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Das Vermachtnis des Inka

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Die Gefragten verschmähten es, ihm auf diese Frage eine Antwort zu geben, und so fuhr er fort:

»Wir hängen euch an den Ästen auf, welche da über das Wasser ragen, und machen die Riemen so lang, daß die Krokodile euch mit den Zähnen erreichen können. Auf diese Weise werdet ihr gehängt und gefressen zu gleicher Zeit.«

Die beiden Deutschen überlief ein Schauder, und doch war diese Todesart einem ihrer Feinde nicht schrecklich genug, nämlich Antonio Perillo, dem Stierkämpfer. Dieser stand neben dem Gambusino und sagte:

»Das ist nichts, gar nichts für diese Halunken! Dieser Mensch, welcher vorgibt, ein Deutscher zu sein, ist meiner Kugel entgangen; dann gelang es ihm, aus unsrer Gefangenschaft zu entrinnen. Er hat uns also schon zweimal um das Schauspiel, ihn sterben zu sehen, betrogen, und dafür soff er uns heute entschädigen. Wenn wir ihn wirklich und regelrecht hängen, so ist er in einigen Augenblicken tot. Was nützt es da, wenn ihn dann die Krokodile fressen? Die Kerls müssen viel, viel länger in Todesangst schweben!«

»Was willst du denn da vorschlagen?« fragte der Gambusino.

»Wir hängen sie auf, ja; aber nicht am Halse, sondern unter den Armen, und lassen sie so tief herab, daß sie von den Krokodilen beinahe erreicht werden, nicht ganz, sondern beinahe. Welche Lust, wie sie zappeln werden, wenn die Bestien nach ihnen schnappen!«

»Aber wenn sie dabei noch zu hoch hängen, werden sie doch nicht zerrissen!«

»Einstweilen, einstweilen nur,« lachte der Stierkämpfer. »Erst stehen sie die Angst des Todes aus, und dann, wenn wir ein Ende machen wollen, lassen wir sie an den Riemen tiefer herunter.«

Dieser Vorschlag fand allgemeinen Beifall, und man schickte sich an, die nötigen Vorbereitungen zu treffen.

»Gräßlich!« flüsterte der Doktor seinem Diener zu. »Sind das Menschen? Da wollte ich doch lieber, sie würfen uns den Krokodilen sofort vor!«

»Nein,« antwortete Fritze, »denn da wäre es sogleich um uns jeschehen; so aber jewinnen wir Zeit. Nur Mut, Herr Doktor, nur Mut! Ik bin überzeugt, daß der Vater Jaguar uns nicht im Stiche lassen wird. Jrad diese ausjesuchte Jrausamkeit wird unsre Rettung sind. Darauf können Sie Ihnen verlassen!«

Es war mittlerweile dunkel geworden, und das lodernde Feuer warf flackernde Schatten auf die Büsche und das Geschilf und blutrote Lichter auf die Fläche des sumpfigen Wassers, aus welchem man die Köpfe oder Schnauzen der Krokodile hervorragen sah. Man holte vier Lassos, von denen je zwei fest zusammengebunden wurden. Dann kletterten zwei Indianer auf den Baum, jeder auf einen andern starken Ast, um die Lassos da so anzubringen, daß sie sich in einer Astgabel wie auf einer laufenden Rolle bewegten. Dann kamen sie, die Enden der Lassos festhaltend, wieder herunter.

Hierauf wurden die Gefangenen von den Bäumen, an die man sie gefesselt hatte, losgemacht. Man band ihnen die Hände auf den Rücken und zog ihnen dann das eine, äußere Ende des Lassos unter den Armen durch, um es ihnen auf dem Rücken festzuknebeln. Dann wurden die andern Enden von mehreren kräftigen Männern angezogen und, als die Gefangenen in der Luft schwebten, an dem Stamme des Baumes festgeschlungen.

Da die beiden Äste über das Wasser ragten, so hingen die beiden Gefangenen natürlich auch über demselben. Sie schwangen an den Lassos hin und her, und dadurch wurden die in der Nähe befindlichen Krokodile herbeigelockt, um mit lautem Zusammenschlagen der Kinnladen nach ihnen zu schnappen.

Man hatte, dem Vorschlage des Stierfechters gemäß, die Lassos soweit angezogen, daß die Tiere die Füße der Gefangenen nicht ganz erreichen' konnten; dennoch warfen die letzteren, so oft sich ein Rachen unter ihnen öffnete, die Beine krampfhaft empor, so daß sie nicht still hingen, sondern sich an den Riemen immer in schleudernder Bewegung befanden. Es konnte sich eins der Tiere doch einmal so hoch emporschnellen, daß es mit den Zähnen sein Ziel erreichte. Falls ein Lasso riß, so war der an demselben Hängende verloren; es war ihm gewiß, augenblicklich zerfleischt zu werden.

