DarkZone

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2. Kapitel

„Jetzt haben Sie das Geld, Beatrice, und Sie können es behalten. Es sei denn, Sie spielen den Risikojoker aus! Die ganzen dreitausend Dollar gegen die zehntausend-Dollar-Frage! Ihre Wahl!“

(Monty Pervis – Jeopardy)

Zwei Wochen später startete ein Jumbojet vom International Airport. Flug siebenundsechzig nach Kurgisien hob pünktlich vom Boden ab. Charlie O´Neill war als einziger Passagier an Bord gekommen und hatte seinen Platz eingenommen – First Class, versteht sich. Er nahm stets einen Fensterplatz in Flugrichtung ein und unterhielt sich via Videochat mit dem Firmenrat, während der Jet durch die Wolkendecke tauchte. „Verkaufen Sie zehn auf BroskopCOM und halten Sie den Kurs stabil. Die Memos für die nächsten Wochen sind schon geschrieben und wurden heute Morgen verschickt. Ich will keine Überraschungen erleben, wenn ich wiederkomme.“ Er realisierte zufrieden, wie der Firmenrat fast synchron zu nicken anfing. „An Bresket: die Rechtsabteilung soll diesem Praktikanten eine hervorragende Beurteilung schreiben. Bereiten Sie der nächsten QM-Zertifikation den Boden und lassen Sie die Mitarbeiter Schulungen besuchen. Schränken Sie die Möglichkeit ein, dass ich mich ärgern muss, wenn ich wiederkomme.“

„Sir, wir wünschen Ihnen einen schönen Urlaub…“

„Selbstredend.“ Er kappte den Kontakt und lehnte sich zurück, während seine Gedanken um sein nächstes Abenteuer kreisten.

Kurgisien lag zwischen Kambodscha und Thailand, mit fast drei Millionen Einwohner, von denen fünfundachtzig Prozent an der Küste lebte, und war es ein verhältnismäßig kleines Land, das eifersüchtig von seinem Patriarchen geschützt wurde. Das Pro-Kopf-Einkommen lag bei hundertfünfzig Dollar pro Jahr. Kirgisien importierte fast alles: Erdölprodukte, kleine Maschinen, Motorfahrzeuge, schwere Maschinentechnik. Chemieprodukte, Haushaltsartikel, medizinisches Gut, Angriffswaffen und so weiter. Zum Glück hatte Kurgisien die Zeichen der Zeit erkannt und den Tourismus akzeptabel profiliert, was dazu führte, dass es ein sehr armes, aber auch sehr reiches Land war: die Tourismusbranche wurde mit fünfundzwanzig Prozent besteuert, wovon ein Großteil direkt an das Militärregime floss. Für Touristen wie Charlie O´Neill ein glücklicher Umstand, denn zahlende Ausländer waren gern gesehen und wurden auch hofiert. Die Berichte über Menschenrechtsverletzungen bei der kurgisieschen Bevölkerung klammerte er bewusst aus.

Die zierliche brünette Stewardess war an ihren Passagier gewöhnt, dessen Vorstellung von einem Flirt darin bestand, ihr dreist auf die Beine zu starren oder zweideutige Bemerkungen zu machen. Sie ließ sich dadurch nicht aus der Ruhe bringen – sowas gehört eben zum Job, dachte sie bei sich. Das ihr Chef sie heute keines Blickes würdigte überraschte sie jedoch. „Nicht nur, dass er mich völlig ignoriert hat“, sagte sie an diesem Abend zu ihrer Kollegin, „er verhält sich sogar so, als gäbe es mich überhaupt nicht.“

„Vielleicht war er nur in Gedanken“, sagte die Kollegin. „Du weißt ja, wie Geschäftsleute manchmal sind.“

„Vielleicht hast du recht“, sagte die Stewardess, aber ihre Worte klangen nicht überzeugt.

Charlie O´Neill fand am Flughafen ein Taxi, mit dem er sich zum Cheshire Hotel bringen ließ. Er musste nicht an der Rezeption warten, denn seine Ankunft wurde schon angekündigt. Der Hotelier mitsamt Belegschaft buckelte vor ihm und erfüllten seine Wünsche, während Charlie ohne großes Aufsehen zur Bar strebte und seinen Sekretär die Formalitäten erledigen ließ. Nach einem Drink klappte er sein Handy auf und tippte eine Nummer ein. „Geben Sie mir Kurt. Ich warte in der Bar.“

„Was soll ich ihm bestellen, wer anruft?“ erwiderte die Stimme.

