wir folgten ihm schweigend. Was hätten wir auch anderes sagen können, als er? —

Die Wände der Schlucht wurden höher, immer höher und rückten wieder so eng zusammen, wie vorher. Das hatte etwas unsäglich Bedrückendes; diese Masse von Gestein führte mit vollem Recht den Namen des Teufelsfelsen.

Nachdem wir wohl eine Viertelstunde lang geritten waren, öffnete sich die Schlucht auf ein rundes, weites Tal, bei dessen Anblick ich unwillkürlich den Rappen anhielt. Es hatte die Gestalt einer tiefen Schüssel, deren Boden einen Durchmesser von fast einer Stunde haben konnte. Aber wie sah es in dieser Schüssel aus!

Die Ränder stiegen rundum felsig und ziemlich steil empor. Da, wo eine Vegetation hatte Wurzeln fassen können, standen mehrhundertjährige Nadelbäume, mit deren Dunkel das lebhafte Grün riesiger Laubhölzer kontrastierte. Nach Süden und nach Westen schien das Tal einen ziemlich breiten Ausgang zu haben. Die Sohle desselben war mit Felsentrümmern fast ganz bedeckt, Trümmer von der Größe eines mehrstöckigen Palastes bis zum faustgroßen Stein herab. Ueber diese Felsen breitete sich ein schimmernder Ueberzug von Weinreben, Epheu und sonstigem Gerank, und zwischen denselben hatte üppiges Gebüsch jeden Raum so sehr in Besitz genommen, daß ein Hindurchkommen gar nicht denkbar zu sein schien.

Hatte hier ein Erdbeben das Gestein zerschüttelt, oder hatte sich ein unterirdischer See hier befunden, dessen Felsendecke plötzlich eingebrochen war? Das Tal hatte das Aussehen, als sei es einmal von einer Felsendecke überwölbt gewesen, welche von der Faust des Teufels zerschlagen wurde. Von da aus, wo wir hielten, führten Spuren nach rechts, längs der Talwand hin. Wir folgten ihnen. Das war die Richtung, von welcher Junak gesprochen hatte. Lange sah ich mich vergeblich nach den Meilern um, welche hier vorhanden sein sollten. Endlich sah ich über dem Gebüsch die Luft im Sonnenglanz zittern. Das war das Zeichen vorhandener Feuer, welche keinen Rauch verbreiteten.

»Dort muß die Wohnung des Köhlers Scharka liegen,« sagte ich. »Es scheint kaum fünf Minuten bis dahin zu sein. Am liebsten möchte ich einmal rekognoszieren. Reitet hier in die Büsche und wartet auf mich.«

Ich übergab Halef mein Pferd und die Gewehre und ging zu Fuß weiter. Nach kurzer Zeit gelangte ich an den Rand eines freien Platzes, dessen Boden kohlig schwarz gefärbt war. Ein roh aus Stein aufgeführtes Häuschen stand auf der Mitte desselben, und rundum erblickte ich in Brand befindliche oder Spuren abgebrannter Meiler.

Einer dieser kegelförmigen Haufen, der größte von allen, stand rechts von mir am Rand der Lichtung und ganz an den Felsen der hier senkrecht aufsteigenden Talwand gelehnt. Er hatte das Aussehen, als ob er bereits lange, lange Jahre hier gestanden habe, ohne in Brand gesetzt worden zu sein.

Das wunderte mich. Aber meiner Aufmerksamkeit noch würdiger erschien mir dieser Meiler, als ich den Blick erhob und über den dichten Wipfeln der Schwarzhölzer die gewaltige Krone einer riesigen Eiche ragen sah. Ich blickte rundum und sah keinen zweiten Baum dieser Art. Sollte dies die hohle Eiche sein, durch deren Inneres der heimliche Weg in die Höhle führte? Dann war es leicht möglich, daß der senkrecht unter ihr stehende Meiler zu dieser Höhle in irgend welcher Beziehung stand.

