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Der beiden Quitzows letzte Fahrten

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»So gehe hin; ich werde Dich hier erwarten!«

»Kommt mit mir bis über die Mauer, da werde ich Euch ein Oertlein zeigen, an dem Ihr sicher harren könnt, bis ich wiederkehre.

Mit diesen Worten schritt er vorsichtig vorwärts. Karl folgte ihm. Es war, wie Jobst gesagt hatte: sie kamen schon nach wenigen Schritten an eine hohe und breite Mauer, welche aber an einigen Stellen so verwittert oder gar eingefallen war, daß es mit Benutzung der weitklaffenden Steinfugen sehr leicht war, sie zu überklettern. Dies thaten sie, und drüben angekommen, eilte Jobst nach einer raschen und sorgfältigen Umschau rasch auf einen Trümmerhaufen zu, welcher an einer Ecke der Kirchenseite zu bemerken war. Dort angekommen, packte er einen großen Quaderstein, welcher sich gegen andere lehnte, und gab sich alle Mühe, ihn auf die Seite zu schieben.

»Helft mir, Herr! Ich bin jetzt zu schwach, um diese Last zu bewältigen! Euer Versteck liegt hinter diesem Steine.«

Karl griff mit zu; der Quader bekam eine Wendung und es wurde ein kleiner, dunkler Raum sichtbar, grad’ groß genug, um in denselben hinein zu kriechen.

»Hier müßt Ihr hinein. Wartet mein; ich werde bald zurückkehren!«

Uchtenhagen leistete dieser Aufforderung nur ungern Folge. In dem engen Loche war es ihm unmöglich, sich zu vertheidigen, vielmehr war er dem Zufalle und möglicherweise auch dem wohlüberlegten Verrathe da vollständig widerstandslos preisgegeben. Jobst bemerkte seine Unentschlossenheit und bat:

»Habt Vertrauen zu mir, Herr; es wird Euch hier nichts Böses widerfahren, sondern Ihr seid hier wohl geborgen vor aller Fährlichkeit, die Euch hier außen treffen könnte!«

Diese in dringendstem Tone gesprochenen Worte vermochten ihn endlich, sich hinter dem Steine niederzukauern; dieser legte sich über ihn, und dann hörte er die sich leise entfernenden Schritte seines Verbündeten.

Einige Zeit lang hielt er es in der unbequemen Stellung, welche zu nehmen er gezwungen war, aus, dann aber griff er um sich, um einen Punkt, sich anzulehnen, zu finden. Dabei gewahrte er, daß das Loch nach hinten keinen Abschluß habe, sondern weiter lief; der Trümmerhaufen bestand nicht aus einer compacten Masse, sondern war hohl. Er kroch weiter und fühlte bald, daß der Raum über ihm höher geworden sei; jetzt war es ihm möglich, sich vollständig aufzurichten, und sein Tastsinn überzeugte ihn, daß er sich unter einer in der Kirchenmauer angebrachten Thüröffnung befände, welche durch die Steine verdeckt worden war. Zu gleicher Zeit bemerkte er, daß der Fußboden nicht eben fortlaufe, sondern in Stufen nach unten gehe. Er schritt dieselben hinab; es waren ihrer nur wenige und sie gingen in ein viereckiges Gemach, welches an den drei anderen Seiten von festen Mauern umschlossen wurde.

Wo befand er sich? Bei der totalen Finsterniß, welche um ihn herrschte, war es ihm unmöglich, seinen gegenwärtigen Aufenthaltsort mit den Augen zu untersuchen; es herrschte in demselben eine gedrückte, feuchte, moderige Luft.

Er klopfte leise, um sich für mögliche Fälle nicht zu verrathen, an die Wände und gewahrte an dem dabei vernommenen Tone, daß diejenige, welche dem Eingange gegenüberlag, an zwei Stellen dünner sei als die beiden anderen, und die weitere Untersuchung dieser Stellen überzeugte ihn, daß hier früher Oeffnungen für eine Thür und ein Fenster angebracht gewesen seien, die jetzt zugemauert waren. Demzufolge befand er sich wahrscheinlich in der Sakristei, dem Aufenthaltsorte des Predigers während derjenigen Zeit des Gottesdienstes, in welcher er dem Publikum, der Gemeinde unsichtbar blieb. Die neu eingesetzten Mauertheile waren nur dünn, und er verhielt sich von jetzt an vollständig ruhig, da jedes von ihm verursachte Geräusch von Personen, welche sich möglicherweise dahinter befinden konnten, leicht zu bemerken war.

