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Der Oelprinz

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»Aber auch nicht am unrichtigen, denn er scheint leider gar keinen zu haben!«

»Soll ich ihn holen lassen?«

»Ja. Da er nicht mit deinen Kriegern reden kann, stellt er dort vielleicht noch größere Dummheiten an, als er bei uns hier ausführen könnte.«

Es wurde ein Roter fortgeschickt, der ihn bringen sollte. Dann erst begann Old Shatterhand, von seinem heutigen Ritte zu erzählen.

Seinen und auch Winnetous scharfen Augen war es nicht entgangen, daß die Nijoras, deren Fährte sie gefolgt waren, nach und nach ein viel langsameres Tempo eingeschlagen hatten. Welchen Grund hatten sie dazu?

Es war nicht Gepflogenheit der beiden berühmten Männer, zu etwas, was sie selbst erforschen konnten, den Rat oder die Meinung andrer einzuholen; darum hatten sie keinem ihrer Gefährten, auch Sam Hawkens nicht, etwas von dieser ihrer Beobachtung gesagt. Sie paßten nun nur schärfer auf, und erkannten, daß sie sich nicht getäuscht hatten.

»Was sagt mein Bruder Shatterhand dazu?« fragte Winnetou.

»Daß sie keine Eile mehr zu haben scheinen, an die Navajos zu kommen,« antwortete dieser.

»Mein Bruder denkt genau so wie ich. Sie scheinen ihren Angriff auf diese verschieben zu wollen. Da ist nur ein Gedanke möglich, auf wen sie es abgesehen haben können.«

»Auf uns natürlich.«

»Ja, doch warum? Sie können doch nichts Klügeres thun, als schleunigst über die Navajos herzufallen, die nicht genau unterrichtet sind, weil ihre Kundschafter teils gefangen genommen und teils ermordet wurden.«

»Aber mein Bruder Winnetou mag bedenken, daß wir ihnen hart im Rücken sind und einige sehr gute Pferde haben. Wir können, wenigstens einige von uns, durch einen Parforceritt um sie herum- und ihnen vorauskommen und die Navajos benachrichtigen.«

»Uff!« nickte der Apache. »Das wird es sein.«

»Ja, das ist es wahrscheinlich. Sie wollen dies verhüten und sich überhaupt den Rücken frei machen. Ein solcher Gedanke ist Mokaschi, ihrem Häuptlinge, sehr wohl zuzutrauen. Darum reiten sie jetzt langsamer, um uns näher bei sich zu haben, und, wenn sich eine geeignete Gegend dazu findet, nicht lange auf uns warten zu müssen. Wenn diese unsre Vermutung richtig ist, brauchen wir nur darüber nachzudenken, welcher Ort von hier aus ihnen am bequemsten zu einem Ueberfalle gelegen ist. Mein roter Bruder kennt die Gegend ja sehr genau.«

»Mein weißer Bruder auch.«

»So laß uns nachdenken!«

»Uff!« meinte Winnetou nach einer kleinen Weile, »es gibt einen, den sie noch heut vor Abend erreichen werden.«

»Ich denke ganz dasselbe. Du meinst das Winterwasser?«

»Ja. Du auch?«

»Ja.«

Es war wirklich überaus eigentümlich, wie sehr diese beiden Männer in all ihrem Denken und Fühlen harmonierten. Kaum hatte der eine einen Gedanken gefaßt, so stand ganz dieselbe Idee auch schon im Kopfe des andern klar da. So auch jetzt. Beide hatten zu gleicher Zeit an das Winterwasser gedacht.

»Es ist sehr möglich, daß sie uns dort erwarten,« meinte Old Shatterhand.

»Ich behaupte es beinahe,« stimmte der Apache ein.

»Wollen wir ihnen in die Gewehre und in die Messer laufen?«

»Nein.«

»So müssen wir Gewißheit haben.«

»Es muß jemand hin, um sie zu beobachten.«

»Aber wer?«

»Mein Bruder Shatterhand; er ist der umsichtigere und bedächtigere von uns beiden.«

»Nein, sondern mein Bruder Winnetou, dessen Blicke und Sinne viel schärfer sind als die meinigen.«

»Old Shatterhand ist stärker als ich. Er kann einer Gefahr viel besser widerstehen.«

»Und du bist gewandter. Aber warum uns gegenseitig so messen! Das Winterwasser ist ein höchst verfänglicher Ort, der einem einzelnen Kundschafter zu viel Zeit raubt und zu viel Mühe macht. Es sollten wenigstens zwei sein.«