Die Stimmung, in welcher sich die beiden Deutschen, wenn in einer solchen Lage überhaupt von einer Stimmung die Rede sein kann, befanden, läßt sich natürlich nicht beschreiben. Ob sie still waren oder schrieen, das konnte man nicht sagen, denn die Indianer stießen ein Freudengeheul aus, welches jeden andern Ton oder Laut unhörbar machte, und die Weißen stimmten in dasselbe ein. Wollte dieses Heulen je einmal aufhören, so fing es, wenn ein Krokodil zuschnappte, immer wieder von neuem an. Das währte wohl über eine halbe Stunde lang, bis die Kehlen doch ermüdeten und nun einige verlangten, daß ein Ende gemacht werden solle. Dagegen aber stimmte der Stierfechter, indem er rief:

»Nein, jetzt noch nicht, noch lange nicht! Sie müssen die Todesangst noch stundenlang empfinden.«

»Aber wir haben keine Zeit, uns hierher zu stellen,« warf ein andrer ein. »Wir müssen das Lager bereiten und essen.«

»Wer verlangt denn, daß wir uns hierherstellen? Diese Kerls hängen gut. Thun wir also unsre Arbeit. Wenn wir dann zurückkehren, kann das Theater von neuem beginnen.«

Man stimmte ihm bei. Nachdem noch einmal nachgesehen worden war, ob die Lassos auch wirklich fest am Stamme des Baumes hielten, entfernten sie sich alle, um ihren anderweiten Obliegenheiten einstweilen nachzukommen. Keiner blieb am Wasser. Dieser letztere Umstand war es, dem die so fürchterlich Gequälten ihre Rettung zu verdanken haben sollten.

Fritze hatte sich nämlich nicht geirrt, als er der Meinung gewesen war, den Vater Jaguar gesehen zu haben. Dieser war, wie schon erzählt, mit dem Inka und dem Anciano von dem Arroyo claro fortgeritten, um die nahenden Abipones zu erkundschaften. Sein Weg hatte ihn nach dem Thale des ausgetrockneten Sees geführt. Er war überzeugt, daß der Marsch der Feinde nach diesem Orte gerichtet sein werde. Ritt er ihnen in gerader Richtung entgegen, so begab er sich in die Gefahr, auf dem ebenen und meist offenen Terrain von ihnen gesehen zu werden. Darum wich er von dieser Richtung nach links ab, um den Anzug der Abipones von dieser Seite her zu beobachten. Doktor Morgenstern war mit Fritze dieser abweichenden Spur gefolgt, infolgedessen beide den bereits erwähnten Umweg gemacht hatten.

Der Vater Jaguar war bis über die Grenze, welche das Gebiet der Cambas von demjenigen der Abipones trennte, zurückgekehrt und dann auf einen weiten, baum- und strauchlosen Campo gekommen, auf welchem er glaubte anhalten zu müssen.

»Wir dürfen nicht weiter,« sagte er zu seinen Begleitern. »Wenn meine Berechnung richtig ist, sind wir schon über den Punkt hinaus, an welchem die Abipones sich rechts von uns befinden müssen. Biegen wir jetzt nach dorthin ein, so steht zu erwarten, daß wir hinter sie gelangen und aus ihren Spuren zu ersehen vermögen, mit welcher Anzahl von Gegnern wir es zu thun haben.«

»Sie haben recht, Señor,« stimmte Anciano bei. »Biegen wir rechts ein! Die Gegend paßt sehr gut dazu, da wir hier etwaige Feinde sehen werden, sobald sie am Horizonte auftauchen.«

Man ritt also jetzt nach Süden, nicht allzu schnell, sondern in leichtem Trabe, um Zeit zur scharfen Beobachtung des Horizontes zu haben. Es war wohl zwei Stunden lang weder ein Mensch, noch die Spur von einem solchen zu sehen. Dann aber kamen die drei Reiter an eine ungemein breite Fährte, welche rechtwinklig quer über ihre Richtung lief.

»Das ist jedenfalls, was wir suchen,« sagte der Vaterjaguar, indem er sein Pferd anhielt und aus dem Sattel sprang. »Wollen diese Spur doch einmal genau betrachten.«

Anciano und der Inka folgten seinem Beispiele. Man sah, daß sowohl Reiter als auch Fußgänger hier vorübergekommen waren, aber wieviel es gewesen waren, das konnte höchstens geschätzt, nicht aber genau bestimmt werden, da die hintern die Eindrücke der vordersten ausgetreten hatten.

»Es sind die Abipones,« meinte Anciano. »Sie müssen sich sehr sicher fühlen, da sie so breit marschiert sind und eine so sehr unvorsichtige Fährte zurückgelassen haben. Ihre Zahl kann ich nicht sagen.«

»Und doch möchte ich dieselbe sehr gern wissen,« sagte der Vater Jaguar. »Wenn wir ihnen nachreiten, so finden wir vielleicht einige Zeichen, welche uns als Anhalt dienen können.«

»Um ihnen folgen zu können, müßten wir wissen, wie weit wir sie vor uns haben.«

»Das ist doch nicht schwer zu sagen. Ich sehe am Grase, daß wir sie wenigstens vier Reitstunden vor uns haben. Ihre Schnelligkeit kann die unsrige zwar nicht erreichen, aber wir müssen uns trotzdem sputen, da wir gezwungen sind, vor ihnen im Thale des ausgetrockneten Sees anzukommen.«

Einige Zeit später gelangten die drei an eine Stelle, an welcher die Abipones gelagert hatten. Die Pferde waren seitwärts auf die Weide gelassen worden, und nun konnten die einzelnen Eindrücke besser auseinander gehalten werden. Der junge Inka gab sich Mühe, den Platz zu untersuchen. Der Vater Jaguar wollte ihm Gelegenheit bieten, seinen Scharfsinn zu zeigen, und fragte ihn darum:

»Nun, Hauka, wieviele Feinde werden wir vor uns haben?«

»Vielleicht fünfzig Reiter und fünfzehnmal mehr Männer, welche keine Pferde haben,« antwortete der Jüngling mit großer Bestimmtheit.

»Deine Schätzung hat das Richtige getroffen, nicht zu viel und nicht zu wenig. Um einige Männer oder Pferde kann man sich irren; es kommt nicht darauf an.«

»Was thun wir nun?« fragte Anciano. »Reiten wir noch weiter hinter ihnen her?«

»Nein, denn erstens gibt es keinen Grund dazu, und zweitens würde es eine Unvorsichtigkeit von uns sein. Wir wissen jetzt, woran wir sind; wir haben unsern Zweck erreicht und kehren zu unsern Cambas zurück.«

»Auf welchem Wege?«

»Auf dem wir hierhergekommen sind. Wir halten uns wieder nach Norden und reiten, sobald wir unsre Fährte erreichen, auf derselben zurück.«

Diese Absicht wurde ausgeführt, so daß die drei dann also nördlich von der Linie, und zwar parallel mit derselben, ritten, auf welcher die Abipones marschierten. Stunden vergingen und wieder Stunden. Der Weg hatte fast zwei Tage in Anspruch genommen, denn die drei waren gestern früh ausgeritten, und jetzt war der Mittag längst vorüber.

 

»Wir kommen noch sehr zu rechter Zeit,« sagte Anciano nach einem längeren Schweigen. »Die Feinde erreichen heute das Thal des ausgetrockneten Sees auf keinen Fall.«

»Nein,« stimmte Hammer bei. »Ich vermute, daß sie am Sumpfe der Knochen Nachtlager machen werden, welcher jetzt zwei Stunden südlich von uns liegt.«

»Darüber wird der Señor Doktor keine Freude haben.«

»Warum?«

»Weil sie ihm wahrscheinlich die Knochen nehmen werden, welche er sich später holen will.«

»Die werden sie ihm gern liegen lassen.«

»Nein, denn sie werden Feuer brennen, und da sind Knochen besser als Schilf, welches schnell verlodert.«

»Es fragt sich, ob sie sie finden. Sie werden wegen der Stechfliegen, von denen sie am Wasser geplagt würden, nicht in der Nähe desselben lagern. Aber halt! Was ist denn das? Sehe ich recht?«

Er hielt sein Pferd an und sah überrascht zur Erde nieder. Die drei befanden sich jetzt an der Stelle, an welcher Morgenstern und sein Diener zu der Einsicht gekommen waren, daß sie falsch geritten seien.

»Sonderbar!« antwortete Anciano. »Da sind Reiter hinter uns hergekommen und nach Süden abgebogen!«

»Vom Thale des ausgetrockneten Sees her,« ergänzte der Vater Jaguar.

