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Das Vermachtnis des Inka

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»Warum bleiben wir nicht im ebenen Lande? Können wir durch den Berg kommen?«

»Ja,« antwortete der Gefragte. »Der Berg ist rund und hohl. Er birgt in seinem Innern ein Thal, welches Valle del Lago desecado genannt wird. Da können wir hindurch, während der Wald aber so dicht ist und die Bäume desselben so durch Schlingpflanzen verbunden sind, daß kein Reiter, geschweige denn eine ganze Schar, hindurch kann. Selbst ein Fußgänger müßte sich den Weg mit dem Beile oder dem Messer bahnen und würde in einem Tage höchstens so weit kommen, daß er diesen Weg in einer Viertelstunde zurücklegen könnte.«

»Kann man den Wald nicht umreiten?«

»Ja; aber er ist nach beiden Seiten so lang, daß wir einen Umweg machen müßten, welcher gewiß einen ganzen Tagesritt beträgt. Durch das Thal aber reiten wir nicht eine halbe Stunde lang, und dann kommen wir noch einmal so lang durch die Breite des Waldes, hinter welchem wieder der Campo beginnt.«

»Und wie weit ist's nachher bis zu deinem Dorfe?«

»Wir werden dort sein, noch ehe es dunkel geworden ist.«

»Wer von hier aus nach dem Dorfe will, muß also, um keinen Umweg zu machen, durch dieses Thal des ausgetrockneten Sees gehen?«

»Ja.«

»Das ist gut, sehr gut!«

»Warum?«

»Davon nachher, wenn ich das Thal gesehen habe. Ich vermute, daß wir die Lage und Beschaffenheit desselben ganz vortrefflich gegen unsre Feinde ausnutzen können.«

Von weitem hatte es geschienen, als ob diese Öffnung eine Art Tunnel sei, denn die zu beiden Seiten derselben stehenden Bäume schickten sich ihre Äste zu und bildeten mit ihren Wipfeln ein geschlossenes Dach über diesem Eingange zum Thale. Aber als man näher kam, war zu sehen, daß man es mit einer Lücke zu thun hatte, welche in einen länglichen Kessel führte, den das Innere des Berges bildete.

Als die Reiter in demselben anlangten, hielt der Vater Jaguar sein Pferd an und schaute sich um. Es war allerdings sehr wahrscheinlich, daß sich hier einst ein See befunden hatte. Es gab noch heute einen kleinen Bach, welcher durch das einstige hintere Ufer kam und einen Weiher speiste, dessen helle Fläche in der Mitte des Thales lag. Die Wasser des Sees hatten das Ufer da, wo die Reiter jetzt hereingekommen waren, durchfressen und sich hinaus in die Ebene ergossen; dann war der Wald, welcher ihn umsäumt hatte, von der Höhe herabgestiegen und bedeckte nun die Seiten des Thales vollständig und so dicht, daß man nur mit Mühe zwischen den Bäumen einzudringen vermochte.

Der Vater Jaguar gebot den andern, zu warten, und umritt das ganze Thal, um den Rand desselben genau in Augenschein zu nehmen. Als er zurückkam, sagte er im Tone der Befriedigung:

»Für uns kann nichts vortrefflicher liegen als dieser Ort. Wir werden hier zu einem leichten Siege kommen.«

»Wieso, Señor?« fragte Lieutenant Verano. »Meinen Sie etwa, daß wir die Feinde hier erwarten sollen?«

»Ja.«

»Das würde die größte Dumm – wollte sagen, der größte Fehler sein, den wir begehen könnten.«

Der Lieutenant mußte zwar anerkennen, daß der Vater Jaguar ein seltener Mensch und Charakter sei, aber es widerstrebte ihm, sich demselben unterzuordnen. Er hielt sich als Offizier als viel höher stehend als diesen Mann; er sagte sich im stillen, daß eigentlich ihm das Kommando gehöre. Er hatte zwar versprochen, sich zu fügen, allein seine gewaltthätige, eigenmächtige Natur kam bei vielen Gelegenheiten, so auch wieder hier, zum Vorscheine.

