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Der beiden Quitzows letzte Fahrten

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Mit fröhlichem Sinne trabten sie neben einander dahin und die Wechselrede flog gar rasch und lebendig herüber und hinüber. Sie fühlten gegenseitig eine wahrhaft brüderliche Liebe zu einander, und es gab keine Regung des Herzens und keine Richtung des Gedankens, welche der Eine vor dem Andern hätte verbergen können. Darum vermochten sie nicht lange schweigend neben einander zu sein, und unter dem Reize des Gespräches verging eine Stunde nach der andern. Schon hatten sie Wustermark und Tremmen hinter sich und bogen nun in die Richtung auf Zachow ein, welche sie in die dichten Waldungen führte, die zwischen der Havel und den sich von Plaue bis nach Bähnitz erstreckenden Seen liegen.

Die Brüder hatten sich mit ihrem Ritte nicht sehr beeilt, und zudem war ihnen durch die für die Pferde so nothwendige Ruhe so viel Zeit verloren gegangen, daß es jetzt stark zu dunkeln begann und sie sich auf eine nächtliche Irrfahrt gefaßt machen mußten. Damals waren die Fluren Deutschlands noch lange nicht der Kultur unterworfen, welche in der jetzigen Zeit Thal und Hügel ebnet, Gebirge übersteigt, Flüsse und Seen überbrückt, Sümpfe austrocknet und die unwegsamste Wildniß nach und nach in ihren segensvollen Bereich zieht, sondern die menschlichen Wohnstätten lagen weit auseinander, und waren sie durch Wege oder Straßen verbunden, so durfte man doch an die letzteren nicht den jetzt gewöhnlichen Maaßstab legen. Ein Ritt des Nachts durch eine von Flüssen, Sümpfen und Morästen eingefaßte und durchzogene Gegend war kein ganz gewöhnliches Unternehmen, und ein Jeder, der sich diesem nicht entziehen konnte, sah sich zur Vorsicht und Aufmerksamkeit veranlaßt.

Die Unterhaltung war verstummt; man hatte auf sich selbst und die Umgebung Acht zu geben, und die Sinne mußten angestrengt werden, um jede Gefahr schon im Nahen zu erkennen und ihr gerüstet gegenüber zu treten. So ging es schweigend vorwärts; die Zeit dehnte sich lang und immer länger und fast wollte den Reitern nun die Geduld ausgehen, als ihre Aufmerksamkeit plötzlich durch ein Ereigniß in Anspruch genommen wurde, welches alle ihre Kräfte in Beschlag nahm. Es verbreitete sich nämlich mit einem Male ein glänzender Lichtschein um sie her, und zu gleicher Zeit flog ein Reiter an ihnen vorüber, dessen Nahen sie weder vorher gesehen, noch sonst auf irgend eine Weise bemerkt hatten. Er saß auf einem dunklen Rosse, dessen lange Mähne sich im Fluge wie eine Fahne nach hinten legte, ein langer Mantel wehte gespenstisch von seiner Schulter, und ein Strahlenmeer ging von ihm aus über die Umgebung hin. Schnell wie der Gedanke war er aufgetaucht und schnell wie der Gedanke war er wieder verschwunden – woher und wohin, es war nicht zu sagen, auch hatten die beiden Männer keine Zeit, darüber nachzudenken, denn das Pferd des älteren Bruders war durch das Erscheinen der helldunklen Gestalt scheu geworden, hatte dem für den Augenblick fassungslosen Reiter die Zügel entrissen und jagte nun in rasender Eile über Stock und Stein mit ihm dahin.

Karl konnte natürlich nichts Anderes thun, als auch sein Thier zur möglichsten Eile anzutreiben, um Hans nicht aus dem Auge zu verlieren, doch war dieses Bestreben vergeblich, denn bald war der Letztere im Dunkel der Nacht verschwunden, die Hufschläge seines Pferdes verhallten, und der Nachfolgende sah sich außer Stande, ihn einzuholen. Er zügelte also den Lauf seines Gaules und ritt in langsameren Schritten weiter. Er gab die Hoffnung, den Bruder wieder zu finden, keinesweges auf; dieser war ein sehr guter Reiter und hatte gewiß Alles gethan, sich vor einem Unfall zu bewahren; ein Sturz vom Pferde ist zwar nie ungefährlich, war aber schon so oft glücklich überstanden worden, daß man im Wiederholungsfalle nur lachend aufsprang und sich ruhig wieder aufsetzte. Zudem trug Hans keine Rüstung, ein Umstand, welcher ohne besondere Angst an einen Fall denken ließ.