»Wer mag das sein?«

»Es sind jedenfalls Freunde von uns, da es dort noch keine Abipones geben kann. Sie sind nach dem Sumpfe der Knochen hinüber. Was hat das zu bedeuten? Ich habe doch ganz genaue Weisungen gegeben, wie man sich verhalten soll. Welch eine Unvorsichtigkeit von diesen Cambas! Wenn sie da drüben von den Abipones bemerkt werden, so ändern diese sehr wahrscheinlich ihren Plan, und dann muß der meinige erfolglos sein.«

Haukaropora war der Spur eine kleine Strecke gefolgt. Indem er zurückkehrte, hörte er diese Worte und sagte:

»Es sind keine Cambas, welche diese Unvorsichtigkeit begangen haben.«

»Wie kommst du zu dieser Behauptung? Sollen es Weiße gewesen sein? Meine Kameraden werden es sich niemals einfallen lassen, einen solchen Fehler zu begehen.«

»Señor, es sind außer ihnen noch andre Weiße da. Ich sollte nicht sprechen, weil ich ein Knabe bin, aber wenn mich nicht alles trügt, so ist der kleine, gelehrte Mann mit seinem Diener hier geritten.«

»Doktor Morgenstern? Das wären nur zwei Personen; ich sehe aber die Spuren von fünf Pferden im Grase.«

»Sie haben die Fährte noch nicht genau betrachtet. Wenn Sie das thun, so werden Sie bemerken, daß zwei Reiter drei ledige Pferde neben sich geführt haben.«

Als der Vater Jaguar hierauf aus dem Sattel stieg, überzeugte er sich sehr leicht, daß der junge Inka sich nicht geirrt hatte.

»Zwei Reiter mit drei ledigen Pferden, also wohl mit Packpferden!« sagte er. »Da möchte ich allerdings auch behaupten, daß es nur diese beiden kleinen Kerle sein können, deren Unerfahrenheit und Ungeschick uns immerfort zu schaffen macht. Es ist dem Doktor wirklich zuzutrauen, daß er nicht an die Gefahr, sondern nur an diese alten Knochen denkt!«

»Ist diese unsre Vermutung richtig, so befindet er sich in großer Gefahr,« sagte Anciano. »Es steht sehr zu befürchten, daß die Abipones ihn überraschen werden. Wir müssen hin, um ihm beizustehen.«

Hammers Stirn legte sich in zornige Falten; er bückte sich, strich mit der Hand über das von den Pferden niedergetretene Gras und zürnte dann:

»Es ist so. Diese Menschen sind vor zwei Stunden hier gewesen. Sie werden jetzt drüben angekommen sein, und wenn wir ihnen zu ihrer Rettung folgen, so kann es sehr leicht geschehen, daß wir zu spät kommen und mit den Abipones zusammengeraten.«

»So meinen Sie, daß wir sie ohne Beistand lassen?«

»Nein. Das mag ich denn doch nicht auf mein Gewissen nehmen. Ist es der Doktor, so muß ihm geholfen werden. Und es kann kein andrer sein. Er hat seinen Diener beschwatzt, mit ihm zu kommen, und dieser Fritze ist im stande, aus Liebe zu seinem Herrn die unmöglichsten Albernheiten zu begehen. Sie haben Packpferde mitgenommen, um ihnen die Knochen aufzuladen.«

»So wundert es mich nur, daß Señor Geronimo ihnen erlaubt hat, sich zu entfernen. Er ist doch sonst ein höchst umsichtiger und auch strenger Mann.«

»Der? Es ihnen erlaubt? Würde ihm nie einfallen! Sie haben sich heimlich entfernt, bei Nacht und Nebel, ohne daß es jemand bemerkt hat. Darum sind sie erst vor so kurzem hier gewesen. Es bleibt uns wirklich nichts andres zu thun, als nach dem Sumpfe zu reiten, um zu sehen, ob wir die Gefahr von den Unvorsichtigen abwenden können. Aber höchst vorsichtig müssen wir sein. Wir dürfen nicht gesehen werden.«

Sie stiegen wieder auf und folgten nun der Spur der beiden Missethäter. Es war notwendig, Galopp zu reiten, denn der Sumpf lag zwei Reitstunden entfernt, und gerade so lange hatte man noch bis zum Anbruch der Finsternis Zeit.

