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Der Oelprinz

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»Uff! uff!« rief Mokaschi betroffen aus. »Old Shatterhand und Winnetou haben auf dem Steine gelegen, an welchem wir saßen?«

»Ja. Wir hörten zu, als ihr berietet, wie ihr uns hier überfallen wolltet. Warum macht ihr euch Männer zu Feinden, von denen ihr wißt, daß sie sich vor allen Kriegern eures ganzen Stammes nicht fürchten?«

Da legte Mokaschi sein Gewehr auf die Erde nieder und sagte:

»Der große Manitou ist gegen uns gewesen; er hat nicht gewollt, daß wir siegen sollen. Old Shatterhand oder Winnetou mag her zu mir kommen, um mit mir zu kämpfen. Welcher von uns beiden den andern tötet, dessen Stamm soll als Sieger gelten.«

»Was für Worte höre ich da aus deinem Munde! Willst du ein Spottgelächter zur Antwort haben? Soll es heißen, daß Mokaschis Worte wie die Rede eines Kindes oder wie das Geplapper eines alten Weibes klingen? Glaubst du, Winnetou oder mich besiegen zu können? Hast du jemals vernommen, daß einer von uns beiden einmal einem Feinde unterlegen sei? Dein Vorschlag kann an eurem Schicksale, an eurem Untergange nichts ändern. Du würdest unbedingt besiegt und mit dir wären alle deine Krieger verloren.«

»So sterben sie mit mir!«

»Das kann ebenso gut ohne einen Zweikampf zwischen dir und mir geschehen,« antwortete Old Shatterhand auf Mokaschis Aeußerung. »Ihr seid von allen Seiten eingeschlossen. Ihr seid verloren, sobald der Kampf beginnt. Wie kannst du es da einem von uns zumuten, mit dir zu kämpfen und das Schicksal zweier Stämme von dem Ausgange dieses Kampfes abhängig zu machen! Was einmal mir gehört, brauche ich mir doch nicht erst noch zu erwerben. Der Sieg gehört uns; wozu soll ich mir ihn erst noch extra erkämpfen?«

»So willst du nicht mit mir ringen?«

»Nein, denn ich müßte dich töten, und das will ich nicht.«

»Ich werde doch ohnedies und trotzdem sterben, denn du hast selbst gesagt, daß deine erste Kugel mir gelten werde.«

»Ja, falls es zum Kampfe kommt; ich meine aber, daß es weit besser sei, ihn zu vermeiden.«

»Wie soll er vermieden werden? Etwa dadurch, daß wir uns euch auf Gnade ‘oder Ungnade ergeben?«

»Nein, denn so ergeben sich tapfere Männer nicht, und die Nijoras sind ja tapfere Krieger. Kennst du Old Shatterhand und Winnetou so wenig, daß du uns ein solches Verlangen zutraust, dessen Erfüllung euch und allen euren Nachkommen immerwährende Schande bereiten müßte?«

Da holte Mokaschi tief und erleichtert Atem und fragte.

»Wie soll es denn sonst möglich sein, den Kampf zu vermeiden, ohne daß unsre Weiber und Kinder mit Fingern auf uns zeigen und uns verhöhnen?«

»Das wollen wir beraten. Mokaschi und Nitsas-Ini mögen hierher zu mir und Winnetou kommen. Mokaschi mag seine Waffen mitbringen, denn er hat sich noch nicht ergeben und muß als freier Mann gelten. Aber eure und unsre Krieger behalten genau ihre jetzigen Stellungen bei, bis unsre Beratung zu Ende ist.«

»Kann diese Beratung nicht hier bei mir abgehalten werden?«

»Das könnte sie wohl; aber du wirst zugeben, daß wir uns im Vorteile befinden und es also für richtiger halten, daß du zu uns kommst.«

»Als freier Mann und Krieger?«

»Ja.«

»So werde ich kommen.«

Er nahm sein Gewehr wieder von der Erde auf und kam auf Old Shatterhand zugeschritten; bei ihm angekommen, setzte er sich mit der würdevollen Haltung eines Häuptlings nieder. Der weiße Jäger nahm neben ihm Platz, Winnetou ebenso. Nitsas-Inikam auch. Er mußte durch die Nijoras hindurch. Sie machten ihm Platz. Er bekam da manchen finstern Blick, aber keiner wagte es, ihn feindlich zu berühren oder auch nur ein unfreundliches Wort zu sagen. Als er sich zu den andern gesetzt hatte, wurde auch noch Wolf herbeigewinkt, der bei den Navajos im Ansehen eines Häuptlings stand.