An diesen Fall denkend, wäre Karl bald selbst zu Falle gekommen, denn sein Pferd stolperte plötzlich, raffte sich aber, da es nur im Schritte gegangen war, glücklicher Weise wieder empor, und zu gleicher Zeit drangen eine Anzahl dunkler Gestalten auf den jungen Mann ein, der im Augenblicke sein Schwert aus der Scheide hatte, um dem unvermutheten Angriffe mit demselben kraftvoll zu begegnen. Es war ein eigenthümlicher, wortloser Kampf. Keiner der Angreifenden sprach ein Wort, auch Karl erkannte, daß gegen diese Leute ein tüchtiger Hieb das beste Wort sei, und so riß er sein Pferd im Kreise herum, um von den Händen derer, welche die Zügel gefaßt hatten, loszukommen, und führte dann die Klinge mit solchem Nachdrucke, daß er sich bald als Sieger auf der Wahlstatt sah.

Jetzt stieg er ab, um nach den Gefallenen zu sehen, und stieß bei dieser Gelegenheit auf das Hinderniß, über welches sein Pferd gestolpert war. Es bestand in einem groben Baststricke, welcher von einer Seite der Straße nach der andern gespannt war, und da sein Auge sich während des Abends so ziemlich an die Dunkelheit gewöhnt hatte, so gewahrte er gar bald einen dunklen Gegenstand, welcher zwischen zwei Büschen am Wege lag. Er schritt hin, um ihn zu untersuchen, und fand, daß es das Pferd seines Bruders sei. Es lag in einer Lache Blutes, welches aus einer klaffenden Brustwunde auf die Erde lief, und war also erstochen worden. Nun war ihm Alles klar: Der gespenstische Reiter hatte keine andere Aufgabe gehabt, als ihre Pferde scheu zu machen; die im Galoppe dahinsausenden Thiere sollten mit dem Seile zu Falle gebracht werden, und mit den überraschten Reitern war dann leicht fertig zu werden.

Aber von wem war dieses Unternehmen ausgegangen? Persönliche Feinde hatten die Brüder hier nicht, und zudem war ihre Reise durch diese Gegend Jedermann unbekannt, da sie von ihrer Absicht, nach Brandenburg zu gehen, zufälligerweise gegen Niemanden Erwähnung gethan hatten; es war also eher zu vermuthen, daß sie die Opfer einer ganz gewöhnlichen Wegelagerei hatten werden sollen, die nur in Beziehung auf Hans ihre Absicht erreicht hatte, denn daß dieser in die Hände dieser Leute gefallen und von ihnen in Beschlag genommen worden sei, das schien gewiß, da trotz alles Suchens keine Spur von ihm zu finden war. Die Strauchdiebe hatten den großen Fehler begangen, sich zu theilen. Die eine Hälfte von ihnen hatte den zweiten Reiter erwarten müssen, während die Anderen mit Hans davongegangen waren, damit er nicht etwa auf irgend eine Weise zur Unzeit ihre Gegenwart verrathe. So schien es zu sein, und Karl überlegte eben, was er am besten zu thun habe, um dem Bruder Hilfe zu bringen, als ein halblautes Seufzen an sein Ohr tönte, welches von der Mitte des Weges her erschallte.

Er trat dem Orte näher und erkannte, sich zu ihm niederbückend, in dem Daliegenden einen Schwerverwundeten, dem ein Stoß seines Schwertes durch den Unterleib gegangen war. Der Mann war in Folge der Wunde dem Tode nahe und brachte nur mit Mühe einige Worte hervor.

»Wasser!« stöhnte er. »Ich verbrenne!«

Es schien kein fließendes Wasser in der Nähe zu geben, deshalb brach Karl einige Stückchen Eis von einem Zapfen, welcher von einer nahen Föhre gefallen war, und schob sie dem Bittenden in den halbgeöffneten Mund.

»Gott – – ver – – gelte es Euch!« röchelte dieser.

