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Das Vermachtnis des Inka

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In diesem Falle befand sich der Peon aus Salta, welcher die beiden Deutschen nach der Salina del Condor bringen sollte. Er war wohl in Gesellschaft hier oben gewesen, hatte sich aber nicht so sehr um die Einzelheiten der Gegend bekümmert, wie es erforderlich gewesen wäre zur Erlangung der Kenntnisse, welche ein zuverlässiger Führer besitzen muß.

Es war mittag, und schon seit dem frühen Morgen hatte er sich auf eine ganz eigentümliche Weise verhalten. Er war von der heute eingeschlagenen Richtung oft abgewichen und nach rechts oder links eingebogen, um dann wieder nach links oder rechts umzubiegen. Er beobachtete die Gegend mit verlegenem Blicke und gab sich dabei Mühe, diese Verlegenheit nicht bemerken zu lassen. Gab es einmal eine sichtbare Spur, daß ein Mensch hier geritten sei, so nahm sein Gesicht einen zuversichtlicheren Ausdruck an, um denselben aber bald wieder zu verlieren, wenn er einsehen mußte, daß er sich in dieser Gegend doch noch nicht befunden habe.

Dem Doktor fiel dieses Verhalten nicht auf; Fritze aber war scharfsinniger und hatte es gar wohl bemerkt. Darum sagte er jetzt, natürlich in deutscher Sprache, zu seinem Herrn:

»Dieser Mensch scheint seiner Sache nicht jewiß zu sind. Haben Sie ihm dat nicht auch schon anjesehen?«

»Nein.«

»Dann passen Sie doch mal auf! Er wird immer unsicherer. Sie müssen doch bemerkt haben, daß wir oft nach der Seite abgewichen sind?«

»Das habe ich gesehen; aber wir sind ja immer wieder zurückgekehrt.«

»Eben dieses hat mir aufmerksam jemacht. Wenn er nach rechts reitet und nachher wieder nach links, so muß eins von beiden falsch sind. Der alte Onkel hat sich wahrscheinlich verirrt.«

»Das wäre höchst unangenehm, inamoenus, wie der Lateiner sagt. Wenn dieser Peon unser Führer sein will, muß er doch den Weg kennen.«

»Eigentlich ja; aber es wird wohl uneigentlich sind. Sehen Sie ihn mal an! Wild jenug sieht er freilich aus, jescheit aber nicht.«

Damit hatte er sehr recht. Der Peon hatte das Aussehen eines Banditen; aber von Intelligenz war in seinem Gesichte keine Spur zu entdecken.

Die drei Reiter befanden sich jetzt an einer Stelle, wo sich zwei schmale Thäler vor ihnen öffneten; das eine führte nach links und das andre geradeaus. Der Peon blieb halten, um sich zu besinnen. Er schaute bald nach links und bald vor sich hin und wußte sichtlich nicht, wohin er sich wenden solle. Da verlor Fritze endlich die Geduld und sagte:

»Warum halten Sie an, Señor? Es scheint, Sie haben den Weg verloren?«

»Wie kommen Sie auf diesen Gedanken?« antwortete der Führer in beleidigtem Tone. »Meinen Sie, ich wüßte nicht, wo ich bin?«

»Das meine ich nicht. Sie wissen jedenfalls ganz genau, daß Sie sich in den Anden befinden; aber auf welchem Punkte derselben, das zu wissen, ist wohl schwieriger.«

»Ich kenne den Weg so genau, wie mich selbst, und habe mich überhaupt im Leben noch nie verirrt.«

»So wissen Sie also noch nicht, wie es einem Verirrten zu Mute ist? Ich denke, daß Sie das jetzt erfahren werden.«

»Wollen Sie mich beleidigen, Señor? In diesem Falle lasse ich Sie hier halten und reite zurück!« bemerkte er in drohendem Tone.

»Zurückreiten? Das würden Sie wohl nicht fertig bringen,« antwortete Fritze gleichmütig.

»Warum nicht?«

»Weil das Maultier, auf welchem Sie sitzen, uns gehört. Sie würden also nur zurücklaufen können.«

»Und wenn ich es nicht hergebe?«

»Reden Sie nicht solch dummes Zeug! Sie sehen, daß wir bewaffnet sind. In dieser Gegend pflegt man auf Diebe zu schießen, ohne zu fragen, ob ihnen das oft und manchmal angenehm ist. Sobald Sie wenden, um zurückzureiten, bekommen Sie meine Kugel. Das merken Sie sich! Und nun vorwärts, wenn Sie den Weg wirklich so genau kennen, wie Sie behaupten!«

Der Peon hatte keineswegs das Aussehen eines furchtsamen Menschen, ließ sich aber doch durch das energische Verhalten des kleinen Deutschen einschüchtern und bog in das Thal ein, welches nach links führte. Die andern folgten ihm.