»Freut mich, daß Sie das Wort nicht ausgesprochen haben, Señor,« sagte Vater Jaguar in ernstem Tone. »Ich bin nicht gewöhnt, mich in dieser Weise kritisieren zu lassen. Ich habe meine Meinung geäußert und bin nicht dagegen, daß Sie uns die Ihrige auch kundgeben. Warum halten Sie das, was ich meine, für einen Fehler?«

»Weil wir hier aufgerieben würden.«

»Wieso?«

»Das fragen Sie? Señor, ich bin allerdings Offizier, was Sie freilich nicht sind. Man kann bei einem Laien nicht militärische Kenntnisse voraussetzen; aber das, wonach Sie fragen, ist eine so einfache und selbstverständliche Sache, daß ich sehr verwundert bin, Sie noch fragen zu hören.«

Vielleicht hatte er die Absicht, mit diesen Worten den Vater Jaguar in der Achtung der andern herabzusetzen; dieser aber antwortete ihm, indem er ein kleines, ironisches Lächeln sehen ließ:

»Ich gestehe Ihnen aufrichtig, daß ich allerdings nicht begreife, wie wir hier aufgerieben werden könnten. Gehören wirklich so bedeutende militärische Kenntnisse dazu, dies zu wissen?«

»Eben ganz und gar nicht. Der gewöhnlichste Mensch muß es einsehen.«

»So habe ich vielleicht den großen Fehler, kein gewöhnlicher Mensch zu sein. Haben Sie also die Güte, meinem mangelhaften Begriffsvermögen zu Hilfe zu kommen!«

Der Lieutenant, welcher die Ironie nicht übersah, meinte in halb zorniger und halb überlegener Weise:

»Wenn wir uns hier im Thale aufstellen, sind wir von den ringsum liegenden Höhen eingeengt und werden, wenn der Feind hereindringt, erliegen müssen.«

»So! Das begreife ich noch immer nicht. Wir müssen erliegen, wenn der Feind hereindringt. Wenn! Merken Sie wohl: Wenn! Kann er denn herein? Der Zugang zum Thale ist, wie Sie sehen, nur so breit, daß ihn höchstens sechs oder sieben Menschen nebeneinander passieren können. Außerdem stehen da Bäume, hinter welche wir uns stecken können, um nicht von den feindlichen Kugeln oder Pfeilen getroffen zu werden. Wenn wir nur fünfzig wackere Kerls da stehen haben, so kann kein Feind herein, und wenn er tausend Mann stark sein sollte. Sehen Sie das nicht ein?«

Der Offizier antwortete nicht. Darum fuhr der Vater Jaguar fort:

»Sie sagen, wir seien von den Höhen eingeengt. Diese Höhen treten wohl auseinander, wenn der Feind hereinkommt? Oder ist es nicht so, daß er ebenso eingeengt sein würde wie wir? Dazu käme, daß stets derjenige im Vorteile ist, welcher den Posten zuerst besetzt hat. Sind Sie noch immer der Meinung, daß man Taktik und Strategie studiert haben muß?«

Verano zuckte nur die Achsel, da er doch nicht zugeben wollte, daß er unrecht gehabt hatte.

»Übrigens,« fügte der Vaterjaguar hinzu, »ist es gar nicht meine Absicht, dem Feinde den Eintritt in dieses Thal streitig zu machen. Ich will es vielmehr haben, daß er hereinkommt.«

»Aber warum denn nur!« fuhr der Offizier ungeduldig auf. »Das würde doch heißen, uns ihm in die Hände zu liefern.«

»Nein, sondern ihn in die unsrigen. Jetzt scheinen Sie es zu sein, welcher der Laie ist. Haben Sie wohl eine Ahnung, wann die Abipones ungefähr in dieser Gegend eintreffen werden?«

»Das kann niemand wissen.«

»Warum nicht? Es ist leicht zu erraten. Die Weißen, mit denen wir schon zusammengetroffen sind, haben Soldaten nach dem Palmensee bestellt. Sie werden nicht viel früher und nicht viel später dort eintreffen als diese. Das liegt in der Natur der Sache. Sie sind, um ihre Spur für uns unsichtbar zu machen, über den Rio Salado zurückgegangen. Diese Absicht zu erreichen, brauchen sie zwei Tage. Wenn sie dann ebenso rasch reiten, wie wir geritten sind, haben wir zwei Tage Vorsprung. Nehmen wir an, daß sie einen Tag brauchen, um sich auszuruhen, die mobilen Indianer zu sammeln und Beratung zu halten, so ergibt sich noch ein dritter Tag. Wir haben drei Tage bis hierher gebraucht, weil wir gut beritten sind und Pferde im Überflusse haben. Den Abipones aber fehlen die Pferde. Ihre Mannschaften werden aus Kavallerie und Fußtruppen bestehen; darum brauchen sie wenigstens vier Tage bis hierher. Wir haben also den Feind frühestens in vier Tagen, von heute an gerechnet, zu erwarten. Das ist Zeit genug, um unsre Vorbereitungen in einer Weise zu treffen, welche uns den Kampf erleichtert und den Sieg sichert.«

»Aber es ist keine Erleichterung des Kampfes und keine Sicherung des Sieges, sondern das gerade Gegenteil, wenn wir den Feind hier zu uns hereinlassen!«