»So reiten wir beide!«

»Ja. Wir können abkommen, denn es droht den Unsrigen während unsrer Abwesenheit keine Gefahr. Hinter sich haben sie keine Feinde, und vor ihnen, da reiten ja wir, um sie zu decken. Es wird gehen. Eigentlich aber müßten wir noch jemand mitnehmen.«

»Warum?«

»Falls sie uns überfallen wollen, genügen wir beide vollständig; aber wenn sie dies nicht beabsichtigen und doch zu den Navajos wollen, müssen wir diese benachrichtigen; dazu aber kann keiner von uns beiden abkommen.«

»Nein.«

»Wir müssen also einen Dritten mit uns nehmen.«

»Wen wird mein Bruder Shatterhand dazu auswählen?«

»Ich schlage Schi-So vor.«

»Ja. Er ist ein guter Reiter und kennt die Gegend so genau wie wir. Von den andern kennt sie keiner. Also nehmen wir ihn mit. Doch, sollen die übrigen erfahren, weshalb wir diesen Ritt unternehmen?«

»Denkt mein Bruder Winnetou, daß es besser ist, es ihnen zu verschweigen?«

»Ja. Wir haben Männer dabei, welche keine Helden sind, und Squaws und Kinder, zu denen man nicht vorher von Gefahren reden soll. Wenn sie es kurz vorher erfahren, ist’s früh genug.«

So schnell dieser Beschluß gefaßt worden war, so schnell wurde er auch ausgeführt. Schon nach kurzer Zeit ritten die Drei im Galopp voran, während die andern im bisherigen langsamen Schritte folgten.

Die Gegend war eben. Links lag die flache, vegetationslose Steppe und rechter Hand der Fluß, dessen Ufer, weil es da Feuchtigkeit gab, erst von einem Wald- und Busch- und dann von einem Grasstreifen besäumt waren. Bei der außerordentlich reinen Luft, welche es dort immer gibt, konnte man, außer wenn der Fluß eine nach links gerichtete Krümmung beschrieb, sehr weit sehen. Es war also nicht zu befürchten, daß man plötzlich und unerwartet auf die absichtlich oder unabsichtlich halten gebliebenen Nijoras stoßen werde.

So ging es weiter bis zum späten Nachmittage, wobei die Fährte von Zeit zu Zeit genau abgelesen wurde. Es ergab sich, daß man den Indianern immer näher kam. Sie waren nun nicht mehr eine ganze Stunde voraus.

Da war links, von Süden her, ein ganz dunkler Streifen schnurgerade und genau rechtwinkelig auf den Fluß gezogen. In der Ferne, ganz im Süden, bestand er aus einzelnen dürren Mezquitopflanzen, die sich nachher zu Sträuchern vereinigten. Später traten die Büsche näher zusammen; sie wurden saftiger und grüner, während sie im Süden eine graue, hungrige Färbung besaßen. Je näher dem Flusse, desto dichter und üppiger zeigte sich das Gehölz, aus welchem dann sogar Bäume hervorragten, die sich mit dem Waldesstreifen des Flusses vereinigten.

Dieser Streifen von Vegetation bezeichnete den Lauf des Winterwassers, wenn da überhaupt von einem Laufe, einem Rinnen des Wassers die Rede sein konnte.

in der feuchten Jahreszeit, das heißt zur Zeit der wenigen Regentage, sammelte sich das Wasser in dieser flußbettartigen Vertiefung und gab den Pflanzen für einige Wochen ein frisches Aussehen, während sie sonst dürr, arm und traurig dastanden. Je näher dem Flusse aber, desto länger währte die Lebensfreudigkeit, bis es schließlich sogar Bäumen gelang, sich für das ganze Jahr am Leben zu erhalten. Der Kopf, welcher sich den Namen Winterwasser ausgesonnen hatte, hatte jedenfalls noch weniger Feuchtigkeit besessen, als das Flüßchen selbst.

Die drei Reiter befanden sich jetzt in einer solchen Entfernung von diesem Winterwasser, daß man von dort aus nun fast bemerkt werden mußte. Um nicht gesehen zu werden, waren sie also gezwungen, sich im Schutze des Wald- und Buschsaumes weiter zu bewegen. Sie stiegen ab und suchten ein gutes Versteck für ihre Pferde, bei welchen Schi-So zurückbleiben sollte. Er bekam auch die Gewehre in Verwahrung, weil diese einen durch das Gebüsch schleichenden, oder gar am Boden kriechenden Späher nur belästigen können. Dann gingen Winnetou und Old Shatterhand unter den Bäumen am Flußrande langsam weiter, die Augen scharf vorwärts gerichtet, um jeden etwa noch hier befindlichen Nijora rechtzeitig zu erspähen.

