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Der Schut

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»Wir setzen unsern bisherigen Weg fort. Horch!«

Es klang wie Schritte. Und wirklich, wir hörten jemand kommen. Der Betreffende schien sich der Stelle zu nähern, an welcher Suef gesessen hatte.

»Wer mag es sein?« raunte mir der Hadschi zu. Seine Augen funkelten vor Kampfeslust.

»Keine Uebereilung!« gebot ich.

Ich wand mich zwischen den Büschen hindurch und erblickte Bybar. Seine Riesengestalt stand neben dem Baum, welchen ich vorhin als Deckung benutzt hatte. Ich konnte sein Gesicht deutlich sehen. Er schien erstaunt zu sein, Suef nicht zu finden, und schritt langsam weiter.

»Wetter noch einmal!« flüsterte ich. »Noch zehn oder zwölf Schritte, so sieht er unsere Gefährten, falls er hinabblickt, und das wird er ganz sicher tun. Komm ganz leise nach!«

Es galt, mich schnell von hinten an den Aladschy zu machen, und es gelang mir zur rechten Zeit. Sein Blick fiel hinunter auf den Weg. Er sah die Drei, welche unten auf uns warteten, und er trat mehrere Schritte zurück, um ja nicht von ihnen gesehen zu werden.

Er hatte sich dabei nicht umgedreht und durch dieses Zurückweichen die Entfernung zwischen sich und mir auf eine für mich so günstige Weise verringert, daß ich nach ihm fassen konnte. Ihn mit der Linken beim Genick nehmen und ihm zugleich mit der geballten Rechten einen Hieb gegen die Schläfe versetzen, das war das Werk eines Augenblicks. Er brach zusammen, ohne einen Laut von sich zu geben. Und da stand auch bereits Halef bei mir.

»Auch binden?« fragte er.

»Ja, aber jetzt noch nicht. Faß an, er ist schwer.«

Wir trugen den Riesen in die Nähe des Schneiders und banden ihn ebenso wie jenen an einen Baum. Sein Mund war nicht ganz geschlossen. Ich öffnete ihn erst mit der Klinge, dann mit dem Heft meines Messers. Wir banden ihm den Gürtel ab und befestigten ihm denselben als Knebel in den Mund. Weil er sehr stark war, bedurfte er doppelter Bande, so daß unsere Riemen nun alle verbraucht waren. Den Lasso durfte ich nicht verwenden, falls uns noch Einer in die Hände lief, der gebunden werden mußte; er konnte mir dann sehr leicht in Verlust geraten. Die Pistolen und das Messer, welche sich in Bybars Gürtel befunden hatten, legten wir zu Suefs Waffen.

»Nun sind nur noch drei übrig,« sagte Halef, »der andre Aladschy, Manach el Barscha und Barud el Amasat.«

»Vergiß den Kohlenhändler nicht, der auch hier oben ist.«

»Den Halunken rechne ich nicht. Was sind diese Vier gegen uns Zwei! Wollen wir nicht ganz offen zu ihnen gehen und ihnen die Gewehre abnehmen, Sihdi?«

»Das wäre zu verwegen.«

»Nun, weshalb sind wir denn heraufgestiegen?«

»Einen bestimmten Plan hatte ich dabei nicht. Ich wollte sie beschleichen. Was dann zu tun war, mußte sich finden.«

»Nun, es hat sich gefunden. Zwei sind bereits unschädlich. Aus den Andern machen wir uns ja nichts.«

»Ich mache mir sehr viel aus ihnen. Ja, wenn wir den Bruder des Aladschy noch hätten, dann wollten wir mit den übrigen Drei schnell fertig werden.«

»Hm! Wenn er auch käme!«

»Das wäre Zufall.«

»Oder – Sihdi, ich habe einen Gedanken. Ist es nicht möglich, ihn herbeizulocken?«

»Auf welche Weise?«

»Könnte nicht dieser Bybar ihn rufen?«

»Dieser Gedanke ist nicht ganz übel. Ich habe mehrere Stunden lang mit den Aladschy gesprochen und kenne ihre Stimmen. Bybars Stimme ist etwas heiser, und ich getraue mir, sie leidlich nachzuahmen.«

»So tue es, Sihdi!«

»Dann müßten wir einen Platz haben, auf welchem er vorüber muß, ohne uns zu sehen.«

»Ein solcher Platz wird sich leicht finden lassen, irgend ein Busch oder Baum.«

»Ja, aber ob es mir auch diesesmal so gut gelingt, ihn zu betäuben?«

»So haue doch mit dem Kolben zu!«

»Hm! Das läßt sich nicht so abmessen. Ich könnte ihn erschlagen.«

»Schade wäre es nicht um ihn. Uebrigens haben diese Kerls wohl feste Schädel.«

»Freilich! Nun, wir wollen es versuchen!«

»Versuchen wir es! Sihdi, in dieser Weise höre ich dich außerordentlich gern sprechen.«

Er war ganz Feuer und Flamme. Das Kerlchen hätte einen ausgezeichneten Soldaten abgegeben; es steckte ein Held in ihm.