So verging eine geraume Zeit, und schon begann die Ungeduld über das Außenbleiben Jobsts sich einzustellen, als seine Aufmerksamkeit durch zwei Stimmen in Anspruch genommen wurde, die hinter der angegebenen Mauer hörbar wurden. Es war eine männliche und eine weibliche.

»Ist es mein Sohn, den Ihr mir endlich gebracht habt?« frug die letztere.

»Noch nicht. Du wirst ihn aber sehr bald sehen.«

»Nicht, nicht, immer nicht und ewig nicht. Dreitausend Jahre schon warte ich hier auf das Wiedersehen meiner Kinder, die Ihr mir geraubt sammt ihrem Vater. Der schwarze Mann versprach mir immer, daß ich sie bald wieder in meine Arme schließen werde, und seit er nicht mehr kommt, versprecht Ihr es mir an seiner Stelle; aber Euer Versprechen geht nicht in Erfüllung. Mein Haar ist grau, steinalt mein Gesicht, die Augen dunkel und krank mein Herz; soll ich noch tausend Jahre warten, bis sie kommen? Ich möchte sterben, aber ich sterbe nicht; ich möchte weinen, aber ich habe keine Thränen mehr; ich möchte wüthen und um mich schlagen wie früher, aber ich habe keine Kraft dazu. Und denken kann ich auch nicht mehr, es brennt mir lichterloh im Kopfe und feurige Räder rollen durch mein Gehirn. Gebt mir meinen Gemahl, meine süßen Kinder wieder, und ich will Euch alles Leid verzeihen, welches Ihr mir bereitet habt!«

»Wartet nur noch eine kleine Weile, dann werden sie kommen und Euch abholen!«

»Warten, und immer wieder warten! Ich habe gewartet, bis ich alle Namen vergessen habe, den meinigen und den meines Geliebten; auch wie die Kinder heißen, weiß ich nicht mehr. Sagt mir doch, waren es Knaben, oder waren es Mädchen? Es ist so traurig, von ihnen geschieden zu sein! Ich weiß nicht mehr, was der schwarze Mann von mir wollte, aber er sagte mir oft, daß ich so schön sei und daß ich sie wiedersehen würde, wenn ich ihn nicht mehr so bös ansähe; nun bin ich häßlich geworden und er kommt nicht; ich wollte ihm gern ein freundlich Angesicht zeigen, damit er mir meinen Wunsch erfülle, aber er kommt nicht; ich wollte vor ihm knieen, ihm die Füße küssen, wie ich es so oft gethan habe, und ihn bitten, aber er kommt nicht. Er kommt nicht und der Tod auch nicht; ist das nicht traurig? Nehmt doch das große Messer, welches Ihr hier an der Seite tragt, und stoßt es mir in die Brust! Mein Herz thut mir wehe, und es wird ruhig werden, wenn Ihr es gut getroffen habt. Ihr schüttelt mit dem Kopfe? Geht, Ihr wollt mich auch quälen so wie die Anderen alle, aber ich werde doch noch sterben, und dann – nein, nein, weicht fort von mir! Ich bin nicht mehr schön, und Ihr sollt mich nicht anrühren. Eure Augen glühen wie Feuer und Eure Hände brennen wie die Krallen des Teufels. Ihr seid in der Hölle geboren; macht Euch von hinnen, geht; geh, geh, Du Teufel, der meine Seele verderben und meinen Leib vernichten will!«

Sie hatte mit immer wachsender Aufregung gesprochen, und die letzten Worte klangen kreischend und schneidend wie die Worte einer Wahnsinnigen. Der Mann antwortete darauf mit leiser, eindringlicher, begütigender Stimme, sie aber stieß jene seufzenden Ausrufungen aus, welche die Anstrengung, sich aus den Armen einer kräftigen Person zu befreien, hervorbringt.

»Laß mich, laß mich, nimm Deine Hand von mir, Unseliger! Dein Odem ist heiß und Dein Angesicht verzerrt; ich mag Dich nicht sehen, ich kann Dich nicht leiden! Ich gehöre nur Einem, und der ist stark und mächtig. Siehst Du, wie er um sich schlägt und wie sie fallen vor seinen gewaltigen Streichen? Mir ist so angst und die Kinder wimmern. Ich schreie und rufe, aber Niemand will kommen, um ihm beizustehen und den gräßlichen Reiter vom Pferde zu schlagen. Aber horch! Raschelt es nicht in den Zweigen? Es kommt Einer und noch Einer. Sie werfen sich mit Macht auf sie, aber der Erste fällt und der Zweite läßt sich von hinnen locken. Meine Sinne schwinden mir – und nun wache ich auf, die Kinder sind fort, er ist fort und ich, ich bin gefangen. Aber er wird wiederkommen und die beiden Anderen auch, und dann, dann – gehe, sage ich Dir, gehe, sonst tödte ich Dich. Ha, das ist Dein Dolch! Ich habe ihn Dir entrissen und werde ihn in Dein giftiges Blut tauchen. Fort, fort, Schlange, sonst stoße ich zu!«

