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Am Rio de la Plata

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Erst räusperte er sich einigemale vergeblich. Dann hustete er, laut und lauter. Erst als das gar zu auffällig wurde, erhob der General den Kopf von der Karte und musterte mich mit finsterm Blicke.

»Ist das der Deutsche?« fragte er den Major.

»Er ist es,« antwortete dieser.

»Gut! Sie bleiben natürlich hier, um den Mann dann wieder abzuführen.«

Der Offizier zog eine Cigarette aus dem Päckchen, welches neben der Karte auf dem Tische lag, steckte sie in Brand, legte bequem das eine Bein über das andre, warf mir noch einen ebenso drohenden wie geringschätzenden Blick zu und fragte mich dann:

»Du bist in Deutschland geboren?«

Der Major stand hinter mir. Ich trat zur Seite und sah ihn an, als ob ich der Ansicht sei, daß die Frage ihm gegolten habe.

»Ob du in Deutschland geboren bist, oder ob du von deutschen Eltern stammst, frage ich dich!« fuhr mich der General an.

Dennoch warf ich dem Major einen Blick zu, als ob ich ihm sagen wolle, daß er doch antworten solle.

»Dich frage ich, dich!« schrie der General, indem er aufsprang und auf mich zutrat.

»Mich?« fragte ich im Tone des Erstaunens.

»Ja, dich! Und nun antworte, sonst lasse ich dir den Mund öffnen!«

»Ich glaubte wirklich, die Frage sei an Sennor Cadera gerichtet, und freute mich herzlich über das familiäre Verhältnis, welches zwischen einem argentinischen Generale und seinen Untergebenen stattfindet.«

»Mensch! Weißt du, bei wem du dich befindest?«

»Natürlich, bei dir!«

Er fuhr zurück; die beiden Offiziere am andern Tische sprangen auf, und der Major ergriff mich drohend beim Arme.

»Chispas!« rief der General. »Hat man schon einmal so etwas gehört? Dieser Halunke duzt mich!«

»Das ist noch lange nicht so unglaublich, als daß ein General einen Halunken duzt!« antwortete ich.

Die beiden Offiziere griffen an ihre Säbel. Der Major schüttelte mich, griff nach der Thürklinke und fragte:

»Soll ich den Profoß rufen, Sennor General?«

Dieser winkte ab. Er kehrte zu seinem Stuhle zurück, setzte sich nieder und sagte:

»Nein! Ein solcher Kerl kann mich nicht beleidigen.

Aber Sie haben Recht gehabt, Major, als Sie diesen Menschen schilderten. Ihm ist alles zuzutrauen. Daß er es wagt, mich du zu nennen, kennzeichnet ihn so genau, wie nichts anderes. Bleiben wir ruhig! Er soll dann erfahren, was geschieht.«

Er setzte sich wieder zurecht und fragte mich nun:

»Sie sind in Deutschland geboren?«

»Ja, Sennor,« antwortete ich höflich.

»Was sind Sie?«

»Gelehrter.«

» Ojala! Wenn Ihr Vaterland solche Gelehrte hat, so möchte ich erst einmal einen Ungelehrten, einen Ungebildeten, kennen!«

»Die giebt es in Deutschland nicht, denn es wird keinem Deutschen einfallen, einen Fremden du zu nennen. Dazu achtet sich der Deutsche viel zu hoch. Selbst der niedrigste Knecht thut das nicht.«

»Mensch! Wissen Sie, daß ich Sie zermalmen kann?«

»Das weiß ich nicht und glaube es auch nicht. Einen Alemano zermalmt man nicht so leicht. Ich begreife überhaupt nicht, wie Sie dazu kommen, in einem solchen Tone mit mir zu reden. Daß Sie General sind, stellt Sie nicht höher als mich. Vielleicht besitzt ein deutscher Sergeant mehr Geschick und Kenntnis, als Sie. Ich frage aber nicht danach, weil mir dies gleichgültig sein kann. Wohl aber muß ich fragen, welch ein Recht Sie haben, mich einen Halunken zu nennen. Kennen Sie mich? Haben Sie bereits untersucht, weshalb ich vor Ihnen stehe? Können Sie sagen, daß man Sie nicht belogen habe? Die Halunken sind diejenigen, welche mich hierher brachten, und ich verlange von Ihnen die Bestrafung derselben!«

Ich hatte das so schnell hervorgebracht, daß es unmöglich gewesen war, mich zu unterbrechen. Ganz unbeschreiblich waren die Gesichter, welche mir entgegenstarrten. Der General sah aus, als ob er ein Dutzend Ohrfeigen erhalten habe, ohne zu wissen, woher sie gekommen seien. Daß ich mich in dieser Weise benahm, war keineswegs zu viel gewagt von mir. Ich wußte sehr genau, was ich wollte. Vor diesen vier Männern brauchte ich mich nicht zu fürchten. Ein schneller Blick rundum hatte mir gleich bei meinem Eintritte die Situation klar gemacht. Die Fenster waren so klein, daß niemand durch dieselben heraus oder herein konnte. Die Thüre hatte den Riegel nach innen. Der General war ganz unbewaffnet, sein Säbel hing an der Wand. Und die beiden Offiziere trugen nur ihre Degen, weiter nichts. Und der Major? Nun, der stand mir eben recht.