Wir schritten leise und vorsichtig weiter, bis wir eine Stelle erreichten, an welcher drei hohe Büsche eng beisammen standen, so daß man zwischen ihnen unbemerkt von außen stehen konnte. Wir traten hinein, und nun rief ich, nicht allzu laut und möglichst Bybars Stimme nachahmend:

»Sandar! Sandar! Bana gel – komm her zu mir!«

»Schimdi gelirim – ich werde gleich kommen!« antwortete es von daher, wo ich die Männer vermutete.

Die List schien also zu gelingen. Ich stand bereit, den Lauf der Büchse in der Hand. Nach kurzer Zeit hörte ich den nahenden Aladschy fragen:

»Nerede sen – wo bist du?«

»Burada 'm – hier bin ich!«

Meine Antwort gab seinen Schritten die von mir gewünschte Richtung. Ich hörte ihn kommen, grad auf die Büsche zu. Jetzt sah ich ihn sogar, indem ich zwischen den Zweigen hindurchblickte. Er wollte, erwartungsvoll gradaus schauend, an uns vorüber, leider nicht so nahe, wie es mir lieb gewesen wäre. Da gab es weder Zaudern, noch Bedenken. Ich sprang zwischen den Büschen hervor.

Er sah mich. Nur eine Sekunde hielt der Schrecken ihn fest auf der Stelle; dann wollte er zurückspringen, aber es war schon zu spät für ihn. Mein Kolben traf ihn so, daß er zusammenbrach.

Auch er hatte weder Flinte noch Czakan bei sich, sondern nur Pistolen und das Messer.

»Hamdullillah!« jubelte Halef fast zu laut. »Es ist gelungen! Wie lange denkst du, daß er brauchen wird, um wieder ins Leben zurückzukehren?«

»Laß erst sehen, wie es mit ihm steht. Der Schlag hätte einen Andern wohl getötet.«

Der Puls des Aladschy war kaum wahrzunehmen. Für wenigstens eine Viertelstunde hatten wir sein Erwachen nicht zu befürchten.

»So brauchen wir ihn nicht zu knebeln,« meinte Halef. »Aber anbinden werden wir ihn doch!«

Wir benützten dazu den Schal, welcher dem Aladschy als Gürtel diente. Und nun hatten wir wirklich nicht nötig, übermäßige Vorsicht walten zu lassen. Wir schlichen nicht mehr, sondern wir gingen vorwärts, wenn auch recht leise.

So gelangten wir an die Stelle, an welcher der Weg unten die erwähnte Krümmung machte. Auch das Terrain hier oben folgte dieser Biegung, und so entstand ein Felsenvorstoß, eine Art Bastei, auf welcher die Kerls Posto gefaßt hatten. Es standen nicht Bäume, sondern nur einige Sträucher auf derselben. Hinter einem der Sträucher angekommen, sahen wir Manach el Barscha, Barud el Amasat und Junak sitzen. Sie sprachen miteinander, doch nicht so laut, daß wir sie verstehen konnten, obgleich wir uns ihnen sehr nahe befanden.

Dieser Ort war für ihre Zwecke sehr gut gewählt. Sie mußten uns kommen sehen, und eine aus diesem Hinterhalt gut geworfene Axt hätte jedenfalls den Getroffenen zerschmettert.

Etwas rückwärts von ihnen, nach uns zu, standen fünf in eine Pyramide aufgestellte Gewehre. Also hatte auch Junak seine Flinte mitgebracht. Dabei lagen die Czakans der Aladschy und die ledernen Schleudern, welche Junak hergeliehen hatte. Neben den Schleudern war ein kleiner Haufen glatter, schwerer Bachkiesel. Ein solcher Stein konnte, wenn aus sicherer Hand geschleudert, gar wohl den Tod bringen.

Die Drei waren uns sicher. Sie saßen ganz an der Kante der Bastei. Manach el Barscha war kaum drei Schritte von derselben entfernt. Wollten sie fliehen, so mußten sie an uns vorüber. Der Gedanke, hinab zu springen, wäre der reine Wahnsinn gewesen. Man sah es ihnen an, daß sie sich in gespannter Erwartung befanden. Ihre Blicke flogen immer nach der Richtung, aus welcher wir kommen mußten.

