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Der Oelprinz

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»Ich wünsche sehr, daß dies richtig sein möge; aber ich denke daran, was wir in der letzten Zeit erfahren haben. Kein Adler hat so scharfe Augen, kein Mustang so leise Ohren und kein Fuchs so große List wie Old Shatterhand und Winnetou. Hatten wir sie nicht bereits in unsrer Gewalt? Waren sie nicht sogar gefesselt? Und doch haben wir sie freigeben müssen! Und wer hat uns dazu gezwungen? Nur diese beiden Männer allein, welche gefesselt und unbewaffnet waren, während wir freie Hände und unsre Waffen hatten und dreimal zehn mal zehn Krieger zählten. Wenn wir sie morgen wirklich ergreifen und dann auch festhalten wollen, so dürfen wir es nicht so machen wie das letztemal.«

»Wir werden klüger sein. Wir haben doch schon heut alles gethan, was uns die Klugheit gebietet. Wir haben unser Lager sogar hier oben aufgeschlagen, anstatt unten am Wasser, wo wir Spuren hätten zurücklassen müssen. Wenn die Bleichgesichter morgen kommen, werden sie keine einzige Spur da unten sehen und also ahnungslos von da drüben hinunter in die Tiefe reiten, während wir hier versteckt liegen und auf sie warten. Sie werden an das Wasser des Chelly gehen, um ihre Pferde zu tränken, und da fallen wir über sie her.«

»Du meinst, daß sie nicht stracks über die Furt reiten, sondern eine Weile dableiben?«

»Ja. Es gibt auf eine lange, lange Strecke hier die einzige Stelle, wo man von dem hohen Ufer so leicht hinab zum Wasser kommt. Das wissen sie, und darum werden sie sich diese Gelegenheit nicht unbenutzt vorübergehen lassen.«

»Mein Bruder wird recht haben, denn es sind ja Squaws und Kinder bei ihnen, auf die sie Rücksicht nehmen müssen. Und denkt Mokaschi wirklich, daß sie ohne Kampf in unsre Hände geraten werden?«

»Ja.«

»Aber wenn sie sich doch verteidigen?«

»Da schießen wir sie nieder. Aber es wird ihnen nicht einfallen, Gebrauch von ihren Waffen zu machen, wenn wir nur keinen Fehler begehen. Sobald sie unten am Wasser sind, eilen wir hinab –«

»Zu Fuße?«

»Ja. Es würde die größte Thorheit sein, hinunter zu reiten.«

»So müssen wir einige Krieger hier oben bei den Pferden lassen.«

»Nein. Wir binden die Tiere an. Es darf von uns kein Mann fehlen; darauf beruht mein Plan. Wenn die Weißen unsre große Zahl sehen, werden sie auf alle Gegenwehr verzichten; darum müssen wir alle beisammen sein, und es soll kein einziger von uns zurückbleiben. Mein alter Bruder mag sich doch einmal überlegen, in welcher Lage sie sich dann befinden! Sie haben rechts und links die senkrechten Felsen des Flußbettes, welche nicht zu ersteigen sind, vor sich das Wasser des Chelly und hinter sich plötzlich dreihundert feindliche Krieger. Sie würden wahnsinnig sein, wenn sie da auf den Gedanken kämen, sich zu verteidigen.«

»Ich traue ihnen aber diesen Gedanken dennoch zu!«

»Möglich, denn sie sind nicht nur listig, sondern auch kühn und sogar verwegen; aber sie haben Rücksicht auf ihre Squaws und Kinder zu nehmen, deren Leben sie schonen müssen. Hierin wird mir mein alter Bruder zustimmen.«

»Das thue ich. Aber wie dann, wenn sie die Flucht wagen?«

»Die ist unmöglich!«

»O nein.«

»Doch! Wohin sollten sie sich wenden?«

»Nach dem Chelly.«

»Ins Wasser? Das fällt ihnen nicht ein. Sie wissen gerade so gut wie wir, wie leicht ein Schwimmer zu erschießen ist. Und selbst, wenn dies nicht der Fall wäre, so würden gerade wieder ihre Squaws und Kinder es sein, die sie davon abhalten, die Flucht zu ergreifen. Solche Helden wie Winnetou und Old Shatterhand verlassen selbst in der größten Gefahr keinen Menschen, der sich in ihren Schutz begeben hat. Und welche Schande wäre es für sie, wenn von ihnen erzählt werden könnte, daß sie Weiber und Kinder verlassen hätten, deren Sicherheit ihnen anvertraut gewesen war!«

