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Der beiden Quitzows letzte Fahrten

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Kapitel 11: Ein Leu im Käfige

Im jetzigen Regierungsbezirke Magdeburg liegt südöstlich von Genthin und südwestlich von Brandenburg, gleichweit von beiden Städten entfernt, das Städtchen Ziesar, dessen Schloß einst als eines der festesten im ganzen Lande bekannt war und zu der Zeit, von welcher wir erzählen, dem Bischof von Brandenburg, Johann von Waldow, gehörte.

Früher hatte Herr Henning von Bredow auf dem bischöflichen Stuhle zu Brandenburg gesessen und trotz seines frommen Amtes gar manchen tüchtigen Strauß geführt und ausgekämpft; aber in der letzten Zeit seines Lebens war ihm ein Gegner erwachsen, dessen er sich nicht erwehren konnte und der ihm mehr zu schaffen machte, als alle, mit denen er vorher in Fehde gelegen. Das war Herr Caspar Gans von Putlitz, der treueste und gefürchtetste Freund der Quitzow’s, denen zu Liebe er sich mit dem Bischofe überwarf, um so indirect den Markgrafen Friedrich von Brandenburg in Schaden zu bringen. Dieser Streit brachte dem geistlichen Herrn so großen Verdruß, daß er ihm die letzten Tage seines Lebens arg verbitterte; er starb von Verdruß und Unmuth gequält.

Natürlich lag dem Markgrafen sehr viel daran, die hohe Stelle des Verstorbenen mit einem Manne besetzt zu sehen, auf dessen Treue und Anhänglichkeit er sich verlassen konnte. Er bemühte sich daher, die Wahl des Capitels auf einen solchen zu lenken, und wirklich wußte er es auch durch seinen Einfluß so weit zu bringen, daß Johann von Waldow, der Bruder des gleichnamigen Propstes von Berlin, vorgeschlagen und vom Papste auch bestätigt wurde. Die Familie dieses Mannes war eine der ältesten und angesehensten des Landes, und Friedrich hatte seine Ergebenheit schon in vielfachen Diensten erprobt.

Von dem Augenblicke an, an welchem dieser Mann die geistliche Regierung seines Bisthums übernahm, wurden die Quitzow’s von ihrem bisherigen Glücke verlassen, und auch Herr Caspar Gans von Putlitz gerieth in arge Noth, die endlich gar mit seiner Gefangennahme endigte. Und dies ging folgendermaßen zu:

Obgleich die Gänse sonst nicht sehr großer Ehre und Auszeichnung genießen, war die Gans von Putlitz doch von jeher ein gar berühmter und gefürchteter Vogel gewesen, um dessen Freundschaft die Parteien sich stets sorgsam bemüht hatten. Besonders hatte Herr Caspar es stets verstanden, sich in Ansehen und Würde zu setzen, so daß selbst der Kaiser ihn mit Aufmerksamkeiten bedachte und auch der Markgraf sich bemühte, seine Freundschaft zu erwerben; aber er war ein gar hainebuchener Charakter, der die höfischen Sitten und Gebräuche nimmer leiden mochte und auch seinen alten, langjährigen Verbündeten die Treue nicht brechen wollte. Deshalb hielt er zu ihnen gegen den Landesherrn und fiel dem Bischofe von Brandenburg in dessen Gebiet.

Zunächst plünderte er das Dorf Ketzin, welches an Stelle des jetzigen Fleckens Ketzin an der Havel lag, und brannte es vollständig nieder. Sodann führte er seine Schaaren nach dem nicht weit davon gelegenen Dorfe Knobloch, wo man sich begnügte, zu plündern, insbesondere aber das Vieh aus den Ställen zu ziehen. Hier erhielt Herr Caspar die Nachricht, daß die bischöflich-brandenburgischen Schaaren über Tremmen her gegen ihn heranzögen, und er mußte also auf Vertheidigungsmaßregeln bedacht sein.

Oestlich von dem Dorfe Knobloch liegt einzeln und frei eine mäßige Höhe, welche eine weite Aussicht über das hohe und niedere Havelland gewährt. Sie war in jenen Zeiten mit einer Warte besetzt und trägt jetzt ein Belvedere, welches diesen Namen mit wirklichem Rechte führt, da die Aussicht weit mehr Reize entwickelt, als der hier nicht Einheimische vermuthen sollte. Jene Warte war mit mehreren Wächtern besetzt, welche von dem Domcapitel zu Brandenburg besoldet wurden und stets gute Ausschau halten mußten, damit kein Feind das Land überrasche. Sie hatten das Herannahen der Gans von Putlitz bemerkt und waren davongegangen, um den Einfall der feindlichen Horden an der geeigneten Stelle zu melden. Herr Caspar bestieg, als er die Anhöhe erreicht hatte, die Warte, um den Umkreis zu überschauen und seinen Kriegsplan zu entwerfen.