»Aber, Señor, sehen Sie denn nicht ein, daß dies eine Falle sein soll?«

»Eine Falle?« fragte Verano erstaunt. »Dann wird es eine, in welcher wir uns selbst fangen.«

Der Vater Jaguar wollte antworten, da aber fiel ihm der Doktor Morgenstern in die Rede:

»Nehmen Sie es mir nicht übel, Señor Verano! Sie sind Offizier und begreifen dennoch nicht, was der Vater Jaguar meint? Das könnte scheinen, als ob Sie im Begriffe ständen, sich der Absicht zuzuneigen, diejenige Thätigkeit Ihres Geistes, welche man berechtigt ist, das Denken zu nennen, etwas weniger anzustrengen, als es nach den gegenwärtigen Verhältnissen als geboten erscheint. Die Falle oder der Fallstrick, um den es sich handelt, lateinisch Lagneus genannt, ist sehr leicht zu begreifen.«

»So! Begreifen Sie ihn etwa?« fragte der Offizier zornig.

»Allerdings.«

»So haben Sie doch die Güte, ihn mir zu erklären.«

»Sehr gern, Señor. Ich setze den Fall, wir verstecken uns da rundum im Walde, hinter den Bäumen, lassen den Feind herein und besetzen dann den Ein- und Ausgang des Thales, so befindet er sich in unsrer Mitte und ist verloren, da er uns, die wir geschützt stehen, nicht anzugreifen vermag, während er, der keine Deckung hat, allen unsern Kugeln ausgesetzt ist. Ich hoffe, das ist Ihnen nun deutlich, lateinisch perspicuus, geworden.«

Der Lieutenant war wütend. Daß der kleine, deutsche, lächerliche Kerl es wagte, ihn zu belehren, das war viel schlimmer als alles Vorhergehende. Er rief entrüstet aus:

»Was reden Sie zu mir? Habe ich Sie um Rat gefragt?«

»Allerdings. Sie haben mich aufgefordert, es Ihnen zu erklären.«

»Das habe ich ganz anders gemeint. Bleiben Sie mir in Zukunft mit Ihren Erklärungen vom Leibe. Ich weiß genau, was ich zu thun habe!«

»Nein, das scheinen Sie nicht zu wissen,« nahm der Vater Jaguar jetzt wieder das Wort. »Ich habe keine Lust, mich mit jemand zu streiten, und da es nicht notwendig ist, uns über den Gegenstand unsres Gespräches gleich jetzt weiter und erschöpfend zu äußern, so schlage ich vor, weiterzureiten. Wir haben vor allen Dingen danach zu trachten, noch vor Einbruch der Nacht unser Ziel, den ›klaren Bach‹, zu erreichen.«

 

Diesen Worten zufolge wurde aufgebrochen. Der Lieutenant hielt sich schmollend hinterher. Es ärgerte ihn gewaltig, daß er, der Beauftragte des Generals Mitre, eine solche Schlappe erlitten hatte.

Der Berg, welcher, von vorn gesehen, die Gestalt eines Kegels zu haben geschienen hatte, besaß nach rückwärts eine längere Ausdehnung. Er hatte die Form eines Komma, dessen in einen langen Schwanz auslaufender Teil von dem schon erwähnten Bache durchflossen wurde. Dieser Bach entsprang auf der höchsten Stelle. Dann senkte sich das Terrain wieder abwärts und ging endlich in die Ebene über.

Man hatte bisher zu beiden Seiten immer Wald gehabt, welcher auch jetzt noch nicht aufhörte, sondern sich weit in die Ebene hinein erstreckte. Er stand aber nicht mehr so dicht wie vorher, so daß man zwischen den Bäumen hindurchreiten konnte, während vorher die Ufer des Baches den Weg gebildet hatten. Das dann folgende Feld war grasig. Hier konnten die Pferde mehr ausgreifen als bisher, und so flogen sie jetzt im Galopp über den Campo hin.

War dem kleinen Gelehrten früher das Reiten schwer geworden, so hatte er sich jetzt ganz hübsch eingerichtet und saß sehr fest im Sattel. Er ritt neben Fritze Kiesewetter, seinem treuen Diener, welcher sich wo möglich stets an seiner Seite hielt.