Nachdem sie mich eine Weile angestarrt hatten, sagte der General, nach dem Fenster gewendet:

»Setzen Sie sich wieder nieder, Sennores! Der Mann ist verrückt. Man kann ihm nichts übelnehmen. Wollen aber doch einmal hören, welchen Unsinn er vorbringt.«

»Bitte!« fiel ich ein. »Darf ich nicht vielleicht vorher hören, welcher Unsinn gegen mich vorgebracht worden ist?«

»Nein, mein Bester, das ist nicht nötig. Ich habe nicht Lust, diese Geschichte zweimal anzuhören. Beantworten Sie einfach folgende Fragen: Haben Sie sich an dem Major Cadera vergriffen?«

»Ja, nachdem er sich an mir vergriffen hatte.«

»Kennen Sie einen gewissen Sennor Esquilo Anibal Andaro?«

»Ja.«

»Wo lernten Sie ihn kennen?«

»In Montevideo.«

»Bei welcher Gelegenheit?«

»Er hielt mich für den Obersten Latorre.«

»Weiß schon, weiß! Sie haben dem Major den Degen zerbrochen, ihn gestern abend gefangen genommen und ihm sein Geld geraubt?«

»Ja.«

»Das ist genug. Weiter brauche ich nichts zu wissen. Treten Sie einmal an das Fenster, und sehen Sie hinaus!«

Ich gehorchte dieser Aufforderung.

»Was sehen Sie?«

»Zwölf Soldaten, welche vor der Thüre aufmarschiert sind.«

»Womit sind sie bewaffnet?«

»Mit Gewehren.«

»Sie werden die zwölf Kugeln dieser Gewehre binnen zehn Minuten im Kopfe oder im Herzen haben. Sie werden erschossen!«

Es war ihm Ernst mit diesen Worten, Ich kehrte vom Fenster nach der Thür zurück, stellte mich dort neben den Major und sagte:

»Sennor, Sie sagen da ein leichtes Wort, dessen Bedeutung für mich sehr schwer ist. Ich habe zwar Ihre Fragen beantwortet, aber diese Fragen behandeln Thatsachen, welche aus dem Zusammenhange gerissen sind und also anders erscheinen, als sie beurteilt werden müssen. Ich habe nichts gethan, wofür ich auch nur einen Verweis verdient hätte, am allerwenigsten aber habe ich mich eines todeswürdigen Verbrechens schuldig gemacht. Und selbst wenn dies der Fall wäre, hätte ich das Recht, zu verlangen, von einem ordentlichen, zuständigen Gerichte abgeurteilt zu werden!«

»Das ist geschehen. Diese beiden Herren waren die Beisitzer, ich war der Vorsitzende des Gerichtes. Das genügt.«

»Ah so! Und mein Verteidiger?«

»Ist nicht nötig.«

»Nicht! Und ich selbst, der Angeklagte? Wo war ich während des Verhöres?«

»Wir brauchten Sie nicht. Es herrschen hier Ausnahmezustände. Sie haben sich an einem unserer Offiziere vergangen. Sie werden erschossen!«

»So giebt es keine Appellation gegen dieses Urteil?«

»Nein. Ich habe vom Generalissimo Generalvollmacht.«

»Und wie ist der Name dieses hohen Sennorissimo?«

»Lopez Jordan.«

»Jordan! Ist es dieser, so verlange ich, mit ihm sprechen zu dürfen.«

»Er ist nicht hier. Und selbst wenn er anwesend wäre, würde ich diese Bitte nicht erfüllen dürfen. Ich kann ihn nicht mit solchen Dingen belästigen.«

»Und was geschieht mit meinen Gefährten?«

»Sie werden den Truppen eingereiht.«

»So sage ich Ihnen, daß ich an Lopez Jordan eine höchst wichtige Mitteilung zu machen habe.«

»Das glaube ich nicht.«

»Ohne diese Mitteilung ist das Gelingen seines Pronunciamento eine Unmöglichkeit!«

»Jeder Verurteilte behauptet, eine solche Mitteilung zu machen zu haben. Und wenn man ihn hört, so ist es eine Lappalie, die er vorbringt, um das verwirkte Leben um einige Augenblicke zu fristen. Sie können den Generalissimo nicht sprechen. Ueberhaupt war Ihr ganzes Verhalten ein so freches, daß ich nicht die geringste Veranlassung habe, Ihnen einen Wunsch zu erfüllen.«

»Ich soll also wirklich augenblicklich füsiliert werden, obgleich ich ein Fremder bin, der von Ihnen gar nicht abgeurteilt werden darf?«

»Ja. Ich sagte schon, daß hier Ausnahmezustände herrschen.«

»General, Sie werden Ihr Verhalten zu verantworten haben!«

»Ich trage die Verantwortung mit Leichtigkeit. Major, führen Sie den Mann ab, und rapportieren Sie mir seinen Tod!«

»Aber so erschießt man keinen!« fiel ich ein, indem ich meine Hände im Riemen lockerte. »Darf ich denn nicht wenigstens vorher mit einem Geistlichen sprechen?«

»Auch das geht nicht. Fort mit Ihnen!«

»General, Sie kennen mich nicht, sonst würden Sie anders handeln. Sie werden mich nicht erschießen. Sie haben kein Recht dazu. Ich dulde das nicht!«

»Pah! Hinaus mit ihm, Major!«

Der General erhob den Arm und deutete nach der Thüre.

Der Major griff nach mir, erhielt aber einen Faustschlag, daß er wie ein Klotz auf den Boden fiel. In demselben Augenblicke hatte ich ihm die beiden Revolver aus dem Gürtel gerissen und den Riegel vorgeschoben. Ich richtete den einen auf den General und den andern auf die beiden Offiziere.

»Sennores,« sagte ich, gar nicht laut, sondern in gedämpftem Tone, um die im Vorzimmer Befindlichen nicht aufmerksam zu machen, »wer von Ihnen eine laute Silbe spricht oder eine Bewegung macht, die ich ihm nicht erlaube, den schieße ich nieder. Ich gebe Ihnen mein Wort darauf!«

Sie schwiegen und starrten bald einander, bald mich an. Das hatten sie freilich nicht erwartet. Um sie noch mehr einzuschüchtern, fuhr ich fort:

»Sie haben vorhin selbst gesagt, daß mir alles zuzutrauen sei. Nun wohl, trauen Sie mir also getrost zu, daß ich Sie alle drei erschieße, bevor ich mich füsilieren lasse. Meine Kugeln sind schneller, als Ihre Degen. Sie haben sich verrechnet. Ich bin kein argentinischer Schafsjunge, der sich von dem Worte General in die Enge treiben läßt. Bei mir gilt der Mann, nicht aber der Titel. Von Spitzbuben lasse ich mich nicht verschüchtern. Dieser sogenannte Major ist als Räuber jenseits der Grenze eingebrochen. Wir haben uns allen Rechtens seiner erwehrt, und dafür soll ich erschossen werden? Das fehlte noch! Setzen Sie sich auf Ihre Stühle!«

 

Sie zögerten.

»Setzen Sie sich!« wiederholte ich. »Diese Revolver, welche der Major mir stahl, sind mein Eigentum. Ich kenne sie genau und weiß, daß sie augenblicklich losgehen, wenn man einen meiner Befehle nicht sofort erfüllt. Setzen Sie sich also!«

Ich trat um zwei Schritte vor und hielt ihnen die Läufe drohend entgegen. Vielleicht sah mein Gesicht noch gefährlicher aus, als die Revolver. Die drei ließen sich zögernd auf ihre Stühle nieder.

»Sie werden nicht schießen. Sie wagen es nicht!« stieß der General hervor.

»Nicht wagen? Was kann ein zum Tode Verurteilter noch wagen?«

»Sie können sich dadurch nicht retten!«

»Das fragt sich sehr! Jedenfalls hätte ich da meine Unschuld vorher an meinen Richtern gerächt. Aber, wer sagt Ihnen, daß ich nicht doch entkäme? Die Knaben, welche sich im Vorzimmer befinden, fürchte ich nicht; es würde eben Leben gegen Leben, Tod gegen Tod gelten. Aber, so weit kommt es gar nicht. Ich stehe im Begriff, Ihnen Gelegenheit zu geben, einen Fehler zu verhüten, den Sie später außerordentlich bereuen würden. Major Cadera hat sich mir gegenüber für einen Untergebenen Latorres ausgegeben. Hätte er mir gesagt, daß er Lopez Jordan dient, so wären alle Feindseligkeiten unterblieben. Ich habe Jordan eine wichtige Botschaft zu bringen.«

»Das geben Sie nur vor!«

»Gut, zweifeln Sie meinetwegen einstweilen! Ist Lopez weit von hier?«

»Nein.«

»Wann könnte er hier sein?«

»In drei Stunden.«

»So senden Sie zu ihm.«

»Das kann ich nicht. Ich bin überzeugt, daß Sie lügen.«

»Ich will diese Beleidigung ruhig hinnehmen und Ihnen einen Vorschlag machen, welchen anzunehmen Sie wohl nicht zögern werden. Bedenken Sie, daß Ihr Leben sich in meiner Hand befindet! Sie entlassen mich jetzt, geben mir und meinen Gefährten ein menschenwürdiges Gemach zum Aufenthalte und lassen uns in demselben bewachen. Zugleich senden Sie eine Estaffette an Jordan, und sobald dieser kommt, führen Sie mich vor. Bestätigt er mein Todesurteil, so werde ich mich ohne Weigern erschießen lassen.«

Der General blickte die andern fragend und dann mich mißtrauisch an.

»Sie haben einen heimlichen Hintergedanken?« fragte er.

»Nein, ich meine es ehrlich.«

»Alle Teufel! Was soll Jordan denken, wenn er erfährt, daß – daß —«

Er zögerte, seinem Gedanken Worte zu geben, darum sprach ich ihn aus:

»Daß Sie sich von einem deutschen Halunken so in die Enge haben treiben lassen? Er wird es Ihnen verzeihen. Besser ist es auf alle Fälle, als wenn er später hört, welch ein unersetzlicher Schaden ihm zugefügt worden ist, indem man mich füsiliert oder vielmehr ermordet hat. Denn, Sennor, ich schwöre darauf: Sie sind vollständig überzeugt, daß ich unschuldig bin!«

Er zog es natürlich vor, diese letztere Behauptung nicht zu beantworten, und fragte:

»Und wenn ich nun auf Ihren Vorschlag eingehe, geben Sie da diese Revolver an mich ab?«

»Nein, die gebe ich erst an Jordan ab. Ich sehe da links eine Thüre. Wohin führt dieselbe?«

»In ein leeres Hinterzimmer.«

»Kann man von dort hinaus?«

»Nein.«

»So lassen Sie meine Gefährten holen. Wir quartieren uns in dieses Zimmer ein, und Sie lassen uns Essen, Trinken und Cigarren bringen. Jordan kommt in dieses Zimmer hier. Sobald er da ist, gebe ich ihm meine Revolver durch die Thüre. Bis dahin aber behalte ich sie bei mir.«

»Geben Sie Ihr Ehrenwort, daß Sie keinen Fluchtversuch unternehmen und daß Sie sich ruhig in diesem Nebenzimmer verhalten werden?«

»Ja.«

»Und überhaupt nichts Gewaltthätiges und Hinterlistiges unternehmen werden?«

»Ja. Dabei setze ich aber Ihr Ehrenwort voraus, daß auch Sie meine Bedingungen erfüllen!«

»Ich gebe es. Ihre Hand, Sennor!«

Ich hielt ihm die meinige hin. Er schlug langsam und zögernd ein.

»Major Cadera hat mir wiederholt sein Wort gegeben, es aber gebrochen,« fuhr ich fort. »Ich denke, daß Sie, General, mehr Ehre besitzen, als er. Ich vertraue Ihnen und werde mich sofort in das Zimmer verfügen, in welches Sie mir meine Gefährten nachsenden werden.«

»Ich halte Wort. Doch fordere ich von Ihnen das Versprechen, daß Sie auf keinen Fall einem meiner Untergebenen sagen, was hier geschehen ist. Nur Jordan muß es leider erfahren.«

»Ich verrate es nicht.«

»So gehen Sie in das Zimmer. Ich werde Ihre Kameraden sogleich kommen lassen,« sagte er, indem er die Thüre öffnete.

Der Major lag noch immer bewußtlos da. Ich bückte mich zu ihm nieder, schnallte ihm meinen Gürtel ab, um denselben mitzunehmen, denn er enthielt die Patronen, und ging hinaus. Während ich die Thüre langsam hinter mir zuzog, hörte ich den General sagen:

»Wirklich ein Teufel, genau so, wie uns der Major – —«

Mehr vernahm ich nicht; die Schlußworte konnte ich mir selbst hinzufügen. Der hohe Offizier hatte sicher nicht geahnt, daß die Scene auf diese Weise enden werde. Warum hatte er mich nur mit dem Major und nicht unter Bedeckung der vier Soldaten eintreten lassen! Doch, selbst in diesem letztern Falle hätte ich mich meiner Haut gewehrt, lebte aber wohl in diesem Augenblicke nicht mehr. Ich traute dem Generale zu, daß er Wort halten werde, und hatte mich wirklich nicht in ihm getäuscht. Es vergingen nur wenige Minuten, bis die Kameraden alle hereinkamen. Hinter ihnen wurde die Thüre verriegelt.

»Was ist denn geschehen?« fragte der Bruder. »Im Vorzimmer liegt der Major als Leiche!«

»Nicht Leiche. Es ist ihm ein wenig übel geworden.«

»Uebel? Ich sehe es Ihnen an, worüber ihm übel geworden ist. Haben Sie ihn niedergeschlagen?«

»Ja.«

»Cielos! Weich ein Wagnis! Man bringt uns hierher. Bedeutet das eine Verbesserung oder Verschlimmerung unserer Lage?«

»Verbesserung, wenigstens was Sie betrifft. Für mich bedeutet es nur eine Gnadenfrist. Ich soll erschossen werden.«

Sie erschraken, und ich erzählte ihnen, was geschehen war.

Sie schüttelten die Köpfe über meine Verwegenheit, welche gar nicht verwegen gewesen war. Wenn man mit dem Tode bedroht wird, so giebt es keine Verwegenheit mehr, da kein Risiko vorhanden ist. Natürlich waren sie erfreut, daß es so glücklich abgelaufen war, doch hatten sie kein Vertrauen zu meiner Unterredung mit Jordan; glaubten vielmehr, dieser werde rächen, was ich seinen Untergebenen gethan hatte. Ich aber war guten Mutes und sagte ihnen, wie sie sich zu verhalten hätten.

Man brachte uns Fleisch und Salz, Wasser und sogar eine Flasche Wein. Mehr konnten wir nicht verlangen, zumal auch zwei Cigarren für jeden dabei lagen. Die Stube war ganz leer. Wir saßen auf dem Boden, erst essend und trinkend, dann rauchend und uns in Erwartungen über unsre nächste Zukunft ergehend. Neben uns herrschte tiefe Stille, Erst nach Verlauf von beinahe vier Stunden bemerkten wir, daß gedämpfte Stimmen miteinander sprachen. Zuweilen tönte ein lautes Wort dazwischen.

Dann hörten wir taktmäßige Schritte. Ein kleines Weilchen später wurde unsre Thüre geöffnet, nur eine Lücke weit, in welcher der General erschien. Er sagte:

»Ich habe Ihnen mein Wort gehalten; Sennor Jordan ist hier und erwartet Sie. Nun halten Sie auch das Ihrige, und geben Sie die Revolver zurück!«

»Hier sind sie,« antwortete ich, indem ich ihm die Waffen gab. »Wann kann ich den Sennor sprechen?«

»Sogleich.«

»Dürfen wir alle eintreten?«

»Nur Sie allein. Kommen Sie!«

Die Scene hatte sich verändert. Die beiden Offiziere saßen wieder an ihrem Tische; aber sie hatten sich jetzt mit Revolvern versehen; der General ebenso. An dem andern Tische, an welchem er sich nun niederließ, saßen noch drei Herren. Zwei von ihnen waren ihrer Kleidung nach auch Offiziere; der dritte, obenansitzende, schien Civilist zu sein. Jeder von ihnen hatte eine Pistole vor sich liegen.

An der Thüre stand der Major Cadera. Er sah bleich und angegriffen aus, jedenfalls von den Nachwehen meines Fausthiebes. Sein Gesicht war der personifizierte Haß, und aus seinen tückischen Augen fiel ein Blick auf mich, welcher jedenfalls den höchsten Grad der Rachgier bedeutete. Auch er hatte zwei Pistolen, eine in jeder Hand. Das sah schrecklich aus, war aber noch nicht alles, denn rundum an den Wänden waren Soldaten postiert, welche ihre geladenen Gewehre “beim Fuß” hatten. Es war klar, bei der geringsten drohenden Bewegung meinerseits wurde ich wie ein Sieb durchschossen.

Bei so einem Anblicke kann es einem unmöglich wohl zu Mute sein, und doch konnte ich mich eines Lächelns nicht erwehren. Wenn diese Kerle alle auf mich schossen, so mußten die Kugeln die Gegenüberstehenden treffen, denn alle konnten nicht in meinem Körper stecken bleiben. Gerade die Größe dieses Apparates, einem einzelnen Menschen Furcht einzuflößen, war lächerlich.

Der General deutete mir durch einen Fingerzeig den Punkt an, wohin ich mich stellen sollte. Ich stand dem in Civil gekleideten Manne gegenüber. Er betrachtete mich mit durchbohrendem Blicke. Ich ließ meine Augen rundum laufen und sah auf jedem Gesichte mein Todesurteil verzeichnet. Sollte ich doch zu viel gewagt haben? Wie nun, wenn der einzige Halt, auf welchen ich mich verließ, mich doch betrog?

