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Das Vermachtnis des Inka

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In der Mordschlucht

Salta, oder wie die argentinische Stadt vollständig heißt, San Miquel de Salta, liegt in einer, von mehreren Bergwässern durchflossenen Ebene des Thales von Lerma, ist ziemlich gut bevölkert und treibt einen lebhaften Speditionshandel nach Bolivia. Einer der bedeutendsten Spediteure der Stadt war Señor Rodrigo Sereno, dessen Etablissement vor dem nördlichen Thore von Salta lag und vielleicht noch heute liegt. Es bestand aus weiten Stallungen und Lagerhäusern, vor denen gerade an der Straße das langgestreckte Hauptgebäude lag, dessen eine Seite die Wohnung des Besitzers und seiner Familie bildete, während die andre Seite dem öffentlichen Verkehre und vornehmlich der Aufnahme von Reisenden und andern Gästen diente.

Es war am späten Abende. Die Stadtbesucher hatten das Lokal schon verlassen, und die fremden Gäste waren schlafen gegangen. Señor Rodrigo saß allein in der Stube und zählte das Geld, welches er heute eingenommen hatte. Da ließen sich draußen nähernde Schritte hören. Sofort warf er ein Tuch über das Geld und stand auf, um den Tisch zu verlassen, damit man nicht bemerke, wo und womit er beschäftigt gewesen war. Man kann in jenen Gegenden nicht vorsichtig genug sein. Sein Gesicht nahm einen zuwartenden, zurückhaltenden Ausdruck an. Da wurde die Thür geöffnet, und es traten zwei Männer ein, bei deren Anblick sein Gesicht sich augenblicklich wieder aufhellte.

»Buenas tardes – guten Abend!« grüßten sie und reichten ihm die Hände, die er ihnen, ihren Gruß erwidernd, kräftig schüttelte. Es war der Gambusino und sein Gefährte Antonio Perillo.

Der erstere ließ sein Auge forschend durch die Stube schweifen, blieb mit dem Blicke an dem Tische und dem Tuche hängen, ging hin, hob dasselbe auf und fragte lachend:

»Geld gezählt und vor uns versteckt, Señor Rodrigo? Seit wann haltet Ihr mich für einen Menschen, dem man nicht trauen kann?«

»Redet nicht,« antwortete der Wirt, »ihr wißt doch nur zu gut, daß ihr nicht gemeint seid. Als ich Schritte hörte, wußte ich nicht, wer eintreten werde. Seid willkommen; setzt euch, und befehlt, was ich euch bringen soll!«

»Zu essen, was Ihr habt, und zwei Flaschen Wein. Dann macht uns so viel Proviant zusammen, wie zwei Männer brauchen, welche über eine Woche in die Berge wollen, ohne zu wissen, ob sie sich von der Jagd ernähren können.«

Der Wirt verschwand und kehrte bald mit dem Essen und dem Weine zurück. Dann ging er wieder und brachte nach kurzer Zeit einen Korb, welcher mit allerlei haltbaren Eßwaren gefüllt war. Er schien auf die Verproviantierung solcher Leute eingerichtet zu sein. Nun setzte er sich zu ihnen, welche wortlos aßen und tranken, und sah zu, wie es ihnen schmeckte. Aber er war kein Freund von langem Schweigen; darum fragte er schon nach einer kleinen Weile:

»Woher, Señores?«

»Aus Tucuman,« antwortete der Gambusino.

»Mit der Diligence?«

»Ja. Soeben erst angekommen.«

»Ihr werdet heut bei mir bleiben?«

»Nur die halbe Nacht, dann reiten wir weiter.«

»Seid ihr denn beritten?«

»Nein; aber wir denken, daß Ihr zwei gute Maultiere für uns haben werdet.«

»Das versteht sich. Für Señores, wie ihr seid, habe ich stets das Nötige bereit.«

»Wie teuer das Stück?«

»Ihr zahlt nicht mehr als zwanzig Bolivianos.«

Das waren achtzig Mark für ein gutes, starkes, fußsicheres und schwindelfreies Maultier, gewiß ein sehr niedriger Preis.

»Aber wenn wir nun kein Geld haben?« lachte ihm der Gambusino in das Gesicht.