»Wie steht es mit dem Anzuge?« fragte er ihn. »Er ist jedenfalls noch naß, und du kannst dir leicht eine Erkältung zuziehen.«

»Dat ist nicht!« antwortete Fritze. »Es ist allens schon vollständig trocken, und von eine Verkältung kann keine Rede sind. Als Sie den Lieutenant so schön trocken stellten, ist das Habit vor Freude auch gleich mit trocken jeworden.«

»Aber ich hatte doch recht!«

»Natürlich! Der Mensch scheint von seinem Fache oft und manchmal nichts zu verstehen!«

»Aber er wird nun zornig auf mich sein!«

»Dat ist er allerdings; ik habe es jesehen, aber wir machen uns nichts draus. Jroße Jeister, die sich nur mit Riesentieren abjeben, bekümmern sich nicht um so kleine Menschen.«

Der Doktor blickte nachdenklich vor sich nieder und sagte dann:

»Fritze, ich werde doch wohl einen Fehler gemacht haben!«

»Mit dem Lieutenant?«

»Nein, sondern mit dem Riesentiere, mit den Knochen, welche wir da hinten an dem Sumpfe gefunden haben.«

»Wieso?«

»Ich hätte sie nicht liegen lassen, sondern mitnehmen sollen.«

»Warum?«

»Weil sie mir in Verlust geraten werden. Du hast gehört, daß die Abipones hinter uns herkommen. Sie halten jedenfalls auch an dem Sumpfe an, und dann ist's jedenfalls um die schönen Knochen geschehen.«

»Dat ist mich unwahrscheinlich. Wat wollen die Abipones mit die Knochen machen?«

»Diese nicht, aber die Weißen, welche bei ihnen sind.«

»Hm! Meinen Sie?«

»Ja. Die Soldaten wissen, daß solche Knochen für die Wissenschaft einen großen Wert besitzen, und werden sie mitnehmen.«

»Nein, dat werden sie nicht; da kann ik Ihnen trösten. Selbst wenn sie die Absicht hätten, sie mitzunehmen, würden sie sie doch einstweilen liejen lassen, um sie dann erst auf dem Rückwege aufzuklauben.«

»Das ist ganz dasselbe.«

»Nein, denn wir besiegen ihnen ja!«

»Ob sie als Sieger oder als Besiegte zurückkehren, das ist gleich; sie werden sie mitnehmen. Ich bin überzeugt davon.«

»Wenn Sie so sagen, dann muß ik Ihnen allerdings recht jeben. Aber es ist nicht zu ändern.«

»O doch.«

»Wie?«

»Wenn wir beide zurückritten, um die Knochen zu holen.«

»Dat jeht nicht.«

»Warum?«

»Weil wir den Feinden in die Hände fallen würden.«

»Gewiß nicht! Der Vater Jaguar sagte ja, daß sie nicht eher als in vier Tagen hier sein würden. So lange hätten wir also Zeit.«

»Jut; aber es jeht doch nicht, denn der Vater Jaguar würde es nicht erlauben.«

»Das ist gar nicht nötig. Ich werde mich hüten, ihn um die Erlaubnis zu fragen.«

»Also nicht? ja, dat wäre eine andre Sache.«

»Fritze, würdest du mitreiten?«

»Hm! Es kommt mich doch ein wenig unheimlich vor.«

»Ich denke, du bist mir treu!«

»Herr, treu bin ik; darauf können Sie Ihnen verlassen!«

»Aber keinen Mut hast du?«

»Keinen Mut? Wat? lk als Stralauer Kind am Rummelsburger See soll keinen Mut haben? Dat hat noch kein Mensch mich zu sagen jewagt!«

»Warum ist es dir da mit einemmal so unheimlich geworden?«

»Nicht aus Furcht, sondern von wejen des bösen Jewissens. Es kommt mich wie ein Unrecht vor, so etwas zu unternehmen, ohne vorher den Vater Jaguar zu fragen.«

»Sind wir an ihn gebunden? Ist er unser Vorgesetzter?«

»Nein. Aber unter die jejenwärtige Verhältnisse halte ik es für sehr richtig, nichts ohne sein Vorwissen zu unternehmen.«

»Auch wenn ich darum bitte?«

»Bitte? Herr Doktor, wenn Sie mich befehlen, so jehorche ich; wenn Sie mir aber bitten, so muß ik Ihnen erst recht den Willen thun. Es würde mich jeradezu unmöglich sein, Ihnen eine Bitte abzuschlagen.«

»So ist's recht! Das nenne ich Treue, lateinisch Fidelitas geheißen! Also ich kann mich auf dich verlassen?«

»Ja. lk jehöre zu Sie und weiche nicht von Ihre Seite. Aber ist's denn wirklich jewiß, daß Sie zurück wollen?«

»Noch nicht ganz. Ich muß erst abwarten, ob die Verhältnisse meinem Vorhaben günstig sind.«

»So sagen Sie mich wenigstens, wie wir die Knochens fortbringen wollen?«

»Wie soll ich das wissen? Ich möchte mich da auf deinen Scharfsinn verlassen.«

»Ja, wenn mein Scharfsinn ein Roll- oder Frachtwagen wäre, so könnten wir sie darauf verladen. Hier jibt's überhaupt keine Wagens. Man kann sich höchstens der Lastpferde bedienen.«

