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Der Oelprinz

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»Schnell herauf! Es könnte zum Kampfe kommen.«

Nun sprang er mit beiden Füßen in das Feuer, um dasselbe auszutreten, was, da es klein gewesen war, ihm sofort gelang. Es wurde dunkel, denn Winnetou hatte auch das untere Feuer ausgelöscht. Old Shatterhand hatte mit einer solchen Schnelligkeit gehandelt, daß seit dem Augenblicke, an welchem die unvorsichtige Frauenstimme erschallte, kaum eine Minute bis jetzt vergangen war. Und schon kamen die letzten der Gefangenen aus der Luke zu ihm heraufgestiegen.

Auf den über ihnen liegenden Terrassen wurde es lebendig. Laute, fragende Stimmen erschallten. Lichter erschienen und man sah dunkle Gestalten an den Leitern herniedersteigen. Da ertönte Old Shatterhands mächtige

Stimme: »Die roten Männer mögen oben bleiben, wenn sie nicht sterben wollen! Hier stehen Old Shatterhand und Winnetou mit ihren Leuten. Wer sich zu uns herunterwagt, wird erschossen!«

Er wollte keinen der Indianer töten, mußte ihnen aber beweisen, daß er wirklich hier war. Diesen Beweis konnte er, wie er wußte, ihnen nur durch seinen so viel- und schnellschüssigen Stutzen geben, den sie alle kannten und fürchteten. Er legte ihn an und zielte empor nach einem Indianer, welcher, mit einer Leuchte in der Hand, eiligst herniedergestiegen kam; er wollte ihn in die Hand treffen und drückte ab.

»Hahi, Latah-schi – au, meine Hand!« schrie der Getroffene, indem er das Licht oder die Fackel fallen ließ.

Drei weitere Schüsse, schnell hintereinander, und ebenso viele Lichte verschwanden. Eine Stimme rief:

»Das ist Old Shatterhands Zauberflinte; hinauf, schnell wieder hinauf!«

Es wurde oben ganz dunkel und plötzlich so still, als ob auf den höheren Terrassen kein Mensch zu finden sei.

»Seid ihr alle hier?« fragte Old Shatterhand die jetzt bei ihm Stehenden. »Ist niemand mehr unten?«

»Keiner,« antwortete Sam Hawkens.

»So legt die beiden Leitern an und steigt hinab zu den andern! Ich denke, daß die Roten uns in Ruhe lassen werden, bis wir die freie Erde unter den Füßen haben.«

Sie folgten seiner Aufforderung; er folgte zuletzt. Als er die nächst untere Plattform erreichte, sah er, daß der umsichtige Apache schon für das weitere gesorgt hatte. Die Befreiten befanden sich auch dort bereits im Niedersteigen. Es fiel Winnetou nicht etwa ein, sie zur Eile aufzufordern; im Gegenteile mahnte er sie, wegen der Frauen und Kinder hübsch langsam und vorsichtig zu verfahren, denn er wußte, daß wenigstens für einige Zeit die Indianer jetzt nicht zu fürchten waren; sie wurden durch die beiden Namen Old Shatterhand und Winnetou in Furcht gehalten.

Der Abstieg ging also ziemlich gemächlich von statten und zwar in der Weise, daß alle Leitern von oben mit hinuntergenommen wurden, um den Roten die Verfolgung zu erschweren. Als sie dann alle am Fuße des Pueblo im Freien beisammenstanden, sagte Old Shatterhand:

»Es ist gelungen, und zwar viel leichter, als ich dachte. Nun gibt —«

Er wurde von mehreren unterbrochen, die ihrer Dankbarkeit Ausdruck geben wollten, fiel ihnen aber schnell in die Rede:

»Still! Nichts davon jetzt! Es muß zunächst das Notwendigste geschehen. Später, wenn wir von hier fort sind, könnt ihr reden, so viel ihr wollt. Wo sind eure Pferde?«

»Dort im Corral, rechts hinter dem Mauerwerk,« antwortete Hawkens.

»Habt ihr alle eure Waffen?«

»Ja.«

»Und euer Eigentum?«

»Was wir einstecken hatten, konnte uns nicht genommen werden; aber was sich in den Satteltaschen befand, das werden die roten Spitzbuben wohl an sich genommen haben.«

»Hattet ihr auch Packpferde bei euch?«

»Yes. Die mußten die Sachen der Auswanderer tragen.«

»Sind diese Gegenstände vorhanden?«

»Weiß nicht; glaube es auch nicht. Das Wetter brach so rasch über uns herein, daß wir gar nicht Zeit hatten, abzuladen und die Tiere abzusatteln.«

»Hm! Wäre alles da, was euch und ihnen gehörte, so könnten wir gleich fort von hier, sonst aber müssen wir die Roten zwingen, das Geraubte herauszugeben. Sam Hawkens mag mich nach dem Corral begleiten; die andern bleiben hier und passen auf die untersten Terrassen des Pueblo auf. Sobald ein Roter sich dort hören oder gar sehen läßt, wird nach ihm geschossen, doch ohne ihn zu treffen; verstanden! Es genügt vollständig, wenn er die Kugel neben sich einschlagen hört. Diese Leute sollen nur wissen, daß wir uns hier aufgestellt haben, um sie nicht herunter zu lassen. Mein Bruder Winnetou wird indessen gehen, um unsre beiden Rappen herbeizuholen.«

Der Apache entfernte sich still, wie es so seine Weise war, und Old Shatterhand ging mit Hawkens nach der Umfriedigung, in welche die Pferde gebracht worden waren. Als diese drei sich entfernt hatten, sagte der Kantor, natürlich in deutscher Sprache:

»Also das sind die beiden großen Helden, nach deren Anblick ich so begierig gewesen bin! Man kann sie nicht erkennen, weil es dunkel ist, aber schon ihr Auftreten imponiert mir ungeheuer. Sie werden sehr hervorragende Stellen in meiner Oper einnehmen.«

»Na, sehen Sie sich die beeden nur erscht eemal bei Tage an!« antwortete der Hobble-Frank. »Schon während man das erschte Ooge off sie wirft, muß man sich gleich hypothekarisch sagen, daß man keene gewöhnlichen Leute vor sich hat. Is es nich genau so, wie ich prophezeit habe? Diese beeden berühmten Leute brauchen nur zu erscheinen, so sind wir ooch schon frei!«

»Sehr wahr!« stimmte Droll bei. »Es is een wahres Heldenschtück von ihne, uns herausgeholt zu habe, ohne daß uns nur een Haar gekrümmt worde is. Es wär sogar noch viel besser gegange, wenn Frau Eberschbach den Mund gehalte hätte.«

»Ich?« fiel schnell Frau Rosalie ein. »Meenen Sie vielleicht, ich bin schuld, daß mir der Schrei entfahren is?«

»Natürlich! Wer denn sonst?«

»Der Kantor, aber doch nich ich!«

»Bitte ergebenst!« verteidigte sich der von ihr Beschuldigte. »Sie wissen wohl, daß ich Emeritus bin! Wenn Sie das doch nicht immer auslassen wollen. Sie haben kein Recht, zu behaupten, daß ich die tiefe Stille, welche geboten war, gebrochen habe. Ueber meine Lippen ist kein Laut gekommen, kein einziger, und wenn er noch so pianissimo gewesen wäre. Sie sind es gewesen, Frau Ebersbach, die geschrieen hat.«

»Das leugne ich gar nich. Aber weshalb habe ich geschrieen? Hätten Sie sich doch fester angehalten, Sie Emeritus! Wenn Sie wieder ‘mal Lust haben, von der Leiter herabzupurzeln, so thun Sie es doch wenigstens nich grad dann, wenn eene reputierliche Dame drunter schteht! Wenn Sie Ihre Tonleitern ooch nich fester in die Hände nehmen, so kann mich Ihre schöne Heldenoper dauern. Verschtehn Sie mich!«

»Ich verstehe Sie, Verehrteste; aber Sie verstehen etwas nicht, nämlich mit einem Sohne der Musen höflich umzugehen. Ich habe Ihnen versprochen, seiner Zeit an Sie zu denken, und hegte wirklich die Absicht, Ihnen eine Sopranarie in den Mund zu legen; da Sie aber in dieser Weise von meiner Kunst sprechen, sehe ich davon ab. Sie werden nicht die Ehre haben, in meiner Oper zu erscheinen!«

»Nich? 1, was Sie nich sagen! Meenen Sie etwa, es liegt mir so sehr viel daran, off den Brettern zu erscheinen, die die Erde bedeuten? Das fällt mir gar nich ein. Und Sopran hab’ ich singen sollen? Hören Sie, damit lassen Sie mich in Ruh! Wenn ich singen will, da laß ich mir gar nischt vorschreiben, da singe ich, was ich will, Fagott, Klarinette oder Rumpelbaß, ganz was mir beliebt. Und nu sind wir miteinander für dieses Leben fertig. Leben Sie wohl! Adjes off Ewigkeet!«

Sie wendete sich höchst aufgebracht von ihm ab. Er wollte noch eine Bemerkung machen, doch der Hobble-Frank forderte ihn schnell auf —

»Pst! Schweigen Sie schtille! Es is mir ganz so, als ob ich een lebendiges Wesen da oben off der erschten Etage hätte huschen sehen. Wahrhaftig, da schleicht es wieder! Jetzt bleibt es schtehen und neigt den Kopp herab. Das is een Indianer, der jedenfalls eene Okularkonstruktion beabsichtigt, um zu sehen, wo wir schtecken. Er soll es gleich erfahren!«

Er hob sein Gewehr, zielte kurz und drückte ab.

»Uff!« rief eine erschrockene Stimme gleich nach dem Knalle des Schusses.

Soeben kehrte Old Shatterhand mit Sam Hawkens zurück.

»Was gibt es? Wer hat geschossen?« fragte er.

»Ich,« antwortete Frank.

»Warum?«

»Das is eene Frage an das Schicksal, die ich gern beantworten will. Es schtand een roter Signor da oben off dem Dache Nummer eens; der wollte wahrscheinlich wissen, welche Zeit es is, und da habe ich ihm gezeigt, wieviel die Repitieruhr geschlagen hat, wenn er sich nich gleich off die Socken macht. Er hat sich ooch gleich kompetent zurückgezogen.«

»Ist er getroffen worden?«

»Nee; ich habe weiter rechts gezielt, vielleicht zwee Ellen weit; aber wenn er vier Fuß lange Ohren haben sollte, so is ihm die Kugel höchst wahrscheinlich durch das reche Läppchen gefahren, was ihm hoffentlich zur physharmonischen Warnung dienen wird.«

»Also haben sie sich doch schon bis herunter auf die erste Terrasse getraut! Da müssen wir aufpassen. Wir halten uns natürlich in solcher Entfernung, daß sie uns nicht sehen können, denn sonst würden sie auf uns schießen. Aber sie müssen wissen, daß wir da sind und sie nicht herunterlassen. Darum mögen Frank und Droll hinschleichen und sich eng an der Mauer niederlegen. Wenn sie dann aufwärts gegen den Himmel blicken, können sie jeden Kopf sehen, der oben über der Kante erscheint, um herabzublicken. Dann rasch eine Kugel hinauf!«

»Aber wohl ohne zu treffen?« fragte der Hobble.

»Ja. Ich möchte kein Leben vernichten.«

»Da werde ich mich hüten, meine schönen Kugeln in die Luft zu schießen! Ich schtecke lieber keene in den Lauf.«

Da näherte Schi-Scho sich Old Shatterhand und bat in deutscher Sprache:

»Herr, erlauben Sie mir, an dieser Bewachung des Pueblo teilzunehmen! Sechs Augen sind besser als nur vier.«

 

»Das ist sehr richtig,« antwortete der Jäger, indem er den Jüngling, dessen Gesicht er nicht erkennen konnte, forschend anblickte. »Sie scheinen aber noch sehr jung zu sein. Haben Sie gute Augen?«

»Ja.«

»Und aber auch Erfahrung?«

»Ich bin der Schüler meines Vaters,« antwortete Schi-So in bescheidenem Tone.

»Wer ist Ihr Vater?«

»Nitsas-Ini, der Häuptling der Navajos.«

»Was? Meines Freundes, des “großen Donners”? Dann wären Sie ja Schi-So, von dem ich weiß, daß er in Deutschland ist?«

»Ich bin es.«

»Dann hier meine Hand, junger Freund. Ich freue mich sehr, Sie hier zu treffen; sobald wir Zeit haben, sprechen wir weiter miteinander. Wäre es heller, so hätte ich Sie wohl erkannt. Da Sie Schi-So sind, so weiß ich, daß ich Ihren Wunsch getrost erfüllen darf. Gehen Sie also mit Frank und Droll und postieren Sie sich mit ihnen so weit auseinander, daß die ganze Länge der Plattform unter Beobachtung steht!«

Der Häuptlingssohn entfernte sich, stolz darauf, seinen Wunsch erfüllt zu sehen. Eben, als er ging, kehrte Winnetou mit den Pferden zurück, welche in genügender Entfernung von dem Pueblo angepflockt wurden. Als dies geschehen war, fragte er Old Shatterhand:

»Ich hörte einen Schuß. Aus wessen Gewehr ist er gefallen?«

Der Gefragte sagte es ihm und fuhr dann fort:

»Die ledigen Pferde derer, die wir befreit haben, stehen dort im Corral; aber alles Gepäck und das ganze Sattel- und Zaumzeug ist verschwunden.«

»Muß sich im Pueblo befinden!«

»Ja. Wir können also nicht fort, sondern müssen hier bleiben, um die Herausgabe zu erzwingen.«

»Das ist nicht schwer, denn der Häuptling befindet sich in unsrer Hand.«

»Wohl. Wir müssen ihn holen. Will mein roter Bruder den Befehl hier übernehmen? Dann reite ich mit Hawkens, Parker und Stone fort, um Ka Maku herzuschaffen.«

»Mein Bruder mag gehen; er wird bei seiner Rückkehr hier alles in Ordnung finden.«

Die drei »Kleeblätter« waren gern einverstanden mit Old Shatterhand zu reiten. Sie gingen nach dem Corral, um ihre Tiere zu holen. Diese waren freilich ohne Zaum und Sattel, was aber den Reitern vollständig gleichgültig war. Sie schwangen sich auf und ritten in nördlicher Richtung davon. Es verstand sich ganz von selbst, daß Old Shatterhand sich nun unterwegs erkundigte, wie sie mit den Auswanderern zusammengetroffen und dann in die Gefangenschaft geraten seien. Sie hatten Zeit, es ihm ausführlich zu erzählen und von jedem der Beteiligten eine Charakterschilderung zu geben. Als er alles gehört hatte, sagte er, den Kopf leise schüttelnd:

»Sonderbare Menschen und höchst unvorsichtig dazu! Also ihr habt euch ihrer angenommen und wollt sie begleiten?«

»Ja,« antwortete Sam. »Sie bedürfen unser, und uns ist es ja ganz gleich, ob wir hierhin oder dorthin reiten. Was sagt Ihr dazu, Sir?«

»Hm! Ich wollte mit Winnetou über die Grenze, halte es aber für meine Pflicht, mich dieser Leute auch anzunehmen, zumal sie durch Gegenden wollen, wo sie ohne die Hilfe erfahrener Leute zu Grunde gehen müssen, da den Roten, auf die sie dort treffen müssen, nicht zu trauen ist. Da gilt es, wie es scheint, nachsichtig zu sein. Dieser emeritierte Kantor zum Beispiel kann gefährlich werden.«

»Ist er schon geworden. Am liebsten hätte ich ihn fortgejagt; aber das geht ja nicht. Und dann die Geschichte mit dem Oelprinzen. Was sagt Ihr dazu?«

»Schwindel!«

»Well, ist auch meine Meinung. Der Buchhalter ist ein Deutscher; darf man ihn ins Verderben laufen lassen?«

»Auf keinen Fall. Wir folgen diesem Grinley, der sehr wahrscheinlich auch noch andre Namen führt, und ich denke, daß wir ihn noch zur rechten Zeit einholen werden. Bin sehr neugierig, zu erfahren, auf welche Weise er das Oel aus der Erde gezaubert hat oder noch hervorzaubern will!«

Sie waren sehr schnell geritten und befanden sich jetzt nicht sehr weit mehr von der Stelle, an welcher der gefesselte Häuptling mit seinen Leuten zurückgelassen worden war.

Old Shatterhand erzählte ihnen, wie derselbe in seine und Winnetous Hände gefallen war, und fügte dann hinzu:

»Er hat alles geleugnet und verdient eine Strafe. Ich bin als ein Freund der Roten bekannt und lebe gern mit ihnen in Frieden, darum möchte ich mit Ka Maku so glimpflich wie möglich verfahren. Will sehen, ob er mir doch nicht vielleicht ein Eingeständnis macht. Wenn er euch sieht, merkt er sofort, wie die Sache steht; ich will also voranreiten; folgt mir langsam nach. Wenn ihr euch genau nördlich haltet, kommt ihr grad nach dem Felsen, hinter dem wir die Gefangenen zurückgelassen haben.«

Es war sehr dunkel, und ein andrer hätte sich in dieser ebenen Gegend, in welcher nichts als Anhalt und Merkmal diente, wohl kaum zurechtgefunden; Old Shatterhand aber durfte sich auf seinen Ortssinn verlassen und erreichte sein Ziel mit derselben Genauigkeit, als ob es nicht in dunkler Nacht, sondern am hellen Tage gewesen wäre.

Er war überzeugt, die vier Roten in der Lage anzutreffen, in welcher er sie verlassen hatte, dennoch aber mußte er vorsichtig sein. Sie konnten auf irgend eine Weise die Möglichkeit gefunden haben, sich frei zu machen, und nun auf ihn und Winnetou warten, um sich zu rächen, Darum stieg er in angemessener Entfernung von dem Pferde, pflockte dasselbe an und schlich sich zu Fuße nach dem Felsen hin. Als er so nahe an diesen gekommen war, daß er ihn sehen konnte, legte er sich nieder und kroch auf den Händen und Füßen weiter. Bald hatte er den hohen, breiten Stein links vor sich, machte einen kurzen Bogen und sah dann die Gefangenen liegen. Sie konnten frei sein und ihre Stellung aus Hinterlist beibehalten haben; darum ließ er sich noch nicht hören, sondern kroch so leise bis hinter den Häuptling heran, daß dieser nicht das geringste Geräusch zu vernehmen vermochte. Dann erhob er die Hand und betastete das in die Erde wie ein Pfahl gegrabene Gewehr, an welches Ka Maku festgebunden worden war. Die Riemen befanden sich noch in derselben Lage wie vorher; sie waren nicht gelöst worden. Da richtete er sich auf und stellte sich, wie plötzlich aus der Erde gewachsen, vor den Gefangenen hin.

»Die Zeit wird Ka Maku lang geworden sein,« begann Old Shatterhand. »Er hat, da er einen Knebel im Munde trägt, nicht einmal mit seinen Gefährten sprechen können. Ich werde ihm die Stimme wiedergeben.«

Er zog ihm den Knebel aus dem Munde und fuhr fort:

»Der Häuptling hat Zeit gehabt, sich zu besinnen. Wenn er bereit ist, mir zu gestehen, daß sich Gefangene in seinem Pueblo befinden, werde ich ihn freilassen, ohne daß ihm etwas weiteres geschieht.«

Ka Maku schloß aus der Stellung dieser Worte, daß Old Shatterhand noch nichts Genaues wisse, und war infolgedessen entschlossen, nichts zu gestehen. Da er Old Shatterhands Art und Weise kannte, war er überzeugt, daß sein Leben sich nicht in Gefahr befand. Also nichts gestehen und lieber hier noch angebunden liegen, bis seine Leute kommen würden, ihn zu befreien. Er nahm an, daß sie dies bald nach Tagesanbruch thun würden. Er sah nur Old Shatterhand. Wo war Winnetou? Um dies zu erfahren, fragte er:

»Warum kommt nicht der Häuptling der Apachen, um mit mir zu reden?«

Man hörte es seiner Stimme an, daß der Knebel ihm das Atmen erschwert hatte.

»Er mußte in der Nähe des Pueblo bleiben, um dasselbe beobachten zu können.«

Auf Grund dieser Antwort vermutete Ka Maku, daß die Bemühungen Winnetous und Old Shatterhands vergeblich gewesen seien und der letztere nur gekommen sei, durch weiteres Ausfragen etwas zu erfahren; darum sagte er in deutlich höhnischem Tone:

»Winnetou wird nichts andres hören und sehen, als was ich gesagt habe: es befindet sich kein Gefangener bei uns. Warum schleichen die beiden tapfern Männer heimlich beim Pueblo hin und her? Warum fordern sie nicht Einlaß, um sich zu überzeugen, daß ich die Wahrheit gesprochen habe und es ehrlich meine?«

»Weil wir euch nicht trauen und fest überzeugt sind, daß wir auch festgenommen werden würden.«

»Uff! Wo ist die Klugheit Old Shatterhands hin? Der große Geist hat ihm das Gehirn genommen. Ich bin sein Freund gewesen; nun er mich als Feind behandelt hat, wird das Messer zwischen ihm und mir entscheiden!«

»Habe nichts dagegen. Also ihr haltet wirklich keine weißen Männer, Frauen und Kinder im Pueblo gefangen?«

»Nein.«

»Bedenke, daß es mir und Winnetou nicht schwer sein würde, sie zu befreien! Dann träfe dich die Strafe. Gestehst du es aber ein, so werden wir daran denken, daß du unser Freund und Bruder gewesen bist und dich mit Milde behandeln.«

»Old Shatterhand mag thun und denken, was er will. Ich habe die Wahrheit gesagt und werde mich rächen!«

»Ganz wie du willst! Aber horch! Wer mag da kommen?«

Man hörte nahendes Pferdegetrappel; Ka Maku richtete sich, soweit seine Fesseln es zuließen, empor und stieß einen Ruf der Freude aus. Die Reiter, welche sich nahten, konnten doch nur seine Leute sein, die ihn suchten. Sie bogen um den Felsen und blieben da halten. Er konnte ihre Gestalten nicht deutlich erkennen, war aber in seiner Ansicht so sicher, daß er ihnen zurief:

»Ich bin Ka Maku, den ihr sucht. Steigt ab und bindet mich los!«

Da antwortete Sam Hawkens lachend:

»Daß du Ka Maku bist, das glaube ich gern; aber daß ich dich losbinde, das glaube ich nicht. Old Shatterhand wird bestimmen, was geschehen soll. Erkennst du mich vielleicht an der Stimme, alter Schurke?«

»Sam Hawkens!« schrie der Häuptling vor Schreck förmlich auf.

»Ja, Sam Hawkens und Dick Stone, nebst Will Parker,« bestätigte Old Shatterhand. »Meinst du nun noch immer, daß der große Geist mir das Gehirn genommen hat? Oder war es richtig, als ich sagte, daß es uns nicht schwer werden würde, die Gefangenen zu befreien? Wir haben die Lanze umgedreht und nun gegen euch gerichtet: Eure Gefangenen sind frei, und ihr seid gefangen. Keiner von deinen Kriegern ist im stande, das Pueblo zu verlassen, denn wir halten vor demselben und werden jedem, der zu entkommen versucht, eine Kugel geben. Wir sind jetzt gekommen, dich zu holen. Wir werden euch auf eure Pferde binden, und ich rate euch, euch ja nicht etwa dagegen zu wehren, wenn ihr nicht unsre Messerklingen kosten wollt!«

Die »Kleeblätter« stiegen von ihren Pferden und machten sich über die vier Indianer her, welche so bestürzt waren, daß es ihnen gar nicht einfiel, Widerstand zu leisten, der ihnen doch nichts gefruchtet hätte. Sie wurden auf ihre Tiere gebunden, welche bis jetzt angepflockt gewesen waren, und dann trat man den Rückweg an, auf welchem kein Wort gesprochen wurde, bis man bei dem Pueblo angekommen war. Dort mußten die vier Roten absteigen und wurden unter scharfe Bewachung genommen. Sie mußten trotz der Dunkelheit bald bemerken, daß alle ihre Gefangenen, keinen einzigen ausgenommen, sich in Freiheit befanden. Ihr Grimm darüber läßt sich leicht denken.

Die Weißen, besonders die lebhafteren unter ihnen, hätten am liebsten die ganze Nacht durchplaudern mögen; aber Old Shatterhand gab das nicht zu. Er machte sie darauf aufmerksam, daß ihnen morgen ein jedenfalls scharfer und auch langer Ritt bevorstehe, und brachte sie soweit, daß sie, die sich stündlich ablösenden Wachen natürlich abgerechnet, sich zur Ruhe legten.

Die Nacht verging, ohne daß die Roten wagten, das Pueblo zu verlassen und einen Angriff zu versuchen. Als der Tag graute, sah man, daß sie sich auf die oberen Plattformen zurückgezogen hatten. Die Mehrzahl von ihnen schlief, wurde aber, sobald es nur einigermaßen hell geworden war, von den Wächtern, welche auch sie ausgestellt hatten, geweckt. Sie versammelten sich oben und warfen den Weißen, welche sich ebenso vom Schlafe erhoben hatten, drohende Reden herab. Daß ihr Häuptling sich als Gefangener bei diesen befand, konnten sie nicht erkennen.

Winnetou und Old Shatterhand waren entschlossen, sich auf keine langen Verhandlungen einzulassen. Man durfte keine Zeit verlieren, wenn es gelingen sollte, den Oelprinzen noch rechtzeitig einzuholen. Darum begaben sich beide zu Ka Maku, um mit ihm zu reden. Die andern bildeten einen Kreis um sie, um zuzuhören, oder, was diejenigen betraf, die das Gespräch nicht verstehen konnten, wenigstens zuzusehen. Da Winnetou sich lieber schweigend verhielt und nur dann zu sprechen pflegte, wenn es nicht unterlassen werden durfte, ergriff Old Shatterhand das Wort:

»Ka Maku sieht wohl, daß alle seine Gefangenen sich in Freiheit befinden?«

Der Häuptling antwortete nicht; darum ermahnte ihn der Westmann in drohendem Tone:

»Ich pflege nicht gern in den Wind zu reden. Du sollst so mild wie möglich behandelt werden. Antwortest du nicht, so hast du es nur dir zuzuschreiben, wenn wir nur die Rache gelten lassen. Beantworte also meine Frage!«

 

»Ich sehe, daß sie frei sind, « knurrte er ingrimmig.

»Und daß deine Krieger nun unsre Gefangenen sind?«

»Das sehe ich nicht.«

»Nicht? Kann einer von ihnen das Pueblo verlassen, wenn wir es nicht wollen? Wir brauchen nicht einmal zu dulden, daß sie auf den Dächern stehen. Unsre Gewehre tragen bis zur obersten Terrasse, und wir können sie alle zwingen, in das Innere der Stockwerke zu flüchten. Wo nehmen sie zu essen und zu trinken her? Sie dürfen nicht dorthin herab, wo der Brunnen ist und die Vorräte liegen. Außerdem haben wir dich und deine drei Gefährten fest. Was meinst du wohl, was wir mit euch vornehmen werden?«

»Nichts!«

»Ah, wirklich?«

»Ja, denn es ist keinem von euch ein Leid geschehen.«

»Das haben sie nicht euch, sondern Winnetou und mir zu verdanken. Ihr hattet es anders mit ihnen vor. Ich will es kurz mit dir machen. Es fehlen ihnen noch viele Sachen, welche sich im Pueblo befinden. Wenn ihnen alles, was verloren gegangen ist, ersetzt wird, geben wir euch frei und reiten fort; weigerst du dich aber dessen, so wirst du erschossen, und wir verbrennen deine Skalplocke, daß du in den ewigen Jagdgründen ohne sie erscheinen mußt. Ebenso wird es deinen drei Mitgefangenen ergehen. Entscheide dich! Sieh, eben jetzt geht die Sonne auf. Wenn sie eine Hand breit über dem Horizonte steht, will ich deine Antwort haben. Länger warte ich nicht. Ich habe gesprochen!«

Er stand auf und ging mit Winnetou fort, zum Zeichen, daß er kein weiteres Wort verlieren wolle. Ka Maku starrte finster vor sich hin. Er kannte die Humanität seiner Sieger und glaubte nicht, daß sie ihre Drohung wahr machen würden. Die ganze Beute hergeben, das schien ihm zu viel verlangt. Als die Sonne soweit, wie angegeben, vorgerückt war, kamen die beiden zurück, und Old Shatterhand fragte:

»Was hat Ka Maku beschlossen? Soll die Ersetzung stattfinden?«

»Nein!« stieß er hervor.

»Well! Ich habe dir gesagt, daß ich gesprochen habe; wir sind fertig. Schafft die Kerls fort, nach jenem Felsen hinüber; schneidet ihnen die Skalplocken ab und gebt nachher jedem eine Kugel in den Kopf! Ich habe keine Lust, meine Worte unnötig zu verlieren.«

Sam, Dick und Will, Frank und Droll griffen zu und schleppten die vier Roten nach dem bezeichneten Felsen. Ein Indianer, welcher ohne Skalplocke stirbt und begraben wird, geht der Freuden der ewigen Jagdgründe verloren. Darum schrie der Häuptling, als Hawkens mit der Linken ihn an der Locke ergriff und mit der Rechten das Messer schwang:

»Halt, halt! Ihr sollt alles haben!«

»Gut!« nickte Old Shatterhand. »Es war grad die höchste Zeit; widerrufe aber ja nicht, denn dann gibt es keine Gnade! Ich verlange, daß alles, bis auf den geringsten Gegenstand, ausgeliefert wird. Eure Squaws mögen uns diese Sachen heraus- und herunterbringen; sollten Männer es wagen, zu erscheinen, würden wir sie niederschießen. Bist du einverstanden?«

»Ja,« knirschte Ka Maku.

»So mag dieser Mann hier es den Deinen melden; aber wenn die Auslieferung nicht binnen fünf Minuten beginnt, bist du verloren!«

Er deutete auf einen der Gefangenen; es wurden ihm die Fesseln abgenommen, und dann erhielt er eine Leiter, um auf das Pueblo zu steigen. Erst durch ihn erfuhren die Indianer, daß ihr Häuptling gefangen war. Sie erhoben ein großes Geheul und rannten unter drohenden Gebärden oben hin und her, doch schien der Bote ihnen ernstlich zuzusprechen, und nach den festgesetzten fünf Minuten kamen schon die ersten Squaws mit Lasten herabgestiegen, die sie unten abgaben. Jeder Beraubte nahm das in Empfang, was ihm gehörte und gab an, was ihm noch fehlte. Es wurde scharf darauf gedrungen, daß selbst der kleinste Gegenstand zurückerstattet wurde; das machte freilich viele Mühe, endlich aber war doch alles vorhanden und verteilt. Darum rief der Häuptling:

»Es ist geschehen, was ihr wolltet. Nun bindet mich los und packt euch fort!«

»Du irrst,« antwortete Old Shatterhand ihm ruhig, »ihr habt noch nicht alles ersetzt.«

»Was verlangst du noch?«

»Die Zeit, die uns verloren gegangen ist.«

»Kann ich euch Zeit geben, Stunden schenken?« erwiderte Ka Maku.

»Ja. Wir haben alle deinetwegen eine kostbare Zeit verloren, die wir unbedingt wieder einbringen müssen. Das ist mit den schlechten Pferden, welche einige von uns besitzen, nicht möglich. Ich habe gesehen, daß ihr in eurem Corral sehr schöne Tiere habt; wir werden unsre schlechten gegen eure guten umtauschen.«

»Wage das!« rief Ka Maku, indem seine Augen zornig blitzten.

»Pshaw! Was ist dabei zu wagen? Du glaubst doch nicht etwa, daß ich mich vor dir fürchte! Wer kann es uns verwehren, den Tausch vorzunehmen? Du bist in unsrer Gewalt, und deine Krieger dürfen sich nicht herunter wagen, um uns zu hindern. Unsre Gewehre tragen weiter als die ihrigen; wir würden sie treffen, nicht aber sie uns; das wissen sie recht gut und werden sich also hüten, uns nahe zu kommen.«

»Es würde ein Raub, ein Diebstahl sein!«

»Nur Vergeltung! Ihr seid Diebe; wir aber strafen euch. Sollt ihr alle diese Leute umsonst gefangen genommen und beraubt haben? Man muß euch zeigen, daß der Unehrliche stets dem Ehrlichen unterliegt. Also, dein Widerstreben hilft dir nichts. Winnetou, Sam Hawkens und Droll mögen kommen, um mit mir die Pferde auszulesen!«

Er ging mit den drei Genannten nach dem Corral. Der Häuptling geriet in große Wut; er bäumte sich unter seinen Fesseln und gebärdete sich, als ob er den Verstand verloren hätte. Da trat Frau Rosalie zu ihm und fuhr ihn zornig an:

»Willste gleich schtille sein, du Schreihals ewiger, du! Was biste denn eegentlich? Een Häuptling willste sein? Wennste denkst, daß ich das gloobe, da kommste schöne an! Een Lump biste, een langfingriger Galgenschtrick. Verschtehste mich? Klappse sollteste kriegen, Haue, tüchtige Prügel! Eingeschperrt haste uns, uns arme Würmer! Und nu, da das gerechte Schtrafgericht über dich kommt, wie der Pfeffer off die Suppe, da thuste grad, als obste die reene Unschuld wärscht. Nimm dich in acht und komm’ mir nich etwa ‘mal in meine Hände; ich reiß dir die Haare alle eenzeln ‘raus! So, jetzt weeste, woran du bist und mit wem du es zu thun hast. Bessere dich! Jetzt is es vielleicht noch Zeit. Sonst kriegst du’s noch mit der Polizei und dem Schangdarm zu thun!«

Sie warf ihm noch einen vernichtenden Blick zu und wendete sich dann von ihm ab. Ihre Worte blieben nicht ohne Wirkung, obgleich er keins derselben verstanden hatte. Desto verständlicher war ihm ihr Ton gewesen. Er sah ihr ganz erstaunt nach und schwieg, schwieg selbst dann, als kurze Zeit darauf die Pferde aus dem Corral gelassen und gesattelt wurden. Es befanden sich seine besten dabei. Aber wenn er auch nichts sagte, seine Blicke redeten um so deutlicher. Es war ihnen anzusehen, daß er auf Rache sann.

Als die auf den obern Stockwerken befindlichen Roten sahen, daß die Weißen aufbrechen wollten, kamen sie mit Hilfe der ihnen gebliebenen Leitern herabgestiegen. Sie glaubten, dies wagen zu können, weil die Bleichgesichter aufgehört hatten, eine drohende Haltung zu zeigen. Hätte man ihnen den Willen gelassen, so wäre kein ruhiger Abzug möglich gewesen. Darum richtete Old Shatterhand seinen Stutzen auf sie und rief drohend:

»Bleibt oben, sonst schießen wir!«

Da sie dieser Aufforderung nicht Folge leisteten, so gab er zwei Warnungsschüsse ab, doch absichtlich ohne jemand zu treffen. Da erhoben sie ein Geheul und wichen nach oben zurück. Sie waren übrigens den Verhältnissen angemessen sehr gut weggekommen, denn außer den Fackelträgern, welche von Old Shatterhand in die Hände getroffen worden waren, hatte keiner von ihnen eine Verletzung davongetragen; Tote gab es gar nicht. Dennoch sagte der Häuptling zu Old Shatterhand, als dieser das Gewehr absetzte:

»Warum schießest du auf meine Leute? Siehst du nicht, daß sie keine feindlichen Absichten mehr haben?«

»Und hast du nicht gesehen, daß auch meine Absicht eine friedliche war?« antwortete der Jäger. »Oder glaubst du, ich hätte treffen wollen und doch Fehlschüsse gethan? Wenn ich will, trifft meine Kugel stets; ich habe sie nur warnen wollen.«