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Der Oelprinz

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Die Finders entfernten sich nach zwei Seiten, um die Wagen zu umzingeln; Buttler aber blieb stehen. Schi-So überlegte einen Augenblick. Sollte er jetzt schnell fort, um Sam Hawkens Meldung zu machen? Nein. – Er hatte den Anführer so schön vor sich; wenn er ihn unschädlich machte, waren die übrigen dann viel leichter zu bewältigen. Er wartete also eine Minute, richtete sich dann hinter Buttler auf und versetzte ihm einen so kräftigen Kolbenhieb, daß der Getroffene laut los zusammenbrach. Er hätte ihn erstechen können, wollte aber kein Menschenleben vernichten. Der Aufenthalt in Europa und unter Christen war nicht ohne Wirkung auf ihn gewesen.

Er hing das Gewehr über und schlich davon, den Betäubten am Kragen hinter sich herschleifend. Er wußte genau die Stelle, an welcher sich Sam Hawkens mit den Soldaten befand. Es war ein Glück, daß dieser sich mit ihnen eine Strecke von dem Lager entfernt gehabt hatte; so konnten die Finders dieses einschließen, ohne auf die Verteidiger zu treffen.

Sam hatte Stone, Parker und dem Offizier einen Plan klar gemacht, bei dessen Ausführung alles Blutvergießen vermieden wurde und jede eigene Fährlichkeit ausgeschlossen war. In Beziehung auf die Ausführung desselben wurde nur noch auf die Rückkehr des Häuptlingssohnes gewartet. Da endlich kam dieser. Er zog einen dunklen Gegenstand hinter sich her und ließ ihn auf die Erde fallen. Als Sam dies sah, bückte er sich nieder, um den Gegenstand zu betrachten, und meinte erstaunt:

»Ein Mensch! Wie kommst du dazu? Ist er tot?«

»Nein, sondern nur betäubt,« antwortete Schi-So.

»Wer ist es?«

»Buttler.«

»Alle Teufel! Auf welche Weise ist er denn um die Besinnung gekommen?«

»Durch einen Kolbenhieb von mir.«

»Von dir? Da hast du einen großen Fehler begangen und meinen ganzen schönen Plan zu schanden gemacht! Wo befinden sich seine Leute?«

»Sie liegen rund um die Wagen.«

»Zounds! Hast du sie kommen sehen?«

»Ja.«

»Und es mir nicht gemeldet!«

»Es gab keine Zeit dazu. Ich konnte nicht hierher, sondern mußte ihnen folgen, um zu hören, was sie vorhatten.«

»Und hast du es gehört?«

»Ich habe es erfahren und dann Buttler niedergeschlagen.«

»Das hättest du nicht thun sollen! Mein Plan war so gut, ganz vortrefflich, und kann nun wahrscheinlich nicht ausgeführt werden. Erzähle schnell, wie das gekommen ist!«

Schi-So kam dieser Aufforderung in kurzen Worten nach. Als er geendet hatte, sagte Sam, und zwar in einem ganz andern Tone als bisher:

»Alle Wetter, hast du das gut gemacht! Ja, wenn es so steht, dann kann ich dich unmöglich tadeln; ich muß dich vielmehr loben. Nun werde ich, nämlich ich und nicht ihr Buttler, diesen Finders etwas vorzirpen, was sie in unsre Hände bringen wird. Bindet den Kerl an den Armen und Beinen und gebt ihm einen Knebel in den Mund, damit er nicht etwa laut werden kann, wenn er erwacht!«

Die Soldaten waren sofort bereit, dem Befehle Folge zu leisten. Während dies geschah, fragte der Lieutenant:

»Also Ihr wollt an Buttlers Stelle das Zeichen geben, Sir? Könnt Ihr denn so zirpen wie ein Heimchen, wie eine Grille?«

»Haltet Ihr das für so schwer?« gegenfragte Sam.

»Nein; aber ich könnte es nicht. Wie wird es gemacht?«

»Sehr einfach, mit Hilfe eines Grashalmes. Man legt die beiden Hände so zusammen, daß sie eine hohle Faust bilden, auf welche die Daumen nebeneinander zu liegen kommen. Klemmt man nun zwischen den Daumen einen Halm straff und bläst auf den letztem, so entsteht ein Ton, der ganz dem Zirpen eines Heimchens gleicht.«

»Das muß ich doch versuchen!«

»Habe nichts dagegen, Sir; nur bitte ich, diesen Versuch morgen oder nach zehn Jahren, nicht aber schon heut und hier zu machen, denn Ihr würdet uns die Burschen vertreiben, die wir fangen wollen.«