»Mokaschi hat recht. Seine Rede hat alle meine Bedenken zerstreut. Wir können die Bleichgesichter mit Zuversicht erwarten, denn sie werden gezwungen sein, sich uns ohne Kampf zu ergeben. Und dann machen wir es mit den Hunden der Navajos ebenso!«

»Ja, wir locken sie hinunter in das tiefe Felsenbett des Winterwassers und lassen sie nicht wieder herauf.«

»Uff! Das wird eine Wonne sein, denn wir werden hinter den Felsen, Bäumen und Sträuchern stecken und sie von hier oben aus erschießen können, einen nach dem andern, ohne daß uns eine ihrer Kugeln treffen wird.«

»Ja, wir werden sie alle töten, denn wir werden Waffen besitzen, mit denen man selbst den stärksten Feind besiegen kann.«

»Waffen?« fragte der Alte, welcher nicht erriet, was Mokaschi meinte.

»Ja. Denkt mein Bruder denn nicht an die Silberbüchse des Apachen?«

»Uff! Und an das Zaubergewehr Old Shatterhands! Du hast recht. Diese Bleichgesichter werden uns ihre Waffen geben müssen.«

»Dann können wir mit dem Zaubergewehre alle Navajos niederschießen. Wir werden gar keine andre Flinte dazu brauchen. Uff, Uff, uff!«

Die vier Indianer waren bei diesen Worten ganz entzückt. Wenn sie geahnt hätten, wer, fast mit den Händen zu ergreifen, da über ihnen lag und alle ihre Worte hörte! Winnetou schob sich ein wenig zurück und zog dann Old Shatterhand am Arme.

»Wollen wir fort?« fragte dieser ihn leise.

»Ja. Wir haben genug gehört, und mehr brauchen wir nicht zu wissen. Mein Bruder mag kommen.«

Sie krochen nach der hintern Seite des Felsens, wo Old Shatterhand den Apachen wieder am Lasso hinunterließ. Das Nachfolgen war für ihn wieder lebensgefährlich, gelang aber mit Winnetous Hilfe gut.

Nun galt es, den Ort ebenso unbemerkt zu verlassen, wie sie ihn erreicht hatten. Tief am Boden hinkriechend, schlugen sie genau denselben Weg ein, auf welchem sie herbeigekommen waren, und gelangten auch glücklich in eine solche Entfernung vom Lager, daß sie nicht mehr zu kriechen brauchten. Sie erhoben sich also und setzten ihren Rückzug in bequemerer Stellung fort, gingen dann nach der Furt und befanden sich, als sie dieselbe hinter sich hatten, wieder drüben am jenseitigen Ufer in vollständiger Sicherheit. Dort blieben sie stehen und Winnetou meinte:

»Sie haben vor, uns eine Falle zu stellen und glauben wirklich, uns zu fangen.«

»Ja, die Falle ist gut, so gut, daß wir in dieselbe gehen werden.«

»Mein Bruder denkt so wie ich. Wir gehen hinein.«

»Dann mögen sie sehen, ob sie uns fangen werden! Wir holen natürlich die Navajos her, welche wir heute gesehen haben. Die werden die offene Falle hinter uns so verschließen, daß die Nijoras selbst darinnen stecken bleiben. Aber nun laß uns zu Schi-So zurückkehren! Es ist

nun nicht nötig, daß wir diesen jungen, wackeren Krieger zu seinen Navajos senden, denn wir werden sie selbst aufsuchen.«

Er wollte fort. Da legte Old Shatterhand ihm die Hand auf den Arm und sagte:

»Mein Bruder mag noch einen Augenblick warten! Wenn wir morgen in die uns gestellte Falle gehen wollen, ohne daß es uns schadet, so müssen wir vorher wissen, daß es auch wirklich und ganz genau dieselbe Falle ist, von der wir jetzt gehört haben.«

»Mein Bruder meint, daß die Nijoras sich doch vielleicht noch eines andern besinnen könnten?«

»Ja. Dann würden wir in die Schlinge gehen, ohne sie öffnen zu können.«

»So muß einer von uns beiden hierbleiben.«

»Gewiß. Einer bleibt da, um die Nijoras scharf zu beobachten. Soll ich das sein?«

»Nein, ich bleibe hier. Mein Bruder Old Shatterhand versteht es besser als ich, mit seinen weißen Männern und Frauen umzugehen. Darum mag er fortreiten und sie benachrichtigen.«

»Gut! Aber es ist nicht nötig, daß du während der ganzen Nacht hier am Winterwasser bleibst, sondern es genügt, wenn du morgen früh wieder hergehst.«

»Ja, ich muß doch auch zu meinem Pferde, bei dem ich während der Nacht lagern werde.«

»So komm!«

Sie wendeten sich nun der Richtung zu, aus welcher sie gekommen waren. Jetzt brauchten sie sich nicht zu verbergen, denn sie konnten ja, weil es dunkel war, nicht gesehen werden. Sie hielten sich vielmehr auf der offenen Steppe und kamen auf diese Weise sehr schnell vorwärts. Dabei berieten sie sich über die Art und Weise, in der ihr Plan morgen ausgeführt werden sollte.