»Und da haben wir leider keine!«

»Nicht? Wat, wir hätten keine? Haben wir nicht über achtzig Pferde erbeutet?«

»Aber die gehören uns doch nicht!«

»Nicht? Wer hat dat behauptet? Wir waren dabei, als sie erbeutet worden sind. Sie sind eijentlich Jemeingut und müssen verteilt werden. Da kämen wenigstens vier Stück auf uns beide. Ik mache mich jar kein Jewissen, einige Pferde wegzunehmen. Dat ist kein Diebstahl, denn wir bringen sie doch wieder. Und Packsattels sind auch vorhanden. Wir haben also allens, wat wir brauchen.«

»Und würdest du den richtigen Weg finden, damit wir uns nicht etwa verirren?«

»Glauben Sie nicht, daß ich mir verirren würde. Wo ik einmal jewesen bin, da bin ik zu Hause wie in meine Tasche. Dat ist der jeringste Kummer, den Sie Ihnen zu machen brauchen, Wenn ik ein Bedenken habe, so ist's ein janz andres.«

»Welches?«

»Von wejen die Krokodilers. Wenn es sich um Knochen handelt, so jehen Sie zu forsch ins Zeug, und da können Sie leicht wieder an sonne Bestie jeraten, ohne daß ik Ihnen dann so schnell helfen kann.«

»Ich nehme mich in acht. Ich verspreche es dir.«

»Jut! Dann ist die Sache abjemacht. Sagen Sie es mir nur, wenn es losjehen soll! lk bin dabei.«

Während dieses Gespräches war man eine tüchtige Strecke weiter gekommen. Der Campo wurde zuweilen von kleinen Wäldchen unterbrochen, denen man es ansah, daß sie von Menschenhänden angelegt worden seien. In der Ferne bemerkte man Ackerland, hinter dem einzelne Hütten erschienen. Man ritt zwischen kleineren Ansiedelungen der Cambas hindurch. Gegen Abend kam man dann durch einen lichten Wald, welcher nicht sehr groß war. Als man ihn zurückgelegt hatte, sah man eine Lagune glänzen, an welcher mehrere langgestreckte Reihen von Hütten lagen. Sie waren zu beiden Seiten eines Baches erbaut, welcher aus dem Walde kam. Dieser Bach war der Arroyo claro, und man befand sich dem Ziele, dem Hauptdorfe der Cambas gegenüber.

Auf der Lagune bewegten sich einige Boote, deren Insassen mit Fischen beschäftigt waren. Hinter den Hütten sah man Gärten und Felder, in denen Frauen, Männer und auch Kinder arbeiteten. Vor den Hütten saßen oder standen andre, welche ihre Arbeit gethan hatten. Dieses friedliche Bild aber veränderte sich sofort, als das erste Auge die Ankömmlinge erblickte. Kaum war dies geschehen, so stieß der Betreffende einen schrillen Ruf aus, welcher von Mund zu Mund ging, und von allen wiederholt wurde. Die Fischer schossen mit ihren Booten an das Ufer. Die auf den Feldern und in den Gärten Beschäftigten flogen nach dem Dorfe, wo alle in den Hütten verschwanden, um nach wenigen Augenblicken bewaffnet wieder zu erscheinen.

Da stieß der Häuptling einen ähnlichen Ruf aus. Sie kannten denselben und wußten nun, wer der Ankömmling war, noch ehe sie seine Züge deutlich erkennen konnten. Sie jubelten laut und kamen, ihre Waffen schwingend, dem Zuge entgegengesprungen und entgegengetanzt, um die Gäste zu begrüßen.

Diese mußten, der dortigen Sitte gehorchend, anhalten, um die Ceremonie des Bewillkommnens über sich ergehen zu lassen. Diese konnte nicht sofort beginnen, denn es waren noch nicht alle Bewohner des Dorfes versammelt. Viele derselben befanden sich im Walde und mußten herbeigerufen werden. Dies geschah mit Hilfe eines Signalinstrumentes, das aus einem starken Bambusstücke bestand, in welches als Mundstück ein dünnerer hohler Zweig befestigt war. Der Mann, der in dieses Instrument blies, brachte einen grauenhaften, dumpfen Ton hervor, der aber in große Ferne zu dringen schien, denn man hörte viele Schreie, welche die Antwort bildeten, in einer Weise erschallen, der man es anhörte, daß sich die Betreffenden nicht in der Nähe befanden. Bald sah man sie aus dem Walde kommen, einzeln oder in kleinen Gruppen. Sie liefen so schnell wie nur möglich, woraus zu schließen war, daß dieses Signal nur dann gegeben wurde, wenn große Eile nötig erschien.