Während sie so über die Ebene flogen, hielten sie die Augen scharf nach der Gegend gerichtet, aus welcher die Feinde zu erwarten waren. Es verging eine Stunde und noch eine halbe; der Sumpf konnte nicht mehr weit entfernt sein. Da deutete der Inka, welcher die jüngsten Augen besaß, nach Osten und sagte:

»Dort kommen Reiter. Sie bilden einen großen Punkt; darum sehe ich sie; sie aber bemerken uns noch nicht, da wir nur drei Personen sind.«

»Wir sind gezwungen, einen Bogen zu schlagen, um ihnen aus der Sehweite zu kommen,« riet Hammer. »Wenn wir nun den Sumpf zwischen sie und uns bringen, werden sie uns wahrscheinlich nicht entdecken.«

»Aber Ihre beiden Landsleute, Señor?« fragte Anciano. »Wo finden wir diese?«

»Das ist schwer zu sagen. Wir kennen leider die Stelle des Ufers nicht, an welcher sie sich befinden. Sie kann aber unmöglich entfernt von derjenigen liegen, an welcher der Doktor bei unsrer Ankunft hier zurückblieb, um sich die Knochen zeigen zu lassen.«

Nach einigen Sekunden schon war der Punkt, welchen Haukaropora gesehen hatte und für eine Schar von Reitern hielt, verschwunden. Die drei schlugen einen weiten, nach Westen gerichteten Bogen und verlängerten denselben zu einem Halbkreise, welcher sie wieder östlich führte. Da sahen sie in der Ferne Bäume stehen, dann auch die niedrigeren Sträucher, und hielten nach wenigen Minuten am westlichen Ende des Sumpfes, so, daß dieser sich zwischen ihnen und den heranziehenden Abipones befand.

Sie stiegen ab und banden ihre Pferde an. Der Vater Jaguar nahm sein Fernrohr aus der Tasche und kletterte auf einen Baum, da er von da oben aus weiter sehen konnte. Ja, da hinten kamen sie, die Abipones, voran eine Reiterschar, welche aus lauter Weißen zu bestehen schien, und hinter derselben die Indianer zu Fuße. Hammer suchte mit seinem Rohre das Schilf des Ufers ab, konnte aber niemand entdecken, da Morgenstern und Fritze in gebückter Haltung an ihrem wertvollen Funde arbeiteten.

Die Sonne verschwand hinter dem Horizonte. Der Vater Jaguar freute sich darüber, denn das, was es hier wahrscheinlich zu thun gab, ließ sich bei Nacht viel leichter als am Tage ausführen. Der junge Inka hatte auch einen Baum bestiegen. Er konnte von seinem Sitze aus mehr sehen als Hammer und rief diesem schon nach wenigen Augenblicken zu:

»Fünf Pferde, Señor! Ich sehe sie.«

»Wo?«

»Da drüben an den Bäumen hinter dem Gebüsch. Von Ihrer Stelle aus kann man sie nicht sehen.«

»Da müssen sie doch von den Abipones bemerkt werden?«

»Ja. Die Reiter galoppieren gerade auf sie los. Jetzt steigen sie bei ihnen ab.«

»O wehe! Man wird die Unglücklichen sogleich entdecken.«

Die beiden Lauscher sahen von ihren Standorten oder vielmehr Sitzen aus, daß die abgestiegenen Reiter zu suchen begannen. Ebenso sahen sie, daß die andern Ankömmlinge nicht ganz bis zum Sumpfe marschierten, sondern in gewisser Entfernung von demselben anhielten.

Leider dämmerte es jetzt so rasch, daß die fernere Beobachtung resultatlos blieb. Der Vater Jaguar stieg also, ebenso wie der Inka, vom Baume herab und sagte, unten angekommen:

»Da, wo die fünf Pferde angebunden sind, müssen sich auch die Besitzer derselben befinden. Ich werde mich hinüberschleichen.«

»Das ist gefährlich,« warnte Anciano.

»Ich fürchte die Abipones nicht!«

»Ich meinte nicht diese, sondern die Krokodile, welche im Schilfe versteckt sind.«

»Jetzt ist es noch hell genug, diese Tiere zu sehen. Horch!«

Man hörte laute Stimmen von drüben herüberschallen.

»Die Unvorsichtigen sind erwischt worden,« fuhr Hammer fort. »Ich muß erfahren, was mit ihnen geschieht.«

»So gehe ich mit!« sagte Anciano.

»Und ich auch!« stimmte Hauka ein.

»Einer muß hier bei den Pferden bleiben. Anciano mag mit mir gehen.«

Der Inka wagte es nicht, gegen diese Entscheidung Einspruch zu erheben; die beiden andern entfernten sich, um in geduckter Haltung durch das Schilf zu schleichen. So lange es Sträucher gab, hinter denen sie Deckung fanden, war dies nicht schwer; bald aber waren sie gezwungen, sich niederzulegen. Sie mußten sich dabei in acht nehmen, das Schilf nicht zu bewegen; die scharfen Halme desselben schnitten ihnen in die Hände, was sie jedoch nicht beachteten. Oft mußten sie, um das Terrain gut auszunutzen, durch eine übelriechende Lache kriechen, deren Jauche ihnen bis an die Ellbogen reichte; sie thaten das ohne Zögern, da es sehr wahrscheinlich ein oder gar zwei Menschenleben galt. So kamen sie näher und näher und befanden sich höchstens noch sechzig Schritte von der Stelle entfernt, an welcher Hauka die fünf Pferde angebunden gesehen hatte.

