Der Geist des Llano Estacado

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„Warum nicht, Sir! Ich heiße Tobias Preisegott Burton und bin Missionar der Heiligen der letzten Tage.“

Der Fremde sagte das in einem selbstbewussten und salbungsvollen Ton, der aber nicht den beabsichtigten Eindruck auf den Farmer machte, denn Helmers meinte achselzuckend „Ein Mormone seid Ihr? Das ist keineswegs eine Empfehlung für Euch. Ihr nennt euch die Heiligen der letzten Tage. Das ist anspruchsvoll und überheblich, und da ich ein bescheidenes Menschenkind bin und für Eure Selbstgerechtigkeit keinen Sinn habe, so wird es am besten sein, Ihr schleicht in Euern frommen Missionsstiefeln sogleich weiter. Ich dulde keinen Seelenkäufer hier im Settlement.“

Das war sehr deutlich, ja sogar beleidigend gesprochen. Burton aber behielt seine verbindliche Miene bei, griff abermals höflich an den Hut und entgegnete: „Ihr irrt, Sir, wenn Ihr meint, dass ich beabsichtige, die Bewohner dieser gesegneten Farm zu bekehren. Ich spreche bei Euch nur vor, um mich auszuruhen und meinen Hunger und Durst zu stillen.“

„So! Na, wenn Ihr nur das wollt, so sollt Ihr haben, was Ihr braucht, vorausgesetzt natürlich, dass Ihr bezahlen könnt. Hoffentlich habt Ihr Geld bei Euch!“

Helmers überflog die Gestalt des Fremden abermals mit einem scharfen, prüfenden Blick und verzog dann das Gesicht, als habe er etwas wenig Angenehmes gesehen. Der Mormone hob den Blick gen Himmel, räusperte sich und erklärte: „Zwar bin ich keineswegs übermäßig mit Schätzen dieser sündigen Welt versehen, aber Essen, Trinken und ein Nachtlager kann ich doch bezahlen. Freilich hatte ich nicht auf eine solche Ausgabe gerechnet, da mir gesagt wurde, dieses Haus sei äußerst gastlich.“

„Ah! Von wem habt Ihr denn das erfahren?“

„Ich hörte es in Taylorsville, woher ich komme.“

„Da ist Euch die Wahrheit gesagt worden. Aber man scheint vergessen zu haben, hinzuzufügen, dass ich unentgeltliche Gastfreundschaft nur an solchen Leuten übe, die mir willkommen sind.“

„So ist das bei mir wohl nicht der Fall?“

„Nein, durchaus nicht.“

„Aber ich habe doch nichts getan.“

„Möglich. Doch wenn ich Euch genau betrachte, ist es mir, als könne von Euch nur Unangenehmes geschehen. Nehmt es mir nicht übel, Sir! Ich bin ein aufrichtiger Kerl und pflege einem jeden offen zu sagen, was ich von ihm denke. Euer Gesicht gefällt mir nicht.“

Selbst jetzt tat der Mormone nicht, als fühle er sich beleidigt. Er griff zum dritten Mal an den Hut und sagte in mildem Ton: „Es ist in diesem Leben das Schicksal der Gerechten, verkannt zu werden. Ich kann nichts für mein Gesicht. Wenn es Euch nicht gefällt, so ist das nicht meine Schuld.“

„Aber sagen braucht Ihr es Euch nicht zu lassen! Es gehört ein großer Mangel an Ehrgefühl dazu, so etwas ruhig hinzunehmen. Übrigens will ich Euch gestehen, dass ich gegen Euer Gesicht an und für sich eigentlich nichts habe. Nur die Art und Weise, wie Ihr es in der Welt herumtragt, die behagt mir nicht. Und sodann kommt es mir vor, als sei es gar nicht Euer wirkliches Gesicht. Ich vermute, dass Ihr eine ganz andere Miene aufsteckt, wenn Ihr mit Euch allein seid. Und dann will mir auch noch anderes an Euch nicht recht gefallen.“

„Darf ich bitten, mir zu sagen, was Ihr meint?“

„Ich sage es Euch, auch ohne dass Ihr darum bittet. Ich habe nämlich sehr viel dagegen, dass Ihr aus Taylorsville kommt.“

„Warum? Habt Ihr Feinde dort?“

„Keinen einzigen. Aber erklärt mir doch einmal, wohin Ihr wollt!“

„Hinauf nach Fort Elliot.“

„Hm! Da geht wohl der nächste Weg hier bei mir vorüber?“

„Nein, aber ich hörte so viel Liebes und Gutes von Euch, dass es mich im Herzen verlangte, Euch kennenzulernen.“