Nach einiger Zeit waren wohl an dreihundert Männer versammelt, welche vor den Ankömmlingen eine Doppelreihe bildeten. Hinter dieser stellten sich die Frauen auf, während die Kinder im Hintergrunde die Zuschauer bildeten.

Nun begann zunächst ein Tanz der Männer, welcher in Bewegungen der Hände und Köpfe bestand, ohne daß die Füße sich von der Stelle bewegten. Der zweite Teil bestand in einem Vor- und Rückwärtsschreiten, an welchem sich auch die Frauen beteiligten. Im dritten Teile wurden die Lanzen, Blasrohre und Messer geschwungen, wozu die Frauen ein unbeschreibliches Geschrei in der Fistellage anstimmten. Dann schien der Tanz zu Ende zu sein. Da aber deutete der Häuptling auf Hammer und rief nur den einen Namen: »Der Vater Jaguar!« laut aus. Einen kurzen Augenblick war alles still, jedenfalls vor Überraschung, diesen berühmten Mann hier zu haben. Dann aber brach ein Jubilieren los, daß man sich hätte die Ohren verstopfen mögen. Die Männer und Frauen sprangen wie besessen hin und her, und die Kinder folgten diesem Beispiele. Viele kamen herbei, um dem Genannten die Hand zu geben, oder ihn auch nur zu betasten. Er war noch nie hier am »klaren Bache« gewesen, doch wußte man recht wohl, daß er andern Cambasstämmen gegen die Abipones siegreich beigestanden hatte. Als die Aufregung vorüber war, ordneten sich die Indianer, um mit ihren Gästen im Dorfe einzuziehen. Die Männer gingen zu dreien voran; dann kamen die Kinder, und darauf folgten die Ankömmlinge. Der Häuptling hatte sich an die Spitze gestellt.

Das Dorf bestand aus vielleicht achtzig Hütten, welche durchweg aus gestampfter Erde bestanden und mit Schilfdächern versehen waren. In den Gärten gab es Blumen, und auf den Feldern wuchsen neben Getreide allerlei Gemüse, von denen sich diese Leute, welche wenig Fleisch essen, meist ernähren. Hinter den Feldern gab es bis nach dem Walde hin einen ziemlich großen Plan, auf welchem Rinder und Pferde weideten. Von den ersteren konnte man vielleicht sechzig Stück, von den letzteren kaum dreißig, den ganzen Reichtum des Dorfes, zählen.

Man stieg von den Pferden. Dann hielt der Häuptling eine Rede, in welcher er seinen Untergebenen erzählte, was er erlebt hatte und daß die feindlichen Abipones im Anzuge seien. Als er geendet hatte, erhob der Vater Jaguar seine Stimme, um zu sagen, daß er beabsichtige, die mitgebrachten Pferde und Gewehre als Geschenke unter sie zu verteilen. Natürlich rief das einen allgemeinen Jubel hervor. Der Lieutenant Verano machte dann zwar eine Bemerkung darüber, daß niemand ein Recht besitze, die erbeuteten Pferde, an denen er eigentlich auch einen Anteil habe, oder gar die Gewehre zu verteilen; Hammer achtete aber gar nicht darauf.

jetzt begann es dunkel zu werden. Man entlastete die Pferde, ließ sie im »klaren Bache« trinken und trieb sie dann nach dem Weideplane, wo sie sich erholen sollten. Von dort brachte man einige Rinder mit, welche den Gästen zu Ehren geschlachtet und verschmaust werden sollten. Feuer wurden angezündet, und beim Scheine derselben entwickelte sich ein eigenartiges Leben, welches selbst denen, die dergleichen schon oft erlebt hatten, von großem Interesse war.

 

Die Cambas schienen zunächst gar nicht an die Gefahr, welche ihnen von den Abipones drohte, zu denken. Sie hatten gehört, daß dieselben noch fern waren, und wußten den Vater Jaguar bei sich. Die Anwesenheit dieses Mannes ließ keine Sorge bei ihnen aufkommen.

Das Fleisch wurde ganz wie bei den Gauchos bereitet und verzehrt. Man trank dazu ein gegorenes Getränk, welches aus den Früchten des Chafiar bereitet wird. Dazu genoß man Kuchen, welchen die Frauen aus Mais- und anderm Mehl in der heißen Asche buken.

Nach diesem Essen wurde eine Beratung gehalten, an welcher alle Weißen und auch der Häuptling teilnahmen. Wohl nur den Lieutenant Verano ausgenommen, hielten alle es für ganz selbstverständlich, daß dem Vater Jaguar die erste Stimme und auch die Entscheidung zustehe. Er wurde aufgefordert und gab seinen Plan bekannt.