„Sein Boss.“

Nach knapp einer Minute drang die Stimme eines anderen Mannes durch die Leitung. „Hier ist Kurt“, sagte er. „Ich stecke leider im Verkehr fest. Die Rushhour ist die Hölle, Sir. Tut mir leid.“

„Das ist in Ordnung. Ich will nur wissen, ob alles vorbereitet ist.“

„Ihre Ausrüstung ist bereits heute Morgen auf Ihr Zimmer gebracht worden. Unser Schneider hat sich exakt an Ihre Vorgaben orientiert.“ Kurt war einer von vielen Charlies Angestellten, die über kurz oder lang Informationen besorgen und wichtige Aufträge, die in keiner Jobbeschreibung stehen durften, erledigen konnte. Seine „Kurts“ wandelten zwischen Legalität und dubiosen Machenschaften, was Charlie nicht im Mindesten störte.

„Die Sache hat mich angefixt. Das könnte das neueste Ding sein. Das stellt alles in den Schatten. Meinen Sie, ich sollte eine Waffe mitnehmen?“

„Sir, ich glaube nicht, dass Sie mit einer Erlaubnis einfach durch das Tor marschieren können. Selbst CNC berichtet nicht darüber. Ist für die Medienlandschaft ein schwarzes Loch. Keinerlei Wiki-Einträge. Als wäre es nicht existent. Das Militär lässt niemanden durch. Mein Freund beim Pentagon sagt das auch. Die Mauern sind zwanzig Meter hoch. Geschütze. Schichtwechsel bei der Wache. Nein, da geht kein Weg rein.“ Die Stimme an der anderen Leitung holte kurz Luft und fügte etwas leiser hinzu. „Aber auch dafür kenne ich den Richtigen.“

„So kenne ich Sie, Kurt. Immer auf Zack! Was mache ich, wenn ich drin bin?“

„Alleine?“ Zum ersten Mal wirkte der Sprecher überrascht. „Kennen Sie nicht noch ein paar… „

„…CEOs, die mich begleiten?“ Charlie kicherte amüsiert. „So eine Art Safarigruppe mit reichen, alten Millionären die mit Schrotflinten auf Bussarde schießen? Nein, damit kann ich nicht dienen. In der Gruppe könnten wir zu laut sein. Nur rein und raus. Der ganze Spaß für mich allein.“

Sein Kontakt schien nicht überzeugt. „Sir, ich habe Gerüchte gehört. Sie sollten da nicht hin…“

„Vielleicht komme ich darauf zurück.“ Nicht mal im Traum, dachte Charlie bei sich und grinste feist. „Relaxe, Mann. Ich schaffe 21 Liegestütze, laufe 2000 Meter unter 12 Minuten. Ich war viermal in einer der besten Trainingsanlagen in Thailand zum Muay Thai und Mixed Martial Arts. Laut meines Plans sind es vom Tor bis zum Ziel zu Fuß sechzig Minuten, zwanzig im Hotel und sechzig wieder zurück. Ein Spaziergang.“

„Ich wünsche Ihnen das Beste, Sir. Ich gebe jetzt die Daten durch.“

Charlie legte auf, entpackte die per SMS gesendete Datei und las sich alles durch. Nach einem kurzen Stopp auf seinem Zimmer nahm er ein Taxi.

Als es am Bordstein hielt, setzte er sich auf die Rückbank. „Wissen Sie, wo das Lavender Dragon ist?“

„Ja, sicher. Aber hören Sie… ich meine, es geht mich ja nichts an, aber dieser Laden ist nur für…“

„Sie haben recht“, sagte Charlie O´Neill mit harter Stimme. „Es geht Sie nichts an!“

Die restliche Fahrt verlief herrlich still, da der Fahrer beleidigt schwieg. Seine Zerknirschtheit verwandelte sich in Wut, als der Fahrgast ihm den Fahrpreis auf den Cent genau aushändigte. „Was ist los, Kumpel“, sagte er spöttisch. „Bringt ein kleines Trinkgeld Sie an den Bettelstab?“

„Haben Sie ein Problem?“ fragte Charlie ruhig und beugte sich ins Taxi. „Ich kaufe eure kleine Droschkengesellschaft auf und lasse Sie verschrotten, wenn es mir gefällt, Kumpel!“

Das Taxi startete mit qualmenden Reifen und verschwand.

Charlie betrat den Club. Er drängte sich durch ein Gewimmel von vorwiegend männlichen Körpern und reagierte nicht auf Angebote, ihm einen Drink zu spendieren. Als er den angesteuerten Platz erreicht hatte, wartete er, bis ein Mann in gelbem T-Shirt und einer Lederschürze sich auf die Theke stützte und fragte: „Was darf es sein?“

„Mister Mahershala. Er ist bei euch Dauergast. Sagen Sie ihm, ich zahle seinen Deckel, wenn er zu mir kommt.“

„Solche Gäste sind immer willkommen“, sagte der Barkeeper. Er zwinkerte ihm zu und entfernte sich. Wenig später kam ein älterer Mann mit feingeschnittenen Zügen und harten Augen auf ihn zu, verbeugte sich leicht und setzte sich ihm gegenüber. „Mister O´Neill, was? Die Mail habe ich für einen Scherz gehalten…“

„Genau. Der bin ich.“

„… der Typ, der den Preis für das Kindermedikament erhöht hat, das alle brauchen?“ fragte Mahershala, und seine Stimme klang heiser vor Abscheu.

„Nur ein reicher Vorstadtjunge aus den USA. Das bleibt auch so, verstanden?“ Charlie zog eine Klammer mit Geldscheinen hervor und legte sie vor sich. „Hier etwas Lohn für Ihre Zeit.“

Ohne sein Gegenüber aus den Augen zu lassen steckte der Mann das Geld ein. „Was wollen Sie? Für gewöhnlich suche ich mir die Leute aus, mit denen ich etwas trinke.“

„Gibt es einen Weg in die Dark Zone?“

„Nein.“ Langsam hob sich eine Braue fragend nach oben. „Sie wollen da nicht rein.“ Er schloss kurz die Augen, als wolle er die schrecklichen Bilder in seinem Geist vertreiben. Ein Kellner kam zur Nische. Nach einem fragenden Blick zu Charlie bestellte Mahershala für sie beide. „Er bekommt ein Wasser, das er sich gleich selbst ins Gesicht schütten kann. Damit unser Großkotz zu Vernunft kommt. Für mich einen Doppelten vom Üblichen.“

„Einen Glen Moran mit Eis. Oder besser: lassen Sie das Eis weg. Wenn ich mir die Wasserqualität ansehe, fange ich mir bestimmt noch etwas ein.“

„Und das wollen wir doch nicht.“ Mahershala nickte zum Kellner, der sofort wieder verschwand. „Ich werde Ihnen nicht helfen, Mister O´Neill. Sie haben sich umsonst hierherbemüht.“

„Erzählen Sie mir etwas darüber. Als Schichtleiter der zuständigen Wachmannschaft muss man schließlich auch Brötchen bezahlen. Oder die nächste Bypass-OP. Und ihrer Tochter soll es auch nicht so gut gehen, hörte ich.“

„Woher...?“

„Infos. Und wenn du kleiner Knüppelschwinger nicht mitziehst, … tja, dann eben nicht.“ Charlie hielt den böse funkelnden Blick stand und zog einen prall gefüllten Umschlag hervor, den er langsam wieder zurückschob. Die Botschaft wurde verstanden.

 

Mahershala litt Qualen – ohne Frage. Seine Abscheu gegenüber Charlie war nicht gespielt, aber das lockende Geld würde ihn gefügig machen. Kirgisien war nicht für sein Gesundheitssystem bekannt. Schließlich gab er klein bei: „Nun… viel weiß ich nicht, aber es gibt Gerüchte, die sich die Wachen erzählen…Wir dürfen natürlich nicht darüber reden…“

„Biokampfstoffe? Strahlung?“

„Nun… es ist kompliziert…“

„Entkomplizieren Sie es, aber Vorsicht: Wenn Sie mich nur ausnehmen wollen, … ich kenne den Gouverneur eures wunderschönen Städtchens…“

„Keine Sorge. Wenn ich länger darüber nachdenke, könnte Ihnen Ihr kleiner Ausflug sicherlich guttun“, sagte der Wachmann leise und beugte sich vor. „Vor drei Jahren ist ein Transporter mit einem Biokampfstoff in der Nähe der Hotelanlage auseinandergebrochen. Dann brach alles zusammen. Mehr weiß ich nicht, aber von da an wurde die Anlage abgeriegelt. Soldaten gingen rein und verschwanden. Dann wurde das Tor zugelassen und der Schlüssel in ein tiefes, dunkles Loch geschmissen. Und das Loch in ein anderes Loch.“ Er zündete sich eine Zigarette an und paffte einen Kringel in Charlies Richtung. „Eplexherix-10.“