„Das wünscht ja nicht, Mister Burton, denn es könnte Euch nicht gut bekommen! – Doch weiter! Wo habt Ihr denn Euer Pferd?“

„Mein Pferd? Ich habe keins. Ich komme zu Fuß.“

„Oho! Versucht ja nicht, mir das weis zu machen! Ihr habt das Tier hier irgendwo versteckt und ich vermute stark, dass es kein ehrenhafter Grund ist, der Euch dazu veranlasst hat. Hier reitet jeder Mann, jede Frau und jedes Kind. Ohne Pferd gibt es in dieser Gegend kein Fortkommen. Ein Fremder, der sein Ross versteckt und dann leugnet, eins zu besitzen, führt sicherlich nichts Gutes im Schilde.“

Der Mormone schlug die Hände beteuernd zusammen und rief: „Aber, Mister Helmers, ich schwöre Euch, dass ich wirklich kein Pferd besitze. Ich gehe auf den Füßen der Demut durchs Land und habe noch nie in einem Sattel gesessen.“

Da erhob sich Helmers von der Bank, trat zu dem Fremden hin, legte ihm die Hand schwer auf die Schulter und fuhr ihn an: „Mann, das sagt Ihr mir, der ich so lange Jahre hier an der Grenze lebe? Meint Ihr denn, ich sei blind? Ich sehe ja, dass Ihr Euch die Wolle von den inneren Seiten Eurer Hose geritten habt. Ich sehe die Sporenlöcher in Euern Stiefeln, und...“

„Das ist kein Beweis, Sir!“, fiel ihm der Mormone in die Rede. „Ich habe die Stiefel alt gekauft. Die Löcher waren bereits drin.“

„So! Wie lange tragt Ihr sie denn nun bereits?“

„Seit zwei Monaten.“

„Dann wären die Löcher längst mit Staub oder Schmutz gefüllt. Oder macht Ihr Euch etwa das Vergnügen, sie täglich neu auszubohren? Es hat in letzter Nacht geregnet. Eine so weite Fußwanderung hätte Eure Stiefel über und über beschmutzt. Dass sie so sauber sind, ist ein sicherer Beweis, dass Ihr geritten seid. Übrigens riecht Ihr nach Pferd, und da, da schaut einmal her! Wenn Ihr einmal wieder die Sporen in die Rocktasche steckt, so sorgt dafür, dass nicht ein Rad davon außen am Saum hängen bleibt!“ Er deutete auf ein Sporenrad aus Messing, das aus der Tasche des Fremden hervorsah.

„Diese Sporen habe ich gestern gefunden“, verteidigte sich der Mormone.

„So hättet Ihr sie lieber liegen lassen sollen, da Ihr sie ja doch nicht braucht. Übrigens geht es mich nichts an, ob Ihr reitet oder auf Schusters Fregatte segelt. Meinetwegen könnt Ihr auf Schlittschuhen durch die Welt laufen. Wenn Ihr zahlen könnt, sollt Ihr Essen und Trinken haben. Dann aber macht Euch wieder fort! Über Nacht kann ich Euch nicht behalten. Ich nehme nur Leute, die keinen Verdacht erregen, bei mir auf.“

Helmers trat ans Fenster, sagte einige halblaute Worte hinein, kehrte dann wieder an seinen Platz zurück und kümmerte sich scheinbar nicht weiter um den Fremden. Der Mormone setzte sich an den nächsten Tisch, legte sein Bündel darauf, faltete kopfschüttelnd die Hände und senkte ergeben das Haupt, ruhig wartend, was man ihm bringen werde. Er gab sich das Aussehen eines Mannes, dem unverdient ein Leid geschehen ist.

Hobble-Frank hatte der Unterhaltung aufmerksam zugehört. Jetzt, da sie beendet war, beachtete er den Mormonen nicht weiter. Anders aber verhielt sich Bloody-Fox.

Der Jüngling hatte gleich beim Erscheinen des Fremden die Augen weit geöffnet und dann den Blick nicht wieder von ihm gewandt. Er hatte sich nicht gesetzt und war willens gewesen, die Farm zu verlassen. Sein Pferd stand ja noch neben ihm. Jetzt griff er sich nach der Stirn, als bemühe er sich vergeblich, sich auf etwas zu besinnen. Dann ließ er die Hand sinken und nahm langsam dem Farmer gegenüber Platz, sodass er den Mormonen genau beobachten konnte. Er gab sich Mühe, das nicht merken zu lassen, aber er konnte die innere Spannung nicht verbergen.