»Sag,« fragte Uchtenhagen, »wo habt Ihr meinen Bruder? Lebt er noch?«

»Bruder? – – der – – Andere? – – Der lebt.«

»Ist er verwundet?«

»Nein – – gleich – – über ihn – – hergefallen – – hat – – gar nicht – – kämpfen – – können – – gebunden – – in die – —Ruine.«

»Wo ist die Ruine?«

»Darf – – nicht. – – Mein Schwur – – Gott, vergieb – – mir! – – Ihr auch, – – Herr! – – Ruine – – – links – – grad – – Spitze – – oh – – oh – – lebt – – wohl!«

Ein Strom dunklen Blutes quoll ihm aus dem Munde und der Kopf sank hintenüber: er war todt. Was hatte er mit den Worten: »links – grad – Spitze« gemeint? Jedenfalls: zur linken Seite gradaus gehen; aber was mit der Spitze gemeint war, das blieb Uchtenhagen ein Räthsel. Aber er besann sich nicht lange, denn wenn überhaupt Hilfe möglich war, so mußte sie rasch, schleunig gebracht werden. Sein Pferd am Zügel führend, schritt er links in die Büsche hinein und gab sich Mühe, die grade Richtung einzuhalten.

Erst wurde ihm des Thieres wegen, welches er doch unmöglich im Stiche lassen konnte, das Fortkommen schwer, da sich ihm das Unterholz hindernd in den Weg legte, bald aber hörte dasselbe auf, und durch den hochstämmigen Wald war nun die Passage verhältnißmäßig leicht. Zuweilen blickte ein Theil des Himmels durch die Baumkronen, und so konnte er die einzuschlagende Richtung wenigstens einigermaßen nach dem Stande der Sterne bestimmen. Mit Hast drängte er vorwärts, immer vorwärts, die Zügel in der einen, das blanke Schwert in der andern Hand; Zeit auf Zeit verging; seine Ungeduld wurde immer größer und größer, und ebenso wuchs die Sorge um den Bruder, dessen Schicksal ein verhängnißvolles werden konnte.

So war weit über eine Stunde vergangen, als sich nach und nach wieder niedriges Buschwerk einstellte, ein Zeichen, daß eine Blöße oder sonst irgend eine Unterbrechung des Hochwaldes zu erwarten sei. Sodann löste das Buschwerk seine feste, dichte Masse und gab hartem, scharfkantigem Schilfe Platz, welches unter der schweren Kruste von Schnee und Eis zusammengebrochen war, und endlich öffnete sich dem Blicke eine weite, glatte Fläche, deren ebener Spiegel in den Strahlen des zuweilen durch das Gewölk brechenden Mondes hell erglänzte. Es war die seeartige Erweiterung der Havel, welche in der Nähe von Ketzin beginnt und einen Flächeninhalt von mehreren Quadratstunden in Anspruch nimmt.

Bei dem Anblicke des Sees wollte sich das Gefühl der Enttäuschung in seinem Innern Platz machen, doch währte dies nicht lange, denn bald bemerkte er in einiger Entfernung rechts von sich eine Landzunge sich in das Wasser erstrecken, welche sich durch Baum— und Strauchwerk deutlich von der weißen Fläche abzeichnete. Sollte das die »Spitze« sein, von welcher der Sterbende gesprochen hatte? Es mußte wenigstens untersucht werden, und neue Hoffnung tauchte in ihm auf.

 

Zunächst aber war es nothwendig, das Pferd zu verbergen, und hier wollte ihm das Glück wohl, denn schon nach kurzem Suchen nach einem geeigneten Orte fand er eine zwar enge, aber desto behaglichere Dorfhütte, welche zur Aufbewahrung von allerlei Fischereigeräthschaften diente und grad’ die richtige Größe hatte, das Pferd in sich aufzunehmen. Er entfernte die Geräthe, so viel als ihm nothwendig erschien, und stellte dann das müde Thier ein, welches hier jedenfalls besser aufgehoben war, als draußen in der nächtlichen Kälte und Feuchtigkeit.

Nachdem er dies versorgt hatte, trat er hinaus, um seine Forschung unbehindert fortzusetzen.

Langsam und vorsichtig schlich er sich dem Ufer entlang, jede Gelegenheit zur Deckung benutzend, um nicht gesehen zu werden, selbst aber Alles zu sehen. Indem er das Auge scharf über die Umgebung schweifen ließ, gewahrte er in einiger Entfernung von der Spitze der Landzunge eine kleine Insel, welche jedenfalls früher zu der ersteren gehört hatte, nachher aber durch Ueberfluthungen von ihr abgetrennt worden war. Und gleich bei diesem ersten Blicke war es ihm, als ob der blitzende Schein eines Lichtes dort aufgetaucht und sofort wieder verschwunden sei. Dieser Umstand erregte seine Aufmerksamkeit natürlich in hohem Grade; er hielt das Auge längere Zeit beobachtend auf die betreffende Stelle gerichtet, und wirklich, nicht lange dauerte es, so leuchtete es drüben wieder hell und blitzartig auf. Frei von dem Aberglauben jener Zeit, nahm Karl natürlich sofort an, daß dieser Schein von Menschen herrühre, und beschloß, seine Ursache näher zu untersuchen.

