Darkest Blackout

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«Es würde mich freuen, wenn du kommst.»

«Oh!» Sie sah das Ticket in ihren Händen zweifelnd an. «Ich weiß nicht. Metal?» Mit ehrlichen Augen gestand sie: «Metal ist nicht mein Genre. Außerdem darf ich keine Schenkungen annehmen.» Sie reichte ihm die Karte zurück, doch er nahm sie nicht an.

«Ich werde vermutlich auch singen», sagte er stattdessen. «Du könntest dir absolut unvoreingenommen ansehen, wie Thor sich in der Öffentlichkeit gibt. Das Geschenk kommt außerdem von mir, nicht von ihm.»

«Wenn das so ist …» Nochmals sah sie sich die Karte an. Er setzte einen drauf.

«Und vergiss nicht: Die Café-Eröffnung findet ein paar Tage vorher statt. Ich verspreche dir, du wirst dort mit ihm reden können. Dann ist diese Barriere zwischen euch hoffentlich beseitigt.»

«Okay.» Sie lächelte und steckte die Karte ein.

«Du wirst sehen, er ist ein wundervoller Mensch.» Seine Augen leuchteten und sein Herz füllte sich mit Wärme, als er an Thor dachte. «Und manchmal – …» Er zwinkerte ihr zu. «aber das bleibt unter uns – kann er sogar zärtlich sein.»

***

Es schien wie ein normaler Sommertag: Tony und Susan saßen draußen am Holztisch und spielten Karten. Erik saß daneben, in den Laptop vertieft. Die Hunde schnüffelten auf dem Rasen herum. Das ehemals erkrankte Tier hatte Thor aus der Klinik abgeholt, allerdings verhielt es sich scheuer und abwartender als vor dem Vorfall. Die Hunde wurden alt und das war eine traurige Begebenheit, die ihnen das aktuelle Ereignis deutlich vor Augen führte.

Die Sonne hingegen strahlte. Nur die Tatsache, dass Dylan aus der Stadt kam, um erneut ein gutes Wort für seinen Partner bei der Bewährungshelferin einzulegen, wurmte ihn. Gemächlich lenkte er den Wagen neben den Carport, unter dem die beiden Jeeps standen. Er stieg aus und schlenderte zum Tisch. Susan sah sofort auf. «Hallo Dylan!», rief sie vergnügt. «Ich habe Papa schon zwei Mal besiegt!» Erfreut hob sie die Hände mit den Spielkarten empor. Tony grinste verschmitzt. «Heute habe ich wirklich Pech.»

«Willst du mitspielen?», fragte das Mädchen aufgeregt.

Dylan lehnte ab und sah sich um. Thor saß am Ufer des Sees. «Momentan nicht», sagte er. «Vielleicht später …» Er marschierte los, aber Susans Fragen ebbten nicht ab. «Kann ich mit den Hunden spielen? Sie könnten Stöckchen holen!»

Abermals wehrte er ab. «Die Hunde passen auf», erklärte er und dachte an Fahlstrøms Erziehungsmaßnahmen, was die Tiere anbelangte. «Spielen ist keine gute Idee.»

Tony tippte sich an die Schläfe. «Idiotisch.»

Dylan hob die Schultern an und ging weiter. Am See angekommen nahm er dicht neben Thor Platz. Gemeinsam sahen sie auf das Wasser.

«Ein Glück ist der Hund wieder in Ordnung», startete Dylan das Gespräch.

«Er hätte es besser nicht überlebt», erwiderte Thor ohne emotionale Wertung.

«Wie kannst du so etwas sagen?» Dylan schüttelte entrüstet den Kopf.

«Das Tier ist alt. Dass es anders reagiert hat als sonst, zeigt, dass es seinen Aufgaben nicht mehr gewachsen ist», schlussfolgerte Thor aus dem vergangenen Ereignis.

«Oh, Mann!» Dylan fasste sich an die Stirn. «Du sprichst, als wären wir beim Militär. Es sind Wachhunde, ja, aber ich finde, du übertreibst es manchmal mit deiner Vorsicht.»

«Keineswegs, Perk», erwiderte Thor. «Einmal Krieg, immer Krieg, sowas endet nie.»