Da trat eine ältliche, wohlbeleibte Frau aus der Tür. Sie brachte Brot und ein gewaltiges Stück gebratene Rindslende herbei. „Das ist meine Frau“, erklärte Helmers dem Hobble-Frank in deutscher Sprache, während er mit dem Mormonen Englisch gesprochen hatte. „Sie versteht ebenso gut Deutsch wie ich.“

„Freut mich ungeheuer“, meinte Frank, indem er ihr die Hand reichte. „Es ist gar lange Zeit her, dass ich mich zum letzten mal mit einer Lady um die deutsche Muttersprache herumbewegte. Seien Sie mir also herzlich gegrüßt, meine liebliche Frau Helmers! Hat sich Ihre Wiege vielleicht auch im Vater Rhein oder in der Schwester Elbe geschaukelt?“

„Wenn auch das nicht“, entgegnete sie lächelnd. „Man pflegt auch drüben in der Heimat die Wiegen nicht ins Wasser zu stellen. Aber eine geborene Deutsche bin ich doch.“

„Na, das mit dem Rhein und der Elbe war natürlich nich so wörtlich gemeint. Ich drücke mich mehrschtenteels gewählt und vornehm aus. Was mich anlangt, so habe ich meinen ersten wonnevollen Atemzug in der Nähe von Elbflorenz getan, was der mathematische Geograf Dresden nennt.“

Die gute Frau wusste nicht, was sie dem eigentümlichen Kerlchen antworten sollte. Sie sah ihren Mann fragend an und Helmers kam ihrer Verlegenheit zu Hilfe, indem er erklärte: „Der Herr ist ein lieber Kollege von mir, ein Forstmann, der drüben sicher eine gute Laufbahn gemacht hätte.“

„Ganz gewiss!“, fiel Frank schnell ein. „Die Forstwissenschaft war die Leiter, auf der ich mit Armen und Beinen emporgeklimmt wäre, wenn mich nich mein Fatum hinten angepackt und herüber nach Amerika gezogen hätte. Ich hoffe, wir werden uns schnell und gut kennenlernen, meine ergebenste Frau Helmers!“

„Davon bin ich überzeugt!“, entgegnete sie ihm zunickend.

„Übrigens ist mein Bier jetzt alle. Könnte ich noch eins bekommen?“

Sie nahm sein Glas, um es ihm nochmals zu füllen. Bei dieser Gelegenheit brachte sie für den Mormonen Brot, Käse, Wasser und ein kleines Gläschen voll Brandy mit. Er begann sein einfaches Mahl, ohne sich darüber zu beschweren, dass er kein Fleisch erhalten hatte.

Jetzt kam Bob der Neger herbei. „Masser Bob sein fertig mit Pferden“, meldete er. „Masser Bob auch mit essen und trinken!“

Da fiel sein Blick auf den Heiligen der letzten Tage. Er blieb stehen, musterte den Mann einige Augenblicke und rief dann: „Was sehen Masser Bob! Wer hier sitzen! Das sein Massa Weller, der Dieb, der haben gestohlen Massa Baumann all sein viel Geld!“

 

Der Mormone fuhr von seinem Sitz auf und starrte den Schwarzen erschrocken an.

„Was sagst du?“, fragte Frank, indem er auch aufsprang. „Dieser Mann soll jener Weller sein?“

„Ja, er es sein. Masser Bob ihn genau kennen. Masser Bob ihn haben damals sehr gut ansehen.“

„Lack-a-day! Das wäre ja eine allerliebste Begegnung. Was sagt denn Ihr dazu, Mister Tobias Preisegott Burton?“

Der Mormone hatte seinen augenblicklichen Schreck überwunden. Er machte eine verächtliche Armbewegung gegen den Neger und erwiderte: „Dieser Schwarze ist wohl nicht recht bei Sinnen? Ich verstehe ihn nicht. Ich weiß nicht, was er will!“

„Seine Worte waren doch deutlich genug. Er nannte Euch Weller und sagte, dass Ihr seinen Herrn, einen gewissen Baumann, bestohlen hättet.“

„Ich heiße nicht Weller.“

„Vielleicht habt Ihr einmal so geheißen?“

„Ich hieß zu aller Zeit Burton. Der Nigger scheint mich mit irgendjemand zu verwechseln.“

Da trat Bob drohend auf ihn zu und rief: „Was sein Masser Bob? Masser Bob sein ein Neger, aber kein damned Nigger. Masser Bob sein ein coloured gentleman. Wenn Massa Weller noch einmal sagen Nigger, so Masser Bob ihn schlagen nieder mit Faust, wie Massa Old Shatterhand es ihm hat zeigen!“

Sofort stellte sich Helmers zwischen die beiden und sagte: „Bob, keine Tätlichkeit! Du klagst diesen Mann eines Diebstahls an. Kannst du Beweise bringen?“

„Ja, Bob Beweise bringen. Massa Frank auch wissen, dass Massa Baumann sein bestohlen worden. Er können Zeuge sein.“

„Ist das wahr, Mister Frank?“

„Ja“, bestätigte der Gefragte. „Ich kann es bezeugen.“

„Wie ist es denn bei dem Diebstahl zugegangen?“

„Mein Gefährte Baumann, der von denen, die ihn kennen, kurzweg der Bärenjäger genannt wird, hatte droben in der Nähe des South Fork of Cheyenne River einen Store und ich war sein Gefährte und Teilhaber. Das Geschäft ging anfangs sehr gut, da es häufig von den Goldgräbern besucht wurde, die sich damals in den Black Hills zusammengezogen hatten. Wir nahmen viel Geld ein und es lag oft eine bedeutende Menge Münzen und Nuggets bei uns verborgen. Eines Tages musste ich eine Reise zu den Diggers unternehmen, um Schulden einzutreiben. Als ich am dritten Tag zurückkehrte, hörte ich, dass Baumann indessen bestohlen worden sei. Er war mit Bob allein gewesen und hatte einen Fremden namens Weller über Nacht behalten. Am anderen Morgen war mit diesem Weller das ganze Geld verschwunden, und die Verfolgung hatte nichts genützt, weil durch einen Gewitterregen die Fährte des Diebes verwischt worden war. Jetzt behauptet Bob, ihn in diesem Heiligen der letzten Tage erkennen, und ich möchte nicht annehmen, dass er sich irrt. Bob hat offene Augen und ein sehr gutes Personengedächtnis. Er versicherte schon damals, sich den Menschen genau angesehen zu haben. Das, Mister Helmers, ist es, was ich in dieser Angelegenheit zu sagen habe.“

„Also Ihr selbst seid dem Dieb damals nicht begegnet?“

„Nein.“

„So seid Ihr freilich nicht im Stande, dem Neger zu bezeugen, dass wir wirklich den Dieb vor uns haben. Bob steht mit seiner Behauptung allein. Was da zu machen ist, werdet Ihr ebenso gut wissen wie ich.“

„Masser Bob es genau wissen, was zu machen sein!“, rief der Neger. „Masser Bob schlagen den Spitzbuben tot. Masser Bob sich nicht irren.“

Er wollte Helmers beiseite schieben, um an den Mormonen zu kommen. Der Farmer aber hielt ihn zurück und sagte: „Halt! Das wäre eine Gewalttätigkeit, die ich auf meinem Grund und Boden nicht dulden kann.“

„Gut. Masser Bob warten, bis Spitzbube sein fort von Grund und Boden. Dann aber ihn aufknüpfen am nächsten Baum. Masser Bob hier sitzen und gut aufpassen, wenn fortgehen der Dieb.“

Bob setzte sich nieder, doch so, dass er den Mormonen im Auge hatte. Man sah es ihm an, dass es ihm mit seiner Drohung ernst war. Burton musterte mit ängstlichem Blick die riesige Gestalt des Negers und wendete sich dann an Helmers: „Sir, ich bin wirklich unschuldig. Dieser schwarze Master verkennt mich und ich hoffe, dass ich mich auf Euern Schutz verlassen kann.“

„Verlasst Euch nicht zu sehr auf mich!“, lautete die Antwort. „Es sind keine Beweise erbracht und mich geht der Diebstahl überhaupt nichts an, weil ich keinerlei amtliche Eigenschaft besitze. Infolgedessen könnt Ihr ruhig sein, solange Ihr Euch hier befindet. Ich habe Euch aber bereits gesagt, dass Ihr Euch baldigst von dannen machen sollt. Was dann geschieht, ist mir gleichgültig. Ich kann Bob das Recht nicht bestreiten, diese Angelegenheit unter vier Augen mit Euch zu ordnen. Zu Eurer ganz besonderen Beruhigung will ich gern noch versichern, dass ich nicht vor Entsetzen in Ohnmacht fallen werde, falls ich Euch morgen unter irgendeinem Baum begegnen sollte, dessen stärkster Ast Euch zwischen Hals und Binde geraten ist.“

Damit war die Sache einstweilen abgetan. Der Mormone wendete sich seinem Mahl wieder zu, aber er aß sehr langsam und mit bedeutenden Pausen, um die ihm gewährleistete Sicherheit möglichst lange zu genießen. Bobs rollende Augen ließen kaum von ihm und Bloody-Fox, der sich äußerlich still verhalten hatte, beobachtete ihn noch ebenso aufmerksam wie vorher.

2. Der Schuss in die Stirn

Jetzt war jeder mit dem Essen und mit seinen eigenen Gedanken so beschäftigt, dass die Unterhaltung gänzlich stockte. Und als später Frank das vorher abgebrochene Gespräch über den Llano Estacado wieder in Fluss bringen wollte, wurde er durch das Erscheinen eines neuen Gastes daran gehindert. „Euer Haus scheint recht besucht zu sein, Mister Helmers“, meinte er. „Dort kommt schon wieder ein horseman, der es auf Euch abgesehen hat.“

Der Wirt drehte sich nach dem Reiter um, erkannte ihn und sagte lebhaft: „Das ist einer, den ich stets willkommen heiße, ein tüchtiger Kerl, auf den man sich in jeder Beziehung verlassen kann.“

„Wohl ein Trader, wie es scheint, der bei Euch seine Warenvorräte erneuern will?“

„Meint Ihr das, weil er zu beiden Seiten des Sattels so große Taschen hängen hat?“

„Ja.“

„So irrt Ihr Euch. Er ist kein Händler, sondern einer unserer vorzüglichsten Scouts, ein Mann, den Ihr kennenlernen müsst.“

„Vielleicht ist mir sein Name bekannt.“

„Wie er eigentlich heißt, weiß ich nicht. Man nennt ihn allgemein den Juggle-Fred, weil er Hunderte von Kunststücken zu machen versteht, über die jeder in Erstaunen gerät. Die dazu gehörigen Sachen führt er in den auffälligen Taschen bei sich.“

„Habe schon von ihm gehört. Er ist ein reisender Taschenspieler, der bei Gelegenheit den Führer und Pfadfinder macht, nicht wahr?“

„Gerade umgekehrt: ein ausgezeichneter Fährtensucher, der seine Gesellschaft gelegentlich mit Kunststücken unterhält. Er scheint mit berühmten Zirkusleuten gereist zu sein und ist auch der deutschen Sprache mächtig. Warum er in den Westen gekommen ist und auch da verbleibt, während er anderswo durch seine Fingerfertigkeit ein steinreicher Mann werden könnte, das weiß ich nicht, geht mich auch nichts an, doch ich bin überzeugt, dass Ihr Euer Wohlgefallen an ihm haben werdet.“

Der Reiter, über den diese Bemerkungen gemacht wurden, war jetzt nahe herangekommen. Er hielt, nur noch eine kurze Strecke von dem Haus entfernt, sein Pferd an und rief: „Hallo, alter Lodging-uncle[3], hast du noch Raum für einen armen Neddy-wretch[4], der seine Zeche nicht bezahlen kann?“

„Für dich ist zu jeder Zeit Platz vorhanden“, erwiderte Helmers. „Komm nur heran! Steig vom Ziegenbock herab und mach es dir bequem! Du wirst dich in angenehmer Gesellschaft befinden.“

Der einstige Taschenspieler überflog die Anwesenden mit prüfendem Blick und meinte: „Will es hoffen! Unseren Bloody-Fox kenne ich bereits. Der Schwarze macht mir keine Sorge. Der andere kleine Gentleman im Frack und Ladyhut scheint auch kein übler Kerl zu sein. Und der Dritte dort, der in den Käse beißt, als müsse er eine Igelhaut verzehren, nun, hm, den werde ich wohl noch kennenlernen.“

Es war eigentümlich, dass sich auch dieser Mann über den Mormonen sogleich vorsichtig äußerte. Er trieb sein Pferd vollends heran und sprang aus dem Sattel. Während er den Wirt wie einen alten Freund mit ausgestreckten Händen herzlich begrüßte, konnte Frank ihn betrachten.

Dieser Juggle-Fred war eine selbst hier im fernen Westen auffallende Erscheinung. Das Erste, was man an ihm bemerkte, war ein bedeutender Höcker, der seine sonst wohlgegliederte Gestalt verunzierte. Sein Körper war von mittlerer Größe und sehr kräftig gebaut, nicht etwa kurzleibig, engbrüstig und langarmig. Sein rundes, volles, glatt rasiertes Gesicht war tief gebräunt, aber auf der linken Seite arg zerrissen, als sei da einmal eine fürchterliche Wunde kunstwidrig zusammengeflickt worden. Und sonderbarerweise waren seine Augen ganz auffallend verschieden gefärbt; das linke war vom schönsten Himmelblau, während das rechte das tiefste Schwarz zeigte.

Er trug hohe, braune Büffelkalbstiefel mit großrädrigen mexikanischen Sporen, schwarze Lederhose mit ebensolcher Weste und darüber ein blusenartiges Wams von starkem, blauem Tuch. Um seine Lenden war ein breiter Ledergürtel geschnallt, der einer so genannten Geldkatze glich und neben den Patronen, dem Messer und einem Revolver von bedeutendem Kaliber allerhand Kleinigkeiten enthielt, deren ein Westmann bedarf. Weit in die Stirn herein, sodass sie völlig verdeckt wurde, saß eine ziemlich neue Bibermütze. Der Schwanz des Tieres hing hinten bis über den Nacken herab. Sein Pferd war von Helmers scherzhafterweise als Ziegenbock bezeichnet worden und dieser Vergleich hatte seine Berechtigung. Das Tier war außergewöhnlich hochbeinig und scheinbar recht abgetrieben. An dem nackten Schwanzstummel, den es jetzt tief gesenkt hielt, saßen nur noch einige wenige kurze Haare. Ob das Ross einst ein Rappe, ein Brauner oder ein Fuchs gewesen war, vermochte man jetzt nicht mehr zu bestimmen, denn sein Körper war an vielen Stellen völlig kahl, und da, wo Haare noch vorhanden waren, zeigten sie ein so unbestimmtes Grau, als sei der alte Hengst bereits zur Zeit der Völkerwanderung von irgendeinem Sueben oder Gepiden[5] geritten worden. Von einer Mähne war keine Spur zu merken. Der unverhältnismäßig große Kopf hing so weit nieder, dass das Maul beinahe die Erde berührte, und schien die langen, dicken und kahlen Eselsohren kaum tragen zu können, die sich wie riesige Lederbehälter liebevoll bis an die Unterkiefer schmiegten. Dazu hielt das Tier die Augen geschlossen, als schlafe es, und wie es so bewegungslos dastand, war es ein unübertreffliches Bild der Dummheit und der bemitleidenswerten Unbeholfenheit.

Nachdem der Besitzer dieses Pferdes dem Wirt die Hände gedrückt hatte, fragte er: „Also Platz hast du für mich? Ob aber auch ein Essen?“

„Natürlich! Setz dich nur her! Hier ist noch Fleisch genug für dich.“

„Danke. Habe mir gestern den Magen verdorben. Rind ist mir heute zu schwer. Ein junges Huhn wäre mir lieber. Kannst du eins beschaffen?“

„Warum nicht? Schau her! Da laufen die Backhühnchen in Menge herum.“ Er deutete auf zwei Völkchen junger Hühner, die unter dem Schutz ihrer mütterlichen Glucken in der Nähe der Tische herumtrippelten, um die herabfallenden Brocken aufzupicken.

„Schön!“, nickte Fred. „Ich bitte um eins. Dein Housewife mag es mir vorrichten. Rupfen will ich es selbst.“ Mit diesen Worten nahm er sein Doppelgewehr vom Sattelknopf, legte auf eins der Hühnchen an und drückte ab. Als der Schuss krachte, bewegte sein Pferd nicht einmal die geschlossenen Augenlider. Es schien so stocktaub zu sein, dass es selbst einen in solcher Nähe abgegebenen Schuss nicht hören konnte.

Das Huhn war tot umgefallen. Der Mann hob es auf und zeigte es vor. Es hatte zu aller Erstaunen nicht eine einzige Feder mehr und konnte sofort ausgenommen und gebacken werden. „The devil!“, lachte Helmers. „Konnte es mir doch denken, dass es wieder auf eines deiner Kunststücke abgesehen war. Aber wie hast du denn das angefangen?“

„Mit dem Fernrohr.“

„Unsinn! Hast ja mit der Büchse geschossen.“

„Allerdings. Aber vorher habe ich euch aus der Ferne durch mein Taschenteleskop beobachtet und auch das junge Hühnervolk bemerkt. Deshalb traf ich sogleich meine Vorbereitungen, mich als Tausendkünstler bei deinen heutigen Gästen einzuführen.“

 

„Darf man diese Vorbereitungen kennenlernen?“

„Warum nicht? Es ist ja nur eine Spielerei. Lade einen tüchtigen Schuss grobe iron-filings[6] außer der Kugel oder dem Schrot und ziele so, dass die Ladung den Vogel von hinten nach vorn überfliegt, so werden die Federn, falls sie nicht bereits zu stark sind, gänzlich abrasiert und abgesengt. Du siehst, man braucht nicht die schwarze und weiße Magie studiert zu haben, um ein so genannter Zauberkünstler zu sein. Also lass mir das Tierchen backen! Hoffentlich ist es erlaubt, mich mit herzusetzen?“

„Natürlich! Diese beiden Gentlemen sind Freunde von mir, Bekannte von Old Shatterhand, den sie hier erwarten.“

„Old Shatterhand?“, fuhr der Juggle-Fred auf. „Ist das wahr?“

„Ja. Auch der Dicke Jemmy will kommen.“

„Heigh-day! Das ist ja eine Nachricht, wie man sie gar nicht besser hören kann! Habe diesen Old Shatterhand längst einmal zu sehen gewünscht. Es freut mich, dass ich gerade zur richtigen Zeit hierher gekommen bin.“

„Ebenso wird es dich freuen, wenn du erfährst, dass dieser Sir hier ein Deutscher ist. Er heißt Frank und ist ein Kollege von...“

„Frank?“, unterbrach ihn der Zauberkünstler. „Etwa gar der Hobble-Frank?“

„Sapperment!“, rief da der kleine Sachse. „Sie kennen meinen Namen? Wie is das möglich?“

Er hatte Deutsch gesprochen, darum antwortete der Juggle-Fred in der gleichen Sprache: „Darüber brauchen Sie sich gar nicht zu wundern. Früher waren andere Zeiten. Da geschahen gute und schlimme Taten in Menge hier im fernen Westen, und bei den mangelhaften Verbindungen, die es gab, kam die Kunde davon nur langsam vorwärts. Aber wenn jetzt einmal etwas Hervorragendes geleistet wird, fliegt die Nachricht davon im Nu von den Seen bis Mexiko und vom alten Frisco bis nach New York. Ihr kühner Zug nach dem Yellowstone ist bereits weit bekannt und Ihre Namen sind es natürlich auch. In jedem Fort, in jedem Settlement, an jedem Lagerfeuer wurde von Ihrem Ritt erzählt und so dürfen Sie nicht staunen, dass ich Ihren Namen kenne. Ein Fallensteller, der hoch droben am Spotted Tail-Wasser mit Moh-aw, dem Sohn Oihtka-petays, gesprochen hatte und jetzt bis herab ins Fort Arbuckle gekommen war, erzählte allen, die er traf, und zuletzt auch mir die Geschichte so ausführlich, wie er sie selbst gehört hat.“

„Na“, meinte Hobble-Frank, „wer weiß, was da alles vom Spotted Tail-Wasser bis zum Fort Arbuckle an die Geschichte gehängt worden ist. Da wird aus einer Maus ein Eisbär, aus einem Regenwurm eine Riesenschlange und aus einem bescheidenen Biberjäger gar ein berühmter Hobble-Frank. Ich will ja schon zugeben, dass wir die reinen Herkulesse und Minotaurusse gewesen sind, aber mehr, als wahr is, lasse ich mir nich gern nachsagen. Den Helden ziert die Tugend der rückhaltlosen Bescheidenheit.“

„Ihre Bescheidenheit stellt Ihre Vorzüge in ein dreifach helles Licht und verzehnfacht mein Vergnügen, Sie hier kennenzulernen. Bitte, geben Sie mir Ihre Hand!“

Der Juggle-Fred streckte Frank die Rechte entgegen. Der Kleine schlug herzhaft ein und sagte: „Das tu ich gern, denn ich habe von Herrn Helmers erfahren, dass Sie ein weitgereister und kunstsinniger Mann sind. Ich möchte eigentlich wissen, was für eine Laufbahn Sie hinter sich haben!“

„Das ist bald erzählt! Erst besuchte ich das Gymnasium, wo ich...“

„O weh! Das is keine Empfehlung für Sie.“

„Warum nicht?“

„Weil ich eine starke Abneigung gegen alles habe, was Gymnasiast gewesen ist. Diese Leute überheben sich. Sie glauben nich, dass ein Forschtbeamter auch ein Gelehrter werden kann. Ich habe das schon wiederholt erfahren. Und doch is es mir stets kinderleicht geworden, diese Leute zu überzeugen, dass ich der Mann bin, mit Gigantenschritten über sie hinwegzusteigen. Also so eine kleine Art von Studium haben Sie auch durchgemacht?“

„Ja. Vom Gymnasium weg widmete ich mich auf den Rat meiner Gönner hin der Malerei und besuchte die Akademie. Ich hatte recht gute Anlagen, aber leider keine Ausdauer. Nur zu bald ermüdete ich und stieg von der wirklichen Kunst zu einer so genannten herab – ich wurde Kunstreiter. Ich war ein flotter Kerl, aber ohne Kraft und inneren Halt. Mit einem Wort, ich war leichtsinnig. Tausendmal habe ich es bereut. Was könnte ich heute sein, wenn ich es fest gewollt hätte!“

„Nun, die Begabung haben Sie wohl noch heute. Fangen Sie doch wieder an!“

„Jetzt? Wo die jugendliche Spannkraft verloren gegangen ist? Mein lieber Hobble-Frank, diese Träume sind vorbei. Ich bemühe mich, in meinem Beruf als Scout brav und rechtschaffen zu leben und meinen Mitmenschen dienstbar zu sein. Aber in die Schule dürfen Sie mich alten Kauz nicht mehr schicken wollen! – Wohl dem, der nicht in späten Tagen büßen muss, was er in der Jugend versäumt hat! Sprechen wir, bitte, von etwas anderem!“

„Ja, sprechen wir von etwas anderem!“, wiederholte der gutmütige Hobble-Frank eifrig. „Von meinen Freunden, die ich in den nächsten Tagen treffen werde, von Old Shatterhand, vom Langen Davy, vom Dicken Jemmy, von Winnetou, der...“

„Winnetou?“, fiel Fred ein. „Meinen Sie den berühmten Apatschenhäuptling? Wo treffen Sie mit ihm zusammen?“

„Das hat er nur mit Old Shatterhand besprochen. Vermutlich aber wird es jenseits des Llano Estacado sein.“

„Hm! Dann hoffe ich, auch ihn zu sehen. Ich will nämlich über die Staked Plains. Ich bin von einer Gesellschaft geworben, die ich hinüber- und dann noch bis El Paso führen soll. Es sind Yankees, die drüben in Arizona ein gutes Geschäft zu machen gedenken.“

„Doch nicht etwa in Diamanten?“

„Ja, gerade in dieser Ware. Sie scheinen bedeutende Summen bei sich zu führen, um die Steine an Ort und Stelle billig einzukaufen.“

Helmers schüttelte den Kopf und mischte sich ein: „Glaubst du denn an diese Diamantenfunde? Ich meinerseits halte die ganze Geschichte für einen riesigen Humbug.“

Er hatte ganz Recht. Zu jener Zeit tauchten plötzlich Gerüchte auf, dass in Arizona Diamantfelder entdeckt worden seien. Es wurden Namen von Personen genannt, die durch glückliche Funde in wenigen Tagen steinreich geworden seien. Man zeigte auch Diamanten vor, zum Teil sehr kostbare Stücke, die dort gefunden worden sein sollten. Dieses Gerücht ging durch die ganze Breite des Festlandes im Lauf einiger Wochen, ja einiger Tage. Die Diggers von Kalifornien und der nördlichen Bezirke verließen ihre einträglichen Diggins und eilten nach Arizona. Aber schon hatte sich die Spekulation des Feldes bemächtigt. Es waren in aller Eile Gesellschaften gebildet worden, denen Millionen zur Verfügung standen. Die Diamantfelder sollten angekauft werden, damit man die Ausbeute im Großen betreiben könne. Kein Claim sollte abgegeben werden. Agenten flogen hin und her, mit Diamantproben in der Hand, die man an den betreffenden Stellen nur so aufgelesen haben wollte. Sie schürten aus allen Kräften und in kürzester Zeit wurde das Diamantfieber hochgradiger, als das Goldfieber jemals gewesen war. Vorsichtige Leute aber hielten ihre Taschen zu, und der Rückschlag, den sie voraussagten, trat auch sehr bald ein. Der ganze, große Schwindel war von einigen wenigen, aber höchst smarten Yankees in Szene gesetzt worden. Sie waren aufgetaucht, ohne dass man sie kannte, und sie verschwanden wieder, ohne dass man sie inzwischen kennengelernt hatte. Mit ihnen waren natürlich auch die Millionen verschwunden. Die Aktionäre fluchten vergeblich. Die meisten leugneten, Aktien besessen zu haben. Sie wollten sich nicht auch noch auslachen lassen. Die so schnell berühmt gewordenen Diamantfelder lagen wieder öde wie vorher und die enttäuschten Goldgräber kehrten zu ihren Diggins zurück, um dort zu erkennen, dass sich indessen andere da eingenistet hatten, die klüger gewesen waren als sie. Damit war die Sache zu Ende und niemand sprach mehr davon.