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Der Oelprinz

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»Wie, zu zahm? So geben also auch Sie mir unrecht?«

»Natürlich! Man schtellt sich doch nich des Nachts, wo alle Schtimmen schweigen, mitten in den wilden Westen hinein, um mit allen möglichen musikalischen und fraktionellen Inschtrumenten zu trillern und zu piepen, daß man es schtundenweit hören kann. Das hätte uns alle möglichen Feinde auf den Hals bringen können.«

»Es waren aber doch keine da!«

»Das wußten Sie nich. Und die Nijoras, zu denen wir jetzt wollen, konnten ebensogut in unsrer Nähe liegen, wie die Navajos, von denen wir glücklicherweise nichts zu fürchten hatten.«

»Also gegen die Nijoras geht es jetzt? Das war es, was ich jetzt von Ihnen wissen wollte. Wie es den Anschein hat, sollen sie von uns überfallen werden?«

»Ja.«

»Das freut mich sehr; das freut mich ungemein!«

»Warum?«

»Darnach brauchen Sie doch gar nicht erst zu fragen. Sie wissen doch wohl, daß ich eine zwölfaktige Heldenoper komponieren will!«

»Ja; es is mir ganz so, als ob Sie schon eenmal von so etwas geschprochen hätten.«

»Jedenfalls habe ich es Ihnen schon gesagt. Ich habe hier nun die Helden gefunden, die ich dazu brauche; aber in ihrer Thätigkeit habe ich sie eigentlich noch nicht gesehen.«

»Nich? Na, ich dächte doch, daß bisher schon genug geleistet worden is, was andre Leute nich gleich fertig bringen würden. Wir sind ja gradezu immer aus dem eenen Abenteuer in das andre geflogen!«

»Das gebe ich ja ganz gern zu; aber das, wobei das Heldenturn sich in seiner vollsten Glorie zeigen kann, hat es noch nicht gegeben.«

»Was wäre das?«

»Eine Schlacht, ein allgemeiner Kampf, wo Mann gegen Mann zu stehen hat und der Held einen Feind nach dem andern niederschlägt, wissen Sie, so ungefähr wie Roland bei Roncesvalles.«

»Roland? Da irren Sie sich sehr wahrscheinlich.«

»Inwiefern?«

»Das is doch nich Roland, sondern Iffland gewesen.«

»Iffland? Nein, liebster Herr Frank, das ist unmöglich, vollständig unmöglich.«

»Vollschtändig unmöglich? Warum denn, he?«

»Erstens weil Iffland damals noch nicht gelebt hat.«

»So, so! Sehn Sie doch mal an, was Sie da nich alles wissen! Also das war erschtens. Und zweetens?«

»Zweitens ist, so viel ich mich erinnere, Iffland gar kein Held, sondern ein Schauspieler und Theaterdichter gewesen. Wie kann er da zur Zeit Karls des Großen im Thale von Roncesvalles gekämpft haben!«

Da machte Frank sein grimmigstes Gesicht und fragte:

»Wollen Sie etwa das, was ich gesagt habe, dekonfektionieren? Da kommen Sie bei mir an den Falschen. Ihren großen Karl kenne ich viel besser als Sie. Er is der erschte Kaiser von Deutschland gewesen und hat eene runde Tafel voll lauter Ritter gehabt. Iffland war der berühmteste davon und is dort im Thale von Roncesvalles mitten im Kampfe an den Masern geschtorben. Allerdings hatte Karl der Große ooch eenen Theaterdichter; der hat aber nich Iffland, sondern Uhland geheeßen und außer andern schönen Sachen ooch den berühmten Löwenritt von Freiligrath gedichtet. Haben Sie das begriffen?«

Der Kantor sah den Kleinen erstaunt an; er öffnete den Mund, um zu antworten, brachte ihn aber nicht wieder zu.

»Ja, sehn Sie, da schperren Sie den Mund auf über meine Gelehrsamkeet! Machen Sie ihn nur wieder zu und schweigen Sie! Es scheint gar, nach Ihrem Gesichte zu urteelen, als ob Sie mir widerschprechen wollten. Das lassen Sie aber ja bleiben, denn Widerschpruch vertrage ich partuhmang nich. Reden wir also von was andrem!

Sie wollten, wie es scheint, gern eener Schlacht beiwohnen?«

Der Kantor hätte sich gern noch weiter über Roland, Iffland und Uhland mit ihm gestritten; aber er wollte Frank bei guter Laune erhalten; darum ließ er dieses Thema fallen und antwortete:

»Ja, ich möchte einen wirklichen, blutigen Kampf erleben.«

»Warum denn das? So etwas is gefährlich und man soll es sich also gar nich wünschen.«

»Aber ich brauche es für meine Oper. Es versteht sich doch ganz von selbst, daß es in einer Heldenoper nicht ohne Kampf abgehen kann!«

»Das is doch nur off der Bühne, und Sie brauchen sich doch nich derohalben eenen wirklichen Kampf, een wirkliches Blutvergießen zu wünschen.«

»O doch! Wenn man so etwas wirklich gesehen und miterlebt hat, kann man es viel besser komponieren. Das Getöse des Kampfes, das Schreien und Heulen, das Knattern der Gewehre, das Krachen der Schüsse, das alles läßt sich nur dann richtig durch Töne wiedergeben, wenn man es selbst gehört hat.«

»Aber es kann Ihnen Ihr Leben kosten und dann is ooch Ihre ganze schöne Oper futsch!«

»Glauben Sie das ja nicht! Wir Komponisten stehen unter dem ganz besondern Schutze der Musen; uns kann nichts passieren. Oder haben Sie einmal gehört, daß ein berühmter Komponist von den Indianern erstochen oder erschossen worden sei?«

»Nee, das nich.«

»Also! Ich befinde mich nicht in der geringsten Gefahr, wenn sich mein Wunsch erfüllt; darauf können Sie sich verlassen. Denken Sie, daß es heute zu einem Kampfe kommen wird?«

»Hm! Wenn alles so klappt, wie Old Shatterhand und Winnetou beschprochen haben, so loofen uns die Feinde in die Hände, ohne daß een Schuß dabei zu fallen braucht. Wenn es aber andersch wird, da freilich kann es sehr schlimm ausfallen.«

»Wie denn anders?«

»Ja. da können verschiedene Fälle eintreten. Man weeß ja im voraus nie, was alles geschehen kann. So zum Beischpiel brauchen die Nijoras nur zu merken, daß die Navajos in dem Hinterhalte liegen, so geht der Krawall los.«

»Wie sollten sie das merken?«

»Off irgend eene Weise. Een Dummer fragt doch immer mehr, als was een Gescheiter beantworten kann! Ich sage ja, daß man vorher nicht wissen kann, was geschieht. So darf zum Beischpiel Ihr Pferd, wenn wir an die Furt kommen, es sich nur in den Kopf setzen, nach links anstatt nach rechts zu loofen, so is schon alles verraten.«

Der Hobble-Frank hatte es halb ironisch und halb scherzhaft gemeint; aber über das Gesicht des Kantors ging ein Zug hoher Befriedigung und er fragte:

»Also nach links anstatt nach rechts? Habe ich das richtig verstanden? Ja?«

Er nickte vergnügt vor sich hin, und der Hobble ahnte nicht, auf was für einen gefährlichen Gedanken er den kampfbegierigen Kantor gebracht hatte. Dieser war nämlich entschlossen, dem ihm so unabsichtlich erteilten Winke zu folgen und in der Furt nach links abzubiegen. Er dachte zwar ein wenig an die Verantwortlichkeit, die er dadurch auf sich lud, doch mehr noch an die Vorteile, die er in künstlerischer Beziehung aus einem Kampfe ziehen zu können glaubte. Dabei sagte er sich bei aller Unvorsichtigkeit, daß ihm die denkbar größten Vorwürfe gemacht werden würden, und da kam er auf den Gedanken, es so einzurichten, daß sie ihn nicht allein treffen könnten. Er mußte einen Mitschuldigen oder eine Mitschuldige haben und ersah sich dazu Frau Rosalie aus, weil er hoffte, daß diese energische Frau sich und ihn schon herausbeißen werde. Darum lenkte er während des Rittes sein Pferd neben das ihrige und sagte:

»Haben Sie keine Angst vor dem, was nun bald geschehen wird, Frau Ebersbach?«

»Angst?« antwortete sie. »Vor wem sollte ich denn Angst haben?«

»Vor den Nijoras.«

»I was Sie nich denken! Ich habe mein Lebtage vor keener Mannsperson Angst gehabt, und vor diesen roten Affen, da fällt es mir erscht recht nich ein.«

»Aber es wird höchst wahrscheinlich zum Kampfe kommen!«

»Das gloobe ich nich; Old Shatterhand hat gesagt, daß es heute ohne Blutvergießen abloofen wird, und wenn der was sagt, da beißt keene Maus keenen Faden davon ab!«

»Aber die Nijoras werden sich hüten, so gutwillig in die Falle zu gehen, welche ihnen gestellt werden soll. Sie wehren sich ganz gewiß, und dann ist es sicher, daß die Kugeln pfeifen werden.«

»So pfeife ich ooch mit. Es is manchmal gar nich übel, wenn so een bißchen gepfiffen wird.«

»Ich warne Sie, Frau Ebersbach, die Gefahr, der wir entgegengehen, nicht leicht zu nehmen. Seien Sie klug und machen Sie es so, wie ich es machen werde!«

»So? Und wie werden Sie es denn machen?«

»Ich werde abseits gehen.«

»Ah! Sie wollen sich off die grüne Seite schwenken?«

»Ja.«

»Wann denn und wo denn?«

»Wenn wir an das Winterwasser kommen werden. Da reite ich links ab.«

»Aber Sie haben doch gehört, daß wir rechts hinunter nach dem Flusse reiten wollen!«

»Das ist richtig; ich lenke aber nach links, wo die Navajos halten werden. Da bin ich in Sicherheit.«

»In Sicherheet! Sie wollen also Ihren unschterblichen Leichnam in Sicherheet bringen?«

»Ja! Wollen Sie nun mitmachen?«

»Nee, das thue ich nich. Und Sie werden es ooch bleiben lassen!«

»Nein, ich thue es.«

»Das is aber doch ganz gegen den Willen Old Shatterhands!«

»Mag es! Ich bin ein freier Mann und kann machen, was ich will.«

»Nee, das können Sie nich! Sie sind keen freier Mann. Solange Sie sich bei uns befinden, haben Sie sich nach uns zu richten.«

»Ich werde es dennoch thun!« sagte er in sehr bestimmtem Tone, weil er sich über die resolute Weise der Frau Rosalie ärgerte. »Nun grad erst recht!«

»Nee, nun grad erscht recht werden Sie es nich thun.«

»Glauben Sie wirklich, daß Sie mir irgend etwas verbieten können, Frau Ebersbach?«

»Ja, das gloobe ich, das gloobe ich sogar sehr!«

»Fällt keinem Menschen ein!«

»Es fällt mir ein und das ist vollschtändig genug. Ich will nich, daß Sie Ihren Vorsatz ausführen, und nach diesem meinen Willen haben Sie sich zu richten.«

»Oho!« rief er zornig.

»Oho? Hier wird gar nischt oho! Wenn Sie nich wollen, wie ich will, so werde ich meinen Worten Nachdruck geben! Was Sie vorhaben, kann uns sehr leicht in Schaden bringen.«

»Möchte wissen, auf welche Weise! Ich habe mir vorgenommen, links zu reiten, und werde meinen Willen durchsetzen.«

 

»I, was Se nich sagen! Erschtens dürfen Sie überhaupt keenen Willen haben, und zweetens dürfen Sie ihn nachher, wenn Sie ihn nich haben, ooch nich durchsetzen. Wissen Sie, ich bin Frau Rosalie Eberschbach, geborene Morgenschtern und verwitwete Leiermüllern und weeß, was ich zu thun .habe. Ich lasse mir Ihretwegen nich von den feindlichen Indianern off den Kopp herumtrommeln. Sie werden gleich erfahren, daß und wie ich mich zu benehmen weeß!«

Der Zug hielt in diesem Augenblicke an, denn Winnetou war aus dem Gesträuch getreten. Er kam auf Old Shatterhand und den Häuptling der Navajos zu und meldete:

»Die Nijoras sind bei ihrem Plane geblieben und haben ihre Stellung nicht verändert. Meine Brüder können also das ausführen, was ich gestern mit Old Shatterhand besprochen habe. Es ist nur eine kleine Aenderung, welche ich für nötig halte.«

»Welche?« fragte Old Shatterhand.

»Wir haben uns entschlossen, hinab in die ausgetrocknete Furt zu reiten; die Krieger der Navajos haben sich dann uns zur linken Hand versteckt, und wir wenden uns in dem trockenen Winterwasserbette nach rechts, bis wir den Fluß erreichen. Dann kommen die Nijoras herab, um uns zu überfallen, und da sollen sie von den Navajos im Rücken angegriffen werden. Meine weißen Brüder und Schwestern werden sich nicht fürchten, und ich zweifle auch ganz und gar nicht daran, daß alles so gehen wird, wie wir gedacht haben; aber es ist dennoch nötig, an alles zu denken und keine Vorsicht zu versäumen. Es soll kein Blut fließen; aber wenn die Nijoras nur uns vor sich sehen, ist es möglich, daß sie glauben, uns überwältigen zu können. Wir sind nur wenige Männer und werden trotzdem den ersten Stoß aushalten; aber wenn die Nijoras schießen, werden sie doch einige von uns verwunden oder gar töten. Darum ist es nötig, zu verhüten, daß sie überhaupt von ihren Gewehren Gebrauch machen. Mein Bruder Old Shatterhand wird wissen, wie wir das am besten und sichersten erreichen können.«

»Dadurch, daß wir ihnen gleich im ersten Augenblicke zeigen, daß sie verloren wären, wenn sie es zum Kampfe kommen lassen,« antwortete der Genannte.

»Und wie zeigen wir ihnen das? Sie sehen nicht die vielen Navajos hinter sich, sondern nur die weißen Männer und Frauen vor sich.«

»Wir müßten vorn bei uns auch Navajos haben.«

»Das ist es, was ich meine,« nickte der Häuptling der Apachen.

»Aber wir dürfen sie nicht mitbringen; sie dürfen nicht mit uns kommen!«

»Nein.«

»Sondern sie müssen schon vorher am Platze sein, ohne aber von den Nijoras gesehen zu werden.«

»Mein weißer Bruder hat ganz meine Gedanken.«

»Es ist sehr leicht zu erraten, was mein roter Bruder meint. Die Nijoras zählen dreihundert Krieger, während wir sechshundert haben. Es genügt, wenn wir ihnen fünfhundert in den Rücken schicken; die übrigen hundert müssen hier vom hohen Ufer hinab zum Flusse steigen und sich da unten abwärts schleichen, bis sie in die Nähe der Mündung des Winterwassers gekommen sind. Dort verbergen sie sich im Gesträuch und warten, bis wir kommen. Sobald wir anlangen und die Nijoras sich auf uns werfen wollen, treten diese hundert Krieger aus ihrem Verstecke hervor und gesellen sich uns zu. Das wird die beabsichtigte Wirkung haben, denn die Feinde werden stutzen, und dadurch bekommt unser Hinterhalt von fünfhundert Mann Zeit, ihnen in den Rücken zu kommen.«

»So ist es. Ich stimme ganz den Worten Old Shatterhands bei. Nitsas-Ini, der tapfere Häuptling der Navajos, mag die Hundert von seinen Kriegern auswählen, damit sie sich jetzt entfernen, um die Mündung des Winterwassers heimlich zu erreichen. Dann reiten die Fünfhundert auch fort, und sobald wir annehmen können, daß sie sich in ihrem Hinterhalte befinden, brechen wir auch von hier auf.«

So geschah es. Es wurden hundert Navajos abgezählt, welche in das Ufergebüsch eindrangen, um zum Flusse hinabzusteigen. Dabei konnten sie natürlich ihre Pferde nicht mitnehmen; diese mußten vielmehr von den andern mitgeführt werden. Als sie fort waren, machten sich auch die Fünfhundert auf den Weg.

Als auf diese Weise die Navajos alle fort waren, erklärte Old Shatterhand den deutschen Auswanderern den Plan noch einmal in ihrer Muttersprache, weil vorhin englisch gesprochen worden war. Er bat sie, keine Sorge zu haben, da alles gutgehen werde, und ermahnte sie dringend, ja recht vorsichtig zu sein und nichts zu thun, was das Gelingen des Planes in Frage stellen könne. Da sagte Frau Rosalie zu ihm:

»Wir andern werden ganz gewiß keenen Fehler machen; aber ich weeß eenen, der sich fest vorgenommen hat, eene große Dummheet zu begehen.«

»Wer ist das?«

»Wer das is? Da fragen Sie ooch noch darnach? Wenn von Dummheeten die Rede is, so können Sie es sich doch gleich denken, wen ich meene, den Kantor natürlich. Er hat mich zu derselben Dummheit überreden wollen; er will nämlich, wenn wir nach dem Winterwasser kommen, links abschwenken.«

»Alle Donner! Das könnte uns einen Strich durch die Rechnung machen! Das ist wirklich sein Plan?«

»Eben hat er es mir gesagt. Ich habe ihn gewarnt; aber er schnauzte mich grob an und meinte, es hätte ihm keen Mensch was zu befehlen. Er is ganz des Teufels droff, seinen Willen durchzusetzen.«

»Das müssen wir uns doch sehr streng verbitten! Ist das wahr, was Frau Ebersbach jetzt von Ihnen gesagt hat?«

Diese Frage war an den Kantor gerichtet.

»Ja,« antwortete er, da er es doch nicht leugnen konnte.

»Sie wollen also, ohne mich zu fragen, eine andre Richtung einschlagen?«

»Ja.«

»Weshalb?«

Der Kantor schwieg.

»Reden Sie!«

Diese Aufforderung war im allerstrengsten Tone gesprochen. Der Kantor ärgerte sich darüber und antwortete wieder nicht. Da fuhr ihn Old Shatterhand zornig an:

»Wenn Sie nicht reden wollen, werde ich ihnen den Mund öffnen. Es handelt sich hier um unser Leben. Also, was ist der Grund Ihrer Absicht?«

»Meine Oper,« stieß der Gefragte hervor.

»Ihre Oper! Wir sollen also abermals nur Ihres verrückten Hirngespinstes wegen in Gefahr gebracht werden! Inwiefern ist denn diese berühmte Oper der Grund zu dem, was Sie thun wollen?«

Wieder wollte der Kantor nicht mit der Sprache heraus. Da legte sich der Hobble-Frank ins Mittel, indem er sagte:

»Ich weeß es, was für eene vorhandene Absicht im Grund- und Hypothekenbuche seines Vorhabens verzeichnet is.«

»Nun, welche?«

»Ich habe vorhin mit ihm geschprochen und ziehe aus dem, was er gesagt hat, die Divisionsklausel, daß er für seine Oper eene Kampfesscene braucht.«

»Ah so! Und da will er gerade das herbeiführen, was wir vermeiden wollen?«

»So is es. Er will nach links, damit die Nijoras unsern Hinterhalt sehen sollen.«

»Sollte man so etwas für möglich halten! Das ist nicht eine Verrücktheit, sondern gradezu ein Verbrechen! Was thut man nur mit einem solchen Manne? Wollen Sie mir sofort versprechen, von Ihrem Vorhaben abzuweichen, Sie unbegreifliches Menschenkind!«

Der Kantor brauchte nur mit ja zu antworten, so war alles gut. Aber er hatte zu Frau Rosalie behauptet, daß er seinen Willen durchsetzen werde, und wollte sich nun ihr gegenüber nicht blamieren. Darum beantwortete er die Aufforderung Old Shatterhands wieder mit einem Schweigen. Dieser fuhr also in erhobenem Tone fort:

»Ich frage Sie, ob Sie mir jetzt versprechen wollen, Ihre Absicht aufzugeben!«

Abermals keine Antwort.

»Gut!« meinte Old Shatterhand. »So werde ich dafür sorgen, daß Sie uns nicht schaden können. Sie dürfen nicht mit; Sie bleiben hier an dieser Stelle.«

Das empörte den Zukunftskomponisten außerordentlich.

Er bekam die Sprache wieder und antwortete:

»Das lass’ ich mir nicht gefallen, Herr Shatterhand. Ich bin kein Soldat oder Rekrut, der sich andonnern lassen und gehorchen muß!«

»Sie werden gehorchen. Sie bleiben hier und ich lass’ jemand bei Ihnen, der Sie beaufsichtigen muß.«

»Dem gehe ich durch!«

»Schön! So werde ich also die Drohung wahr machen, welche ich Ihnen schon ausgesprochen habe. Ich binde Sie an. Steigen Sie vom Pferde!«

Old Shatterhand stieg selbst aus dem Sattel und faßte, als der Kantor sich weigerte, dies auch zu thun, ihn beim Leibe und zog ihn herab. Er wurde nach dem Gebüsch geschafft und dort an den Baum gebunden. Sein Widerstand fruchtete nichts. Nun handelte es sich darum, wer bei ihm bleiben sollte. Der Bankier bot sich an, denn der Gedanke, von den Nijoras überfallen zu werden, hatte für ihn nichts Behagliches. Old Shatterhand war damit einverstanden, schärfte ihm aber ein, den Kantor nicht etwa, falls er gute Worte geben sollte, loszubinden; es solle später ein Bote geschickt werden, um die beiden nachzuholen.

Bis jetzt hatte man die fünfhundert Navajos, welche nach Süden geritten waren, noch reiten sehen; nun aber verschwanden sie am Horizonte und es war anzunehmen, daß sie nach kurzer Zeit ihr Ziel erreichen würden. Darum gab Old Shatterhand den Befehl, nun den unterbrochenen Ritt

fortzusetzen.

Es war wirklich ein großes Vertrauen, weiches ihm und Winnetou von den Deutschen geschenkt wurde. Diese letzteren gingen einer Schar wilder, feindlicher Indianer entgegen, ohne um sich, um ihre Frauen und Kinder besorgt zu sein. Das war natürlich nur die Folge des Eindruckes oder Einflusses, welchen diese beiden Männer auf sie ausübten. In der Nähe des Apachen und seines weißen Bruders konnte eben keine Furcht aufkommen.

Old Shatterhand ermahnte alle, sich ein möglichst unbefangenes Aussehen zu geben und ja nicht etwa forschende oder gar ängstliche Blicke nach der Gegend zu werfen, von welcher man wußte, daß die Feinde dort versteckt seien, und sie gaben sich Mühe, sich streng nach dieser Instruktion zu richten.

Indem man parallel mit dem Flusse ritt, näherte man sich dem Winterwasser auf einer rechtwinkelig auf dasselbe stoßenden Linie. Sam Hawkens machte allerlei Späße; er lachte laut und hielt die andern an, in sein Lachen einzustimmen. Er verfolgte dabei die Absicht, die Nijoras sicher zu machen. Sie sollten denken, daß die Ankömmlinge nicht im mindesten an das Vorhandensein einer Gefahr glaubten.

An der Stelle angekommen, wo sich unten die Furt befand, ritt man langsam vom Ufer in das ausgetrocknete Bett hinab. Winnetou und Old Shatterhand waren voran. Ihren scharfen Augen konnte nichts entgehen, obgleich sie sich den Anschein gaben, als ob sie auf gar nichts aufmerksam seien.

Links von ihnen lagen einige Felsblöcke, welche zur Zeit des Hochwassers von diesem überflutet wurden. Hinter einem derselben lugte ein Kopf hervor, nämlich derjenige von Nitsas-Ini. Er hatte sich so weit nach vom gewagt, um die weißen Freunde zu benachrichtigen, daß er mit seinen Leuten an Ort und Stelle sei.

»Altso-ti – wir sind hier,« raunte er ihnen in seiner Sprache zu, und dann war sein Kopf wieder verschwunden.

Die Gesellschaft bog rechts ab und ritt im Bette des Winterwassers nach der Mündung desselben, wo es auf den Chellyfluß stieß. Rechts und links gab es hohe, steile Felsen und vorn an der Mündung floß das Wasser des Chelly vorüber. An seinem Ufer befand sich ein schmaler, aber sehr dicht mit Bäumen und Büschen besetzter Streifen; dort wurde angehalten.

Old Shatterhand untersuchte das Buschwerk mit scharfem Blicke. Da raschelte es in demselben und der Arm eines Roten streckte sich für einen kurzen Augenblick hervor. Das war das Zeichen, daß die hundert Navajos sich auch schon da befanden. Es war also gelungen, dem Feinde zwei Hinterhalte zu legen.

Der Uferfelsen trat auf der linken Seite etwas hervor und bildete eine Ecke. Nach derselben deutend, sagte Old Shatterhand:

»Die Frauen und Kinder mögen sich hinter diese Ecke zurückziehen; dann sind sie vollständig sicher vor jeder Gefahr.«

Die Betreffenden gehorchten dieser Aufforderung. Nur eine machte eine Ausnahme, nämlich Frau Rosalie.

»Was? Ich soll mich verschtecken?« rief sie aus. »Was sollen da diese Indianersch von mir denken!« Dabei nahm sie ihrem Manne das Gewehr aus der Hand, faßte es beim Laufe und schwang den Kolben drohend über ihrem Kopfe.

»Pst! Nicht so; fort mit dem Gewehre!« warnte Old Shatterhand. »Die Nijoras beobachten uns und könnten aus dieser Bewegung schließen, was geschehen soll. Sie werden heulend und schreiend gerannt kommen. Dann legt jeder sein Gewehr auf sie an, doch ohne zu schießen. Nur wenn sie sich dadurch nicht zurückhalten lassen, müssen wir uns wehren. Dann werde ich Feuer kommandieren, bitte aber, ihr Leben zu schonen und sie nur in die Beine zu schießen. Jetzt setzt euch nieder und thut ganz so, als ob ihr von ihrer Nähe keine Ahnung hättet!«

Dieser Aufforderung wurde Folge geleistet. Die Leute setzten sich alle so, daß sie dem Wasser des Chelly den Rücken, dem trockenen Bette des Winterwassers aber das Gesicht zukehrten. So mußten sie die Nijoras kommen sehen.

 

Old Shatterhand und Winnetou standen beieinander und unterhielten sich in höchst unbefangener Weise. Sie hatten scheinbar nicht die geringste Aufmerksamkeit für die Richtung, aus welcher die Feinde erwartet wurden, sahen aber trotzdem alles sehr genau. Das Winterwasser hatte, wenn es stark angeschwollen war, viele Felsstücke mit sich fortgeführt und an der Mündung oder in der Nähe derselben abgesetzt. Hinter diesen Steinen konnte man Deckung finden, und es stand zu erwarten, daß der Vortrab der Nijoras im Schutze derselben heimlich herangekrochen kommen werde.

Dem war auch wirklich so, denn Winnetou bemerkte hinter einem dieser Steine eine Bewegung, blickte für einen kurzen Moment schärfer hin und sagte dann zu Old Shatterhand:

»Hinter dem großen dreieckigen Blocke steckt ein Feind. Hat mein Bruder ihn gesehen?«

»Ja. Ich sah ihn von dem dahinter liegenden Felsen gekrochen kommen. Ich weiß auch, wer es ist.«

»Mokaschi, der Häuptling wohl?«

»Ja.«

»So ist der Augenblick da. Hält mein Bruder es nicht für besser, daß wir gar nicht warten, bis sie auf uns eindringen?«

»Ja, sie werden um so bestürzter sein. Willst du mit ihm reden?«

»Nein. Mein Bruder mag es thun. Du hast den Stutzen, den sie für ein Zaubergewehr halten. Deine Stimme wird also besser wirken als die meinige.«

»Gut, so mag es beginnen l«

Er rief einige halblaute Worte nach dem Gebüsche hin, in welchem die hundert Navajos steckten, und sagte zu den Weißen:

»Die Nijoras sind da. Steht auf, und legt die Gewehre an!«

Frau Rosalie hatte ihrem Manne sein Gewehr wiedergeben müssen, aber an Stelle desselben eine Reserveflinte ergriffen. Als die Männer jetzt aufsprangen und ihre Gewehre erhoben, legte sie ihre Flinte auch an. Old Shatterhand trat einige Schritte vor, den Stutzen schußbereit in der Hand und rief dann nach dem erwähnten Felsenstücke hin:

»Warum versteckt sich Mokaschi, der Häuptling der Nijoras, wenn er uns besuchen will? Er mag offen zu uns kommen. Wir wissen, daß er sich mit seinen dreihundert Kriegern hier befindet.«

»Uff, uff!« erscholl es da hinter dem Steine hervor und Mokaschi richtete sich auf. »Die weißen Hunde wissen es, daß wir hier sind? Und dennoch sind sie gekommen? Hat der große Geist ihr Gehirn verbrannt, daß sie, die wenigen, es wagen wollen, hier mit uns zu kämpfen?«

»Wir wagen nichts, denn der Häuptling der Nijoras ist in einem großen Irrtume befangen. Sieht er nicht meine Leute dastehen, um den Feind mit ihren Büchsen zu empfangen? Und sieht er nicht das Zaubergewehr in meiner Hand? Wer kann ihm widerstehen!«

»Wir werden so schnell über Old Shatterhand kommen, daß er nur zwei- oder dreimal schießen kann; dann wird er von der Menge meiner Krieger niedergerissen. Soll ich ihm zeigen, wie viele ihrer sind?«

»Ich weiß es schon; dreihundert.«

»Und die sind nicht fern von hier, sondern nahebei. Die Bleichgesichter haben nur die Wahl, sich zu ergeben oder in das Wasser getrieben und getötet zu werden. Sie mögen sehen, daß sie eingeschlossen sind.«

Er hob die Hand hoch empor und auf dieses Zeichen tauchten hinter allen Steinen Nijoras auf. Andre, die da nicht Platz gefunden hatten und deshalb zurückgeblieben waren, kamen herbeigesprungen und erhoben ein markerschütterndes Kriegsgeheul. Sie griffen aber nicht an, sondern blieben hinter ihrem Häuptlinge stehen, weil dieser auch nicht vorwärts ging. Er erhob den Arm wieder; das Geheul verstummte augenblicklich und er rief Old Shatterhand zu:

»Die Bleichgesichter sehen, daß sie verloren sind, wenn sie kämpfen. Wenn sie klug sein wollen, so ergeben sie sich uns.«

»Ja, man kann von Mokaschi Klugheit lernen, denn er ist ein großer Pfiffikus. Er weiß und sieht recht gut, wie es steht. Es sind über zwanzig Gewehre auf ihn und seine Krieger gerichtet; das gibt aus diesen Doppelläufen vierzig Schüsse. Dazu kommen die vielen Kugeln meines Zaubergewehres. Ehe die Nijoras an uns kommen, sind sechzig und noch mehr von ihnen gefallen, und dann beginnt noch der Kampf mit den Messern und den Kolben. Das weiß er recht gut. Er weiß, daß, wenn wir je besiegt werden könnten, er weit über hundert Krieger verlieren würde und daß er der allererste wäre, den meine Kugel niederstreckte. Darum fordert er uns auf, uns zu ergeben. So klug wie er aber, sind wir auch.«

»Old Shatterhand verrechnet sich. Ehe nur zehn von uns gefallen oder verwundet sind, befinden sich die Bleichgesichter in unsrer Gewalt. Ja, Old Shatterhand ist ein berühmter Jäger und ein sehr kluger Krieger; aber wenn er sich uns nicht ergibt, so handelt er nicht wie ein kluger Mann.«

»Ich danke dem Häuptlinge der Nijoras für die schönen Worte, welche er mir gesagt hat; aber er hat noch lange nicht genug gesagt, denn ich bin noch viel, viel klüger, als er denkt. Wir wenigen Bleichgesichter fürchten uns nicht vor dreihundert Nijoras; aber dennoch sind wir nicht allein gekommen. Als Mokaschi die Hand erhob, ließen sich seine Krieger sehen. Auch ich will einmal meine Hand erheben, um zu zeigen, daß ich ganz dasselbe kann.«

Er reckte den Arm empor; sofort sprangen die hundert Navajos aus den Büschen, bildeten blitzschnell eine Doppelreihe und richteten ihre Gewehre auf die Nijoras. Diese stießen ein Geheul der Ueberraschung aus. Keiner von ihnen hatte gewagt, sein Gewehr auf einen der Weißen zu richten, denn diese hatten ihre Gewehre zuerst erhoben und befanden sich also im Vorteile. Wer dem Feinde darin zuvorkommt, schießt ihn nieder, sobald er eine drohende Bewegung macht. Old Shatterhand gab ein Zeichen, daß er weitersprechen wolle und das Geheul verstummte.

»Mokaschi wird jetzt einsehen, daß ich vorhin noch zu wenig gesagt habe. Wir würden nicht hundert, sondern zweihundert Nijoras töten, noch ehe sie an uns kommen könnten. Der Häuptling der Nijoras hat vorhin gemeint, daß mein Gehirn krank sei. Wie steht es denn mit dem seinigen? Kann er nicht mehr denken, nicht sehen und nicht hören? Warum starrt er nur vorwärts, zu uns herüber? Er mag doch einmal hinter sich sehen!«

Mokaschi drehte sich um, und seine Krieger thaten dasselbe. Sie hatten ihre ganze Aufmerksamkeit nach vorn gerichtet und nicht auf das geachtet, was hinter ihnen vorgegangen war. Sie hatten es ja überhaupt für unmöglich gehalten, daß dort etwas geschehen könne. Da sahen sie, kaum zwanzig Schritte von sich entfernt, die fünfhundert Navajos halten, welche die ganze Breite des trockenen Winterwasserbettes ausfüllten und dabei in acht bis zehn Gliedern hintereinanderstanden. Vor ihrer Front hielt ihr Häuptling und rief Mokaschi zu:

»Hier stehen fünfhundert Krieger der Navajos und vor euch auch hundert neben den Bleichgesichtern, welche unüberwindlich sind. Wünscht der Häuptling der Nijoras, daß wir den Kampf beginnen?«

Die Nijoras heulten vor Schreck wie wilde Tiere. Die ihnen doppelt überlegenen Navajos überschrien sie noch, aber bei ihnen war es ein Freudengeheul. Da gab Old Shatterhand das Zeichen der Ruhe, und es wurde augenblicklich still. Er sprach mit erhobener Stimme:

»Ich frage Mokaschi ganz so, wie Nitsas-Ini ihn gefragt hat, nämlich ob wir den Kampf beginnen sollen. Ueber sechshundert Kugeln werden in den zusammengedrängten Haufen der Nijoras fahren. Wie viele von ihnen werden da übrig bleiben? Kein einziger.«

Mokaschi antwortete nicht sofort; er blickte finster vor sich nieder, und dann sagte er knirschend:

»Wir werden sterben; aber jeder von uns wird wenigstens einen Navajo vorher töten.«

»Das sagst du, aber du glaubst es selber nicht, denn sobald nur einer von euch sein Gewehr erhebt, schießen wir alle. Ich wiederhole jetzt die Worte, welche du vorhin zu mir gesprochen hast: hat der große Geist euer Gehirn verbrannt, daß ihr hierher gekommen seid, mit uns zu kämpfen, die wir euch doch überlegen sind? Ist euer Hirn ausgetrocknet und alle geworden, daß ihr euch in ganz dieselbe Falle locken laßt, in welche wir gehen sollten? Seid ihr blind und taub geworden, daß ihr weder gehört noch gesehen habt, daß Winnetou mit mir gestern in eurem Lager war, um euch zu belauschen? Du saßest mit den alten Kriegern an einem Felsen, der nahe am hohen Rande des Ufers liegt, und wir lagen oben auf diesem Felsen. Da haben wir alles gehört, was ihr gesprochen habt. Wißt ihr nicht, wie vorsichtig man sein muß, wenn man das Kriegsbeil ausgegraben hat.«