Dylan seufzte bewegt. Die Äußerung seines Partners gefiel ihm nicht. Sie zeigte ihm auf, dass das Ereignis mit dem Hund womöglich nur der Auftakt war für weitere Konflikte. Wenn es so war, wie er vermutete, war unleugbar ein neuer Krieg ausgebrochen.

«Emma kommt zur Café-Eröffnung», sagte Dylan schließlich. Aus dem Augenwinkel sah er, wie Thor den Kopf senkte. «Ich bitte dich eindringlich, mit ihr zu sprechen.»

«Perk, ich …»

«Keine Widerrede!», keife Dylan. «Du machst das!», fügte er hinzu. «Scheißegal, was du sagst, aber rede mit ihr. Nochmal kann ich deine Haut nämlich nicht retten!»

Giftig sah er seinen Partner an. Thor fuhr sich über den Bart. Sein Kiefer bewegte sich malmend, aber er konterte nichts. Ausnahmsweise zeigt er sich gefügig. In dem Moment, in dem er zu Boden blickte, die Augen bis auf einen schmalen Spalt schloss und tief durchatmete, als würde eine schwere Last auf ihm ruhen, in dem Augenblick tat er Dylan leid.

Das Gespräch mit Emma hatte alte Geschichten aufgewühlt. Es hatte ihm erneut vor Augen geführt, welche Schicksalsschläge Thor erlebt und nicht überwunden hatte. Anstatt die Vergangenheit abzuhaken, kamen neue Hürden hinzu. Fahlstrøm sprach nicht über seine Sorgen und den Leidensdruck, doch Dylan konnte fühlen, dass er die Bürden mit sich trug – von morgens bis abends.

«Ich meinte das vorhin nicht so», sagte er demzufolge. «Selbstverständlich werde ich dich im Knast besuchen, sollte es zum Äußersten kommen.» Er lachte. «Mich wirst du nicht mehr los.»

Anmaßend legte er eine Hand auf Thors Oberschenkel und streichelte ihn. Fahlstrøm sah auf und schmunzelte.

«Soll das eine Drohung sein?»

Dylan erwiderte das Lächeln. «Wenn es sein muss, begehe ich eine Straftat, um mit dir in einer Zelle zu sitzen.»

«Das wäre allerdings eine Strafe.»

«Hey!» Dylan kniff seinem Partner in die Seite. Thor kippte nach hinten und riss ihn mit und auf sich. Verlangend starteten sie einen innigen Kuss.

«Stell dir vor: wir beide auf engstem Raum.», träumte Dylan laut. «Wir könnten den kompletten Tag über perverse Dinge tun.»

«Vermutlich wird man uns wegen unzüchtigen Verhaltens trennen.» Thor lachte dunkel, aber er hörte nicht auf, über Dylans Rücken zu streicheln.

Nochmals versanken sie in einem Kuss; diesmal langsamer und tiefer.

«Papa will wissen, ob er noch was einkaufen kann für das Abendessen», ertönte plötzlich eine Kinderstimme. In Windeseile unterbrachen sie den Kuss. Susan stand neben ihnen und beäugte sie fragend. Thor atmete genervt aus und sah zur Seite weg.

«Muss das jetzt sein?» Dylan richtete sich auf und spähte über den Hof. Erik und Tony warteten an einem Jeep und sahen zu ihnen herüber.

«Wir wollen in die Stadt und Eis essen!», verkündete das Mädchen.

«Sag deinem Vater, er soll uns nicht auf den Sack gehen!», knurrte Thor, woraufhin Dylan ihn fest in die Seite stieß.

«Papa sagt auch, dass ihr euch vor meinen Augen besser benehmen sollt», fuhr sie ungeniert fort. Daraufhin ging ein Ruck durch Thors Leib. Dylan bemerkte, dass er am liebsten aufgesprungen wäre, um Tony die Meinung zu sagen. Er verhinderte es, indem er Fahlstrøm auf die Schulter drückte.

«Ich glaube, wir haben alles», antwortete er gestelzt.

«Okay …» Susan marschierte zum Auto zurück, aber nicht, ohne sich noch mehrfach nach ihnen umzusehen.

***

Die Stimmung am Abend war ausnahmsweise nicht getrübt – und Dylan wünschte sich, dass das so blieb. Tony und Susan tobten über den Rasen einem Ball hinterher. Erik entfachte das Lagerfeuer und er, Dylan, war wie gewohnt für die Getränke zuständig. Mit Vorfreude hatte er den Korb mit Saft- und Limoflaschen gefüllt, natürlich auch mit Bier und Aquavit. Allein die Flaschen in den Händen zu halten, brachte ein nervöses Herzklopfen mit sich.

Allerdings hatte er zufrieden festgestellt, dass ihn die Aussicht auf eine alkoholfreie Variante genauso beglückte. Seit seinem Entzug gab es antialkoholisches Bier im Hause Fahlstrøm, das niemand anrührte außer ihm.

Eine Weile sah er zu, wie Erik den Rost über die Glut schob und die ersten Würstchen platzierte. Kaum breitete sich der Geruch nach Gegrilltem aus, beendete Tony das Spiel mit seiner Tochter. Händereibend kam er indes näher. «Ach, das sieht gut aus.» Prüfend sah er sich um. «Ketchup, Brot und Salate?»

«Alles da», erklärte Erik und mit einem bewährten Lächeln fügte er hinzu: «Du hast zur Genüge eingekauft.»

Tony nickte zufrieden, doch ebenso rieb er sich nachdenklich den Bart. «Ist das eigentlich erlaubt? Ein offenes Feuer bei dieser Dürre?»

«Genau genommen nicht», sagte Erik, «aber solange wir aufpassen und uns auf unser Privatgrundstück beschränken.» Nachfolgend erklärte er seinem Freund die Regeln des Jedermannsrechts, das in Norwegen in aller Munde war.

Dylans Gedanken drifteten ab. Er hörte nicht zu, vielmehr suchte er das Ufer ab. Thor saß nun schon seit Stunden am See und starrte aufs Wasser. Dylan ging davon aus, dass er sich bewusst zurückgezogen hatte. Die Gegenwart seines Partners war inzwischen zu einem Dauerzustand geworden. Eine harte Bewährungsprobe für ihn.

Zudem musste Thor täglich die Anwesenheit von Tony und Susan ertragen. Es war, als wäre er jeden Abend erleichtert, wenn beide den Rückzug zu Mats Haus einschlugen.

Demzufolge gönnte Dylan ihm jedwede Minute, die er abseits der Gruppe verbrachte. Doch nun war seine Neugier geweckt. Er marschierte ans Ufer, um Bescheid zu geben, dass das Essen auf dem Grill lag, und sah, dass Thor vornübergebeugt an seinem Fuß hantierte. Oder bildete er sich das ein?

Dylan ging schneller. «Hei!», rief er Thor entgegen. Abrupt richtete sich Fahlstrøm auf. Hatte er an der Fußfessel manipuliert? Dylan reckte den Hals.

«Das Feuer ist an, kommst du zu uns?»

Thor nickte still und kam auf die Beine. Deutlich war der Stoff seines rechten Hosenbeines nach oben gerutscht. Hatte er ihn hochgeschoben, um besser an das Überwachungsinstrument zu gelangen? Mit einer raschen Bewegung strich er den Stoff nach unten.

«Alles in Ordnung mit der Fußfessel?», erkundigte sich Dylan.

Thor blinzelte. «Stört ab und zu, wie du weißt.»

«Ja, klar!» Dylan lächelte. Beruhigen konnten ihn die Worte nicht.

 

***

«Ich habe nichts dagegen, wenn du bei ein bis zwei Songs mit auf die Bühne steigst», verkündete Tony, als sie alle zusammen ums Feuer saßen und aßen. «Das gemeinsame Album haben wir bislang ja noch kaum live promotet.»

Er sprach es nicht aus, aber jeder von ihnen wusste, dass eine gemeinschaftliche Tour der Bands Wooden Dark und RACE primär wegen Thors Verhaftung nicht zustande gekommen war. Ihr Album, das sie nach der Festival-Tournee aufgenommen hatten, hatte es zwar in die Charts geschafft, und sie hatten es auch mit einer gemeinsamen Show in London präsentiert, aber eine Tour war bis zu dem jetzigen Zeitpunkt nie geplant gewesen.

«Es muss dringend Geld rein», erklärte Erik mit vollem Mund. Auch er hatte inzwischen gebeichtet, dass er am Limit seiner Einnahmen stand und wieder Mathenachhilfe und Gitarrenunterricht gab, um sich über Wasser zu halten. «Wenn Dylan mitmacht, steigt unsere Gage.»

«Ich möchte das Geld nicht», fuhr Dylan sogleich dazwischen. «Wenn die Plattenfirma was fordert, okay, aber meinen Anteil könnt ihr behalten.»

«Das ist sehr kulant.» Erik zwinkerte ihm zu.

«Darf ich spielen gehen?», sprach Susan gedämpft. Bittend sah sie ihren Vater an. Sie hatte den Teller leer gegessen und es war ersichtlich, dass sie die Geschäftsgespräche der Männer langweilten.

«Ja.» Tony nickte. Nebenbei füllte er sich den Teller mit einer zweiten Portion Wurst und Salat. «Aber bleib in Sichtweite.»

«Okay, Papa!» Susan grinste breit. Sie warf ihre langen Zöpfe hinter den Rücken und stürmte in Richtung des Sees.

Tony sah ihr kurz hinterher, doch schnell kam er auf das Gespräch zurück. «Das Konzert ist in knapp zwei Wochen. Wie wollt ihr proben?» Prüfend sah er in die Runde.

Erik nickte. Offensichtlich hatte er sich auch Gedanken darüber gemacht. «Proberaum können wir vergessen. Thor wird keine weiteren Sonderausgangsregeln erhalten.»

«Also, wenn wir unsere neuen Stücke bringen, mit denen sind wir fit», erklärte Dylan. Gern blickte er auf viele Abende zurück, die er mit Thor in dem Keller von den Millers verbracht hatte. Er dachte daran, wie hingebungsvoll sie an den Songs gearbeitet hatten, wie sie oftmals bis spät in die Nacht gesungen und geprobt hatten … Dicht an dicht … Manchmal so nah, dass ihr Miteinander in einem unanständigen Intermezzo geendet hatte.

«Wir brauchen eine weitere Gitarre und ein Keyboard», lenkte Thor ein. «Clifford und Angus werden wir nicht einweisen können, abgesehen davon, dass sie nicht hier sind.»

«Fynn und Ron werden das übernehmen», sicherte Erik zu. «Proben können wir im Keller oder draußen … Verstärker und Boxen besorge ich.»

«Niemand wird ein komplex ausgereiftes Bühnenwerk von euch verlangen», sagte Tony. «Immerhin springt ihr ein.»

«Sehe ich auch so», sprach Dylan. Zufrieden dachte er daran, dass der Auftritt bei dem Metal-Festival einen Neuanfang darstellen konnte – nicht nur für Wooden Dark. Plötzlich reckte Erik seinen Hals. «Sagt mal, wo ist Susan?»

Tonys Kopf wirbelte herum.

«Keine Ahnung, eben stand sie noch am Steg», ergänzte Dylan.

Tony kam auf die Beine und schrie: «Susan? SUSAN!»

Das Mädchen antwortete nicht und es war Thor, der seinen Teller auf den Boden schmiss, aufsprang und in Windeseile zum See spurtete. Tony deutete die Reaktion, sodass ihn hörbare Panik ergriff.

«Um Himmels willen, Susan!» Er stürmte vor und folgte.

Nun standen auch Erik und Dylan auf. Suchend sahen sie sich um. Thor war derweil am Steg angekommen. Mit hastigen Bewegungen streifte er die Boots von den Füßen und glitt mit einem Kopfsprung ins Wasser.

«Susan!» Tonys Rufen glich einem verzweifelten Aufschrei. Als er das Ufer erreichte, tauchte Thor schon wieder auf. Auf seinen Armen trug er das Mädchen.

«Papa!», schrie sie aufgelöst. In Rinnsalen löste sich die Nässe von ihrem Sommerkleid. Ihr feuchter Pony klebte an ihrer Stirn.

Tony eilte heran und breitete die Arme nach ihr aus. «Susan, wie konnte das passieren?»

«Ich bin ausgerutscht!», schrie sie unter Tränen. Mit beiden Händen hielt sie Thors Hals umklammert, doch ebenso bog sie den Körper ihrem Vater entgegen.

«Meine Güte …» Tony keuchte angespannt. Er fasste nach ihrem nassen Leib und zog sie aus Thors Armen. «Danke, danke …», warf er ihm zu. «Danke, dass du sie gerettet hast.»