»Wieso?«

»Weil das richtige Zirpen nicht gleich beim erstenmal gelingt. Ihr würdet sehr wahrscheinlich einen Ton hervorbringen, ähnlich demjenigen, wenn man Buttermilch oder Syrup durch eine Klarinette bläst. Es will eben alles, selbst das Kleinste und Einfachste, gelernt sein.«

»Hm, es ist möglich! Aber was meint Ihr, was wir nun thun werden, da wir ganz anders zu handeln haben, als vorhin bestimmt worden ist?«

»Ich trete an Buttlers Stelle.«

»Das habt Ihr bereits gesagt. Aber wir?«

»Ihr macht euch hinter die Finders, je zwei von uns hinter einen von ihnen. Unsre Leute reichen dazu aus. Das muß aber äußerst vorsichtig geschehen, damit sie ja nichts davon merken. Wenn ich zirpe, avancieren sie, und ihr hinter ihnen her. Wenn ich dann das dritte Zeichen gebe, werden sie unter den Wagen hindurchkriechen wollen, aber dann von euch gepackt. Zwei gegen einen, das ist eigentlich gar nicht ehrenvoll; dennoch rate ich, sich nicht der Hände, sondern lieber der Gewehrkolben zu bedienen. Sie rasch niederschlagen, das ist das Einfachste und Sicherste; dabei wird keinem von uns ein Haar gekrümmt.«

»Es gibt etwas noch viel Einfacheres.«

»Was?«

»Nicht jeder Kolbenhieb ist tödlich. Darum denke ich, daß wir uns lieber unsrer Messer bedienen. Ein Stich, gut getroffen, ist allem andern vorzuziehen.«

»Fällt mir nicht ein, ist zu gefährlich! Wer hat Euch denn gesagt, daß den Kerls das Leben genommen werden soll? Eben deshalb und um sie nur zu betäuben, will ich nichts vom Schießen und vom Stechen wissen. Ich habe mich hundertmal meiner Haut zu wehren gehabt, wobei es mir sehr ernstlich an das Leben gegangen ist, wenn ich mich nicht irre, aber dabei doch nie vergessen, daß Menschenblut der kostbarste Saft ist, den es auf Erden gibt. Ich töte einen Menschen nur dann, wenn es keinen andern Ausweg gibt, also wenn es unbedingt notwendig ist.«

»Aber diese Halunken haben ihr Leben schon längst verwirkt!«

»Mag sein.«

»Sie müssen zertreten werden wie giftige Reptilien, gegen welche man sich nicht anders wehren kann!«

»Das ist Eure Ansicht, vielleicht die ganz richtige; ich aber bin weder ihr Richter noch ihr Henker.«

»Aber, Sir, wie könnt Ihr als Westmann so zartfühlend sein! Ihr habt doch gesagt, daß Ihr die Finders uns übergeben wollt?«

»Allerdings.«

»Wir werden sie also nach der Hauptstadt transportieren?«

»Natürlich.«

»Und was meint Ihr wohl, was dort mit ihnen geschehen wird?«

»Man wird ihnen Stricke um die Hälse binden und sie an denselben in die Höhe ziehen.«

»Das ist richtig; man wird sie hängen. Sie werden also sterben. Da ist es doch höchst gleichgültig, ob wir sie hier erstechen oder ob sie dort hingerichtet werden!«

»Mag sein. Aber Ihr rechnet das eine nicht, daß dort das Gesetz waltet, während sie hier noch nicht verurteilt sind. Nein, nein, wir fangen sie lebendig. Was dann in der Hauptstadt mit ihnen geschieht, das ist Eure Sache.«

»Hm, so will ich mich Euch fügen; also ganz wie Ihr wollt. Doch behaupte ich, daß diese Schurken eine solche Rücksicht nicht verdienen.«

Es wurde nun zur That geschritten. Die Soldaten teilten sich zu zweien; Stone, Parker und der Lieutenant übernahmen ihre Führung. Sie entfernten sich, um paarweise die Finders einzuschließen. Adolf Wolf blieb bei Buttler zurück, um ihn zu bewachen; Schi-So mußte Sam Hawkens nach der Stelle führen, an welcher er Buttler überwältigt hatte. Diese beiden letzteren bildeten also ein Glied im Ringe der Finders, während die Soldaten um denselben einen Kreis geschlossen hatten.

Als Sam sich sagte, daß diese Umschließung vollendet sei, klemmte er einen Grashalm zwischen die Daumen und ließ auf demselben das verabredete Zirpen hören. Hierauf avancierte er mit dem Häuptlingssohne nach der Mitte des Kreises und gab, an dem Wagen angekommen, das zweite Zeichen, worauf er eine Weile wartete. Da kam es zu beiden Seiten leise, leise herangekrochen. Lang ausgestreckt im Graseliegend, sahen die beiden die Finders sich wie Schlangen näher windend. Der Kreis hatte sich so verengt, daß man von einem Gliede desselben aus das andre leidlich erkennen konnte.