»Ich nehme natürlich an, daß ich die Navajos in der Nacht auffinde,« sagte Old Shatterhand. »Sie werden augenblicklich bereit sein, auf meine Vorschläge einzugehen.«

»Sie werden nicht nur bereit sein, sondern sich außerordentlich darüber freuen. Wann wird mein Bruder Old Shatterhand hier eintreffen?«

»Das kann ich nicht genau sagen, da ich nicht weiß, wann ich die Navajos treffen werde. Kann ich es aber ermöglichen, so breche ich mit dem Tagesgrauen von der Stelle auf, an welcher unsre Gesellschaft jetzt lagert.«

Es ist bereits erwähnt worden, daß er während des Herweges eine dazu passende Stelle gefunden und den nachfolgenden Gefährten genau bezeichnet hatte.

»So mag mein Bruder,« sagte der Apache, »wenn er kommt, da halten bleiben, wo wir Schi-So vorhin zurückgelassen haben. Ich werde mich in der Nähe befinden und dir dann sagen, wie die Nijoras sich verhalten haben.«

»Ja. Und dann werden wir ja wissen, ob wir unsern jetzigen Gedanken ausführen können. Ich wünsche sehr, daß es geschehen kann, denn dann ist es möglich, den Konflikt, welcher zwischen den beiden Stämmen entstanden ist, ohne Blutvergießen auszugleichen.«

»Wie denkt sich denn Old Shatterhand die Ausführung unsers Planes? Wir werden mit den weißen Leuten also nach dem Winterwasser reiten?«

»Ja.«

»Und so in die Furt hinabsteigen, als ob wir nichts ahnten?«

»Ja.«

»Und auch die Squaws und die Kinder mitnehmen?«

»Natürlich!«

»Aber sie werden sich fürchten und uns also sehr hinderlich sein!«

»Wir dürfen sie trotzdem nicht zurücklassen, weil ihr Fehlen den Nijoras auffallen müßte und sie vielleicht mißtrauisch machen würde.«

»Das ist richtig. Sie dürfen also nicht zurückbleiben, doch mag mein Bruder sie sehr ermahnen, ja nichts zu thun, was uns schaden kann. Aber, wenn wir uns dann unten zwischen dem Wasser und den Felsen befinden und die Nijoras kommen, dann dürfen die Navajos keinen Augenblick zögern!«

 

»Nicht eine Sekunde! Sie werden da sein.«

»Ohne von den Nijoras bemerkt zu werden?«

»Ja.«

»Aber diese roten Männer werden uns beobachten, wenn wir kommen. Wie will Old Shatterhand es anfangen, daß sie die Navajos nicht sehen?«

»Sehr einfach. Die Navajos dürfen natürlich nicht hinter uns herkommen, denn da würden sie bemerkt. Sie müssen vielmehr schon an Ort und Stelle, also in der Nähe der Furt des Winterwassers sein, wenn wir dort ankommen. Zunächst werden wir zusammenreiten, unsre Weißen und die Navajos. Wenn wir aber so weit gekommen sind, daß wir von den Nijoras fast gesehen werden können, halten wir an. Das wird also da sein, wo ich dich treffen will. Dort erfahre ich von dir, wie die Angelegenheit steht. Steht sie gut, so warten die Weißen, bis ich wiederkomme, und ich führe die Navajos in einem weiten Bogen nach Süden, dahin, wo das Gesträuch des Winterwassers beginnt. Während wir diesen Bogen reiten, halten wir uns so weit von den Nijoras entfernt, daß sie uns nicht sehen können. Wenn wir dann im Süden am Winterwasser angekommen sind, führe ich die Roten auf dem trockenen Grunde desselben abwärts bis in die Nähe der Furt, wo sie auf uns warten müssen. Dann kehre ich zu euch zurück und wir brechen mit der weißen Gesellschaft auf.«

–Das ist richtig. So habe ich es auch gedacht. Wir führen die Weißen nach der Furt, reiten hinab, aber nicht drüben wieder hinauf, sondern wenden uns nach rechts dem Wasser des Chelly zu.«

»Ganz recht! Dort steigen wir von den Pferden und thun so, als ob wir hier ausruhen wollten. Zugleich aber müssen wir dafür sorgen, daß uns die Nijoras nicht etwa beim ersten Anpralle fassen können. Es gibt da unten Felsen genug, hinter welche wir sofort springen können, wenn die Roten kommen. Deine Silberbüchse und mein Henrystutzen werden die ersten Worte mit ihnen reden, und dann sind ihnen die Navajos schon im Rücken.«

»Werden wir schießen müssen?«

»Wenn es nicht anders geht, ja; wir wollen aber möglichst ihr Leben schonen. Doch, ich glaube, daß wir nun beinahe an Ort und Stelle sind.«

Sein scharfes Auge hatte sich trotz der Dunkelheit zurechtgefunden. Die beiden näherten sich dem Saume des Ufers und riefen Schi-So’s Namen; er antwortete und kam mit den Pferden aus den Büschen, zwischen denen er gesteckt hatte, heraus.

»Gute Nacht!« sagte Winnetou, indem er sein Pferd beim Zügel nahm und es in das Buschwerk zurückführte.

»Gute Nacht!« antwortete Old Shatterhand, indem er das seinige bestieg, um fortzureiten.

Beide hatten natürlich mit den Pferden auch ihre Gewehre von Schi-So zurückgenommen. Dieser mochte über die kurze Art und Weise dieser Verabschiedung erstaunt sein; er wagte es aber nicht, ein Wort darüber zu bemerken oder eine Frage auszusprechen; dies gab der Respekt nicht zu, den er für diese beiden berühmten Männer hegte. Er stieg auch auf sein Pferd und folgte Old Shatterhand.

Dieser hatte zunächst einen kurzen Trab eingeschlagen und verhielt sich einige Zeit lang still. Dann fragte er den Jüngling in seiner leutseligen Art und Weise:

»Schi-So wird gar nicht wissen, woran er mit uns ist?«

»Ich werde es erfahren,« antwortete der Angeredete höflich.

»Ja, du wirst es erfahren. Wenn ich es dir jetzt sagen wollte, müßte ich es zweimal erzählen, und das möchte ich vermeiden. Aber eins will ich doch bemerken, worüber du dich freuen wirst: Ich habe deine Eltern gesehen.«

»Wirklich, wirklich? Wo?« fragte Schi-So, freudig überrascht.

»Am jenseitigen Ufer. Sie ritten mit einer großen Kriegerschar aufwärts.«

»Jedenfalls um nach den Nijoras zu suchen?«

»Ja.«

»Da werden sie des Nachts lagern! Wenn ich sie aufsuchen dürfte!«

»Du darfst. Ich muß sie nämlich suchen, und da sollst du mich begleiten. Ich denke, daß du noch in dieser Nacht deinen Vater und deine Mutter begrüßen kannst. Wir haben Eile. Laß uns Galopp reiten!«

Ein kurzes Wort von ihm genügte, sein Pferd zum schnelleren Laufe anzutreiben, und Schi-So folgte ihm, in stiller Wonne an das Wiedersehen mit seinen Eltern, besonders mit seiner Mutter denkend.

Diesmal gehörte kein großer Scharfsinn dazu, den Ort, nach welchem sie wollten, zu entdecken. Als sie sich demselben näherten, sahen sie den Schein des Feuers zwischen den Bäumen hervorschimmern. Old Shatterhand hielt sein Pferd an und sagte:

»Wie unvorsichtig, so ein Feuer zu brennen! Ich bin zwar überzeugt, daß diese Stelle hier jetzt ganz gefahrlos ist, aber man zündet doch nicht ein Feuer an, an welchem man einen Büffel braten könnte! Sam Hawkens muß sehr genau wissen, daß er sich hier in vollster Sicherheit befindet. Steigen wir ab und schleichen wir uns heimlich hin! Wollen sehen, was sie thun und reden. Man kann ja schon hier ihre lauten Stimmen hören.«

Sie stiegen ab und führten ihre Pferde leise nach dem Rande des Buschwerkes, wo, wie sie bemerkten, die Gesellschaft die ihrigen stehen hatte. Dann schlichen sie sich näher. Da sahen sie zu ihrem Erstaunen den Häuptling der Navajos mit seiner weißen Squaw.

»Deine Eltern sind da,« flüsterte Old Shatterhand seinem jungen Begleiter zu. »Siehst du sie?«

»Ja,« antwortete der Gefragte.

Er sagte nur dieses eine Wort, doch das scharfe Ohr des Jägers hörte es, daß seine Stimme dabei vor freudiger Erregung zitterte.

»Wie mögen sie sich hierher gefunden haben? Und welche Freude, als sie hörten, daß du bei uns bist! Natürlich haben sie erfahren, daß ich dich mitgenommen habe. Ich denke, daß du sie sehr freudig begrüßen möchtest; aber das geht nicht; sie sind nicht allein gekommen, und du mußt auf die andern Navajos Rücksicht nehmen; bleib hier stehen! Ich will zunächst allein zu ihnen.«

Old Shatterhand schlich sich noch weiter hinan und hörte, was gesprochen wurde. Dann folgte die Scene, welche bereits beschrieben worden ist.

Dann, als dieselbe vorüber war, setzte er sich zu Nitsas-Ini, um mit ihm über das, was morgen vorgenommen werden sollte, zu beraten. Er erklärte ihm den Plan, den er mit Winnetou entworfen hatte, und der Häuptling war mit demselben vollständig einverstanden.

Nachher wurde der emeritierte Kantor gebracht, und der Empfang, den er fand, war kein allzu freundlicher, denn Old Shatterhand sagte ihm tüchtig die Meinung, ohne ihn allerdings von seiner Thorheit zu überzeugen.

Dann riet Old Shatterhand den Anwesenden, sich zur Ruhe zu legen, weil morgen ein anstrengender Tag zu erwarten sei.

Der Häuptling der Navajos kehrte mit seiner weißen Squaw nicht nach seinem Lager zurück, sondern erklärte, daß er hierbleiben wolle. Dafür schickte er seine Roten zurück, welche seine Befehle nach dem Lager bringen sollten.

Es wurde eine Wache ausgestellt; man ließ das Feuer erlöschen, und dann wurde es ruhig. Schi-So lag neben seiner Mutter; sie hatten ihre Hände ineinander vereinigt.

Es war spät geworden und die kurze Zeit, welche bis zum Morgen übrig geblieben war, verging sehr schnell. Eben graute der Tag, als Old Shatterhand die Schläfer weckte. Als diese an den Fluß traten, um sich zu waschen, sahen sie die Krieger der Navajos, welche in einer langen Reihe am jenseitigen Ufer aufwärts geritten kamen und, als sie gerade gegenüber anlangten, ihre Pferde in das Wasser trieben, um das diesseitige Ufer zu erreichen.

Die Weißen machten sich nun auch schnell zum Aufbruche fertig; dann setzte sich der Zug flußabwärts in Bewegung, Old Shatterhand und Nitsas-Ini ritten an der Spitze. Dieser letztere hatte den Boten, welche von ihm in sein Lager geschickt worden waren, die Namen zweier Indianer genannt, welche nicht mitkommen, sondern als Späher dem Oelprinzen entgegenreiten und ihn und seine Begleiter beobachten sollten. Er glaubte, diese Aufgabe in die besten Hände gelegt zu haben, da sie zu den gewandtesten und verschlagensten Leuten seines Stammes gehörten.

Diese beiden Indianer blieben also zurück. Sie hatten den Oelprinzen, Buttler und Poller zu beobachten und ihnen heimlich zu folgen. Sie sollten sie nicht aus den Augen lassen. Falls sie bemerken sollten, daß die Drei entwischen wollten, hatten sie den Befehl, sie lieber zu töten, als sie entkommen zu lassen.

Als es hell genug geworden war, ritten sie denen, die sie erwarteten, entgegen, denn das hatte der Häuptling befohlen. Es war anzunehmen, daß die drei Weißen auf der Fährte der Navajos kommen würden. Da, wo die letzteren gelagert hatten, konnte man ihre Annäherung nicht vorher bemerken, und so ritten die zwei Indianer lieber zurück, um sich an einer Stelle zu verstecken, an welcher sie die drei Weißen schon von weitern kommen sehen konnten.

Nach vielleicht schon einer halben Stunde sahen sie, daß das Buschwerk des Ufers in einer langen, schmalen Spitze hinaus in die offene Steppe trat. Nach dieser Spitze ritten sie nun, führten ihre Pferde in das Gebüsch, banden sie dort an und versteckten sich auch selbst in der Nähe. Nämlich jenseits dieser Spitze lag die Ebene auch weit offen da, und so konnten sie von hier aus den Oelprinzen und seine Begleiter schon sehen, wenn diese noch über eine englische Meile entfernt waren. Darum glaubten sie, eine sehr gute Wahl getroffen zu haben und ihrer Sache ganz sicher sein zu dürfen.