«Dass hätte deine Aufgabe sein sollen!», brüllte Thor mit Inbrunst. Er stapfte davon, doch bevor er im Haus verschwand, drehte er sich noch einmal um. «Ich habe gesagt, dass es hier nicht sicher ist!»

«Ja, aber …» Tony versagte die Stimme. Beschützend drückte er seine Tochter an sich.

«Alles in Ordnung?» Erik stand neben ihm und strich dem Mädchen durch das nasse Haar.

«Sie muss trockene Sachen anziehen», stammelte Tony. «Das Wasser ist ja eiskalt.» Behutsam setzte er sich in Bewegung, zugleich spähte er in die Richtung, in die Thor verschwunden war. «Ich hab doch gesagt, du sollst aufpassen», mahnte er seine Tochter. Nachfolgend streifte er Dylans erschrockenen Blick. «Sie kann noch nicht gut schwimmen», erklärte er und es klang wie eine Entschuldigung.

«Es ist ja nochmal gut gegangen», erwiderte Dylan. Doch ihn durchfuhr ein eisiger Schauer, als er daran dachte, was vielleicht passiert wäre, hätte Thor nicht so schnell reagiert.

***

Regungslos ließ er die letzten kräftigen Stöße zu. Sie bestätigten ihn und gaben ihm neue Kraft.

Dylan genoss den warmen Atem in seinem Nacken und den ziehenden Schmerz an seinem Kopf. Thor hatte seine Finger in seinen Haaren vergraben und zerrte daran. Fahlstrøm kam und das zeigte sich darin, dass er Dylan keine Bewegungsfreiheit ließ; ihn in den letzten Sekunden der endgültigen Erfüllung mit ganzer Kraft festhielt.

Der Moment dauerte nur einen flüchtigen Augenblick, doch Dylan kostete ihn in vollen Zügen aus.

Kaum war der Zeitpunkt vorüber, löste Thor die Umarmung. Träge rollte er sich von seinem Partner herunter und atmete tief durch.

Wie so oft ging sein nächster Griff an die Zigarettenschachtel.

Dylan stemmte sich auf die Unterarme. Überall wo Thor ihn mit sanfter Gewalt gepackt hatte, wummerte ein leichter Schmerz. Doch der war nicht unangenehm. Er gefiel ihm auf groteske Art und Weise. Er ließ ihn zu, denn er unterstrich das Gefühl der hemmungslosen Ekstase auf eine besondere Art.

Mit einem leisen Seufzen drehte er sich auf die Seite. «Hätte nicht gedacht, dass dir nach dem verkorksten Abend noch nach Ficken zumute ist», stieß er lächelnd hervor.

Thor hatte eine Zigarette angezündet und zog daran. «Tony wäre wirklich der Letzte, der mir vorgibt, wann ich zum Abschuss komme.»

Dylan stöhnte entnervt. «Er hat es doch nicht mit Absicht getan. Du weißt, wie rutschig es am Steg manchmal ist. Es war ein Unfall.»

«Der hätte verdammt ins Auge gehen können», knurrte Thor. Sein Blick schwirrte hin und her, als wüsste er nicht, wohin mit seinem Zorn.

«Tony wird dir auf Ewigkeiten dankbar sein», deutete Dylan das Geschehen.

«Darauf verzichte ich.» Thor richtete sich auf. Er nahm einen letzten Zug der Zigarette und drückte sie mit Gewalt im Aschenbecher aus. «Es ist seine Tochter. Er hat auf sie aufzupassen. Er ist für sie verantwortlich, nicht ich.»

Seine Worte kamen mit Inbrunst über seine Lippen. Anders als sonst, schien er den Zwischenfall am See nicht so einfach wegzustecken. Er schloss die Augen und rieb sich die Lider. Selten gab er sich derart emotional.

Woran lag es? Dachte er vielleicht daran, wie es gewesen wäre, hätte er sein eigenes Kind retten müssen?

‹Dass er ein Kind in diese Welt setzt und nicht drauf aufpassen kann, hätte ihn kaputtgemacht …› Fays einstige Worte klangen plötzlich in Dylans Kopf.

‹Die Sorge um dessen Wohlergehen hätte ihn wohl zermürbt.›

«Mary hat ihm nie die Gelegenheit gegeben, sich als Vater zu beweisen», erklärte er das Verhalten seines Managers. «Gib ihm jetzt die Chance.»

Thor sah ihn missbilligend an. «Was gehen mich seine Eheprobleme an?», schnauzte er. «Wenn er sich nicht um seine Tochter kümmern kann, sollte er es lassen.»

Dylan schüttelte entgeistert den Kopf. «Was steigerst du dich denn da hinein?»

«Tu ich nicht!» Thor löste den Blickkontakt auf. Er strich die Bettdecke beiseite, stand auf und stieg in die enge Unterhose. Seine Flucht aus dem Dialog war ein eindeutiges Zeichen.

«Klar machst du das!», tönte Dylan. «Sonst würdest du nicht wieder davonlaufen.»

Thor antwortete nicht. Stattdessen beugte er sich und kontrollierte den Sitz der Fußfessel. Warum tat er das andauernd?

«Liegt es daran, dass du keine eigenen Kinder hast?», fuhr Dylan fort. Kurz war er sich sicher, dass das der Grund war, warum Thor sich innerlich echauffierte.

«Sicher nicht …» Fahlstrøm richtete sich wieder auf, doch seinen Partner sah er nicht an.

Dylan nagte an seinem Piercingring. War der geeignete Moment gekommen, um ein gleichrangiges Thema anzusprechen?

«Hast du nochmal über unseren Heiratsvertrag nachgedacht?»

Thor wirbelte herum. Sein Geduldsfaden riss endgültig. «Fängst du wieder damit an?», brüllte er. «Ich werde den Wisch nicht noch einmal unterschreiben, dachte, das wäre klar!» Er zog seine lange Hose vom Stuhl und verließ polternd das Zimmer. Die Tür fiel laut ins Schloss.

Mit einem Zweig stocherte er so lange in der Glut herum, bis das Bild vor seinen Augen verschwamm. Das Lagerfeuer war weitgehend erloschen, die Gefühle in ihm loderten dagegen.

Gebeutelt krümmte er sich nach vorne und bettete das Gesicht in die linke Ellenbeuge. Er fühlte sich unbeobachtet und gab den Emotionen freien Lauf. Aber er war nicht allein. Plötzlich spürte er eine warme Hand, die ihn sanft im Nacken berührte.

«Hei, so spät noch auf?» Es war Erik, der sich zu ihm setzte, die Hand allerdings nicht mit sich zog. «Alles okay?»

Mit einer schnellen Bewegung schob Dylan den Arm über seine Lider und blinzelte die Tränen weg. «Ja, doch.» Er inszenierte ein Lächeln und drehte sich Erik entgegen.

«Hast du geweint?», fragte der postwendend.

«Nein, wieso?» Dylan wich dem prüfenden Blick aus. Mit den Fingerkuppen wischte er sich durch die Augenwinkel. Zu lügen war wirklich erbärmlich.

«Dein Kajal ist total verschmiert.», erklärte Erik und festigte den Griff in Dylans Nacken. «Was ist los? Gab es wieder Stress? Mit Thor?»

Dylan nickte still und senkte den Kopf.

«Wegen der Sache mit Susan?», bohrte Erik nach. Er löste die Hand und rückte stattdessen näher heran. «Mensch, der Kleinen geht es gut. Sie ist mit einem Schreck davongekommen.»

«Warst du eben bei ihnen?», entgegnete Dylan. Seine Stimme zitterte. Er hatte sich noch nicht vollständig unter Kontrolle, doch begrüßte er es, vom Thema ablenken zu können.

«Ja.» Erik schmunzelte. «Susan ist erschöpft eingeschlafen, so hatten Tony und ich noch etwas Zeit für uns.» Nun grinste er breit. «Du weißt, was ich meine.» Er knuffte seinem Gesprächspartner in die Seite und entlockte ihm sogar ein Lächeln. «Also?», hakte er nach. «Was war los?»

«Ach, Thor, der maßregelt Tony und sein Verhalten, dabei ist er selbst nicht in der Lage sein Privatleben in den Griff zu bekommen!», platzte es aus Dylan heraus. Es kam ihm zugute, den Frust herauszulassen.

«Privatleben?», wiederholte Erik. Er wiegte sich hin und her, schien zu überlegen. «Du meinst eure Beziehung?» Da Dylan abermals nickte, schwante es ihm. «Faen, hast du wieder nach der Urkunde gefragt?»

«Was ist daran verkehrt?», zischte Dylan. «Wenn unsere Beziehung nicht offiziell ist, wird es vielleicht Probleme geben, wenn er in den Knast kommt.» Kopflos hob er die Hände an. «Oder irgendetwas anderes passiert …»

Er sprach es nicht aus, doch selbstverständlich quälte ihn der Gedanke, dass es irgendjemand auf Thor abgesehen haben könnte. Irgendjemand, der den Hunden, und somit auch ihm, schaden wollte. «Wenn ihm etwas passiert …»

Er brach ab und bedeckte die Augen mit den Händen. Nun konnte er sich nicht mehr zusammenreißen. Hemmungslos schluchzte er auf. «Fuck …»

«Faen, du bist ja völlig fertig», stellte Erik fest. Tröstend legte er einen Arm um den bebenden Körper seines Freundes.

Dylan schüttelte den Kopf. «Ich bin so ein Weichei geworden», wimmerte er unter Tränen. «Früher hab ich meinen Frust mit Wein und Whiskey gestillt.»

 

«Und dann hast du randaliert und dich mit Leuten angelegt», sprach Erik für ihn weiter. «Vermutlich konntest du dich später nicht mehr daran erinnern.»

«Gut ging es mir danach auch nicht, das stimmt.»

«Es ist nicht leicht mit ihm», sagte Erik und das nicht zum ersten Mal. «Aber dass du hier sitzt nach allem, was passiert ist, nach so langer Zeit, das hat etwas zu bedeuten.» Er zwinkerte zuversichtlich. «Das musst du mir glauben.»

«Vielleicht», antwortete Dylan und er atmete tief durch. «Aber das reicht mir nicht», fügte er hinzu. «Ich will, dass er mir gehört, mir allein.» Abermals gingen die Gefühle mit ihm durch. Weitere Tränen lösten sich. «Ich habe solche Angst, ihn zu verlieren … Warum versteht er das nicht?»

Stöhnend gab er nach. Er floh in die Umarmung und genoss Eriks tröstende Nähe, bis eine dunkle Stimme hinter ihnen erklang.

«Perk? Kommst du rein?»

Für einen Bruchteil von Sekunden schien die Welt stillzustehen. Dylan stockte der Atem so lange, bis Erik die Umfassung löste und von ihm abrutschte.

Erst danach war er fähig, sich zu bewegen. Mit der Hand wischte er sich über die feuchten Wagen wie ein Junge, der etwas ausgefressen hatte.

Reumütig drehte er sich um. Thors Blick war schneidend, abwartend und warmherzig zugleich. Er streckte eine Hand aus, die Dylan sofort ergriff.

«God natt», wünschte Thor knapp. Erik stand auf und nickte. «Euch auch eine gute Nacht.»

Im Haus suchte sich der rauchige Geruch einen Weg in seine Lungen. Der Geruch nach einem Ort, den er nicht mehr missen wollte. Ein Geruch, der sein Herz erwärmte und ihm das innigste Gefühl gab, das er jemals erlebt hatte.

«Es tut mir leid», flüsterte er, obgleich er wusste, dass Thor Entschuldigungen hasste. Aber in diesem Moment, wo sie in absoluter Dunkelheit dicht voreinander standen, er das herrische Atmen seines Partners vernahm und noch sehnlicher als sonst seine Geborgenheit und Liebe ersehnte, war Demut das Einzige, was er für richtig hielt.

Thor antwortete nicht. Im dunklen Raum waren nicht einmal seine durchdringenden Augen sichtbar. Doch Dylan spürte die seichte Bewegung, die Hände, die nach ihm griffen, die Arme, die ihn umschlangen und an sich drückten. Der Geruch nach Thor …

«Bak skyen er himmelen alltid blå (Hinter den Wolken ist der Himmel immer blau) », raunte der.

Dylan seufzte tief. Fest klammerte er sich an Thors schmale Hüften. «Ich liebe es, wenn du mit mir Norwegisch sprichst.»

«Das weiß ich, Perk.»

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