In seiner Nähe war aus Steinen ein von Moos überzogener Sitz gebaut, auf welchem zwei Männer saßen, welche Tabak rauchten und sich sehr angelegentlich zu unterhalten schienen. Ziemlich weit davon, jenseits des Meilers, stand ein gesatteltes Pferd, welches die Blätter von dem Buschwerk knuspert. Der Rand des Gebüsches, an welchem ich stand, zog sich bis zum Meiler und noch weiter hin und berührte auch die Bank, sie mit den längst verblühten Zweigen eines Goldregenstrauches beschattend. Wie, wenn ich versuchte, heimlich hinter die Bank zu kommen? Es konnte das nicht allzu schwer sein. Vielleicht war etwas Wichtiges zu hören.

Einer der Männer war, wie man es bei uns nennen würde, städtisch gekleidet. Sein Anzug paßte nicht in diese Umgebung. Der untersetzten, schmutzig und ärmlich gekleideten Gestalt des Andern sah man es an, daß er entweder der Köhler selbst oder ein Gehilfe desselben sei.

Was wollte der beinahe vornehm gekleidete Mann von dem rußigen Kohlenbrenner? Sie sprachen zu einander wie Leute, welche sich sehr gut kennen und vertraut miteinander sind. Ich nahm mir doch vor, es wenigstens zu versuchen, irgend etwas von ihrem Gespräch zu hören.

Darum kehrte ich um einige Schritte zurück und schlüpfte zwischen den Büschen nach der Richtung hin, in welcher sie sich befanden. Das war freilich nicht so leicht, wie ich dachte. Die Sträucher standen gar zu dicht beisammen; ich mußte, um mich nicht durch die Bewegung der Aeste zu verraten, sehr oft auf dem Boden hinkriechen.

Als ich dann die Felswand erreichte, befand ich mich zu meiner Ueberraschung auf einem ganz leidlich ausgetretenen Pfad, welcher von der Höhe herab zu kommen schien. Sollte dieser Weg vielleicht dazu dienen, zu der Eiche zu gelangen?

Ich folgte ihm, aber in der entgegengesetzten Richtung, und befand mich bald vor dem Meiler, da, wo der untere Teil desselben so an den Felsen stieß, daß er aus demselben herausgewachsen zu sein schien. Der Pfad hörte sonderbarerweise grad und glatt, wie abgeschnitten, am Fuß des Meilers auf. Das gab mir zu denken.

Diesen Meiler vor mir, die Felsenwand zur Rechten, hörte ich zu meiner linken Hand die Stimmen der beiden Männer. Die Bank, auf welcher sie saßen, war durch ein schmales Buschwerk von dem Weg, von dem Felsen und also von meinem Standort getrennt. Ich legte mich auf den Boden nieder und kroch zwischen den gesellig aus der Erde kommenden Stämmen hinein, bis ich den Goldregen erreichte.

Jetzt befand ich mich so nahe hinter der Bank, daß ich dieselbe fast mit der Hand zu erreichen vermochte, konnte aber nicht gesehen werden, weil das Laubwerk einen dichten Schleier über mir bildete.

Der gut Gekleidete führte soeben das Wort. Er hatte etwas Kurzes, Befehlendes in seiner Ausdrucksweise und bediente sich eines sehr schönen Türkisch. Als ich mich zurechtgelegt hatte, hörte ich ihn sagen:

»Das ist freilich eine eigene Geschichte. Ein Deutscher verfolgt den Mübarek, die Aladschy, den Steuereinnehmer und Barud el Amasat. Er läßt kein Auge von ihnen und gibt ihnen keine Ruhe bei Tag und Nacht. Weshalb?«

»Das weiß ich nicht,« antwortete der Köhler.