Junak sprach am meisten. Aus seinen Gestikulationen war zu schließen, daß er das Bärenabenteuer erzählte. Wir standen eine ganze Weile, ehe er ein Wort sprach, welches wir verstehen konnten:

»Ich will hoffen, daß alles so kommt, wie ihr es wünschet. Diese vier Kerle sind zu allem fähig. Sie sind gleich bei ihrer Ankunft wie die Herren meines Hauses aufgetreten. Und der Konakdschi wird euch dann erzählen, wie sie ihn behandelt haben. Sie schlossen ihn für die ganze Nacht mit all den Seinen im Keller ein – — «

»Und er hat es sich gefallen lassen?« rief Manach el Barscha.

»Mußte er nicht?«

»Mit all den Seinen! Konnten sie sich nicht wehren?«

»Habt ihr euch denn gewehrt? Nein, ihr seid schleunigst fortgeritten!«

»Der Soldaten wegen, welche sie bei sich hatten.«

»O, nicht einen einzigen hatten sie bei sich; das hat der Konakdschi später gar wohl gemerkt.«

»Tausend Teufel! Wenn das wahr wäre!«

»Es ist so! Sie haben euch durch eine List getäuscht. Diese Kerle sind nicht nur verwegen wie die Jabani kediler (* Wildkatzen.), sondern auch verschlagen wie die Gelindschikler (** Wiesel.). Nehmt euch nur in acht, daß sie nicht die heutige Falle wittern! Der widerwärtige Effendi hat Verdacht gegen den Konakdschi und auch gegen mich geäußert. Es dauert so lange, bis sie kommen; sie müßten schon da sein. Ich will nicht befürchten, daß sie erraten, was ihrer hier wartet.«

»Das können sie unmöglich wissen. Sie kommen gewiß, und dann sind sie verloren. Die Aladschy haben geschworen, den Deutschen bei lebendigem Leibe langsam in Stücke zu zerschneiden. Barud hier nimmt den Montenegriner Osko, und mir muß diese kleine, giftige Kröte, der Hadschi, in die Hände laufen. Er ist so flink mit der Peitsche, und er soll erfahren, was Schläge bedeuten. Kein Messer und keine Kugel darf ihn berühren; er wird an der Peitsche sterben. Darum soll keiner von ihnen sogleich getötet werden. Die Aladschy zielen nicht nach dem Kopf, und auch ich werde den Hadschi nur betäuben. Ich will mich nicht selbst um die Seligkeit bringen, ihn totschlagen zu können. Warum sie nur so lange bleiben! Ich kann es kaum erwarten.«

Ich hätte gar zu gern noch mehr gehört; ich hoffte, sie sollten von Karanirwan-Khan sprechen. Aber Halef konnte es nicht länger aushalten. Daß Manach el Barscha so große Sehnsucht hatte, ihn tot zu peitschen, das erregte seinen Zorn in ungewöhnlicher Weise. Er trat plötzlich vor, hart an sie heran und rief:

 

»Nun, hier hast du mich, wenn du es denn gar nicht erwarten kannst!«

Der Schreck, welchen sein Erscheinen erregte, war ungeheuer. Junak schrie auf und streckte die Hände abwehrend vor, als hätte er ein Gespenst erblickt. Barud el Amasat sprang vom Boden auf und starrte den Hadschi wie geistesabwesend an. Auch Manach el Barscha war emporgeschnellt, gleichsam von einer Spannfeder getrieben; aber er faßte sich schneller als die Andern. Seine Züge verzerrten sich vor Wut.

»Hund!« brüllte er. »Hier bist du! Aber diesesmal soll es euch nicht gelingen! Du gehörst mir, und jetzt habe ich dich!«

Er wollte die Pistole aus dem Gürtel reißen, aber eine hervorstehende Schraube oder der Drücker mochte sich festgehakt haben. Er brachte die Waffe nicht so schnell heraus, wie er wünschte. Und da legte Halef auch schon auf ihn an und gebot:

»Weg mit der Hand vom Gürtel, sonst schieße ich dich nieder!«

»Schieße einen von uns!« antwortete jetzt Barud el Amasat. »Aber auch nur einen! Der Zweite trifft dann dich!«

Er zog sein Messer. Da trat auch ich hervor, langsam und ohne ein Wort zu sprechen; aber ich hielt den angelegten Stutzen auf Barud gerichtet.

»Der Effendi! Auch er ist da!« rief dieser.

Er ließ die Hand, welche das Messer hielt, sinken und tat vor Schreck einen Sprung rückwärts. Er traf an Manach el Barscha, und zwar so kräftig, daß dieser einen Stoß bekam, der ihn an den Rand des Felsens brachte. Er schlug mit den Armen in die Luft, hob den einen Fuß empor, um festen Halt zu suchen, und verlor dadurch nun vollends das Gleichgewicht.

