Ulzanas Krieg

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Er schaute sich um und seine Männer nickten zustimmend.

„Ja”, sagte Nana, „lasst uns das tun. Wir werden es versuchen. Wir werden euch noch zwei Tage begleiten.”

So wurde es beschlossen. Die Nacht verbrachten sie im Hain am Little Whitewater Bach, bei Sonnenaufgang brachen sie auf. Sie kletterten in die grandiose Stille der Mogollon Berge und folgten dem alten Chokonen Weg, der den schmalen Pfad oberhalb des Bachs verließ und sich nordwärts zum Nabours Berg wand. Dann ritten sie unterhalb des kleinen Plateaus seines Gipfels in neuntausend Fuß Höhe vorbei und bewegten sich ostwärts in Richtung der Quellen des großen Whitewater Bachs zur Rock Spring. Manchmal hatten sie eine klare Sicht über das Tal und die Bergkette im Westen bis zum Bären Berg in Arizona, fünfundvierzig Meilen entfernt.

SIEBEN

Würde die Regierung die Apachen aus dem Sumpf von Ignoranz und abscheuerregender Erniedrigung erheben, in dem sie sich jetzt wälzen, müsste man ihnen eine Pflichterziehung angedeihen lassen. Mann muss sie unter Zwang lehren, systematisch zu arbeiten, und man sollte ebensolchen Zwang einsetzen, damit sie endlich akzeptieren, dass es notwendig ist, die heranwachsende Generation in das Mysterium der Bücher einzuweihen.

Zwang ist das einzige Gesetz, das der Indianer versteht und respektiert, es ist sein Gesetz, und wenn er daran scheitert, fehlt ihm die Kraft zum Weiterleben. Kein Argument wird ihn überzeugen, dass er sich aus einem anderen Grund in die Obhut des weißen Mannes begeben sollte. In Schlachten besiegt, seiner Waffen beraubt und unbarmherzig unter dem Stiefel des Eroberers zertreten, wird er sich in Demut der Macht beugen, die ihn unterworfen hat, und sich ohne Murren dem Willen seines Herrn ergeben. Unter solchen Bedingungen können die Apachen Zuverlässigkeit und Fleiß erlernen und dazu gebracht werden, ihre Kinder der Führung des weißen Mannes anzuvertrauen, damit ihre geistigen Fähigkeiten so gut entwickelt werden, wie es bei dieser schnell verschwindenden und scheinbar zum Untergang verurteilten Rasse möglich ist.

P. P. Wilcox, Indianeragent der Vereinigten Staaten. Bericht des Innenministers, Indianeragentur San Carlos, Territorium von Arizona, 9. August 1883.

Die Gesundheit der Indianer wurde nicht durch ungewöhnliche Krankheiten angegriffen; vielmehr haben die in heißem Klima üblichen Seuchen, schlechter Boden, unreines Wasser und uneingeschränkte Eingriffe in das soziale Leben bereits ohne Fremdeinwirkung bei der Ausrottung ganze Arbeit geleistet.

P. P. Wilcox, Indianeragent der Vereinigten Staaten. Bericht des Innenministers, Indianeragentur San Carlos, Territorium von Arizona, 15. August 1884


ACHT

Das Klettern war beschwerlich, und oft gingen die Reiter zu Fuß und führten die Pferde. An den Hängen standen Espendickichte, umgeben von Tannen und prächtigen Ponderosa-Kiefern. Die Luft war kühl und der Himmel wolkenlos. Der Wind wehte aus Südwest. Zwischen der Quelle und einem Riss im Felsen, aus dem das erste Rinnsal der mittleren Gabelung des Whitewater tröpfelte, befand sich eine dreieckige Senke. Dort schlugen sie ihr Lager auf.

Zwei Männer und die älteren Jungen gingen mit Bogen auf die Jagd und brachten zwei Wapitis und ein Deer. Mit dem übrig gebliebenen Fleisch der Rinder vom Blauen Bach war das genug Nahrung für den Abend. Erst nach der Dämmerung zündeten sie Feuer an und nahmen dazu trockenes Holz, das nur wenig Rauch verursachte. Am zweiten Tag schlachteten sie ein Pferd.

Am Morgen des dritten Tages zogen Nana und seine kleine Gruppe weiter.

Der alte Mann umarmte Chihuahua und Josanie. Sein zerfurchtes Gesicht war traurig und die Obsidianaugen unter der perlenbestickten Kriegshaube lächelten nicht. „Lebt wohl, Freunde”, sagte er. „Seid wachsam.”

Er drehte sich schnell um und ergriff den Zügel seines Pferdes, den ihm einer seiner Männer reichte. Sie schritten davon, ohne zurückzublicken. Mit Nana gingen vier Krieger und zehn Frauen und Kinder. So wenige, so erbärmlich wenige waren seit Victorios Zeit vor nur fünf Jahren von den Chihenne übrig geblieben. Chihuahua und Josanie sahen zu, wie sie zwischen den Bäumen verschwanden, hörten das Klappern von Hufen, dann Stille. „Wir sollten auch aufbrechen”, sagte Chihuahua.

Sie brachen das Lager ab und gingen auf einem anderen Chokonenpfad nach Westen. Fünf Meilen weit durchquerten sie ein sehr raues Terrain und erreichten dann in achttausend Fuß Höhe, einen Wasserfall und eine Höhle unter einer Klippe.

Sie suchten den Boden ab, fanden aber nur die Abdrücke von Deer, Pumas, Stachelschweinen und Waschbären.

Es gab keine Spuren von Menschen. Seit einiger Zeit schien hier niemand mehr gewesen zu sein. Der etwa vierzehn Fuß hohe Wasserfall war nur noch ein Rinnsal, das Ergebnis einer Jahreszeit ohne Regen, aber das kleine, im Gestein darunter eingebettete Bassin war mit klarem, kalten Wasser gefüllt. Einige Männer kletterten über die Felsen, die von der Decke der Höhle und der Klippe darüber gefallen waren und einen Großteil des Eingangs abschirmten. Ein gutes Versteck, aber auch eine gefährliche Falle. Sie durchsuchten den Innenraum, der sich vierzig Fuß tief erstreckte, entdeckten auf der weichen Oberfläche des Bodens jedoch nur die Spuren von Pumas, die diesen Platz zu bevorzugen schienen.

Weiße Wolken drifteten aus Südwest heran und die Menschen wussten, dass es bald regnen würde. Sie lagerten entlang des winzigen Bachs, der den Anfang des Shelter Canyon bildete, und brachten die Pferde in die weniger als eine Meile entfernte Holt Gulch. Im Feindesland behielten sie die Herde niemals in der Nähe des Lagers, sondern versteckten sie an einem abgelegenen Platz. Sollte das Camp angegriffen werden, könnten sie zu den Pferden fliehen; falls man aber die Tiere einfing, würden sie dagegen zu Fuß entkommen und später neue Pferde erbeuten. Zwei Wächter wurden bei der Herde gelassen, um sie zusammen zu halten und vor Pumas und umherziehenden Grizzlys zu schützen.

Männer und Jungen gingen mit Pfeil und Bogen hinaus, um zu jagen und nach Spuren von Pferden und Menschen Ausschau zu halten. Die ersten Jäger kamen noch vor dem Mittag zurück, die letzten am späten Nachmittag. Sie hatten ungefähr eine Meile um das Lager herum erkundet und nichts Verdächtiges gefunden. Der Fang bestand aus einem Wapiti und einem Deer. Nach Einbruch der Dunkelheit wurde mit trockenem Holz Feuer gemacht. Es war eine ruhige Nacht, nur von den Geräuschen der Berge erfüllt. Einmal heulten Wölfe gen Westen. Nach Mitternacht brannten die Feuer nieder. Beim ersten Morgenlicht gingen zwei Männer den Pfad entlang, um die Wächter abzulösen, und andere standen auf, um sich auf eine weitere Jagd vorzubereiten. Das Camp erwachte.

Ohne Warnung durchbrach das Krachen von Gewehren die Stille. Der schmale Canyon war erfüllt mit dem ohrenbetäubenden Lärm der Schüsse, die von der nördlichen Berghöhe kamen. Schwere Bleikugeln schlugen wie Hagel um die Menschen herum ein, die auf der Suche nach Deckung davonhasteten oder -krochen. Die Männer feuerten verzweifelt auf die blitzenden Waffen hoch über ihnen. Einige Frauen und Kinder rannten nach Süden, an der Klippe entlang Richtung Höhle, die meisten bewegten sich im Schutz des Abhangs und zwischen Felsblöcken stromaufwärts, um den erbarmungslosen Gewehren zu entkommen. Nur Chaddi saß, vollkommen entrückt von dem Blutbad um ihn herum, auf seiner Decke in der Mitte des Lagers, bemalte sich und sang ein heiliges Lied, das den Lärm übertönte. Überall um ihn herum gingen Geschosse nieder. Chihuahua stürmte vorwärts und zog ihn weg. In der Schlucht lagen zerschmetterte Körper. Als die stromaufwärts fliehenden Menschen einen Sattel erreichten, wo sie vor den Feuerwaffen sicher waren, folgten die Männer und bildeten einen Schutzschild hinter ihnen.

Das Schießen hörte auf. Auf dem Bergrücken befanden sich vielleicht sechzig oder mehr Schützen. Einige Männer in blauen Uniformen versuchten, zum Camp hinunterzuklettern. Sie kamen in Reichweite der Büchsen der Chokonen, und Soldaten fielen. Die, die noch konnten, liefen zurück und außer Sichtweite, dann war es vorbei.

Plötzlich herrschte eine tödliche Stille. Als die Frauen und Kinder über den Pfad zu dem Platz gingen, an dem die Pferde versteckt waren, blieben die Männer zurück. Die Kavallerie folgte dem Rückzug der Apachen nicht.

Aus der Richtung der Höhle war ein kurzes Aufflackern von Gewehrfeuer zu hören. Josanie und einige Männer kletterten um den Felsen herum, kamen an der Südseite der Klippe herunter und näherten sich dem Wasserfall und der Höhle. Dort fanden sie den alten José Second. Er lag tot in der Nähe, zwei Mal in den Kopf getroffen. Unbewaffnet hatte er versucht, die Kavalleristen von der Höhle abzulenken, aber sie hatten ihn eingeholt und getötet. Auf dem Boden vor und in der Höhle waren Hufspuren und Blut, und einige leere Patronenhülsen lagen herum.

Wer immer versucht hatte, sich hier zu verstecken, war entführt worden.

In den Trümmern des Lagers fanden sie drei Frauen und ein siebenjähriges Mädchen. Auch sie waren tot. Eine der Toten war Chihuahuas alte Mutter. Zwei verwundete Soldaten wollten sich über den Kamm des Bergrückens wegschleichen, aber Nitzin kletterte ihnen nach und erstach sie mit einer Lanze.

Es waren Negersoldaten wie jene, die in Fort Bayard stationiert waren, keine weißen Soldaten aus San Carlos oder Fort Apache. Sie starben schreiend. Als die Pferde herbeigebracht wurden, zählte man die Überlebenden. Fünf Frauen fehlten, darunter auch Chihuahuas Ehefrau Coro, außerdem zwei Jungen, Chihuahuas Sohn Eugene und Josanies Sohn Nachi. Sie waren zuletzt gesehen worden, als sie südwärts gerannt waen. Viele waren leicht verletzt, hauptsächlich durch herumfliegende Gesteinssplitter, aber zwei Männer und ein Kind hatten Fleischwunden von Kugeln.

 

Josanie und eine Handvoll grimmiger Krieger ritten hinter dem Trupp her, hielten sich aber außer Reichweite. Sie folgten dem Canyon fünf Meilen weit und kamen an die Stelle, wo er sich zum Tal verbreiterte. Nahe der kleinen Mormonenstadt Pleasanton, die drei Meilen entfernt auf der Straße nach Silver City am Rand der Flutebene des San Francisco Flusses lag, sahen sie die Kavalleriekolonne ziehen. Durch Galeanas Fernglas konnten sie erkennen, dass die Soldaten die Gefangenen über ihre Sättel geworfen hatten, um schneller vorwärts zu kommen. Die Männer wollten hinunter zum Feind, aber Josanie hielt sie zurück.

„Zu viele Gewehre für uns”, sagte er. „Bevor wir sie erreichen können, haben sie die Gefangenen längst getötet. Wir werden ihnen später folgen.” Also wendeten sie ihre Pferde und ritten zurück in die Berge.

Alle Augen richteten sich auf sie, als sie ins Lager kamen. Josanie suchte den Blick seines Bruders und schüttelte den Kopf. Sie stiegen ab. Die Toten waren gewaschen, gereinigt und nebeneinandergelegt worden. Dann begann das Wehklagen, der traurige, durchdringende Trauergesang. Er hallte über die Berghänge und endete mit einem Schrei wie der Ruf des Wanderfalken am Himmel, schroff und rau. In Decken gewickelt wurden die Toten von ihren nächsten Verwandten getragen. Die Träger entfernten sich vom Camp, Chaddi begleitete sie. In einer Nische an der Rückseite der Höhle, wo die Wände stark abfielen, wurden die Körper mit einigen persönlichen Dingen bestattet. Der Begräbnisplatz wurde mit Felsen verschlossen.

Die Arbeit dauerte einige Zeit. Chaddi hatte außerhalb ein kleines Feuer errichtet, und als die Träger heraus kamen, legte er eine Handvoll Salbei auf die brennenden Zweige, Geistermedizin. Sie badeten ihre Hände im Rauch und rieben sich von den Mokassins bis zum Kopf ein, um sich zu reinigen. Im Camp wurde das lange schwarze Haar derer, die nahe Verwandte der Verstorbenen waren, auf Schulterlänge gekürzt. Josanies Frau Jaccali schnitt das Haar ihres Ehemannes, Chihuahuas und ihr eigenes.

Chihuahua sprach kurz. Er nannte die wahren Chokonen-Namen der Toten zum letzten Mal. Sie würden nie wieder ausgesprochen werden. Die Toten wollten Frieden. Würden ihre Namen von den Lebenden geatmet werden, könnten ihre Geister, durch diese Worte gerufen, aus der anderen Welt kommen und diese Welt stören.

NEUN

Bevor es wirklich hell wurde, baten mein Cousin (Josanies Sohn) und ich unsere Mütter um unsere Bögen und Pfeile und gingen die Anhöhe hinunter, um nach Kaninchen Ausschau zu halten. Links von uns befand sich die Schlucht mit der Höhle, und nicht weit davon entfernt waren die Pferde verborgen. Im Falle eines Angriffs sollten unsere Männer die Kavallerie von den Schutzlosen weglocken.

Plötzlich summte etwas an meinem Ohr vorbei. Ich hörte einen Schuss, dann viele. Mein Cousin stürzte. Als ich versuchte, ihn aufzuheben, spürte ich Blut an meinen Händen. Ich konnte ihm nicht auf die Füße helfen. Er sagte, dass ich gehen und mich selbst retten sollte. Plötzlich kam eine Frau zu uns. Sie hob meinen Cousin auf ihre Schulter und rannte den Bergrücken entlang. Ich folgte ihr.

Als wir eine Stelle erreichten, an der ein seichtes Bächlein über die Klippe tröpfelte, hielt sie an. Die Steine waren glitschig. Unten sah ich einen Mann stehen. Sie legte den verwundeten Jungen nieder und schubste ihn hinunter. Der Mann, José Second, fing ihn auf und ließ ihn vorsichtig zu Boden gleiten. Dann stieß sie mich von der Klippe und kam nach, aber weil sie schwerer war, fielen sie und José Second hin. Mit dem verletzten Jungen in seinen Armen führte er uns zur Höhle, wo schon viele Frauen und Kinder waren.

Die Kavallerie verfolgte die Männer, aber sie ließen einen schwarzen Sergeant und Soldaten zurück, welche die Frauen suchen sollten. Sie ritten zur Quelle, um ihre Pferde zu tränken, entdeckten unsere Spuren, folgten ihnen und schleiften uns aus der Höhle hinaus. Drei Frauen waren verwundet, eine hatte ein Einschussloch in der Wade. Meine Mutter war auch dort. Ich suchte nach meiner Großmutter, aber meine Mutter schüttelte den Kopf.

Tränen rannen über ihr Gesicht, und ich wusste, dass meine Großmutter getötet worden war. Es fehlten noch andere Frauen, und wir erfuhren nie, ob sie tot oder verletzt waren.

Die Soldaten legten meinen Cousin auf ein Maultier, aber er kam nicht lebend in Fort Bowie an. Keiner der Frauen, nicht einmal den verwundeten, wurde gestattet zu reiten. Wir wurden wie Rinder getrieben. Die Frau mit der Schusswunde im Bein hinkte mit, so gut sie konnte. Meine Mutter gab mir ein Zeichen, und ich verließ die Marschlinie, um ihr einen starken Stock zu holen. Damit hielt sie humpelnd mit den anderen Schritt. Ich weiß nicht, wie lange wir brauchten, um das Fort zu erreichen, aber als wir dort waren, wurden wir in ein Gebäude gesperrt. Sie warfen etwas Essen für uns auf den Boden, als wären wir Hunde.

Nach ein oder zwei Tagen durften die Kinder draußen spielen und die Frauen mussten Latrinen ausheben… Hacken und Schaufeln! Die Frauen, sogar die Verletzten! Sie ließen diese Frauen graben und zwangen sogar die Lahme, mit ihnen zu schuften. Sie band den Stock an ihr Bein, um es zu stützen, und arbeitete. Als sie hinfiel, stieß ein Soldat sie mit seinem Gewehr an und trat sie, bis sie sich aufraffte. Eines Tages stürzte sie wieder, und weder Tritte noch Stöße konnten sie dazu bringen, aufzustehen. Wir wussten, dass sie geflohen und an den Ort des Glücks gegangen war, und wir waren froh.

Augenzeugenbericht von Eugene Chihuahua, Sohn des Häuptlings, über den Angriff auf das Camp der Gruppe in den Mogollons am 24. Mai 1885 und die Geschehnisse danach, aufgenommen von Eve Ball.


ZEHN

Die Apachen beluden die Pferde und ritten fort von dem Ort des Todes. Dieses Mal war es Chaddi, der die Trennlinie auf den Boden zeichnete. Achtzehn Meilen ritten sie bergauf, bis zur Quelle des Apache in zehntausend Fuß Höhe unter der Krone der Center Baldy Berge. Am Rande eines grasbewachsenen Plateaus, hoch über den umliegenden grünen Bergen, errichteten sie ihr Lager zwischen Kiefern, im Dunst aufziehender Wolken und unter sanftem Regen - weiblicher Regen, Tränen des Himmels. Niemand aß etwas und eine lange Zeit herrschte Schweigen.

Sie verbrachten eine nasse Nacht. Der Berg selbst schien sich gegen sie verschworen zu haben.

Doch vor Einbruch der Morgendämmerung hörte der Regen auf, die Wolken zogen weiter, und sie beobachteten einen strahlenden Sonnenaufgang. Das großartige goldene Licht kehrte wieder in die Welt zurück. Obwohl sie wussten, dass der Rauch aus großer Entfernung zu sehen sein würde, entzündeten sie große Feuer. Sie trockneten ihre Kleidung und Decken und kochten das übrig gebliebene Fleisch.

Nach dem Tod seiner Mutter und der Gefangennahme seiner Frau und seines Sohnes hatte sich Chihuahua mit seiner jungen Tochter Ramona zum Lagerplatz seiner Schwägerin gesellt.

Jaccali und Ramona brachten den Brüdern das Essen. Die Männer saßen mit gekreuzten Beinen da, beobachteten die grasenden Pferde, die sich gegen den Himmel abzeichneten, aßen und blickten zu den Feuerstellen.

Wir beide, vierzehn Männer und Zilahe, der Dikohe und damit noch kein vollwertiger Krieger ist, dreißig Frauen und Kinder und ein alter Mann, das sind alle, die noch von uns übrig sind, dachte Josanie. Noch wusste er nichts von dem Tod seines Sohnes.

Chihuahua schaute ihn an, schien seine Gedanken zu ahnen.

„Vielleicht sollten wir aufgeben.”

„Uns ergeben?”, fragte Josanie.

„Ja.”

„Wir haben uns vor zwei Jahren ergeben. Und davor auch schon mal. Wir haben es versucht. Dort, auf jener Reservation, können wir nicht leben”, sagte Josanie.

„Hier können wir auch nicht leben.” Chihuahuas Hände formten eine hilflose Geste. „Es war falsch von mir, zu denken, dass wir es könnten. Es war meine Schuld.”

„Nein”, erwiderte Josanie heftig. „Es ist einfach passiert. Wir waren vorsichtig, aber es ist passiert. So etwas ist schon früher vorgekommen. Es gibt zu viele von ihnen. Ich weiß nicht, wie sie uns finden konnten.” Er machte eine Pause, schüttelte den Kopf. „Sie sind nicht über den Weg gekommen, sondern von unten. Vielleicht haben sie die Berge mit ihren Feldstechern abgesucht und einen unserer Männer bei der Jagd gesehen.”

„Ich habe bereits meine Mutter, meine erste Frau und meinen Sohn verloren. Ein anderer Sohn ist in Fort Apache gefangen”, sagte Chihuahua bitter. „Warum sollte ich weiter machen? Ich will nicht ohne sie sein. Ich weiß nicht, ob meine Frau und mein Sohn noch leben.”

Die Männer verfielen in Schweigen. Josanie spielte mit einem Stock und kratzte Figuren in den blassbraunen Teppich aus Kiefernnadeln. „Ich habe keine Körper auf dem Pfad gefunden. Wir sahen die Gefangenen bei den Soldaten. Sie leben.”

Nach einer Pause sagte er: „Auch ich habe meinen Sohn verloren.” Er wartete. „Bishs Frau und seine kleine Tochter wurden getötet. Tsachs Frau ist gefangen. Nalgees zweite Ehefrau ist eine Gefangene. Die Frauen von Tisnol und Parte wurden entführt. Partes Vater, der alte Mann, wurde umgebracht. Gestern haben wir alle gelitten. Viele sind verwundet.”

Er machte wieder eine Pause. „Ich werde ihnen irgendwann folgen und sie zurückbringen. Ich bin sicher, dass sie nach Fort Apache gebracht werden. Ich gehe dorthin und hole sie.”

Wieder herrschte Schweigen. Dann fuhr er leise fort: „Du bist Nantan, Häuptling dieser Gruppe, wie es schon unser Vater war. Das darfst du nicht vergessen. Du musst an diese Menschen denken. Muss ich dir das erst sagen?”

Sie saßen still da, dann sagte Chihuahua: „Du hast Recht.”

Und nach einer Pause: „Naiche und Geronimo… , sie haben wahr gesprochen. Ich war blind. Hier werden wir niemals sicher sein. Wir müssen über die Grenze gehen.”

Ramona wurde losgeschickt, um die Männer zu holen, und als sie versammelt waren, erzählte er ihnen, worüber er und Josanie gesprochen hatten. Sie saßen mit ernsten Gesichtern da und hörten zu. Seit ihrer Geburt waren sie von Krieg und Tod umgeben gewesen. Alle hatten geliebte Menschen an den Krieg oder die Krankheiten des weißen Mannes verloren, und sie mussten zusehen, wie ihre Zahl stetig abnahm. Sie trauerten, zeigten es jedoch nicht. Wie so viele Male vorher würden sie sich wie in die Enge getriebene Grizzlybären für den Schmerz rächen, der ihnen zugefügt worden war.

Sie sprachen langsam und sorgfältig, wogen ihre Worte ab, und alle beschlossen gemeinsam, dass sie nach Mexiko in die Sierra Madre gehen und die Gefangenen und andere Mitglieder ihrer Familien, die noch auf der Reservation waren, später retten würden. Ein Plan wurde gefasst, und dann brachen sie noch vor dem Vormittag das Lager ab. Sie ritten über den rauen Weg durch das Hochland nach Osten, dann südlich in den Canyon des Mogollon Bachs. Galeana und Kezinne ritten voraus. Sie konnten den Pfad hinter ihnen außer Acht lassen, denn der Regen hatte ihre Spuren weggewaschen.

Auf einer Wiese nahe der Quelle des Hobo fanden sie ein Dutzend tote Schafe, die Kadaver waren etwa zwei Wochen alt und teilweise aufgefressen. Mehrere weiche, weiße Körper waren auf den Steinen am Abhang unterhalb des kleinen Plateaus verstreut, von dem die Schafe in Panik gestürzt waren. Neben der Quelle stand das zerfetzte, grüne Zelt eines Schafhirten. Die bereits verwesende Leiche eines Mexikaners lag in der Nähe, Kopf und Hals waren schwer verletzt, der rechte Arm abgerissen. Dicht bei ihm war ein toter Hütehund.

Selbst vom Pferderücken aus konnte man leicht erkennen, was hier passiert war. Ein Grizzly hatte die Schafe angegriffen und zwölf gerissen, während die Herde durchging. Der Mann und der Hund hatten versucht, den Bären zu vertreiben, aber er hatte auch sie getötet. Er war einige Tage geblieben und hatte sich von den Kadavern ernährt.

Nach dem Bären waren Kojoten und Bussarde gekommen.

„Sie treiben ihre Schafe bis hierher, so hoch auf den Berg”, sagte Galeana grimmig.

„Der Berg hat sie getötet”, meinte Chaddi.

„Die Weißen werden sagen, wir hätten sie getötet”, entgegnete Josanie.

Eine Meile östlich von Hobo Spring erreichte die Gruppe die Quelle des Mogollon Bachs und stieg in die Schlucht hinab. Während des Rittes hatten die Bogenschützen zwei Hirsche erlegt, und am frühen Nachmittag schlugen die Apachen bei einer Quelle unter dem Lookout Berg ihr Lager zwischen roten, ocker farbenen und grauen Klippen auf.

 

Am nächsten Tag ging es weiter nach Süden, und sie kamen unterhalb von Buds Hole zum Hauptflussbett des Mogollon Bachs. Sie folgten ihm westwärts zu einer anderen Quelle, als Galeana und Kezinne, die vorausgekundschaftet hatten, fünf rote Jungochsen herantrieben, die sie jenseits der Mündung des Canyons etwa eine Meile entfernt eingefangen hatten.

Chihuahua und Josanie beschlossen, dass die Gruppe hier bleiben würde. Die Frauen schlachteten die Ochsen, um für den schnellen Ritt gen Süden, nach Mexiko, Proviant zu haben. Das in dünne Streifen geschnittene Fleisch wurde in der Sonne getrocknet und in der Nacht über Feuern geräuchert.

Einige ihrer Pferde waren in schlechtem Zustand und viele hatten ihre Beschläge verloren. Das Laufen auf harten Bergpfaden hatte ihre Hufe abgenutzt und manche lahmten unter Schmerzen. Um es bis zur Sierra Madre zu schaffen, brauchten die Chokonen frische Tiere. Außerdem mussten sie die Aufmerksamkeit von der Route, die sie nehmen wollten, ablenken und die Militäreinheiten und Aufgebote, die auf sie warten würden, dazu bringen, an den falschen Stellen zu suchen.

Es wurde beschlossen, dass Chihuahua und sieben Krieger zwei Tage mit dem Camp am jetzigen Platz bleiben würden. Am dritten Tag sollten sie westwärts zum Little Dry Bach und über die Straße nach Silver City ziehen und bei den beiden Quellen in der Schlucht nahe des San Francisco Flusses warten.

Zwei Angriffstrupps würden ausziehen. Josanie und Tsach, jeder mit drei Männern, würden im Abstand von zehn bis zwanzig Meilen nach Süden reiten. Josanie würde entlang der Straße nach Silver City und ein Stück weit nach Westen im Tal des San Francisco Flusses zuschlagen. Tsach würde den Weg durch das Tal des Bären Bachs nehmen und bis zum Rand von Pinos Altos, der Bergbaustadt nördlich von Silver City, einem Kampfplatz vergangener Tage, gehen.

Beide Gruppen sollten Pferde erbeuten und am Nachmittag des dritten Tages an der Stelle mit den zwei Quellen auf das Camp treffen. Falls das Lager nicht dort war, sollten die Reiter nach Signalen von Handspiegeln Ausschau halten.

Bei Sonnenaufgang verließen die beiden Kriegstrupps die Mündung des Canyons auf den besten Pferden, die in der Herde noch zu finden waren. Die Männer trugen blaue Kalikohemden und hätten von Weitem für Armeescouts gehalten werden können. Wo der Rain Bach vom Norden her in den Mogollon Bach floss, trennten sie sich. Tsach und seine Begleiter hoben den rechten Arm zum Gruß und folgten dem sich verbreiternden Tal nach Süden in Richtung des Gila und des Bären Bachs. Josanie und seine Männer erhoben ebenfalls ihre Arme und wandten sich westwärts. Sie erklommen die Mesa des Rain Bachs, die dritte in einer Kette von Mesas, die sich in fünf aufeinander folgenden Lagen, immer eine auf der anderen, gen Osten von der Talsohle bis zu den hohen Mogollon Bergen erhob. Dann ritten sie die wenigen Meilen bis zu der Schlucht, durch die der Sacaton Bach nach Süden floss, stiegen hinunter und ritten in seinem Schutz, bis sie noch eine Meile von der Straße entfernt waren. Galeana ging auf einen Hügel, der klare Sicht in beide Richtungen bot, und blickte durch sein Fernglas. Die Straße war leer.

Sie kamen auf einer kleinen Fläche heraus, wo sich der Sacaton Fluss mit dem Enten Bach vereinigte. Der Fluss floss von Nordwest nach Südost, und die Straße wand sich auf höherem Gelände an ihm entlang. Nachdem sie die Kiesstreifen und das kleine Rinnsal überquert hatten, stiegen Josanie und Galeana ab und gingen zur Straße.

Dieser schmutzige Streifen war die wichtigste Verbindung zwischen den Rinderstädten, Bergbaurevieren und Militäreinrichtungen von den Ebenen von San Agustin entlang der Flüsse Tularosa und San Francisco nach Silver City und Fort Bayard bis zu den Eisenbahnstädten Lordsburgh, Separ und Deming weiter südlich. Er war auch einer der bekannten Wege der Gesetzlosen von und nach Mexiko, der von weißen Viehdieben und Halsabschneidern benutzt wurde.

Sie betrachteten die Fährten. Kavallerie und einige von Maultiergespannen gezogene Transportwagen waren vor drei Tagen nach Süden unterwegs gewesen, aber seit dem Regen war niemand vorbeigekommen. Die Furcht vor uns hat die Straße geschlossen, grübelte Josanie. Der Regen hatte einige der Abdrücke verwischt. Danach war der sandige Boden unter der Sonne hart geworden. Dies war auch die Straße, auf der die entführten Frauen und Jungen fortgeschafft worden waren. Josanie und seine Männer suchten und fanden Abdrücke von Füßen mit Mokassins. Die Gefangenen hatten laufen müssen und eine hatte stark gehinkt.

Mit grimmiger Entschlossenheit ritten die Krieger weiter entlang des Enten Bachs bis zu einer Senke, die von Westen einmündete. Die Straße tauchte hinein, und sie durchwateten das Wasser eines Flüsschens und überquerten sie, ohne eine Spur zu hinterlassen. Sie ließen die Pferde durch die Senke im Schritt gehen, an einer Kette niedriger Hügel vorbei, die weniger als eine Meile entfernt fast parallel zur Straße verlief. Dann wandten sie sich nach Süden und trieben die Tiere zum Galopp.

Nachdem sie an einigen weit verstreuten Gruppen roter Rinder vorbeigekommen waren und ein paar sumpfige Gebiete umgangen hatten, überschritten sie zehn Meilen unterhalb des Sacaton den Gila Fluss. Drei Meilen östlich thronten die Gebäude der riesigen Lyons-Campbell-Ranch über dem Fluss, eine arrogante Beanspruchung gestohlenen Landes.

Tsach wollte sie an der Ostseite passieren. Wenn er woanders keine Pferde bekommen hatte, würde er sie trotz der vielen Cowboys und Arbeiter von dieser Ranch treiben. Die Ranch zu plündern wäre unmöglich gewesen, selbst wenn die beiden Trupps ihre Kräfte vereinigt hätten.

Josanie und seine Männer folgten der Straße weiter nach Westen. In der Nähe des Platzes mit den vielen Quellen (Mangus Springs) und bei den Ruinen des Soldatenforts, in dem vor ungefähr zwanzig Jahren Mangas Coloradas der Häuptling der Mimbres-Apachen gefoltert und ermordet worden war, überraschten sie drei Goldsucher, die aus den Burro Bergen gekommen waren.

Als Josanie gerade eine mit Kiefern bewachsene Landzunge umrundete, standen sich die Reiter und die Goldsucher plötzlich gegenüber, weniger als einhundert Yards voneinander entfernt. Es waren Männer, welche die Berge der Chokonen und Chihenne nach Gold und anderen Metallen durchwühlten, in der Erde scharrten und auf Felsen hämmerten, und Tausende, die wie sie waren, folgten ihnen. Hier saßen sie am Boden, rasteten nach der Rückkehr von einem Ort, der nicht ihnen gehörte, und zogen weiter zu einem Platz, der nicht ihr Eigentum war. In ihrer Nähe waren zwei schwer beladene Maultiere.

Die Krieger reagierten sofort. Während Josanie und Nalgee direkt auf sie zu ritten, schwärmten Galeana und Kezinne aus, um sie rechts und links von der Seite anzugreifen. Einer der Goldsucher rannte los, die anderen beiden versuchten verzweifelt, ihre auf den Packsätteln der Mulis festgebundenen Waffen zu erreichen. Der Erste konnte noch einen ungezielten Schuss abfeuern, als die lange Klinge von Nalgees Lanze seine Achselhöhle durchbohrte. Josanie erschoss den zweiten Mann aus geringer Distanz, und sie hörten die drei Schüsse, mit denen Galeana den Fliehenden niederstreckte.

Sie fingen die brüllenden Maultiere ein, die vor den Schüssen davongelaufen waren, nahmen ihnen die Packsättel ab und ließen sie frei. Dann durchsuchten sie das Gepäck. Es enthielt nichts Brauchbares außer zwei Schachteln 44-40er Patronen, Munition für Galeanas und Nalgees Gewehre. Sie berührten die Toten nicht, und wieder zeichnete Josanie die Pollenlinie auf den Boden. Weil sie sich nicht mit zusätzlichen Waffen belasten wollten, versteckten sie die Gewehre, Handfeuerwaffen und eine Schachtel mit Munition in einem kleinen Hohlraum unter den Wurzeln einer Kiefer, markierten den Platz mit einem blauen Stoffstreifen und ritten weiter.