»Und jetzt lauern sie ihm in der Schlucht auf? Wird er wirklich kommen? Wird es gelingen?«

»Auf jeden Fall. Die Feinde können gar nicht vorüber, ohne getötet zu werden. Junak, welcher die Nachricht brachte, daß sie kommen werden, hat sich zu den Uebrigen gesellt. Das sind mit dem Konakdschy sieben Mann gegen vier. Dazu kommt, daß die Sieben vorbereitet sind, während die Vier nichts ahnen.«

»Nach allem, was du mir von den Vier jetzt erzählt hast, sind sie aber nicht zu unterschätzen. Wie nun, wenn sie beim ersten Zeichen eines Ueberfalles ihre Pferde wenden und fliehen?«

»Das erste Zeichen des Ueberfalles wird aber ihr Tod sein. Die Aladschy fehlen ihr Ziel niemals, wenn sie die Czakans werfen. Und zu fliehen fällt diesen Fremden gar nicht ein; sie sind zu kühn dazu.«

»Nun, mag es gelingen! Ich will es wünschen. Und wenn das Pferd dieses Deutschen wirklich ein solches Prachttier ist, wie du sagst, so wird der Schut eine Baschka üdschret (* Extragratifikation.) dafür bezahlen, wie ich überzeugt bin. Es ist gut, daß ich mich bei dieser Gelegenheit hier eingefunden habe; da kann ich das Pferd gleich in Empfang nehmen und es ihm nach Rugova bringen.«

Beinahe hätte ich mich vor Freude verraten, als ich diesen Namen hörte. Ich machte unwillkürlich eine Bewegung, so daß die Blätter raschelten. Glücklicherweise aber achteten die Beiden nicht darauf. Also in Rugova wohnte der Schut! War es dann aber auch der Pferdehändler namens Kara Nirwan? Diese Frage wurde sofort beantwortet, denn der Sprecher fügte hinzu:

»Solche Pferde können wir brauchen, denn Kara Nirwan hat einen Einfall über die serbische Grenze beschlossen und zieht zu diesem Zweck eine Anzahl tapferer Männer bei Pristina zusammen, welche sehr gut beritten sein müssen. Er selbst will sie anführen, und da muß ihm dieser Prachthengst überaus willkommen sein.«

»Einen Einfall im Großen? Ist das nicht sehr gefährlich?«

»Nicht so sehr, wie es den Anschein hat. Jetzt gärt es überall. Man spricht nicht mehr von Räubern, sondern von Patrioten. Das Handwerk hat den politischen Turban aufgesetzt. Wer nach dem Besitz Anderer trachtet, der gibt an, sein Volk frei und unabhängig machen zu wollen. Doch ich bin nicht gekommen, um mit dir über diese Angelegenheit zu sprechen, sondern ich habe einen andern Auftrag des Schut auszurichten. Ist die Höhle jetzt leer?«

 

»Ja.«

»Und du hast auch für die nächste Zeit keinen Bewohner derselben zu erwarten?«

»Nein. Eigentlich war beabsichtigt, diesen Deutschen mit seinen drei Begleitern hineinzulocken; aber dies ist nicht mehr nötig, da sie jetzt am Teufelsfelsen getötet werden. Und wenn wir es getan hätten, so wäre die Sache in zwei oder drei Stunden vorüber gewesen. Ich hätte den Meiler da hinter uns angebrannt; der Rauch wäre in die Höhle geströmt und sie hätten ersticken müssen.«

»Aber der Rauch bleibt so lange darin, daß tagelang niemand hinein kann?«

»O nein. Er zieht oben durch die hohle Eiche ab. Wenn ich die Türe hier unten öffne, entsteht ein so wirksamer Zug, daß bereits nach einigen Stunden keine Spur von dem Rauch zu bemerken ist.«

»Das ist ja ganz prächtig eingerichtet! Also du brauchst die Höhle auf keinen Fall?«

»Nein.«

»Das wird dem Schut sehr lieb sein. Wir haben nämlich einen Fremden geangelt, welcher hier einquartiert werden soll, um sich dann loszukaufen. Dieser soll hier aufgehoben werden.«

»Wieder einmal? Ist denn bei euch im Karaul kein Platz?«

»Nein. Da steckt jetzt ein Kaufmann aus Skutari, welcher durch Hamd el Amasat in unsere Falle geliefert worden ist. Seine Familie wird nachkommen, so daß er uns sein ganzes Vermögen lassen wird. Hamd el Amasat hat diese Familie bereits früher gekannt, und es ist ein Geniestreich von ihm, sich dieses Kaufmanns bemächtigt zu haben.«

Was ich hier hörte, war mehr wert als Geld. Da, an dem alten Meiler, erfuhr ich ja alles, was sich mir bisher von Tag zu Tag in immer weitere Ferne gerückt hatte!