Statt dem Innern der Landzunge seine Aufmerksamkeit zu widmen, schritt er am Ufer weiter fort und betrat dann der Insel gegenüber das Eis des Sees. Von hieraus gingen Fußspuren sowohl herüber als auch hinüber; es gab hier also Menschen, und zwar auf alle Fälle solche, vor denen es nothwendig war, sich zurückzuziehen; trotzdem aber beschloß der junge Mann, das Wagniß, über den freien Raum nach der Insel zu gehen, zu unternehmen. Die Sorge um den Bruder machte ihn taub gegen die warnende Stimme der Vorsichtigkeit, die ihm sagte, daß er bemerkt werden müsse; er suchte die Leute, welche hier lebten und hausten, er hatte ein Lebenszeichen von ihnen gesehen und wollte es nun nicht unterlassen, demselben nachzustreben.

Raschen Schrittes eilte er vorwärts und hatte in wenigen Augenblicken die Insel erreicht. Dieselbe war von Schilf, Buschwerk und einigem spärlichen Baumgewächse bestanden und war von so geringer Größe, daß sie in ihrem ganzen Umfange leicht überschaut werden konnte. Aber Niemand war zu sehen; es mußte eine Hütte, ein Versteck oder sonst irgend ein Ort vorhanden sein, in welchem der Träger des Lichtes verschwunden war. Das beste Mittel, ihn aufzufinden, war jedenfalls, seinen Spuren nachzugehen. Diese führten nach einem Punkte, welcher ungefähr in der Mitte der Insel lag, und verschwanden da in einem üppigen Dorngestrüpp, welches zur Sommerszeit dem Hindurchkommen ganz bedeutende Hindernisse in den Weg legen mußte.

Er drang hinein und stand nach wenigen Schritten vor einem Loche, welches in senkrechter Richtung hinab in die Erde führte. Er lauschte hinab, aber nichts regte sich da unten, und kein Laut war zu vernehmen. Stak überhaupt Jemand unten? Er untersuchte das Loch und gewahrte eine Leiter, mittelst welcher es ermöglicht wurde, hinab zu steigen. Sollte er dieses wagen? Er begab sich damit jedenfalls in große Gefahr; er konnte ja längst bemerkt worden sein und während des Hinabsteigens angegriffen und überwältigt, wohl gar getödtet werden. Aber das konnte ihn nicht abhalten, die einmal angefangene Forschung weiter fortzusetzen. Er setzte den Fuß auf die oberste Leitersprosse und stieg, mit den Händen immer festen und sichern Halt nehmend, weiter. Die Fahrt führte ihn nicht zu tief, vielmehr berührten seine Füße gar bald den festen Erdboden, wo er sich vollständig im Dunkeln befand, den leisen Schein abgerechnet, welcher von dem Stücklein Himmel, der in das enge Loch hereinschaute, hinunterdrang.

Der kleine, enge Raum, in welchem er sich befand, war vollständig rund und mit Bruchsteinen ausgemauert; aus diesem Umstande und der Nässe, welche in ihm herrschte, ließ sich schließen, daß er ehemals als Brunnen gedient habe und später verschüttet worden sei. Auf einer Seite war ein niedriger und sehr enger Stolln schief abwärts geteuft, aus welchem ein feuchtkalter, moderiger Luftzug drang. In seinem Innern, darüber war kein Zweifel, war das Licht verschwunden, denn noch sah man weit hinten einen matten, dämmernden Schein, welcher sich entfernte und endlich ganz verschwand.

Sollte Karl den Stolln betreten? Es drohte ihm jedenfalls mancherlei Gefahr in demselben; aber diese Gefahr kam bei seiner Liebe zu dem Bruder gar wenig in Betracht – er zog den Gnadegott aus der Scheide, da in dem engen Raume das Schwert keine Dienste thun konnte, und drang, sich bückend, vorwärts. Die Sohle das Ganges war eben, ein Umstand, welcher die Bewegung sehr erleichterte, und da die Richtung eine schnurgerade war, so hatte Karl bald das nahe Ziel erreicht: eine schimmernde Helle drang ihm entgegen, und er sah sich vor einer kreisförmigen Erweiterung des Stollns, in welcher derselbe allem Anscheine nach seinen Abschluß fand.

