DNA

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Aus der Reihe: Das Böse hat einen Namen #1
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FÜNF

Lisa Krämer ist die acht Jahre alte Schwester von Maximilian Krämer und befindet sich seit fünf Jahren in psychiatrischer Behandlung. Seit dem plötzlichen Tod ihrer beider Eltern, vor fünf Jahren, ist Lisa in eine schwere Depression verfallen. Obwohl Maximilian sofort seinen Dienst als Offizier bei der Deutschen Bundeswehr, aus persönlichen Gründen gekündigt hat, um sich nur noch ausschließlich um seine Schwester zu kümmern, ist es ihm nicht gelungen, sie aus ihrer Isolation heraus zu holen. Da sich Lisa immer mehr in sich selbst zurückzieht und Maximilian mit der Situation völlig überfordert ist, gibt er dem Drängen der Ärzte nach und weist sie in ein Münchner Sanatorium ein.

Die Ärzte behandeln sie mit Antidepressiva gegen ihre Erkrankung und Max erscheint seine Schwester bei seinen wöchentlichen Besuchen wesentlich lebendiger als kurz nach dem tragischen Unglück. Die Ärzte erklären ihm allerdings, dass dies nur die Wirkung der Antidepressiva ist, die bei vielen Patienten, vor allem am Behandlungsbeginn, Stimmung aufhellend wirken und noch ein weiter Weg vor ihnen liegt, da die Behandlung nur durch therapeutische Betreuung zum Erfolg führt, die Medikamente lediglich begleitend eingesetzt werden können. Trotzdem hat Max das Gefühl, dass Lisa sich hier wohl fühlt und besser aufgehoben ist, als bei ihm zu Hause, wo sie alles an ihre Eltern erinnert. Ihre Eltern haben ihnen eine größere Summe Geld hinterlassen, so muss sich Maximilian keine Sorgen um die Finanzierung des privat geführten Sanatoriums machen.

Die erste Zeit besucht er Lisa täglich, macht lange Spaziergänge mit ihr und glaubt fest daran, dass sie bald wieder gesund wird und er sie schnell mit nach Hause nehmen kann. Doch leider verschlechtert sich der Zustand von Lisa plötzlich von Monat zu Monat, sie zieht sich abermals immer mehr in sich zurück, der einzige Mensch, der sie überhaupt noch ab und zu erreicht, ist ihr Bruder Max.

Vor etwa zwei Jahren, baten die Ärzte Maximilian Krämer zu einem Gespräch. Sie klärten ihn darüber auf, dass sie befürchten, Lisa könnte an Schizophrenie leiden. Ihm wird erklärt, dass dies die Diagnose für eine psychische Störung des Denkens oder der Wahrnehmung ist. Eine solche Störung ist bei Kindern meist erst ab dem 8. Lebensjahr zu diagnostizieren, deshalb wurde Lisa bis heute für stark depressiv gehalten. Die Ärzte gehen jetzt davon aus, dass die Psychose durch den plötzlichen Tod ihrer Eltern ausgelöst wurde.

Die Verabreichung der Antidepressiva unterdrückten noch zusätzlich die Symptome einer Schizophrenie, so dass diese Krankheit erst jetzt diagnostiziert wurde.

Schizophrenie, so wird Max weiter erklärt, ist bei Kindern vor dem Schulalter kaum oder nicht diagnostizierbar, da die Anzeichen, wie die Beeinträchtigung des Denkens, Sprechens, der Wahrnehmung und der Gefühlswelt vorausgesetzt werden und diese Fähigkeiten im Vorschulalter noch nicht vollständig ausgebildet sind.

Vielleicht hätte es sogar noch länger gedauert, ihre Psychose festzustellen, wenn Lisa nicht, entgegen ihrer verschlossenen Art, plötzlich kommunikativ geworden wäre. Allerdings sprach Lisa nicht mit im Raum anwesenden Personen, sondern wie sie selbst mitteilte, höre sie Stimmen in ihrem Kopf. Dies veranlasste die behandelnden Ärzte, die gesamte Krankheitsgeschichte von Lisa neu zu überdenken und sie sind zu der Diagnose – paranoide Schizophrenie gelangt.