Nun hätte die Beratung beginnen können, denn diejenigen, auf welche es ankam, waren beisammen. Aber sie saßen nach Indianerart wohl eine Viertelstunde da, ohne daß ein Wort gesprochen wurde. Jeder war mit seinen Gedanken beschäftigt. Old Shatterhand und Winnetou richteten ihre Augen forschend auf die drei andern, als ob sie ihre geheimsten Gedanken erraten wollten; dann tauschten sie einen kurzen Blick miteinander aus. Sie verstanden sich auch ohne Worte. Dann war Winnetou der erste, welcher sprach, doch nur indem er die kurze Frage aufwarf:

»Hier sitzen fünf Krieger zur Beratung. Welcher von ihnen soll reden?«

Wieder eine Zeitlang tiefes Schweigen; dann antwortete Nitsas-Ini:

»Unser Bruder Old Shatterhand hat kein Blut gewollt; er mag sprechen!«

»Howgh!« sagten die andern, um ihre Zustimmung auszudrücken.

Old Shatterhand wartete, damit seine Worte dann größeres Gewicht haben möchten, auch eine kleine Weile; dann begann er:

»Meine Brüder wissen, daß ich ein Freund der roten Männer bin. Dem Indsman gehörte das ganze Land von einem Meere bis zum andern; da kam der Weiße und nahm ihm alles und gab ihm dafür seine Krankheiten. Der Indianer ist ein armer, kranker Mann geworden, welcher sehr bald sterben wird. Der Weiße ist sein Feind und hat ihn am meisten dadurch besiegt, daß er Unfrieden unter die roten Völker warf und einen Stamm gegen den andern aufhetzte. Die roten Männer waren so unklug, dies geschehen zu lassen, und sind selbst bis auf den heutigen Tag nicht klüger geworden. Sie reiben sich untereinander auf und könnten doch heut noch Großes erreichen, wenn sie den gegenseitigen Haß fallen ließen und unter sich das wären, was sie sein sollen und wozu sie geboren sind, nämlich Brüder. Habe ich recht?«

»Howgh!« ertönte es rundum.

»Ja, ich habe recht, denn daß es so ist, wie ich sage, beweisen auch die zwei Stämme, welche sich feindlich hier gegenüberstehen. Mein Bruder Nitsas-Ini mag mir sagen, zu welchem großen Volke der Stamm der Navajos gehört!«

»Zum Volke der Apachen,« antwortete der Genannte.

»Und auch Mokaschi mag mir sagen, zu welchem Volke die Nijoras gehören!«

»Auch zu den Apachen,« antwortete der dazu Aufgeforderte.

»Da sehen meine Brüder, wie wahr ich gesprochen habe. Die Nijoras und die Navajos gehören nicht nur zur Rasse der roten Männer, sondern sind sogar Kinder eines einzelnen Volkes derselben. Sie sollten sich lieb haben, sich unterstützen und Seite an Seite miteinander gegen ihre gemeinschaftlichen weißen Feinde kämpfen. Statt dessen aber befehden sie sich gegenseitig und arbeiten ihrem Feinde in die Hände. Mein Bruder Nitsas-Ini mag mir sagen, weshalb er gegen die Nijoras ausgezogen ist!«

»Weil sie das Kriegsbeil gegen uns ausgegraben haben.«

»Gut. So mag mir nun auch Mokaschi sagen, weshalb er seine Krieger gegen die Navajos geführt hat!«

»Weil sie das Kriegsbeil gegen uns ausgegraben haben.«

»Merkt ihr da nicht, was ich sagen will? Ich wollte die Gründe eures Streites hören, und ihr habt keinen nennen können, sondern nur die Thatsache angegeben, daß die Kriegsbeile gegenseitig ausgegraben worden sind. Ist das nicht genau wie bei kleinen Kindern, welche einander bei den Haaren raufen, ohne daß sie eine triftige Veranlassung dazu haben? Wollt ihr als Kinder gelten? Soll man über euch wie über Kinder lächeln, über euch, die ihr geachtet und gefürchtet wäret, wenn ihr fest und treu zusammenhieltet? Ihr seid gegeneinander gezogen, um euch zu bekämpfen, euch zu vernichten, und es ist gut, daß eure besten Freunde, nämlich Winnetou und ich, dazugekommen sind, um euch zu sagen, was ihr eigentlich von selbst wissen solltet.«

Er ließ eine Pause eintreten, um seine Worte wirken zu lassen, und fuhr dann fort:

»Mein roter Bruder Nitsas-Ini ist nicht nur ein berühmter, tapferer Krieger, sondern auch ein umsichtiger und kluger Beherrscher seines Stammes. Er hat eingesehen, daß der rote Mann sterben muß, wenn er so bleibt, wie er jetzt ist. Darum hat er weise Entschlüsse gefaßt und sie auch ausgeführt. Er hat eine weiße Squaw genommen, die er liebt und der er vieles, sehr vieles verdankt, was er sonst nicht kennen und nicht haben würde. Er hat seinen Sohn über das Meer gesandt, damit dieser dort lernen möge, wie man aus einer Wüste ein fruchtbares Land macht. Er weiß, daß der Krieg nur Unheil bringt und das Glück nur im Frieden zu erlangen ist. Sollte er sich plötzlich geändert haben? Sollte er heut das Blut seiner roten Mitbrüder wünschen?«

»Uff, uff! Ich will es nicht!« rief der Navajo aus.

»Das habe ich gewußt und gedacht. Wenn es anders wäre, so möchte ich nicht länger dein Freund und Bruder sein. Wie aber steht es mit Mokaschi, dem Häuptlinge der Nijoras? Er ist ausgezogen zum Kampfe, ohne einen rechten Grund dazu zu haben, und hat keinen einzigen Vorteil über seine Feinde errungen. Er muß sogar, wenn er seinen Mund die Wahrheit sprechen läßt, zugeben, daß er sich in diesem Augenblicke in einer sehr gefährlichen Lage befindet. Wird er mir das eingestehen?«

»Howgh!« nickte Mokaschi, welcher einzusehen begann, welche außerordentlich friedlichen Absichten Old Shatterhand verfolgte.

»Und wird ein kluger Mann, wenn er mitten in solchen Gefahren steckt, noch immer den Tod seiner Gegner wünschen, die doch sein Leben in ihren Händen haben?«

»Nein.«

»Wohlan, so sind wir ja ganz gleicher Meinung. Weder Nitsas-Ini noch Mokaschi wünschen die Fortsetzung der Feindseligkeit. Es handelt sich also nur noch darum, welches Blut bisher geflossen ist und welche Rache dafür genommen werden soll. Hat Mokaschi einen Mann von seinen Kriegern verloren?«

»Nein.«

»Hat er also Rache an den Navajos zu nehmen?«

»Nein.«

»So frage ich nun dasselbe auch meinen Bruder Nitsas-Ini.«

»Khasti-tine und sein Begleiter, einer der beiden Kundschafter, sind getötet worden,« meinte dieser ernst.

»Von den Nijoras?«

»Nein, sondern von dem Bleichgesichte, welches sich Oelprinz nennt.«

»Hast du den Tod dieser beiden Krieger also an den Nijoras zu rächen?«

»Nein.«

»Also auch hierin steht ihr euch gegenseitig gleich. Die Ungleichheit besteht nur darin, daß die Nijoras jetzt so eingeschlossen sind, daß ihr Blut fließen würde, falls es zum Kampfe käme; Nitsas-Ini hat aber erklärt, daß er kein Blut vergießen will. Eine weitere Ungleichheit besteht darin, daß Mokaschi acht Krieger der Navajos gefangen hat. Soll das nicht gegenseitig ausgeglichen werden? Die Nijoras geben die Gefangenen heraus und die Navajos lösen die Umschlingung, in welcher sich die Nijoras befinden. Dann werden die Schlachtbeile eingegraben. Ich hoffe, daß meine Brüder auf diesen Vorschlag eingehen; darum thue ich das, was ihr jetzt sehen werdet.«

 

Er nahm den Tabaksbeutel vom Gürtel und die Friedenspfeife von der Schnur, an welcher sie an seinem Halse hing, stopfte sie und legte sie vor sich hin. Dann fragte er Mokaschi:

»Ist der Häuptling der Nijoras mit meinem Vorschlage einverstanden?«

»Ja,« antwortete dieser, innerlich sehr froh, auf so billige Weise aus der Gefahr, ja vom beinahe sicheren Untergange errettet zu werden.

»Und was sagt der Häuptling der Navajos dazu?«

Dieser stimmte nicht sofort ein, sondern meinte:

»Mein Bruder Old Shatterhand hat mehr für die Nijoras, als für die Navajos gesprochen.«

»Wieso?«

»Sie befinden sich in unsrer Gewalt, und es ist kein Vorteil für sie, daß sie acht Gefangene gemacht haben, denn diese Gefangenen sind schon jetzt so gut wie wieder in unsern Händen. Ich brauche nur einige meiner Krieger hinauf in das Lager der Nijoras zu senden, um diese Gefangenen loszubinden. Sag also, ob du gerecht gegen uns gesprochen hast!«

»Ja, denn ich frage dich, wem du die gute Lage, in welcher ihr euch befindet, zu verdanken hast?«

»Dir und Winnetou,« antwortete Nitsas-Ini aufrichtig und der Wahrheit gemäß. Er war ein ehrlicher Mann.

»Ja, uns verdankst du sie. Ich sage das nicht, um mich zu rühmen, sondern um dich zu bewegen, billig gegen die Nijoras zu sein. Was sagt mein Bruder Winnetou zu meinem Friedensvorschlage?«

»Es ist so, als ob ich selbst deine Worte gesprochen hätte,« antwortete der Apache.

»Und Mai-tso, der Wolf?«

»Ich bin ganz der Meinung Winnetous,« stimmte dieser bei.

»So hat nur Nitsas-Ini noch sein Wort zu sagen.«

Der Genannte überflog die Aufstellung seiner Leute und diejenige der Feinde mit einem langen Blicke. Es that ihm wohl leid, auf den großen Vorteil, in welchem er sich befand, so ohne weiteres verzichten zu müssen; aber der Einfluß, welchen seine weiße Squaw nach und nach über ihn gewonnen hatte, machte sich auch jetzt geltend; er war aus einem wilden Indianer ein friedliebender und einsichtsvoller Häuptling seines Stammes geworden. Er zögerte zwar noch einige Augenblicke, erklärte dann aber doch:

»Mein Bruder Old Shatterhand mag recht behalten. Die Nijoras sollen nicht länger umzingelt sein.«

»Und du bist bereit, das Calumet mit Mokaschi zu rauchen?«

»Ja.«

Da stand Old Shatterhand auf, wendete sich gegen die Indianer und rief mit lauter Stimme:

»Die Krieger der Navajos und Nijoras mögen ihre Augen hierher richten, um zu sehen, was ihre Häuptlinge beschlossen haben.«

Er versetzte den Tabak in Brand und gab Nitsas-Ini die Pfeife. Dieser erhob sich, that sechs Züge aus der Pfeife, blies den Rauch gegen den Himmel, die Erde und die vier Windrichtungen und rief mit lauter Stimme, so daß alle Anwesenden es hören mußten:

»Die Kriegsbeile werden eingegraben; wir rauchen die Pfeife des Friedens. Die Nijoras geben die Gefangenen heraus und sind dann unsre Brüder. Dieses rauche und sage ich für alle meine Krieger. Es ist so gut, als ob sie selbst es gesagt und das Calumet dazu geraucht hätten. Ich habe gesprochen, howgh!«

Die Navajos waren höchst wahrscheinlich nicht sehr erbaut über diesen Ausgang der Verhandlung. Sie befanden sich so im Vorteile, daß es ihnen wohl schwer wurde, dasselbe so leichthin aufzugeben; aber die Disziplin verhinderte sie, widerspenstig zu sein, zumal ihnen der Gebrauch des Calumetrauchens so heilig war, daß sie es nicht gewagt hätten, an dem Beschlusse ihres Häuptlings zu rütteln.

Dieser gab die Friedenspfeife an Mokaschi, welcher sich auch erhob, die gleichen sechs Züge that und dann ebenso laut wie Nitsas-Ini verkündete:

»Hört, ihr Krieger der Navajos und Nijoras, der Tomahawk des Krieges ist wieder in die Erde versenkt. Die Männer der Navajos öffnen den Kreis, mit dem sie uns umschlossen haben, und sind dann unsre Brüder. Ich habe das mit dem Calumet bestätigt und es ist ganz so, als ob meine Krieger es gesagt und die Pfeife dazu geraucht hätten. Ich habe gesprochen, howgh!«

Niemand war froher als die Nijoras, die einen so glücklichen Ausgang der für sie so gefährlichen Angelegenheit kaum für möglich gehalten hatten. Old Shatterhand, Winnetou und Wolf mußten als Zeugen des Vertrages auch die sechs Züge aus der Pfeife thun, brauchten aber keine Rede dazu zu halten.

Jetzt war die Sitzung beendet und die vorher so feindliche Situation verwandelte sich in eine friedliche. Die Navajos ließen die Nijoras aus ihrer Umschlingung frei, und da es hier am Flusse an Raum mangelte, so begaben sich Freund und Feind hinauf zum Lager der Nijoras, um dort das Friedensfest zu feiern und vor allen Dingen die Gefangenen zu befreien. Winnetou, Old Shatterhand und Wolf gingen auch nach oben, wo ihre Anwesenheit zunächst notwendig war; die andern Weißen aber blieben noch unten. Sie waren alle froh, daß die Feindseligkeit ein solches Ende genommen hatte.

Bald waren sie alle in lebhafter Unterhaltung über das eben Erlebte, besonders Frank und Frau Rosalie kamen in ein eifriges Zwiegespräch, an dem auch Adolf Wolf kurze Zeit teilnahm, doch bald trennte er sich wieder von den beiden, um seinen Onkel aufzusuchen, der sich oben auf dem hohen Ufer im Lager befand. Als er an die Furt kam, begegnete er den Navajos, welche ihre Pferde aus den Verstecken geholt hatten und sie auch hinaufschaffen wollten. Ihr Häuptling leitete diese Arbeit und Winnetou und Old Shatterhand standen bei ihm. Da erschien ein Reiter oben am Rande der Furt; er sah die Genannten stehen und rief herab:

»Mr. Shatterhand, gut, daß ich Euch sehe! Darf ich da hinab?«

»Mr. Rollins!« antwortete der Gefragte. »Ihr hier? Ihr solltet doch bei dem Kantor bleiben, bis ich einen Boten sende. Warum habt Ihr Euch davongemacht?«

»Werde es Euch gleich sagen. Also, darf ich hinunter zu Euch?«

»Ja.«

Er kam langsam herabgeritten, sprang dann von seinem Pferde und rief in erregtem Tone:

»Wäre ich doch nicht dort geblieben, sondern mit Euch geritten! Wenn Ihr wüßtet, was ich erlebt habe!«

»Was habt Ihr denn erlebt? Was ist geschehen? Ihr seht ja außerordentlich echauffiert aus.«

»Ist auch kein Wunder. Bin an den Baum gebunden gewesen.«

»Ihr? Das war doch der Kantor!«

»Ja, erst; dann aber kam er los und ich wurde angebunden.«

»Von wem denn?« fragte Old Shatterhand verwundert.

»Von dem Oelprinzen. Dieser Halunke hat mir meine Anweisung wieder abgenommen.«

»Der Oelprinz? Alle Wetter! Wie ist das geschehen? Erzählt es doch, schnell!«

Der Bankier berichtete, was geschehen war.

»Mann,« rief dann Old Shatterhand aus, »das habt Ihr schlau, sehr schlau angefangen! Warum habt Ihr denn den Wisch nicht vernichtet!«

»Jawohl, Ihr habt recht; jetzt bereue ich es bitter. Verschafft mir den Zettel wieder, Sir; ich bitte Euch inständigst darum!«

»Ja, erst macht Ihr die Fehler, und dann soll ich sie ausbessern! Die Kerls mögen meinetwegen reiten, wohin sie wollen. Hättet Ihr die Dummheit nicht gemacht!«

Da fiel Nitsas-Ini ein:

»Sie werden nicht reiten, wohin sie wollen. Der Oelprinz hat meine beiden Kundschafter ermordet; ich muß ihn haben. Werden Old Shatterhand und Winnetou mir nicht dabei helfen?«

Winnetou nickte und Old Shatterhand sagte:

»Ich habe im Unmute gesprochen. Es versteht sich ganz von selbst, daß wir die Kerls haben müssen. Habt Ihr denn gesehen, wohin sie ritten?«

»Ja.«

»Nun, nach welcher Richtung?«

»Stromaufwärts, dahin, woher sie gekommen waren und woher auch wir gekommen sind.«

»Also ist es doch so! Sie sind den Spuren der Navajos gefolgt, um Wolf zu überfallen und ihm die Schrift abzunehmen. Durch Zufall sind sie aber viel leichter dazu gekommen. Wie lange ist das her?«

»Sehr lange. Dieser Kantor sollte mich losmachen, that es aber nicht.«

»So müssen wir uns schleunigst auf den Weg machen.«

»Stromaufwärts?« fragte der Häuptling,

»Ja, denn wir dürfen ihre Fährte keinesfalls vernachlässigen; sie sind aber jedenfalls stromabwärts geritten.«

»Aber dieser Mann behauptet doch das Gegenteil!«

»Rollins hat auch recht; die Banditen sind aufwärts, aber nur eine Strecke.«

»Und dann wieder abwärts?«

»So hätten sie ja hier vorüber gemußt!«

»Nein. Sie sind hinüber nach dem andern Ufer.«

»Uff! Hat mein Bruder Grund, dies zu denken?«

»Ja. Sie haben das Papier und wollen nach San

Francisco. Da müssen sie nach dem Colorado hinunter, ganz denselben Weg, den sie ritten, als sie in euerm Lager waren. Hier konnten sie nicht vorbei, weil sie von dem Kantor erfahren haben, daß wir hier sind. Sie sind also aufwärts zurück bis dahin, wo wir gestern lagerten, und dann über den Fluß hinüber. Mein roter Bruder mag mit einer Schar seiner Leute schnell abwärts reiten, bis er eine Stelle findet, an welcher er über den Fluß hinüber kann. Ist er drüben, so wird er nach ihrer Fährte suchen und dabei sehen, ob sie aus dieser Gegend schon fort sind.«

»Sie werden unbedingt fort sein!«

»Nein. Es steht zu vermuten, daß sie irgendwo da drüben stecken, um zu sehen, wie der Ueberfall hier abläuft. Mein Bruder muß ihnen so breit wie möglich den Weg verlegen, daß sie ja nicht vorüber können.«

»Und was wird Old Shatterhand thun?«

»Ich werde mit Winnetou aufwärts reiten, um ihrer Spur zu folgen. Da diese mit der unsrigen zusammenfällt, so ist sie außerordentlich schwer zu lesen; daher müssen wir diesen Weg selber machen; wir können uns auf keinen andern verlassen. Natürlich aber reiten wir nicht allein, sondern wir nehmen auch Begleiter mit.«

»Ich habe diesen Hunden doch Späher entgegengesandt! Sie müssen von ihnen nicht bemerkt worden sein.«

»Es ist auch noch andres möglich. Entweder haben sie sie getäuscht oder sie gar getötet.«

»Wenn dies der Fall ist, dann müssen sie am Marterpfahle sterben!«

»Erst wollen wir sie fangen, und erst dann können wir über ihren Tod sprechen. Mein roter Bruder mag sofort aufbrechen und ja nichts versäumen!«

Da erschien wieder ein Reiter oben an der Furt. Er sah die Personen auch und fragte ebenso wie vorhin der Bankier, ob er herunterkommen dürfe.

»Ja, kommen Sie!« antwortete Old Shatterhand, indem es in seinen Augen wenig verheißungsvoll flimmerte.

Der Kantor kam herab.

»Da bin ich wieder,« sagte er ahnungslos. »Wo sind die andern Deutschen?«

»Da, wohin Sie nicht kommen werden, damit Sie nicht wieder Unheil anrichten können, Sie Verräter!«

»Verräter? Wieso?«

»Sie haben dem Oelprinz gesagt, wo Mr. Rollins das Papier hat.«

»Ja, das habe ich. Sie fragten mich und da konnte ich sie doch nicht belügen.«

»Man kann klug sein, ohne zu lügen, Sie Dummkopf und Faselhans! Ich diktiere Ihnen Ihre Strafe: Sie werden wieder angebunden!«

»Das werde ich nicht; ich dulde das nicht. Sie haben keine Gewalt über mich!«

»Sogar sehr. Ich werde es Ihnen gleich beweisen.«

Er sagte zu einigen Navajos ein paar Worte, welche der Kantor nicht verstand; da nahmen sie ihn und sein Pferd zwischen sich und schafften ihn hinauf ins Lager, wo er trotz alles Sträubens wirklich angebunden wurde. Nach kurzer Zeit jagte Nitsas-Ini mit zwanzig seiner Krieger stromabwärts; Mokaschi, sein nunmehriger Freund, hatte sich ihm mit auch zwanzig Nijoras angeschlossen. Winnetou und Old Shatterhand dagegen ritten stromaufwärts. Bei ihnen befanden sich Sam Hawkens, Dick Stone, Will Parker und zehn Navajokrieger. Frank und Droll hatten auch mitgewollt, waren aber von Old Shatterhand vermocht worden, zurückzubleiben, um mit Wolf darauf zu achten, daß im Lager nichts vorkomme, was später gerügt werden müsse.

Die Frauen saßen noch unten am Wasser beisammen; die weiße Squaw war bei ihnen, ihre Männer natürlich auch. Sie sprachen von ihrer Zukunft, von ihren früheren Plänen und was durch die Ereignisse der letzten Zeit an diesen geändert worden war. Da kam Wolf von oben herab, um nach ihnen zu sehen. Die Squaw, welche, wenn sie deutsch mit ihm sprach, ihn Sie nannte, aber du zu ihm sagte, wenn sie indianisch mit ihm redete, winkte ihn näher zu sich hin und sagte:

»Wir sprechen von dem Vorhaben dieser unsrer Landsleute. Sie sind herübergekommen, um sich eine Heimat hier zu gründen. Mittel besitzen sie nicht; nur Ebersbachs haben Geld und wollen die andern damit unterstützen. Was sagen Sie dazu? Ich werde mit meinem Manne darüber sprechen, sobald er Zeit dazu hat.«

 

»Das ist nicht nötig,« lächelte er.

»Warum?«

»Weil ich es schon gethan habe.«

»Sie haben mit ihm davon gesprochen?«

»Ja.«

»Und was hat er gesagt?«

»Er will Ihnen eine Freude bereiten dadurch, daß er diese Deutschen in seinem Gebiete behält.«

»Das ist schön! Das freut mich herzlich! Ich weiß, daß er mir meinen Wunsch jedenfalls erfüllt hätte; aber daß er meine Bitte nicht erst abgewartet hat, das ist mir doppelt lieb. Wie haben Sie sich denn nun die Sache gedacht?«

»Sehr einfach. Diese Leute bekommen Land geschenkt, so viel sie brauchen; es ist ja mehr als genug davon da, Waldland, Ackerland, Weideland, ganz wie sie es wünschen; sie können es sich aussuchen. Dann veranstalten wir einen Ritt nach Guayolote oder La Tinajo hinüber, wo wir Ackergeräte und alle nötigen Werkzeuge bekommen werden. Für Pferde, Kühe und andre Weidetiere werden wir auch sorgen, und beim Bau ihrer Wohnungen werden ihnen alle unsre Männer und Squaws gern helfen, so daß sie sehr bald eingerichtet sein können. Nur hat die Sache freilich einen Haken.«

»Einen Haken? Wirklich?« fragte sie, ein wenig beunruhigt.

»Ja, einen bösen, schlimmen Haken,« lächelte er wieder.

»Was wäre das wohl?«

»Eine Frage, auf deren Beantwortung alles ankommt.«

»Welche Frage ist es denn? So reden Sie doch nur!«

»Es ist die Frage, ob sie auch wollen.«

»Ah!« seufzte sie erleichtert auf. »Ich wollte schon ängstlich werden.«

»Was nützt es, wenn Sie von uns alles bekommen sollen, aber nichts haben wollen! Wie steht es denn in dieser Beziehung?«

Diese Frage war an die Deutschen gerichtet; diese antworteten natürlich mit einem freudigen Ja. Besser konnten sie es ja gar nicht wünschen. Daß sie Land und alles, was sie brauchten, geschenkt bekommen würden, das hätten sie, wenn es ihnen früher gesagt worden wäre, nicht für möglich gehalten und also nicht geglaubt. Frau Rosalie, welche gern für die andern sprach, drückte die weiße Squaw an sich, reichte Wolf die Hand und rief aus:

»Jetzt soll mir jemand sagen, daß die Wilden nich viel besser sind, als die gebildeten Leute bei uns derheeme! Keen Mensch bei uns drüben is so human, eenem armen Teufel een solches Geschenk zu machen und noch dazu een so großes. Drüben würde uns niemand ooch nur das kleenste Feld- oder Gartenbeet anbieten und hier bekommen wir gleich so viel, daß wir een Rittergut droffsetzen können, und das Vieh und Haus und Hof mit den Gerätschaften dazu! Ich halte es von jetzt an mit den Indianern und nich mehr mit den Weißen. Hoffentlich wird der Kantor nich ooch mit dableiben wollen! Da könnte uns das ganze Glück in den Brunnen fallen.«

»Nein, den bringen wir fort,« versicherte Wolf. »Dieser Pechvogel würde uns nur Unglück bringen. Es wird Ihnen bei uns gefallen. Wir haben große Kulturpläne und da kommen Sie uns eben recht; nun wird Ihnen unsre Freigebigkeit erklärlich sein. Schi-So und mein Neffe sollen das Werk, welches wir begonnen haben, später zu Ende führen. Wir werden beweisen, daß der rote Mann dem Weißen gleichgestellt werden darf. Doch halt! Was war das da drüben jenseits des Flusses? War das nicht ein Schrei? Das klang genau wie der Todesschrei eines Menschen. Sollte der Oelprinz mit seinen beiden Kerls da drüben stecken und schon mit unsern Leuten in Kampf geraten sein? Das ist doch aber nicht möglich!«

Da kam der Hobble-Frank gelaufen. Er hatte den Schrei auch gehört und wollte fragen, ob Wolf ihn vernommen habe. Nach kurzer Zeit kam Adolf Wolf in ganz derselben Absicht.

»Onkel, da drüben schrie jemand. Hast du es gehört?«

»Wir alle haben es gehört,« antwortete ihm der Hobble. »Es war een anthropologisch menschlicher Schrei, keen animalisch zoologisch tierischer. Wallen und wandeln Sie mit mir hinauf ins Lager. Die Roten haben Feuer angebrannt und braten daran ihr Fleesch, daß das ganze Flußthal davon duftet. Wahrscheinlich sind sie so reserviert, daß sie uns ooch een Schtück davon karambolieren.«

Er nahm Adolfs Arm in den seinen und zog ihn mit sich fort.

Was den Schrei betrifft, welcher für den Todesschrei eines Menschen gehalten worden war, so hatte es mit demselben seine Richtigkeit. Der Oelprinz war mit seinen beiden Begleitern ganz so, wie Old Shatterhand es vermutet hatte, am Flusse aufwärts bis zum letzten Lagerplatze der Navajos geritten und dort an das andre Ufer gegangen. Ihre Absicht war, da drüben abwärts zu reiten, um nach dem Colorado zu kommen; aber dann fiel es ihnen ein, daß es doch vielleicht geraten sei, zu wissen, welcher von den beiden Stämmen über den andern den Sieg erringen werde. Sie blieben also in der Nähe des Ufers und suchten sich, als sie der Mündung des Winterwassers gegenüber angekommen waren, einen Platz, von welchem aus sie die Vorgänge da drüben beobachten konnten, ohne selbst gesehen zu werden.

Aber sie hatten einen weiten Umweg machen müssen, bei welchem so viel Zeit vergangen war, daß sie schon zu spät kamen. Die Entscheidung, das heißt die Versöhnung der beiden Stämme war schon vorüber; die Roten hatten sich nach dem Lager oben zurückgezogen, wo sie von drüben aus nicht gesehen werden konnten, und so bemerkten die drei Banditen nur die weißen Frauen und Männer, welche plaudernd am Wasser saßen und die ebenfalls weißen Personen, welche da ab- und zugingen. Sie wurden dadurch der Meinung, daß die Entscheidung noch nicht gefallen sei, und blieben länger liegen, als mit ihrer Sicherheit zu vereinbaren war. Sie ahnten nicht, daß Old Shatterhand schon hinter ihnen war und Nitsas-Ini ihnen mit seinen vierzig Roten den Weg verlegt hatte.

Wie schon längst erwähnt, hatten der Oelprinz und Buttler sich Pollers nur zu ihren Zwecken bedient und wollten sich dann später seiner entledigen. Daß dies nur durch einen Mord geschehen könne, wenn sie sich nicht für später gefährden wollten, das stand bei ihnen fest. Jetzt glaubten sie die Zeit gekommen und zogen sich von ihm zurück, um sich darüber zu besprechen. Aber Poller war kein schlechter Beobachter und hatte aus ihren Blicken und Mienen geschlossen, daß sie ihm nicht wohlgesinnt seien; er empfand das Gefühl, daß für ihn eine Gefahr in der Luft liege, und beobachtete sie nun schärfer. Da fiel es ihm auf, daß sie sich jetzt beide zugleich von ihm entfernten. Er kroch unter den Büschen ihnen nach und sah sie nahe beisammenstehen und leise miteinander sprechen. Es gelang ihm, so weit an sie heranzukommen, daß er nur zwei Schritte von ihnen entfernt war, konnte aber ihre Worte nicht verstehen, bis der Oelprinz etwas lauter sagte.

»Jetzt ist die beste Gelegenheit. Er bekommt ganz unerwartet das Messer und bleibt hier liegen. Finden ihn dann die Weißen, so denken sie, daß er von den feindlichen Roten erstochen worden ist.«

Er merkte wohl, daß nur er gemeint sein könne, und war so entrüstet darüber, daß er vergaß, vorsichtig zu sein, und sich plötzlich vor ihnen aufrichtete.

»Was, ihr wollt mich erstechen, ihr elenden Halunken!« herrschte er sie an. »Ist das der Dank für das, was —«

Er konnte nicht weiter sprechen. Sie hörten, daß ihre Absicht verraten war; nun nur nicht weiter zögern. Sie verständigten sich durch einen einzigen kurzen Blick, dann hatte ihn Buttler mit einem schnellen Griffe gepackt und Grinley stieß ihm das Messer in die Brust. Die Klinge traf so gut, daß er nur den erwähnten Todesschrei aus-

stoßen konnte und dann leblos zusammenbrach. Sie raubten ihn aus und ließen ihn liegen, um dann wohl noch eine Stunde lang die Mündung des Winterwassers zu beobachten.

Als da drüben noch immer nichts geschah, fiel ihnen ein, daß ihre Zeit doch zu kostbar sei, als daß sie hier noch länger liegen könnten. Sie stiegen auf, nahmen Pollers Pferd am Zügel, wendeten sich hinaus auf die freie Ebene und ritten davon.

Nur fünf Minuten später kam Old Shatterhand mit Winnetou und den andern. Diese scharfsinnigen Leute hatten alle Schwierigkeit überwunden und die Fährte, obgleich dieselbe mit der alten Spur zusammenfiel, bis hierher verfolgt. Sie sahen die Eindrücke und auch die Leiche.