»Allah, Allah, All – — !« brüllte er, dann war er von der Kante der Bastei verschwunden. Man hörte seinen Körper unten aufschlagen.

Keiner brachte zunächst ein Wort hervor, auch ich nicht. Es war ein Augenblick des Entsetzens. Ueber fünfzig Fuß hoch hinab – der Körper mußte zerschmettert sein!

»Allah onu kurdi – Allah hat ihn gerichtet!« rief dann Halef, dessen Gesicht todesbleich geworden war. »Und du, Barud el Amasat, bist der Henker, der ihn zur Tiefe warf. Lege das Messer weg, sonst fliegst du ihm nach!«

»Nein, ich lege es nicht weg. Schieß, aber kosten sollst du dennoch meine Klinge!« antwortete Barud.

Er duckte sich zum Sprung und holte dabei zum Stoß mit dem Messer aus. Das war für Halef Grund genug, zu schießen. Er tat es aber nicht. Er trat schnell zurück, drehte seine Flinte um und empfing den Gegner mit einem Kolbenschlag, welcher diesen zu Boden streckte. Barud wurde entwaffnet und mit seinem eigenen Gürtel gebunden.

Jetzt hatten wir es nur noch mit Junak, dem Kohlenhändler, zu tun. Dieser Tapfere saß noch ganz so da, wie vorher. Hatte ihn schon das Erscheinen Halefs auf das höchste erschreckt, so war durch das, was nun geschah, seine Angst verzehnfacht worden. Er streckte die Hände nach mir aus und flehte:

»Effendi, schone mich! Ich habe euch nichts getan. Du weißt, daß ich euer Freund bin!«

»Du, unser Freund? Wie sollte ich das wissen?«

»Du kennst mich ja!«

»Woher?«

»Nun, ihr seid ja in dieser Nacht bei mir geblieben. Ich bin Junak, der Kohlenhändler.«

»Das glaube ich nicht. Du bist ihm zwar sehr ähnlich, besonders was die Reinlichkeit betrifft; du bist genau so ein Bock tawuki (* Schmutzfinke.), wie er: aber er selbst bist du doch nicht.«

»Ich bin es, Effendi, ich bin es! Du mußt es doch sehen! Und wenn du es nicht glaubst, so frage deinen Hadschi!«

»Ich brauche ihn nicht zu fragen. Er hat keine besseren Augen als ich. Der Kohlenhändler Junak kann nicht hier sein, denn er ist nach Glogovik gegangen, um Salz zu kaufen.«

»Das war nicht wahr, Herr.«

»Seine Frau hat es mir gesagt, und ihr glaube ich mehr als dir. Wenn du wirklich Junak, unser Wirt, wärst, so dächte ich, dir Dankbarkeit schuldig zu sein, und würde dich allerdings glimpflicher behandeln, als jeden Andern. Aber da es bewiesen ist, daß du dieser Mann gar nicht sein kannst, so hast du dieselbe Strenge zu erwarten, wie deine sauberen Genossen, welche uns töten wollten und deshalb ihr Leben verwirkt haben. Du wirst also mit ihnen an den schönen Bäumen hier baumeln müssen.«

Das zog ihn vom Boden empor. Er sprang auf und schrie voller Angst:

»Effendi, es ist nichts, gar nichts bewiesen. Ich bin wirklich Junak; ich will dir alles erzählen, was in und bei meinem Hause geschehen ist, und was wir gesprochen haben. Du wirst doch nicht den Mann hängen, der euch so freundlich bei sich aufgenommen hat!«

»Nun, von einer freundlichen Aufnahme war nicht das Mindeste zu bemerken. Aber wenn du wirklich Junak bist, wie kommt es denn, daß du dich jetzt hier und nicht in Glogovik befindest?«

»Ich – ich wollte . – wollte mein Salz hier holen!«

»Ah! Und warum ließest du uns die Lüge sagen, daß du nach einer andern Richtung gingest?«

»Weil – weil« – stotterte er – »es fiel mir erst unterwegs ein, hierher zu gehen.«

»Belüge mich nicht abermals! Du bist hierher gegangen, um nicht um deinen Beuteanteil betrogen zu werden. Du hast sogar bedauert, daß dein Pferd tot ist, so daß du laufen mußtest.«

»Effendi, das kann dir nur der Konakdschi gesagt haben! Der Mensch hat uns wohl betrogen und dir alles erzählt?«

»Sieh, welch ein Geständnis du mit deiner Frage machst! Ich weiß alles. Ich sollte hier gegen deinen Rat überfallen werden. Dazu hast du unsern Feinden diese Schleudern geborgt. Falls dieser Angriff mißlang, wollte man uns in die Höhle der Diamanten locken und uns in derselben morden.«

Er senkte den Kopf und meinte, ich wisse dies von dem Konakdschi, und es fiel mir gar nicht ein, ihm diese Meinung zu benehmen.

»Nun rede, antworte!« fuhr ich fort. »Auf dich selbst wird es ankommen, ob ich dich für ebenso schlimm halten muß wie die Andern. Dein Schicksal liegt jetzt in deinen eigenen Händen.«

Er sagte erst nach einer Pause des Nachdenkens, des innern Kampfes:

»Du darfst nicht glauben, daß der Plan, euch zu töten, von mir ausgegangen ist. Diese Leute hatten ihn schon längst gefaßt.«

»Das weiß ich allerdings. Aber du hast aus gemeiner Gewinnsucht teil an demselben genommen. Das kannst du gar nicht leugnen.«

»Vielleicht hat der Konakdschi mich gegen dich schlechter gemacht, als ich bin?«

»Ich pflege mein Urteil nicht nach der Meinung anderer Leute einzurichten. Ich habe meine eigenen Augen und Ohren. Und diese sagen mir, daß du zwar nicht der Urheber des gegen uns gerichteten Mordplanes, aber doch ein Mitglied dieser sauberen Gesellschaft bist. Uebrigens habe ich nicht Zeit, mich mit dir zu befassen. Lege dein Messer zur Erde! Der Hadschi wird dich binden.«

»O nein, nein!« schrie er ängstlich. »Ich will dir alles zu Gefallen tun, nur aufhängen darfst du mich nicht.«

»Ich wüßte nicht, welchen Gefallen du mir erweisen könntest. Es kann mir gar nichts nützen, dich leben zu lassen!«

Der kalte Ton, in welchem ich diese Worte sagte, erhöhte seine Angst, und als nun Halef ihm das Messer aus dem zerfetzten Gürtel zog, rief er:

»Ich kann euch nützlich sein, Effendi, ich kann!«

»Wie so?«

»Ich will dir alles sagen, was ich weiß.«

»Das ist unnötig, da ich bereits ganz genau unterrichtet bin. Ich werde kurzen Prozeß mit euch machen. Die beiden Aladschy und Suef befinden sich auch schon in unsern Händen. Ich sehe nicht ein, warum ich grad mit dir Nachsicht haben soll. Du hast sogar den Wunsch gehabt, daß der Bär uns sämtlich fressen möge.«

»Welch ein schlechter Mensch ist dieser Konakdschi! Er hat alles verraten, jedes Wort! Und ohne ihn hättest du den Weg zu diesem Versteck unmöglich finden und uns überfallen können. Aber dennoch kann mein Rat dir noch von Nutzen sein.«

»Welcher Rat?«

Er sah wieder nachdenklich zu Boden. In seinen Zügen malte sich der Kampf zwischen Angst und Hinterlist. Wollte er mir wirklich nützen, so mußte er den Verräter gegen den Köhler, seinen eigenen Schwager, spielen. Vielleicht sann er über eine Lüge nach, welche ihn aus seiner gegenwärtigen, bedrängten Lage befreien könnte. Nach einer Weile richtete er das Auge mit einem überaus zutraulichen Blick auf mich und sagte:

»Du befindest dich in allergrößter Lebensgefahr, ohne daß du eine Ahnung davon hast, Effendi. Diejenige, welche dir hier drohte, war gering gegen das, was dich noch erwartet.«

»Ah! Wie so?«

»Wirst du mir auch wirklich das Leben schenken, wenn ich es dir sage?«

»Ja; doch glaube ich nicht, daß du mir etwas Neues sagen kannst.«

»O doch! Ich bin überzeugt, daß du keine Ahnung von der Gefahr hast, welche dir droht. Und zwar der Konakdschi ist es, welcher euch derselben in den Rachen führen will.«

»Du willst dich an ihm rächen, indem du ihn verleumdest?«

»Nein. Er weiß nicht, was ich weiß, und die Andern haben es auch nicht gewußt. Sie ahnen nur, daß es noch Andere gibt, welche euch nach dem Leben trachten. Nur der Mübarek wußte es auch; der ist nun aber tot.«

»So sprich und beeile dich, da ich keine Zeit habe.«

»Um sein Leben zu retten, muß man immer Zeit haben, Effendi. Nicht wahr, du willst den Schut finden?«

Ich nickte bloß.

»Du bist sein grimmigster Feind. Der alte Mübarek hat ihm einen Eilboten gesandt, um ihn vor dir zu warnen. Er hat ihm auch kund getan, daß ihr ihn verfolgt, und daß er euch hinter sich her locken wolle, bis ihr in die Hände des Schut fallt. Die Andern aber, deren ihr euch hier bemächtigt habt, wollten euer Eigentum für sich haben. Sie legten euch hier diesen Hinterhalt, welchem ihr glücklich entgangen seid. Der Schut aber hat sich aufgemacht, um euch entgegen zu reiten. Er muß bereits in der Nähe sein, und ihr seid verloren, wenn ich und mein Schwager, der Köhler, euch nicht retten.«

»Aber dein Schwager trachtet mir ja auch nach dem Leben!«

»Bis zu diesem Augenblick, ja, denn er ist auch ein Anhänger des Schut. Aber wenn ich ihm sage, daß ihr mein Leben geschont habt, obgleich ich mich in euren Händen befand, wird sich seine Feindschaft in Freundschaft verwandeln, und er wird alles aufbieten, euch zu retten. Ich selbst werde euch auf einem Weg aus den Bergen führen, auf welchem ihr der Gefahr ganz sicher entgehen werdet.«

Dieser ebenso feige wie plump schlaue Mensch hatte da einen ganz allerliebsten Plan ausgeheckt. Er wollte mich zu dem Köhler locken, bei welchem wir gewiß verloren waren, wenn wir ihm vertrauten. Ich tat, als ob ich ihm glaubte, und fragte:

»Kennst du denn den Schut?«

»Gewiß; er war oft bei mir.«

»Und du auch bei ihm?«

»Einigemal.«

»Wo wohnt er denn?«

»Drüben in Orossi. Er ist ein Häuptling der Miriditen und besitzt eine große Macht.«

»In Orossi? Mir wurde gesagt, daß er in Karanirwan-Khan wohne?«

Junak erschrak sichtlich darüber, daß ich diesen Namen sagte; aber er schüttelte den Kopf und antwortete lächelnd:

»Man hat dir das gesagt, um dich irre zu führen.«

»Aber einen Ort dieses Namens gibt es doch?«

»Ich kenne keinen und bin doch weit und breit ortskundig. Glaube mir, denn ich meine es gut und aufrichtig mit dir.«

»Wirklich? Nun, wir werden ja sehen. Wie weit ist es denn von hier bis zu deinem Schwager?«

»Man reitet nur eine Viertelstunde. Du kommst in ein großes, rundes Tal, welches das Tal der Trümmer genannt wird. Wendest du dich von da, wo der Weg in dasselbe mündet, nach rechts, so wirst du bald den Rauch sehen, welcher seinen Meilern entsteigt.«

»Und zu ihm würdest du uns führen?«

»Ja, und von ihm würdest du noch viel mehr erfahren, als ich im stande bin, dir zu sagen. Euer Leben hängt davon ab, daß ihr mir Glauben schenkt. Nun tue, was du willst!«

Halef nagte an seiner Unterlippe. Er konnte seine Wut, für so leichtgläubig gehalten zu werden, nur schwer verbergen. Ich aber machte ein sehr freundliches Gesicht, nickte dem Schurken vertraulich zu und antwortete:

»Die Wahrscheinlichkeit spricht allerdings dafür, daß du uns die Wahrheit sagest. Soll ich denn einmal versuchen, ob du es ehrlich meinst?«

»Versuche es, Effendi!« rief er erfreut aus. »Du wirst sehen, daß ich dich nicht täusche.«

»Nun gut, so soll dir das Leben geschenkt sein. Aber binden müssen wir dich doch für einige Zeit.«

»Warum?«

»Weil die Andern nicht ahnen sollen, daß du mit uns einverstanden bist. Es muß ganz so scheinen, als ob auch du ihr Schicksal teilen müssest.«

»Aber du gibst mir dein Wort, daß ihr mich wieder losbindet?«

»Ich verspreche dir, daß du sehr bald wieder frei sein und nicht das Mindeste von uns zu befürchten haben wirst.«

 

»So binde mich!«

Er streckte mir seine Hände hin. Halef nahm ihm seinen Gürtel ab und band ihm damit die Hände auf den Rücken.

»Nun warte hier bei diesen beiden,« sagte ich zu dem Hadschi. »Ich gehe, um die Gefährten zu holen.«

Barud el Amasat lag noch besinnungslos. Halefs Hieb war ein sehr kräftiger gewesen.

Ich ging auf demselben Weg zurück, welchen wir gekommen waren. Einen Grund, das Terrain hier noch weiter zu untersuchen, gab es nicht. Mein Verfahren mit Junak hatte nicht den gewünschten Erfolg gehabt. Es war meine Absicht gewesen, etwas Sicheres über den Schut und über Karanirwan-Khan zu erfahren. Zwar stand es mir noch jetzt frei, mit der Peitsche dieses Geständnis zu erzwingen, aber ich hatte doch keine Lust, dieses Mittel anzuwenden, und hoffte, auch ohne dasselbe meinen Zweck zu erreichen.