Dem war aber leider gar nicht so!

Grinley, Poller und Buttler hatten, wie schon früher bemerkt, den Navajos nicht bis zu deren Lager folgen können, weil die Nacht inzwischen angebrochen war und sie in der Dunkelheit die Fährte nicht sehen konnten. Sie waren da, wo sie sich gerade befanden, von den Pferden gestiegen, um den Morgen zu erwarten. Ehe sie einschliefen, unterhielten sie sich über die Ereignisse der letzten Tage, die ihnen so wenig Gutes gebracht hatten, und natürlich auch über die ihrer Ansicht nach schändliche Art und Weise, in welcher sie um die Anweisung gekommen waren. Sie waren wütend darüber und beschlossen, alles daran zu setzen, das Papier wieder in ihre Hände zu bekommen, und dabei keinen Menschen zu schonen, er sei, wer er wolle.

Dabei galt es, alle Vorsicht zu entwickeln. Sie überlegten alles, was zu thun war, ganz genau und gingen auch das Geschehene noch einmal mit großer Sorgfalt durch. Dabei kamen sie auch auf den Umstand, daß sie heute die Spur eines einzelnen Reiters gesehen hatten, welche von links her auf die Gesamtfährte der Navajos gestoßen war. Sie hatten ihr keine Bedeutung beigemessen; aber jetzt, wo sie nach reiflicher Ueberlegung zu dem Resultate gekommen waren, daß alle List, Sorgfalt und Vorsicht anzuwenden sei, wollte ihnen diese Fährte doch wichtiger erscheinen.

Sie beschlossen, vorsichtig zu sein und wenn die Navajos ihnen einen Hinterhalt legten, sie entweder zu täuschen oder gar kalt zu machen.

Kaum dämmerte der nächste Morgen heran, so saßen sie schon wieder auf ihren Pferden und ritten weiter. Bei offenem Terrain hielten sie sich auf der Spur der Navajos; gab es aber Büsche, so machten sie einen Umweg über dieselben herum. Bald kamen sie so weit, daß sie die erwähnte Buschspitze vor sich liegen sahen.

Buttler hielt sein Pferd an und musterte die Spitze mit nachdenklich zusammengekniffenen Augen. Dann sagte er.

»Auf dieser Seite liegt eine weite Fläche und wenn ich recht vermute, auf der andern auch. Keine Oertlichkeit eignet sich also so vortrefflich dazu, uns schon von weitem kommen zu sehen, und wenn es wahr ist, daß man uns einen Hinterhalt gelegt hat, so stecken die Kerls dort und nirgends anders. Wir werden uns also sehr hüten, uns diesem Gebüsch von außen zu nähern oder um dasselbe herumzureiten. Nein, wir schleichen uns heimlich hin, und wehe den Hunden, die sich dort von uns finden lassen! Kommt!«

Er stieg ab und führte sein Pferd dem Flusse zu; die andern folgten ihm in derselben Weise. Unter den Bäumen des Flusses angekommen, gingen sie aufwärts, dem Wasser entgegen, immer durch die Sträucher gedeckt, so daß man sie von der Spitze aus nicht sehen konnte. Das ging natürlich sehr langsam, und es dauerte lange Zeit, ehe sie diejenige Stelle des Flußufers erreichten, von welcher aus sich die Buschwerksspitze in die freie Ebene hinauszog. Da banden sie die Pferde an und bogen vom Wasser in einem rechten Winkel ab, um, der Spitze folgend, dieselbe nach vorhandenen Indianern zu durchsuchen. Das war wenige Minuten, bevor die beiden Navajo-Indianer von der andern Seite herkamen.

Sie verfuhren mit aller nötigen und möglichen Vorsicht, ohne ein menschliches Wesen oder die Spur eines solchen zu entdecken. Fast hatten sie schon die äußerste Spitze erreicht, und eben wollte der Oelprinz den Vorschlag machen, zu den Pferden zurückzukehren und weiter zu reiten, da zeigte Buttler zwischen die Büsche hinaus und sagte:

 

»Hallo, dort kommen zwei Rote! Wahrscheinlich sind es die, welche wir suchen. Wollen wir sie unbelästigt vorüberlassen?«

»Vorüber?« antwortete Poller. »Sie wollen wohl nicht vorüber. Wie mir scheint, halten sie gerade auf uns zu.«

»Allerdings. Kommt zurück! Wir müssen sie beobachten.«

Sie retirierten eine kleine Strecke und versteckten sich dann so gut, wie die Oertlichkeit es erlaubte. Die beiden Navajos kamen heran, zogen ihre Pferde, nachdem sie abgestiegen waren, in das Gesträuch herein und versteckten sich dann auch in dasselbe. Die beiden Parteien waren nicht mehr als etwa zehn Schritte von einander entfernt, Die Indianer waren überzeugt, allein zu sein, und hielten es infolge dessen nicht für nötig, leise miteinander zu sprechen, ihre Worte wurden von den Weißen daher deutlich gehört.