Morgen früh sollten die Gewehre verteilt und die Cambas im Gebrauche derselben unterwiesen werden. Zur geeigneten Zeit sollte man nach dem Thale des ausgetrockneten Sees ziehen, hundert Cambas sollten durch den Eingang desselben marschieren, um sich dann seitwärts im Walde zu verstecken. Diese Leute mußten natürlich die Abipones kommen sehen; sie hatten zu warten, bis diese vorüber und im Thale verschwunden sein würden. Dann sollten sie aus ihrem Verstecke hervorkommen und den Eingang besetzen, damit die Abipones nicht zurück könnten.

Die andern Cambas sollten sich im Thale selbst verstecken, und zwar hinter den Bäumen, um im gegebenen Augenblicke aus dieser sichern Deckung heraus den Kampf zu beginnen. Die Einzelnheiten konnten natürlich nicht genau vorherbestimmt werden. Darum sollten die Cambas so nahe beieinander stehen, daß der eine dem andern die von dem Vaterjaguar ausgehenden Befehle leise zurufen könne. Nach diesen sollte dann ganz genau gehandelt werden.

Alle waren mit diesem Plane einverstanden, nur der Lieutenant nicht. Er hatte geschwiegen, bis alle ihre Zustimmung erteilten; dann aber sagte er, gegen den Vater Jaguar gewendet:

»Ihr Plan, Señor, ist ganz gut, nämlich wenn er gelingt. Nur zweifle ich, daß dies der Fall sein wird.«

»Das muß abgewartet werden,« antwortete Hammer in gleichmütigem Tone.

»Warum abwarten! Die Force eines tüchtigen Soldaten besteht im Angriffe, nicht aber im Zaudern. Der Angreifer ist stets im Vorteile, was Sie aber nicht zu wissen scheinen.«

»Ich weiß es wenigstens ebenso gut wie Sie, Señor!«

»Nun, warum wollen Sie denn da nicht angreifen?«

»Ich will es ja; aber freilich erst dann, wenn ich den Feind in der Falle habe.«

»Das ist falsch. Sie dürfen ihn gar nicht so weit heranlassen. Sie müssen ihm entgegengehen, um ihn zu schlagen, wo Sie ihn treffen. Oder getrauen Sie sich das nicht? Dann brauchen Sie nur mir die Führung zu übergeben; ich weiß, wie man solche Siege erkämpft.«

»Mit Blut natürlich, mit sehr viel Blut! Das kann ich auch, Señor, den Abipones entgegengehen und sie schlagen.«

»Auch wenn sie Ihnen an Zahl überlegen sind?«

»Auch dann. Aber es würden ihrer viele untergehen, und auch auf unserer Seite würde viel Blut fließen, und das ist es, was ich vermeiden will.«

»Was! Sie wollen sie schonen?«

»Ja, sie und uns.«

»Das ist falsch, grundfalsch. Das kann ich nicht zugeben; dagegen protestiere ich. Diese Hunde müssen niedergeworfen werden, vom ersten bis zum letzten. Es dürfen ihrer so wenig wie möglich entkommen!«

»Warum, Señor?«

»Das fragen Sie noch? Sind sie nicht gegen uns? Bestehlen sie uns nicht?«

»Was thun denn Sie? Gehört Ihnen ein Fußbreit von dem Lande, in welchem Sie sich befinden? Haben Sie oder Ihre Vorfahren den Indianern ehrlich bezahlt, was Sie ihnen genommen haben? Doch, streiten wir uns nicht darüber! Wollte ich auch die Abipones nicht schonen, so würden bei einem Kampfe, wie Sie ihn wollen, viele von uns zu Grunde gehen. Wenn es aber so kommt, wie ich es wünsche, so fließt kein Tropfen Blutes.«

»Nur auf unsrer Seite natürlich!«

»Wie wäre das möglich? Ein einziger Blick oder auch nur eine kurze Überlegung wird den Feinden sagen, daß sie verloren sind, falls sie zur Gegenwehr greifen. Ich werde zu ihnen sprechen und ihnen menschliche Bedingungen stellen.