Die Diagnose ist jetzt beinahe zwei Jahre her, doch jedes Mal, wenn ich dieses Sanatorium betrete habe ich das Gefühl meine kleine Schwester im Stich gelassen zu haben. Sicher, seit Lisa Neuroleptika erhält und regelmäßig an Ergo- und Arbeitstherapien teilnimmt, hat sich ihr Zustand in kleinen Schritten verbessert, aber obwohl ich das Gefühl habe, ihr fehlt es hier an nichts, kann ich doch das Gefühl nicht loswerden, nicht alles für sie getan zu haben, oder besser gesagt, sie nicht wirklich zu verstehen.

Manchmal habe ich das Gefühl, sie fühlt genau wie es in mir aussieht und obwohl sie immer noch nicht viel spricht, so denke ich doch, wenn sie mich mit ihren tief blauen Augen ansieht, sie sieht direkt in mein Herz.

Lisa hat mir nie einen Vorwurf gemacht, mir nie zu verstehen gegeben, dass sie sich hier nicht wohl fühlt, aber ich kann das Gefühl, dass sie mir irgendetwas sagen möchte, sich jedoch nicht traut, nicht loswerden.

Um meiner Schwester nahe zu sein, verließ ich die Bundeswehr und bin in den Polizeidienst eingetreten. Mit irgendetwas musste ich mich beschäftigen, die ständigen Gedanken um das Wohlergehen meiner kleinen Schwester zerrten an meinen Nerven. Ich stehe auch heute noch oft völlig hilflos vor ihrem Schicksal, sie ist das einzige was ich an Familie noch habe und ich kann ihr nicht helfen, muss auf die Fähigkeit der Ärzte vertrauen. Diese Hilflosigkeit macht mich fertig.

Da das hinterlassene Geld meiner Eltern nicht ewig reichen wird, entschloss ich mich, mein Glück bei der Polizei zu versuchen, wo ich innerhalb weniger Jahre zum ersten Ermittler der Raubkommission in München aufgestiegen bin. Zurzeit stehe ich kurz vor der Beförderung zum Kriminalhauptkommissar, was mich besonders deshalb freut, da ich dann weniger Einsätze „Undercover“ übernehmen muss, die es mir immer unmöglich machen meine Schwester zu besuchen.

Heute ist ein herrlich sonniger Tag und ich freue mich darauf, ein paar Stunden mit Lisa im Park des Sanatoriums verbringen zu können, als ich sie auch schon freudig auf mich zu laufen sehe.

***

Lisa ist nicht krank, sie ist eine Telepatin und Empathin. Diese Begriffe sind ihr natürlich nicht geläufig, aber sie weiß sehr genau, dass sie nicht krank ist, obwohl alle dies denken. Lange Zeit hat sie versucht, den Ärzten, die eigentlich sehr nett sind, zu erklären, dass sie sich die Stimmen nicht einbildet und dass sie manchmal Gedanken von Personen aufnehmen kann, hat jedoch sehr schnell gemerkt, dass sie nicht verstanden wird, dass ihr, sobald sie diese Dinge anspricht mehr Tabletten als üblich verabreicht werden und das möchte sie nicht. Sicher anfangs war sie sehr traurig über den Tod ihrer Eltern, ist sie heute noch, sie wollte mit niemandem sprechen. Keiner hätte sie mit Worten trösten können, also hat sie sich zurückgezogen, hat die Außenwelt für ein paar Wochen einfach ausgeschaltet. Sie spürte, wie sehr ihr Bruder leidet, wie überfordert er mit der Situation ist und war froh, als er sie in dieses schöne große Haus gebracht hat. Hier hatte sie zunächst Ruhe, die Ruhe, die sie dringend brauchte. Doch irgendwann war es mit der Ruhe vorbei, die Stimmen haben angefangen in ihrem Kopf zu sprechen, was ihr zunächst sehr viel Angst gemacht hat. Die Ärzte haben ihr dann Medikamente gegeben und die Stimmen waren fort.

Als sie das nächste Mal wiederkamen, hatte Lisa nicht mehr so viel Angst, sie war eher neugierig, wollte wissen, woher diese Stimmen kommen und stellte mit der Zeit fest, dass es die Gedanken von Menschen waren, die sich in ihrer Nähe befanden und nicht nur Gedanken, mit der Zeit konnte sie auch Gefühle wahrnehmen.

Da sie immer sofort mit Tabletten ruhig gestellt wurde, sobald sie auch nur eine An-deutung über ihre Fähigkeiten machte, beschloss sie, dass es etwas schlechtes sein muss und behielt es zukünftig für sich, wenn sie die Gedanken oder Gefühle anderer Menschen wahrnahm. Sie lernte es sogar, ihre Fähigkeit insoweit zu steuern, dass sie ihre Fähigkeit abstellen konnte.

Nur ihrem Bruder würde sie sehr gerne davon erzählen, aber sie hat Angst, dass er sie nicht versteht und aus Sorge um sie, den Ärzten davon erzählt. Größer noch ist ihre Angst, dass er sie dann vielleicht nicht mehr sehen möchte, weil er Angst vor ihr hat. Zweimal ist das passiert, sie hatte nicht darauf geachtet, dass keiner Wissen durfte, dass sie Gedanken lesen kann und hatte sich bei einem Spiel mit zwei Insassen verplappert. Die Beiden sind laut schreiend vor ihr weggelaufen und haben sich seither geweigert, wieder mit ihr zu spielen. Seit dieser Zeit bekommt sie andere Medikamente und muss an verschiedenen Therapien teilnehmen, was ihr aber sehr viel Spaß macht. Einmal die Woche kommt sogar eine Lehrkraft und bringt ihr Lesen und Schreiben bei, doch am meisten freut es sie, wenn ihr Bruder sie besuchen kommt. Inzwischen kontrolliert Lisa ihre Fähigkeit so gut, dass sie diese komplett ausblenden kann und nicht Gefahr läuft, einen Fehler zu machen.

Maximilian Krämer hat keine Kenntnis davon, was in seiner Schwester vorgeht und selbst wenn er es wüsste, er hätte es nicht glauben können.

Parapsychologische Phänomene werden vom Großteil der Wissenschaftler auch heute noch als Humbug abgetan. Ein Irrtum, der bereits zwei Mal in der Geschichte widerlegt werden konnte. Noch um 1930 zählte die Hypnose zur Parapsychologie und wurde von Psychologen als Behandlungsmethode abgelehnt. Heute ist sie aus der Therapie nicht mehr weg zu denken. Selbes gilt für die Meditation, ebenso zunächst für Unfug gehalten, ist heute dieser Einfluss aus Fernost, Bestandteil der Erforschung veränderter Bewusstseinszustände und dringt immer mehr in alle Bereiche unseres fortschrittlichen und teilweise viel zu schnellen Lebens vor. Als Entspannungs-, Entschleunigung- und/oder Konzentrationstraining macht Meditation heute auch nicht mehr vor den Chefetagen von großen Konzernen halt.

Hätten die Ärzte des Sanatoriums sich etwas offener in dieser Hinsicht gezeigt, wäre vielen Menschen eine Menge Leid erspart geblieben.

SECHS

Am nächsten Morgen nehme ich mir kaum Zeit für ein ausgiebiges Frühstück, ich dränge meinen „Onkel“ wegen des Termins bei Rechtsanwalt Dr. Hoffmann, möchte endlich wissen was es mit der Bemerkung von ihm auf sich hat.

 

Der Anwalt empfängt uns in seiner exklusiven Münchner Kanzlei, die direkt am Karls-platz genannt „Stachus“ gegenüber dem Justizpalast liegt. Er begrüßt uns immer noch mitgenommen vom Tod meiner Eltern, aber doch erfreut uns zu sehen und wünscht mir sein herzlichstes Beileid. Ich sehe ihm an, dass ihn die Nachricht vom Tod meiner Eltern sehr getroffen hat, war er doch einer der engsten Freunde meiner Eltern. Wortlos übergibt er mir einen Umschlag, er enthält den Schließfachschlüssel unserer Hausbank. Hastig öffne ich ihn und entnehme ihm des Weiteren einen Brief, sofort erkenne ich die schöne Handschrift meines Vaters und meine Augen füllen sich mit Tränen.

Mein Mädchen, (er nannte mich immer nur liebevoll mein Mädchen)

wenn Du diese Zeilen in Deinen Händen hältst, ist etwas Schreckliches geschehen und Deine Mutter und ich sind nicht mehr am Leben.

Ich habe Dir nie alles über Deine wundervolle Genesung erzählt, möchte das hier auch nicht tun, wende Dich bitte an Onkel Juan, der wird Dir alles erklären was Du wissen musst.

Jetzt ist jedoch das eingetreten, vor dem ich seit Jahren in Angst lebe, die Russen haben die Forschung von Onkel Juan weitergeführt und sie wollen Dich und ihn zurück! Seit Jahren sind sie auf der Suche nach Onkel Juan um ihn zum Weiterführen seiner Forschungen zu zwingen, mir ist es jedoch gelungen, den Professor vor ihnen zu verbergen. In den letzten Wochen ist mir aber zu Ohren gekommen, dass sie Dich ausfindig gemacht haben, warum sie Dich unbedingt wieder zurück wollen, konnte ich bis heute nicht herausfinden.

Du wirst dich jetzt sicher fragen, woher ich das alles weiß.

Ich habe, seit die ersten Mutationen bei Dir eingesetzt haben, über Kontakte, die ich Dir später noch nennen werde herausgefunden, dass die Russen auch ohne Onkel Juan weiter mit Genmanipulation experimentieren und dies auf eine sehr illegale Weise. Die letzten Jahre haben Deine Mutter und ich viel Geld dafür eingesetzt, Labore, in denen illegale Genmanipulationen an Menschen vorgenommen werden zu zerschlagen. Dadurch sind wir ins Schussfeld von skrupellosen Menschen geraten, die alles daran setzen, uns zu beseitigen.

Wir hatten vor, Dir an Deinem 25. Geburtstag alles zu erzählen und mit Dir und Onkel Juan zu verschwinden, die ganze Angelegenheit wird zu gefährlich. Bitte mach Onkel Juan keine Vorwürfe, er wusste nichts von unseren Aktivitäten, er hätte sich lieber freiwillig gestellt, als uns alle in Gefahr zu bringen.

Du musst untertauchen mein Mädchen, verkaufe über Peter, wenn nötig, unseren gesamten Besitz! Im Schließfach wirst Du einen Ausweis für Dich finden, nutzte ihn und lass Dich irgendwo nieder, wo Dich niemand kennt.

Es gibt jetzt nur noch vier Menschen auf der Welt, auf die Du Dich zu Hundertprozent verlassen kannst.

Rechtsanwalt Dr. Peter Hoffmann

Onkel Juan

MAD Major Michael Berger – seine Adresse befindet sich im Schließfach, er kann Dich über meine Versuche, illegale Genlabore ausfindig zu machen informieren.

Dmitri Godunow – auch seine Adresse findest Du im Schließfach, er ist ein russischer Journalist und steht auf unserer Seite.

Dies sind die schwierigsten Zeilen, die ich je in meinem Leben schreiben musste, denn Du mein Mädchen wirst sie nur dann zu Lesen bekommen,

wenn ich und Deine Mutter nicht mehr leben sollten.

Ich hoffe Du weißt, dass Du für Mam und mich immer eine große Freunde warst, wir lieben Dich über alles und hoffen, dass es uns mit diesem Brief und den Informationen im Schließfach gelingt, wenigstens Dich vor dem gleichen Schicksal zu bewahren.

Eine letzte Bitte mein Mädchen, auch wenn es Dir schwer fällt, komme bitte nicht auf unsere Beerdigung, unsere Mörder werden sicherlich dort sein um auch Dich zu erwischen.

In Liebe Dein Dich immer liebender

Vater

Wortlos reiche ich den Brief an „Onkel“ Juan weiter, während mir unaufhaltsam die Tränen über das Gesicht laufen. Rechtsanwalt Dr. Peter Hoffmann nimmt mich in den Arm und ich weine bittere Tränen, der Verlust und der Schmerz sind so stark, dass ich mich nicht mehr beherrschen kann.

Mein Vater hat gewusst, was auf ihn, auf uns zukommt, er wollte noch am selben Abend meines Geburtstages, mit meiner Mutter und mir verschwinden, ein paar Stunden später und wir hätten noch zusammen sein können. Das Ganze ist so unfassbar für mich, ich bin keines vernünftigen Gedankens mehr fähig und lasse mich einfach in meinen Schmerz fallen.

Es dauert lange, bis ich mich wieder einigermaßen beruhigen kann. Schniefend bitte ich Rechtsanwalt Hoffmann, alle Konten aufzulösen und stelle ihm eine Generalvoll-macht für unser Unternehmen aus. Er soll kommissarisch die Geschäfte leiten, bis er einen geeigneten Käufer gefunden hat. Ferner bitte ich ihn um die Veräußerung aller Immobilien, aller Fahrzeuge sowie den Learjet. Bevor er irgendetwas einwenden kann, übergebe ich auch ihm den Brief meines Vaters und als er ihn gelesen hat, sieht er mich blass, aber gefasst an und versichert mir, dass er alles zu meiner Zufriedenheit erledigen wird.

Zum Schluss bitte ich ihn noch, alle Gegenstände und Möbel, die sich in der Villa meiner Eltern befinden einzulagern, ich habe im Moment nicht die Kraft, das Haus, mein Elternhaus, mein Zuhause, noch einmal zu betreten und mache mich mit dem Professor auf den Weg zur Bank. Wir sprechen kein Wort, bis wir in dem Raum, mit den Schließfächern allein sind.

>>Du solltest auch nicht zur Beerdigung meiner Eltern gehen<<, wende ich mich mit tonloser Stimme an den Professor.

Diesmal ist es mein „Onkel“, der zusammenbricht, weinend lässt er sich auf einem der bereitgestellten Stühle nieder und verbirgt das Gesicht in seinen Händen. >>Ich bin schuld, sie waren hinter mir her<<, höre ich ihn leise schluchzen.

Es schmerzt mich sehr, den zwar von Statur schmächtigen Asiaten, aber mental sehr starken Mann zusammenbrechen zu sehen. Ich sehe seine Schultern erzittern, sein langer schwarzer Zopf fällt nach vorne über die Schulter und ich höre ihn vor Schmerz wimmern. Tränen laufen unaufhaltsam über sein schönes, weich gezeichnetes Gesicht. Seine schmalen, etwas schräg stehenden Augen röten sich und zeigen einen kaum zu ertragenden Kummer.

>>Nein das glaube ich nicht „Onkel“ Juan<<, ich lege den Arm um ihn und spreche leise auf ihn ein. >>Für mich stellt sich das eher so dar, als ob diese Leute hinter mir her gewesen wären. Damit hat mein Vater bestimmt recht, warum ist mir auch nicht klar, aber das werde ich noch heraus bekommen. Dich trifft keine Schuld „Onkel“, bitte denke nicht an so etwas, du hast mir mein Leben wieder geschenkt, ohne dich würde ich nicht hier stehen. Auch mein Vater hat das immer so gesehen, meine Familie ist dir zu großem Dank verpflichtet. Lass uns nachsehen, was wir im Schließfach finden<<, ermutige ich den Professor, der sich langsam vom Stuhl erhebt und mit mir zusammen den Inhalt des Faches begutachtet.

Es kommen zwei dicke Ordner zum Vorschein, ich schlage sie kurz auf, reiche sie dann jedoch an Onkel Juan weiter, nachdem ein kurzer Blick gezeigt hat, dass es darin nur um Gentechnik, Forschung und die Manipulation von DNA geht. Des Weiteren befinden sich drei Ausweise, jeweils mit aktuellen Fotos von mir, meiner Mutter und von meinem Vater darin, ausgestellt auf die Namen Natascha, Olga und Nicolai Petrow, wollte mein Vater in Russland untertauchen?

Eigentlich hatte ich Antworten erwartet, aber es ergeben sich immer nur neue Fragen. Der Pass mit dem Namen Natascha trägt mein Bild.

Im Schließfach befinden sich des Weiteren, eine Menge Bargeld und ein Umschlag mit den Adressen und Telefonnummern der Verbindungsleute, die mein Vater bereits im Brief erwähnt hatte. Resigniert stecke ich alles in meine Tasche, nehme mir allerdings fest vor, mich schnellstmöglich mit MAD Major Michael Berger in Verbindung zu setzen, vielleicht kann er mir einige Fragen beantworten.

Wieder in der Wohnung meines „Onkels“ angekommen, mache ich mich daran, eine Kleinigkeit zum Essen zu zubereiten, während der Professor mit den beiden Ordnern aus dem Schließfach ins Wohnzimmer verschwindet.

Die einfache Tätigkeit der Essenszubereitung tut mir gut, sie lenkt mich von meinem Schmerz ab. In den letzten paar Stunden ist meine Welt völlig aus den Fugen geraten, gerade noch war ich das wohlbehütet, aufwachsende Mädchen, der die ganze Welt offen steht. Ich musste mich nicht mit finanziellen oder familiären Problemen herumschlagen, im Gegenteil, mein Leben war ein einziger Spielplatz. Mir ist immer alles zugeflogen. Abgesehen von meinem schweren Unfall, hätte ich geschworen, neben dem Wort Glückspilz im Duden befindet sich mein Bild und nun, von einem Tag auf den anderen ist alles vorbei.

Ich bin völlig allein, werde wahrscheinlich von skrupellosen, zu allem bereiten Männern gesucht, habe mein Heim, meine Familie, einfach alles, was mir bis dahin lieb und wichtig war, verloren. Während mir diese Gedanken kommen, fühle ich mich, als würde ich neben mir stehen, mich das alles gar nicht betreffen. Wie schön wäre das, wenn alles nur ein böser Traum wäre, ich plötzlich aufwache und meine Mutter steht an meinem Bett und ruft mir lächelnd zu.

Alles liebe zum Geburtstag!

In diesem Moment wird mir sehr deutlich klar, dass ich die Stimme meiner Mutter nie wieder hören werde, nie mehr in ihre wunderschönen grünen Augen sehen darf und diese Erkenntnis lässt mich weinend zusammen brechen.

So findet mich der Professor wenig später immer noch schluchzend auf dem Küchen-boden, als er wieder in den Raum tritt. Behutsam hilft er mir auf und reicht mir ein Glas Wasser, während er mir zärtlich durchs Haar streicht. Dankbar lächle ich ihn an, für einen kurzen Moment hatte ich vergessen, dass ich in meinem Leid nicht alleine bin.

Nachdem wir eine Kleinigkeit gesessen haben, frage ich nach, was die Durchsicht der Ordner ergeben hat und mein „Onkel“ nimmt mich ernst mit ins Wohnzimmer, wo wir uns Beide aufs Sofa setzen.

>>Wir müssen dringend hier weg, dein Vater hatte recht,<< beginnt er ernst. >>Er hat herausgefunden, dass die Russen meine Forschungen weiter betrieben haben. Aller-dings spezialisierten sie sich zuerst auf die Verabreichung von tierischer DNA, die lei-der, nach den vorliegenden Unterlagen nicht so klappte, wie sie sich das wünschen und so weiteten, oder änderten, sie die Genmanipulation auf Menschen ab, die latente Anlagen zu parapsychologischen Fähigkeiten aufwiesen.<<

Er muss wohl meinen verständnislosen Blick bemerkt haben und beginnt damit, mir die Genforschung in allen Einzelheiten zu erklären. Nach einigen Minuten kann ich nicht mehr folgen und bitte ihn, nicht so sehr ins Detail zu gehen, dazu hätten wir später noch genügend Zeit, jetzt interessieren mich, in leicht verständlichen Worten, nur die Forschungen, der Russen und warum mein Vater sich da einmischte.

>>Gut, ich versuche dir die Angelegenheit in einfachen Worten zu erklären. Die Kreuzung von tierischer mit menschlicher DNA ist, nach den Unterlagen deines Vaters, nach mir, keinem Wissenschaftler mehr gelungen. Ich bin mir jetzt auch fast sicher warum, aber das würde jetzt zu weit führen. Die Russen verlagerten ihre Forschungen deshalb auf die Verstärkung bestimmter Anlagen, die bei einigen Menschen vorhanden sind. Sagen dir die Begriffe Telepathie oder Empathie etwas, auch Telekinese fällt in diesen Bereich?<<

Als ich nicke, fährt er fort.

>>Die Russen haben nun Personen ausfindig gemacht, die über eine der eben genannten Fähigkeiten verfügen und durch Manipulation der DNA versucht, diese Fähigkeiten zu steigern. Für den Geheimdienst oder das Militär wären Personen mit solchen Fähigkeiten von unschätzbarem Wert. Diese Forschungen sind jedoch illegal und die Personen, stellen sich nicht freiwillig für die Versuche zur Verfügung, wie du dir sicher denken kannst. Nach den Unterlagen deines Vaters hat er mit Hilfe des Majors beim Militärischen Abschirmdienst (MAD) in Deutschland, Michael Berger, zwei Institute in Deutschland und drei in Russland, ausfindig machen können, die sich mit derart illegalen Versuchen beschäftigen. In Russland konnte er es mit Hilfe des Journalisten Dimitri Godunow, zweimal verhindern, dass Personen, es handelt sich dabei meist um sehr junge Menschen, in die Hände dieser Verbrecher gelangten.

 

Dein Vater beschäftigte, hier in Deutschland, sowie in Russland, mehrere private Er-mittler damit, die Institute und Kliniken, in denen er illegale Versuche vermutete, zu beschatten. Vor einigen Wochen wurde ein Ermittler in Russland geschnappt und irgendwie haben diese Leute herausbekommen, mit wem sie es zu tun haben und bezahlte Killer auf deinen Vater angesetzt. Diese hatten jedoch zunächst nur den Auftrag, deinen Vater und sein Umfeld zu beschatten, denn irgendwie sind sie dahinter gekommen, wer du bist.

Nach den Unterlagen deines Vaters zu urteilen, sind diese Leute wirklich hinter dir her. Du bist der einzige Mensch, der eine Kreuzung von tierischer mit menschlicher DNA überlebt hat. Deinem Vater war allerdings nicht bekannt, ob die Russen von deinen Fähigkeiten wissen, da außer deinen Eltern und mir niemand über deine Fähigkeiten Bescheid weiß, ist dies eher unwahrscheinlich. Buddha sei Dank möchte ich dazu nur sagen, denn wenn sie wüssten, wie die Katzen - DNA bei dir mutiert ist, würden sie Himmel und Hölle in Bewegung setzen um dich in ihre Finger zu bekommen.<<

>>Wieso greift die Polizei hier in Deutschland nicht ein?

Wenn ein Major des MAD über diese Machenschaften Bescheid weiß und wie aus den Unterlagen hervorgeht auch in Deutschland solche Institute existieren, wieso wird dann nichts dagegen getan<<, frage ich empört nach.

>>Ich weiß es nicht Nicole, darüber habe ich in den Akten nichts gefunden, das wirst du den Major schon selbst fragen müssen.<<

>>Das werde ich, darauf kannst du dich verlassen<<, entgegne ich empört.

Langsam werde ich richtig wütend, da laufen skrupellose Verbrecher und Mörder in Deutschland frei herum und kein Mensch tut etwas dagegen. Das wird kein freundlicher Besuch bei Major Berger werden, aber vorher haben wir noch andere Dinge zu erledigen.

Ich hatte ganz vergessen, Rechtsanwalt Hoffmann zu bitten, die Organisation der Beerdigung meiner Eltern zu übernehmen und als mein Onkel das Telefongespräch mit ihm mit bekommt, beginnt er erneut zu weinen.

>>Wenn ich nicht teilnehmen darf, wird mir die Gelegenheit genommen, deinen geliebten Eltern, meinen besten Freunden, die letzte Ehre zu erweisen<<, schluchzt er leise.

Obwohl auch mir bei diesen Worten die Tränen in die Augen steigen, nehme ich ihn zärtlich in den Arm. >>Wir lassen irgendwo eine Messe für sie lesen, wir müssen uns nicht an ihrem Grab von ihnen verabschieden und irgendwie war es auch der letzte Wille meines Vaters, dass wir nicht zu seiner Beerdigung erscheinen. Wir sollten das respektieren, auch habe ich das Gefühl, solange wir Beide leben „Onkel“ Juan, sind meine Eltern nicht umsonst gestorben.<<

Dankbar lächelt er mich an. >>Du bist ein gutes Kind, deine Eltern waren immer, jede Minute voller Stolz auf dich, ich hoffe du weißt das und vergisst das nie.<<

Während wir uns gegenseitig umarmen, weinen wir bittere, aber auch erlösende Tränen, ich um meine Eltern, mein „Onkel“ um seine besten Freunde.