Er wußte, ja er ahnte nicht, daß er getäuscht worden sei. Wie der Markgraf Friedrich von Brandenburg bei allen seinen kriegerischen Maßregeln die Klugheit in den Dienst der Tapferkeit stellte und eben darum so glückliche Erfolge aufzuweisen hatte, so war auch der Bischof Johann von Waldow ein Mann, welcher gar wohl erkannte, daß die rohe Kraft der Muskeln nicht allein genüge, einen mannhaften Feind auf das Haupt zu schlagen, sondern daß die List oft mehr vermöge als das Schwert und die riesigste Donnerbüchse. Darum hatte er die Führung seiner Schaaren einem Manne übergeben, welcher sich ebenso sehr durch Gewandtheit in der Waffenführung, als auch durch eine Klugheit auszeichnete, die den kleinsten Vortheil zu benutzen verstand und sich Hilfsmittel zu erfinden oder zu verschaffen wußte, wo für einen Anderen keine solchen vorhanden waren. Dieser Mann war der Stiftshauptmann Hans von Röder.

Dieser hatte Zweierlei eingesehen, nämlich daß er mit seinen Schaaren, die meist aus bloßen Söldnern bestanden, den rauhen und kriegsgewohnten Mannen des Putlitz’schen Heeres nicht gewachsen sei, und daß dem Bischof vor allen Dingen daran liegen müsse, den feindlichen Anführer selbst in seine Hand zu bekommen. Gelang das Letztere, so war die Fehde so gut wie beendet und es mußten aus der Gefangennahme Herrn Caspars Vortheile erwachsen, welche auch in gar mancher anderen Beziehung von Einfluß sein konnten. Daher hatte er einen schlauen Boten abgefertigt, welcher sich absichtlich aufgreifen ließ und, scheinbar gezwungen, die Aussage that, daß Hans von Röder mit dem Stiftsherrn von Tremmen heranrücke.

Caspar Gans von Putlitz schenkte den falschen Worten Glauben und hielt es demzufolge am rathsamsten, sich in derjenigen Richtung, in welcher der Feind sich näherte, zurückzuziehen. Er ließ seine Schaar sich sammeln und führte sie auf Karpzow zu. Die Leute hatten, wie die Kosaken, alles Mögliche, was durch die Plünderung in ihre Hände gerathen war unter und auf den Sätteln der Pferde aufgehäuft und befanden sich daher wenig in der Lage, sich frei und ungehindert einem Kampfe hinzugeben. In Karpzow angekommen, ließ er einige Reiter auf einer Anhöhe halten, die ihn sofort benachrichtigen sollten, wenn sie die Annäherung der Brandenburger bemerken würden. Er selber zog sich weiter gegen Osten durch den Wald zurück und gelangte so bis zu dem Dorfe Dalgow unweit Spandau.

Hier wurde abgesattelt, denn sowohl Menschen als auch Pferde waren müde und vom Froste angegriffen. Er fühlte sich vollständig sicher, denn die Wachtposten bei Karpzow konnten wenigstens eine Weile weit sehen, und da sie sehr gut beritten waren, so eilten sie dem feindlichen Heere sicherlich zwei Meilen weit voraus, und man hatte nach ihrer Ankunft ganz gewiß noch Zeit genug, sich zu rüsten.

Gans von Putlitz war in dem besten Hause des Dorfes abgestiegen, und seine Leute hatten sich in den übrigen Häusern einquartiert, natürlich gegen eine Entschädigung, denn Dalgow war nicht bischöflich und durfte also auch nicht feindlich behandelt werden.

Während nun die aufgestellten Posten sich die Augen anstrengten, um die Brandenburger zu entdecken, und Putlitz bei dem Mittagsmahle saß und es sich trefflich schmecken ließ, nahte Hans von Röder von einer ganz anderen Seite, nämlich von Spandau her. Unterwegs begegnete ihm ein Bauer, welcher ihn nicht nur über die Stellung der Putlitzschen Mannen unterrichtete, sondern ihm sogar mittheilte, in welchem Hause Herr Gans zu finden sei. Vorsichtig jede Deckung benutzend, nahte er sich dem Dorfe und hatte sich desselben bemächtigt, noch ehe sein Nahen recht bemerkt worden war. Schnell und ohne Widerstand rückte er vor das Haus, welches ihm bezeichnet worden war, und ließ die davor aufgestellte Schildwache niedermachen. Jetzt eilten die Knechte Caspars herbei, um ihrem Herrn zu Hilfe zu kommen, aber sie waren zu Fuß und wurden von den Reitern gar bald übermannt.