Daraufhin werden wir einen ehrlichen Frieden mit ihnen schließen.«

»Einen Frieden? Sie sind des Teufels, geradezu des Teufels, Señor! Es darf kein Friede geschlossen werden. Man muß diese Kerls niederschießen. Je mehr von ihnen zu Grunde gehen, desto besser ist es für uns.«

»Ich weiß allerdings, daß dies Ihre Meinung ist; ich aber denke anders. Sie machen es gerade so, wie diejenigen es machen, mit denen wir es zu thun haben, nämlich Antonio Perillo und Konsorten. Es ist entsetzlich, den Roten auf den Roten zu hetzen, um dabei im Trüben fischen zu können. Solange ich da bin, wird dies verhütet werden.«

»Werden Sie es verantworten können?«

»Ich möchte den sehen, der es unternehmen wollte, mich darüber zur Verantwortung zu ziehen.«

»Der General, der Präsident!«

»Pah! Wir befinden uns nicht in Buenos Ayres, sondern im Gran Chaco. Die Stelle, an welcher Sie sitzen, gehört dem Volke der Cambas; da hat der Präsident nichts zu sagen. Übrigens können die Cambas aus Ihren Worten ersehen, was sie von den Weißen zu erwarten haben.«

»Sie mögen Frieden halten, dann geschieht ihnen nichts.«

»Wer kann solchen Freunden gegenüber Frieden halten! Ihr wißt es schon so einzurichten, daß es möglichst bald zum Bruche kommt.«

»Sprechen wir nicht darüber. Sagen Sie mir lieber, ob es wirklich Ihr Ernst ist, die Roten zu schonen.«

»Es ist mein vollster Ernst. Warum sollte ich scherzen?«

»Nun, so mögen Sie wissen, daß ich mich dagegen sträuben werde.«

»Versuchen Sie es.«

»Ich werde es nicht nur versuchen, sondern wirklich thun.«

»Das heißt, Sie werden unter Umständen gegen meinen Willen, gegen meine Anordnungen handeln?«

»Ja. Ich kenne hier keinen, dessen Anordnungen ich zu befolgen habe.«

»So vergessen Sie, daß Sie durch uns von dem schmählichen Tode des Ersäufens errettet worden sind, und ich will Ihnen folgendes sagen. Hören Sie wohl darauf! Was ich verspreche oder drohe, das führe ich auch aus. Wenn durch Sie ein einziger Tropfen Blutes gegen meinen Willen vergossen wird, gebe ich Ihnen eine Kugel in den Kopf.«

»Sie sprechen wie toll, Señor!« fuhr der Offizier auf. »Wissen Sie, wer und was ich bin?«

»Ein einfacher Lieutenant sind Sie, weiter nichts, und nebenbei ein gewaltthätiger und blutdürstiger Mensch. Ich aber bin der Vater Jaguar, dem ein braver Indianer mehr gilt als ein gewissenloser Weißer. Was ich gesagt habe, das gilt. Wollen Sie partout Blut sehen, nun, so wird das Ihrige fließen; das schwöre ich Ihnen zu!«

Er stand von seinem Platze auf und entfernte sich, um den Zorn zu bekämpfen, welcher ihn ergriffen hatte. Der Lieutenant stieß hinter ihm her noch einige großsprecherische Worte aus; da aber zog Geronimo, der Liebling des Anführers, sein Messer und sagte zu ihm:

»Señor, schweigen Sie! Höre ich noch ein einziges unehrerbietiges Wort gegen unsern Freund, so stoße ich Ihnen diese Klinge in den Leib, daß Ihnen das Reden sofort vergeht! Wenn Sie etwa stolz darauf sind, daß Sie sich Lieutenant nennen dürfen, so gehen Sie in das Vaterland des Vater Jaguar, und lernen Sie dort erkennen, daß allerdings ein dortiger Lieutenant zehnmal mehr wert ist, als bei Ihnen ein General! Mit Ihrer Charge imponieren Sie ihm nicht!«

Damit hatte die Beratung ein ganz andres Ende gefunden, als man hatte vermuten können.

Hammer war zwischen zwei Hütten hindurch und an mehreren Gärtchen entlang gegangen. Er machte diesen Spaziergang nur, um sich zu beruhigen. Der Neumond war seit einigen Tagen vorüber, und am Horizonte stand die dünne Mondsichel, um ein halbes, ungewisses Licht über den Weideplatz zu werfen, den der Vater Jaguar nun erreicht hatte. Er sah die Pferde und die Rinder, und da fiel ihm die Stellung auf, welche diese Tiere einnahmen. Die Pferde standen in Gruppen zusammen, und zwar mit den Hinterbeinen nach außen. Die Rinder bildeten ihre Kreise in der entgegengesetzten Weise, nämlich mit den Köpfen nach außen. Dies erklärt sich dadurch, daß die ersteren sich mit den Hinterhufen, die letzteren aber mit den Hörnern verteidigen. Es mußte ein Raubtier in der Nähe sein und zwar ein größeres. Da er kein Gewehr bei sich hatte, so rief er mit lauter Stimme in das Dorf zurück: