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Am Rio de la Plata

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»Das verstehen Sie nicht. Sie werden nachzahlen müssen. Haben Sie noch weitere Mittel?«

»Ich habe kein Geld weiter.«

»Aber Sie besitzen Kredit?«

Ich kannte in den ganzen La Plata-Staaten keinen Menschen, welcher geschäftliche Veranlassung gehabt hätte, mir auch nur einen Pfennig zu borgen; aber um die Verhandlung abzukürzen und diesem Menschen alle Veranlassung zu nehmen, mich zu quälen, antwortete ich:

»Der Kredit, über welchen ich verfüge, ist nicht bedeutend.«

»Wer ist Ihr Geschäftsfreund?«

»Bankier Haufer in Buenos Ayres.«

»Dem Namen nach ein Deutscher?«

»Ja.«

»Wie hoch beläuft sich Ihr Kredit?«

»Eine Summe ist nicht genannt. Ich bin nicht wohlhabend.« »Ihr Auftreten ist ein Beweis, daß Sie reich sind. Sie werden mir eine Anweisung auf diesen Mann geben!«

»Das werde ich nicht!« weigerte ich mich scheinbar.

»Nun, ganz wie Sie wollen! Sie sind selbst schuld, wenn ich infolgedessen unser Verhältnis genau so nehme, wie ich es am Rio Negro betrachten mußte. Das heißt, Sie werden erschossen.«

»Sie gaben bereits Ihr Wort, daß dies nicht geschehen soll. «

»Ich setzte dabei voraus, daß Sie meine Güte anerkennen und sich nicht weigern würden, auf meine Absichten einzugehen. Da Sie diese Hoffnung täuschen, nehme ich mein Wort zurück.«

»Ist das wirklich Ihre feste Entschließung?«

»Meine festeste. Ich gebe Ihnen auch keine Bedenkzeit. Wollen Sie die Anweisung schreiben oder nicht?«

Ich that, als ob ich noch überlege, und antwortete dann mißmutig:

»Sie zwingen mich ja dazu!«

»Ich übe keinen Zwang aus, Sennor. Merken Sie sich das, denn Sie werden mir es vielleicht bescheinigen müssen.«

»Wenn Sie eine Bedrohung mit dem Erschießen keinen Zwang nennen, so habe ich freilich nie gewußt, was Zwang ist.«

»Also, was thun Sie?«

»Ich kann nicht anders; ich muß Ihnen die Anweisung geben.«

»Aber jetzt gleich! Mir genügt es für jetzt, daß Sie sich einstweilen unterschreiben, mir die Summe von zehntausend Papierthalern zu schulden. Eine regelrechte Anweisung werden Sie mir später ausfertigen.«

»Zehntausend! Da muß die Ausstattung Ihrer Soldaten eine höchst brillante sein!«

»Wenigstens die Ihrige wird es sein. Nun setzen Sie sich! Hier ist Ihr Notizbuch!«

Ich wurde niedergesetzt, und dann lockerte man mir die Riemen, welche meine Hände hielten. Gerade als ich schrieb, kam Petro Aynas mit seinem Weibe am Flusse herab. Auch diese beiden hatten keine Ahnung von dem, was geschehen war. Als sie die Bolamänner erblickten, stutzten sie und blieben stehen.

»Vorwärts! Herbei mit euch, sonst schießen wir!« rief ihnen der Major entgegen.

Er hatte diesen Befehl vergeblich gegeben, denn die beiden rannten auf das schleunigste von dannen.

»Ihnen nach!« gebot der Major einigen von seinen Leuten. »Sucht auch in ihrer Hütte nach dem Gelde, welches sie erhalten haben!«

Die Kerle entfernten sich, kamen später aber unverrichteter Sache zurück. Sie hatten weder das Indianerpaar gesehen, noch in der Hütte etwas gefunden, was des Mitnehmens wert gewesen wäre.

Ich war indessen, nachdem ich geschrieben hatte, wieder enger gefesselt und dann zu den andern Gefangenen gelegt worden. Da es lichter Tag war und man uns infolgedessen leicht beobachten konnte, so wurden wir weder an die Bäume gebunden, noch voneinander getrennt. Man hielt es nicht einmal für nötig, uns das Sprechen zu verbieten. Der Major sandte zwei seiner Leute flußaufwärts. Sie sollten sich bei der nächsten Krümmung des Stromes aufstellen und ihn benachrichtigen, wenn ein zur Ueberfahrt passendes Fahrzeug sich nahe. Dann wendete er sich noch einmal zu mir und sagte:

»Sie hören, daß wir wieder über den Fluß wollen. Wahrscheinlich möchten Sie gern wissen, wie wir herübergekommen sind?«

Ich antwortete nicht, und so fuhr er fort:

»Sie selbst tragen die Schuld, daß es uns möglich war, so schnell zu Ihnen zurückzukehren. Ich habe Sie von den Flößern zu grüßen. Sie lassen sich auf das herzlichste bei Ihnen für ihre Befreiung bedanken.«

»Das ist der höchste Unverstand von diesen Leuten.«

»Hätten Sie auch sie frei gemacht, so wäre es anders gekommen.«

»Wozu sollte ich sie befreien? Sie schwebten ja in keiner Gefahr. Und außerdem hatte ich keine Zeit dazu.«

»Das ist ganz gleichgültig. Sie haben diese Leute in der Falle stecken lassen und sich dadurch ihren Zorn zugezogen. Um sich dafür an Ihnen zu rächen, waren sie sogleich bereit, uns wieder herüberzuschaffen. Um Sie irre zu führen, entfernten wir uns, und auch das Floß schwamm weiter. Aber unten, wo Sie es nicht sehen konnten, legte es wieder an, um uns aufzunehmen. Wir haben Ihnen nun bewiesen, daß wir es in Beziehung auf die Klugheit mit Ihnen recht gut aufnehmen. Sie sind von jetzt an Soldat, und da ich annehme, daß Sie bei nächster Gelegenheit zu desertieren beabsichtigen, so behalten Sie Ihre Fesseln, bis ich überzeugt bin, daß die Flucht Ihnen nicht mehr möglich ist. Jetzt sind wir einstweilen miteinander fertig, Sennor.«

Er wendete sich ab. Man hatte mich zwischen den Bruder und den Kapitän gelegt. Meine Mitgefangenen hatten jedes Wort gehört, welches mit mir gesprochen worden war. Jetzt meinte Frick Turnerstick in gedämpftem Tone zu mir:

»Miserable Geschichte! Armseliges Verhältnis, Sir! Nicht?«

»Hättet Ihr Euch nur nicht ergreifen lassen!«

»Soldat werden! Und was für einer! Werde mich natürlich an die Vertretung der Vereinigten Staaten wenden!«

»In welcher Weise?«

»Ich desertiere.«

»Und laßt Euch fangen und erschießen!«

»Zum Teufel! Das klingt nicht tröstlich. Ist es denn in dieser schönen Gegend Sitte, sich Soldaten zusammenzustehlen?«

»Es scheint so.«

»Das ist aber doch gegen alles Völkerrecht!«

»Habt Ihr denselben Paragraphen des Völkerrechtes nicht vielleicht auch schon übertreten? Euch also noch niemals mit Gewalt eines Matrosen bemächtigt?«

»Hm! Meint Ihr es so? Ja, in der Not frißt der Teufel Fliegen. Und wenn sie keine Lust haben, sich von ihm fressen zu lassen, muß er sie eben fangen.«

»Da habt Ihr es! ihr dürft also gar nicht über andere reden.« »Sir, das sind ganz verschiedene Verhältnisse. Wenn meine Matrosen desertieren, so muß ich andere haben, sonst kann ich all mein Lebtage vor Anker liegen bleiben.«

»Ja, da Ihr nun einmal persönlich in so einer Presse steckt, so schreit Ihr Ach und Wehe über dieselbe. Wie seid Ihr denn eigentlich hineingeraten?«

»Auf die albernste Weise von der Welt.«

»So ohne alle Gegenwehr!«

»Es ging so schnell, daß wir gar nicht daran denken konnten!«

»Wie ist das möglich? Ihr seid doch Meister im Gebrauch der Büchse, des Säbels und des Messers! Ihr schießt sogar mit einer Kanonenkugel einer Mücke den vordersten Zahn aus dem Maule!«

»Spottet nur! Ihr waret ja nicht dabei!«

»Und Euer Steuermann, dieser Koloß von einem Menschen, konnte er sich nicht wenigstens seiner Riesenfäuste bedienen?«

»Nein. Er hätte die Kerle alle zu Brei gequetscht, aber das war unmöglich, da er leblos im Schilfe lag.«

»Worüber ist er denn so gewaltig erschrocken, daß er in diese Ohnmacht fallen konnte?«

»Sir, ärgert mich nicht! Fragt nicht so höhnisch! Das kann ich nicht vertragen. Wenn Ihr wissen wollt, wie es zugegangen ist, so erkundigt Euch bei dem Bruder, Eurem andern Nachbar. Ich habe keine Lust, mich in solcher Weise anrudern zu lassen. Der Aerger, der mich würgt, ist ohnedies groß genug. Und was Euch betrifft, so braucht Ihr Euch nicht so großartig in Eure eigenen Segel zu blähen, denn Ihr liegt gerade so gefangen da, wie wir andern, und habt Euch ebenso übertölpeln lassen. Wenn Ihr hier gewesen wäret, hättet Ihr es auch nicht ändern können.«

»Nein,« ließ sich jetzt der Bruder hören, welcher bisher geschwiegen hatte. »Der Sennor wäre nicht in diese plumpe Falle gegangen; davon bin ich überzeugt.«

»Was war es denn für eine Falle?« erkundigte ich mich.

»Eine so dumme, daß ich mich geradezu schäme, davon zu sprechen, Sennor. Aber, haben Sie wenigstens die Güte, mich nicht auszulachen!«

»Die Sache ist auf alle Fälle viel zu ernst zum Lachen.«

»Leider ja! Der Steuermann war gegangen, um den Posten abzulösen. Als er an die betreffende Stelle kam, war die Wache, welche dort gestanden hatte, nicht mehr da. Indem er nach ihr suchte, erhielt er einen Kolbenhieb auf den Kopf, der ihn besinnungslos niederstreckte.«

»So waren die Feinde schon da und hatten den Posten überrumpelt?«

»Ja, und zwar in aller Stille, so daß wir es gar nicht bemerkt hatten. Nach einer kurzen Weile wurde Sennor Monteso gerufen. Er glaubte, es sei die Stimme des Postens, und folgte ihr, um sofort auch überwältigt zu werden. Dann rief man mich.«

»Und Sie gingen auch, ohne daß Ihnen ein Verdacht kam? Hm!«

»Was wollen Sie; es ging alles so schnell und glatt ab, daß man gar keine Zeit fand, mißtrauisch zu werden.«

»Und Sie wurden auch ergriffen?«

»Sogar auch mit dem Kolben niedergeschlagen! Auf diese Weise waren der Posten, Sennor Monteso, ich, der Steuermann und nach uns der junge Monteso unschädlich gemacht worden. Mit den übrigen glaubten die Feinde leichtes Spiel zu haben. Sie sprangen plötzlich nach der Halbinsel und überrumpelten sie im wahrsten Sinne des Wortes, ohne daß einer Zeit fand, die Hand zur Gegenwehr zu erheben.«

»Es ist freilich nicht jedermanns Sache, geistesgegen- geistesgegenwärtig zu sein!« fuhr ich weiter fort. »Doch ist es nun unnütz, zu kritisieren und Vorwürfe auszusprechen. Wir sind gezwungen, die Thatsachen zu nehmen, wie sie sind. Hauptsache ist, zu überlegen, wie wir aus der Falle herauskommen.«

»Haben Sie Hoffnung dazu?«

»Ich habe stets Hoffnung. Es giebt kein Unglück, welches nicht von einem Glück begleitet ist.«

»Wie aber hat man denn Sie ergreifen können, Sennor? Das dünkt mir schwieriger gewesen zu sein, als alles Vorhergegangene.«

 

»Danke für dieses Kompliment! Ich bin eben genau so unvorsichtig gewesen, wie Sie.«

Ich erzählte, wie ich durch die Bolas niedergerissen worden war. Die andern hörten es alle und gaben dem Bruder recht, welcher meinte, daß mir das nicht hätte geschehen können, wenn sie mehr achtsam gewesen wären. Uebrigens befanden sich diejenigen von ihnen, welche die Kolbenschläge empfangen hatten, in noch üblerer Stimmung als die andern. Ihre Köpfe brummten ihnen gewaltig, und der Steuermann knurrte grimmig:

»Habe ich nur erst die Hände frei, dann werde ich es sein, der Kopfnüsse austeilt! Die Hände frei und eine tüchtige Handspeiche dazu, dann haue ich sie zusammen, daß die Köpfe wie Kegelkugeln herumkollern sollen!«

»Das werden Sie bleiben lassen!« antwortete ich ihm. »Keiner von uns darf etwas thun, ohne die Einwilligung der andern zu haben. Zunächst geben wir uns den Anschein, als ob wir gesonnen seien, uns in unser Schicksal zu fügen. Unser Leben ist nicht bedroht; das muß und kann uns beruhigen.«

»Aber später giebt es noch viel weniger eine Rettung, als jetzt,« meinte der Yerbatero, »weil man uns trennen wird. Oder bezweifeln Sie, daß wir unter das Militär gesteckt werden?«

»Nein. Ich bin sogar überzeugt davon.«

»So wird man jeden von uns zu einer andern Abteilung thun. Wie können wir uns dann gegenseitig beistehen!«

»Bis dahin haben wir noch lange Zeit. Uebrigens verlangt es mich, zu wissen, welche Armee oder Truppe es ist, welcher uns einzuverleiben man beabsichtigt.«

»Doch die Schar, welche Lopez Jordan um sich versammelt.«

»Hm! Wenn man nur genau wüßte, ob dieser Mann eine Erhebung gegen die bestehende Regierung beabsichtigt.«

»Alle Welt spricht ja davon!«

»So wird man ihm schnell die Flügel stutzen!«

»Das geht nicht so schnell, Sennor. Jordan soll sich in den Besitz großer Pferdeherden gesetzt haben, so daß seine Gegner, das heißt die Regierungstruppen, sich nur schwer oder schlecht beritten machen können. Das ist hier zu Lande ein ungeheurer Vorteil, den er für sich hat.«

»Besitzt er auch das nötige Geld?«

»Er hat ja das ungeheure Vermögen seines Stiefvaters, des Präsidenten Urquiza.«

»Den er ermorden ließ, eben um sich in den Besitz dieses Geldes zu setzen! Das Vermögen mag groß sein; aber zu einem Aufstande gehören, wenn er glücken soll, Millionen!«

»Nun, so raubt er sich eben so viel, wie er braucht, zusammen. Wir haben ja selbst gesehen, daß er seine Spitzbuben sogar über die Grenze schickt, um Pferde zu stehlen. Und Geld stiehlt er auch, wie wir jetzt beschwören können.«

»Hat der Major auch Ihnen alles abnehmen lassen?«

»Alles, alles! Unsre Taschen sind vollkommen leer. Das viele Geld, welches mein Bruder bei sich hatte, ist auch fort. «

»Nur das meinige nicht!« lachte Frick Turnerstick leise.

»Ihr habt es noch, Capt’n?« fragte ich ihn.

» Yes! Habe Euch ja bereits gesagt, daß es so gut verstaut ist, daß ich selbst es nicht finden würde, wenn ich es mir nicht gemerkt hätte, wo es steckt. Bin noch niemals auf die Nase gefallen gewesen!«

»Sagt einmal, Ihr seid doch gut in New York bekannt?«

»Will’s meinen.«

»So will ich einmal sehen, ob Ihr vielleicht einen Mann dort kennt, welcher uns aus der Falle helfen soll.«

»Das wäre ein Hauptkunststück! Was ist denn der Mann?«

»Exporteur.«

»Also Seetransport! Wo hat er sein Geschäft?«

»Auf dem Exchange-Platz. Er arbeitet in allen möglichen Geschäften, ohne viel nach den Klar-Papieren zu fragen, und heißt – —«

»Hounters etwa?« unterbrach mich der Kapitän schnell.

»Ja. William Hounters.«

»Der also, der! Sir, den kenne ich freilich wie meine eigene Hand.«

»Habt Ihr Geschäfte mit ihm gehabt?«

»Einige Male, bin aber dann nicht wieder zu ihm gekommen. Der Mann war zu sehr pfiffig und zu wenig ehrlich. Soll dieser Kerl es etwa sein, auf den Ihr Euch verlaßt?«

»Ja.«

»So bleiben wir in der Buttermilch kleben, Sir! Wer uns befreien soll, der muß doch anwesend sein!«

»Ist nicht nötig, wenigstens in diesem Falle nicht. Die Hauptsache ist, daß Ihr in dieselbe Trompete blast, wie ich.«

»Gebt sie nur her! Blasen werde ich schon.«

»Schön! Zunächst ist nur nötig, daß Ihr zwar sagt, daß Euer Schiff in dem Hafen von Buenos Ayres liegt, was Ihr aber für eine Fracht habt, darüber dürft Ihr kein Wort verlieren. Ihr müßt so thun, als ob das Euer größtes Geheimnis sei.«

»Warum?«

»Davon später. Ihr wißt eigentlich selbst nicht, was in den Kisten und Fässern steckt, welche ich bei Euch verstaut habe.«

»Ihr?« fragte er verwundert.

»Ja. Ich bin mit Euch von New York gekommen, direkt von New York. In Montevideo habt Ihr mich an das Land gesetzt und seid dann nach Buenos gegangen, um mich dort zu erwarten.«

»Aber, Sir, von dem allen begreife ich kein Wort!«

»Ist auch gar nicht nötig. Ihr seid von New York halb in Ballast abgesegelt. Die Fracht besteht fast nur aus meinen Kisten und Fässern, welche eben dieser William Hounters verfrachtet hat. Mich hat er als Superkargo mitgegeben, und Ihr habt von ihm die Weisung erhalten, daß Ihr Euch in allen Stücken nach mir richten müßt.«

»Jetzt wird der Storch ein Elefant, Sir! Das sind ja lauter Sachen, die mir wie Raupen im Kopfe herumkriechen.«

»So eine Raupe kann zum schönsten Schmetterling werden; paßt nur auf! Also ich bin in Montevideo ans Land gestiegen und habe nach ungefähr einer Woche in Buenos Ayres wieder mit Euch zusammentreffen wollen. Die Zeit ist Euch zu lang geworden, und so seid Ihr den Uruguay aufwärts gegangen, um zu sehen, ob Ihr da Rückfracht finden könnt. Dabei sind wir ganz unerwarteter Weise hier zusammengetroffen.«

»Sir, ist das wirklich Euer Ernst? Diesen Unsinn soll ich jemandem weismachen? Man wird ihn nicht glauben!«

»Man wird ihn nur zu gern glauben. Ja, man wird außerordentlich erfreut sein, diesen Unsinn zu hören.«

»Und wem soll ich das sagen?«

»Keinem andern Menschen, als nur Lopez Jordan allein.«

»Aber, den kenne ich nicht! Mit ihm habe ich ganz und gar nichts zu thun!«

»Bisher nicht; aber wir werden sehr wahrscheinlich mit ihm zu thun bekommen. Nur ihm sagt Ihr das. Gegen jeden andern hüllt Ihr Euch in ein geheimnisvolles Schweigen. Und wenn Ihr es ihm sagt, muß auch ich dabei sein. Ihr dürft ihm nur in meiner Gegenwart dieses Geheimnis verraten, weil wir danach trachten müssen, daß wir bei jedem Verhöre alle beisammen sind. Einer muß hören, was der andere sagt, damit keiner sich versprechen kann. Dadurch sorgen wir auch dafür, daß wir nicht sobald getrennt werden. Weiß einer von euch nicht, was und wie er antworten soll, so muß er den Betreffenden an mich weisen.«

»Haben denn auch andere von uns noch solche Dummheiten zu verschweigen?«

»Sennor Mauricio Monteso.«

»Ich?« fragte der Yerbatero.

»Ja, Sie. Sie geben auf Befragen an, daß Sie mich bei Sennor Tupido in Montevideo getroffen haben.«

»Das ist keine Lüge, sondern Wahrheit.«

»Desto besser. Ihr genießet das volle Vertrauen Tupidos, und er hat Euch den Auftrag erteilt, mich nach der Provinz Entre-Rios zu begleiten. Er hat Euch aber verantwortlich gemacht, mich wohlbehalten dorthin zu bringen. Alles übrige könnt Ihr genau so sagen und erzählen, wie es geschehen ist.«

»Und wozu soll das führen?«

»Zu unserer Freiheit, wenn sich nämlich meine Vermutung als richtig erweist, daß wir zu einer Truppe gebracht werden, welche zu Lopez Jordan gehört.«

»Begreifen kann ich nicht, was Sie damit wollen, Sennor, aber thun werde ich, was Sie verlangen. Wäre es aber nicht besser, wenn Sie uns die Sache offener und ausführlicher mitteilten?«

»Nein; ich bin zum Schweigen verpflichtet, und gerade für diese Verschwiegenheit wird Jordan mir Dank wissen.«

Jetzt kamen die beiden flußaufwärts geschickten Männer zurück und meldeten, daß ein Floß von oben herabkomme. Der Major ergriff eine Flinte und eilte mit ihnen fort. Nach einigen Minuten hörten wir den Schuß. Er mußte oberhalb unseres Lagers ihnen sagen, was er wollte, weil es sonst für sie zu spät gewesen wäre, an der Halbinsel anzulegen. Bald kehrte er mit seinen Begleitern zurück. Wir erhielten Knebel in den Mund. Dann kam das Floß in Sicht und legte gerade da an, wo das vorige gelegen hatte. Wir wurden auf dasselbe getragen, und unsere Pferde mitgenommen. Der Major sprach mit den Floßknechten leise und gab ihnen Geld. Sie warfen finstere, verächtliche Blicke auf uns. Wer weiß, welche Lüge er vorgebracht hatte.

Die Einschiffung hatte kaum einige Minuten in Anspruch genommen, dann wurde das Floß wieder flott gemacht. Wir verließen das linke Ufer des Uruguay, welches uns schließlich doch noch gefährlich geworden war. Ueber eins aber freute ich mich, nämlich darüber, daß sie den Indianer mit seinem Weibe nicht auch ergriffen hatten.

Das Floß wurde nach rechts gesteuert, und der Major gab an, wo er landen wolle. Dort wurden wir wieder vom Flosse an das Ufer getragen. Unsere Fährleute bedankten sich sehr höflich bei Cadera. Er schien sie sehr gut bezahlt zu haben. Das Ufer war nicht hoch. Es gab dichtes Schilf, aus welchem rotblühende Zeibobäume emporragten. Man trug uns eine ganze Strecke weit durch dieses Schilf; die Pferde wurden hinterher gezogen, bis wir einen ziemlich großen, freien Grasplatz erreichten, wo fünf oder sechs Bolamänner mit den Pferden zurückgeblieben waren. Die Kerle äußerten eine ausgelassene Freude, als sie uns erblickten. Der Major befahl, daß sogleich aufgebrochen werde, und wir wurden in der schon mehrfach angedeuteten Weise auf die schlechtesten Pferde gebunden. Cadera hatte als guter Pferdekenner sich meinen Braunen ausgewählt. Das nahm ich ihm gar nicht übel, denn der Braune war das beste der vorhandenen Tiere. Aber neugierig war ich, was das Pferd dazu machen werde. Es war bis jetzt willig gefolgt. Nun aber, als der Major den Zügel ergriff und den Fuß in den Bügel setzte, stieg es in die Höhe, riß sich los und kam zu mir.

»Was hat denn die Bestie!« rief er.

Man hatte uns die Knebel nur zu dem Zwecke angelegt, daß wir nicht mit den Flößern sprechen konnten; jetzt waren sie uns wieder abgenommen worden. Darum konnte ich antworten:

»Es hat eine eigene Mucke, Sennor; es läßt nur wirklich gute Reiter in den Sattel.«

»Meinen Sie, daß ich nicht reiten kann?«

»Was ich denke, ist Nebensache; der Braune aber scheint es zu meinen.«

»Ich werde ihm zeigen, daß er sich irrt.«

Zwei Männer mußten das Pferd halten; dennoch gelang es ihm nicht, den Fuß in den Bügel zu bringen.

»Ein wahrer Teufel, gerade wie sein Herr!« rief er zornig. »Aber es soll doch gehorchen lernen.«

Er wollte es schlagen.

»Halt!« warnte ich. »Prügel ist es nicht gewöhnt. Es wird sich losreißen und entfliehen.«

»Aber, es läßt einen nicht auf!«

»Es läßt nur mich in den Sattel. Aber führen Sie es her an meine Seite; vielleicht ist es da williger.«

Er folgte diesem Rate, und siehe da, der Braune sträubte sich nicht mehr. Kaum aber saß der Major fest und dirigierte es von mir weg, so machte das Tier einen Katzenbuckel, ging erst hinten, dann vorn in die Höhe und that dann schnell einen Seitensprung, so daß Cadera Bügel und Zügel verlor und in einem weiten Bogen zur Erde flog. Das hatte ich vorausgesehen, sonst wäre ich ihm gar nicht behilflich gewesen, auf das Pferd zu kommen, welches sicherlich keinen andern als mich im Sattel litt. Die Sache machte mir Spaß. Der Major war mit dem Rücken so derb aufgeflogen, daß er, als er sich aufgerafft hatte, sich nur schwer gerade aufrichten konnte.

»Schießt die Kanaille nieder!« schrie er. »Gebt ihr eine Kugel.«

Sofort wurden mehrere Gewehrläufe auf das Pferd gerichtet.

»Halt!« rief ich. »Wollen Sie denn wirklich ein so prachtvolles Pferd töten? Ist es nicht besser, es zu schulen? Später wird es seinen Reiter willig tragen.«

»Das ist wahr!« stimmte Cadera bei. »Es kennt mich noch nicht. Perez, steig du auf!«

Der Aufgeforderte versuchte es, diesem Befehle nachzukommen, vergeblich! Erst als er es wieder an meine Seite brachte, ließ es ihn aufsteigen, warf ihn dann aber sofort wieder ab. So erging es noch einigen.

»Ein wahres Höllenpferd!« zürnte der Major. »Keiner kann es reiten. So bleibt uns also nichts anderes übrig, als daß wir seinen bisherigen Herrn darauf setzen.«

Ich wurde von meiner Mähre los- und dann auf den Braunen gebunden, welcher dabei so ruhig wie ein Lamm war. Dann ging es fort. Man nahm uns in die Mitte, und als wir die Uferregion mit ihrem Schilfe und ihren Sumpflachen hinter uns und dann freien Camp vor uns hatten” setzte sich die Truppe in Galopp. Das Land war hüben ganz dasselbe wie drüben, wenigstens der Teil, durch welchen wir kamen. Die Pferde wurden möglichst angestrengt; sie erhielten nur selten einmal die Erlaubnis, in Schritt zu fallen, so daß wir um die Mittagszeit eine bedeutende Strecke hinter uns gelegt hatten.

 

Einen gebahnten Weg gab es auch hier nicht. Einigemal erkannte ich an den Spuren, daß schwere Wagen da gefahren seien. Hier oder da war ein Rancho, eine Hazienda rechts oder links von uns aufgetaucht, ohne daß wir auf sie zu- und dort angehalten hätten. Auch wurde kein Wort mit uns gesprochen, so daß wir über das Ziel des Rittes ganz im Dunkel blieben. Nach Mittag belebte sich der Camp immer mehr. Herden hatten wir auch vorher gesehen; jetzt aber erblickten wir Reiter, erst einzelne, dann zu kleineren oder größeren Truppen vereinigt, welche nach einer bestimmten Richtung gingen oder aus derselben kamen. Die Begegnenden wechselten einige Worte mit dem Major, zu dem sie sich sehr respektvoll verhielten; sie warfen neugierige oder gar feindselige Blicke auf uns und ritten dann weiter.

Später sahen wir seitwärts sich größere Reitergeschwader bewegen. Sie schienen zu exerzieren, und endlich stieg vor uns ein großer Gebäudekomplex aus dem Camp empor, dem wir zustrebten.

»Das ist das Castillo del Libertador (Schloß des Befreiers) sagte der Major, zu uns gewendet. »Dort wird Ihr Schicksal entschieden werden.«

Ein Schloß also! Hm! Je mehr wir uns demselben näherten, desto weniger schloßähnlich sahen die Gebäude aus. Auch hier bestanden die Mauern aus gestampfter Erde, und auch hier waren die Gebäude mit Schilf gedeckt; aber sie waren zahlreich und umfaßten ein weites Areal. Der Besitzer dieses “Castillo” war ganz gewiß ein reicher Mann. Rinder- und Schafherden sahen wir hier nicht, desto mehr aber Pferde und Reiter, welch letztere alle einen militärischen Anstrich hatten. In der Nähe der Gebäude wimmelte es förmlich von solchen Kriegern, welche in den buntesten Kleidungsstücken oder vielmehr Kleiderfetzen steckten und auf die verschiedenste Art bewaffnet waren. Keiner glich dem andern und doch waren sie sich alle ähnlich, nämlich in Beziehung auf den Schmutz und auf die feindseligen Blicke, welche sie für uns hatten. Die meisten waren barfuß, aber die riesigen Sporen fehlten bei keinem. Ich sah die verschiedensten Hüte und Mützen, sogar einige alte Cylinder, welche mit Federn besteckt oder irgend einem roten Fetzen umwunden waren. Die glücklichen Besitzer dieser “Angströhren” schienen Chargierte zu sein. Gewehre hatten nur wenige. Viele waren mit Lanzen, alle aber ohne Ausnahme mit Lasso und Bola versehen.

Vor dem Hauptgebäude hielten wir an. Ein halbes Tausend Helden standen da, hielten sich aber von der Front des Hauses ziemlich fern, was uns vermuten ließ, daß wir uns am Hauptquartiere irgend eines Napoleon oder Moltke befanden.

Der Major stieg ab und ging in das Haus, jedenfalls um seine Meldung zu machen. Die andern blieben zu Pferde und behielten uns in ihrer Mitte. Erst nach Verlauf von wohl einer halben Stunde kehrte der Major zurück. Sein Gesicht sah streng und verschlossen aus.

»Herab mit ihnen!« gebot er. »Bringt sie herein!«

Wir wurden an den Beinen losgebunden und in das Innere des Hauses geführt. Dort standen einige Kerle, welche eine Thüre öffneten, die in einen selbst jetzt am Tage völlig dunkeln Raum führte. Da hinein steckte man uns, und dann wurde die Thüre hinter uns verriegelt.

»Da also werfen wir Anker!« sagte Frick Turnerstick. »Verteufelt schlechter Hafen! Fast noch schlechter, als die Pfütze in Buenos Ayres, wohin ich eigentlich wollte und nicht gekommen bin. Mein Kurs ist ein ganz anderer geworden. Bin neugierig, was man nun mit uns anfangen wird. Jetzt aber die Hände frei! Werde zunächst die Riemen zerreißen. Habe es bisher nur aus Vor- und Rücksicht nicht gethan.«

»Unterlassen Sie das!« bat ich ihn. »Sie verwunden sich doch nur selbst. Die Riemen dringen in das Fleisch. Wir knüpfen uns gegenseitig die Riemen auf.«

»Wie ist das möglich? Wir haben ja alle die Hände auf dem Rücken. Ja, wenn wir sie vorn hätten!«

»Ist ganz dasselbe. Der Yerbatero ist kleiner als ich. Er mag sich Rücken an Rücken zu mir stellen. Auf diese Weise bekomme ich wohl die Knoten seiner Riemen in die Finger. Wollen sehen, ob ich sie aufknüpfen kann.«

Das Vorhaben gelang, allerdings erst nach einiger Anstrengung. Dann löste der Yerbatero mir meine Riemen, und nun machten wir beide auch die andern los.

»So!« rief der Kapitän. »Mag nun kommen, wer es auch sei, ich gebe ihm eins auf die Nase, daß er zu Grunde fährt!«

»Das werdet Ihr hübsch bleiben lassen!« warnte ich. »Mit Gewalt ist hier nichts zu erreichen. Ihr habt gesehen, daß sich wohl über tausend Soldaten hier in der Nähe befinden.«

»Aber, warum habt Ihr uns da losgebunden?«

»Weil wir wohl baldigst vor einen höhern Offizier geführt werden, vor welchem ich nicht gefesselt erscheinen mag.«

»Pah! Man wird Euch wieder binden!«

»Das mag man bleiben lassen. Ich ersuche Sie alle, Sennores, keine Unvorsichtigkeit zu begehen. Wir würden uns damit nur schaden. Wieder binden werden wir uns freilich nur dann lassen, wenn es gar nicht zu umgehen ist. Im übrigen aber widersetzen wir uns nicht. Befindet Lopez Jordan sich hier, so verspreche ich Ihnen, daß wir bald frei sein werden.«

Die Füße waren uns nicht wieder zusammengebunden worden, so daß wir uns jetzt frei bewegen konnten. Wir untersuchten unser Gefängnis. Es bestand aus den vier nackten, kahlen Wänden; auch der Boden war nur Erde. Wir ließen uns nieder und warteten der Dinge, die da kommen sollten. So vergingen einige Stunden. Dann wurde die Thüre aufgeriegelt und es erschien der Major und ein schäbig angekleideter Soldat.

»Der Deutsche mag kommen!« sagte er.

»Ich allein?« fragte ich.

»Ja.«

Schnell flüsterte ich dem Yerbatero zu:

»Schlingen Sie mir einen Riemen um die Hände, doch so, daß ich ihn leicht aufreißen kann!«

Ich legte die Hände auf dem Rücken zusammen. Es war dunkel bei uns, so daß der Major nichts sah.

»Nun, schnell!« gebot er. »Zum General!«

»Was soll ich dort?«

»Das werden Sie hören.«

»Warum ich allein und nicht auch meine Kameraden mit?«

»Das geht Sie nichts an. Vorwärts!«

Da der Yerbatero indessen fertig geworden war, so gehorchte ich jetzt. Es sah ganz so aus, als ob ich noch gefesselt sei. Nun erst konnte ich sehen, daß der Major noch vier Soldaten draußen bei sich hatte, welche mich in ihre Mitte nahmen.

Gegenüber unsrer Thüre wurde eine andre geöffnet. Wir traten in eine Stube, in welcher es sehr kriegerisch aussah. Soldaten hockten am Boden und spielten mit Karten oder Würfeln. Waffen aller Art standen umher. Ueberall lagen, als ob es geschneit hätte, weiße Cigarettenstummel, und eine Luft war hier, als ob man sich in einem Pesthause befände. Durch diese Stube kamen wir in eine zweite, in welcher eine etwas, wenn auch nicht viel bessere Luft war. Ein Tisch stand da, auf demselben eine Oellampe. Neben demselben befanden sich mehrere Schemel, auf denen Männer saßen, welche ihrem stolzen Gebaren nach Offiziere sein mußten. Abzeichen ihres Ranges konnte ich nicht entdecken.

Von hier aus gelangten wir in einen dritten Raum, den feinsten von allen. Da standen zwei Tische, einer am Fenster, welches keine Glasscheiben hatte, und einer in der Mitte des Zimmers, An dem erstern saßen zwei Offiziere, rauchend und Weingläser vor sich. An dem letztern hatte ein älterer Kriegsmann Platz genommen. Er schien auf einer Karte die berühmte Gegend zu suchen, wo der Pfeffer wächst, konnte sie aber nicht finden, denn ich stand mit dem Major wohl fünf Minuten lang an der Thüre, ohne daß der Sennor General uns die geringste Beachtung schenkte. Die übrige Eskorte war draußen in der vordern Peststube geblieben.

Der General war wohl sechzig Jahre alt, hatte aber noch kein graues Haar. Er trug weiße Pantalons, kurzschäftige Stiefel mit gelben Stulpen, wie ein deutscher herrschaftlicher Kutscher, eine rote Sammtweste und einen mit Goldborten überladenen blauen Frack. Die Raupen seiner Epauletten hingen ihm fast bis zum Ellbogen herab. Es kam mir ganz so vor, als ob ich mich während der Probe eines kriegerischen Lustspieles auf der Bühne befände. Angst fühlte ich gar nicht. Nur ärgerte ich mich über den Major, welcher meine beiden Revolver in seinem oder vielmehr meinem Gürtel stecken hatte. Der Kerl befand sich also im Besitze aller Gegenstände, welche ich in demselben aufbewahrt hatte.