»Buttler, ich bin da,« flüsterte es von rechts herüber.

»Es geht alles gut,« raunte der andre links. »Verlier doch nicht die Zeit, sondern gib das Zeichen, denn wir sind alle da.«

Sam wendete sich rückwärts. Seine scharfen Augen sahen Dick Stone mit einem Soldaten hinter dem ersten Sprecher liegen; hinter dem zweiten warteten auch bereits zwei Militärs. Da zirpte er zum drittenmal und warf sich dann nach links auf den Finder, um diese beiden letzteren zu unterstützen, während der Häuptlingssohn nach rechts hin sprang; aber Schi-So brauchte gar nicht zu helfen, denn Dick Stone hatte den betreffenden Finder schon fest beim Kragen.

Man hörte Kolbenschläge und einige unterdrückte Schreie; dann war es rundum still.

»Hallo,« rief Sam mit lauter Stimme, »ist alles gut gegangen?«

»Alles,« antwortete Will Parker auf der andern Seite. »Wir haben sie.«

»So bringt sie hierher und brennt das Feuer wieder an, damit wir, wie es die Höflichkeit erfordert, ihnen unsre Gesichter zeigen können!«

Einige Minuten später lagen die gefangenen und gefesselten Finders innerhalb der Wagenburg; um sie herum saßen Sam, Dick, Will, der Lieutenant, Schi-So und Adolf Wolf, während die Soldaten fortgegangen waren, um ihre Pferde zu holen und mit diesen alle Personen, welche sich mit bei denselben befanden. Das Feuer loderte hell und hoch auf, so daß das Lager fast tageshell erleuchtet war.

Die Finders lagen nebeneinander und zwar jetzt mit offenen Augen. Es war keiner von ihnen erschlagen worden; sie hatten ihre Besinnung wieder; sie sahen und hörten also alles, was um sie her vorging, aber keiner von ihnen schien Lust zu haben, ein Wort zu sprechen, doch konnte man ihre Gefühle leicht aus den wütenden Blicken erraten, welche sie um sich warfen. Es hatte bisher noch niemand eine Frage an sie gerichtet. Sam

Hawkens wollte damit bis zur Rückkehr der Auswanderer warten, da diese es ja waren, gegen welche der beabsichtigte Ueberfall hatte unternommen werden sollen. Da hörte man von weitem eine jubillerende, weibliche Stimme rufen:

 

»We have them, we have them!«

Es war eine weibliche Stimme, die Ruferin kam näher, erreichte das Lager, kroch unter einer Deichsel hindurch, schoß auf Sam los und schrie ihn an:

»We have them, we have them!Heeßt das nicht: Wir haben sie, wir haben sie, Herr Hawkens?«

Es war die liebe Frau Rosalie Ebersbach, geborene Morgenstern, verwitwete Leiermüller. Sie war allen andern vorausgeeilt.

»Ja,« antwortete Sam. »So heißen diese englischen Worte, wenn man sie ins Deutsche übersetzt.«

»Also we have them, we have them, wir haben sie! Gott sei Dank. Was für eine Angst habe ich ausgestanden und was für eine Sorge habe ich gehabt! Ich wäre beinahe ausgerissen und wieder herzugekommen, um mit kämpfen, fechten und schtreiten zu helfen. Da aber kamen die Soldaten und sagten:

»We have them!« Was das in unsrer Mutterschprache zu bedeuten hat, das weeß ich ungefähr und bin offs schleunigste fortgerannt, um sie ooch mit zu haben. Das sind sie wohl, die dahier liegen?«

Sie deutete auf die Gefesselten.

»Ja, das sind sie,« antwortete der Gefragte.

»Aber, was is denn das? Die leben ja noch! Ich dachte, es würden nur ihre toten Leichen zu erblicken sein. Das will mir nich in den Kopp. Is das vielleicht mit Fleiß geschehen?«

»Allerdings.«

»Na, da is Ostern heuer off eenen Donnerschtag gefallen, anschtatt off eenen Sonntag, wie sich’s von Rechtswegen ganz von selbst verschteht! Wissen Sie denn nich, Herr Hawkens, daß uns diese Raubmörder und Wildschützen haben um unser Leben bringen wollen?«

»Das weiß ich allerdings.«

»Und Sie haben dieselben dennoch nich erschossen? Das is eene Edelmütigkeet, der ich unmöglich meine Billigung zu erteilen vermag. Wer umbringt, der muß wieder umgebracht werden; Ooge um Ooge, Backzahn um Backzahn; so schteht es in der Bibel und in allen Gesetzbüchern geschrieben!«