Der Civilist war es, welcher begann:

»Ich heiße Lopez Jordan. Du hast verlangt, mit mir zu sprechen. Ich hoffe, daß ich meine kostbare Zeit nicht grundlos an d i c h verschwenden muß. Stellt es sich heraus, daß d u keine Veranlassung hattest, nach mir zu schicken, so werde ich die Todesstrafe verschärfen lassen.«

Er legte einen ganz besondern Ton auf das Du und Dich. Der General hatte also erzählt, daß ich ihm sofort sein Du zurückgegeben hatte, und nun wollte Jordan sehen, ob ich das bei ihm auch wagen werde. Gewonnen oder verloren! Hatte ich dieses Du vorher nicht gelitten, so brauchte ich es mir auch jetzt nicht gefallen zu lassen. Verschlimmert konnte meine Lage dadurch gar nicht werden. Darum antwortete ich getrost:

»Nachdem ich von andrer Seite mit so großer Feindseligkeit behandelt worden bin, thut es mir herzlich wohl, in diesem Hause ein so warmes Entgegenkommen zu finden. Schon der Sennor General hat mich mit dem traulichen Du erfreut, und da ich nun auch von D i r dieses brüderliche Wort vernehme, so hege ich die Ueberzeugung, daß – —«

»Hund!« schrie mich Jordan an, indem er aufsprang. »Wagst du es auch bei mir!«

»Warum nicht?« antwortete ich möglichst harmlos. »Ich folge ja nur deinem eigenen Beispiele.«

»Ich lasse dich durch Ochsen zerreißen!«

»Das würde dein eigener Schaden sein, Jordan, denn in diesem Falle könnte weder William Hounters, noch Sennor Tupido, welche mich zu dir senden, mit ihrer Bereitwilligkeit —«

Weiter kam ich nicht. Das fürchterlich drohende Aussehen dieses von den Leidenschaften beherrschten Mannes veränderte sich wie mit einem Schlage. Sein Gesicht nahm plötzlich den Ausdruck freudigster Spannung an. Er trat zwei Schritte auf mich zu und fragte heftig:

»Sennor, Sie nennen da zwei Namen. Kennen Sie die Männer?«

»Ja. Ich wurde von Hounters zu Tupido gesandt, und dieser —«

»Schickt Sie nun zu mir?«

»So ist es.«

»Mit einem Ja oder einem Nein?«

»Mit dem ersteren. Es ist alles bereits unterwegs.«

»Ah, qué alegria! Und Sie, Sie sollten erschossen werden! Der Mann, der Bote, auf den ich so lange mit Schmerzen gewartet habe! Hinaus mit euch, Kerle! Schnell, sonst schieße ich euch in die Beine!«

Dieser Befehl galt den an den Wänden postierten Soldaten, welche sich auf das schleunigste davonmachten. Mir war es, als ob ich in allen möglichen Staatslotterien das große Los gewonnen hätte. Der Major aber machte ein Gesicht, dessen Ausdruck gar nicht zu beschreiben ist.

»So, die Kerle sind fort,« sagte Jordan. »Willkommen, Sennor! Nun sind wir unter uns, und Sie können Ihren Auftrag ausrichten.«

Er gab mir die Hand und schüttelte die meine herzlich.

»Nicht so schnell, Sennor!« antwortete ich. »Ich bin fürchterlich beleidigt worden. Ich bin gekommen, Ihnen einen Dienst zu erweisen, von dessen Größe und Bedeutung Sie selbst wohl noch keine Ahnung haben, denn Ihre Wünsche werden über Ihr Erwarten erfüllt. Statt Willkommen und Dank zu finden, bin ich mit einer Feindseligkeit behandelt worden, welche ihresgleichen sucht. Beinahe hätte man mich erschossen! Ich werde nicht eher von meinem Auftrage sprechen, als bis mir diejenige Genugthuung geworden ist, welche ich verlangen kann.«

 

»Sie soll Ihnen werden, Sennor, gewiß, ganz gewiß. Nur eine eigenartige Verkettung der Umstände kann schuld sein, daß Sie so verkannt wurden.«

»Die Schuld liegt nicht an den Umständen, sondern an den Personen. Man hat den Sennor General und man hat auch Sie belogen. Ich muß unbedingt um die Erlaubnis bitten, Ihnen erzählen zu dürfen, wie alles in Wahrheit geschehen ist.«

»Das dürfen Sie; das sollen Sie; thun Sie es!«

»Dazu bedarf ich meiner Gefährten. Darf ich sie hereinrufen?«

»Nein. Sie dürfen ja nicht erfahren, daß Sie —«

»Was ich einstweilen sage, dürfen sie hören. Ich muß sie hier haben als Zeugen gegen unsern lügenhaften Ankläger, welcher unser aller Verderben wollte.«

»So mögen sie hereinkommen. Ich erlaube es.«

Ich ging zu der Thüre, welche ich aufmachte, und meine Gefährten traten herein, voran der Frater. Er trat sofort auf Jordan zu und sagte:

»Sennor, ich vermute, daß Sie derjenige sind, welchen man hier als Generalissimo bezeichnet. Ich fordere Genugthuung für die schmachvolle Behandlung, welche wir erduldet haben. Ich kenne Ihre Pläne nicht; aber, wie können sie vom Segen begleitet sein, wenn die Ihrigen als Diebe, Räuber und Mörder auftreten und nicht einmal den Stand achten, dem ich angehöre!«

Jordan betrachtete ihn ernst, beinahe unwillig, und antwortete:

»Sie führen eine kühne Sprache, Bruder! Ich habe Ihren Namen gehört und weiß, daß Sie ein mutiger Mann sind; aber allzu viel dürfen Sie denn doch nicht wagen!«

»Ich wage nichts, als daß ich die Wahrheit sage, Sennor. Man hat uns wie Schurken behandelt und in Fesseln hierher geschleppt. Sollen solche Gewaltthätigkeiten ungerochen bleiben?«

»Sie sind ja nicht gefesselt!«

»Wir waren es und würden es noch jetzt sein, wenn wir uns nicht selbst davon befreit hätten. Man hat sie uns nur aus Furcht vor den Revolvern dieses unsers Freundes nicht wieder angelegt.«

»Ich werde alles untersuchen, muß Sie aber bitten, Ihren Ton zu mäßigen. Ich achte den Mut, liebe es aber nicht, ihn gegen mich selbst erprobt zu sehen. Mögen Sie oder mag Major Cadera im Rechte sein, in beiden Fällen habe ich Scenen zu rügen, welche man für unmöglich halten sollte. Mitten in meinem Hauptquartiere, umgeben von festen Mauern und vielen hundert Soldaten, wagt es ein einzelner Mann, noch dazu ein Fremder, sich gegen uns aufzulehnen und die höchsten meiner Offiziere mit dem Tode zu bedrohen!«

»Er that es notgedrungen, weil man ihn ohne alles Recht erschießen wollte!«

»Selbst dann, wenn das Recht auf seiner Seite war, müssen Sie zugeben, daß er eine geradezu verblüffende Verwegenheit entwickelt hat. Wäre es mir nicht von Zeugen erzählt worden, denen ich vollen Glauben schenken muß, so würde ich eine solche Tollkühnheit für unmöglich erklären. Der Mann nimmt am Rio Negro einen Offizier gefangen, welcher über fünfzig bewaffnete Begleiter bei sich hat, und nachdem er ihn entwaffnet und ihm den Säbel zerbrochen hat, holt er ihn am Uruguay abermals aus der Mitte der Soldaten heraus, und nicht nur ihn, sondern außerdem noch vier Gefangene, welche an Bäumen festgebunden waren! Er wird gefangen und gefesselt hierher geschafft, und anstatt von der Gewißheit seines Todes niedergeschmettert zu werden, schlägt er den Major nieder und schreibt, mit den Waffen in der Hand, dem Kommandierenden eine Kapitulation vor, welche geradezu ihresgleichen sucht! Das ist eine Blamage, von welcher wir uns gar nicht reinigen können.«

»Sennor,« sagte ich, »wollen Sie William Hounters zürnen, daß er seinen für Sie so wichtigen Auftrag einem Manne erteilt hat, auf den er sich verlassen kann?«

»Nein; ich muß ihn vielmehr darum loben. Aber Sie geben doch wohl zu, daß Sie eine Karte gespielt haben, welche jeder andere liegen gelassen hätte?«

»Ich hob sie dennoch auf, da sie die einzige übrig gebliebene war und ich nicht Lust hatte, das Spiel ohne sie aufzugeben. Was wollen Sie, Sennor! Ein Ertrinkender erblickt ein Seil, an welchem er sich aus dem Wasser ziehen kann; es ist die letzte Gelegenheit zu seiner Rettung. Soll er das Seil nicht ergreifen, weil es vielleicht zerreißen kann? Er wäre der größte Dummkopf, den es gäbe! Ich habe es ergriffen, und es ist nicht gerissen.«

»Aber, wenn wir Sie nun wieder in das Wasser zurückstoßen?«

»Das werden Sie nicht thun!«

»Sie sagen das in einem so sichern, selbstbewußten Tone! Vielleicht irren Sie sich.«

»So würde mein Irrtum zum größten Schaden für Sie ausschlagen. Mit wem wollen Sie das betreffende Geschäft abschließen, wenn ich getötet worden bin?«

»Mit Ihnen, natürlich vorher.«

Er warf bei diesen Worten einen lauernden Blick auf mich. Er war neugierig, was ich ihm jetzt antworten würde, denn von dieser meiner Antwort hing alles ab. Zwar war er, als ich mich für den von ihm erwarteten Boten ausgegeben hatte, sofort eines andern Tones beflissen gewesen. Es hatte geklungen, als ob ich von diesem Augenblicke an nichts mehr zu befürchten hätte. Aber es fiel mir gar nicht ein, ihm mein Vertrauen zu schenken. Es ging von ihm das Gerücht, daß sein Stiefvater auf seine Veranlassung ermordet worden sei. Ein Mann, welcher seinen eigenen Vater umbringen läßt, ist auch imstande, sein Wort zu brechen und einen Fremden töten zu lassen, nachdem er denselben ausgenutzt hat. Ich mußte ihm die Ueberzeugung beibringen, daß dieser Plan, wenn er ihn hegen sollte, nicht auszuführen sei. Darum antwortete ich:

»Sennor, Sie täuschen sich ebenso in mir, wie ich vorher von Ihren Offizieren und Leuten falsch beurteilt worden bin. Es wird Ihnen ganz unmöglich sein, nach Abschluß des Geschäftes Ihre freundlichen Gesinnungen gegen mich fallen zu lassen, denn ich werde Ihnen nicht eher eine Mitteilung machen, als bis Sie sich mit Ihrem Ehrenworte für unsere Sicherheit verbürgt haben.«

»Aber, wenn ich dann mein Wort nicht halte?«

»So haben Sie sich das allgemeine Vertrauen für immer verscherzt, was keineswegs vorteilhaft für Ihre gegenwärtigen Intentionen sein kann. Uebrigens bin ich nicht gekommen, um mich in eine Gefahr zu begeben, welcher ich nicht gewachsen bin.«

Er zog die Stirn in Falten, machte eine wegwerfende Handbewegung und sagte:

»Sie glauben sich also uns und speziell mir gewachsen? Das hat mir noch niemand zu sagen gewagt!«

»Ich aber habe das schon vielen gesagt, und sie sind stets in die Lage gekommen, zu erfahren, daß ich recht hatte. Auch im jetzigen Falle sind meine Vorbereitungen so getroffen, daß ich nichts zu fürchten habe. Ob Sie Ihr Wort halten werden, kann mir sehr gleichgültig sein, denn ich bin in der Lage, Sie zwingen zu können, es zu halten. Dennoch erkläre ich Ihnen, daß ich nur dann über unser Geschäft sprechen werde, wenn Sie uns die Versicherung geben, daß Sie keine Hintergedanken gegen uns hegen.«

»Das kann ich thun,« sagte er unter einem versteckten Lächeln. »Nehmen Sie also mein Ehrenwort, daß meine Absichten gegen Sie sehr offene sind.«

»Das ist zweideutig; es genügt mir aber. Ich könnte eine bestimmt formulierte Erklärung von Ihnen verlangen, weiß jedoch, daß sie mir auch keine größere Sicherheit bieten würde.«

»So sind wir also so weit, daß wir unser Geschäft vornehmen können.«

»Noch nicht. Ich habe vorher unsere Anklagen gegen den Major Cadera vorzubringen.«

»Das können wir ja für später lassen.«

»Nein; denn von der Art und Weise, wie Sie sein Verhalten beurteilen, hängt die Art und Weise ab, in welcher ich mich meiner Aufträge gegen Sie entledige.«

»Nun gut! Welchen Ausweis aber haben Sie darüber, daß Sie wirklich der Beauftragte der beiden bereits genannten Herren sind?«

»Bitte, mir zu sagen, welche Art von Legitimation Sie von mir verlangen. «

»Eine schriftliche Vollmacht natürlich.«

»Erlauben Sie, Sennor, mich über diese Forderung zu wundern. Ich würde Prügel verdienen, wenn ich eine solche Dummheit begangen hätte. Was würde aus mir und auch aus Ihren Plänen, wenn man ein solches Schriftstück bei mir fände!«

»Sie befinden sich also nicht im Besitze einer Legitimation?«

»O doch; nur ist dieselbe keine schriftliche, sondern eine mündliche. Da ich in die Angelegenheit eingeweiht bin und Ihnen die gewünschte Lieferung machen werde, muß ich der Bevollmächtigte Ihrer Korrespondenten sein. Sollte Ihnen das nicht genügen, so werde ich einen Boten nach Montevideo senden und Sie sind also gezwungen, den definitiven Abschluß des Geschäftes bis zur Rückkehr desselben aufzuschieben.«