Es war dem entschlossenen und frohlockenden Tone anzuhören, daß sie sich losgerissen hatte und mit gezückter Waffe vor ihm stand. In dem Inneren Uchtenhagens kochte es; alle seine Fibern zuckten, ihr beizuspringen, aber die Mauer befand sich zwischen ihm und ihnen. Sein Blut wallte vor Zorn und Aufregung ihm heiß durch die Adern; die Hände ballten sich und die Füße zuckten gegen das feste Gestein, als wollten sie es mit kräftigem Tritte zermalmen. Da – was war das? Bei dieser Bewegung trat er gegen einen Gegenstand, der seine sofortige Beachtung in Anspruch nahm. Er bückte sich, um ihn mit den Händen zu untersuchen und fand, daß es eine starke Eisenstange sei, welche mit ihren beiden Enden fest in den untersten Mauerstein eingelassen war und einen breiten Griff bildete, mit dessen Hülfe – – er dachte nicht weiter, sondern faßte die Stange, stemmte die Kniee kräftig gegen den Boden und zog. Der Stein gab nach; er löste sich von der Mauer ab und ließ sich ohne jegliches Geräusch nach innen ziehen; zwei Riemen waren in den Boden gefugt, in welchem sich jedenfalls einige Rädchen bewegten, auf denen er ruhte. Die entstandene Oeffnung war so groß, daß selbst ein starker Mann hindurchkriechen konnte, und mündete jenseits unter einer Steinbank, deren breiter Sitz sie vollständig verdeckte. Diese Vorrichtung war jedenfalls eines jener Geheimnisse, von denen Schwalbe gesagt hatte, daß nur er und der »Schwarze« sie kenne. Ohne weitere Ueberlegung und nur dem einen Drange, der bedrohten Frau beizustehn, folgend, schob er sich hindurch und sah sich in einem von hohen Mauern eingeschlossenen länglichen Vierecke, dem die Decke fehlte; es war das in Trümmer gegangene Schiff der Kirche.

Kein Licht brannte, aber der Schein der Sterne ließ die beiden Gestalten deutlich erkennen, welche in feindseliger Haltung vor ihm standen. Der Mann war lang und schlank und schien Bedenken zu hegen, sich dem Weibe zu nahen, welches mit erhobenem Arme seines Angriffes wartete. Sie war hoch und voll gebaut; das aufgelöste Haar wallte ihr lang über den Körper herab, und ihre Formen zeigten eine Schönheit, welche selbst die lange Gefangenschaft nicht zu zerstören vermocht hatte.

 

»Wage es nur, einen Schritt zu thun! Ich habe mehr als tausend Jahre gegen Deine widerliche Liebe gekämpft, aber ich habe Dich geschont, weil Deine Häßlichkeit mich erbarmte. Jedoch nun ist meine Geduld zu Ende, und der Tod erwartet Dich, wenn Du nicht von mir lässest!«

»Meint Ihr?« fragte er. Mit einem raschen Griffe hatte er ihre bewaffnete Hand erfaßt und entriß ihr den Dolch. »So, jetzt habe ich Euch wieder, und nun wollen wir sehen, wer Erbarmen hat, Ihr oder ich!«

Er hielt sie umfaßt und drückte sie fest und kräftig an sich. Sie wehrte sich gegen die gewaltsame Umarmung, aber ihre Kräfte reichten nicht zu, sich loszuringen.

»Siehst Du, meine Taube, daß Du gehorchen mußt, wenn ich will. Komm; noch bist Du schön, und – halt, was ist das!« unterbrach er sich. Zwei Hände hatten ihn ergriffen und schnürten sich mit solchem Drucke um seine Arme, daß er die Frau fahren ließ, um sich gegen den unerwarteten Angreifer zu wenden. Dieser aber hatte nur diesen Augenblick erwartet, hob ihn empor und schleuderte ihn dermaßen zu Boden, daß sein Körper in allen Gliedern erkrachte. Dennoch aber hatte ihn der Fall nicht zu Schaden gebracht, denn noch ehe Uchtenhagen ihn wieder fassen konnte, war er aufgesprungen und hatte die Arme um ihn gelegt. Der Dolch war ihm entfallen; er mußte den Unbekannten so halten, daß dieser von seinen Waffen auch keinen Gebrauch zu machen vermochte. Dies that er und stieß dabei einen scharfen, durchdringenden Pfiff aus. Dieser Ruf galt auf alle Fälle seinen Genossen, und Uchtenhagen erkannte, daß er sich in der höchsten Gefahr befinde und vielleicht verloren sei, wenn es ihm nicht gelinge, den Gegner unschädlich zu machen. Es gelang ihm, seine Arme aus der Umschlingung zu befreien, und im nächsten Augenblicke stak sein Gnadegott in der Brust des Räubers. Dieser stieß ein heiseres Brüllen aus, fuhr mit den Händen convulsivisch durch die Luft und sank zu Boden.

»Kommt, kommt,« raunte jetzt Karl der Frau zu; »bückt Euch und versucht, durch diese Oeffnung zu kommen! Dieser enge Weg führt zur Freiheit.«

»Zur Freiheit?« frug sie zweifelnd. »Ich kenne die Freiheit nicht; ich weiß nicht, wie sie ist und auch nicht, was Ihr meint.

»Schnell, schnell,« drängte er, »sonst kommen sie und wir sind verloren!«

»Sie? Wer? Ich bin schon längst verloren und Ihr seid es auch. Ich gehe nicht von hier, bis die kommen, die ich lieb habe. Ich habe sie erwartet nun fast Millionen Jahre; aber jetzt sind sie auf dem Wege. Hier im Herzen wohnt eine Stimme, die sagt es mir, und so darf ich nicht mit Euch gehen, denn dann würden sie mich ja nicht finden.«

»Ja, Ihr habt recht, sie sind schon auf dem Wege,« antwortete er, auf ihre Idee eingehend, um sie zur Eile zu bewegen. »Ich soll Euch zu ihnen führen; kommt, sonst glauben sie, Ihr habt ihrer vergessen und wollt Nichts von ihnen wissen!«

»Zu ihnen führen? Warum kommen sie nicht selbst?«

»Weil man Euch nicht gehen lassen würde, wenn sie Euch losforderten. Wir müssen heimlich entweichen, denn wenn man uns bemerkt, so werden wir in Fesseln gelegt.«

»Das ist schlimm! Ich habe auch in Fesseln gelegen viele, viele Jahre. Kommt, laßt uns fliehen! Ich will zu meinen Kindern und zu ihm, zu ihm, o kommt, kommt!«

Jetzt bog sie sich freiwillig nieder, um durch die Oeffnung zu schlüpfen, welche Karl ihr zeigte. Aber schon war es zu spät zur Flucht, wenigstens für ihn, denn schon wurde es in dem dunklen Raume hell. Der Pfiff des Erstochenen war gehört worden, und seine Leute eilten jetzt herbei, um nach der Bedeutung des Signales zu forschen. Sie erreichten den Ort grad’ in dem Augenblicke, an welchem die Frau verschwunden war, sahen den Leichnam in seinem Blute liegen und stürzten sich mit lautem Wuthgebrüll auf Uchtenhagen, welcher sie mit dem entblösten Schwerte empfing.

Anfangs waren ihrer nur wenige, bald aber rief das Lärmen noch Andere herbei; der junge Mann wurde umzingelt und mußte erkennen, daß selbst die Kräfte eines Herkules nicht hinreichen würden, ihn von seinen Widersachern zu erlösen. Es gab für ihn nichts, als nur den Tod, und um sein Leben so theuer wie möglich zu erkaufen, focht er mit heldenmüthiger Tapferkeit, bis er von den Feinden so umdrängt ward, daß er für die Klinge nicht den nöthigen Spielraum mehr fand. Sie ergriffen ihn, warfen den aus mehreren Wunden Blutenden zu Boden und fesselten ihm unter den grausamsten Mißhandlungen Hände und Füße.

»So,« rief Einer von ihnen, »den haben wir sicher! Nun laßt uns forschen, wie er in die Kirche gekommen ist!«

Der Gefangene wurde nun mit Fragen bestürmt, denen durch Fußtritte und Faustschläge noch ein besonderer Nachdruck verliehen ward; er aber setzte ihnen ein unverbrüchliches Stillschweigen entgegen und ließ sich durch keine Drohung bewegen, auch nur ein Wort zu sprechen. Ergrimmt über diese Schweigsamkeit und den Tod ihres Anführers, rissen sie ihn empor und schleiften ihn von dannen.

»Schafft ihn hinüber zu dem Ritter, den wir zum Tode verurtheilt haben,« befahl der vorige Sprecher, welcher an Stelle des Todten das Kommando zu übernehmen schien. »Auch der hat uns viel Blut gekostet, und Beide sollen zu gleicher Zeit ihren Lohn bekommen. Vorher aber werden wir schon noch erfahren, wie es diesem da gelungen ist, über die Mauern zu kommen, und was er hier gewollt hat. O, es giebt ganz herrliche Mittel bei uns, einen Stummen zum Sprechen zu bringen!« —

In der Kirche wurde es leer und dunkel; die Davongehenden hatten nicht bemerkt, daß schon längst zwei scharfe Augen unter der Bank hervorgelauscht und ihr Thun beobachtet hatten. Jetzt streckte sich der Kopf vollends hervor; ihm folgte der übrige Körper, und bald stand Jobst Schwalbe in dem verlassenen Raume.

»So ist es,« murmelte er, »wenn man der Jugend zu viel Vorsicht zutraut! Wie er nur die Oeffnung gefunden hat? Nun schaffen sie ihn jedenfalls zu seinem Bruder, und ich muß sehen, wie ich sie losbekomme. Es war ein gar guter junger Herr, und zugeschlagen hat er wie ein Alter; es wäre doch jammerschade um ihn, wenn er zu Grunde gehen müßte wie Alle, die in die Betlöcher kommen!«

Er bog sich nieder und flüsterte zurück:

»Verhaltet Euch ruhig, Frau Gräfin, bis ich wiederkehre! Ich werde Euch dann zu Euren Kindern führen!«

»Sie hat mich immer gedauert,« fuhr er im Selbstgespräche fort, »und wenn ich auch nicht weiß, wer sie ist und wohin sie gehört, so werde ich sie doch mitnehmen, wenn mir der Streich gelingt. Wie das aber vorhin mit ihr und ihm zugegangen ist, das kann ich mir nicht erklären; aber ich denke, daß ich es wohl noch erfahren werde. So, jetzt werden sie drüben sein, und nun kann ich ihnen folgen.«

Nachdem er sich durch aufmerksames Lauschen noch einmal überzeugt hatte, daß er völlig unbeobachtet sei, schlich er leise dem Ausgange zu.

Kapitel 8: Die Rose am Güntersberg

Wer Stargard verläßt, um nach Reetz zu gelangen, der kommt, nachdem er Hansfelde, Suckow und Zachan passirt hat, nach dem Kirchdorfe Güntersberg, welches einst dem Simon von Güntersberg zu Eigen war, der sich durch seine vielen und hartnäckigen Fehden mit denen von Wedel bekannt gemacht hat.

Die Familie von Wedel war eine weit verzweigte und berühmte Familie, deren Macht so bedeutend war, daß einmal siebzehn ihrer Glieder auf fünfzehn Jahre in den Dienst des deutschen Ordens traten und sich anheischig machten, hundert gewappnete Ritter und Knechte nebst hundert Schützen, bewaffnet mit Panzer, Eisenhut, Hundeskegeln und Armbrüsten zu stellen und diesen streitbaren Leuten noch vierhundert Pferde beizugeben.

»Als der deutsche Ritterorden am 15. Juli 1410 die große Schlacht bei Tannenberg verlor, betrachtete der König Wladislaus Jagello von Polen das Ländchen Schievelbein als ein erobertes Land und überließ es im August desselben Jahres dem Herzog Bogislav von Pommern, der es in Besitz nahm. Das aber hatte die Folge, daß die Wedel vertrieben wurden und sie das Land verließen, welches an Pommern gefallen war. Sie zogen sich auf ihre Besitzungen außerhalb der Grenzen Schievelbeins zurück und hausten besonders auf Falkenburg an der Drage, welche Stadt noch heut im Kreise Dramburg des preußischen Regierungsbezirkes Köslin liegt. Durch den Frieden von Thorn im Jahre 1411 erhielt der Orden jene Besitzungen wieder zurück. Allein nun waren die Wedel mit dem Orden gespannt und blieben außen. Der Waldmeister von Schievelbein gab sich viele Mühe, sie zur Rückkehr zu bewegen, sie aber verweigerten sie und versprachen sie nur unter der Bedingung, daß ein neuer Hochmeister gewählt werde, dem sie dann huldigen wollten, damit sie wüßten, an wen sie sich halten könnten. Aus der Aengstlichkeit, mit welcher der Waldmeister den Comthur und Statthalter zu Elbing bittet, doch ja, sobald ein neuer Hochmeister gewählt sein werde, an alle Wedel zu Falkenburg, Altwedel, Neuwedel ec. zu schreiben und sie herzlich zur Huldigung zu ermahnen, sieht man, wie viel dem Orden daran gelegen war, mit dieser Familie auf gutem Fuße zu leben. Unterdessen blieben die Wedel, wo sie waren, und es gelang nicht, sie gegen den Orden freundlicher zu stimmen. Nur Erasmus von Wedel, der die Hälfte der Stadt Reetz besaß und daselbst auch wohnte, betrachtete sich als Vasall des Ordens und wurde deshalb von seinen Vettern vielfach angefeindet. Die andere Hälfte der Stadt gehörte Janecke von Stegelitz.« So erzählt eine alte Chronik derjenigen Gegenden, in welche uns die Ereignisse unserer geschichtlichen Erzählung führen. – —

Es war an einem hellen, kalten Wintermorgen, als ein Reiter Altwedel verließ und auf der Straße nach Güntersberg lustig dahintrabte. Es war ein junger Mann, der nicht längst erst die Zwanzig zurückgelegt haben konnte; auf seinen Wangen glänzte die Röthe der Gesundheit, und über sein ganzes Wesen breitete sich jene anziehende Frische aus, welche die kräftigen Jahre der Jugend zu begleiten pflegt und für den Menschenkenner eines der nothwendigen Merkmale zur Beurtheilung des Characters bildet. Er war ohne alle Begleitung und sah auch nicht so aus, als ob er einer solchen bedürfe, um irgend ein galantes oder auch ernstes Abenteuer zu bestehen. Vielmehr blickten die hellen, offnen Augen wie suchend im Kreise umher, als wünsche er sich irgend eine Gelegenheit, seinen ritterlichen Muth die Probe bestehen zu lassen.

Da, wo die Straße zur linken Hand sich der Ihna zuneigt, liegen rechts einige kleine, langgestreckte Seen, welche zur schöneren Jahreszeit allerlei Federwild beherbergen und mit dichtem Schilfe bestanden sind. Umgrenzt sind oder waren sie vielmehr zur damaligen Zeit von gefährlichem Sumpf und Moorboden, welcher erst in einiger Entfernung von dem Wasser diejenigen Bestandtheile annahm, welche zur Ermöglichung eines dichten und kräftigen Baumwuchses nothwendig sind. In den hohen Schilf— und Riedgrasbeständen verbarg sich eine ansehnliche Bevölkerung von Hasen und anderem jagdbaren Gethier, und gar manch ein fetter, saftiger Braten ward von dem unfruchtbaren Boden geholt, welcher sonst des Nutzens wenig brachte. Weiterhin zog sich die Straße durch dunkle Kieferwaldung, die in ihrem eintönigen Character dem Wandrer die Einsamkeit der Gegend in höherem Grade empfinden ließ, und wer von dem Besitzer dieser Waldung, dem Ritter Simon von Güntersberg, gehört hatte, der betrat sie immer mit einem Gefühle von Unsicherheit, denn derselbe gehörte zwar nicht zu der edlen Gilde der Buschklepper und Wegelagerer, war aber sonst ein gar strenger und wilder Gesell, der durch die Rauhheit und Rücksichtslosigkeit seines Wesens sich verschrieen gemacht hatte. Er liebte es, die ihm auf seinem Gebiete Begegnenden scharf anzusprechen, um sich an ihrer Angst und Beklemmung zu weiden, und dabei mußte man den grimmen Herrn ruhig gewähren lassen, wenn man Schlimmeres vermeiden wollte. Er saß als ein strenger Fürst auf seinem Grund und Boden, erkannte kein anderes Gesetz als nur seinen Willen, und wer sich gegen denselben auflehnte oder auch nur einen leisen Zweifel über die Giltigkeit desselben hegte, der durfte froh sein, mit heiler Haut und einigen derben Püffen davonzukommen.

So viel Scheu man vor dem Alten hatte, so geliebt war sein schönes Töchterlein Brunhilde, die als ein Engel auf Güntersberg waltete und überall Segen verbreitete, wohin ihr kleiner Fuß nur trat. Sie war ein gar herrliches, freundliches und herziges Wesen, und der Abgott ihres Vaters, der gar manchen seiner Streiche unterließ oder in Güte sühnte, weil er dem Blicke ihres Auges und dem Wohlklange ihrer Stimme nicht zu widerstehen vermochte. Trotzdem sie ein Muster ächter Weiblichkeit war, besaß sie doch einen festen, ja starken Character; was sie einmal ergriffen hatte, das führte sie auch sicher durch und es gab sogar Fälle, wo sie mit dem Vater in offenen Kampf trat, um irgend einen Geängsteten oder Bedrohten gegen ihn in ihren liebreichen Schutz zu nehmen. Eine ihrer Lieblingserholungen war die Jagd, der sie ihre freien Stunden mit jugendlicher Fröhlichkeit widmete, und obgleich es ihrem weichen Gemüthe wehe that, die Beute leblos vor sich liegen zu sehen, so bereitete es ihr doch ein hohes Vergnügen, im kühnen Ritte scharf hinter dem Wilde herzufliegen.

 

Der Reiter hatte den ersten, kleineren See erreicht; er ließ den Blick über denselben schweifen und gewahrte an den Ufern eine Anzahl von Schlagwänden, wie sie zum Fangen wilder Enten angelegt und benutzt werden. Da auch er ein Freund der Jagd war, so lockten ihn diese Vorrichtungen zur Besichtigung. Er leitete das Pferd bis an das hohe Schilf, stieg ab und befestigte das Thier, indem er die Zügel um einen Büschel des festen, holzigen Grases wand. Sodann schritt er auf die Wände zu, um die Art und Weise ihrer Anfertigung in Augenschein zu nehmen.

Noch war er damit beschäftigt, als er von fern her das Nahen von Pferden hörte, deren Hufe den festgefrorenen Erdboden stampften, daß es weithin zu vernehmen war. In jenen Zeiten war Vorsicht bei allen Dingen und zu allen Zeiten nöthig; er trat deshalb hinter eine der Wände, um zu warten, bis die Reiter vorüber seien.

Es war eine Cavalcade von mehreren Personen. Voran kamen zwei Falkeniere. Sie waren jeder mit einer Falkeniertasche versehen, die an einem rothledernen, ausgefranzten Bandelier hing, und trugen auf starken, hirschledernen Handschuhen je einen Jagdfalken. Hinter ihnen wurde eine Cage mit Reservefalken getragen und dann folgte auf weißem Rosse eine weibliche Gestalt. Den Zug schlossen auf starken Kleppern zwei Knappen, denen die Aufgabe zufiel, die Beute an sich zu nehmen.

Zuerst wurde das Auge des jungen Mannes von den Vögeln angezogen. In vollständig ruhiger Haltung saßen sie auf den Fäusten ihrer Träger, die Köpfe verhüllt von einer ledernen Steckhaube, die verziert war mit farbigen Tuchlappen und einem Trosch von schillernden Federn, die man in Form einer Nelke zusammengewunden hatte.

»Lauter Wildfänge,« murmelte er mit Kennermiene, »drei Schlachtfalken und ein Schmerlfalke, kein einziges edles Thier! Der Besitzer muß an der edlen Beitze wenig Wohlgefallen finden. Wem mögen sie wohl gehören?«

Bei dieser Frage erst richtete er den Blick auf das Mädchen und war vor Ueberraschung fast einige Schritte aus seinem Verstecke hervorgetreten.

»Welch’ ein herrliches Wesen! Wie sie sitzt, wie sie reitet, und welch’ eine Lieblichkeit ihres holden Angesichtes. O, wüßte ich doch, wer sie ist! Ich werde ihnen folgen, um es zu erfahren! «

Es war das nicht nothwendig. Gefolgt von einigen Knechten kam eine Koppel von entfesselten Beitzhunden seitwärts über das Moor geflogen, vor sich zwei Hasen, welche den Weg nach dem spiegelglatt gefrorenen See einschlugen. Sofort hielt der Trupp, und die beiden vorderen Falken wurden abgehäubt und gegen den Wind emporgeworfen. Sie stiegen zunächst in die Höhe, zogen oben einige Kreise, um die unter ihnen liegende Gegend zu übersehen, und folgten sodann, als sie das Wild erblickten, demselben schnellen Fluges. Jetzt wurde auch einer der Reservefalken losgelassen, der dieselbe Richtung einschlug. Die drei Vögel stießen wiederholt auf die Hasen, schlugen sie mit den Ballen und versuchten, sie zu ergreifen, aber die wohlgenährten Thiere waren zu stark und kräftig für sie, warfen sich auf den Rücken und streiften so ihre geflügelten Feinde ab oder duckten sich nieder und schossen, sobald der Angreifer auf sie niederfuhr, eiligen Laufes von dannen, so daß er Mühe hatte, sich vor einem lebensgefährlichen Schlagen auf das harte Eis zu bewahren.

»Das war vorauszusehen bei dieser Art von Schlachtzeug,« meinte der unsichtbare Beobachter vor sich hin. »Zur Hasenjagd gehören die größesten Edelfalken, isländische Beitzer, Geierthiere oder meinetwegen auch ausländische Blaufüße! Doch diese kosten einen schweren Preis, und wer nicht gern tief in die Geldtruhe greift, der wird vergebens nach einem Hasenbraten lüstern sein. Doch, was ist das? Die Unvorsichtigen wagen sich auf das Eis, und ich meine nicht, daß es stark genug sei, um Reiter zu tragen!«

Wirklich war es so. Die beiden Falkeniere waren, indeß die Uebrigen zurückgeblieben, den Falken auf den See gefolgt. Die letzteren hatten die vergebliche Jagd aufgegeben und suchten das Weite, ohne auf das wiederholt ihnen zugerufene »Hilo, Hilo!« zu achten. Die zwei Männer griffen in ihre Taschen und luderten ihnen einige mit Fleischstücken besteckte Federspiele nach, aber nur der eine kehrte auf diese Lockung zurück; der andere war bald den Augen verschwunden.

»Das ist eine schlecht geschulte Jagd, deren ich mich schämen würde. Aber welch’ eine Unvorsichtigkeit! Der Mann bleibt auf dem dünnen Eise halten, um sein lüderliches Thier zu ergreifen. Er wird einbrechen!«

Kaum waren diese Worte gesprochen, so geschah auch das Befürchtete. Die schwache Decke hatte bisher nur wegen der Flüchtigkeit der über sie Dahineilenden gehalten, jetzt, da eine schwere Last ruhig auf ihr hielt, krachte sie unter lautem Knirschen zusammen. Zum Glücke lag die Stelle nicht weit vom jenseitigen Ufer entfernt. Der Reiter trieb sein bis an den Sattel eingesunkenes Roß mit kräftigen Stößen und Schlägen an, und es arbeitete sich mit Anstrengung aller seiner Kräfte auch wirklich glücklich bis hinüber. Dort hielt es, von dem scharfen Eise verwundet, an allen Gliedern zitternd an und war nur erst nach längerer Zeit zum Weiterschreiten zu bewegen.

Das Mädchen hatte bei dem Einbrechen ihres Dieners einen lauten Schreckensruf ausgestoßen und eilte ihm jetzt entgegen, um sich von seinem Zustande zu überzeugen. Sie sah, daß er keine körperlichen Verletzungen davongetragen hatte; aber durch dieses Ereigniß schien ihr die Lust zur Fortsetzung der Jagd vergangen zu sein, und sie gab den Befehl, zurückzukehren.

Gedankenvoll blickte ihnen der Jüngling nach.

»Da reitet sie hin! Noch nie im Leben sah ich solch’ ein engelgleiches Wesen,« dachte er. »Ist mir doch, als ob eine jener gütigen Elfen oder Feen, von denen die alte Amme mir in meiner Kindheit erzählte, herniedergekommen sei, um mir das Herz gefangen zu nehmen im süßen, unendlich sehnsuchtsvollen Gedanken. Wie klopft mir der Puls, wie bangt mir die Seele! Könnte doch ein Blick dieser Augen auf mir ruhen ein einziges Mal! Ein einziges? Nein, viele tausend, tausend Male, immer. Aber sie ist fort, fort vielleicht nach Güntersberg, die Tochter unseres Erbfeindes, der auf Haß und Böses sinnt, so oft er der Wedels gedenkt. Ist sie eine Güntersberg, so werde ich sie nur als Feindin sehen, als Feindin, die mir Unheil wünscht. Unheil? Was habe ich ihr gethan? Ich möchte ihr Liebes und Gutes wünschen all’ mein Lebelang und würde mich glücklich preisen, wenn sie das alles nur aus meinen Händen nehmen möchte. Ja, ich muß sie Wiedersehen, ich muß wissen, wer sie ist und zu wem sie gehört, und dann werde ich nachdenken, wie es möglich ist, ihr zu nahen, ohne daß sie in mir den Feind erkennt!«

Er schritt dem Orte zu, an welchem er sein Pferd gelassen hatte, löste dieses vom Schilfe los, setzte sich auf und ritt auf der Straße weiter, die er bisher verfolgt hatte und welche auch die schöne Jägerin eingeschlagen hatte.