Also der Schut war wirklich jener persische Pferdehändler Kara Nirwan und wohnte in Rugova. Dort gab es einen Karaul, also einen alten Wart – oder Wachtturm, in welchem ein Kaufmann aus Skutari, jedenfalls Galingré, gefangen saß, damit ihm sein ganzes Vermögen abgenommen werden könne. Und seine Verwandten sollten nachkommen, jedenfalls durch eine satanische List herbeigelockt. Das war ein echter Skipetarenstreich!

Und ein Einfall nach Serbien war geplant, bei welchem der Schut meinen Rih reiten sollte! Zum Glück befand sich der Hengst noch in meinem Besitz, und ich verspürte gar keine Lust, ihn mir nehmen und mich töten zu lassen.

Weiter kam ich in meinen Betrachtungen nicht, denn ich hörte etwas, was meine größte Aufmerksamkeit in Anspruch nahm, etwas, was ich eigentlich hätte für unmöglich halten sollen. Der Köhler fragte nämlich:

»Lohnt es sich denn auch, denjenigen hier bei mir aufzunehmen, welchen ihr mir schicken wollt?«

»Gewiß. Der Mann scheint ungeheuer reich zu sein.«

»Du nanntest ihn einen Fremden. So wohnt er also nicht hier in dem Land der Arnauten?«

»Nein, er ist ein Ausländer, ein Inglis.«

»Ah, die sind freilich stets reich. Habt ihr ihn schon in eurer Gewalt?«

»Noch nicht, aber er ist uns sicher. Er wohnt im Konak zu Rugova und scheint dort auf jemand zu warten, der aber gar nicht kommen will. Er ist mit gemieteten Pferden und Dienern gekommen und hat sogar einen Dragoman bei sich, dem er täglich dreißig Piaster und alle seine Bedürfnisse bezahlt. Dieser Mensch ist eine lächerliche Gestalt. Er ist sehr lang und dürr, trägt zwei blaue Fenster vor den Augen, hat einen Mund wie ein Köpek balyghy (* Haifisch.) und eine Nase, welche jeder Beschreibung spottet. Sie ist unendlich lang und wie ein Chyjar (** Gurke.) gestaltet und scheint überdies vor kurzem mit einer Jumruk Halebi (*** Aleppobeule.) behaftet gewesen zu sein. Er lebt wie ein Großsultan, und niemand kann ihm die Speise kostbar genug zubereiten. Wenn er seinen Beutel öffnet, sieht man nur Goldstücke flimmern; aber dennoch kleidet er sich wie ein Spaßmacher aus den Nebelbildern. Sein Anzug ist ganz grau, und auf dem Kopf hat er einen grauen Hut, welcher so hoch ist wie das Minareh der Moschiah der Ommajaden zu Damask.«

Als ich das hörte, war es mir, wie wenn mir jemand einen Schlag in das Gesicht versetzt hätte. Diese Beschreibung paßte ganz genau auf meinen englischen Freund David Lindsay, von welchem ich mich vor kurzem in Konstantinopel verabschiedet hatte, und welcher mir bei dieser Gelegenheit sagte, daß er in einigen Monaten in Altengland sein werde.

Alles stimmte ganz genau, der Anzug, der Reichtum, die blaue Brille, der breite Mund, die gewaltige Nase . – er mußte es sein! Und in Gedanken berechnete ich, ob es möglich wäre, daß er sich jetzt hier im Land der Skipetaren, in Rugova befinden könne. Ja, es war möglich, wenn er kurz nach mir Stambul mittels Schiff verlassen hatte und in Alessio oder Skutari ans Land gestiegen war.

»Trotz dieser Lächerlichkeit ist er eine fette Beute,« fuhr der Sprecher fort, »vielleicht die reichste, welche wir jemals gemacht haben, oder vielmehr noch machen werden; denn heute abend wird er festgenommen und in den Karaul gesteckt. Sofort nach meiner Rückkehr aber werden wir ihn auf Umwegen, wo niemand uns begegnen kann, her zu dir schaffen. Du magst dich auf seine Ankunft vorbereiten.«

»So!« brummte der Köhler. »Heute abend nimmt man ihn gefangen. Wenn du heute wieder von hier aufbrichst, so bist du früh in Rugova, denn du kennst ja die Wege. Der Karaul liegt so einsam, daß ihr mit dem Inglis sogleich, trotzdem es am Tage ist, aufbrechen könnt, ohne gesehen zu werden, und so kann er bereits am Abend hier bei mir eintreffen. Aber – kann sich dieser Mann denn auch verständlich machen?«

»Leider nicht; darum hat er ja einen Dolmetscher bei sich.«

»Das ist sehr unangenehm. Ich befasse mich nur höchst ungern mit dieser Sache, aber ich muß dem Schut gehorchen. Wenn der Inglis es nicht versteht, sich unserer Sprache zu bedienen, so wird er mir wahrscheinlich große Verlegenheiten bereiten. Ich hoffe, daß der Schut in Rücksicht darauf den Lohn bemißt, welchen ich dafür erhalte.«

»Du wirst zufrieden sein. Du weißt ja, daß unser Anführer und Gebieter niemals geizt, wenn es gilt, für geleistete Dienste erkenntlich zu sein. Diese Sache ist also abgemacht. Ich werde morgen jedenfalls noch vor Abend hier eintreffen und nicht nur den Engländer, sondern auch den Dolmetscher mitbringen. Es kann nicht schwer sein, auch diesen festzunehmen, und dir wird durch seine Anwesenheit die Behandlung des Gefangenen erleichtert.«

»Wie ist der Fremde zu benennen? Wie lautet sein Name?«

»Was er ist, das weiß ich nicht. Er hat einen Titel, welcher wie »Surr« oder >Sörr< ausgesprochen wird, und sein Name ist auch ein fremdes Wort, welches ich noch nie gehört habe und auch nicht verstehe. Es klingt wie Linseh. Merke es dir!«

Jetzt war gar kein Zweifel über die Person des Engländers mehr möglich. Es handelt sich wirklich um meinen alten, guten, wenn auch etwas sonderbaren David Lindsay. Mit dem Titel war auch das englische Wort »Sir« gemeint.

Aus welchem Grund befand sich der Englishman in Rugova? Was hatte ihn veranlaßt, von Konstantinopel aufzubrechen und in solcher Eile nach Westalbanien zu kommen? Ich konnte es nicht begreifen. Der Fremde fuhr nach einer kurzen Pause fort:

»Nach dem, was ich von dir hörte, müßte der Ueberfall dieses Deutschen nun längst geschehen sein. Es beunruhigt mich, daß die Aladschy und ihre Gefährten noch nicht hier sind.«

»Vielleicht ist der Deutsche später aufgebrochen, als Junak gemeint hat. Als dieser sich von seiner Hütte fortschlich, haben die Fremden noch geschlafen. Bei den Anstrengungen der letzten Tage ist es gar kein Wunder, wenn sie sehr ermüdet sind. Uebrigens hat der Konakdschi den Auftrag erhalten, dafür zu sorgen, daß sie nicht allzu schnell reiten, und so ist es sehr leicht zu erklären, daß sie noch nicht eingetroffen sind.«

»Mir aber macht diese Verspätung Sorgen. Am liebsten möchte ich zu dem Teufelsfelsen, um nachzusehen, wie es dort steht.«

»Das darfst du nicht; du könntest dadurch die ganze Sache verderben und grad in demselben Augenblick dort anlangen, in welchem die Fremden die betreffende Stelle erreichen. Dein Erscheinen würde vielleicht ihren Verdacht erwecken. Nein, bleibe hier! Wir haben noch Zeit. Es ist gar nicht möglich, daß der Streich mißlingen kann.«

»Gut, so will ich mich gedulden. Inzwischen kannst du mir die Höhle zeigen.«

Beide erhoben sich von der Bank. Da ich vermutete, daß der heimliche Eingang zur Höhle in irgend welcher Beziehung zu dem Meiler stehe, neben welchem ich mich befand, so hielt ich es für ratsam, mich schleunigst zu entfernen. Ich kroch also leise bis auf den Pfad zurück und eilte dann zu der Stelle, wo die Gefährten sich in den Büschen versteckt hatten.

Dort angekommen, sah ich sogleich, daß Osko fehlte; bevor ich nach ihm fragen konnte, meldete mir Halef:

»Herr, der Montenegriner ist fort; er wollte aber sehr bald wiederkommen.«

»Wo ist er hin?«

»Ich weiß es nicht. Kaum warst du vorhin verschwunden, so sagte er kurz und hastig: »Ich muß einmal fort, bin aber in einer halben Stunde wieder da.« Und bevor wir ihm antworten konnten oder gar ihn zurückzuhalten vermochten, ritt er von dannen.«

»Wohin? Nach der Richtung, von welcher wir gekommen sind?«

»Ja, Sihdi!«

»So weiß ich, weshalb er zurückgekehrt ist. Er hat, wie ihr ja wißt, eine Rache gegen Barud el Amasat, den Entführer seiner Tochter. Obgleich wir unsern Feind oft so nahe gehabt haben, daß er ihm eine Kugel hätte geben können, hat er es doch nicht getan. Vorhin, als wir auf dem Felsen die Gefangenen festbanden, war ihm Gelegenheit geboten, seine Rache auszuführen. Er hat es abermals unterlassen, weil er wohl fürchtete, daß ich ihn hindern würde, einen Mord zu begehen. Er ritt scheinbar gutwillig mit uns weiter, ist aber dann umgekehrt, um seine heimliche Absicht auszuführen. Ich bin jetzt über eine Viertelstunde fort gewesen. Während dieser Zeit hat er den Teufelsfelsen erreicht, und es ist mir wohl nicht mehr möglich, Barud zu retten. Dennoch will ich es versuchen. Mein Pferd ist schnell. In fünf Minuten bin ich dort. Bleibt hier versteckt, bis ich wieder komme.«

Ich stieg in den Sattel und ritt zurück. Für Rih genügte das Wörtchen »kawahm – schnell!« Kaum hatte ich es gesprochen, so flog er wie ein Pfeil dahin. In kaum einer Minute hatte ich die enge Schlucht erreicht. Der Rappe schoß zwischen den engen Felsen dahin wie ein Bolzen im Blasrohr. Noch eine Minute und noch eine . – nach nur drei Minuten sah ich die Leiche Manach el Barschas liegen. Eben schnellte der Rappe über dieselbe weg und in die mehrfach erwähnte Krümmung der Schlucht hinein, da ertönte von oben ein so entsetzlicher Schrei, daß nicht nur ich zusammenzuckte, sondern auch das Pferd vor Schreck gegen die Felswand prallte und sich mitten im Galopp so emporbäumte, daß es hintenüber geschlagen wäre, wenn ich nicht mein ganzes Gewicht nach vorn geworfen hätte. Ich riß es auf den Hinterhufen herum und schaute empor.

Was ich da erblickte, machte mir fast das Blut in den Adern erstarren. Ich war so weit über die Krümmung hinaus gekommen, daß oben die Bastei grad vor meinen Augen lag. Ganz an der Kante derselben, genau an der Stelle, von welcher Manach el Barscha herabgestürzt war, sah ich zwei Männer mit einander ringen – Osko und Barud el Amasat. Letzterer war nicht mehr gefesselt, sondern konnte sich seiner Hände und Füße frei bedienen. Sie hielten einander eng umschlungen. Jeder trachtete danach, von der Felsenkante fortzukommen und seinen Gegner über dieselbe hinabzuschleudern.

Ich rührte mich nicht von der Stelle. Hätte ich mich auch noch so sehr beeilt, ich wäre doch zu spät gekommen. Ehe es mir gelingen konnte, empor zu klettern und dann oben den hundertfünfzig Schritte langen Weg zurückzulegen, mußte der Kampf entschieden sein. Bis dahin lag ganz gewiß einer zerschmettert unten – vielleicht alle beide!

Das eigenmächtige Handeln Oskos hatte durchaus nicht meine Zustimmung. Es lag nicht in meiner Absicht, Barud el Amasat töten zu lassen; aber Oskos Leben stand mir höher als das seinige. Beide schwebten jetzt in ganz gleicher Gefahr, denn der Eine schien so viel Kraft und Gewandtheit zu besitzen, wie der Andere. Sollten beide umkommen? Nein! Einer von ihnen war unbedingt verloren, und da sollte wenigstens nicht Osko dieser Eine sein. Ich sprang also aus dem Sattel und legte meine Büchse an. Barud el Amasat sollte die Kugel bekommen. Das war freilich ein böser Schuß. Beide hielten sich so eng verschlungen, daß ich diesen Schuß nur wagen konnte, weil ich meine Büchse ganz genau kannte und mich auf mein ruhiges Blut verlassen konnte.

Ich zielte lang. Die Kugel mußte Baruds Kopf treffen. Die beiden Ringer sahen, was ich beabsichtigte. Barud gab sich die größte Mühe, mir kein Ziel zu bieten. Osko befürchtete, von mir getroffen zu werden, denn er schrie herab:

»Sihdi, schieße nicht! Er muß hinab. Paß auf!«

 

Ich sah, daß er die Arme von seinem Gegner ließ. Dieser tat dasselbe und trat zur Seite, um Atem zu schöpfen. Da machte auch Osko eine Seitenwendung, um Barud zwischen sich und den Abgrund zu bekommen. Er erhob die Faust, als ob er demselben einen Hieb auf den Kopf versetzen wollte; aber das war nur eine Finte, denn als Barud beide Arme hoch vorstreckte, um den Hieb zu parieren, bückte sich Osko blitzschnell und stieß ihm die Faust gegen den Magen. In demselben Augenblick warf er sich zu Boden, um nicht von dem Gegner erfaßt und mit hinabgerissen zu werden.

Was er beabsichtigte, war ihm gelungen. Barud el Amasat taumelte nach hinten, wollte sich am Körper seines Feindes halten, griff aber über denselben hinweg in die Luft und stürzte herab. Er schlug neben der Leiche Manachs nieder. Ich wendete mich schaudernd ab.

Oben sprang Osko wieder auf, beugte sich vor, um den Körper Baruds zu sehen, und rief in triumphierendem Ton:

»Senitza ist gerächt. Dieser Mann wird niemals wieder die Tochter eines Freundes stehlen. Seine Seele fährt in einen tieferen Abgrund, als derjenige ist, in welchen sein Leib gestürzt ward. Bleibe unten, Effendi! Ich komme hinab.«

»Wo befinden sich die Andern?« rief ich hinauf.

»Noch da, wo wir sie verlassen hatten. Es vermag keiner, sich zu befreien; dafür habe ich gesorgt.«

Er trat oben von dem Rand zurück, und ich begab mich an den Wasserquell, wo sein Pferd stand. Nach einiger Zeit kam er herabgestiegen. Noch ehe ich meinen Verweis beginnen konnte, kam er mir zuvor:

»Sihdi, sprich nicht davon! Es ist geschehen und kann nun nicht geändert werden. Ich habe meinen Grimm im Stillen getragen. Dein Glaube verbietet dir die Rache; aber auf den Bergen meiner Heimat herrscht das Gesetz der Vergeltung. Allah hat es gegeben, und wir müssen es befolgen.«

»Nein, Allah hat es nicht gegeben,« entgegnete ich. »Du nennst ihn in deinen täglichen Gebeten Abu 'l afu und Naba l' merhamet, den Vater der Vergebung, den Quell der Barmherzigkeit; wie kann es da sein Wille sein, daß du ihm das Richtertum entreißest! Barud el Amasat hatte dir die Tochter geraubt, aber er hat sie nicht getötet. Selbst wenn du glaubtest, berechtigt zu sein, gleiches mit gleichem zu vergelten, so durftest du ihm nicht das Leben nehmen.«

»So sagst du als Christ. Ja, er hat Senitza nicht getötet, aber er verkaufte sie als Sklavin, und was sie in Aegypten erduldet hat, das weißt du besser als ich, da du es warst, der sie befreite. Das war doch viel schlimmer, als ob er sie ermordet hätte! Und dazu kommt das Leid, welches er mir und Isla Ben Maflei dadurch bereitet hat. Ich habe sie in allen Ländern des Islam vergebens gesucht. Ihr Entführer hat den Tod verdient, und er hat ihn sehr schnell gefunden. Die wenigen Augenblicke der Todesangst, welche er empfunden hat, sind gar nichts gegen die lange Trauer, welche er über uns brachte!«

»Aber einen Mord, einen gräßlichen Mord hast du doch begangen!«

»Nein, Sihdi, es war kein Mord, sondern ein ehrlicher Kampf, Mann gegen Mann und Leben gegen Leben. Ich habe ihn nicht meuchlerisch überfallen. Ich konnte ihn töten, als er an den Baum gefesselt war; aber ich habe ihn losgebunden und auf die Bastei geschafft. Dort befreite ich seine Arme und Beine von den Fesseln, warf meine Waffen weg und sagte ihm, daß die Stunde der Vergeltung gekommen sei. Ich teilte ihm mit, daß ich edelmütig gegen ihn sein und ihm Gelegenheit geben wolle, sich gegen den Tod zu wehren. Ja, ich habe ihn eine Zeitlang sogar geschont. Ich bin stärker, als er war, obgleich du vielleicht das Gegenteil glaubtest. Erst als ich sah, daß du schießen wolltest, wobei deine Kugel mich treffen konnte, machte ich Gebrauch von meiner Ueberlegenheit. Wirst du mich jetzt noch tadeln?«

»Ja, denn du hast hinter meinem Rücken gehandelt.«

»Das mußte ich, denn ich wußte, daß du mich hindern würdest, ihn zu strafen.«

»Aber indem du ihn losbandest, wirst du auch die Fesseln der Andern gelockert haben?«

»Nein, ich habe sie im Gegenteil fester angezogen, als sie vorher waren. Es ist ihnen unmöglich, sich selbst zu befreien. Ich weiß, daß du mir zürnest; ich habe das vorausgesehen, und ich bin bereit, deinen Zorn über mich ergehen zu lassen. Aber ich habe den Schwur gehalten, welchen ich ablegte und den ich nicht brechen wollte. Tue mit mir, was du willst.«

»Steig auf, und komm!« antwortete ich in recht trockenem Ton.

Was hätte ich auch machen wollen? Der Tote war nicht wieder zum Leben zurückzurufen, und die Anschauungen, in denen der Montenegriner erzogen worden war, ließen ihm die Rache als seine heilige Pflicht erscheinen. Ich war mit ihm unzufrieden, hatte aber kein Recht, mich zum Richter seiner Tat aufzuwerfen.

Wir kehrten zurück. Ich ritt mißmutig voran, und er folgte mir schweigend. Bei den Leichen angekommen, schloß ich die Augen. Indem mein Rappe mit einem weiten Satz über sie hinwegsprang, war es mir, als ob ich unter mir einen klagenden Laut vernähme. Dann krachte hinter mir ein Schuß.

»Was war es?« fragte ich, ohne mich umzudrehen.

»Er lebte noch,« antwortete Osko. »Meine Kugel hat ein Ende gemacht – er soll nicht länger leiden.«

Das ist der Orient: neben blendendem, trügerischem Licht ein desto tieferer, unheimlicher Schatten!

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