Als sie die Hälfte des Weges zurückgelegt hatten, blieben sie halten, und Old Shatterhand sagte:

»Wollen wir uns nicht zunächst überzeugen, ob die Nijoras am Winterwasser geblieben oder weitergeritten sind?«

»Ja. Diese Bäume sind hoch genug.«

»Und auch dicht genug belaubt, so daß wir, wenn wir sie ersteigen, von Weitem nicht gesehen werden können.«

Sie suchten sich zwei Bäume aus, welche die nötige Höhe besaßen und zugleich so nahe bei einander standen, daß zwei Menschen, die sich oben befanden, einander ohne allzu lautes Reden verstehen konnten. Beide kletterten ausgezeichnet und waren wie die Eichkätzchen im Nu oben. Sie bemerkten, daß sie eine gute Wahl getroffen hatten, denn der Rundblick, welcher sich ihnen hier oben bot, war mehr als genügend. Sie konnten, was sie auch gewollt hatten und sehr notwendig war, über die am Winterwasser stehenden Bäume hinweg auf die jenseits sich ausbreitende Ebene sehen. Diese war vollständig leer.

»Sie stecken am Winterwasser,« sagte Old Shatterhand zu Winnetou hinüber.

»Ja, sie sind nicht weitergeritten, sonst müßten wir sie da draußen auf der Steppe sehen,« antwortete dieser. »Mein Bruder mag sein Rohr zur Hand nehmen.«

Old Shatterhand führte auf allen seinen Streifzügen ein gutes Fernrohr bei sich; es steckte in der Satteltasche, und er hatte es vorhin, als er sein Pferd bei Schi-So zurückließ, mitgenommen. Jetzt richtete er es auf das Strauchwerk des Winterwassers und blieb eine Zeit lang in unbeweglicher Haltung auf dem Aste sitzen. Dann nahm er das Rohr vom Auge und meldete dem Apachen:

»Sie sind dort. Das Rohr zieht mir das Gebüsch bis ganz nahe vor die Augen heran. Sie lagern jenseits des Gebüsches hart am Ufer des Winterwassers. Eben bringen viele ihre Pferde aus der Tränke unten am Chellyflusse.«

»Würde man sie belauschen können?«

»Jetzt nicht, aber gewiß später, wenn es dunkel geworden ist.«

»Hat mein weißer Bruder Lust, es zu thun?«

»Natürlich! Es ist immer von Vorteil, wenn man hören kann, was die Feinde sprechen.«

 

»So warten wir bis zur Dunkelheit und schleichen uns dann hin.«

»Ja, aber nicht hier oben, sondern unten warten wir; da ist’s bequemer.«

Schon wollte er vom Baume steigen, als er ein verwundettes »Uff l« des Apachen hörte.

»Hat mein Bruder etwas gesehen?« erkundigte er sich.

»Ja.«

»Was?«

»Reiter.«

»Wo?«

»Drüben am andern Ufer. Es war wie eine lange Schlange von Reitern, welche sich nahe an den Bäumen hinzog. Mein Bruder mag warten, bis sie wieder erscheinen. Sie werden bald über die schmale Lichtung müssen, welche uns gegenüberliegt.«

Die beiden Lauscher hielten ihre Augen mit Spannung über den Fluß hinübergerichtet. Da kamen zunächst zwei einzelne Reiter; es waren Indianer. Sie ritten im Galopp über die Lichtung und begannen die Büsche jenseits derselben zu durchsuchen. Dann kam einer zurück und winkte; sie hatten nichts Verdächtiges gefunden.

»Mein Bruder mag sein Rohr nehmen; da wird er vielleicht die Gesichter erkennen,« meinte Winnetou. Old Shatterhand folgte dieser Aufforderung und richtete das Fernrohr nach der Blöße. Auf den Wink des Spähers kamen seine Leute hinter dem Gebüsch hervor, eine lange, lange Reihe von Reitern, welche mit den Kriegsfarben bemalt waren; darum konnte Old Shatterhand ihre Gesichter nicht erkennen; aber dennoch wollten ihm viele der Gestalten bekannt vorkommen. Am Schlusse des Zuges kamen zwei, von denen er sofort wußte, wer sie waren, nämlich Nitsas-Ini und seine weiße Squaw, deren Gesicht natürlich unbemalt war. Als sie alle hinter dem Gesträuch auf der andern Seite der Lichtung verschwunden waren, sagte der Apache:

»Das müssen die Krieger der Navajos gewesen sein; etwas andres ist kaum möglich. Da es zu weit bis dort hinüber ist, konnte ich sie nicht erkennen, aber es war mir, als ob sich am Ende des Zuges eine Squaw befunden habe. Mein Bruder konnte durch sein Rohr besser sehen. Hast du jemand erkannt?«

»Ja. Nitsas-Ini und seine Squaw ritten hinterdrein.«

»So sind es also die Navajos gewesen, wie ich vermutete. Sie haben jedenfalls unten an der Mündung des Flusses gelagert. Warum haben sie diesen Ort verlassen?«

»Und warum halten sie sich da drüben am rechten Ufer?«

»Ja, das ist sonderbar. Sie wissen doch, daß sie die Nijoras auf dieser Seite des Flusses zu suchen haben, da deren Gebiet auf derselben liegt.«

»Sollten sie durch irgend eine falsche Nachricht dazu ver-

anlaßt worden sein?«

»Das ist nicht nur möglich, sondern sehr wahrscheinlich.«

»Dann müssen wir uns fragen, wer ihnen diese Nachricht gebracht hat.«

»Ein Kundschafter nicht, denn ihre Späher können ja nicht zu ihnen, weil sie gefangen sind.«

»Es gibt nur einen einzigen möglichen Fall.«

»Welchen?«

»Daß sie von dem Oelprinzen irre geleitet worden sind.«

»Richtig! Der ist jedenfalls zu ihnen, um sich und seine beiden Begleiter ausrüsten zu lassen, weil sie jetzt unbewaffnet waren.«

»Aber was können diese drei für Gründe haben, die Navajos da drüben heraufzuschicken?« ,

»Wir wollen uns darüber nicht die Köpfe zerbrechen. Jedenfalls werden wir diese Gründe erfahren. Steigen wir jetzt herab! Es will dunkel werden, und wir können nun bald an die Nijoras kommen.«

Sie stiegen von den Bäumen, da sie unten sicherer waren. Es konnte aus irgend einem Grunde ein Nijora an diese Stelle kommen und da mußte er sie, wenn sie oben saßen, weit eher entdecken, als wenn sie sich unten befanden und sich vor ihm verbergen konnten. Als sie nun wieder nebeneinander standen, sagte Old Shatterhand:

»Unsre Freunde mögen da drüben den Weg eingeschlagen haben, aus welcher Ursache es immer sei, so können sie den Zweck, welchen sie dabei verfolgen, sehr leicht verfehlen.«

»Warum?« fragte der Apache.

»Weil es möglich ist, daß sie von den Nijoras gesehen worden sind.«

»Uff! Das ist wahr. Diese liegen hüben am Ufer und die Navajos kamen drüben am Ufer!«

»Diese Ufer sind zwar mit Büschen und Bäumen besetzt, aber unsre Freunde haben über die Lichtung gemußt, wo sie von jedem, der hüben am Wasser stand, gesehen werden mußten.«

»Die Nijoras tränkten vorhin ihre Pferde. Hoffentlich sind sie jetzt damit fertig gewesen und es hat keiner von ihnen mehr unten am Flusse gestanden. Ich will noch einmal auf den Baum klettern und die Stelle dort betrachten.«

Er kletterte wieder hinauf, hielt eine kurze Weile scharfen Ausguck, kam dann wieder herab und sagte:

»Es ist niemand am Wasser, und so denke ich, daß die Navajos nicht gesehen worden sind.«

»Das beruhigt mich. Uebrigens werden wir es erfahren, wenn wir die Nijoras nachher belauschen. Wenn sie unsre Freunde gesehen haben, werden sie ganz gewiß davon sprechen.«

Die Dämmerung trat jetzt ein, und so machten sich die beiden Männer auf den Weg, welcher gar nicht ungefährlich für sie war. Man konnte noch ungefähr sechs bis acht Schritte weit sehen, doch wurde es so schnell dunkel, daß es, als sie in der Nähe des Winterwassers ankamen, so finster war, daß sie sich nicht mehr allein auf ihre Augen verlassen konnten, sondern auch den Tastsinn zu Hilfe nehmen mußten. Hierbei kam es ihnen sehr zu statten, daß sie schon öfters hier gewesen waren und also die Oertlichkeit genau kannten.