»Sind Sie denn wirklich ermordet worden, Frau Ebersbach?«

»Nee. Wie können Sie nur so fragen! Wenn ich umgebracht wäre, so schtände ich jetzt doch als Geist oder als Geschpenst vor ihnen, und ich hoffe, daß Sie mich nich für so etwas halten.«

»O nein, als Geist kommen Sie mir gar nicht vor. Also Auge um Auge, Zahn um Zahn. Sie sind nicht umgebracht worden; darum haben wir die Finders auch nicht umgebracht.«

»Aber sie wollten uns doch ermorden! Das is doch ganz dasselbe, als ob sie uns wirklich ermordet hätten!«

»Und ich wollte sie dafür erschießen lassen; das ist also ganz genau so, als ob sie wirklich erschossen worden wären.«

Sie sah ihn in komisch wirkender Betroffenheit an, schlug sich gegen die Stirn und bekannte offenherzig:

»Was für eene dumme Rosalie ich da gewesen bin! Laß mich da mit meinen eegenen Worten schlagen! Das is mir jetzt zum erschtenmale in meinem Leben vorgekommen, denn Sie können es mir off mein Ehrenwort glooben, daß ich gar nich so leicht zu schlagen bin, wie Sie zu denken scheinen. Wer es in Redensarten und Spitzfindigkeiten mit mir offnehmen will, der muß sehr schpät zu Bette gehen und morgens früh halb dreie wieder munter sein. Aber sagen Sie mir doch wenigstens, was nun mit dieser Rasselbande geschehen soll. Da Sie so schonungsvoll mit den Halunken verfahren sind, so möchte ich mir mit gutem Grunde die Frage erlooben, ob sie vielleicht gar eene Belohnung, eene Prämie oder so eene goldene Medallche bekommen sollen!«

»Was wir zu thun beabsichtigen, das werden Sie sehr bald erfahren.«

»Das hoffe ich. Bedenken Sie, daß ich zu den Persönlichkeeten gehöre, off die es abgesehen war! Wenn der Ueberfall gelungen wäre, so läge ich jetzt als ermordete und abgeschiedene Leiche off dem Schlachtfelde, und das Morgenrot thäte mir zum frühen Tode leuchten. Das erfordert Schtrafe; verschtehen Sie mich?«

»Die Strafe wird nicht ausbleiben, Frau Ebersbach; darauf können Sie sich verlassen. Damit aber soll nicht gesagt sein, daß wir die Schuldigen umbringen müssen. Wir sind Christen, und Sie gar sind eine Dame, eine Frau. Sie gehören zum zarten, schönen Geschlechte, welches auf Haß und Zorn verzichtet und in Liebe und Güte die Welt beherrscht. Ich bin überzeugt, daß auch in Ihrem Herzen die Milde wohnt, ohne welche selbst die schönste Frau ein häßliches Wesen ist.«

Der spaßhafte kleine Jäger hatte sich, indem er in dieser Weise sprach, nicht verrechnet. Frau Rosalie warf sich in die Brust und antwortete:

»Die Milde wohnt? Natürlich wohnt sie da! Ich habe noch een Herz, und was für eens. Es schmilzt wie Butter an der Sonne. Ich gehöre ooch zu dem schönen, zarten Geschlechte, von dem Sie reden, und will mit meiner Güte die Welt beherrschen. Es kommt zwar vor, daß der Mensch verkannt wird, und es hat schon oft Oogenblicke gegeben, wo meine Milde und Güte nich tief genug erforscht worden is, aber hier bei dieser Gelegenheit will ich öffentlich beweisen, daß mein schwaches Geschlecht schtark in der Verzeihung is. Sie sollen sich nich in mir geirrt haben, Herr Hawkens. Ich mag nischt von eener Beschtrafung dieser Mörderbande wissen; lassen Sie sie loofen?«

Sie hätte vielleicht noch länger gesprochen; da aber kamen die Soldaten mit ihren Pferden, um sich draußen vor den Wagen zu lagern, und mit ihnen die Auswanderer, welche den gefangenen Scout mitbrachten.