Er warf einen Blick in den Raum und bebte bei dem, was sich seinem Auge bot, von tiefstem Mitleide ergriffen zurück. Rund im Kreise lagen eine Anzahl männlicher Gestalten auf vollständig verfaulter Waldstreu am Boden, an Händen und Füßen gefesselt und mittelst eines starken Lederriemens, welcher sich um den Hals zog, an die Mauer befestigt, so daß ihnen ein Erheben von dem schlammigen Boden vollständig unmöglich war. Weder Licht noch Luft drangen in diese Grube, und der Dunst, welcher aus derselben in den Stolln drang, war kaum auszuhalten und gradezu zum Ersticken.

Jetzt, in diesem Augenblicke waren die Gegenstände alle deutlich zu erkennen, denn in der Mitte des Raumes stand eine breite, untersetzte und bis an die Zähne bewaffnete Gestalt, welche einen lodernden Kienbrand in der Hand hielt und mit demselben Einen nach dem Andern der Daliegenden beleuchtete.

»Wieder einer todt von Euch Hunden!« sprach der Mann, indem er einem der lang ausgestreckten Körper einen Fußtritt ertheilte, der ihn auf die andre Seite warf. »So müßt Ihr alle noch dran! Ja, ja, der Hunger ist ein schlimmer Gesell, und wer mit ihm anbindet, der bezahlt es mit dem Leben. Aber recht ist es Euch, warum habt Ihr Euch von dem Teufel verleiten lassen, ehrliche Kerls werden zu wollen. Leben wir in unserm Waldschlosse nicht wie Fürsten? Ein wenig knapp zwar geht es her, seit uns der »Schwarze« aufgegeben hat, aber er hat uns beim Abschiede versprochen, wieder zu kommen, und das wird er auch, denn er hat noch niemals sein Wort gebrochen, und es giebt bei uns gewisse Dinge, die er nicht im Stiche lassen kann. Darum war es dumm von Euch, fortgehen zu wollen, wo wir doch Leute brauchen, denn der »fliegende Reiter«, welcher im Walde spukt und vor dem die albernen Leute sich so ungeheuerlich grausen, beginnt, gute Geschäfte zu machen. Die Anderen wären wohl kaum auf den unheilvollen Gedanken gekommen, wenn Du nicht gewesen wärst, Jobst, und deshalb sollst Du auch am längsten leben bleiben und sie alle vorher sterben sehen, ehe Du selbst an die Reihe kommst. Hier hast Du einen Trunk und einen Bissen Brod, das wird Dir den Athem auf einen Tag länger erhalten!«

Er bog sich zu einem der Gefangenen nieder und machte ihm eine Hand von den Banden frei.

»Da, nimm, iß und trink und sei guten Muthes! Du wirst es wohl nicht bald wieder so gut bekommen wie bei mir. Hast keine Sorge, kannst auf der Bärenhaut liegen und Dich pflegen. Na, greif zu, oder ich bringe Dir’s auf andre Weise bei!«

Der Angeredete rührte sich nicht; einige der Uebrigen bewegten sich unter Zuckungen und stießen ein herzergreifendes Stöhnen und Wimmern aus; die Qualen des Hungers, welcher ihnen den Tod bringen sollte, waren zu groß, als daß ihre Kraft zugereicht hätte, dieselben zu verschmerzen; er aber lag still und ruhig am Boden und keine Bewegung, kein Laut zeigte, daß noch Leben in ihm vorhanden sei. Er wollte sich das Sterben nicht durch die armselige Nahrungsspende verlängern lassen und widerstand der Gier, welche der Anblick des Brodes in ihm erweckte.

»Du willst nicht? So wirst Du wohl müssen! Oh, wir sind stets Freunde gewesen, und darum hat mich der »Reiter« auch zu Eurem Wärter bestellt. Ich kann nicht leiden, daß Dir der Magen zusammendorret, und darum werde ich Dich füttern. Komm her!«

Er umschlang den freigegebenen Arm, damit derselbe keinen Widerstand leisten könne, wieder mit dem Stricke und zog dann das Messer aus dem Gürtel. Nachdem er den Kienspahn in eine Mauerritze gesteckt hatte, faßte er mit kräftigem Drucke den Gefangenen beim Halse, um denselben zum Oeffnen des Mundes zu zwingen, und schob ihm dann die breite Klinge zwischen die Zähne, in der Absicht, ihm den Mund aufzubrechen. Der Gemarterte biß die Kinnladen fest zusammen, und deutlich hörte man das Knirschen des Eisens, welches erbarmungslos in dem Munde des Armen wühlte.

Das war zu viel für Karl. Aus den vernommenen Worten konnte er leicht schließen, daß die Gefesselten gefangene Räuber seien, welche die Absicht, sich von ihrem verbrecherischen Leben loszusagen, mit dem Hungertode büßen sollten. Wenn er ihnen Hilfe brachte, so konnte er gewiß sein, daß sie ihm ihre vollste Dankbarkeit erweisen würden; deshalb trat er herzu, packte den tückischen Henker beim Nacken und stieß ihm mit der Rechten den Gnadegott so tief und kräftig zwischen die Schultern, daß er bis vor zum Herzen drang und der Getroffene sofort todt zusammenbrach.

Betroffen von diesem plötzlichen Ereignisse, welches ihnen vollständig unbegreiflich war, blickten die Gefesselten auf. Sie sahen ihren Peiniger in seinem Blute liegen, aber sie wußten nicht, ob ihnen aus seinem Tode Glück oder Unheil erwachsen werde.

»Wer seid Ihr?« frug einer von ihnen, indem er sich vergebliche Mühe gab, sich aufzurichten.

»Habt keine Sorge,« erwiderte Uchtenhagen; »ich bin gekommen, Euch zu erlösen!«

Da die Banden nicht von Eisen waren, so wurden sie mit wenigen Schnitten von den erstarrten und blutig unterlaufenen Gliedern genommen, und die Männer waren nun im Stande, sich wenigstens soweit zu erheben, als es ihre gesunkenen Kräfte zuließen.

»Wasser, Wasser und Brod!« baten sie. Karl war nicht im Stande, diesem Verlangen nachzukommen, aber er versprach, vor der Hand wenigstens ihren Durst zu löschen. Er begab sich durch Stolln und Brunnenschaft nach oben und brachte ihnen einen Ballen Schnee, über welchen sie gierig herstürzten, da die wenigen Tropfen Wassers, welche ihr früherer Gefährte für Jobst mitgebracht hatte, nach wenigen Schlucken alle geworden waren. Auch die Brodrinde, die man bei ihm fand, verschwand augenblicklich unter den Händen der vom Hunger Gepeinigten, und nur die Sorge um ihre Sicherheit konnte sie abhalten, sich hinauszustürzen, um ihre nagenden Bedürfnisse auf alle Fälle und augenblicklich zu befriedigen.

»Wartet nur noch kurze Zeit, dann werdet Ihr haben, wornach Euch verlangt!« mahnte Karl. »Euer Schicksal kenne ich ein wenig; ausführlich müßt Ihr mir es später erzählen; jetzt aber sagt mir vor allen Dingen, ob ich auf Euren Beistand rechnen kann!«

Er erzählte ihnen das Geschehene, und mit Freuden gaben sie ihm ihr Wort, ihn in seinem Vorhaben nach allem Vermögen zu unterstützen.

»Ihr habt uns von einem gräßlichen Tode errettet, Herr,« sprach Jobst, welcher einen ihm über die Anderen freiwillig eingeräumten Vorrang zu begleiten schien, »und so werden wir Euch in allem unterstützen, was zum Gelingen Eures Vorhabens erforderlich ist. Aber wir wünschen dabei, daß wir nicht etwa später um unserer früheren Sünden willen zur Rechenschaft gezogen und bestraft werden. Wenn Ihr uns dieses versprecht, so bin ich bereit, Euch zu Eurem Bruder zu führen, ohne daß Ihr von Jemandem bemerkt werdet. Ich kenne den Ort, an welchem die vornehmen Gefangenen aufbewahrt werden, bis sie ihr Lösegeld bezahlt haben oder sterben müssen.«

Uchtenhagen versprach ihm Vergebung alles Geschehenen und forderte ihn dann auf, mit dem Werke der Rettung nicht lange zu säumen.

»Ich bin bereit, mit Euch aufzubrechen und Euch zu führen; meine Kräfte sind noch stark genug zum Gehen, aber die Gefährten hier müssen zurückbleiben; sie vermögen nicht, den Weg zu machen, und werden erst dann mit uns gehen können, wenn wir ihnen Speise und Trank gebracht haben. Seht hier die bereits Gestorbenen! Ihr könnt daraus schließen, wie arg der Schmerz in unserm Innern wüthet.«

Mit Grauen wandte sich der junge Mann von dem schaudervollen Anblicke ab und schritt dem Räuber voran, welcher ihm nicht eher folgte, als bis er den Seinen mit den heiligsten Worten versprochen hatte, zurückzukehren, um ihnen Speise und Trank zu bringen und sie dann mit hinaus zu nehmen in die Freiheit. Er hatte die Waffen des Erstochenen an sich genommen und schwur mit grimmiger Bitterkeit, Jeden ohne Gnade und Erbarmen niederzustoßen, der es wage, sich ihm in den Weg zu legen. Oben angekommen, blieb er stehen und musterte das nicht ferne Ufer des Sees.

 

»Wenn wir schnell laufen, kommen wir vielleicht hinüber ohne gesehen zu werden. Besser aber ist es, daß wir einzeln gehen, dann werden sie denken, es ist der Wärter, welcher aus dem Brunnen zurückkehrt. Laßt mich voranschreiten; ich werde Eurer hinter der Buschecke warten, welche ihr hier grad’ gegenüber erblickt!«

»Sag mir vorerst Deinen Namen, ehe Du gehst!«

»Den einen habt Ihr schon gehört, der andere heißt Schwalbe, Jobst Schwalbe also heiße ich vollständig. Ihr werdet von mir und über mich vielleicht noch gar Manches hören, und wenn Ihr mir Gelegenheit dazu bietet, auch Vieles sehen, was Eure Zufriedenheit erlangen soll. Jetzt aber laßt uns nicht länger plaudern, denn wir müssen das Unsrige gethan haben, noch ehe der Morgen graut.«

Langsamen Schrittes begab er sich über das Eis, und nur kurze Weile, nachdem er drüben angelangt war, folgte ihm Uchtenhagen. An dem bezeichneten Orte trafen sie zusammen, und der Letztere sah nun mit lebhafter Spannung dem Kommenden entgegen. Er hatte vor, an der Seite eines einzigen Mannes, auf dessen Treue er noch nicht einmal sicher bauen konnte, in die Mitte einer Schaar von Strauchdieben einzudringen, um seinen Bruder zu finden, der ganz gewiß unter einer scharfen Bewachung stand. Dieses Unternehmen war nicht nur ein schwieriges, sondern es war auch mit den mannigfaltigsten Gefahren verbunden; doch ging er mit freudigem Muthe daran; das Romantische des Abenteuers sprach ihn an, und es galt ja nicht nur eine theure Seele, sondern auch noch Andere zu erretten, denen er seine Hilfe versprochen hatte.

»Was haben wir jetzt zu beginnen?« fragte er.

»Das werdet Ihr gleich sehen! Ich bin der Vertraute des »Schwarzen« gewesen und kenne die Wege und Schliche besser als selbst der »Reiter«, dem die Mannen jetzt an seiner Stelle gehorchen müssen. Darum – —«

»Wer war der »Schwarze«, und wer ist der »Reiter«?« unterbrach ihn Karl.

»Habt Ihr noch niemals etwas von dem »schwarzen Dietrich« gehört?«

»O ja; also den meinst Du?«

»Den und keinen Andern. Wer er war, das weiß ich nicht und keiner von uns. Er kam und ging, ohne daß wir wußten, woher und wohin; aber wenn er kam, so gab es stets einen guten Streich. Er hatte verschiedene Orte, wo er mit seinen Gesellen hauste, hier, an der Spree, im Zotzen und sonst noch weiter, aber hier ist er am liebsten gewesen, und hier sind auch die Gewölbe, in denen er die Reichthümer verwahrt hält, welche er den Rittern, Städten und Leuten abgenommen hat, gegen welche wir auf der Lauer gelegen haben. Lange Zeit ist er nicht hier gewesen, aber er hat uns seine Rückkehr verheißen und den Mann zum Anführer gesetzt, welcher auf seinem Pferde und mit einer brennenden Leuchte unter dem Mantel die Bewohner der Gegend zu fürchten macht. Der »Schwarze« bleibt diesem zu lange aus, und nun hat er die Gesetze vernichtet, welche früher unter uns herrschten, und treibt gewöhnlichen Straßenraub, der mir und vielen Anderen ein Gräuel ist. Auch nach den Schätzen hat er geforscht, deren Versteck nur ich allein kenne, und weil ich ihm denselben nicht verrathen mochte, so ist er mir zuwider gewesen in Allem, bis ich mit meinen Freunden den Entschluß faßte, fortzugehen. Das ist ihm verrathen worden, und so hat er uns binden und in den Brunnen werfen lassen, in welchem wir Hungers sterben sollten. Dabei aber wurde ich doch vor den Uebrigen geschont, weil er hoffte, ich würde ihm das Versteck entdecken, um dem Tode zu entgehen; allein ich wäre lieber zehnmal gestorben, als daß ich desselben auch nur mit einem einzigen Worte erwähnt hätte.«

»So giebt es hier im Walde wohl Höhlen, in denen Ihr wohnet?«

»Nicht in Höhlen, sondern in einer Ruine wohnen wir, die in dem weiten Umkreise so verrufen ist, daß sich Niemand in ihre Nähe wagt. Früher, als es noch Heiden hier gegeben hat, haben die Christen einen Einfall gemacht und nach einem großen Siege begonnen, ein mächtiges Kloster zu bauen, von welchem aus das ganze Land bekehrt werden sollte; sie wurden aber wieder vertrieben, und der Bau, welcher kaum zur Hälfte fertig war, ist liegen geblieben und nach und nach in Trümmer zerfallen. In ihnen hausen die Geister der Erschlagenen, wie das Volk hier meint, und sie werden gemieden von Jedermann. Daher sind wir in unserm Treiben nie gestört worden, da wir uns jeder That in der Nähe enthielten, bis der »Schwarze« ging und der »Reiter« an seine Stelle trat. Dieser schont der Nachbarn nicht mehr, und so muß die Zeit kommen, in welcher man unserm Aufenthalte nachspürt, ihn entdeckt und an uns Rache für unser Thun und Treiben nimmt.«

»Und wo ist die Ruine?«

»Sie beginnt gleich hier in der Nähe. Die Priester, welche den Ort bestimmten, an dem das Kloster stehen sollte, haben sich das schönste Plätzchen im weiten Umkreise ausgewählt, nämlich hier auf der Landzunge, wo man in beschaulicher Abgeschlossenheit Gott dienen und die Schönheiten seiner Natur genießen und doch zu Land und Wasser in Verbindung bleiben konnte mit der übrigen Welt. Wenige Schritte von uns zieht sich die Clausurmauer hin, welche ein gar großes Viereck bildet, welches die Mönche ohne besondere Erlaubniß nicht überschreiten sollten. Dann kommen die eingefallenen Gebäude, das Refectorium, der Conventsaal, die Kirche, eine Reihe von Zellen, welche zusammen einen Hof umschließen, der von einem noch ziemlich erhaltenen Bogengange eingefaßt ist.«

»Und in all’ diesen Räumen habt Ihr Euer Lager aufgeschlagen?«

»Nein, denn das wäre ja die offenbarste Unvorsichtigkeit, vielmehr könntet Ihr dort suchen, so viel Ihr nur immer wolltet, Ihr würdet doch nicht die geringste Spur von uns entdecken. Die Ruinen bieten der unterirdischen Räume, als da sind Keller und Gewölbe, so viele und so gut verborgene, daß man lange suchen müßte, um unsern Aufenthalt zu entdecken, zumal wir uns große Mühe gegeben und viel gebaut haben, damit wir nicht allein sicher, sondern auch behaglich wohnen könnten. An gewissen Stellen der Mauer sind Wachen aufgestellt, deren scharfen Sinnen das Nahen keines Fremden entgeht, und es ist ein günstiger Zufall, daß Ihr nicht von ihnen bemerkt worden seid. Vielleicht hat Euer Bruder den Leuten so viel Mühe gemacht, daß selbst die Wachen zu seiner Ueberwältigung herbeigerufen werden mußten. Da ich aber Alles genau weiß und kenne, so werden wir ungesehen und ungehört hindurchkommen. Doch zuvor erlaubt, daß ich den Meinen ein wenig Nahrung bringe, damit sie im Stande sind, uns zu folgen, wenn wir den Ort verlassen!«

»Diese Forderung will mir gar wenig behagen. Die Sorge um den Bruder peinigt mich dermaßen, daß es mir schwer würde, zu warten, bis Ihr wiederkehrt. Und wenn man Euch bei der Ausführung Eures Vorhabens ergreift, so geht mir nicht nur Eure Hilfe verloren, sondern Ihr bringt Euch und die Euren in größeres Unglück, denn je zuvor.«

»Tragt um mich keine Sorge! Und wenn sie mich erblickten und Alle nach mir fahndeten, so würde es ihnen doch nicht gelingen, meiner habhaft zu werden. Nur ein einziges Mal hat man mich überraschen können, da ich nicht ahnte, daß wir verrathen seien; jetzt aber, da ich meine Lage kenne, hat es um mich keine Noth. Zudem bedarf ich selbst auch der Erquickung und werde Euch dann besser dienen können als jetzt, wo ich todesmatt bin von dem vielen und unfreiwilligen Fasten.«