»Ob die Bleichgesichter kommen werden?« meinte der eine.

»Sie kommen,« sagte der andre. »Sie wollen das Papier holen und werden also nicht zurückbleiben.«

»So gehen sie in den Tod. Folgen sie unsern Kriegern, so werden sie gefangen und gemartert, und folgen sie ihnen nicht, weil sie Verdacht fassen, so erschießen wir sie.«

»Hört ihr es?« flüsterte der Oelprinz Buttler und Poller zu. »Wir brauchen gar nichts weiter zu hören.«

»Nein; wir wissen genug,« stimmte Buttler bei. »Wie steht’s?«

An die Hölle mit ihnen!«

»Well, bin dabei. Nehmt die Gewehre und zielt auf die Köpfe!«

Er legte sein Gewehr auch an und zählte:

»Eins – zwei – drei!«

Die drei Schüsse krachten. Die Büsche, in denen die Roten steckten, raschelten; es gab ein kurzes Röcheln und Stöhnen; dann war es still. Die Weißen verließen ihr Versteck und gingen hinüber; die Roten lagen, beide durch die Köpfe geschossen, tot in dem Gesträuch.

»So!« lachte der Oelprinz. »Die folgen uns nun nicht nach und schießen uns auch nicht nieder. Sie mögen hier für die Geier und Wölfe liegen bleiben.«

Poller nickte zustimmend und auch Buttler hatte nichts einzuwenden. Sie wandten sich, um zu ihren Pferden zurückzukehren, da blieb Buttler aber plötzlich stehen und meinte:

»Wartet noch, was wir von ihren Sachen brauchen können, wollen wir doch mitnehmen.«

Die drei Banditen plünderten die Toten aus, deren Gewehre und Munition ihnen besonders willkommen war. Natürlich nahmen sie die Indianerpferde auch mit, die ihnen große Erleichterung bieten konnten. Wenn man als Flüchtling die Pferde wechseln kann, kommt man schneller vorwärts als mit nur einem Gaule. Zu ihrer Freude fanden sie in den Satteltaschen einen beträchtlichen Vorrat von Dörrfleisch. Die Roten hatten sich damit versehen, weil sie auf eine längere Abwesenheit von den Ihrigen mußten gefaßt sein.

Nun setzten die drei Mörder, jetzt mit fünf Pferden, ihren Weg fort. Sie brauchten nicht mehr so vorsichtig zu sein, denn jetzt war kein Hinterhalt mehr zu erwarten, und so ließen sie ihre Tiere tüchtig ausgreifen, bis sie den Ort am Ufer erreichten, wo die Navajos während der Nacht gelagert hatten. Sie stiegen ab, um denselben zu untersuchen, fanden aber nichts, was sie besonders interessieren konnte, als nur die Spuren davon, daß die Roten heute früh am diesseitigen Ufer weiter aufwärts geritten seien.

Sie folgten dieser Fährte und erreichten nach einer Viertelstunde die Stelle, an welcher die Navajos über den Fluß gesetzt waren. Sie thaten dasselbe und fanden drüben die deutlichen Eindrücke des Lagers der Weißen. Da stiegen sie wieder von den Pferden, um diesem Platze ihre Aufmerksamkeit zu widmen. Sie waren alle drei im Leben und in den Vorkommnissen des Westens erfahren, und so kam es, daß sie sich in Beziehung auf das, was hier stattgefunden hatte, nicht täuschten, wenn sie auch die näheren Umstände unmöglich wissen konnten.

»Hier hat es auch ein Lager gegeben,« sagte der Oelprinz. »Wißt ihr, wer dagewesen ist?«

»Natürlich Old Shatterhand mit seinen Leuten,« antwortete Buttler. »Es kann gar niemand anders gewesen sein. Schaut da zu den Büschen hinaus! Ihre Fährte geht am hohen Ufer hin nach Westen, «

»Ja; die Navajos sind über den Fluß herübergekommen und zu ihnen gestoßen. Sie haben sich mit ihnen vereinigt und sind nun alle hinter den Nijoras her. Das gibt —«

Er hielt in seiner Rede inne. Man sah es ihm an, daß er erschrocken war.