»So ist es auch nicht anders, als wenn ihr welches hättet. Ihr seid mir noch nie etwas schuldig geblieben.«

»Gut! Wir zahlen also, wenn wir wiederkommen. Sorgt für ein gutes Lager, denn die Diligence hat uns arg zusammengeschüttelt, und sagt uns vor allen Dingen noch, wo die Mojosindianer jetzt zu treffen sind!«

»Wollt ihr zu diesen? Verwegene und unternehmende Kerls! Möchte mich ihnen aber nicht anvertrauen.«

»Weil sie Euch nicht kennen; ich aber bin befreundet mit ihnen.«

»Ihr werdet sie in der Gegend des Guanacothales finden, wo sie gegenwärtig jagen.«

»Das ist mir unlieb, denn ich muß dabei Zeit versäumen, weil ich nach einer andern Richtung wollte.«

»Wohin?«

»In die Berge. Das möge Euch genügen. Ihr bekommt Euer Geld, auch ohne daß Ihr wißt, wohin wir reiten.«

»Das weiß ich. Verzeihung, Señores, ich wollte nicht zudringlich sein.«

Damit war die kurze Unterhaltung zu Ende. Die Gäste aßen ihre Portionen auf und legten sich dann in einer Ecke nieder, wo er ihnen aus Decken und weichen Fellen ein Lager bereitet hatte. Er zählte sein Geld vollends, schob es klirrend in die tiefe Tasche und verschwand dann durch die Thür, um sich auch niederzulegen. Es war dunkel in der Stube geworden. Die Schläfer schnarchten; eine halbe Stunde nach der andern verging; es wurde Mitternacht und dann ein Uhr. Da trat der Wirt wieder ein, mit dem Lichte in der Hand; er ging zu den beiden Schlafenden und weckte sie:

»Señores, erwacht! Die Zeit des Aufbruches ist gekommen.«

Sie standen auf, bekamen jeder eine kleine Kalabasse Mate zu trinken und einen warmen Brotkuchen zu essen. Dann ließen sie sich vom Wirte in den Hof führen, in welchem die beiden Maultiere standen. Sie waren trefflich aufgeschirrt und in den Satteltaschen steckte der Proviant, welchen der Gambusino bestellt hatte. Der Wirt beleuchtete die Tiere von allen Seiten und fragte dann:

»Seid ihr zufrieden, Señores? Das Geschirrzeug leihe ich euch. Ihr könnt es mir wiederbringen, sobald es euch paßt.«

»Die Tiere sind gut, Señor Rodrigo,« antwortete der Gambusino. »Das Riemenzeug bringen wir nach einer Woche, höchstens einige Tage später zurück. Lebt wohl!«

»Lebt wohl! habt eine glückliche Reise!«

Sie ritten davon, und Sereno sah ihnen mit einer Miene nach, als ob er ein sehr gutes Geschäft gemacht habe. Er hatte dem Gambusino schon oft Pferde oder Maultiere, auch Geld und andres geborgt und den Betrag immer mit guten Zinsen zurückerhalten. Als der Hufschlag in der Stille der Nacht verhallt war, ging er wieder schlafen.

Am nächsten Abende war es fast genau so, wie am vorhergehenden, nur daß sich mehr als nur zwei Gäste einstellten. Sereno hatte eben sein Geld gezählt und eingeschlossen, so hörte er die Fußtritte vieler Menschen vor der Thür. Diese wurde geöffnet, und es traten sechsundzwanzig wohlbewaffnete Männer ein, welche alle vom Kopfe bis zu den Füßen ganz gegen Landessitte in Leder gekleidet waren und breitkrempige Hüte trugen. Nur zwei von ihnen hatten keine Hüte. Sie gingen barhäuptig und hatten ihr Haar sehr lang über dem Rücken hinabhängen. Ihren Gesichtszügen nach schienen sie Indianer zu sein. Der eine war jung; der andre aber schien ungewöhnlich alt zu sein.

Die andern waren Weiße von ausnahmslos kräftiger Gestalt. Der Wirt erinnerte sich, diesen oder jenen von ihnen schon einmal gesehen zu haben, konnte sich aber nicht besinnen, wann und wo. Der Stärkste und Längste von ihnen hatte weißes Kopf- und Barthaar und schien von den andern als Anführer respektiert zu werden. Sie machten den Eindruck von Männern, welche zu leben verstehen, Niemanden ohne Grund beleidigen, aber selbst auch für jede Beleidigung sofort einen Messerstich oder eine Kugel haben.

Trotz der großen Zahl der Gäste verursachten sie bei ihrem Eintritte und Ablegen ihrer Waffen nicht den geringsten Lärm; dann schoben sie sich zwei Tische und die dazu nötigen Stühle zusammen und setzten sich. Hierauf sagte der riesige Weiße, mehr höflich bittend als befehlend:

»Señor Rodrigo, geben Sie uns Wein, für je zwei Mann eine Flasche!«

Der Wirt verbeugte sich höflichst bei dieser Bestellung, welche ihm etwas zu verdienen gab, doch mehr aus wirklichem Respekt, den ihm der Besteller einflößte, als aus Eigennutz, und antwortete dabei:

»Sie kennen meinen Namen, Señor. Sollten wir uns vielleicht schon einmal gesehen haben?«

»Ich erinnere mich nicht, doch pflege ich mich nach dem Namen der Leute, bei denen ich einkehre, vorher zu erkundigen.«

»Dann darf ich wohl auch nach dem Ihrigen fragen, damit ich weiß, wie ich Sie zu nennen habe?«

»Ich heiße Hammer, doch verlange ich nicht, daß Sie mich bei diesem Namen nennen.«

Das war so stolz und abweisend gesagt, daß der Wirt schnell hinter der Thür verschwand, um den bestellten Wein zu bringen. Als er dann diesen und die Gläser auf den Tisch gesetzt hatte, fragte der Weiße:

»Können wir binnen einer Stunde gut gebratenen Asado con cuero bekommen?«

»So viel Sie wollen, Señor.«

»Nur so viel, wie sechsundzwanzig hungrige Männer essen können. Und dann lassen Sie Ihre Maultiere in den Hof, denn wir werden sie uns ansehen, um sechsundzwanzig Stück zu kaufen.«

Sechsundzwanzig Stück! Und zwar sofort bezahlen, ganz sicher nicht borgen! Dazu sechsundzwanzig Braten in der Haut und dreizehn Flaschen Wein. Welch ein Geschäft! Rodrigo Sereno duckte sich vor Hochachtung zusammen, daß es aussah, als ob er eine halbe Elle kleiner geworden sei. Dann fuhr er hinaus in die Küche und weckte sein ganzes Personal, damit der Braten so schnell wie möglich fertig werde und es die Maultiere so blank putze, daß nicht ein Stäubchen mehr an ihnen hafte. Dann kehrte er in die Gaststube zurück, um, in der Nähe der zusammengeschobenen Tische sitzend, der Winke seiner Gäste gewärtig zu sein.

Sie saßen nachdenklich und schweigend, und keiner sprach ein Wort. Das konnte der neugierige und mitteilsame Rodrigo auf die Länge der Zeit nicht aushalten. Er fuhr in immer wachsender Ungeduld auf seinem Stuhle hin und her und fragte endlich, freilich in höflichstem Tone, dessen seine Stimmwerkzeuge fähig waren:

»Señores, es ist sicher, daß Sie hier in Salta fremd sind, denn sonst müßte ich Sie kennen. Darf ich vielleicht erfahren, woher Sie heute kommen?«

»Von Tucuman,« antwortete der Weiße kurz.

 

»Aber doch nicht mit der Diligence?«

»Nein,« antwortete der Weiße noch kürzer.

Es war ihm anzusehen und anzuhören, daß er keine weitere Frage hören wollte; aber der Wirt mochte um keinen Preis das nun einmal begonnene Gespräch fallen lassen. Er wünschte etwas, wenn auch nicht viel, über diese Señores zu erfahren; darum machte er, ja keine Frage mehr aussprechend, die Bemerkung:

»Ja, der Ankunftstag der Diligence ist gestern gewesen. Es kehrten bei mir zwei Señores ein, welche mit ihr gefahren waren, zwei bekannte und sehr berühmte Señores. Sie würden sich wundern, wenn Sie ihre Namen hörten.«

Die andern schwiegen, aber der lustige Picaro, welcher nicht gern eine Gelegenheit zu einer Schalkhaftigkeit vorübergehen ließ, antwortete:

»Wir würden uns nicht über ihre Namen wundern, sondern nur darüber, dieselben von Ihnen zu hören; denn Sie scheinen der schweigsamste Mann der ganzen argentinischen Staaten zu sein.«

»O, gar so schlimm steht es nun nicht mit meiner Zurückhaltung. Ich spreche zwar sehr wenig, aber solchen Señores gegenüber würde Schweigsamkeit zur Grobheit werden. Darum will ich Ihnen sagen, daß einer der Señores der berühmte Stierkämpfer Antonio Perillo war.«

Nur allein mit seiner Mitteilung beschäftigt, bemerkte er gar nicht, welchen Eindruck dieselbe auf seine Gäste machte. Sie sahen einander an, blickten sich Schweigen zu, und dann meinte der Weiße in gleichgültigem Tone:

»Wenn sie diesen Perillo einen berühmten Mann nennen, so mögen Sie dies auf Ihre Rechnung hin thun. Ich habe noch berühmtere Leute gekannt, als er ist.«

»Ihr Wort in Ehren, Señor; ich will Ihnen ja nicht widersprechen, aber ich weiß nur zwei Männer, welche noch berühmter als Perillo sind.«

»Wer ist das?«

»Der Vater Jaguar und der Gambusino, der eigentlich Benito Pajaro heißt.«

»Kennen Sie denn diese Señores?«

»Den Vater Jaguar habe ich leider noch nicht gesehen; aber der Gambusino war oft bei mir. Er war es ja, welcher mit dem Stierkämpfer bei mir einkehrte.«

»So? Wirklich? Woher kamen sie?«

»Von Tucuman mit der Diligence. Es war die gegenwärtige Zeit. Sie kauften zwei Maultiere nebst Proviant für eine Woche, und ich weckte sie eine Stunde nach Mitternacht, weil sie da abreisen wollten.«

»Wohin?«

»Zu den Mojosindianern, welche sich jetzt in der Gegend des Guanacothales aufhalten.«

»Jedenfalls haben Sie sich geirrt, Señor. Es ist nicht der Gambusino gewesen.«

»Er war es. Ich kann es beschwören. Ich habe den beiden die Zeche, den Proviant und auch die Maultiere borgen müssen, weil sie kein Geld bei sich trugen, was übrigens nicht viel zu sagen hat. Da muß ich sie doch kennen.,‹

»Hatten sie denn Eile?«

»Ja. denn sonst hätten sie sich nicht schon um ein Uhr wecken lassen.«

jetzt wurde der Wirt in die Küche gerufen, und das gab den Gästen Zeit, ihre Meinungen ungehört von ihm auszutauschen. Der Weiße war natürlich kein andrer, als der Vater Jaguar. Er sagte, zwar in unterdrücktem Tone, aber daß es alle hörten:

»Sollte man es glauben! Ich wollte es bezweifeln, aber dieser schwatzhafte Wirt ist seiner Sache sicher. Was meinst du dazu Geronimo?«

»Der Gambusino und Antonio Perillo müssen sehr schnell zu Pferden gekommen sein,« antwortete der Gefragte. »Das ist die einzige Lösung dieses Rätsels.«

»Das sage ich auch. Wie gut, daß wir hier eingekehrt sind, und wie gut, daß wir nicht auf die nächsten Diligencewagen warteten, sondern Relaispferde nahmen! Der Gambusino ist uns einen vollen Tag voraus; aber wir werden dennoch eher an Ort und Stelle ankommen, weil er erst zu den Mojos will und also einen Umweg machen wird. Und zugleich ist es ein großer Vorteil für uns, zu wissen, aus welcher Richtung er kommen wird. Wir haben ihn vom Guanacothale her zu erwarten.«

»Was mag er bei den Mojosindianern wollen?« fragte einer.

»Seltsame Frage!« antwortete Hammer. »Was er dort will, ist sehr leicht zu erraten. Er will mit Antonio Perillo in der Mordschlucht nach einem Schatze suchen. Dazu gehörte Zeit, viel Zeit, während welcher der Proviant leicht ausgehen kann. Dieser muß durch die Jagd erneuert werden, und dazu sind die Mojos engagiert. Ferner gehört dazu ein genügender Schutz, das Fernhalten jeder Störung, jeder Begegnung mit einem Reisenden, Jäger oder andern Menschen, welcher die beiden überraschen und ihre Absicht erraten könnte. Darum werden sie Mojosposten ausstellen, welche alle Störung abhalten müssen.«

»Aber da können doch diese Posten selbst leicht erraten, was die beiden beabsichtigen.«

»Mögen sie das, es schadet nichts, wenn der Gambusino nur seinen Zweck erreicht. Er schießt die Mojos, die ihn beschützen mußten, einfach nieder und verschwindet dann mit dem Schatze auf Nimmerwiedersehen, um nicht der Rache ihrer Anverwandten zu verfallen.«

»Das wäre eine Niederträchtigkeit, die ihres gleichen sucht! Er ist ein gewissenloser Mensch; aber so etwas sollte man ihm doch nicht zutrauen.«

»Nicht?« fragte der Vater Jaguar. »Ich habe es bisher verschwiegen, aber nun will ich es euch sagen. Er hat an meinem Bruder genau ebenso gehandelt. Mein Bruder war Gambusino oder Prospektor, wie die Goldsucher in den Vereinigten Staaten genannt werden. Er hatte einen ungewöhnlich reichen Fund gemacht. Da kam dieser Gambusino, ermordete ihn auf eine entsetzliche, unmenschliche Weise und verschwand mit dem Golde. Das hat mein dunkles Haar gebleicht. Ich folgte der Fährte dieses Menschen, welche nach Argentinien führte, konnte ihn aber nicht zu sehen bekommen. Erst jüngst ist er mir in die Arme gelaufen, ich habe ihn und er hat mich erkannt, und nun sind die Stunden eines von uns beiden gezählt, entweder die meinigen oder die seinigen.«

»Die seinigen, die seinigen!« rief es im Kreise, und die Fäuste fielen dröhnend auf die Tische nieder.

»Still!« gebot der Vater Jaguar. »Keinen Lärm! Niemand braucht zu hören, wovon wir reden. Er hat das Gold meines Bruders verpraßt und sucht nun nach neuen Schätzen, die ihm nicht gehören. Er soll das, was er findet, aus meiner Hand bekommen!«

jetzt trat der Wirt wieder ein, und ihm folgten einige Bedienstete, welche auf Platten den duftenden Asado con cuero brachten. Die Gäste aßen und tranken schweigend und zeigten dabei so ernste Gesichter, daß dem Wirte der Mut entfiel, ein neues Gespräch anzuknüpfen. Als das Mahl zu Ende und auch der Wein getrunken war, begaben sich die Männer in den Hof, um sich die Maultiere zeigen zu lassen. Sie hatten in Tucuman die hier in den Bergen unbrauchbaren Pferde verkauft und mußten sich nun von neuem beritten machen. Tiere und Sattelzeug gab es bei Rodrigo Sereno mehr als genug.

Bei dem Scheine brennender Lichter und Laternen wurde die Auswahl getroffen. Dann fragte der Vater Jaguar nach dem durchschnittlichen Preise.

»Vierzig Bolivianos das Stück, Señor,« antwortete der Wirt. »Sie werden zugeben, daß dies der niedrigste Preis ist, zu welchem man ein Maultier hier haben kann.«

»Können Sie auch Proviant für uns auf acht Tage schaffen?«

»Ja.«

»So besorgen Sie das, und kommen Sie dann in die Stube!«

Der Wirt nahm das Schweigen als Einwilligung und freute sich im stillen, heut für ein Maultier doppelt so viel als gestern zu erhalten. Das bedeutete einen Aufschlag von über zweitausend Mark. Die Sättel wurden auch in die Stube geschafft, weil die Taschen dort mit Proviant gefüllt werden sollten. Dies war nach Verlauf von einer Stunde geschehen, und dann forderte der Vater Jaguar den Wirt auf, ihm die Rechnung niederzuschreiben. Rodrigo Sereno holte ein Stück Kreide und schrieb die einzelnen Posten auf den Tisch. Sein Gesicht glänzte vor Wonne, als er die Summe zog. Da aber fragte der Weiße:

»Wieviel hat der Gambusino gestern für ein Maultier angerechnet bekommen?«

»Auch vierzig Bolivianos, Señor.«

»So ist er entweder sehr dumm gewesen, oder Sie halten mich für dumm genug, dies zu glauben. Ich bezahle die Hälfte, zwanzig Bolivianos, und zwar in blanken Goldstücken sofort auf den Tisch. Ist Ihnen dies zu wenig, so werden wir noch in dieser Nacht bei einem andern billiger kaufen.«

»Señor, es ist mir unmöglich, Ihnen die Tiere zu einem solchen Preise zu lassen,« beteuerte der Wirt mit wie zum Schwure erhobener Hand. »Ich würde über zehn Bolivianos am Stück verlieren.«

»Schweigen Sie doch!« fuhr ihn der Weiße an. »Sie halten uns für fremd im Lande. Sie wollten aber wissen, wer ich bin, und so will ich es Ihnen sagen: ich bin der Vater Jaguar!«

Da fuhr der Wirt um zwei Schritt rückwärts und rief mit stammelndem Munde:

»Qué maravilla! Der – Va-ter – Ja-gu-ar – – –!«

Er starrte den Genannten mit weit geöffneten Augen an und schien alle Bewegungsfähigkeit verloren zu haben.

»Nun, gilt's? Zwanzig Bolivianos für das Maultier?« drang Hammer in ihn.

»Ja – ja –« antwortete er, wie abwesend; »sogar für – fünfzehn sollen Sie – – es haben – – da Sie der – Vater Jaguar sind.«

»Nein, nicht fünfzehn; ich gebe zwanzig, hier ist die Summe, welche Sie zu bekommen haben.«

Ergriff in den Gürtel, zog eine Handvoll Goldstücke hervor und zählte ihm die schuldige Summe auf den Tisch. Rodrigo Sereno bedankte sich, als ob er träume, und steckte das Geld auch wie im Traume in die Tasche. Nachdem jeder einen Sattel genommen hatte, begaben sich die Gäste wieder in den Hof. Der Wirt folgte ihnen und rief heimlich alle seine Leute herbei. Da standen sie und sahen, wie die Fremden sich auf die Maultiere schwangen und dann in die Nacht hinausjagten. Nun erst bekam die Stimme Serenos ihren ursprünglichen Klang zurück. Er warf sich in die Brust und rief den Seinen zu:

»Heut ist meinem Hause eine große Ehre widerfahren. Wißt ihr, wer der weißhaarige Señor war, welcher trotz seines Alters nicht in den Sattel stieg, sondern aus freier Hand in denselben sprang? Der Vater Jaguar ist's gewesen, der Vater Jaguar! Bei Gott, wenn er darauf eingegangen wäre, hätte ich ihm die Maultiere alle zu nur zehn Bolivianos das Stück verkauft. Der Vater Jaguar! Merkt es euch, und erzählt es morgen allen, die euch in der Stadt begegnen!«

Er brauchte diesen Befehl eigentlich gar nicht auszusprechen, denn die guten Leute wären am liebsten gleich jetzt, mitten in der Nacht, mit der Kunde fortgeeilt, daß der weitberühmte Mann mit fünfundzwanzig Begleitern bei ihrem Herrn eingekehrt sei und eine große Summe in lauter vollwichtigen Goldstücken bezahlt habe. So aber mußten sie leider schlafen gehen.

Und schon am nächsten Morgen, als man kaum aufgestanden war, gab es auch wieder fremde Gäste. Rodrigo Sereno war eben erst von seinem Lager aufgestanden und schlürfte gemächlich seinen Mate aus der silbernen Röhre, da traten zwei kleine, überaus rot gekleidete Menschen ein, welche bis an die Zähne bewaffnet waren. Der eine fragte sofort, als er die Thür geschlossen hatte:

»Sind Sie der Wirt Rodrigo Sereno, Señor?«

»Ja, Señores,« antwortete der Gefragte.

»So sind wir in das richtige Haus, lateinisch Domus oder auch Aedificium genannt, gekommen; haben Sie Maultiere zu verkaufen?«

»Gern, so viele Sie brauchen.«

»Und außerdem kann man bei Ihnen zu essen und zu trinken bekommen?«

»Alles, was die Señores wünschen. Setzen Sie sich nieder und teilen Sie mir Ihre Befehle mit!«

Er rückte ihnen zwei Stühle am Tische bequem und forderte sie durch eine Handbewegung auf, sich auf denselben niederzulassen. Seine Worte hatten einen Ton, welcher ein klein wenig ironisch klang. Er schien die kleinen Männer trotz der Waffen, welche sie trugen, nicht für voll anzusehen. Sie schienen dies entweder gar nicht zu bemerken oder wenigstens nicht zu beachten, verlangten heißen Mate und ein Gebäck dazu und machten es sich dann auf den Stühlen bequem, welche er seinen Gästen hinstellte.

Als er ihnen das Verlangte gebracht und vorgesetzt hatte, nahm er bei ihnen in der Weise Platz, wie man es bei Leuten thut, die man nicht ganz für seinesgleichen hält, musterte sie mit einem von oben herab gerichteten Blicke und sagte:

»Darf man vielleicht erfahren, ob die Señores sich hier in Salta aufzuhalten gedenken?«

»Wir kaufen Maultiere, also wollen wir fort,« antwortete Fritze Kiesewetter.

»Wo kommen Sie her?«

»Aus Tucuman.«

»Auch aus Tacuman? Und natürlich auch nicht mit der Diligence?«

»Nein. Wir haben Postpferde geritten. Aus Ihrer Frage geht hervor, daß noch andre von dorther gekommen sind, und zwar auch nicht mit der Diligence?«

»Ja. Gestern abend kam eine ganze Gesellschaft hier an, und vorgestern trafen auch schon zwei Männer ein. Wo wollen Sie hin, Señores?«

»Zunächst hinauf nach der Salina del Condor. Aber wir kennen den Weg nicht. Ist es wohl möglich, hier einen Führer zu bekommen, auf den man sich verlassen kann?«

 

»Warum nicht? Wenn Sie ihn gut bezahlen, will ich Ihnen sofort einen besorgen. Ich habe einen Knecht, welcher früher einigemal da oben gewesen ist und sich wohl bestimmen lassen wird, Ihr Führer zu sein. Sie werden ihn bei den Maultieren finden, die Sie sich ansehen können, sobald es Ihnen beliebt.«

Der Peon, von welchem er sprach, war jedenfalls kein zuverlässiger Knecht, sonst hätte er ihn nicht so bereitwillig hergegeben. Als die beiden Reisenden dann mit diesem Manne sprachen, erklärte er, daß er gern mit ihnen reiten werde, und stellte auch so günstige Bedingungen, daß sie ohne Handel auf dieselben eingingen. Desto teurer aber waren die Maultiere, welche sie kauften. Sie mußten für das Stück fünfzig Bolivianos bezahlen, also über noch einmal so viel, als der Wirt gestern und vorgestern erhalten hatte. Dazu kamen die Sättel und die Proviantvorräte, welche sie sich mitnahmen. Während die letzteren im Zimmer eingepackt wurden, fragte Doktor Morgenstern den Wirt im Laufe des Gespräches:

»Señor, Sie sprachen von Leuten, welche gestern und vorgestern aus Tucuman hier angekommen seien. Kannten Sie dieselben vielleicht?«

»Allerdings. Es waren Männer von sehr berühmten Namen.«

»Darf ich diese Namen erfahren?«

»Warum nicht? Ich bin sogar stolz darauf, Ihnen mitteilen zu können, daß solche Señores bei mir verkehren. Am vorgestrigen Abend hatte ich den weitbekannten Gambusino Benito Pajaro mit noch einem Herrn als Gäste bei mir.«

»Den Gambusino? So sind wir also auf der richtigen Spur, lateinisch Semita oder auch Vestigium genannt. Der andre ist jedenfalls Antonio Perillo gewesen?«

»Ja, er war es. Kennen Sie denn diese Señores?«

»Besser, als Sie vielleicht denken. Und wer waren die Herren, welche gestern hier einkehrten?«

Der Wirt betrachtete die beiden jetzt abermals mit einem forschenden Blicke, wobei sein Gesicht einen weniger geringschätzenden Ausdruck annahm. Wer den Gambusino so gut kannte, der konnte nach seiner Ansicht denn doch kein so ganz gewöhnlicher Mensch sein. Dann antwortete er fragend:

»Sie sprachen von einer Spur. Wollen Sie vielleicht dem Gambusino nach?«

»Ja.«

»Und wissen Sie, wohin er ist?«

»Sehr genau.«

»So müssen Sie sich sputen, denn er schien große Eile zu haben. Noch weit größere Eile aber hatten die gestrigen Señores. Das waren über zwanzig Personen, welche von dem berühmten Vater Jaguar angeführt wurden. Den werden Sie wohl schwerlich kennen.«

»Warum nicht? Wir gehören ja zu seiner Gesellschaft und wollen ihr nach.«

»Was? Sie gehören zu ihm und wollen doch auch dem Gambusino folgen? Daraus ist zu schließen, daß der Vater Jaguar mit dem Gambusino zusammentreffen will?«

»Sie erraten es. Es handelt sich nämlich um eine sehr interessante Angelegenheit, lateinisch Negotium genannt, welche für uns von großer Wichtigkeit ist. Nämlich – – –«

Der kleine Mann stand im Begriff, dem Wirte eine voreilige Mitteilung zu machen. Fritze, welcher weit vorsichtiger war, fiel ihm schnell in die Rede:

»Es betrifft nämlich eine Silberader, welche droben in den Bergen aufgefunden worden sein soll, und alle die genannten Señores, auch wir beide, reiten hinauf, um dieselbe, falls etwas Wahres daran ist, oft und manchmal auszubeuten.«

»Da gratuliere ich Ihnen,« meinte der Wirt, und zwar jetzt im Tone der Hochachtung. »Ein Unternehmen, an welchem sich der Vater Jaguar und der Gambusino beteiligen, muß auf alle Fälle ein rentables werden. Ich hoffe, daß Sie, so oft Sie hier vorüberkommen, sich meiner erinnern und bei mir einkehren. Empfehlen Sie mich dem Vater Jaguar. Ich achte und bewundere ihn, wie ich Ihnen gleich beweisen werde. Nämlich, da Sie zu ihm gehören, will ich Ihnen die Maultiere billiger lassen, als Sie dieselben bezahlt haben; das Stück soll nicht fünfzig, sondern dreißig Bolivianos kosten; ich zahle Ihnen den Überschuß heraus.«

Die beiden waren nicht wenig über dieses Verfahren verwundert und der Doktor steckte das Geld, welches der Wirt zurückgab, nur zögernd wieder in die Tasche. Aber Rodrigo Sereno handelte mit guter Berechnung. Er sagte sich, daß diese beiden Männer dem Vater Jaguar mitteilen würden, wieviel sie bezahlt hatten, und dann war anzunehmen, daß keiner von der ganzen Gesellschaft wieder hier einkehren werde. Der Schaden des Wirtes mußte sich dann weit höher belaufen, als die Summe, welche er jetzt wiedergab. Die beiden Deutschen gaben ihm das Versprechen, seiner zu gedenken und ihn auch der vorausgegangenen Gesellschaft bestens zu empfehlen. Dann, als ihre Vorbereitungen alle beendet waren, bestiegen sie die erkauften Maultiere und ritten mit dem Peon, welcher sie in die Berge führen sollte, zum Thore hinaus.

Wer von Osten aus die Anden ersteigt, um westwärts nach Chile oder Peru zu kommen, hat verschiedene Gebirgsstufen zu erklimmen, die sich infolge der Verschiedenheit ihrer Höhe auch durch eine Unähnlichkeit ihres Klimas unterscheiden.

Die erste Stufe besteht aus den Yungas, welche bis 1600 Meter ansteigen. Hier herrscht die ganze Üppigkeit der Tropenregion mit ihren weiten, undurchdringlichen Urwäldern, welche zuweilen von saftigen Grasfluren, die man Pajonales nennt, unterbrochen werden. Die Medio Yungas erreichen als zweite Stufe eine Höhe von durchschnittlich 2900 Meter. Hier herrscht noch das Klima der gemäßigten Zone, und man kommt durch ungeheure Wälder, welche besonders reich an Cinchona-Arten sind. Darauf folgen die Cabezeras de los valles bis 3300 Meter Höhe. Sie sind gegen die Stürme des oberen Gebirges geschützt und infolge dessen auch noch reich an den verschiedensten Vegetationsformen. Bis hierher erstreckt sich der geschlossene Baumwuchs, also der Wald, während auf der nächsten Stufe Bäume nur vereinzelt und zwar nur in besonders geschützter Lage anzutreffen sind. Diese nächste Stufe, welche Puna genannt wird, steigt bis zu 3900 Meter Höhe empor. Man trifft auf derselben außer den vereinzelten Bäumen nur Kräuter und Gräser (Gentiana, Valeriana, Yareta u. s. w.) an, welche den Tieren als Weidefutter dienen. Es herrscht hier eine große Trockenheit, welche nur in der Regenzeit unterbrochen wird. Die nun folgende Stufe wird Puna brava genannt und umfaßt bis zu den höchsten Bergesspitzen alles, was über 3900 Meter liegt. Diese Höhen sind reich an wertvollen Erzen; hier führen die Pässe zwischen den Bergesriesen über das Gebirge. In dieser Region verwandelt sich selbst im hohen Sommer der Regen sehr oft in Schnee und Hagel; im Winter aber herrschen wütende Schneestürme, welche denjenigen Reisenden, die so kühn sind, in dieser Jahreszeit den Übergang über die Anden zu wagen, meist das sichere Verderben bringen.

Da, wo jenseits der argentinischen Grenze auf bolivianischem Gebiete die Puna an die obere Cabezera grenzt, zieht sich ein ziemlich dichter Wald von Cinchona Calisaya-Bäumen an den östlichen Berghängen hinab. Auf den freien Stellen, welche dieser Wald umschließt, befinden sich die Wohnstätten der Mojosindianer. Etwas höher, jenseits der Punagrenze, liegt das Guanacothal, welches eine Abteilung dieser Indianer jetzt zur Jagd aufgesucht hatte. Und noch weiter oben, beinahe in der Puna brava gelegen, breitet auf einem kleinen Hochplateau die Salina del Condor ihre salzigen Wasser aus, höher noch liegt die Mordschlucht. Nahe an ihr führt ein Pfad vorüber, welcher über einen Paß von Chile herüberkommt, hinab zur Salina del Condor steigt und dann über die argentinische Grenze hinab nach Salta leitet. In der Nähe der genannten Grenze vereinigt sich mit diesem Pfade ein zweiter, welcher weiter nördlich her von Peru herüberkommt. Der Ausdruck Pfad ist hier eigentlich falsch angewendet, denn von dem, was wir unter Pfad und Weg oder gar Straße verstehen, ist hier keine Rede. Das Saumtier schreitet über Felsen und Steingetrümmer, durch Thäler und Schluchten, ohne eine Spur, aus welcher ein wirklich ausgetretener Weg entstehen könnte, zu hinterlassen. Nur der erfahrene Jäger oder Führer kennt die Gegend; der unerfahrene Reisende aber verliert sehr leicht die Richtung und kann dann tage- und wochenlang zwischen den Bergen umherirren, ohne den Weg, den Paß zu finden, der ihn zum Ziele bringen sollte. Selbst der Kenner kann, wenn er nicht scharf aufpaßt, die Stelle, an welcher die beiden erwähnten Saumpfade zusammenstoßen, leicht übersehen und infolgedessen den falschen einschlagen.