Ich suchte Sandar auf. Er lag noch still da; sein Puls war jedoch kräftiger geworden. Er mußte sich bald wieder erholen. Dann ging ich nach der Stelle, an welcher Bybar und Suef angebunden waren. Diese beiden befanden sich bei Bewußtsein. Als der Aladschy mich erblickte, schnaufte er grimmig durch die Nase, stierte mich mit blutunterlaufenen Augen an und machte eine gewaltige Anstrengung, von seinen Fesseln loszukommen – vergeblich.

»Gib dir keine Mühe!« sagte ich zu ihm. »Ihr könnt eurem Schicksal nicht entgehen. Es ist lächerlich, daß Menschen wie ihr, die kein Hirn im Kopf haben, sich einbilden, es mit einem fränkischen Effendi aufnehmen zu können. Ich habe euch bewiesen, daß eure Unternehmungen stets nur alberne Knabenstreiche waren. Ich glaubte, ihr würdet endlich einmal einsehen, wie dumm ihr seid; aber meine Nachsicht war vergeblich. Jetzt ist endlich unsere Langmut zu Ende, und ihr sollt das bekommen, was ihr für uns bestimmt hattet, den Tod. Ihr habt es nicht anders gewollt.«

Ich wußte, daß ich den Aladschy nicht schwerer kränken konnte als dadurch, daß ich ihn dumm nannte. Ein wenig Todesangst mochte ihm übrigens gar nichts schaden. Dann ging ich weiter, bis an den Felsenrand, von wo aus ich die Gefährten sehen konnte.

Osko bemerkte mich und rief herauf:

»Du bist's, Sihdi! Allah sei Dank! Da steht alles gut!«

»Ja. Binde den Konakdschi los, damit er heraufklettern kann. Du steigst hinter ihm her und bringst alles mit, was ihr an Riemen oder Schnüren bei euch habt. Omar mag bei den Pferden bleiben.«

Nach kurzer Zeit kamen beide herauf, der Konakdschi voran. Ich nahm ihn in Empfang, indem ich ihm den Revolver zeigte:

»Ich warne dich, einen Schritt ohne meine Erlaubnis zu tun. Du hast mir in allem augenblicklich zu gehorchen, sonst schieße ich dich nieder.«

»Warum, Effendi?« fragte er erschrocken. »Ich bin wirklich dein Feind nicht. Ich weiß von nichts und habe mich da unten ganz ruhig verhalten.«

»Keine unnützen Worte! Ich habe bereits in deinem Hause ganz genau gewußt, woran ich mit dir bin. Es ist dir nicht für einen einzigen Augenblick gelungen, mich zu täuschen. Jetzt hat das Spiel ein Ende. Vorwärts!«

Wir gingen bis zu der Bastei, wo Halef bei den beiden Gefangenen stand. Barud el Amasat befand sich bei Besinnung. Als der Konakdschi die Zwei erblickte, stieß er einen Ruf des Schreckens aus.

»Nun, ist das Junak oder nicht?« fragte ich ihn.

»Allah! Er ist es!« antwortete er. »Wie ist er hierher gekommen?«

»Ganz so wie du; er ist da vorn heraufgestiegen. Nimm Barud el Amasat auf, und trage ihn. Junak ist nicht an den Füßen gefesselt, er kann uns folgen. Vorwärts!«

Die Schurken mußten uns zu Bybar und Suef folgen. Die Blicke, welche da gewechselt wurden, waren mehr als sprechend; ein Wort aber ließ keiner fallen.

Osko hatte einige Riemen mitgebracht. Außerdem entledigten wir Barud el Amasat seines Kaftans und schnitten denselben mit dem Messer in lange Streifen, welche wir zu Stricken drehten, mit denen Barud und Junak angebunden wurden. Sodann verfügten wir uns zu Sandar, welcher soeben die Augen geöffnet zu haben schien. Er schnaufte wie ein wildes Tier und bäumte sich mit den Windungen einer Schlange gegen seine Fesseln auf.

»Sei ruhig, mein Liebling!« lachte Halef. »Wen wir einmal haben, den haben wir fest.«

Auch dieser Aladschy wurde dahin geschafft, wo sich die Andern befanden. Die betreffenden Bäume standen nahe beieinander, und die Gefangenen wurden so an die Stämme derselben befestigt, daß sie sich unmöglich losmachen konnten. Der Konakdschi, welcher bis dahin ohne Fesseln gewesen war, um die Andern tragen zu können, kam zuletzt an die Reihe.

Nun nahmen wir ihnen die Knebel ab, damit sie reden konnten; aber sie zogen es vor, sich stumm zu verhalten. Ich sah, daß Halef sich in Positur stellte, um ihnen eine Strafpredigt zu halten; ich unterbrach ihn aber mit der Weisung, alle Waffen der Gefangenen herbeizuholen.

Als dieselben beisammen lagen, bildeten sie ein ganz hübsches, kleines Arsenal.

»Diese Waffen sollten benutzt werden, uns zu töten,« sagte ich. »Jetzt sind sie unsere rechtmäßige Beute, mit der wir nach Belieben schalten dürfen. Wir werden sie vernichten. Schlagt die Kolben von den Flinten und Pistolen, und haut mit den Czakans die Läufe krumm!«

Niemand war schneller hiezu bereit, als Halef. Die Messer wurden zerbrochen, und endlich machte ich mit meinem Heiduckenbeil die Czakans der beiden Aladschy unbrauchbar. Es waren ganz unbeschreibliche Gesichter, mit denen die bisherigen Besitzer dieser Waffen der Zerstörung derselben zusahen. Sie schwiegen aber auch da, und nur Junak rief, als auch seine Flinte zerbrochen wurde:

»Halt! Die gehört ja mir!«

»Jetzt nicht mehr,« antwortete Halef.

»Aber ich bin ja euer Freund!«

»Und zwar der beste, den wir haben. Sei nur ohne Sorgen! Das Versprechen, welches der Effendi dir gab, wird gehalten.«

Und nun wendete er sich mit einer Miene an die Andern, welche mich abermals vermuten ließ, daß er im Begriff stehe, eine seiner berühmten Reden zu halten. Ich winkte ihm, mir zu folgen, und entfernte mich aus dem Gesichtskreise der Gefangenen.

»Herr, warum soll ich nicht zu ihnen sprechen?« fragte er.

»Weil es keinen Zweck hat. Wenn wir gehen, ohne ein Wort zu sagen, so lassen wir sie in größerer Angst zurück, als wenn wir eine große Rede halten.«

»Ah so! Wir gehen?«

»Und kehren nicht zurück.«

»Allah! Das ist stark! Soll ich mir nicht einmal das Vergnügen machen, ihnen zu sagen, für welche Menschen ich sie halte?«

»Das wissen sie bereits.«

»Aber sollen sie hier oben verhungern oder verschmachten? Sie können sich nicht selbst befreien. Und übrigens hast du Junak versprochen, daß er losgebunden werden soll! Willst du dein Wort nicht halten?«

»Doch! Habe nur keine Sorge! Der Köhler weiß sicher, wo sie sich befinden, und wird baldigst bemüht sein, sie aus ihrer Lage zu befreien.«

»Reiten wir zu ihm?«

»Ja. Also kommt!«

»Nur noch einen Augenblick, Sihdi! Ein Wort muß ich ihnen sagen, sonst bringt es mich um.«

Er eilte zu den Gefangenen zurück, und ich folgte ihm, um zu verhindern, daß er etwa eine Dummheit mache. Er stellte sich vor sie hin, warf sich in die Brust und sagte:

»Ich habe euch im Namen des Effendi und in meinem eignen zu verkünden, daß wir, bevor ihr festgenommen und hier angebunden wurdet, fünf Jarym okka (* Pfund.) Pulver unter diese beiden Bäume vergraben haben. Die lange Lunte liegt dabei, und wir werden sie, sobald es uns nachher gefällt, von weitem und ohne daß ihr es seht, anbrennen. Dann werden eure Glieder in alle Winde fliegen, und niemand wird darüber größere Freude haben, als ich, der ich bin der berühmte Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawuhd al Gossarah!«

Als er auf diese Weise seinem Herzen Luft gemacht hatte, kam er zurück und fragte:

»War das nicht gut, Effendi? Welche Angst werden die Wichte ausstehen, zu wissen, daß sie auf einer Pulvermine sitzen, welche in jedem Augenblick aufkrachen kann!«

»Nun, dein Mittel, diese Männer zu peinigen, ist nicht sehr geistreich ausgedacht. Mögen sie glauben oder nicht, daß du die Wahrheit gesagt hast, die Ungewißheit, in welcher sie sich befinden, ist auch bereits eine Strafe für sie.«

»Sie werden es glauben; ich bin es überzeugt.«

»Wenn wir sie töten wollen, so können wir es billiger tun als mit Verschwendung einer solchen Menge Pulvers, welches in dieser Gegend so selten ist. Ich bedaure sie, falls sie glauben, daß wir fünf Pfund Pulver bei uns tragen.«