Bis jetzt waren sie so vorsichtig gewesen, die Köpfe nicht über die Spitzen des Schilfes zu erheben; nun aber galt es, den letzten Rest des Tageslichtes zu benutzen. Der Vater Jaguar hatte seinen Hut längst abgenommen und zwischen den Zähnen getragen; jetzt riß er ein Bündel Schilf aus, hielt es wie einen Fächer in die Höhe und erhob dann hinter demselben den Kopf so weit, daß er beobachten konnte, ohne selbst gesehen zu werden.

Da stand der Doktor mit seinem Diener bei den Weißen, welche mit den Abipones gekommen waren, und etwas weiter zurück waren die Roten in verschiedenen Gruppen zu sehen. Fritze hielt sein Gesicht gerade nach der Stelle gerichtet, an welcher sich die beiden Lauscher befanden, während die andern alle in andre Richtung blickten, nämlich auf die beiden Gefangenen. Diesen Umstand benutzte der Vater Jaguar zu einem Wagnisse, welches leicht schlimme Folgen haben konnte, aber, wenn es gelang, den Bedrängten sagte, daß Hilfe in der Nähe sei. Er erhob sich nämlich zu seiner vollen Höhe, aber nur für einen einzigen Augenblick, gab Fritze einen Wink und ließ sich darauf schnell wieder nieder.

»Was wagen Sie, Señor!« flüsterte ihm Anciano zu. »Diese Bewegung kann uns das Leben kosten.«

»Nun nicht, denn man hat sie nicht bemerkt; aber Fritze hat mich gesehen und wird seinem Herrn sagen, daß er hoffen darf.«

»Was werden sie mit den beiden unbedachtsamen Menschen machen?«

»Das werden wir bald sehen, denn es scheint, daß sie Beratung halten. Ziehe Schilf aus dem Boden und stecke es vor dich hin! Dann kannst du bequem beobachten, was geschieht.«

Anciano befolgte diesen Rat. Die beiden sahen, daß der Gambusino auf seine Gefährten einsprach; aber sie konnten die Gesichter schon nicht mehr deutlich erkennen. Dann hörten sie laute, zustimmende Rufe, ohne aber die einzelnen Worte verstehen zu können. Es wurde dunkel, und man brannte unter einem Alisobaum ein Feuer an. Die beiden Gefangenen wurden in die Nähe desselben geschafft. Die Flamme warf ihren Schein auf die Gestalten und auf die Gesichter. Da entfuhr dem Vater Jaguar ein Schrei, den seine Feinde jedenfalls gehört hätten, wenn ihre eigenen Stimmen weniger laut gewesen wären.

»Was ist's? Was gibt's?« fragte Anciano.

Hammer antwortete nicht. Sein Auge war mit einem wie glühenden Blicke auf die Männergruppe gerichtet, welche dort am Feuer stand.

»Warum riefen Sie?« fuhr der Alte fort. »Wenn man Sie gehört hätte! Was haben Sie gesehen?«

Er hörte, daß der Vater Jaguar schwer, fast röchelnd, atmete, und wiederholte seine letzten Worte. Da endlich antwortete der Gefragte:

»Siehst du den langen, starken Menschen, der wie ein Riese unter den andern steht? Er spricht eben jetzt auf die Gefangenen ein.«

»Natürlich sehe ich ihn, denn er ist ja groß genug, Señor.«

»Aber du siehst ihn jetzt wohl zum erstenmal?«

»Nein!«

»Was? Wie? Wirklich?« stieß er schnell hervor. »Du kennst ihn also?«

»Ja. Jeder kennt diesen Mann.«

 

»Wer ist er?«

»Benito Pajaro, den sie den Gambusino nennen.«

»Ah! Oh! Der – der – – der! Alle Welt kennt ihn; jeder hat ihn gesehen! Nur mir allein ist er noch nicht vor die Augen gekommen, obgleich ich ihn jahrelang gesucht, ja förmlich nach ihm geschmachtet habe!«

Er hatte bei diesen Worten seine Stimme so erhoben, daß Anciano schnell einfiel:

»Nicht so laut, Señor, nicht so laut! Sie verraten uns ja! Was ist mit Ihnen? Sie, der vorsichtigste Mann, den ich kenne, bringen uns in eine solche Gefahr! Haben Sie etwas mit dem Gambusino?«

»Ob ich etwas mit ihm habe!«

Er sprach nur diese Worte; sie kamen dumpf zwischen seinen Lippen hervor, und dann hörte der Alte ihn mit den Zähnen knirschen. Darauf blieb er still. Das warum die Zeit, in welcher die Lassos aneinander geknüpft wurden; dann stiegen, wie schon erwähnt, die beiden Indianer auf den Baum. Als Anciano dies sah, fragte er mehr sich selbst als seinen Gefährten: »Was haben sie vor? Wozu schaffen sie die Riemen auf die Äste?«

»Ich vermute es,« antwortete der Vater Jaguar, jetzt wieder in der ruhigen Weise, welche ihm so eigentümlich war.

»Will man die Gefangenen etwa aufhängen?«

»Ja.«

»So können wir sie nicht retten!«

»Vielleicht doch.«

»Dann wäre keine Zeit zu verlieren. Was aber vermögen wir zwei gegen so viele!«

»Wir haben Zeit. Man will die Gefangenen nicht in der gewöhnlichen Weise hängen, nämlich nicht am Halse. Wollte man das thun, so hätte man es bequemer und brauchte nicht die Äste zu wählen, welche über das Wasser ragen. Paß auf!«

Es folgte die schon beschriebene Scene. Als die beiden Gefangenen an den Ästen hingen und die Krokodile herbeigeschossen kamen, langte der Vater Jaguar unwillkürlich nach seinem Rücken, auf welchem er sein Gewehr hängen hatte, zog die Hand aber wieder zurück und flüsterte in hörbar erleichtertem Tone:

»Gott sei Dank! Ich brauche nicht zu schießen. Man will sie einstweilen noch quälen. Man hat sie so hoch gehängt, daß sie von den Bestien nicht gefaßt werden können.«

»Welche Grausamkeit, Señor! Sehen Sie nur, wie die Tiere nach ihnen schnappen! Was raten Sie uns zu thun?«

»Jetzt noch nichts. Wir müssen noch warten.«

»Bis die Armen tot sind?!«

»Wir können unmöglich schon jetzt handeln. Warten wir, was noch geschieht! Die Lage der armen Teufel ist zwar schrecklich, aber keineswegs schon lebensgefährlich. Die um die Brust gelegten Riemen drücken ein wenig; das ist auszuhalten.«

»Ich möchte am liebsten mitten unter die Halunken hineinspringen!«

»Das würde nichts helfen, sondern nur uns mit denen verderben, welche wir retten wollen. Also Geduld!«

Sie machten sich diese Mitteilungen in ziemlich lautem Tone, da die Abipones ein Geheul wie die Teufel erhoben hatten. Dies verstummte nach und nach; eine kleine Weile verging, und dann sahen die beiden, daß die Abipones mit ihren weißen Verbündeten den Platz verließen und sich um die am Baume Hängenden nicht mehr zu kümmern schienen.

»Jetzt hin, Señor!« flüsterte Anciano dem Vater Jaguar zu. »Die Zeit zum Handeln ist da!«

Er wollte auf. Hammer drückte ihn nieder und antwortete in befehlendem Tone:

»Bleib! Willst du alles verderben?«

»Verderben? Es ist ja niemand mehr dort!«

»Siehst du denn, wo unsre Feinde sich befinden?«

»Nein; es ist ja dunkel; aber fort sind sie doch!«

»Vielleicht, ja sogar wahrscheinlich; aber wenn wir uns übereilen, können wir alles verderben. Sie lassen die Gefangenen hängen, um sie so lange wie möglich zu quälen und erst später den Krokodilen zu überlassen. Jetzt werden sie Material zusammentragen, um da draußen, wo sie lagern wollen, Feuer anzuzünden; sie sind also noch in der Nähe. Dann, wenn ihre Feuer brennen, können wir sie sehen, und dann ist die Gefahr für uns nicht so groß wie jetzt.«

»Sie werden Wächter bei dem Baume lassen!«

»Denen geben wir unsre Messer. Gerade ihre Grausamkeit, die Todesqual der Gefangenen zu verlängern, läßt vermuten, daß sie sich ganz sicher fühlen. Wir haben Zeit, das versichere ich dir.«

»Und ich möchte das Gegenteil behaupten, Señor. Sie müssen sich doch sagen, daß da, wo die Gefangenen sind, auch wir uns befinden!«

»Wäre dies der Fall, so hätten sie mit ihnen kurzen Prozeß gemacht. Wer weiß, was dieser Fritze ihnen gesagt hat. Wenn es sich um einen Wunsch seines Herrn handelt, kann er die größte Dummheit begehen; sonst aber ist er ein sehr pfiffiger Bursche, und ich glaube nicht, daß, als sie ihn ausfragten, es ihm eingefallen ist, ihnen die Wahrheit zu sagen.«

jetzt sah man draußen auf der Ebene ein Feuer nach dem andern aufleuchten. Das Lager wurde in ziemlicher Entfernung von dem Sumpfe aufgeschlagen, und der Vater Jaguar sah zu seiner Genugthuung, daß der Baum, an dem die Gefangenen hingen, gegen das Lager hin durch ein Gesträuch gedeckt war, welches die Rettung der mit dem Tode Bedrohten außerordentlich begünstigte.

Noch immer liefen Indianer hin und her, um Schilf und Holz nach den Feuern zu tragen. Dies mußte man vorüberlassen. Noch so lange zu warten, diese Aufgabe ging fast über die Kräfte des alten Anciano. Er gestand:

»Señor, wenn es nicht bald losgeht, so werde ich auch Dummheiten machen! Ich möchte diese Hunde alle erwürgen!«

»Sei still! In mir kocht es noch weit ärger als in dir. Du hast keine Ahnung von dem, was ich seit einer Viertelstunde empfinde. Ich muß mich noch viel mehr zwingen, als du, ruhig zu sein.«

»Aber wir könnten längst fertig sein! Es bedarf nur einiger Sprünge, so sind wir dort, machen die Gefangenen los und laufen mit ihnen in die Nacht hinein. Wer will uns da finden!«

»So! Das würde allerdings die Dummheit sein, von welcher du gesprochen hast! Wie willst du die beiden losmachen?«

»Losschneiden!«

»Kannst du sie mit dem Arme, mit dem Messer erlangen, da sie über dem Wasser, über den Krokodilen hängen?«

»Das ist wahr! Leider nein! Daran dachte ich nicht. Wir müssen auf den Baum, um sie emporzuziehen!«

»Da werden wir gesehen, oder die Äste brechen unter der doppelten Last, und wir stürzen unter die Krokodile, ganz abgesehen davon, daß es selbst für einen starken Mann nicht leicht ist, einen Menschen aus freier Hand so hoch emporzuziehen. Wir müssen sie in ganz andrer Weise losmachen, nämlich mit dem Lasso, und das geht nicht so schnell, wie du denkst. Und dann habe ich einen sehr triftigen Grund, diesen Gambusino nicht wissen zu lassen, daß die Gefangenen befreit worden sind; er soll vielmehr denken, daß sie von den Krokodilen heruntergerissen und verschlungen wurden.«

»Warum, Señor?«

»Davon später, denn ich glaube, daß wir nicht mehr lange zu warten brauchen. Wie ich sehe, wird Fleisch verteilt. Das zieht die Leute an und hält sie jedenfalls so lange von hier fern, bis wir fertig sind.«

Man sah, daß die Abipones sich alle an einem Punkte des Berges versammelten; auch diejenigen, welche noch mit Zutragen des Feuerungsmateriales beschäftigt waren, eilten dorthin. Der Rand des Sumpfes war von Beobachtern frei. Das Feuer, welches unter dem Baume brannte, hatte keine Nahrung erhalten und brannte nicht mehr hell genug, die Umgebung so zu erleuchten, daß sie vom Lager aus deutlich gesehen werden konnte. Der Vater Jaguar sprang auf und rannte auf den Baum zu; der alte Anciano folgte ihm augenblicklich. Die schon erwähnten Büsche standen zwischen ihnen und dem Lager. Nun galt es, schnell, aber auch besonnen zu handeln.

Der Vater Jaguar schlang sich seinen Lasso vom Gürtel, rollte ihn wurffertig zusammen und rief dabei den an dem Baume Hängenden mit gedämpfter Stimme zu:

»Die Hilfe ist da. Macht euch steif und unbeweglich, bis ihr den festen Boden erreicht!«

Er warf den Lasso, und zwar so geschickt, daß dasjenige Ende desselben, welches sich nicht in seiner Hand befand, sich um den Leib des Doktors schlang. Dann gebot er Anciano:

»Binde den Riemen los, an welchem er hängt, und halte ihn aber fest! Du lässest ihn in der Weise über den Ast laufen, in welcher ich den Doktor an meinem Lasso herüberziehe!«