Dieses Thal hatte viele Schlangenwindungen; es führte bald in der einen und bald nach der andern Richtung; dabei schien es endlos zu sein und verengte sich mehr und mehr, bis es zur tiefen, schmalen Schlucht wurde, welche man mit einem nordamerikanischen Cañon vergleichen konnte.

Der Peon ritt jetzt langsamer und immer langsamer voran. Er sah ein, daß er noch niemals hier gewesen sei, denn eine so lange Schlangenschlucht war ihm noch nie vorgekommen. Er ging mit sich zu Rate und kam schließlich doch zu der Einsicht, daß es jedenfalls besser sei, seinen Irrtum jetzt und freiwillig einzugestehen, als desselben später mit Heftigkeit überführt zu werden. Darum hielt er endlich an und sagte:

»Sie haben mich vorhin irre gemacht. Ich hätte nicht nach links einbiegen, sondern geradeaus reiten sollen. Das war der richtige Weg. Kehren wir also um, Señores!«

»Habe es gedacht!« brummte Fritze unmutig. »Nun müssen wir den weiten Weg zurück! Aber wissen Sie denn auch genau, daß dieser der falsche und jener dann der richtige ist?«

»Ja. Wenden Sie getrost um! Wir sind zu weit nach links gekommen und müssen also mehr nach rechts hinunter.«

»Wenn es richtig ist, will ich es loben, denn ich denke mir, daß – – –«

Er hielt mitten im Satze inne und lauschte.

»Was gibt's?« fragte der Doktor. »Hörst du etwas?«

»Ja. Es war mir, als ob da vor uns ein Jeräusch jewesen wäre. Horch!«

Er hatte sich nicht geirrt, denn das Geräusch wiederholte sich und kam näher. Es klang wie Hufschlag.

»Sollte ich mich dennoch auf dem richtigen Wege befunden haben?« fragte der Peon, indem sein besorgtes Gesicht sich aufheiterte.

»Wenn dies wäre, so hätten Sie es jedenfalls nur dem Zufalle zu verdanken,« antwortete Fritze. »Ich aber möchte behaupten, daß alle Ihre beiden Wege falsch sind, obgleich Sie nur diesen für falsch, den andern aber für richtig gehalten haben. Sie wissen offenbar schon seit heute früh nicht, woran Sie sind. Nun aber werden wir hoffentlich erfahren, in welcher Gegend der Neuen Welt wir uns befinden.«

Die Schlucht machte vor ihnen abermals eine Biegung. Um die Ecke, welche dadurch gebildet wurde, kamen drei Reiter. Dem vordersten sah man es an, daß er ein Maultiertreiber, ein Arriero war. Hinter ihm kam ein hoch beladenes Packtier, welchem ein Reiter folgte, welcher der Besitzer des Gepäckes zu sein schien. Er war in die Tracht des Landes gekleidet, von hoher Gestalt und sehr gut bewaffnet. Sein Haar und Bart waren blond, und die Augen, welche er überrascht auf die drei Reiter vor sich richtete, hatten die helle Farbe der Nordländeraugen. Hinter ihm ritt der dritte, welcher jedenfalls auch ein Arriero war. Der mittlere Herr kam jedenfalls über das Gebirge und hatte die beiden andern als Treiber und Führer gemietet.

Sie hielten an, und beide Parteien musterten sich einige Sekunden lang, ohne ein Wort zu sagen. Dann rief der hintere Reiter, indem er seine Worte an den Peon richtete:

»Ist's möglich, oder irre ich mich? Ist das nicht Malzeso, der Peon von Rodrigo Sereno in Salta?«

»Der bin ich allerdings,« antwortete der Angeredete. »Kennen Sie mich?«

»Ja.«

»Von woher?«

»Von Salta her. Ich pflege bei Ihrem Herrn einzukehren und habe Sie da gesehen. Sind Sie etwa der Führer der Señores, welche sich da bei Ihnen befinden?«

»Der bin ich allerdings.«

»Cielo! Wie kommen Sie dazu, fremden Reisenden den Weg über das Gebirge zeigen zu wollen! Das zu thun, ist doch nur ein erfahrener Arriero im stande!«

»Ich kenne das Gebirge besser, als Sie meinen,« antwortete der Peon gekränkt. »Überdies wollen wir keineswegs über dasselbe hinüber.«

»So bleiben Sie auf dieser Seite? Das ist etwas andres. Aber Sie haben doch die Grenze der Puna bereits überschritten, und dieser Weg führt nach der Puna brava, nicht aber nach einem bewohnten Orte. Darf ich fragen, wohin Sie wollen?«

»Dahin, woher Sie jedenfalls kommen, nämlich nach der Salina del Condor hinauf.«

»Nach der Salina? Dios! Sie meinen, daß wir von dort herunterkommen?«

»Jedenfalls.«

»Da irren Sie sich gewaltig, Señor. Wir kommen von Peru herüber und wollen nach Salta. Sie befinden sich also auf einem falschen Wege.«

»Können Sie dies als gewiß behaupten?«

»Natürlich! Es gibt hier nur zwei Wege. Der eine ist der, auf welchem wir uns befinden, und der andre kommt von Chile herüber, geht an der Sahna del Condor vorbei und trifft mit dem ersteren auf einem Punkte zusammen, welcher über eine halbe Tagereise hinter Ihnen liegt.«

»Das stimmt allerdings; das weiß ich auch!«

»Und doch scheinen Sie nicht zu wissen, daß Sie irre geritten sind! Wie früh sind Sie heute aufgebrochen?«

»Mit Sonnenaufgang.«

»So hatten Sie erst die richtige Richtung und haben dann aber die Stelle übersehen, an welcher die beiden Wege zusammentreffen. Anstatt sich nach links zu wenden, sind Sie immer weiter geritten.«

»Das ist's, was ich dachte!« rief Fritze jetzt dem Peon zu. »Wir mußten nach links, und doch haben Sie bis jetzt behauptet, daß wir uns mehr nach rechts halten müßten. Infolgedessen haben wir einen Umweg gemacht, den wir gar nicht wieder einholen können. Ich glaube, daß wir drei Viertel eines Tages verloren haben.«

»Nein, so viel nicht, Señor,« wendete sich der Arriero höflich an ihn. »Der Weg, welchen Sie hätten einschlagen sollen, zieht sich westlich von hier in die Berge hinauf. Wenn Sie gerade nach Sonnenuntergang reiten, werden Sie ihn in drei Stunden erreichen.«

»Hm!« brummte Fritze nachdenklich. »Es ist ein Glück für uns, daß wir Ihnen begegnet sind. Wenn es auf diesen unsern Führer angekommen wäre, so hätten wir leicht unsern Untergang finden können, denn er wollte hier umkehren und sich dann noch weiter nach rechts wenden. Auch klingt es sehr tröstlich, wenn Sie sagen, daß wir binnen drei Stunden den richtigen Weg erreichen können, aber ob wir den Weg zu diesem Wege finden, das ist die Frage. Wie ich sah, gibt es da hinauf einen Wechsel zwischen Bergen und Höhen, Thälern und Schluchten, die wohl nicht alle zu passieren sind.«

 

»Das ist wahr. Es kommt nur einer, der die Gegend kennt, hinauf.«

»Das befürchtete ich. Wir beide sind hier fremd, und unser Führer ist, wie Sie gesehen haben, nicht klüger als wir. Und selbst wenn wir den dreistündigen Ritt glücklich vollbrächten, so fragt es sich, ob wir den Weg, den wir suchen, finden würden. Hier gibt es keine Straßen, und was man einen Weg nennt, das ist etwas ganz andres als ein Weg. Ich wette, daß wir ihn gar nicht sehen würden.«

»Das ist sehr wahrscheinlich,« lachte der Arriero. »Es wird Ihnen nichts andres übrigbleiben, als umzukehren und mit uns bis dahin zurückzureiten, wo die beiden Wege sich vereinigen. Dann werde ich Ihnen genau beschreiben, wie Sie reiten müssen.«

»Kennen Sie denn den Pfad hinauf nach der Salina del Condor?«

»So genau, daß ich ihn in der finstersten Nacht finden würde.«

»Das ist sehr gut, hilft uns aber nichts. Wir haben drei Viertel des Tages verloren, und wenn wir umkehren, verlieren wir noch viel, viel mehr!«

»Haben Sie es denn so notwendig? Ist Ihre Zeit so kurz bemessen?«

»Freilich. Wir wollen an der Salina del Condor mit Leuten zusammentreffen, von denen Sie vielleicht auch einige kennen, wenigstens den Namen nach. Wir gehören nämlich zu einer Truppe, deren Anführer der Vater Jaguar ist.«

»Der Vater Jaguar? Den kenne ich nur zu gut. Er ist der berühmteste Mann des Gebirges, und ich bin einigemal mit ihm zusammengetroffen. Der ist also da oben in der Salina?«

»Ja.«

»Zur Jagd?«

»Ja, zur Jagd,« antwortete Fritze. Und langsam fügte er hinzu: »aber nicht zur Jagd auf Tiere, sondern auf Menschen.«

»Qué cosa! Auf Menschen? Will er etwa einen Bösewicht bestrafen?«

»Ja.«

»Wen?«

»Sie erlauben, daß ich diese Frage unbeantwortet lasse. Der Vater Jaguar wünscht nicht, daß von derselben vorher gesprochen wird.«

»Ich nehme es Ihnen nicht übel. Also um ein solches Abenteuer handelt es sich! Und da sollen Sie auch dabei sein?«

»Ja.«

»Und wenn Sie umkehren, gelangen Sie nicht zur rechten Zeit nach der Salina? Das ist freilich höchst fatal für Sie. Wenn es sich um den Vater Jaguar handelt, ist jeder ehrliche Mann zu jedem Dienste bereit; aber ich kann Ihnen leider nicht helfen. Ich könnte Sie zwar bis Sonnenuntergang auf den rechten Weg bringen, aber wir sind von diesem Señor engagiert worden, ihn bis Salta zu begleiten, und so wiederhole ich, was ich vorhin sagte: Es ist am besten, Sie kehren mit uns um.«

Der blonde Fremde hatte aufmerksam zugehört und dabei den Doktor und dessen Diener mit prüfendem Blicke betrachtet. Jetzt zog er seine Uhr hervor, sah nach der Zeit und fragte dann den Arriero, welcher bisher gesprochen hatte:

»Sie kennen also die Gegend so genau, daß Sie diese Señores von hier aus auf den richtigen Weg bringen könnten?«

»Ja.«

»Und das würde bis zur Dämmerung geschehen sein?«

»Ja.«

»Der Weg da oben trifft nach Salta zu mit unsrem gegenwärtigen zusammen?«

»Ja.«

»Nun, so können wir ja diesen Señores helfen, ohne daß Sie mich zu verlassen brauchen. Sie machen ihren Führer und ich reite mit. Es ist mir gleich, ob ich von hier aus oder von einer andern Stelle aus nach Salta komme. Die Zeit, welche ich dadurch versäume, beträgt nur drei Stunden, welche wir morgen wieder einbringen können; diese Herren aber würden mehr als einen Tag versäumen. Haben wir sie beim Einbruch des Abends auf den richtigen Weg gebracht, so werden sie uns vielleicht erlauben, die nächste Nacht mit ihnen zu lagern; morgen früh reitet dann jeder seines Weges weiter.«

Dieses mehr als freundliche Anerbieten war den Verirrten so willkommen, daß der Doktor sein Tier an dasjenige des Fremden trieb, ihm die Hand entgegenstreckte und voller Freude ausrief:

»Señor, was Sie uns da so freiwillig anbieten, würden wir nie zu erbitten wagen. Auch würden wir Ihre Offerte zurückweisen, wenn wir uns nicht in einer Lage befänden, welche uns dringend gebietet, dieselbe anzunehmen. Halten Sie uns nicht für rücksichtslos, wenn wir Ihre Freundlichkeit nicht von uns weisen! Daß dieselbe keine vielleicht Unwürdigen trifft, mag Ihnen mein Stand und Name sagen. Erlauben Sie mir, mich Ihnen vorzustellen! Ich bin – – –«

Da hob der Fremde abwehrend die Hand und unterbrach ihn in freundlichem Tone: –

»Bitte, das will ich jetzt nicht wissen. Unwürdigen würde ich nicht gefällig sein; Sie hören also, wie ich über Sie denke. Und wenn man einem Menschen einen kleinen Dienst erweist, so ist das noch lange kein Grund, daß derselbe seine sämtlichen Verhältnisse zu enthüllen hat. Sagen wir uns morgen, wenn wir scheiden, wer und was wir sind; es ist nicht nötig, dies schon heute zu wissen.«

Er schüttelte die Hand des Doktors und wendete sich dann an den Arriero, ihn fragend:

»Reiten wir weiter vorwärts, oder müssen wir umkehren?«

»Wir müssen zurück,« antwortete der Gefragte. »Die Schlucht ist vor uns noch außerordentlich lang; es würde ein großer Umweg sein.«

»Dann also zurück! Gibt es da oben einen Ort, an welchem man bis morgen lagern kann?«

»Ich kenne eine passende Stelle und denke, daß wir unterwegs auch Holz genug zu einem Feuer finden werden.«

Der Fremde kehrte also mit seinen beiden Arrieros und dem Packtiere um, und die Verirrten ritten hinter ihnen her. Den Zug beschloß der Peon, welcher kein weiteres Wort zu sagen gewagt hatte und jetzt eine wahre Armesündermiene zeigte.

Noch war keine Viertelstunde vergangen, so hatte man das obere Ende der Schlucht erreicht. Sie mündete auf eine kleine Ebene, von wo aus ein freier Blick auf die westlich sich erhebenden Berge gewonnen wurde. Der Arriero blieb halten, um sich zunächst zu orientieren. Er betrachtete die Gestalt jeder einzelnen Höhe, jedes einzelnen Berges, prüfte die Thaleinschnitte zwischen denselben und sagte dann zu dem blonden Fremden:

»Ich sehe, wie wir reiten müssen. Der Weg wird gar nicht so beschwerlich sein, wie ich vorher dachte, und ich bin auch überzeugt, daß wir noch vor Einbruch der Dunkelheit einen Ort erreichen, wo wir bequem lagern und schlafen können.«

Nach dieser Versicherung, welche allen willkommen war, setzte er sein Maultier wieder in Bewegung. Die Ebene sank in ein schmales Thal hinab, welches sich nach und nach verbreiterte und zwischen hohe, schroff aufgebaute Berge hineinzog. Die Spitzen dieser Berge waren kahl; an den Hängen gab es hier und da eine grüne Stelle, noch von der Regenzeit her; Wasser aber war nirgends zu sehen. Da und dort stand ein Busch, bei welchem die Arrieros und der Peon anhielten, um dürres Gezweig zu sammeln.

Der Doktor hätte sehr gern mit dem so außerordentlich gefälligen Fremden ein Gespräch begonnen, und dem kleinen Fritze Kiesewetter drückte es fast das Herz ab, mit einem Herrn reiten zu müssen, ohne erfahren zu haben, wer und was er sei, woher er komme und wohin er wolle; aber dieser Mann schien leider der Ansicht zu sein, daß es verdienstlicher sei, Unbekannten Hilfe zu erweisen. Er ritt vor ihnen her und schien nur Augen für das großartige Gebirgspanorama, das sich vor ihnen ausbreitete, zu haben. Da er von ihnen für einen Südamerikaner gehalten wurde, sagte Fritze in deutscher Sprache:

»Hatte ik's nicht jesagt, daß wir in die Irre jeritten seien! Wenn diese jefälligen Leute nicht jekommen wären, so hätte dieser Peonenonkel uns wohl jar nach Lappland und an den Nordpol jeführt.«

Da der Sprecher nicht weit hinter dem Fremden ritt, so hörte dieser Fritzens Worte. Er hatte bei den ersten derselben aufgehorcht; jetzt drehte er sich um und sagte im reinsten Hochdeutsch:

»Gar so weit nach Norden wäre Ihre Reise wohl nicht gegangen; aber Sie hätten in dieser Einsamkeit wohl schwerlich bald einen Menschen gefunden, welcher Sie hätte zurechtweisen können. Daß ich Ihnen begegnet bin, freute mich schon bisher; nun ich aber höre, daß Sie Deutsche sind, freut es mich doppelt.«

Er hatte während dieser Worte sein Tier so gelenkt, daß er nun neben ihnen ritt. Das Gesicht Morgensterns glänzte vor Freude, als er darauf antwortete.

»Ja, wir sind Deutsche, Señor. Sie beherrschen unsre Muttersprache in einer Weise, daß ich Ihnen mein Kompliment machen muß. Diejenigen, von denen Sie sie lernten, sind jedenfalls auch geborene Deutsche gewesen?«

»Allerdings,« nickte der Fremde lächelnd. »Ich lernte sie von meinem Vater und meiner Mutter.«

»Also sind Sie ein Deutscher?«

»Ich bin stolz darauf, es zu sein.«

»Drüben oder hüben geboren?«

»Drüben im Vaterlande.«

»Ich auch, ich auch! Sie wollten vorhin nicht hören, wer ich bin; nun Sie aber wissen, daß wir Landsleute sind, werden Sie mir doch wohl erlauben, mich Ihnen vorzustellen. Ich heiße Morgenstern, Doktor Morgenstern aus Jüterbogk und bin nach Argentinien gekommen, um paläontologische Studien zu treiben.«

»Und ik,« fiel Fritze ein, »ik heiße Fritze Kiesewetter aus Stralau am Rummelsburger See und befinde mir hier, um mir an diese Studien zu beteiligen. Wir haben es schon zu einer Gigantochelonia und nachher jar zu einem Megatherium jebracht.«

»Von diesen Dingen verstehe ich nichts,« gestand der Blonde. »Was meinen Namen betrifft, so heiße ich Engelhardt, und mein Stand – – eigentlich besitze ich keinen mehr; ich habe ihn vor kurzem aufgegeben. Ich bin, was man so Rentier nennt.«

»Sie leben also von Ihrem Jelde? Dat kann ik noch nicht. Wollte ik von meine Ersparnisse leben, so könnte ik mir nach drei Tagen als ›wandelndes Skelett‹ sehen lassen. Dürfen wir fragen, ob Sie in dieses schöne Arjentinien wohnen?«

»Ich wohnte bisher in Lima, also in Peru, habe mein Geschäft verkauft und will nun nach Deutschland hinüber.«

»Haben Sie Ihr Jeschäft jut bezahlt bekommen?«

»Leidlich gut, den jetzigen Verhältnissen angemessen,« antwortete Engelhardt, verwundert über die Frage, welche eigentlich eine sehr zudringliche war.

»Dat freut mir außerordentlich. Für mein Jeschäft hat mich noch kein Mensch wat jeboten, und so kann ich es mich deutlich vorstellen, wie schön es sein muß, wenn man wat Ordentliches dafor bekommt.«

»Was sind Sie denn eigentlich?«

»Noch immer jeborener Stralauer, weiter nichts. Ik beschäftige mir mit allem, wat mich in die Hände kommt. Gejenwärtig bin ik der Famulus des Herrn Doktors und ziehe mit ihm in den Kampf gejen die beiden jrößten Schurken, welche die Erde trägt.«

»Wer ist das?«

»Dat ist ein Kerl, den man den Jambusino nennt, und dat ist ferner ein Stierfechter, welcher Antonio Perillo heißt.«

»Diesen letzteren Namen habe ich schon gehört und auch gelesen. Der Mann ist in Lima aufgetreten; da ich aber den Zirkus nicht besuchte, habe ich ihn nicht gesehen. Warum nennen Sie diese Männer die größten Schurken?«

»Um Ihnen dat zu erklären, müßte ik eine Erzählung leisten, welche von jetzt an bis morjen abend währen würde. Dieser Perillo kennt uns nicht, und wir haben ihm niemals wat zujefügt, und dennoch trachtet er uns schon seit längere Zeit nach dat Leben.«

»Ist's möglich! Vielleicht irren Sie sich?«

»Wir uns irren? Kein Jedanke! Der Herr Doktor war kaum ans Land jestiegen und zu Salido jekommen, so machte Perillo einen Mordversuch auf ihm.«

»Salido, sagen Sie? Wo war das? In welcher Stadt?«

An Buenos Ayres.«

»Meinen Sie etwa den Bankier?«

»Ja, denselbigen.«

»So kennen Sie ihn also?«

»Ja, wir kennen ihn sehr gut,« fiel jetzt der Doktor ein. »Ich war ihm empfohlen und genoß seine Gastfreundschaft, indem ich bis zu meiner Abreise von Buenos Ayres bei ihm wohnte.«

»Ist das schon lange her?«

»Nur kurze Zeit, einige Wochen.«

»Wurde da bei Salido mein Name nicht genannt?«

»Engelhardt sprach diese Frage mit sichtlicher Spannung aus. Der Doktor antwortete nachdenklich:

»Als Sie vorhin sagten, daß Sie Engelhardt heißen, war es mir ganz so, als ob ich diesen Namen schon einmal gehört haben müsse; aber wo – – hm – – hm!«

»Wohl drüben im Vaterlande. Da gibt es ja der Engelhardts genug.«

»Nein, sondern hier in Argentinien; aber es fällt mir schwer, mich auf den Ort zu besinnen. Fritze, weißt denn du nicht, wo wir einem Engelhardt begegnet sind?«

»Einem Engel – – Engel – –« sann der Stralauer nach; dann richtete er seinen Oberkörper straff auf, sah den Blonden mit einem Blicke, in welchem sich die größte Spannung aussprach, an und rief: »Ik hab's, ik hab's! lk glaube nicht, dat ik mir irre! Sie wohnten in Lima und haben Ihr Geschäft verkauft. War dat nicht oft und manchmal ein Bankierjeschäft?«

 

»Nicht nur oft und manchmal, sondern stets.«

»Sie haben eine Frau, oder, wollte ik lieber sagen, eine Jemahlin?«

»Ja.«

»Und zwei Jungens, wat man höflicherweise Söhne nennt?«

»Auch das stimmt.«

»Der eine war bei Salido auf Besuch?«

»Ja.«

»So ist's janz so, wie ik mir dachte! Wir haben ihn nicht Herr Engelhardt, sondern stets nur Anton jenannt. Herr Doktor, darum konnten Sie Ihnen nicht auf den Namen besinnen. Bejreifen Sie denn nicht, daß dieser Herr Engelhardt der männliche Teil von die Eltern unsres Antons ist?«

Der Doktor öffnete den Mund, sah erst Fritze und dann Engelhardt fragend an, ließ sein Auge wieder und wieder von dem einen auf den andern schweifen und antwortete dann, indem er mit dem Kopfe schüttelte –

»Du irrst dich, Fritze. Was du sagst, ist ganz unmöglich.

Der Vater unsres Anton ist zwar auch Bankier und mag vielleicht auch Engelhardt heißen, kann aber nicht mit diesem Herrn hier identisch sein.«

»Warum nicht?«

»Weil der Vater Antons sein Geschäft noch besitzt und auch jetzt nicht über die Anden kommen würde. Das siehst du doch wohl ein.«

»Nein, dat kann ik nicht einsehen.«

»Würde der Vater von Peru über die Anden nach Argentinien gehen, wenn er weiß, daß sein Sohn, lateinisch puer oder filius geheißen, zu derselben Zeit unterwegs hinüber nach Peru ist?«

»Wie?« fragte da Engelhardt hastig. »Anton soll unterwegs sein?«

»Ja.«

»Mein Sohn? Das muß ein andrer Anton, ein andrer Engelhardt sein. Sprechen Sie von dem Knaben, welcher bei Salido auf Besuch war?«

»Ja, denn einen andern Anton Engelhardt kennen wir nicht. Er ist ein Verwandter von Salido.«

»Natürlich, denn Salido ist sein Onkel, und ich bin sein Vater.«

»Wirklich?« fragte da Fritze. »Sie sind der Vater vom richtigen Anton, den wir meinen?«

»Ja, ja und dreimal ja!«

»Aber warum laufen Sie denn da von Lima fort? Warum bleiben Sie nicht zu Hause, wohin Sie jehören? Sie haben doch jewußt, daß Ihr Sohn von Buenos Ayres aufjebrochen ist, um über die Anden heimzukommen!«

»Ich habe gewußt, daß es geschehen sollte, nicht aber, daß es geschehen ist. Ich habe Salido telegraphiert, daß er Anton nicht fortlassen, sondern noch bei sich behalten solle, weil ich selbst kommen wolle, ihn abzuholen!«

»So sind wir rascher jewesen, als die Depesche, welche zu spät jekommen ist. Dat Telejramm ist einjetroffen, als wir schon fort jewesen sind. Aber dann bejreife ik nicht, warum Ihnen Salido nicht schnell zurücktelejraphiert hat!«

»Das begreifen sie nicht? Sie wissen doch jedenfalls, daß zwischen Peru und Chile ein Krieg ausgebrochen ist?«

»Kein Wort!«

»So haben Sie wohl außerhalb der Welt gelebt?«

»Nein, sondern jrad mitten drin, mitten im Gran Chaco, wo wir von dem, wat außerhalb jeschehen ist, kein Wort erfahren haben.«

»Peru ist durch Chile von aller Verbindung mit Argentinien abgeschnitten. Mein Telegramm war, wie ich nun erfahre, eins der letzten, welche befördert wurden; die Antwort Salidos aber ist nicht nach Lima gekommen. So bin ich bis heut der festen Überzeugung gewesen, daß Anton sich noch bei ihm befindet.«

Die drei Deutschen waren, während die andern weiter ritten, halten geblieben. Der Gegenstand ihres erregten Gespräches nahm sie so gefangen, daß sie für nichts andres Gedanken hatten. Der Doktor warf nur zuweilen eine Bemerkung, einen Satz dazwischen; zwischen Engelhardt und Fritze aber flogen die Fragen und Antworten mit größter Schnelligkeit und ohne die Pause auch nur eines Augenblickes hin und her.

»So also ist dat jekommen!« meinte Fritze. »Krieg zwischen Peru und Chile, ein Telejramm herüber, dat andre aber nicht hinüber, infolgedessen der Anton futsch und Sie als kinderloser Waisenvater mitten in den Anden! Warum sind Sie denn nicht in Lima jeblieben? Warum haben Sie Ihr Jeschäft verkauft?«

Engelhardt war ein reicher Geschäftsmann, mit welchem Fritze sich nicht vergleichen konnte; dennoch examinierte der letztere den ersteren in der ihm eigenen Weise, und der erstere gab willig Antwort, weil sein Vaterherz ihm nicht Zeit ließ, an das Gegenteil zu denken. Er antwortete:

»Das verstehen Sie höchst wahrscheinlich nicht, aber ich will es Ihnen dennoch sagen. Die Verhältnisse lagen so, daß ich durch den Krieg mein ganzes Vermögen verlieren konnte; da sich nun glücklicherweise eine Gelegenheit bot, sehr günstig zu verkaufen, habe ich dieselbe augenblicklich benutzt. Aber nicht nur das Geschäft, sondern überhaupt alles, was ich drüben besaß, habe ich veräußert, und so wurde es mir möglich, auf das schnellste ein Land zu verlassen, dessen politische Verhältnisse einen sichern Besitz und ein ruhiges Genießen nicht gestatten. Ich telegraphierte an Salido, daß ich kommen würde, und zwar auf dem Landwege über die Anden, weil ich in Salta, Tucuman und Cordova noch geschäftliche Verwickelungen zu lösen habe. Meine Frau hat mit dem andern Sohne den Seeweg vorgezogen, wozu ich meine Einwilligung gab, weil ich ein gutes, neues Schiff fand, dessen Kapitän ein Bekannter, ja ein Freund von mir ist. In Buenos Ayres werde ich mit ihnen zusammentreffen. Dort hoffte ich natürlich, auch Anton zu treffen. Nun ist er fort! Mein Gott, wer hätte das gedacht! Wo mag der Knabe sein? Unter welchen Menschen mag er sich befinden!«

Man sah, daß er sich in großer Aufregung befand. Fritze legte ihm die Hand auf den Arm und antwortete in beruhigendem Tone:

»Denken Sie etwa, daß Salido ihn unzuverlässigen Menschen überjeben hat? Können Sie sich dat denken?«

»Was das betrifft, so ist Salido vorsichtig, und ich gebe gern zu, daß er sein möglichstes gethan haben wird; aber er ist nicht Herr der Verhältnisse. Wer weiß, was unterwegs geschieht. Und wenn mein Sohn glücklich über die Anden kommen sollte, was dann? Er findet uns nicht, denn wir sind fort. Man wird ihn zwingen, Soldat zu werden, denn er ist für sein Alter sehr gut entwickelt und – – –«

»Machen Sie Ihnen keine Sorjen!« fiel ihm der Stralauer in die Rede. »Ihr Anton kommt jar nicht über die Jrenze. Die Leute, bei denen er sich befindet, sind schon so jescheit, ihm unter die jejenwärtigen Verhältnisse nicht hinüber zu lassen.«

»Woher wissen Sie das? Wie können Sie das behaupten?«

»Weil ik diese Leute kenne.«

»So? Sie kennen sie? Wirklich?«

»Ja, ik kenne sie sehr jenau; ik kenne sie so jut wie mir selber.«

»So sagen Sie schnell, wer diese Leute sind, und wo sie sich jetzt befinden!«

»Dat sollen Sie so rasch erfahren, wie es mich möglich ist. Sehen Sie sich einmal meinen Herrn hier an! Kennen Sie ihm?«

»Sonderbare Frage! Er hat mir ja vorhin seinen Namen genannt.«

»Jut, so sehen Sie nun auch einmal mir an! Kennen Sie mir auch?«

»Fritze Kiesewetter aus Stralau!«

»Am Rummelsburjer See, nicht zu verjessen. Und nun passen Sie auf! Wir beide sind eben diejenigen Leute, an welche Sie sich zu halten haben, wenn Sie mit Ihrem Anton reden wollen.«

»Sie? Sie? Wäre es möglich? Sie wissen, wo er ist?«

»Ja. Er jehört zu uns. Er befindet sich beim Vater Jaguar, der über zwanzig tapfre Männer bei sich hat. Sie sehen also ein, daß Sie Ihnen keine Sorje zu machen brauchen. Ihr Sohn kann jar nicht besser aufjehoben sein; dat kann ik Sie mit meinem Ehrenwort versichern.«

Der Ausdruck der Besorgnis wich aus Engelhardts Gesicht; er schlug erfreut die Hände zusammen und rief aus:

»So ist es, so? Bei dem Vater Jaguar befindet er sich? Also droben an der Salina del Condor, welche gar nicht weit von hier liegt?«

»Ja, da oben. Der Vater Jaguar sollte ihm über dat Jebirge bringen, wird ihm aber nun in Ihre Hände lejen.«

»Welch ein Zufall, oder vielmehr welch eine Schickung!«

»Es ist kein Zufall,« nahm da der Doktor das Wort. »Ich bestätige, daß Ihr Sohn sich hier in der Nähe befindet und daß Sie ihn vielleicht schon morgen begrüßen können; das haben Sie aber nicht einem Zufalle, sondern Ihrem gütigen Herzen zu verdanken. Wären Sie an uns vorübergeritten, ohne uns aus unsrer Verlegenheit zu helfen, so würden Sie die Trennung von Ihrem Sohne länger zu beklagen haben. In Ihrem eigenen Herzen also liegt der Grund der Freude, welche Sie jetzt empfinden. Ich nehme aufrichtig an derselben teil.«

»Sie haben ihn also schon in Buenos Ayres gesehen, ihn also auch von dort aus begleitet?«