Als Herr Gans von Putlitz so plötzlich den Lärm und Tumult des Kampfes vernahm, sprang er eiligst an das Fenster, um nach der Ursache desselben zu forschen; jedoch die kleinen, rund gegossenen Scheiben verzerrten alle Bilder und waren außerdem so gefroren, daß er nichts Deutliches zu erkennen vermochte. Nun stürzte er nach der Thür, diese wurde aufgerissen und Hans von Röder mit einigen Gewappneten stand vor ihm, setzte ihm das Schwert gegen den Hals und forderte ihn auf, sich zu ergeben. Putlitz schlug ihm zwar das Schwert auf die Seite und versuchte, sich durchzudrängen, aber es kamen immer neue Feinde hinzu, welche sich auf ihn warfen und ihn zu Boden rissen. Er war gefangen, und seine Knechte entflohen und suchten ihre Heimath zu erreichen.

»Wollt Ihr Euer Mittagsmahl beenden, Herr Caspar,« sprach Hans von Röder, »so soll es Euch wohl vergönnt sein. Ich bedaure, daß ich habe stören müssen. Nur bitte ich Euch, zu eilen, denn wir müssen aufbrechen!«

»Ich danke Euch für diese Güte, doch ist mein Mahl beendet,« lautete die Antwort. »Ihr werdet mir hoffentlich ein ritterlich Gefängniß geben und mich auf Treu und Glauben entlassen!«

»Ich bedaure, daß es mir nicht zusteht, darein zu willigen. Für jetzt muß ich Euch zu meinem Herrn, dem Bischof von Brandenburg, nach Ziesar bringen; dieser mag sodann über Euch verfügen. Ist es Euch gefällig, so sitzen wir auf.«

Man brachte die Pferde, und der Zug setzte sich in Bewegung.

Die Gefühle, welche während dieses Rittes Caspars Seele durchstürmten, waren keine freundlichen. Alle seine kühnen Pläne waren jetzt gescheitert, denn auf das Unglück, gefangen zu werden, hatte er gar nicht gerechnet. Wuth und verbissener Ingrimm kochten in seinem Herzen, aber sie waren ohnmächtig, denn seine Hände waren gebunden. Er biß die Zähne zusammen und hatte Mühe, unmännliche Zeugen seines Aergers zu unterdrücken. Noch hoffte er immer, seine Leute würden einen Versuch machen, ihn zu befreien, aber so weit auch der Weg war, auf welchem der Zug sich dahinbewegte, es ließ sich keiner von ihnen sehen.

 

Man nahm nicht den nächsten Weg über Brandenburg, und das hatte seinen guten Grund. Der Ritter Wichart von Rochow nämlich, welcher ein treuer Verbündeter der Quitzows und Herrn Caspars Schwiegersohn war, hatte von der Stadt das Oeffnungsrecht erhalten, und zwar in Folge der Dienste, welche ihr von seinem Vater geleistet worden waren. Kraft dieses Rechtes konnte er Kriegsvolk in die Stadt legen, und hierdurch war sie genöthigt, stets seine Partei zu ergreifen. Wichart hatte nicht versäumt, sich der Gesinnung Brandenburgs dadurch zu versichern, daß er eine nicht unbedeutende Zahl von Kriegsknechten dort einquartierte. Da er nun sowohl dem Markgrafen, als auch dem Bischofe feindlich gesinnt war, so schien es gerathen, den Brandenburgern nicht ein zu großes Vertrauen zu schenken. Das war eben auch der Grund, warum der Bischof jetzt gar nicht in der Stadt, sondern auf seinem Schlosse zu Ziesar wohnte, und auch Friedrich von Zollern hatte Brandenburg schon seit längerer Zeit gemieden. Dieser Umstand veranlaßte auch Hans von Röder, mit seinem Gefangenen einen Umweg zu machen, denn wer konnte dafür stehen, daß Wicharts Leute nicht den innigsten Freund, den Schwiegervater ihres Herrn aus den Händen der Sieger zu befreien suchten. Er nahm daher seinen Weg über Tremmen, Bagow, Götz, Marzahn und Pritzerbe, wo er übernachtete, ging am anderen Morgen über die Havel, zog dann durch Knoblauch, Bensdorf, Woltersdorf, Groß Wusterwitz und Rogäsen und gelangte so endlich nach Ziesar.

Die Freude des Bischofs über den Fang des gefürchtetsten seiner Feinde war natürlich keine geringe; er belobte den Stiftshauptmann wegen der Klugheit und Umsicht, mit welcher derselbe gehandelt hatte, und ließ sich Caspar Gans von Putlitz vorführen.