Nun ging es zunächst an ein sehr reges Fragen und Antworten, welches nicht eher aufhörte, als bis die Deutschen alles, was während ihrer Abwesenheit geschehen war, auf das genaueste erfahren hatten. Auch der Kantor hörte sehr aufmerksam zu, doch nicht, indem er still am Feuer saß wie die andern, sondern er befand sich dabei in fortwährender Bewegung. Er machte sich mit den Gefesselten zu schaffen, deren Lage ihm nicht zu passen schien. Er schob und zerrte bald an dem einen, bald an dem andern herum, zerrte und schob wieder und immer wieder, so daß Sam ihn endlich fragte:

»Was thun Sie denn da? Liegen diese Leute nicht richtig, Herr Kantor?«

Der Gefragte drehte sich zu ihm und antwortete in wichtigem Tone:

»Kantor emeritus, wenn ich bitten darf, Herr Hawkens! Es ist das nur der Vollständigkeit halber und damit keine Verwechselung vorkomme. Ja, Sie haben es erraten: die Gefangenen müssen ganz anders liegen.«

»Warum?«

»Ihre Gruppierung macht nicht den richtigen Effekt.«

»Effekt? Was haben wir hier mit Effekt zu schaffen?«

»Mehr als Sie denken. Es scheint Ihnen entweder noch nicht bekannt oder schon wieder entfallen zu sein, womit ich umgehe?«

Ohne augenblicklich an die sonderbare Manie des Kantors zu denken, fragte Sam unvorsichtig:

»Was könnte das sein?«

»Nichts andres als meine Oper. Ich gehe damit um, eine große Heldenoper von zwölf Akten zu komponieren und reise nur deshalb in dieser Gegend, um mir den Stoff zu derselben zu suchen. Eine Scene dazu, eine ganz vortreffliche Scene, habe ich hier gefunden, nämlich den “Chor der Mörder”. Sie liegen am Boden und singen ein doppeltes Sextett. Dazu ist aber eine ganz andre Gruppierung notwendig, als diejenige, welche Sie ihnen gegeben haben. Ich studiere dieselbe jetzt und werde sie mir notieren, sobald ich sie gefunden habe. Sie dürfen versichert sein, daß ich mich in acht nehme, den Leuten dabei nicht wehe zu thun!«

»Was das betrifft, so stoßen Sie nur immer herzhaft zu. Kerls, wie diese sind, braucht man nicht mit seidenen Handschuhen anzugreifen.«

Daraufhin fuhr der Heldenkomponist in seiner Beschäftigung fort und zwar so energisch und nachhaltig, daß Buttler endlich das bisher beobachtete Schweigen brach und zornig zu Sam hinüberrief:

»Sir, was hat nur dieser Mann immer und fortwährend mit uns zu schaffen? Sorgt doch endlich dafür, daß er uns in Ruhe läßt! Wir sind keine Spielpuppen, an denen man nach Belieben zerren und ziehen kann!«

Sam hielt es nicht der Mühe wert, zu antworten, darum fuhr Buttler nach einer Weile fort:

»Ich muß überhaupt fragen, mit welchem Rechte ihr uns überfallen und niedergeschlagen habt!«

»Fragen?« lachte der Kleine. »Ich denke, ihr braucht da keine Auskunft und könnt euch die Antwort selbst erteilen.«

»Wieso? Wir haben keine Ahnung eines Grundes, in dieser Weise behandelt zu werden. Wir sind als friedliche Reisende gekommen und haben euer Feuer gesehen. Da wir nicht wußten, wer an demselben lagerte, schlichen wir uns, wie sich das ganz von selbst versteht, heimlich heran, um uns zu unterrichten. Dabei sind wir heimtückisch niedergeschlagen worden. Wir verlangen, sofort freigelassen zu werden!«

»Verlangt das immerhin; ich habe nichts dagegen. Wünsche haben kann jeder Mensch; aber ob dieselben in Erfüllung gehen, das ist eine ganz andre Sache. Frei werdet ihr sein oder vielmehr hängen, nämlich morgen in Tucson, an einem schönen starken Pfahle.«

»Wenn ihr Witze machen wollt, so macht bessere als dieser ist! Es ist kein Spaß, sich an ehrlichen Leuten zu vergreifen, und da ihr von Tucson redet, so könnte es sehr leicht geschehen, daß ihr selber es seid, die dort aufgehängt werden. Oder ist es euch vielleicht unbekannt, wie hierzulande Menschen behandelt werden, welche nachts über andre, ehrliche Leute herfallen?«

»Ehrlich? Hihihihi! Eure Ehrlichkeit haben wir in San Xavier del Bac kennen gelernt!«

»Was dort geschah, gehört nicht hierher. Ich meine, die Sache liegt heute klar: wir wollten sehen, wer hier lagert, und sind dabei überfallen worden.«

»Hm! Ihr wußtet also nicht, wen ihr hier treffen würdet?«

»Nein.«

»Und seid uns doch seit San Xavier auf Schritt und Tritt gefolgt!«

»Das ist Lüge!«

»Und habt bis vorhin da hinten in den Felsen gesteckt, um nur zu warten, bis unser Feuer verlöschen würde!«

»Wozu?«

»Um uns zu überfallen.«

»Wieder Lüge, ganz gemeine, erbärmliche Lüge!«

Da erhob sich Sam vom Feuer, trat zu ihm hin, fuhr ihn an:

»Sprecht ja nicht von erbärmlich und gemein, sonst laß ich Euch den Rücken bläuen, daß es Euch schwarz vor allen Augen wird! Ich heiße Sam Hawkens; versteht Ihr mich: da sitzen Dick Stone und Will Parker. Man pflegt uns das “Kleeblatt” zu nennen. Abermals verstanden? Meint ihr, daß ihr die Kerls dazu seid, solchen Westmännern etwas weiß zu machen? Und wer uns gar mit “gemein” und “erbärmlich” kommt, den werfen wir in die Luft, daß er droben in den Wolken hängen bleibt!«

Buttler schien auf einmal die Sprache verloren zu haben. Sam Hawkens fügte hinzu:

»Ich selbst war heute bei euch, habe euch dort bei den Steinen belauscht und jedes Wort gehört. Ihr seid die Finders, doch brauchte ich das nicht erst heute zu erfahren, denn ich habe es schon in San Xavier gewußt.«

Da stieß Buttler erschrocken hervor:

»Heavens! Die Finders! Welch ein Gedanke, uns mit diesen zu verwechseln! Wer hat Euch das weiß gemacht, Sir?«

»Ihr selbst. Ich habe gute Ohren.«

»O, selbst die schärfsten Ohren können sich irren und falsch verstehen!«

»Meint Ihr? War es vielleicht auch falsch verstanden, als Ihr vorhin gefragt wurdet, was aus den Frauen und Kindern werden solle, die sich bei uns befinden?«

»Ich weiß nichts davon.«

»Daß sie auch ausgelöscht werden sollten, um euch nicht etwa später verraten zu können?«

»Habe keine Ahnung davon!«

»Auch nicht davon, daß ihr die Beute teilen und die Wagen dann verbrennen wolltet?«

»Nein.«

»So besitzt Ihr ein außerordentlich schwaches Gedächtnis, dem man aber in Tucson nachhelfen wird.«

Da ergriff auch der Offizier, und zwar zum erstenmal, das Wort, indem er Sam aufforderte:

»Verschwendet Eure Worte nicht an diesen Menschen, Sir! Er mag leugnen, wie er will, es wird ihm doch nichts nützen. Es ist er-

wiesen, daß sie die Finders sind, und so werden sie morgen baumeln.«

»Wird dazu nicht unser Zeugnis nötig sein?« erkundigte sich Dick Stone.

»Nein. Ihr gedenkt mit den Wagen weiter zu fahren, und ich will Euch nicht aufhalten, oder gar wieder nach Tucson zurückschleppen. Ihr habt mir gesagt, was zu sagen war; das ist grad so gut, als ob es vor Gericht geschehen sei. Beweise haben wir mehr als genug, und so ist gar kein Zweifel darüber möglich, daß diese Gegend endlich einmal von dieser Bande, der wir so lange vergeblich nachgestellt haben, gesäubert wird. Ich gebe Euch mein Wort, daß sie alle hängen werden.«

Auf weiteres Reden wurde verzichtet. Man stellte die für nötig gehaltenen Wachen aus und legte sich dann schlafen. Einer der Soldaten hatte bei den Gefangenen zu sitzen, um dieselben nicht aus den Augen zu lassen.

Der gefesselte Scout war zu den Finders gesellt worden und ganz zufälligerweise neben Buttler zu liegen gekommen. Diese beiden hatten bisher kein Wort mit einander gewechselt, obgleich es gar nicht schwer war heimlich zu sprechen, da diese Leute sehr eng zusammenlagen. Später, als alles schlief und der Scout bemerkte, daß der Wächter wahrscheinlich nur darauf zu sehen hatte, daß keiner der Gefangenen sich von den Banden befreie, stieß er Buttler mit dem Ellbogen an und flüsterte ihm zu:

 

»Schlaft Ihr, Sir?«

»Nein,« lautete die Antwort. »Wer soll unter solchen Umständen schlafen können?«

»So dreht Euch zu mir herum! Ich habe mit Euch zu sprechen.«

Buttler folgte dieser Aufforderung und erkundigte sich sodann:

»Ihr waret doch der Führer dieser Halunken. Wie kommt es, daß man Euch Euren Lohn in dieser Weise gegeben hat?«

»Weil man mich in dem Verdacht hatte, gemeinschaftliche Sache mit euch machen zu wollen.«

»Das war aber doch nicht wahr?«

»Erst allerdings nicht; die Absicht kam mir dann später. Ich heiße Poller, Sir, und möchte, daß Ihr Vertrauen zu mir habt. Es steht hundert gegen eins zu wetten, daß Ihr verloren seid; ich aber möchte Euch gern retten.«

»Ist das Euer Ernst?«

»Ja; ich schwöre es Euch zu. Diese Kerls haben mich schwer beleidigt und ich bin nicht der Mann, dies ungerächt hingehen zu lassen. Allein kann ich nichts machen. Wenn Ihr mir aber helfen wollt, so sollen sie sicher und gewiß ihren Lohn haben.«

»Helfen? Hier kann niemand helfen, weder Ihr mir, noch ich Euch.«

»Denkt das nicht! Ich bin überzeugt, daß sie mich morgen freigeben. Man wird euch auf die Pferde binden und nach Tucson transportieren. Ich werde euch folgen; darauf gebe ich Euch mein Wort!«

»Bin Euch dankbar, Sir! Kann mir aber nichts nützen. Es wird mir unmöglich sein, fortzukommen.«

»Pshaw! Habe da einen guten Gedanken. Steht Ihr etwa so fest zu Euren Leuten, daß ihr nicht frei sein wollt, ohne daß auch sie loskommen?«

»Unsinn! Jeder ist sich selbst der Nächste. Wenn ich nur mich rette, so mögen sie immerhin baumeln.«

»Well, dann sind wir eins. Sagt ihnen, daß sie sich während des Rittes so stellen sollen, als ob der Kolbenhieb, den jeder bekommen hat, schlimme Nachwehen habe. Taumelt auf dem Pferde hin und her; stellt Euch so schwach wie möglich. Es sollte mich wundern, wenn dieser Lieutenant nicht einmal halten ließe, damit Ihr Euch erholen könnt. Da muß man Euch die Fesseln von den Füßen nehmen. Dann könnt Ihr Euch, selbst wenn die Hände dann zusammengebunden bleiben, rasch des schnellsten Pferdes bemächtigen und davon reiten, natürlich zurück, wo ich Euch erwarte. Man wird überrascht sein und Euch nicht gleich folgen; dadurch bekommt Ihr Vorsprung. Kommt uns dann später einer nahe, so habe ich meine gute Büchse und schieß ihn vom Pferde herunter.«

Buttler antwortete nicht gleich; er überlegte und sagte erst nach einer längeren Weile:

»Euer Vorschlag ist der einzige, welcher helfen kann; ich werde ihn befolgen. Komme ich wirklich frei, dann dreimal wehe diesem “Kleeblatte” und allen diesen Deutschen! Wir wollen zusammenhalten, Master Poller.«

Hiermit war das heimlich geführte Gespräch, von welchem der Wächter nichts bemerkt hatte, beendet. Buttler fühlte sich einigermaßen beruhigt und schlief dann sogar ein.

Zu erwähnen wäre noch, daß Sam einige Soldaten unter der Führung des Häuptlingssohnes nach dem Lagerplatze der Finders gesandt hatte, um sich der dort zurückgebliebenen Pferde und ihres Wächters zu bemächtigen, was auch gelungen war.

Kaum graute der Morgen, so stand man vom Lager auf. Erst wurde von den Vorräten, welche die Kavalleristen mitgebracht hatten, ein kurzes Frühstück gehalten, und dann erklärte der Lieutenant, mit seinen Gefangenen aufbrechen zu wollen. Er ließ sie auf ihre Pferde binden; die gefesselten Hände blieben ihnen vorn, damit sie die Zügel zu führen vermochten. Während dies geschah, rief der Scout Sam Hawkens an:

»Und was soll mit mir geschehen? Soll ich etwa als Gefangener hier gefesselt liegen bleiben?«

»Nein,« antwortete Sam. »Ich wollte Euch bloß für diese Nacht sicher halten; nun es Tag geworden ist, könnt Ihr reiten, wohin Ihr wollt.«

»Well; so gebt mich frei!«

»Nur keine Ueberstürzung, mein sehr verehrtester Master Poller! Ich kalkuliere, daß Ihr Euch an uns rächen wollt und uns vielleicht zu diesem Zwecke folgen werdet; ich werde Euch also dadurch unschädlich machen, daß ich Eure Waffen zurückbehalte.«

»Ich protestiere! Das wäre Diebstahl, Raub!«

»Pshaw! Nennt es, wir Ihr wollt; es wird durchaus nicht anders.«

Poller wurde von seinen Banden befreit, setzte sich wetternd und schimpfend auf sein Pferd und ritt westwärts davon, um später unbemerkt in die Richtung nach Tucson umzulenken. Dann, nachdem der Lieutenant Abschied genommen hatte, machte er sich mit seinen Soldaten und Gefangenen ostwärts auf den Weg. Nun, da die vielen Menschen fort waren und man wieder an den Einzelnen denken konnte, bemerkte Sam Hawkens, daß der Kantor fehlte. Schon sollten Boten nach ihm ausgesandt werden, da sah man ihn kommen, langsam und wie zornig gestikulierend, von Westen her. Als er das Lager erreichte, fuhr Sam ihn heftig an:

»Wo laufen Sie schon wieder herum? Was haben Sie da draußen zu suchen?«

»Einen Triumphmarsch,« antwortete der Musikenthusiast, welcher ziemlich echauffiert aussah.

»Triumphmarsch? Sind Sie toll?«

»Toll? Wie kommen Sie zu einer so beleidigenden Frage, werter Herr? Wir haben ja gesiegt; wir haben die Feinde gefangen genommen, und darum bin ich fortgegangen, um in der Einsamkeit das Motiv zu einem Sieges- und Einzugsmarsch zu finden.«

»Dummheit! Sie sollen sich nicht so da draußen herumtreiben; es ist das ein Fehler, den ich nicht dulden darf!«

»Fehler? Erlauben Sie gütigst! Ein jünger der Kunst begeht keinen Fehler; den hat vielmehr der Scout begangen.«

»Der Scout? Wieso?«

»Ich war eben im schönsten Komponieren, da kam er auf mich zugeritten und nahm mir alle meine Waffen ab; nur den Säbel hier hat er mir gelassen; er könne ihn nicht brauchen.«

»Donnerwetter!« fuhr da Sam Hawkens auf. »Dachte es mir doch! Ich schicke den Burschen ohne Waffen fort und Sie laufen extra hinaus ins Weite, um ihm dafür die Ihrigen zu überlassen!«

»Ueberlassen! Ist mir nicht eingefallen. Genommen hat er sie mir und und mir als Bezahlung zwei – zwei – ich darf es gar nicht sagen, gegeben.«

»Sagen Sie es nur! Ich muß es wissen.«

»Deutsch bring ich es nicht heraus. Lateinisch wird es Colaphus genannt.«

»Colaphus ist Ohrfeige. Also zwei Ohrfeigen haben Sie von ihm bekommen?«

»Ja, und was für welche! Fortissimo!«

»Das war die beste That, die dieser Mensch in seinem Leben begangen hat!«

»Bitte, bitte, wertester Herr Hawkens! Ein Komponist und Musenjünger, dem man zwei so gewaltige Maulschellen gibt, der – —«

»Der hat sie verdient, und auch noch einige dazu!« fiel Sam ihm in die Rede. »Ich werde Sie viel, viel schärfer im Auge behalten als bisher. Machen Sie sich jetzt zum Aufbruche fertig; wir fahren weiter!«

Eine Stunde später setzte sich der Wagenzug in Bewegung. Voran ritt Sam Hawkens, welcher an die Stelle des bisherigen Führers getreten war. —

Buttler war fest entschlossen, den Rat des Scouts zu befolgen; er kannte sonst keinen andern Weg, der zur Rettung führen konnte.

Also Unwohlsein heucheln! Er hatte dies heute gleich nach seinem Erwachen seinen Leuten mitgeteilt, sie aber gewarnt, damit nicht etwa zu früh zu beginnen, da dies Verdacht erregt hätte. Darum stellte er sich erst dann, als ungefähr die Hälfte des Weges zurückgelegt worden war, angegriffen, fuhr sich mit den gefesselten Händen nach dem Kopfe und stöhnte dabei. Dem Lieutenant mußte dies auffallen; er erkundigte sich nach der Ursache und erhielt zur Antwort, daß der gestrige Kolbenhieb das Gehirn erschüttert haben müsse. Buttler wurde schwächer und schwächer; er begann im Sattel zu wanken, so daß er rechts und links je einen Kavalleristen bekam, die ihn stützen mußten. Als dieselbe Schwäche sich dann auch noch bei einigen andern Gefangenen zeigte, wurde der Offizier besorgt und gab den Befehl zu halten und abzusitzen. Natürlich stiegen die Soldaten zuerst ab, um dann den Finders die Riemen, mit denen sie an die Pferde befestigt waren, von den Beinen zu nehmen. Buttler war der erste, mit dem dies geschah; er wurde vom Pferde gehoben und sank sofort auf die Erde nieder. Infolge dieser sehr großen Schwäche glaubte man, für ihn keine besondere Aufmerksamkeit nötig zu haben, und wendete diese vielmehr seinen Leuten zu. Das beabsichtigte er. Er hatte gesehen, daß das Pferd des Lieutenants das beste von allen war; es stand abseits ledig, denn der Offizier war natürlich auch abgestiegen. Während die Kavalleristen also für Buttler keinen Blick der Beobachtung hatten, sprang er plötzlich auf, schnellte zu dem Pferde hin, warf sich trotz seiner zusammengebundenen Hände in den Sattel, ergriff die Zügel und jagte davon – westwärts, weil er dort von dem Scout erwartet wurde.