Der Chelly floß hier fast genau von Ost nach West und es ist bereits gesagt worden, daß das Winterwasser von Süd nach Nord, also rechtwinklig, auf ihn stieß. Die Ufer beider waren hier mit Wald und Busch bestanden und sehr hoch. Von der Höhe bis hinab zum Wasser des Chelly konnte man recht gut sechzig Fuß rechnen. Im Winterwasser befanden sich in der gegenwärtigen Jahreszeit nur einige Pfützen, welche dem Uebergange nicht im mindesten hinderlich waren. Das Terrain war an der Mündung des Winterwassers sehr felsig und die Ufer fielen so steil ab, daß man da zu Pferde nicht hinunter konnte. Wer hinüber wollte, mußte vielmehr eine Strecke am Winterwasser hinauf bis zu einer Stelle, wo beide Ufer sich einander flacher zuneigten. Diese Stelle war aber auch die einzige, welche sich zum Uebergange eignete. Ebenso geeignet war sie natürlich auch zu einem Ueberfalle.

Da man sonst nirgends hinüber konnte und also unbedingt gezwungen war, diesen Ort aufzusuchen, so brauchte der Feind nur hier zu warten. Man mußte ihm, wenn er es nicht ganz und gar ungeschickt anfing, unbedingt in die Hände fallen, vorausgesetzt natürlich, daß er zahlreich genug auftreten konnte.

Die Nijoras lagerten nicht an dieser Furt. Sie waren da hinüber und hatten das jenseitige linke Ufer abwärts bis zur Mündung verfolgt und dort oben ihr Lager aufgeschlagen. Dort gab es kein Wasser. Wer sein Pferd tränken oder für sich selbst Wasser holen wollte, der mußte nach der soeben beschriebenen Furt zurück und hinunter auf den Grund des jetzt trockenen Winterwasserbettes steigen und, diesem abwärts folgend, bis zur Mündung desselben gehen, wo der Chelly vorüberfloß.

Das war beschwerlich genug. Die Nijoras hätten es viel bequemer gehabt, wenn sie sich unten an der Mündung gelagert hätten; aber das war unmöglich, ohne daß Spuren entstanden, welche nicht vollständig auszulöschen waren, und dies sollte vermieden werden.

Soviel über das Terrain, welches für beide Teile so überaus wichtig war.

Da die Nijoras drüben lagerten, mußten Winnetou und Old Shatterhand natürlich auch hinüber. Als sie das hohe Ufer des Winterwassers erreicht hatten, sahen sie von drüben die Lagerfeuer zwischen den großen Felsstücken, die es dort gab, herüberleuchten.

»Wie unvorsichtig!« sagte Winnetou.

»Ja,« stimmte Old Shatterhand bei. »Diese Kerls müssen es für ganz sicher halten, daß wir noch zu weit zurück sind, um diese Stelle noch heut erreichen zu können.«

»Das ist noch nicht alles. Ihre Feuer leuchten doch auch drüben weit in die Ebene hinaus. Wie leicht könnten sie da von den Navajos bemerkt werden.«

»Das läßt mich eben vermuten, daß die Nijoras die Navajos vorhin gesehen haben. Sie wissen, daß diese jenseits des Flusses sind und also nicht hierherkommen können.«

»Wir werden bald Gewißheit darüber erlangen und wollen jetzt nur weitergehen.«

Sie gingen diesseits am Winterwasser hinauf, bis sie die Stelle der Furt erreichten, und stiegen da hinab und drüben wieder hinauf. Dann schlichen sie sich am linken Ufer des Winterwassers wieder abwärts, wobei sie um so vorsichtiger verfuhren, je näher sie dem Lager kamen. Von Baum zu Baum, von Strauch zu Strauch huschend, vermieden sie jede Stelle, auf welche ein Strahl der Lagerfeuer fiel.

Als sie soweit herangekommen waren, daß sie die einzelnen Gestalten unterscheiden konnten, sagte Winnetou, natürlich leise:

»Mein Bruder mag hier stehen bleiben. Ich will aus diesem Holze hinaus und das Lager auf der freien Seite umschleichen, um zu sehen, wo die Pferde sind und ob man Posten ausgestellt hat.«

Er huschte fort, und es dauerte wohl eine halbe Stunde, bis er wiederkam und meldete:

»Die Pferde befinden sich jenseits des Lagers und werden uns also nicht durch ihr Schnauben verraten können. Nach der freien Ebene hinaus sind Posten ausgestellt. Das kann nur gegen die Navajos sein, und darum ist es gewiß, daß die Nijoras nicht wissen, wo diese sich befinden.«

»Mein roter Bruder hat das Lager von draußen her überblicken können. Hat er vielleicht gesehen, wo der Häuptling Mokaschi sitzt?«

»Ja. Er sitzt mit noch drei alten Kriegern an einem breiten Felsenstücke.«

»Wenn wir das erreichen könnten!«

»Wir können es, wenn wir recht vorsichtig sind. Es liegt dort am Uferrande und es können sich also keine Nijoras dahinter befinden. Ich will voran und mein Bruder mag mir folgen!«

Das konnte nicht, wie bisher, in aufrechter Stellung geschehen, denn dies wäre nun sehr gefährlich gewesen. Sie legten sich also nieder und krochen auf dem Bauche weiter, wobei sie jeden Baum und Strauch und jede andre Pflanze, jeden Stein, der ihnen Deckung bot, mit ebenso großer Klugheit wie Geschicklichkeit benutzten.

Ihr Ziel war das Felsstück, von welchem Winnetou gesprochen hatte. Es war lang und nicht sehr breit und hatte beinahe doppelte Manneshöhe. Da es oben mit Moos bewachsen war, hatte das lange Jahre hindurch darauf gefallene Laub festen Halt gehabt und sich, ohne vom Winde fortgeweht zu werden, in Humuserde verwandeln können. Diese lag nun in einer ziemlich dicken Schicht auf dem Steine und noch höher in den Rissen und Ritzen desselben. Darum hatten sich auf diesem Felsenstücke einige Sträucher entwickeln können, welche ihre Zweige über den Rand desselben herunter neigten.

Zwischen diesem Steine und dem steil abwärts fallenden Ufer gab es einen nur schmalen Raum, doch genügte er vollständig dem Zwecke, welchen die beiden Lauscher verfolgten. Es gelang ihnen, den Stein unbemerkt zu erreichen und hinter denselben zu kommen. Der erwähnte Raum, auf welchem sie nun lagen, hatte nur Mannesbreite, so daß sie sich nun ganz hart an der Kante des Ufers befanden. Wenn diese Stelle aus lockerer Erde bestand und sich unter dem Gewichte der beiden Männer loslöste, so mußten sie in die Tiefe stürzen. Sie untersuchten daher vor allen Dingen den Boden und fanden zu ihrer Beruhigung, daß er aus hartem, festem Fels bestand. Nun richteten sie sich auf, um den Stein zu besteigen. Wenn sie dann oben lagen, hatten sie den Häuptling auf der andern Seite gerade unter sich sitzen.

Es gab eine Stelle, wo man mit den Händen festfassen konnte. Old Shatterhand griff da fest zu, stieg auf den Rücken des Apachen und schwang sich dann hinauf. Das war ein höchst gefährliches Wagestück, da er bei dem geringsten falschen Griffe oder Fehltritte in die Tiefe gestürzt wäre. Auch durfte der Aufschwung nur sehr vorsichtig und nicht zu hoch geschehen, weil Old Shatterhand sonst von den Nijoras jenseits des Steines gesehen worden wäre. Oben angelangt, legte er sich platt nieder und hielt dem Apachen den in Schlingen gelegten Lasso herunter, um ihn mit demselben hinaufzuziehen. Auch das gelang sehr gut.

Nun lagen sie oben. Aber wehe ihnen, wenn sie bemerkt wurden! In diesem Falle waren sie trotz aller ihrer Stärke, List und Geschicklichkeit verloren. Hinter sich den Abgrund und vor sich das von dreihundert Kriegern besetzte Lager, wäre ihnen in diesem Falle nichts andres übrig geblieben, als auf alle Gegenwehr zu verzichten und sich zu ergeben.

Dicht auf dem Felsblocke liegend, schoben sie sich vorsichtig bis zu dem erwähnten Gesträuch vor und konnten nun, durch dasselbe blickend, das ganze Lager übersehen.

Es brannten nicht weniger als acht Feuer, an welchen sich die Nijoras soeben ihr Abendessen bereiteten. Unter ihnen, an den Felsen gelehnt, saß Mokaschi mit den drei ältern Indianern abgesondert von den gewöhnlichen Kriegern. Sie sprachen miteinander, doch nicht eifrig, sondern in abgebrochenen Sätzen, zwischen denen es längere oder kürzere Pausen gab. Wie die beiden Späher bald hörten, waren diese vier Roten nicht ganz einig untereinander. Einer von ihnen, ein alter, aber noch sehr rüstiger Mann mit grauem Haar sagte:

 

»Mokaschi wird es bereuen, nach seiner heutigen Ansicht gehandelt zu haben. Wir hätten uns beeilen und die Hunde der Navajos schnell aufsuchen sollen, um sie zu töten.«

»Das werden wir ja auch,« antwortete der Häuptling.

»Aber nicht schnell genug! Die Navajos werden nicht so lange warten.«

»Mein alter Bruder läßt außer Betracht, daß der Unterschied nur einen Tag beträgt. Wenn wir morgen die Bleichgesichter ergriffen haben, werden wir sofort gegen die Navajos aufbrechen.«

»Der Unterschied beträgt über einen Tag, denn wir sind, um diese Bleichgesichter näher an uns heranzulassen, langsamer geritten.«

»Das schadet nichts. Die Schakale der Navajos werden nicht eher aus ihren Höhlen gehen, als bis wir kommen. Sie können ihr Lager nicht eher verlassen, als bis die Kundschafter, welche sie ausgesandt haben, zurückgekehrt sind, sonst würden sie doch von diesen nicht gefunden werden. Das muß mein alter Bruder gar wohl bedenken!«

»Ich bedenke es; aber das Jahr besitzt einen Sommer und einen Winter, und alle Dinge auf Erden haben zwei Seiten. So ist’s auch hier. Mokaschi meint, daß die Navajos warten werden, weil sie Kundschafter ausgesandt haben, und ich denke, daß sie nicht warten werden.«

»Warum?«

»Gerade dieser Kundschafter wegen. Da diese schon so lange fort sind und nicht zurückkehren, muß ihnen ein Unfall zugestoßen sein. Das werden sich die Navajos sagen und also wohl nicht länger warten.«

»Der Gedanke meines Bruders ist nur halb richtig. Wenn die Feinde wirklich Verdacht schöpfen, werden sie sich doch hüten, mit allen ihren Kriegern auszuziehen, ohne zu wissen, wo wir zu finden sind. Sie werden vielmehr neue Späher aussenden.«

»Das ist nicht besser als das andre, denn diese neuen Kundschafter werden uns entdecken und dies dem Häuptlinge melden. Dann wird man uns überfallen, ohne daß wir darauf vorbereitet sind.«

»Wir würden vorbereitet sein, da wir stets Posten ausstellen.«

»Aber das ist doch nicht so gut, als wenn Mokaschi auf seinen neuen Plan verzichtet hätte. Anstatt daß wir die Navajos überraschen, werden sie uns angreifen!«

Er sprach in einem etwas scharfen Tone, wie es einem Häuptling gegenüber nicht gebräuchlich ist. Darum antwortete Mokaschi nun:

»Mein Bruder trägt den Schnee des Alters auf seinem Haupte. Er hat mehr Winter gesehen als ich und viel erlebt. Darum darf er es ohne Scheu sagen, wenn er einmal anders denkt als ich. Aber nicht er ist der Anführer, sondern ich bin es. Wenn ich auch die Meinungen der erfahrenen Männer anhöre, so habe ich doch darüber zu entscheiden und alle müssen sich fügen!«

Der Alte senkte seinen Kopf und sagte:

»Du hast recht. Dein Wille mag geschehen!«

»Ja, er geschieht, und du wirst einsehen, daß er der beste war. Oder hast du etwa geglaubt, daß es uns glücken werde, die Navajos zu überraschen?«

»Ja.«

»Nein, das wäre nicht geschehen. Sie stellen jedenfalls ebenso Vorposten aus wie wir. Wir müssen den Ort, an welchem sie sich befinden, durch unsre Späher erst entdecken. Wie leicht können diese gesehen, ergriffen oder gar getötet werden, gerade so wie wir die Kundschafter der Navajos gefangen genommen haben. Und das ist noch nicht das Wichtigste. Es gibt etwas, woran mein alter Bruder gar nicht gedacht zu haben scheint. Nämlich die Navajos wissen bereits, daß wir kommen.«

»Uff!« rief der Alte. »Wer soll es ihnen gesagt haben?«

»Die drei Bleichgesichter, welche uns entflohen sind.«

»Uff, uff! Das ist wahr! Wenn sie wirklich zu den Navajos geritten sind!«

»Sie sind ganz gewiß zu ihnen. Vielleicht haben sie sie schon heut gefunden und sie über uns benachrichtigt. Da werden die Navajos sofort aufbrechen, um uns entgegenzuziehen und plötzlich anzugreifen. Das aber ist es, worauf ich warte.«

»Wie? Mokaschi wartet darauf, von den Feinden eher überfallen zu werden, als wir sie angreifen können?«

»Ja.«

»Aber mein Bruder Mokaschi kennt doch die alte Kriegerregel, daß derjenige leichter siegt, der eher kommt!«

»Ich kenne sie; sie ist sehr gut, aber sie paßt nicht auf alle Fälle.«

»Auf den jetzigen auch nicht?«

»Nein. Die Navajos haben ihr Lager ganz gewiß an einem Orte, der sich leicht verteidigen läßt. Der Sieg würde also schwer für uns werden und uns wohl viel Blut kosten. Warum wollen wir es nicht ebenso machen wie sie? Sie sollen kommen und uns angreifen, aber an einem Orte, der ihnen verderblich werden muß.«

»Wo liegt dieser Ort?«

»Hier.«

»Am Winterwasser?«

»Ja.«

»So will Mokaschi den Feind also hier erwarten?«

»Ja.«

»Das lag aber doch nicht in dem ursprünglichen Plane!«

»Nein. Ich wollte die Navajos überraschen; das ist nun aber nicht mehr möglich, weil sie von den drei entflohenen Bleichgesichtern benachrichtigt worden sind. Es war also nötig, meinen Plan zu ändern. Wir werden uns hier am Winterwasser verstecken. Wenn die Navajos kommen, lassen wir sie von dem hohen Ufer hinunter in das tiefe Flußbett kommen und fallen dann über sie her. Sie stecken dann da unten und können sich nicht verteidigen, weil sie, von uns zwischen den Felsen zusammengedrängt, keinen Raum dazu haben.«

»Uff, uff!« rief der Alte, indem sein Gesicht sich erheiterte.

»Stimmt mein alter Bruder mir nun bei?« fragte der Häuptling.

»Ja. Mokaschis neuer Plan ist gut, und ich denke, daß er gelingen wird, wenn kein Hindernis dazwischen kommt.«

»Es gibt nur ein einziges Hindernis, welches möglich ist, und dieses wollen wir eben morgen beseitigen.«

»Jetzt verstehe ich es. Du meinst die Bleichgesichter hinter uns?«

»Ja. Sie folgen uns; sie wollen die Navajos aufsuchen. Wenn wir sie vorüberziehen ließen, würden sie es den Feinden verraten, daß wir hier auf sie warten. Das darf nicht geschehen. Wir werden also Winnetou und Old Shatterhand mit allen ihren Leuten festnehmen.«

»Sollen sie getötet werden?«

»Ja, wenn sie sich wehren.«

»Und wenn sie sich aber nicht wehren?«

»So nehmen wir sie nur gefangen und führen sie, wenn wir siegreich heimkehren, unsern Frauen, Greisen und Kindern zu, welche über solche Gefangene in lauten Jubel ausbrechen werden. Wer Old Shatterhand und Winnetou und die andern berühmten Leute, welche bei ihnen sind, zur Siegesbeute macht, dessen Ruhm wird an jedem Lagerfeuer verkündet.«

»Und was soll dann mit diesen vornehmen Gefangenen geschehen?«

»Das kann ich heut nicht sagen. Die Beratung wird darüber entscheiden. Jedenfalls würden wir, wenn wir sie nicht am Marterpfahle sterben ließen, ihnen das Leben nicht umsonst schenken, sondern sie müßten um dasselbe kämpfen.«

»Uff, uff! Winnetou und Old Shatterhand mit unsern Kriegern auf Tod und Leben kämpfend! Das würde ein Schauspiel sein, wie es die Krieger der Nijoras noch nie erlebt haben!«

Die Augen des Alten leuchteten förmlich vor Wonne; die beiden andern brachen auch in begeisterte »Uffs!« aus, und Mokaschi, darüber froh, eine solche Zustimmung erhalten zu haben, fuhr in seiner Darlegung fort:

»Das Winterwasser ist wie kein zweiter Ort dazu geeignet, den Feinden aufzulauern und sie ohne große Mühe oder gar Gefahr zu ergreifen oder zu vernichten. Meine Brüder werden morgen sehen, wie leicht wir die Bleichgesichter in unsre Hände bekommen, obgleich sie von den berühmtesten Männern des Westens angeführt werden.«

Da machte der Alte doch wieder ein bedenkliches Gesicht und sagte:

»Hofft Mokaschi wirklich so zuversichtlich auf das Gelingen?«

»Ja.«

»Aber gerade weil diese berühmten Männer dabei sind, kann es leicht fehlschlagen.«

»Nein.«

»Old Shatterhand und Winnetou haben Gedanken, welche ihnen vorauszugehen pflegen. Sie pflegen alles zu erraten, das muß Mokaschi wissen.«

»Ich weiß, daß sie sehr kluge Leute sind und in die Gedanken andrer Menschen zu schauen vermögen. Unsern Plan aber werden sie nicht erraten. Sie denken, daß wir gegen die Navajos ziehen und uns also um sie gar nicht bekümmern. Sie werden nicht ahnen, daß wir hier auf sie warten, sondern überzeugt sein, daß wir uns schon weit von hier befinden.«