»Es thut mir leid, Herr Caspar,« sprach er, »daß wir uns in dieser Weise sehen. Ich bin Euch stets zum Frieden und zur Versöhnung geneigt gewesen, aber Ihr habt es nicht anders gewollt.«

»Spart die Worte,« antwortete Putlitz kurz und rauh. »Es wird Euch kein Mensch glauben, daß meine Gefangennahme Euch leid thut. Ein ehrlicher Mann sagt stets die

Wahrheit, und Euch bereitet mein Kommen nichts als Freude.«

»Wenn Ihr Euch so bärbeißig geberdet, so muß es mir allerdings lieb sein, einen so unfriedfertigen Gegner in meiner Gewalt zu haben. Für mich seid Ihr hier bei mir besser aufgehoben, als auf Putlitz, Lenzen oder Wolfshagen bei den Eurigen.«

»Das will ich Euch wohl glauben; doch hoffe ich, daß ich nicht lange hier aufgehoben sein werde. Bestimmt das Lösegeld, und man wird es Euch senden.«

»Davon kann für jetzt keine Rede sein, denn Ihr seid nicht blos mein, sondern auch des Burggrafen Gefangener.«

»Des Burggrafen? Wie meint Ihr das? Bin ich etwa sein Feind? Stehe ich mit ihm im Kriege? Habt Ihr mich gefangen genommen oder ist er es gewesen?«

»Oeffentlich seid Ihr allerdings nicht sein Feind, ob aber nicht im Geheimen, das wird Euch Euer Gewissen sagen, vielleicht auch späterhin der Burggraf.«

»Wer kann in meinem Herzen lesen? Oder darf und kann Jemand öffentlich bestraft oder angefochten werden für das, was er im Geheimen thut?«

»Wer weiß! Indessen kommt es ja jetzt darauf auch gar nicht an. Der Markgraf ist oberster Verweser der Mark, und Ihr habt gegen ihn als solchen heimlich landesverderbliche Pläne geschmiedet. Steht Euch dafür eine öffentliche Bestrafung nicht an, so betrachtet Euch vorläufig als des Herrn Burggrafen geheimen Gefangenen!«

»Ich protestire gegen diese – —«

»Warum,« fiel ihm der Bischof in das Wort, »warum soll es denn gerade ihm nicht verstattet sein, heimlich gegen Euch zu handeln, da Ihr es Euch doch gegen ihn erlaubt habt?«

»Ich protestire, sage ich, gegen jede geheime Behandlung. Meine Gedanken sind zollfrei; was ich gedacht habe, geht also Euch nichts an, und was ich gethan habe, das war öffentlich und nur gegen Euer Stift gerichtet. Ihr könnt mir jetzt, da mich das Unglück in Eure Hand gegeben hat, ein Lösegeld abfordern, und bis es abgetragen ist, mich in ritterlichem Gefängnisse bei Euch halten, weiter aber habt Ihr kein Recht.«

»Ihr fühlt wohl selbst, Herr Caspar, daß es Euch nicht zusteht, hier Vorschriften zu machen. Mag es Euch recht oder unrecht erscheinen, so werdet Ihr Euch dennoch einen engen Gewahrsam gefallen lassen müssen, und Ihr werdet gut thun, keine Worte weiter zu verlieren. Alles Andere wird sich später finden!«

»In engen Gewahrsam?« donnerte Caspar, indem seine Fäuste sich ballten und seine Gestalt sich hoch aufrichtete. »Wer will mich hindern, Euch trotz der Fesseln diesen engen Gewahrsam hinter die Ohren zu schreiben?«

Er maß den Bischof und die Anwesenden mit einem verächtlich zornigen Blicke, warf den stolzen Kopf in den kräftigen Nacken zurück und drehte sich dann ruhig um.

»Pah! Ihr tragt die Tonsur, und was weiß ein Pfaffe von ritterlicher Pflicht und Schonung. Führt mich ab, und ich sage dasselbe, was Ihr mir sagtet: das Andere wird sich später finden!«

Der edle Recke glich in diesem Augenblicke dem Löwen, welcher sich voll Verachtung von dem Schakal wendet, der ihn in seinem Lager gefangen zu haben meint. Johann von Waldow antwortete nicht; er winkte nur dem Wachtmeister, welcher den Gefangenen hereingebracht hatte, zu sich und flüsterte ihm einige Worte zu. Dieser trat zu Caspar und bedeutete ihm, zu folgen. Von einigen Landsknechten gefolgt, schritten die Beiden eine schmale Treppe hinab und standen nach kurzer Zeit vor einer kleinen, niedrigen Thür, welche der Wachtmeister öffnete. Ein enger, lichtloser Raum, kaum so hoch, daß ein Mann in ihm zu stehen vermochte, lag vor Putlitz. Er verlor kein Wort, sondern trat hinein. Die Thüre wurde zugeschlagen; der Schlüssel rasselte unheimlich in dem Schlosse; die Riegel klirrten, die Schritte der Männer verhallten nach und nach in der Ferne, und dann, dann war es still. – – —

– – Wenn man von Lehnin nach Ziesar gelangen will, so kommt man über Michelsdorf und Golzow an das Planeflüßchen. Hat man die Brücke, welche über dasselbe führt, überschritten, so betritt man nördlich von Ragosen die Ausläufer einer Bergkette, die sich in nördlicher Richtung segmentförmig von Belzig bis Dorf Wollin zieht und mit dichtem Walde bestanden war. In den Thälern und Gründen, welche sich zwischen den Bergen hinzogen, hatte der Dachs sein Lager, wilde Katzen kletterten von Baum zu Baum, der Wolf zog sich vor der menschlichen Verfolgung in die Büsche zurück, Fuchsspuren kreuzten sich im Schnee, ja, zuweilen wurde die Umgegend sogar durch die Kunde aufgeschreckt, daß sich ein Bär sehen lasse, den der Hunger in die Nähe der bewohnten Orte führte. Und neben den wilden Thieren trieb mancherlei unordentliches Gesindel dort sein Wesen. Die vielen Streitigkeiten und Fehden, welche zwischen den Herren, Rittern und Städten untereinander geführt wurden, machten es diesen Leuten leicht, sich außerhalb der Gesetze zu stellen; sie kamen und gingen wie es ihnen beliebte, thaten was sie wollten, dienten bald Diesem, bald Jenem und nahmen alle Vortheile mit, welche die ungeordneten Verhältnisse jener Zeit ihnen boten. Daher sah sich Jeder, der von Golzow über Ragosen, Wollin und Glienicke nach Ziesar wollte, gar wohl vor, nahm die nöthigen Waffen mit sich und suchte, den Weg wo möglich in guter und sicherer Gesellschaft zu machen.

Daher wunderte sich der Wirth des Golzower Kruges nicht wenig, als eines Tages zwei Reisende bei ihm einkehrten, welche ihm sagten, daß sie heute noch, und zwar ohne alle Begleitung, nach Ziesar zu kommen gedächten, wo sie Verwandte besuchen wollten. Es war ein alter, graubärtiger Gesell und ein junges, den Kinderjahren kaum entwachsenes Mädchen, welches bei der Kunde von der Unsicherheit des Weges fröhlich die Hände zusammenschlug und dabei ausrief.

»Märten, mach, daß die Pferde ihr Futter bekommen! Das wird eine gar lustige Sache, wenn ich dem Ohm erzählen kann, welch’ ein grausames Abenteuer wir unterwegs erlebt haben.«

Märten Stelzer zog die dichten Brauen bedächtig in die Höhe, kraute sich mit den Händen bedenklich hinter den Ohren und meinte dann:

»Mit Verlaub, allerliebwerthes Jungfräulein, nach dem Abenteuer will mich nicht sehr gelüsten. Ihr seid ein rasches Vögelein und habt Euch und mich schon in manch’ eine schlimme Verlegenheit gebracht. Wenn die Strauchdiebe über uns herfallen oder wenn wir gar noch von den Wölfen gefressen werden, so mögt Ihr es nachher bei dem Ohm und der Frau Mutter selbst verantworten; ich habe Euch den Willen thun müssen und wasche meine Hände in Unschuld!«

»Märten, sei doch nicht so unwirrsch!« bat sie schmeichelnd, indem sie ihm mit der kleinen Hand in den struppigen Bart fuhr. »Denke nur, was der Ohm für Augen machen wird, wenn sein »Wildwasser«, wie er mich immer nannte, ihm so plötzlich und unvermuthet in das Haus bricht. Paß auf, er schlägt vor Schreck die Hände über dem Kopfe zusammen und ruft sein ganzes Heer von Heiligen zum Zeugen an, daß ich die tollste Wespe bin, die ihm jemals um die Ohren gesummt hat!«

»Ja, ein klein wenig toll seid Ihr schon, mein liebwerthes Jungfräulein, aber für eine Wespe möchte ich Euch doch nicht halten, sintemalen die Wespen wenigstens im Winter zu Hause bleiben und fein hübsch warten, bis der Sommer da ist, ehe sie aus ihrem Neste fliegen. Ihr aber habt keine Ruh’ weder bei Tag und Nacht, noch zur Winters— oder Frühlingszeit, und der alte Märten Stelzer muß trotz seiner morschen Glieder mit Euch herumsausen und hat am Ende weiter nichts davon, als daß er die Suppen auslöffeln muß, die Ihr ihm und Euch einbrockt. Was wird Eure gestrenge Frau Mutter gesagt haben, als sie bemerkt hat, daß wir ihr auf und davon gegangen sind! Ich mag die Litaney gar nicht hören, und bin deshalb froh, daß wir uns aus dem Staube gemacht haben.

»Na, siehst Du!« lachte die Kleine. »Erst zankst Du über mich, und dann bist Du froh über das, was ich gethan habe. Halte Dich nur immer nach meinem Willen, dann wirst Du stets die helle Freude an Dir haben!«

»Das hat sich was mit der hellen Freude, mein werthes, liebes, junges Fräulein! Wer möchte wohl vergnügt und fröhlich sein, wenn er hört, daß ihn die Wölfe verspeisen und ihm die wilden Katzen in das Gesicht springen werden! Wir wollen doch hier bleiben, bis etliche Leute beisammen sind, denen wir uns anvertrauen können.«

»Aber Märten, mir kannst Du Dich wohl nicht anvertrauen? Glaubst Du etwa, daß ich Dir ein Leid zufüge, wenn Du keinen andern Schutz bei Dir hast?«

Der alte Knappe machte ein höchst verzweifeltes Gesicht; das Mädchen war ihm jedenfalls zu spitzfindig, als daß er von einem Dispute mit ihr viel Ehre und Vortheil davonzutragen vermochte.

»Ja, ja, mein werthes Liebfräulein, mit Euch ist nicht gut streiten, und ich thäte wahrhaftig besser, zu handeln, ohne Euch gar viel zu fragen. Darum werdet Ihr wohl mit mir warten, bis eine größere Gesellschaft beisammen ist.«

»Wenn Du hier verziehen willst, so sollst Du die Erlaubniß dazu haben, ich aber werde auch ohne Dich auf meinen alten guten Schimmel klettern und nach Ziesar reiten. Dann magst Du meinetwegen sehen, wie Du mir mit heiler Haut nachkommst!«

»Da hat man es! Nun wollt Ihr gar noch mutterseelenallein davonreiten, und ich soll mittlerweile hier sitzen bleiben und Grillen fangen. Ich werde nach den Pferden sehen, mein edles, liebes Fräulein, und dann mag es in Gottes Namen fortgehen!«

Er ging hinaus, und das Mädchen trat zum Fenster. Da erhob sich in der Ecke der Stube eine jugendliche Gestalt, welche bisher schweigsam dort gesessen hatte, und schritt mit kurzem Gruße durch die Thür. Sie hatte den Jüngling bisher wenig oder gar nicht beachtet, als er aber jetzt auf die Straße trat und in der Richtung nach Wollin davonschritt, konnte sie nicht anders, als ihn mit den Augen verfolgen, soweit er nur zu sehen war.

Er konnte wohl kaum sechzehn Jahre zählen, aber es lag über seiner kräftigen Figur ein männlicher Ernst ausgegossen, der ihr etwas Anziehendes und Vertrauenerweckendes mittheilte. Ein trotzig-schöner Kopf ruhte auf dem starken Nacken, und die gewandten Glieder zeigten einen Bau, an dem kein Tadel aufzufinden war. Er trug die Kleidung eines fahrenden Schülers; an seiner Linken hing ein zierliches Schwert, und über die Schulter ging ein schöngesticktes Band, an welchem eine Laute befestigt war.

»Wer mag das wohl sein?« dachte sie. »Es ist hier so finster, daß ich ihn gar nicht deutlich sehen konnte, und ich bin recht unartig gegen ihn gewesen. Er hat denselben Weg, wie wir, und konnte mit uns ziehen. Nun geht er allein und die Wölfe oder Strauchdiebe werden über ihn herfallen, noch ehe wir ihn ereilen und zu Hülfe kommen können.«

 

Sie hielt in ihrem Gedankengange inne und lachte belustigt auf, als ihr beifiel, welch’ ein unbegründetes Selbstvertrauen er enthielt. Der schöne Fremdling hätte jedenfalls ihrer Hülfe weniger bedurft, als sie der seinigen, und obgleich sie ihn nur vorübergehend gesehen hatte, so erschien er ihr doch nicht wie Einer, der sich auf den Beistand Anderer mehr verläßt als auf seine eigne Kraft.

Da kam ein Reiter aus der entgegengesetzten Richtung langsam die Straße daher und hielt vor dem Hause. Er stieg ab und trat zu Märten Stelzer, dessen Pferde betrachtend.

»Nicht übel!« lobte er, indem er den Schimmel liebkosend klopfte. »Das sind keine Ackergäule. Wem gehören sie?«

Märten brummte eine Antwort in den Bart, von welcher der Andere nicht eine Sylbe verstand.

»Seid Ihr heut schon weit geritten?«

Ein zweites Brummen klang halb wie Ja und halb wie Nein.

»Wohin soll es noch gehen?«

Jetzt bekam der ehrliche Märten einen Husten, der ihn ganz und gar verhinderte, Red’ und Antwort zu stehen.

Der Frager schien darob nicht sehr viel Verdrießlichkeit zu empfinden; er warf noch einen schlauen Blick auf den Alten und trat sodann in die Stube. Hier bemerkte er das junge Mädchen.

Gott grüße Euch, Jungfrau!«

Sie dankte ihm.

»Ihr habt wohl schon eine weite Reise hinter Euch?«

Sie schüttelte lächelnd den Lockenkopf.

»Nicht gar zu weit; es ist noch recht gut auszuhalten.«

»Wollt Ihr in die Berge, oder kommt Ihr von da her?«

»Wir wollen nach Ziesar.«

»Nach Ziesar? Das ist eine weite Strecke, und Ihr habt einen gefährlichen Weg vor Euch. Fürchtet Ihr Euch nicht?«

»Vor wem soll ich bange sein?« frug sie, ihr offenes Auge voll auf ihn richtend. »Die wilden Thiere fürchte ich nicht, denn es ist ja jetzt heller Tag, wo sie sich nicht hervor getrauen, und mein Knappe ist zwar alt, aber ein treuer, tapferer Kopf. Und die Menschen, nun, die können mir ja nichts thun, denn ich habe ihnen auch kein Leid zugefügt.«

»Das will ich recht wohl glauben, aber darnach fragen sie ja nicht. Ich meine nicht, daß es vorsichtig von Euch gehandelt sei, Euch so ganz allein in diese Gegend zu wagen, wo vor noch kurzer Zeit der Krieg gewüthet hat. Die Straßen sind noch nicht wieder so sicher wie früher, als Herr Wichart von Rochow hier hauste, dem der Markgraf seine Schlösser Potsdam, Rekahn und Golzow genommen hat, und Ihr thätet besser, wieder umzukehren oder eine größere Gesellschaft zu erwarten.«

Sein Auge war erwartungsvoll auf sie gerichtet.

»Umkehren?« frug sie. »Nein, das thue ich nicht, und zum Warten habe ich keine Lust. Mir wird Niemand etwas thun; ich brauche nur zu sagen, wer ich bin, so wird sich Jeder fürchten, mir ein Leid zuzufügen.«

»So! Und wer seid Ihr denn?« Die kindliche Naivetät des unerfahrenen und eigenwilligen Mädchens machte ihm das Forschen leichter, als es ihm draußen bei dem vorsichtigen Märten geworden war.

»O, mein Name thut nicht viel, aber der Bischof von Brandenburg, Herr Johann von Waldow, ist mein Oheim, der Bruder meiner Mutter; ich bin von daheim fort, um ihn in Ziesar zu besuchen, und wer mir hinderlich sein wollte, den würde sein Arm gar wohl zu treffen wissen. Er ist der mächtigste Herr hier zu Lande, und sein Name ist der beste Schutz, den ich mir wünschen kann.«

Das Aufleuchten seines Auges bei diesen Worten war kein heilverkündendes, aber selbst wenn sie es bemerkt hätte, so wäre sie doch viel zu vertrauensvoll gewesen, um es richtig zu deuten. Auch der Blick des Einverständnisses, welchen er mit dem Wirthe wechselte, entging ihr, so daß sie im weiteren Laufe des Gespräches sogar die Frage an ihn richtete, ob sie von jetzt aus nicht zusammenhalten wollten, da sie doch einen und denselben Weg vor sich hätten.

»Wohl ist unser Weg ein gleicher,« antwortete er, »jedoch ist meinem Geschäfte solche Eile geboten, daß es Euch schwer und anstrengend sein würde, mir zu folgen.«

Er erhob sich, bezahlte den Trunk, welchen er zu sich genommen hatte, und ritt davon. Jetzt trat Stelzer wieder ein, und während er die abgebrochene Unterhaltung mit seiner Herrin wieder aufnahm, machte sich der Wirth draußen mit den Pferden zu schaffen und kehrte dann mit einem befriedigten Lächeln wieder zu den Gästen zurück.

Unterdessen schritt der fahrende Schüler nachdenklich seines Weges fürbaß. Er dachte ebenso an das Mädchen, wie dasselbe an ihn gedacht hatte. Wer war sie nur? Ganz gewiß war sie ein verzogener Liebling, dem die elterliche Liebe stets die kleinsten Wünsche erfüllt hatte, und welchem es nun schwer wurde, auf etwas zu verzichten, was ihm begehrenswerth erschien. Und doch wie lieb und gut hatten trotz dieses Eigenwillens ihre Worte geklungen! Wie freundlich und herzlich war sie gegen den alten Knappen gewesen! Wie hatte ihr das Lächeln so schön gestanden, und wie war der Ton ihrer Stimme so eigenthümlich einschmeichelnd gewesen! Ganz gewiß war sie ein bewundernswerthes Geschöpf, dem nur Glück und Heil zu wünschen war. Und doch befand sie sich grad jetzt in gar großer Fährlichkeit, denn was man sich von der Unsicherheit des Weges erzählte, das war keineswegs eine Lüge, sondern die volle Wahrheit.

Sie hatte ihn gar ernst angeschaut; der fahrende Schüler war ihr jedenfalls zu gering gewesen, und darum hatte er es auch nicht gewagt, ihr seine Begleitung anzubieten, trotzdem er zu Fuße ging und sie beritten war. Aber so wollte er doch wenigstens ohne ihr Wissen und ihren Willen zu ihrem Schutze bereit sein und ein offenes Auge auf den Weg haben, um sie warnen zu können, wenn er eine Gefahr für sie bemerke.

Da vernahm er hinter sich Hufschläge. Er wandte sich um; der Nahende war derselbe Reiter, welcher im Kruge mit dem Mädchen gesprochen hatte. Als dieser des Schülers ansichtig wurde, zuckte es verächtlich um seine Lippen.

»Ein gelehrter Faulenzer und Bruder Habenichts. Diese Art von Leuten läßt man ziehen, wohin sie wollen, so lange sie sich nicht in anderer Leute Sachen mischen.«

Er wollte ohne Gruß und Wort an ihm vorüber, hielt aber bei einem flüchtigen Blicke in sein Gesicht das Pferd unwillkürlich an.

»Woher des Weges und wohin?« frug er, dieses Gesicht schärfer betrachtend.

»Grad’ so wie Ihr: von daher und dorthin!« klang die Antwort, indem der Sprecher mit der Hand nach rück— und vorwärts zeigte.

»Um das zu wissen, brauche ich nicht erst zu fragen. Gebt eine manierliche Antwort, denn Frage und Antwort giebt eine gute Rede.«

»Soll mir recht sein. Ich komme von Golzow und will nach Wollin. Was aber Eure Güte betrifft, so begehre ich ihrer nicht. Lebt wohl.«

Der Reiter beachtete diese Aufforderung nicht. Wo hatte er nur diese dunklen Augen leuchten und diese Locken so abweisend schütteln sehen! Er konnte sich nicht besinnen.

»Ihr seid verteufelt kurz. Wie nun, wenn ich Euch die Zunge löste?«

»Haha!« So kurz dieses Lachen war, es sagte doch eben so viel, wie die nachfolgenden Worte: »Macht Euch von hinnen, ich habe keine Lust, zu scherzen!«

Das klang so schneidend, daß der Mann unwillkürlich in die Zügel griff, aber schon im Weiterreiten frug er noch:

»Haben wir uns nicht schon einmal getroffen?«

»O ja, eben jetzt!«

Der auf diese Weise Abgewiesene hatte eine scharfe Entgegnung auf der Zunge, aber es lag in dem Wesen des Schülers Etwas, was diese Entgegnung nicht laut werden ließ. Der Reiter trabte weiter.

»Wo habe ich diesen Mann nur schon gesehen?« fragte sich jetzt auch der Zurückbleibende. »Ach, jetzt weiß ich es,« klang es nach einigem Sinnen: »Es ist ein Reisiger des Ritters Wichart von Rochow, der mit ihm öfters bei uns auf Lenzen und Wolfshagen gewesen ist, und nun ist mir auch klar, wer die Leute sind, die hier ihr freies Handwerk treiben: es sind Knechte des Herrn Wichart, der jetzt in Potsdam auf Handgelöbniß sitzt; sie haben ihren Herrn verloren und wollen dem Markgrafen nicht zu Diensten sein; darum halten sie es für das Beste, von anderer Leute Zoll zu leben, bis sich die Zeiten geändert haben. Von ihnen habe ich nichts zu fürchten, vielmehr werden sie mir stets zu Diensten sein, sobald ich ihnen nur meinen Namen nenne; aber dann bin ich auch dem Verrathe ausgesetzt, und ich muß ihn also so lange wie möglich geheim zu halten suchen.«