„Ich kenne es. Wir haben es so modifiziert, dass es nach einem Monat zerfällt. In drei, wenn es in geschlossenen Räumen ist. Also ist es sicher dort. Warum die Barrikaden nicht auflösen?“

„Kennen Sie The walking dead?“

„Zombies? Nonsens.“

„Nein, keine Zombies. Aber Tragödien. Und das multiplizieren Sie mal schön mit Game of Thrones.“ Mahershala verzog keine Mühe und spielte mit dem Drink in seinen Glas. „Wir können uns Ihr teures Medikament leider nicht leisten…“

Charlie war nicht beeindruckt. In seiner Welt hatte er schon mit Brokern zu tun gehabt, die ohne mit der Wimper zu zucken Firmen teilen und deren Mitarbeiter innerhalb einer Stunde auf die Straße setzen konnten. Mahershala war in seinen Augen ein blasser Mann, der ganz unten in der Hierarchie stand. „Gibt es einen Weg hinein?“

„Ja, den gibt es. Über einen Kanalisationsschacht, der nur mit einem sechsstelligen Code zu erreichen ist. Und auch nur, wenn ich den Entriegelungsprozess im Sicherheitskorridor überwache. Falls der Alarm losgeht…“

„Nur für ein paar Stunden.“

Keiner der Männer sagte etwas, bis der Kellner mit ihrer Bestellung zurückkam.

„Danke“, sagte Mahershala und kippte den Drink in einem Zug herunter. Dann atmete er tief ein. „Warum, Mister O´Neill? Sie haben doch schon alles. Muss nicht irgendwo ein Kinderkrankenhaus eingeweiht werden?“

„Sie sind verwirrt, aber der Zustand ist bestimmt nichts Neues. Der Ausflug ist mir wichtig, und Geld spielt keine Rolle. Also“, er beugte sich leicht vor und setzte sein Haifisch-Lächeln auf. „Entweder helfen Sie mir, drücken ein paar Knöpfe und bekommen ganz viele Umschläge wie den hier und sehen mich nicht wieder“, drohend sah er ihn an, „oder wir trennen uns und ich erzähle dem Gouverneur eine Horrorgeschichte mit Ihnen als Hauptfigur. Und ihre verarmte Familie muss lernen aus Gras und Steinen schmackhafte Suppenrezepte zu kreieren.“ Charlie lehnte sich langsam zurück und genoss die Wutfalten auf dem Gesicht seines Gegenübers. Diesen Teil liebte er besonders. „Euer Land ist so toll. So gastfreundlich…, wenn man vermögend ist. Aber für ausgebrannte Staatsdiener gibt es keinen Rentenfond. Schade. Naja, Einzelschicksale langweilen mich.“ Einer seiner Finger deutete auf das Ziffernblatt seiner Uhr. „Ticktack, ticktack…“

„Dienstagmorgen“, zischte Mahershala und riss Charlie den dargereichten Umschlag aus der Hand. „Meine Schicht beginnt um 5 Uhr. Um 13 Uhr stehen Sie wieder am Tor. Dann bringe ich Sie raus und kriege meinen Anteil.“

„Das ist ein Wort.“ Triumphierend stand Charlie auf und lächelte versonnen. „Wir sehen uns in der DarkZone!“

3. Kapitel

„Starkes Verlangen. Wunsch oder Zwang, eine Substanz zu konsumieren oder etwas immer wieder zu tun. Kontrollverlust. Abstinenzunfähigkeit. Toleranzbildung. Entzugserscheinungen. Das macht eine Sucht aus.“

(Ratgeber Gesundheit)

Die DarkZone war von außen nicht zu übersehen. Eine kilometerweite Betonwand trennte den Rest von der Welt von dem 840 Quadratmeilen größten Absperrplatz in der Geschichte der weltweiten Katastrophen. Vor dem Hauptgebäude, einem zweigeschossigen Betonpalast, war ein weiter Parkplatz, der von mehreren Kettenfahrzeugen und uniformierten Truppen des privaten Sicherheitstrupps belagert war. Langsam fuhr der schwarze Armeewagen um die Umzäunungen, bis er schließlich an einem Kontrollpunkt angekommen war. Gegen die schweren Raupenfahrzeuge wirkte der Wagen wie ein kleiner, erschöpfter Hund nach einer schweren Hetzjagd. Im Inneren des Wagens nahm der bewaffnete Wachmann seine Sonnenbrille ab, fuhr sein Fenster herunter und zeigte dem nächsten Wachmann seinen Ausweis. Weit um das gesamte Areal waren mehrere Reihen von Stacheldraht ausgelegt; dazu Betondecken, die wie Wellenbrecher jeden Ansturm von außen standhalten konnten. Die Republik von Kirgisien fürchtete Demonstrationen der Bevölkerung genauso stark wie ein Ausfall des gesamten Systems, als würden tatsächlich hinter den Mauern Zombies lauern. Charlie zog angewidert den Mund über diese in seinen Augen offensichtliche Verschwendung von Geldern und schaute auf seine Uhr.

Dienstagmorgen, Viertel nach neun.

Der Wachmann vor dem Wagen hatte seinen Stand verlassen und trug eine schwarze Panzerrüstung, die mit verstärkten Kevlar ausgestattet war. Seinen Helm nahm er nicht ab. Er winkte den Wagen durch.

Im Armeewagen befanden sich neben dem Fahrer und einer weiteren Wache noch zwei andere Personen, von denen einer der neue Geschäftspartner des Militärkomplexes war. In einem auffälligen Dreireiher gekleidet war Charlie der Bestangezogene - ganz anders als sein Zweiter Sekretär, Arthur Lentings, der nur mit einem gewöhnlichen, dunklen Zweireiher gekleidet war und in alles eingeweiht war. Und er wollte nicht hier sein. „Das sollten Sie sich vielleicht nochmal überlegen, Sir.“

„Schau sie dir an“, bemerkte Charlie abfällig. „Die Idioten bewachen einen toten Vorort. Ich hätte die Mittel schon längst gekürzt und etwas Neues darauf gebaut. Keinen Weitblick.“

„Also, mir gefällt das nicht“, murmelte sein Gegenüber und knackte nervös mit seinen Knöcheln. „Ich wünschte, ich könnte Sie begleiten, Sir…“

„Danke, Arthur.“ Noch bevor der Motor mit einem asthmatischen Keuchen verstummte, stand er schon draußen – ein großer, kräftiger Mann in mittleren Jahren, der zum Schutz gegen die morgendliche Kühle des Herbsttages einen teuren Anzug trug. Hinter ihm wuchtete sein Sekretär zwei schwere Koffer aus dem Wagen.

Einer der Panzer drehte sein Geschützturm auffällig langsam in seine Richtung und zeigte mit seinem Rohr die Bereitschaft nötigenfalls den unerwünschten Eindringling zu den Sternen zu schicken. Es waren ständig Trupps in Dreiergruppen unterwegs, die mit schweren Maschinengewehren patrouillierten und sich wahrscheinlich langweilen mussten. Bei einem Frontalangriff - egal wie groß das angreifende Bataillon wäre - würden sie jedoch alle wie zornige Wespen zur Stelle sein.

Der zugeteilte Wachmann ging mit einer Arbeitsmappe voraus zum Tor und ließ Charlie allein mit seinem Adjutanten.

Angst und Erregung stiegen, als Charlie fast beiläufig auf seine Uhr blickte. Es war gleich acht Uhr und die Sonne kletterte langsam, sehr langsam über die Hochhäuser.

Ein leichter Windhauch rauschte durch die Bäume. Der blaue Himmel war wolkenleer. Der Weg lag vor ihm. Der gewaltige Wall markierte die Grenze zwischen seiner Welt und einem Land, indem es keine Sicherheiten geben würde. Auf einmal war seine Erwartung stärker als seine Angst. Er wollte endlich gehen, wollte, dass die Sache endlich begann.

„Da sind Sie ja. Willkommen bei unserer glorreichen Armee“, rief ihnen ein Mann zu, der wohl eine leitende Beraterfunktion beim Militär innehatte. „Wir freuen uns über ihr Erscheinen. Die Drinks werden im Besprechungszimmer serviert.“

„Ich habe nicht viel Zeit, aber ich bin grundlegend mit allen Details einverstanden“, erwiderte Charlie und schüttelte im Gehen dem Berater die Hand. „Von mir aus können wir die Drinks weglassen und gleich zur Unterzeichnung übergehen.“

„Vortrefflich, Sir. Sollen wir die Koffer in einen unserer Tresore verstauen?“

„Bedaure. Dort pflege ich meine kostbaren Schätze von der Reise zu verstauen. Mein Sekretär wird sie anstaltslos tragen, bis wir wieder am Flughafen sind.“

Der Berater runzelte knapp die Stirn und bedeutete den Wachen beiseitezutreten. Man behelligte sie nicht mehr.

Im angrenzenden Besucherbereich wurde Charlie mit den Einzelheiten des „neuen, verbesserten Waffenlieferungsvertrages“ (den er selbst kurzfristig vorgeschlagen hatte) von einem stocknüchternen Anwalt vertraut gemacht, und kaum hatte der CEO den lachhaft kaum gewinnträchtigen Handel mit seiner Unterschrift abgeschlossen, wurde er sehr zum Bedauern der Gastgeber wieder zum Ausgang geführt. Ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass es genau neun Uhr war.

Das war alles Teil des Plans. Kurz vor dem Ausgang schüttelten er und sein Sekretär den Berater ab und verzogen sich mitsamt der Koffer auf die Toiletten. Neugierige Augen beobachteten sie bis zur Tür.

„Ich dachte, die gehen nie mehr. Was für ein Aufwand! War es das wert, Sir?“

„Die paar Raketen sind nicht die Rede wert, Arthur. Sie warten zwanzig Minuten nach meinem Verschwinden und gehen mit den Koffern brav zurück zum Auto. Den Rest erledige ich.“

Schnell entledigte sich Charlie seines Anzugs und legte einen Neoprenanzug an, der seinen gesamten Körper außer den Füßen und den Händen umhüllte. Das widerstandsfähige Material war leicht und doch stich- und kugelfest. Komplizierte Technik regulierte seine Körpertemperatur, so dass er selbst bei hohen Temperaturen nicht schwitzen würde. Darüber eine dunkelgraue Fleecejacke, einen kleinen Sportrucksack mit einer Wasserflasche, Energieriegel und einem Erste-Hilfe-Set. Eine Schusswaffe GLOCK 17 im Kaliber 9 mm (Schießtest auf 25 m, gezielte Schüsse, GECO-Patronen mit 124-Grain-Vollmantelgeschoss, Kosten dreihundert Dollar) rundete seine Ausrüstung ab. „Heute Abend trinken wir beide auf meinen Erfolg, Arthur.“

„Ich hoffe es, Sir.“ Der kleinere Mann von beiden wirkte unglücklich und starrte zu Charlie, der mit einem Satz auf den Toilettenkasten sprang und sich an die Deckenverkleidung zu schaffen machte. „Sir, wenn man Sie erwischt, werden Sie eine Menge unschöner Fragen beantworten müssen.“

Charlie antwortete nicht, kletterte über die Kante und robbte durch den dunklen, staubigen Bereich – beständig darauf bedacht, keinen Lärm zu machen. Nach zwanzig Metern fand er eine passende Stelle, kletterte in den nächsten Raum und lugte um die Ecke, wo er die Tür zum Hinterhof des Besucherbereichs erreichte. Genau nach seinen Infos gab es im Besucherbereich keine Kameras und kaum Wachen. Behände huschte er durch die Tür und stand wenig später seinem Kontakt gegenüber.

Charlie überquerte verstohlen die schmale Gasse, wobei seine Körperhaltung irgendeine schändliche Absicht verriet. Seine Erregung stieg förmlich – teils aus Vorfreude, teils aus der Gefahr, in die er sich begab. Die kurgisiesche Regierung war ihm wohlgesonnen, doch selbst bei Verstößen gegen ihre strengen Sicherheitsvorschriften verstanden sie keinen Spaß.

Mahershala stand reglos da und wartete geduldig wie eine Statue aus Stein. Jetzt trug er die Uniform der kurgisieschen Armee und hielt eine AK-747 locker in der Hand. Als er Charlie durch die Schatten auf sich zukommen sah, hörte Charlie ihn leise fluchen. „Da sind Sie ja.“ Er holte eine Serviette hervor und reichte sie ihm. Mit Bleistift war ungelenk ein Code aus Zahlen zu sehen. „Verlieren Sie sie nicht!“

„Und der Eingang?“

„Unter ihnen.“ Wie zum Beweis stampfte der Schichtleiter auf den Gullideckel unter sich. „Gehen Sie die Treppe runter, geben Sie den Code ein und kommen Sie bloß um dreizehn Uhr wieder zurück! Wo ist mein Geld?“ Ohne das Geld zu zählen, steckte Mahershala den Umschlag ein. „Meine Kollegen schauen sich ein Spiel im Fernsehen an. Sie müssen sich beeilen.“

Um dreizehn Uhr, also. Jetzt ist es knapp halb zehn Uhr. Kinderspiel.

 

Charlie hob den Gullideckel an, schwang sich in das Loch und stand sofort auf einer blankpolierten Treppe, die ins dunkle Nichts führte. Gerade wollte er noch etwas Sarkastisches erwidern, als Mahershala den Deckel schnell wieder zurückschob – und sofort wurde es um ihn dunkel.

Keine grauen Nuancen in der Schwärze, die ihn umgab, keine Sterne und keine matte Reflexion der Wolkendecke. Er zwinkerte mehrmals, und als er immer noch nichts sah, begann er die Wände um sich abzutasten und die Treppe behutsam herunterzugehen. Dabei stieß er mit der Hand gegen feuchte Wände. Eine Höhle, dachte er verwundert. Stolpernd machte er sich auf dem Weg.

Als er zuerst den Tunnel etwas genauer angesehen hatte, hatte er fast erwartet, Zeichnungen von gehörnten Tieren und von Jägern mit Speeren an den Wänden zu finden. Er hatte solche Zeichnungen schon früher gesehen, konnte sich jedoch nicht erinnern, wo genau. Natürlich war es keine Höhle, es musste ein Keller sein aber dagegensprach, dass die Wände schief und der Boden uneben waren. Nichts sehen zu können trug erheblich dazu bei, dass ihm vor Angst beinahe die Knie schlotterten. Wenn er nun hereingelegt wurde…Jetzt erinnerte er sich an alles, was er unterlassen hatte: sich zu vergewissern, dass seine Waffe noch bei ihm war. Oder an die Taschenlampe in seiner Jacke…

Die kleine Taschenlampe erhellte den gesamten Abschnitt um Charlie so hell, dass er die Augen kurz schließen musste. Als er sie schließlich wieder öffnete, sah er, dass er sich geirrt hatte: Es war keine Höhle und auch keine Kanalisation. Es war ein Tunnel, der abwärts in die Tiefe ging und sich in der Ferne verlor.

Gut. Sehr gut.

Charlie besah sich die Serviette in seiner Hand genau an: Vier - sieben – drei – zwei – fünf - neun. Sorgfältig steckte er sie in sein Portemonnaie ein – sein einziges Ticket und gleichzeitig die Rückfahrkarte. Es wäre dumm sie zu verlieren.

Voller Spannung ging er los, in freudiger Erwartung was die Dark Zone für ihn bereithielt.

Sein Abenteuer begann… jetzt.

Der Schock begann, als Charlie die Sicherheitstür öffnete.

Die Sonne schickte ihre warme Strahlen über die Häuser der Dark Zone, die tatsächlich nicht von dieser Welt war: die Natur hatte sich ihre Herrschaft wieder zurückgeholt, zarte Gräser und wilde Unkrautstauden hatten den maroden Beton beiseitegeschoben, um ihre Halme und Blätter der Sonne entgegenzustrecken. Wie umgestoßene Spielzeugautos lagen Autowracks verstreut herum, ohne Sinn und Verstand, rostig und nutzlos. Sporen von wilden Blumen schwebten unsicher ob ihres Zieles in der warmen Luft umher während kleine und große Tiere zu sehen war. Betörender Duft von Flieder, Seidelbast und Jasmin strömten dem Neuankömmling in die Nase, während er wie vom Donner gerührt eine grüne Oase bestaunte, die seit drei Jahren unberührt von der Außenwelt existierte. Drei Jahre, dachte Charlie verdattert und konnte nicht verhindern, ob dieser Schönheit tatsächlich wahr war.

Die Luft roch feucht, warm und ohne Abgase der Großstadt, die keine Meile entfernt von hier weiterlief. Die Isolation hatte eine Oase geschaffen, und Charlie empfand plötzlich ein intensives Gefühl der Einsamkeit. Zu seiner Linken stieß ein Käuzchen seinen unheimlichen Schrei aus. Auf der anderen Seite raschelte etwas, blieb einen Moment still, raschelte wieder, blieb nochmals still und brach dann krachend durchs Unterholz zu einem weniger bevölkerten Teil des Waldes. Makrelenartige Frühlingswolken jagten über den Himmel und versprachen warmen Regen.

Jeder Pionier wählte Worte mit Bedacht, wenn er unentdecktes Land betrat:

Ein kleiner Schritt für mich, ein großer Schritt für die Menschheit.

Für Gott und Vaterland.

Ich kam, sah und siegte.

Charlie sprach aus was ihn am meisten bewegte: „Ist das alles?“

Er überquerte eine alte Bahnlinie, die schon seit drei Jahren ausgedient hatte. Die Gleise waren verrostet, und zwischen den Schottersteinen wuchsen Gras und Unkraut. Charlie spazierte wie ein Besucher in einem Tropengehege weiter und bemerkte die Artenvielfalt um ihn herum, schätzte sie aber nicht sonderlich.

Nur einmal wandte er sich im Gehen um, um einen neugierigen Blick nach hinten zu werfen: die zwanzig Meter hohen Mauern der Anlage starrten ausdruckslos zurück. Wachen waren keine zu sehen. Ein Spaziergang.

Und doch empfand es Charlie als elektrisierend, auf Grund und Boden zu laufen, der nicht jedem vergönnt war. Alles um ihn herum glich einer riesigen Totenstadt, einer antiken Stadt, die über irgendeine schreckliche Tragödie in ihrer Vergangenheit brütet – eine Seuche oder einen Fluch. Der intensive, unangenehme Salzgeruch drang vom Meer her in die Stadt hinein. Das Gebäude zur Rechten war über und über mit Schlingpflanzen überzogen, nichts regte sich und eine fast schon andächtige Stille wurde ihm gewahr, während er ohne Vorsicht einfach weiterging. Trotzdem holte er seine Waffe hervor, entsicherte sie und steckte sie sich locker in die Tasche. Es würde ein Spaziergang werden.

Stille und Ruhe.

Nach einer Minute war ihm schon langweilig.

Er klaubte Steine auf und warf sie im Gehen auf Fensterscheiben. Das Knallen und Scheppern schreckte etwas im Gebüsch auf, das sich aber schnell empfahl. Charlie grinste leicht und pfiff ein Lied. Summte später. „Da-dada, da, dadada-da…“

Fast schon wünschte er sich, er hätte jemanden mitgenommen denn der Ort war zwar interessant, aber wurde schnell langweilig. Und Langeweile war ein alter Feind, den Charlie zu fürchten gelernt hatte. Charlie änderte seine Richtung, holte den Stein und spielte damit in der Luft, während er das Gebäude vor sich genauer in Augenschein nahm. Nur ein baufälliges Hochhaus von vielen, dessen Inneres grau und verlassen wirkte, das Erdgeschoss sank allmählich in den Boden ein, der Vorplatz war ein überwuchertes Feld. Ein alter Bürotisch versteckte sich hinter einer Mülltonne, die Uhr an der Wand war stehengeblieben und zeigte auf zwölf.

Aber links von dem Eingang war eine große Treppe, dort konnte man die schmutzigen Stufen hochgehen. Es würde den Besuch abrunden, sich von oben einen Blick auf die Häuser zu gönnen. Im Gebäude bewegte er sich langsam, aber bestimmt nicht vorsichtig vorwärts. Das Knirschen des Drecks unter seinen Stiefeln störte ihn nicht im Mindesten. Das Gebäude wurde von der Frühlingssonne in strahlendes Licht getaucht, und trotzdem hatte es etwas Unheimliches an sich – hier herrschte ein brütendes Schweigen, das nur von gelegentlichen Windstößen unterbrochen wurde. Charlie fühlte sich wie ein Entdecker, der soeben die letzten Reste einer märchenhaften untergegangenen Stadt gefunden hat.

Die Treppe führte weit nach oben. Der Geruch im dunklen Treppenhaus war schon fast steril, dafür waren Tierleichen von kleinen Nagern zu erkennen, um die er einen Bogen machte. Bei einer Maus hätte er sich nichts dabei gedacht, aber hier hatten sich scheinbar alle Nagetiere auf den Stufen zum Sterben hingelegt – so schien es zumindest. Das kam ihm merkwürdig vor, aber vorsichtiger wurden seine Schritte immer noch nicht. Der Hochmut ließ ihn weiter summen: „Dudada, duda, duda…“

Einmal passte er nicht auf und trat mit seinen schweren Stiefeln auf eines der skelettierten Nager, das dem Gewicht nichts entgegenzusetzen hatte. Charlie verzog angeekelt den Mund, als das schmierige Knacken seine Ohren erreichte. An einer Wand gelehnt kratzte er das Profil am Gelände sauber und stieg einfach weiter nach oben. Auch im ersten und zweiten Stock hatten sich die Nager auf die Stufen hingelegt, auf jeder Zweiten je eine kleine graue Maus, als wäre es der Natur so in den Sinn gekommen. Es dauerte, bis Charlie verstand.

Kein Tier benahm sich so. Schon gar nicht mehrere Tiere.

Jemand lebte hier.

Ihm kam der Ausflug nicht mehr langweilig vor. Er lächelte halb und umfasste seine Waffe in der Tasche; froh darüber, ihr Gewicht und den harten Griff zu spüren. Kann doch noch interessant werden, Leute.

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