Juwelennächte

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»Was haben wir denn da?«, sagte Clemens und hielt Jana einen Presseausweis unter die Nase.

Daniel Bender war also Journalist. Und er wohnte gar nicht weit von hier entfernt. Was Jana vermuten ließ, dass er zu Fuß oder mit dem Rad zum Bad gelangt war. Dass sie seine Sachen hier vorfanden, erstaunte Jana. Noch konnten sie nicht ausschließen, dass der Mann eines natürlichen Todes gestorben war. Doch wie er auf die Bank außerhalb des Bades gelangt war, galt es zu untersuchen. Möglich war immer noch, dass er das Bad eigenständig verlassen hatte, ohne sich um seine Schuhe und Wertgegenstände zu kümmern, weil es ihm nicht gut gegangen war. Wahrscheinlicher war aber anderes. Denn die Spuren am Tor sprachen dagegen. Sofern nicht ein Gärtner oder ein Lieferant diese während der vergangenen Stunden hinterlassen hatte. Es galt, die Routinen des Badebetriebes zu ergründen. Wer kam morgens als Erster, wer verließ das Bad abends als Letzter? Wer arbeitete dort, nachdem die Besucher nach Hause gegangen waren? Wer lieferte wann etwas an und auf welchen Wegen?

Clemens ließ die Wertsachen sichern und bat seine Kollegen, sich um den Bereich am Zaun zu kümmern, der sich im Umfeld der außen aufgestellten Bank befand. Auf dem Weg dorthin besprachen die beiden sich. Dass er selbstständig das Bad verlassen hatte, hielt Jana nach wie vor für abwegig. Falls doch, würden sich dafür vielleicht Zeugen finden. Clemens wollte später die Mitarbeiter des Bades dazu befragen. Auch nach der Verfügbarkeit von Videoaufnahmen.

»Also, wenn ihn jemand nach draußen gebracht hat, welche Gründe gab es dafür?«, fragte Clemens, während sie den Außenbereich betraten. »Gehen wir erst einmal nicht von einem Tötungsdelikt aus. Wie siehst du es?«

Jana wusste, dass Clemens selbst schon längst eine Antwort auf diese Frage gefunden hatte, aber er mochte es, mit ihr zu fachsimpeln. Außerdem brachte sie mit ihren zeitweise unkonventionellen Überlegungen erst bestimmte Gedankengänge ins Rollen. Und sie genoss es, von ihm in die Ermittlungen eingebunden zu werden.

»Die Schwimmmeister könnten ihn dort abgesetzt haben. Wenn sie im Besitz eines Schlüssels für das Tor sind. Entweder bat er sie darum, ihn zu begleiten, oder sie trugen ihn, weil er zu schwach war, selbst zu laufen. Oder er war bereits tot, als sie ihn fanden. Und um Probleme oder Fragen zu umgehen, haben sie ihn auf die Bank gesetzt. Das wäre natürlich schon schräg …«

Clemens blieb stehen und blickte sie an. »Nehmen wir das einmal an. Er verstarb auf der Liegewiese, und statt einen Arzt und die Polizei zu verständigen, brachten sie ihn auf die Bank.«

»Du könntest dir also auch vorstellen, dass er dort gestorben ist, und die Angestellten des Bades ihn einfach nach draußen befördert haben?«

»Um Ärger zu vermeiden wegen negativer Schlagzeilen, klar, warum nicht.« Clemens schüttelte den Kopf über diese Vorstellung.

»Das würde zu dem Verhalten von diesem Mann passen. Wie hieß er gleich?«, fragte Jana.

»Henning Gier«, sagte Clemens.

»Das spräche nicht für ein gutes Arbeitsklima«, bemerkte Jana. »Aber warum haben sie dann seine Wertsachen nicht ebenfalls verschwinden lassen?«

»Möglicherweise hatten sie das noch vor. Es konnte ja niemand ahnen, dass du gestern noch mit ihm sprachst und ihn heute wiedererkennen würdest.«

»Und dass ich bei der Kripo arbeite …«

»Zeig mir die Liege, auf die er sich niedergelassen hat, als du gingst«, bat Clemens.

Schon aus der Ferne erkannte Jana, dass jemand die Liege verrückt hatte. Denn sie hatte sie gestern so positioniert, dass sie der untergehenden Sonne hatte entgegenblicken können. Nun stand sie mit Blickrichtung zum Wasserbecken. Wenn man von dem Ort, an dem sie und Clemens jetzt standen, auf den Rasen schaute, konnte man anhand der sich noch nicht wieder vollständig aufgerichteten Grashalme eine Spur ausmachen, die zu dem Tor nach draußen führte. Diese Spur begann exakt an der Stelle, an der Jana gestern Abend ihre Liege hingestellt hatte.

Jana folgte der Spur, die aussah, als wären hier mehrere Personen nebeneinander gegangen, und erreichte ein Blumenbeet am Zaun. Sie musste nicht lange suchen, bis sie das Bändchen mit dem Schlüssel fand, und zeigte es Clemens. Es musste von Daniel Benders Handgelenk gerutscht sein. Sie fotografierte die Fundstelle und winkte ihre Kollegen von der Spurensicherung herbei.

»Nun müssten wir nur noch wissen, wann Daniel Bender starb«, sagte Clemens hinter ihrem Rücken. Er hatte gerade ein Telefonat beendet.

»Und woran«, ergänzte Jana. »Ich denke, dass vermutlich zwei Leute Daniel Bender von der Liege aus bis zum Tor geschleppt oder getragen haben.«

»Das wäre gut möglich. Jana, ich habe gerade aufgrund der Personenabfrage erfahren, dass Daniel Benders Eltern hier in Bad Neuenahr-Ahrweiler leben und er mit einer Frau namens Katrin Anders gleich hinter den Ahr-Thermen wohnte. Würdest du mich zu ihr begleiten? Melanie Siemer übernimmt das Gespräch mit den Eltern.«

Jana stimmte zu. Sie hatte nicht bedacht, dass sie wieder einmal auf die Kommissarin treffen würde, die ihr nach einigen durchaus erfolgreichen gemeinsamen Ermittlungen, wie dem Fall, den sie intern als »Johannisnacht« betitelten, dennoch Rätsel aufgab. Melanie Siemer wirkte kühl und abweisend, vor allem Clemens gegenüber, und hielt auch Jana auf Abstand, sodass es kaum dazu kam, einige persönliche Worte zu wechseln. Dabei war ihr Melanie Siemer gar nicht einmal unsympathisch. Vielleicht trennte sie Berufliches und Privates, wollte keine Vermischung? Vielleicht hatte sie aus bestimmten Gründen eine Mauer errichtet. Jana musste sofort an den Überfall in der Kölner Halle denken. Sie hatte nach einem Einsatz nur ihr Kamerastativ holen wollen und war von zwei Gewalttätern schwer verletzt worden, die die Dreistigkeit besessen hatten, unmittelbar nach dem Ende der Spurensicherung und trotz Betretungsverbot den Ort, diese heruntergekommene Industriehalle, aufzusuchen. Die Erinnerung daran begleitete sie tagtäglich. Dieses Gefühl der Sicherheit, das sie ihr Leben lang verspürt hatte, war weg. Jeder Mensch reagierte auf eine emotionale Extremsituation anders. Manche bauten Mauern um sich herum auf, andere zogen sich in sich zurück, andere redeten offen über ihre Erlebnisse. Doch alle verband etwas: Das Leben nach einem solchen Vorfall war ein anderes. Mit zum Teil dramatischen Auswirkungen. Jana hatte zunächst von sich gewiesen, an einer posttraumatischen Belastungsstörung zu leiden, und hatte sich, als sei nichts geschehen, auf eine Urlaubsreise ins Ahrtal begeben, wo sie aufgrund eines Todesfalls auf dem Rotweinwanderweg Clemens Wieland kennengelernt hatte, der die damaligen Ermittlungen leitete. Seitdem hatte sie viele gute Tage erlebt, aber auch manche düstere. Bis zu jenen Sommertagen, als der Prozess gegen ihre Angreifer endlich begann, hatte sie zumindest gehofft, dass es wenigstens eine Art der Gerechtigkeit gab. Aber seitdem das Verfahren gegen die russischen Täter aus Mangel an Beweisen eingestellt worden war und somit ihre Peiniger straffrei davongekommen waren, beherrschte sie das Gefühl, kaum einem Menschen mehr vertrauen zu können. Noch nicht einmal ihren früheren Arbeitskollegen bei der Kölner Kriminalpolizei.

Clemens’ Frage an den Betriebsleiter des Bades, auf den sie im Eingangsbereich stießen, riss sie aus ihren Gedanken.

»Wer hatte gestern Abend hier in den Thermen Dienst? Ich benötige alle Namen und Adressen und am besten wäre es, wenn sie diese Personen sofort hierher bestellen könnten.«

»Gibt es jemanden, der frühmorgens im Bad arbeitet, ein Gärtner zum Beispiel?«, fragte Jana, da sich Clemens nicht danach erkundigt hatte.

»Ja, schon. Wir haben mehrere Gärtner. Aber die arbeiten nur unter der Woche.«

»Auch keine Hilfskraft, die die Mülleimer leert oder mit ähnlichen Aufgaben betraut ist?«, wollte Clemens wissen.

»Ich mache Ihnen eine Liste«, sagte Steven Pesch und eilte in sein Büro. Nur Minuten später kam er mit einem Computerausdruck zurück. Jana hatte in der Zwischenzeit ihre Fotoausrüstung zusammengepackt und übergab die Speicherkarte der Kamera ihren Kollegen, damit sie diese zur Polizeidienststelle nach Ahrweiler mitnahmen. So konnten die Fotos bereits zur Auswertung vorbereitet werden.

Es würde noch etwa eine Stunde dauern, bis alle infrage kommenden Mitarbeiter in den Thermen einträfen, verriet Steven Pesch. Jana und Clemens kam das gelegen, denn so hatten sie ausreichend Zeit, sich mit der Partnerin von Daniel Bender zu unterhalten.

Da die Wohnung fußläufig zu erreichen war, ließ Clemens sein Auto stehen. An der Fundstelle des Leichnams begegnete ihnen der Assistent des Rechtsmediziners. Er ließ ihnen ausrichten, dass der Verstorbene auf dem Weg nach Bonn sei, wo sofort mit der Obduktion begonnen werden würde.

»Es ist von einer Fremdbeteiligung auszugehen, was das Verbringen des Toten zu der Bank angeht«, referierte er. »Wir haben postmortale Veränderungen an seinem Hautgewebe entdeckt. Mit großer Wahrscheinlichkeit lebte der Mann also zu diesem Zeitpunkt nicht mehr. Über die Todesursache selbst können wir noch keine Auskunft geben.«

Das war zunächst nicht viel. Immerhin fanden Clemens und Jana ihre Theorie hinsichtlich des Transports des Toten weg vom Gelände der Thermen bestätigt.

Es dauerte eine Weile, bis ihnen die Wohnungstür in der Mittelstraße geöffnet wurde. Katrin Anders war eine zierliche Frau, mit mittelblonden Haaren, die Jana auf Ende zwanzig schätzte.

»Ich habe mir gedacht, dass etwas nicht stimmt«, sagte sie, nachdem sich die beiden vorgestellt hatten. Katrin Anders bat sie in die Küche, die aus einem schwedischen Möbelhaus zu stammen schien. An die Anrichte gelehnt nahm sie die Todesnachricht entgegen. Mit versteinerter Miene griff sie zu einem Glas, das neben dem Spülbecken stand, und ließ Wasser aus dem Hahn hineinlaufen. Ohne daraus getrunken zu haben, entglitt es ihr und prallte auf den steinernen Küchenfußboden, wo es zersprang. Janas Hose bekam einige Wasserspritzer ab.

 

»Ich muss mich setzen«, murmelte Katrin Anders und verließ, ohne ein weiteres Wort zu sagen, die Küche. Jana blieb zurück, während Clemens der jungen Frau folgte. In einem Wandschrank fand sie ein Kehrblech, mit dem sie die Scherben zusammenfegte, nachdem sie das Wasser aufgesaugt hatte. Auf dem Weg zum Wohnzimmer, in dem sie Clemens reden hörte, kam Jana an einer offen stehenden Tür vorbei. Obwohl sie ihre Neugier nur schwer im Zaum halten konnte, unterließ sie es, die auf den beiden gegeneinandergestellten Schreibtischen liegenden Papiere zu lesen. Zu gerne hätte sie erfahren, woran der Journalist gerade gearbeitet hatte. Als Jana das Wohnzimmer betrat, fragte Clemens gerade, ob Katrin Anders sich nicht gesorgt habe, als ihr Freund in der vergangenen Nacht nicht nach Hause gekommen war.

»Ich bin früh ins Bett gegangen«, antwortete sie.

»Wo dachten Sie denn, sei ihr Freund gestern Abend noch hingegangen?«, wollte Clemens wissen.

»Er geht neuerdings schwimmen.«

Diese Antwort fand Jana wenig zufriedenstellend.

»Aber die Thermen schließen doch irgendwann. Wollte er danach noch irgendwo hin?«, bemerkte Clemens.

Es dauerte eine ganze Weile, bis Katrin Anders antwortete. Jana ließ derweil ihren Blick schweifen. Das gesamte Interieur des Wohnzimmers entstammte ebenfalls dem Sortiment des schwedischen Einrichtungshauses. Bis auf eine Ausnahme, einen alten Sekretär gleich neben dem Fenster.

»Er geht oft noch zu Veranstaltungen, über die er berichtet. Meistens fährt er nach Bonn oder Köln. Oder er trifft sich mit Interviewpartnern.«

»Und hatte er gestern Abend auch noch einen Termin?«

»Ich glaube nicht. Aber er erzählt mir ja auch nicht alles.«

So wie sie die Situation von gestern Abend einschätzte, ging Jana nicht davon aus, dass Daniel Bender noch vorhatte, aus beruflichem Anlass die Stadt zu verlassen.

»Wo verzeichnet er seine Termine?«, wollte Clemens wissen.

»In seinem Smartphone, meistens.«

»Hat er keinen handschriftlichen Kalender?«, fragte Clemens weiter.

Katrin Anders schüttelte den Kopf.

»Wo steht denn sein Wagen?«, mischte sich Jana ein. Eigentlich hatte sie sich vorgenommen, Clemens’ Befragungen nicht mehr zu unterbrechen und stattdessen nur genau zuzuhören, um sich ihre eigenen Gedanken zu machen.

»In der Tiefgarage.«

»Darf sich unsere Spurensicherung den anschauen?«, fragte Clemens.

»Warum denn das? Ich verstehe immer noch nicht, warum Sie mir diese ganzen Fragen stellen.«

»Wollen Sie denn gar nicht wissen, wie Ihr Freund zu Tode kam? Immerhin erzählten Sie mir doch eben, dass er an keiner Vorerkrankung litt«, bemerkte Clemens.

»Sie meinen, er wurde umgebracht?« Katrin Anders sank regelrecht in sich zusammen. »Ich habe ihn immer davor gewarnt …«

Jana wurde hellhörig.

»Wir ermitteln erst einmal die Todesursache, und dann sehen wir weiter. Oftmals findet sich eine medizinische Erklärung. Wir wollen nicht vom Schlimmsten ausgehen.«

Hatte Clemens die Bemerkung der jungen Frau etwa überhört? Sie wusste, dass er mit Rücksicht auf die psychische Verfassung von Katrin Anders sehr behutsam vorging. Es gab jedoch diese stille Übereinkunft zwischen dem Kriminalkommissar und Jana. Vor einiger Zeit hatten sie beide festgestellt, dass diejenigen, mit denen sie beruflich zu tun hatten, Jana gegenüber eher ins Plaudern gerieten.

»Ihr Freund war doch Journalist, nicht wahr? Hat er bestimmte Themen bevorzugt bearbeitet? Oder schrieb er vorwiegend über Regionales?« Aus Janas Mund hörte sich vieles wie Small Talk an. So auch jetzt.

»Als ich ihn damals an der Uni kennenlernte, war er mein Tutor. Er schrieb bereits für eine Bonner Zeitung. Er wohnte in Bonn und wäre auch gerne dort wohnen geblieben, doch mir zuliebe zog er hierher. Meine Eltern leben auch hier und ich fühle mich ihnen sehr verbunden.«

Seltsam, dass Katrin Anders Daniel Benders Eltern mit keinem Wort erwähnte. Schließlich wohnten sie ebenfalls in der Stadt.

»Heute geht ja vieles online und seit einiger Zeit arbeitet er nur noch freiberuflich. Seine Interviews führt er per Live-Gespräch am Computer. Die meisten Politiker machen das mittlerweile viel lieber. Daniel trifft sich dann höchstens bei offiziellen Anlässen mit ihnen, wie Ausstellungseröffnungen, Denkmalenthüllungen.«

»Ihr Freund beschäftigt sich also mit politischen Themen?«, fasste Clemens zusammen.

»Ja, aber auch mit den Menschen dahinter.«

Zum ersten Mal spürte Jana heute dieses Kribbeln, das sich einstellte, wenn sie ein Tatmotiv witterte. Ihnen lagen zwar noch keine Hinweise auf einen Tod durch Fremdverschulden vor. Aber ihrem Gefühl hatte sie bislang immer vertrauen können, und so war sie überzeugt davon, dass das Obduktionsergebnis ihre Vermutung bestätigen würde.

Clemens leitete den Aufbruch ein. Er empfahl Katrin Anders, sich an ihren Hausarzt zu wenden, wenn sie sich unwohl fühlen sollte, sowie ihre Eltern zu verständigen, die ihr sicherlich beistehen würden.

Jana war bereits vorausgegangen und wartete vor der Wohnungstür.

»Sobald wir mehr wissen, werden wir uns bei Ihnen melden. Sie sind auf Ihrem Handy erreichbar?«, fragte er und klappte sein Notizbuch zu.

Katrin Anders nickte. Jana sprach ihr noch mal ihr Beileid aus und folgte dann Clemens nach draußen.

»Ob wir es mit einem politischen Fall zu tun haben?«, fragte sie leise, während sie zurück zu den Ahr-Thermen liefen.

»Das will ich doch nicht hoffen«, antwortete Clemens. »Jetzt kümmern wir uns erst einmal um die Vorgänge im Thermalbad.«

Auf dem Weg dorthin kamen sie erneut am Auffindeort vorbei. Die Kollegen entfernten gerade die letzten Absperrungen. Vor dem Haupteingang hatte sich eine Schlange mit Badegästen gebildet. Steven Pesch erklärte ihnen geduldig, dass es aufgrund eines technischen Defekts noch keinen Einlass gebe. Als er Clemens und Jana entdeckte, hellte sich seine Miene auf.

»Wie lange dauert es noch?«, fragte er freundlich.

»Wir sprechen noch mit Ihren Angestellten. Danach entscheide ich, ob Sie das Bad öffnen können.«

»Die beiden Herren warten in der Halle auf Sie«, sagte der Betriebsleiter.

Clemens ging voraus, Jana blieb zunächst bei Steven Pesch stehen. Ihr war eben etwas eingefallen, das sie ihn fragen wollte. Doch der Gedanke war auf einmal wieder weg.

»Sind die beiden die Einzigen?«, fragte sie stattdessen, um überhaupt etwas zu sagen.

»Die anderen hatten gestern doch keinen Dienst, wie ich ursprünglich annahm«, antwortete Steven Pesch. »Würden Sie das Ihrem Kollegen ausrichten?«

Jana nickte. Sie würden diese Angabe allerdings noch überprüfen müssen. Als sie kurz darauf zu Clemens stieß, sprach er gerade mit zwei durchtrainierten jungen Männern. Er hatte sie offensichtlich nach ihren Personalien gefragt. Jana warf einen Blick in Clemens’ geöffnetes Notizbuch und konnte mit Mühe die Namen Besim Arslan und Tim Meurer entziffern. Clemens’ Schrift war kaum leserlich.

»Also, die Herren. Haben Sie etwas damit zu tun, dass draußen in der Nähe des Tores ein toter Badegast aufgefunden wurde?«, fragte Clemens die beiden Angestellten.

Die Männer sahen einander an.

»Wir können es langwierig machen, indem wir von Ihnen DNA-Proben nehmen und diese dann mit Anhaftungen an der Kleidung des Toten vergleichen.«

Wieder wanderten Blicke zwischen den beiden hin und her. Ihre Muskelspannung hatte merklich abgenommen.

»Also, meine ganz konkrete Frage lautet: Haben Sie den jungen Mann aus dem Bad herausgeschafft?«

Die beiden blickten auf den Boden. Schließlich gaben sie mit einem beinahe gleichzeitig gesprochenen »Ja« zu, was Jana und Clemens vermutet hatten.

»Ja?«

»Ja.«

»Also. Bitte schildern Sie, was gestern Abend genau geschehen ist.«

Den Männern blieb nichts anderes übrig, als mit der Wahrheit herauszurücken. Sie hatten beim letzten Rundgang über das Freigelände Daniel Bender auf der Liege entdeckt, schlafend, wie sie zunächst annahmen. Als er sich nicht mehr bewegte und kein Lebenszeichen festzustellen war – die beiden betonten, dass sie während ihrer Ausbildung gelernt hatten, wie man den Tod eines Menschen feststellen konnte –, schoben sie ihn auf der Liege, auf der er offensichtlich verstorben war, bis zum Tor und setzten ihn draußen auf die Bank. Es sei schon beinahe dunkel gewesen, weshalb sie bestimmt niemand dabei beobachtet hatte.

»Aber warum haben Sie das gemacht?«, wollte Clemens wissen.

»Es war spät«, sagte der eine leise.

»Sie wollen doch damit nicht sagen, dass Sie noch feiern gehen wollten und Ihnen der Tote nicht in den Kram passte?«

»Nein«, sagte Tim Meurer. »Wir wollten keinen Ärger mit den Chefs riskieren.«

»Ja, Tim, genau so.« Besim fühlte sich sichtlich von der gesamten Situation überfordert.

»Aber warum? Oder haben Sie doch etwas mit dem Tod des Mannes zu tun?«

»Nein, es war doch seit mindestens einer Stunde niemand mehr im Wasser. Das letzte Mal, als ich den Mann bewusst wahrgenommen habe, lief er auf der Wiese herum. Wir dachten, dass niemand mehr im Bad sei«, sagte Tim.

»Gibt es keine Zählmechanismen, die erfassen, wie viele Personen hinein- und wieder hinausgehen?«

»Schon. Aber das kontrollierten wir gestern nicht.«

»Wenn Sie nicht wollten, dass jemand eine Beziehung zwischen dem Toten und seinem Aufenthalt in den Thermen herstellt, wieso haben Sie dann seine Sachen im Spind gelassen?«, fragte Jana, die diese Frage schon die ganze Zeit beschäftigte.

»Uns ist das tatsächlich nicht eingefallen«, sagte Besim.

»Wir standen unter Schock«, erklärte Tim.

Clemens hatte genug gehört. »Sie werden auf jeden Fall Nachricht von der Staatsanwaltschaft erhalten, denn was Sie getan haben, stellt ein Offizialdelikt dar. Für das es sogar eine Haftstrafe geben kann. Und ob nicht doch noch der Tatbestand der unterlassenen Hilfeleistung im Raum steht, werden wir nach der Obduktion wissen.«

Jana merkte, dass Clemens keine weiteren Fragen stellen wollte, doch sie trieb noch etwas um.

»Darf ich?«, fragte sie ihn von der Seite. Er wusste sofort, was sie meinte. »Haben Sie den Badegast in der letzten Zeit öfter hier im Thermalbad gesehen? Ist Ihnen im Zusammenhang mit seiner Person etwas aufgefallen? Hat er sich vielleicht hier mit jemandem getroffen?«

Die beiden Männer waren still geworden. Offensichtlich hatten sie gerade erst realisiert, in welch missliche Lage sie sich mit ihrem Vorgehen manövriert hatten. Jana konnte sich denken, dass sie begriffen hatten, dass ihnen neben den rechtlichen Konsequenzen auch der Verlust ihres Arbeitsplatzes drohte. Vermutlich würde sie niemand mehr in der Branche einstellen, wenn bekannt würde, wie sie mit Menschen umgingen, für deren Sicherheit und körperliche Unversehrtheit sie eigentlich zu sorgen hatten.

Einem der beiden war tatsächlich etwas aufgefallen. Besim Arslan schilderte, dass er beobachtet hatte, wie Daniel Bender sich vor einigen Tagen über den Schutzzaun hinweg mit einer männlichen Person unterhalten hatte, die außerhalb des Bades zwischen den Büschen gestanden habe. Diese Beobachtung passte zu ihren eigenen vom gestrigen Abend. Tim Meurer konnte diese Beobachtung nicht bestätigen, fügte jedoch hinzu, dass der Mann sich gestern irgendwie seltsam verhalten habe. Als Clemens um eine genauere Beschreibung seines Eindrucks bat, antwortete Tim, dass er nichts Bestimmtes meinte, sondern dass er sich eben anders als die anderen Badegäste verhalten habe.

»Sie beide kommen bitte heute noch auf die Ahrweiler Polizeidienststelle und melden sich bei mir.«

Tim und Besim blieben stumm.

»Um Ihre Aussagen zu Protokoll zu geben und einige erkennungsdienstliche Maßnahmen durchzuführen.«

»Werden Sie uns verhaften?«, fragte Tim kleinlaut.

»Ob Haftgründe vorliegen, entscheidet der Staatsanwalt.«

Besim boxte seinen Freund in die Seite. »Das war eine Scheißidee, Tim!«

»Was hätten wir denn machen sollen?«

»Unser Job ist so oder so weg«, maulte Besim. »Also hätten wir uns doch gleich korrekt verhalten sollen und die Polizei rufen sollen, Mann!«

»Ich sehe, Sie zeigen Einsicht bezüglich der Unrechtmäßigkeit Ihres Verhaltens. Danke, dass Sie kooperieren.« Clemens ließ die beiden im Foyer stehen. »Und nicht vergessen, heute noch!«, rief er, während er sich noch einmal zu den beiden umdrehte.

 

Jana war vorausgegangen. Während sie an der am Eingang wartenden Menschenmenge vorbeilief, gab Clemens hinter ihr Steven Pesch letzte Instruktionen. Jana hörte, dass er das Bad für den Besucherbetrieb freigeben durfte. Als Clemens schließlich zu ihr stieß, hatte sie ihre Gedanken bereits sortiert.

»Wir sollten uns mit Daniel Benders Arbeit vertraut machen. Woran hat er gearbeitet? Es könnte sein, dass er sich gestern mit einem Informanten getroffen hat. Meinst du nicht auch?«

Clemens nickte. Sie erreichten sein Auto, das als einziges noch auf dem Gehweg parkte. Jana wollte etwas sagen wie: »Und hast du eine Knolle?«, doch sie hielt sich lieber zurück.

»Wir fahren jetzt erst einmal nach Ahrweiler und tragen im Team zusammen, was wir bis jetzt wissen«, sagte Clemens, nachdem sie eingestiegen waren.