»Was ist’s?« fragte Buttler.

»Alle tausend Teufel!«

»Was denn?«

»Da kommt mir ein Gedanke, ein armseliger, miserabler Gedanke!«

»Welcher?«

»Wenn es so ist, wie ich denke, so können wir uns nur gleich aufmachen und fortreiten wie alte Hunde, welche Prügel und nichts zu fressen bekommen haben!«

»Warum denn? So rede doch!«

»Reden? Was ist da zu reden! Das mußt du dir doch selber sagen, wenn du nur eine kleine Spur von Verstand besitzest!«

»So habe ich freilich meinen Verstand verloren, denn ich weiß wirklich nicht, was du meinst.«

»Das ist unbegreiflich! Du bist doch sonst nicht auf den Kopf gefallen. Mit dem Gelde ist es nämlich aus, vollständig aus. Wir werden nicht einen Dollar, nicht einen Cent bekommen!«

»Alle Donner! Warum nicht?«

»Weil die Anweisung zum Teufel ist!«

»Inwiefern soll sie denn zum Teufel sein? Ich verstehe noch immer nicht, was du redest!«

»So ist dir wirklich dein ganzes bißchen Denkkraft abhanden gekommen. Du weißt doch, daß Old Shatterhand und Winnetou ganz dicke Freunde der Navajos sind?«

»Das weiß ich allerdings.«

»Die Roten werden ihm also, sobald sie mit ihm hier zusammentrafen, nichts verschwiegen haben.«

»Ja. Wahrscheinlich haben sie ihm gesagt, daß wir bei ihnen gewesen sind und sie so schön genasführt haben.«

»Darauf bilde dir ja nichts ein, denn jetzt sind wir die Genasführten. Wer hatte die Anweisung?«

»Wolf, der Deutsche.«

»Schön! Er ist mit hier gewesen und hat natürlich den Bankier gesehen und mit ihm gesprochen. Was versteht sich nun da von selbst?«

»Daß er – Satan! Jetzt weiß ich, was du meinst! Es ist alles erzählt worden, und da – – da hat dieser Wolf dem Bankier die Anweisung ausgehändigt. Ist dies das, was du meintest?«

»Ja.«

»So ist es bei uns freilich mit jeder Hoffnung aus. Es ist alles, alles vergeblich gewesen, und du mußt nun endlich einsehen und zugeben, was für ein Knaben- oder Jungenstreich es von dir war, diesem Wolf die Anweisung zu zeigen!«

Der Oelprinz wollte diesen Fehler beschönigen, und so entstand ein Wortwechsel, welcher so hitzig wurde, daß die beiden nahe daran waren, sich aneinander zu vergreifen. Da schob Poller sie auseinander und sagte:

»Ihr werdet euch doch nicht die Hälse brechen wollen! Damit macht ihr die Sache nicht anders. Ich sehe nicht ein, warum wir gleich das Allerschlimmste annehmen und jede Hoffnung aufgeben sollen. Es ist ja noch gar nichts verloren.«

»Nicht?« rief der Oelprinz ärgerlich aus.

»Nein, noch gar nichts.«

»So bin nun ich es, der nichts versteht und nichts begreift. Die Anweisung ist doch weg. Oder nicht?«

»Nein, sie ist nicht weg. Erst hatte sie Wolf, und nun hat sie Rollins. Was ist das für ein Unterschied? Es ist ganz gleich, wer sie hat, wenn sie nur noch da ist.«

»Das weiß ich auch; das braucht mir niemand zu sagen. Aber sie ist eben nicht mehr da.«

»Wer sagt das?«

»Ich sage es, denn es versteht sich doch ganz von Selbst, daß Rollins sie sofort vernichtet hat!«

»Vernichtet? Das nehme ich erst dann an, wenn es bewiesen ist. Vernichtet, das heißt doch wohl zerrissen. Was man zerreißt, steckt man nicht ein, um es sorgfältig aufzuheben, sondern man wirft es weg. Wo aber ist hier auch nur das kleinste Stückchen Papier zu sehen? Es ist seit gestern abend bis jetzt vollständig windstill gewesen; es hat keinen Lufthauch gegeben, welcher die Papierfetzen hätte mit fortnehmen können; sie müßten also noch daliegen. Wollen einmal suchen, ganz sorgfältig suchen, nicht bloß hier, sondern auch in der Umgebung des Lagers.«

Sie thaten dies auf das eifrigste, fanden aber nichts. Da sagte der Oelprinz, indem er tief Atem holte und sein Gesicht sich wieder aufklärte: