"Icke" fährt zur See - Teil 1 - Seefahrt damals um 1961 - Schiffsjunge und Jungmann

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Aus der Reihe: maritime gelbe Buchreihe #118
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„Icke“ geht an Bord

Ickegeht an Bord

Die erlösende Nachricht kam dann endlich im November 1961. Ich erhielt einen Brief der Reederei, oben auf dem Briefkopf war die farbige Reedereiflagge der HAPAG aufgedruckt.

Im Text hieß es, dass ich, Herr Emmrich, auf dem Frachter „BRANDENBURG“ in Hamburg anmustern und mich umgehend bei der Reederei in Hamburg, Ferdinandstraße, melden sollte.

Na, der Schiffsname passte ja zu mir, denn ich bin ja auch in Brandenburg (Biesenthal) geboren.

Der Abschied in Berlin war nicht so ganz ohne Emotionen. Mein Bruder lag schon im Bett, als ich den Abend zuvor zu ihm an das Bett kam, um Abschied zu nehmen. Ich hatte den Eindruck, dass dieser Abschied ihn mehr schmerzte, als mich. Nun musste er alleine die Tyrannei zu Hause aushalten. Wir sagten uns traurig „tschüß“, und ich versprach auch zu schreiben. Die letzte Nacht in meinem Bett zu Hause war quälend. Auf der einen Seite freute ich mich, auf der anderen Seite war diese Ungewissheit vor der Zukunft. Ich werde ganz allein auf mich gestellt sein. Am nächsten Tag ging es dann zum Hauptbahnhof. Meine Mutter begleitete mich und spielte die Leidende. An dem Abschied meines Vaters, der nicht mit zum Bahnhof kam, kann ich mich gar nicht mehr erinnern. Der war wahrscheinlich auch nicht so toll, sonst hätte mich das ja auch beeindruckt. Gute Ratschläge für mich, der ja erst 16 Jahre alt und unerfahren war, gab er mir jedenfalls nicht mit auf den Weg.

Warum auch, er erwartete sowieso von uns Söhnen, dass wir alles richtig machen.

Mir war das eigentlich egal, obwohl ich schon gerne etwas Beistand von den Eltern gehabt hätte. In Hamburg erwartete mich der Onkel Herbert aus Blankenese, ein ehemaliger Kriegskamerad meines Vaters, bei dem ich noch eine Nacht verbrachte.

Bei der HAPAG, in der Ferdinandstraße, wurden dann die Formalitäten (Heuerschein / Vertrag) erledigt und ab 20.11.1961 war ich stolzer Mitarbeiter dieser großen Reederei.

In Deutschland gab es damals nur zwei richtig große Reedereien, den Norddeutschen Lloyd in Bremen und die HAPAG in Hamburg. Natürlich gab es auch andere Reedereien mit großen Namen, aber diese Beiden waren vor und nun nach dem Krieg führend in Deutschland.


Deren Schiffe waren weltweit im Einsatz und das nun mit mir, „Icke“, dem Seemann aus Berlin.


Meine monatliche Heuer (Gehalt) betrug: 90 DM brutto. Kost und Logis natürlich frei. An Land verdienten die Lehrlinge ca. 40 DM.

Also für mich nicht schlecht, und dazu erwarteten mich noch eine Menge Überstunden. Und jeder Sonntag auf See wurde mit einem bezahlten Urlaubstag belohnt.

Allerdings, wie ich schnell erfahren musste, war ich auch der letzte „Arsch“ an Bord, noch nach dem Bordhund.

Doch erst mal war das egal, es ging an Bord und das zählte!

An einem kalten, regnerischen Abend, fuhr ich mit Onkel Herbert von Blankenese zu den Landungsbrücken. Natürlich mit der Bahn, denn er hatte kein Auto. Damals hatten nur wenige Gutbetuchte ein Auto.

Von den Landungsbrücken ging es auf eine Fähre und dann weiter zum Kaiser-Wilhelm-Hafen.


Der Pott sollte am Schuppen 73 liegen, und so stiefelten und stolperten wir im Regen und der Dunkelheit über die Gleise.

Der Schuppen 73 lag auch noch ganz am Ende des Hafens, ca. 150 Meter am Kai entlang.

Die dort liegenden Schiffe, alle von der Hapag, wurden beladen und es herrschte reges Treiben an der Pier.

Wir mussten aufpassen, dass wir keine Hieve an den Kopf bekamen, oder dass uns ein Gabelstapler anfuhr.

Ich glaube, Onkel Herbert fluchte innerlich. Denn er trug meinen schweren Seesack, da ich eine große Tasche tragen musste. Er war nicht der Stärkste, etwas dünn und kränkelnd. Eben ein Beamter im Innendienst bei der Bundesbahn.

Am Ziel angekommen, sah ich „mein Schiff“.


Ein alter Zosse, erster Nachkriegsbau (Baujahr 1951), mit vier Luken.

Die Offiziere, Ingenieure und die Stewards wohnten mittschiffs, in Einzelkammern, und die Mannschaft war achtern in Zweimannskammern oder wie die Junggrade (Lehrlinge) in Viermannskammern, untergebracht. Fast -über der Schiffsschraube (deswegen „Hotel zur Schraube“ genannt).


Ein Hapag-Stückgut-Schiff damals im Hamburger Hafen

Die Besatzung bestand aus 32 Mann.

Eine Schiffsbesatzung auf so einem Frachter sah etwa so aus:

Decksbesatzung:

Kapitän (der Alte)

1. Offizier

2. Offizier

3. Offizier

Offiziersanwärter

Bootsmann (genannt Scheich)

Zimmermann (genannt Timmy oder Blau)

Kabelgattsmatrose (genannt Kabelede)

ca. 3 - 4 Matrosen

2 Leichtmatrosen

1 - 2 Jungmänner und der Decksjunge (Moses)

Dazu kam noch der Funker, der gleichzeitig Zahlmeister (Purser) war.

In der Küche tobten der Koch, Schlachter und Bäcker herum.

Dann kamen noch der 1. und 2. Steward, sowie ein Messejunge dazu.

Maschine ( Schmiergang):

1. Ingenieur

2. Ingenieur

3. Ingenieur

1 - 2 Assistenten

1 Storekeeper (Materialverwalter)

2 - 3 Schmierer

2 - 3 Reiniger

1 Elektriker

* * *

Kotzend durch die Hölle auf See

Kotzend durch die Hölle auf See

Endlich und klitschnass erreichten wir den Liegeplatz der „BRANDENBURG“ und dann krabbelten Onkel Herbert und ich die wacklige Gangway hoch und die Nachtwache, ein mauliger Sicherheitsmensch von Land, empfing uns. Er ging mit uns unter Deck und zeigte mir meine Kammer.

Auf Fragen, wann das morgen los geht usw., konnte er nicht antworten. „Wirst schon mitkriegen, wat hier läuft!“ Das war‘s. Toller Empfang, dachte ich. Na ja, der gehörte ja nicht zur Besatzung. Morgen kommt bestimmt der Kapitän zu mir und begrüßt mich herzlich..., tröstete ich mich.

Der erste Schock..., es traf mich wie ein Vorschlaghammer. Die Bude, in der ich hausen sollte, war ca. 10 Quadratmeter groß, hatte 4 Kojen (immer zwei übereinander), in drei Kojen schliefen schon ein Jungmann (das ist die Bezeichnung für den Seemann im 2. Lehrjahr) und ein Messejunge, sowie noch der „Moses“, den ich ablösen sollte. Messejungen sind die angehenden Stewards, die in den Offiziersmessen arbeiten. Messen heißen an Bord die Ess- / Aufenthaltsräume der Mannschaften. Für die Schiffsführung gab es den Salon, der natürlich wesentlich vornehmer ausgestattet war.

In der Kammer stank es wie im Pumakäfig. Es stank nach Öl, Schweiß und nassen Klamotten und irgendwie sauer. Aber wo sollte denn auch frische Luft herkommen? Die Tür konnte man auf einen Haken machen, damit sie einen spaltbreit offen ist. Das wurde aber aus Sicherheitsgründen im Hafen nie gemacht. Fremde hätten dann leicht in die Kammer eindringen können.

Mitten durch den kleinen Raum ging das Rohr vom Hilfsruder. Es gab einen kleinen Tisch und eine Holzbank. Jeder hatte einen Einbauschrank, und Tageslicht, wenn überhaupt, kam durch ein ca. 30 cm kleines Bullauge.

Da die Kammer sich nicht an der Schiffsaußenseite befand, sondern in der Schiffsmitte, eben über Deck, lagen vor dem Bullauge immer irgendwelche Gegenstände und ließen kein Licht und keine Luft in die Bude. Für frische Luft sollte ein kleiner Ventilator sorgen, der an der Wand angebracht war.

Direkt unter der Kammer befand sich der Rudermaschinenraum und dann außen die Schiffsschraube, die uns später auf See noch viel Vergnügen bereiten sollte. Wie gesagt, dieser Bereich wurde „Hotel zur Schraube“ genannt.

 

Die Koje, die für mich noch frei war, hatte eine durchgelegene Matratze mit stinkender Rosshaarfüllung. Sie lag auf einem Brett, also auch nicht sehr rückenfreundlich. Bettzeug gab es nicht. Mein Bettzeug, eine Decke mit Bezug und ein Kopfkissen, hatte ich ja in doppelter Ausführung mit, in blau-weiß gemustert.

Die Bewohner mussten todmüde sein, denn sie grunzten nur kurz, als das Licht anging und nahmen sonst keine Notiz von dem Neuankömmling. Die Kojen konnte man mit einer Gardine zu machen, damit man wenigstens im Schlaf für sich war.

Tja, da stand ich nun mit Onkel Herbert. Der sah mich mitleidig an und sah zu, dass er schnell von Bord kam. Das war nicht seine Welt und so, wie das hier aussah, auch nicht meine.

Als ich dann alleine war, fing ich an, meine Sachen auszupacken, in den engen Schrank zu legen und bezog mein Bettzeug. Da es schon sehr spät war, blieb mir nichts anderes übrig, als auch schlafen zu gehen.

Ich lag dann grübelnd in meiner Koje, hatte die kleine Kojenlampe an und sah plötzlich über mir, an den Seiten aus den Ritzen kommend, kleine Tierchen laufen.

Wie ich dann später erfuhr, waren das die ständigen Begleiter an Bord eines jeden Schiffes, die Kakerlaken. Na toll, Haustiere machten mir schon immer viel Freude, aber mir war nun zum Weinen zu Mute.

Ich genoss noch den Geruch meines frischgebügelten Bettzeugs, das in der Miefbude eine einzige Wohltat war. Irgendwann schlief ich endlich ein. Hatte seltsamerweise keine Albträume.

Raise, Raise, lüft an die Ärsche“, schrie plötzlich jemand in die Kammer, hämmerte gegen die Tür, machte das Licht an und verschwand. („Raise“ heißt erheben und ist der Weckruf an Bord).

Wir standen auf, und beim Anziehen stellte ich mich kurz vor. Ich zog meine Latzhose und den Pullover von der Seemannschule an. Alles ganz neu, sauber riechend und gebügelt. Kurze Katzenwäsche in dem miefigen Waschraum, wo auch schon ein paar andere halbnackte Maaten ihre Morgenwäsche absolvierten. Und dann ging es los. Es war 6.00 Uhr, und ich latschte den Kollegen hinterher in die Mannschaftsmesse. Von mir nahm zunächst keiner Notiz, bis so ein alter Typ mich fragte, wer ich denn sei.

Ich sagte, dass ich der neue Decksjunge sei. Daraufhin grunzte er mich an, ich sollte gefälligst die Messe für das Frühstück herrichten. Da war ich erst mal platt und wusste überhaupt nicht, was ich machen sollte. Ich dachte, ich bin Decksjunge und kein Steward.

Nun sprach mich einer der Kammerkollegen an und erklärte mir, was hier an Bord für die nächsten 9 Monate, also bis Beendigung des 1. Lehrjahres, mein Job ist. Er erzählte mir, dass er bisher der Moses war und nun nach einem Jahr zum Jungmann befördert wurde und an Deck arbeiten wird.

Ich war nun sein Nachfolger und somit zuständig für: Sauberhalten sämtlicher Mannschaftsräume, wie die Kammern der Maschinen- und Decksgang, der Wasch- und Toilettenräume, der Gänge, der Mannschaftsmesse und Pantry. Außerdem müsse ich Backschaft machen, d. h. zum Frühstück (7.30 - 8.30), Teetime (10.00 bis 10.30 Uhr), Mittagessen (11.30 - 12.30), Kaffeetime (15.00 - 15.30 Uhr) und Abendbrot (17.30 -18.30 Uhr) die Tische entsprechend decken und wenn die Leute kommen (insgesamt ca. 15 Personen) das Essen von mittschiffs aus der Kombüse holen.

Das heißt Backschaft, weil an Bord der Tisch Back heißt. Also egal, bei welchem Wetter, das Essen, bzw. die vollen Teller und die Suppenterrine, mussten über Deck getragen werden. In jeder Hand zwei Teller, den Suppentopf extra. Dazu musste ich jeden Tag um 6.00 Uhr aufstehen, die Messe vom Nachtgeschirr der Wachgänger säubern, das Frühstück vorbereiten und zeitgerecht die Leute wecken. Das Frühstück, wie alle Mahlzeiten, war üppig. Es gab immer frische Brötchen, Aufschnitt, warme Suppe (so eine Art Kakao- oder Milchsuppe), dazu immer einen warmen Snack, wie z. B. gebackenes Corned Beef oder dicke, weiße Bohnen. Kaffee und Tee musste ich natürlich immer genug vorbereitet haben.

In den Tropen musste auch ausreichend sogenanntes „Kujambelwasser“, das war Limejuice mit Wasser verdünnt, auf der Back stehen. Denn wegen des hohen Schweißverlustes bei der Arbeit an Deck mussten die Jungs viel trinken.

Die Höhepunkte waren donnerstags, der sogenannte Seemanns-Sonntag und der eigentliche Sonntag. Das waren für mich die Horrortage, wie ich später feststellen musste. Da gab es nämlich Eier nach Wunsch. Und das war für mich der wahre Albtraum, denn jeder wollte eine andere Art der Zubereitung, wie z. B. Spiegeleier mit oder ohne Speck, aber mit oder ohne Zwiebel, oder Rühreier mit oder ohne Zutaten, wie Pilze, Paprika, Spargel aus der Dose, Speck, Würfelschinken, Schinken roh unter den Spiegeleiern, Zwiebeln, durchgebraten oder nur glasig angebraten, die Eier von beiden Seiten oder nur einer Seite (Sunny Side up), Rühreier mit allem, also Rührei Kuddel-Muddel etc. oder weich oder hart, 5, 6, 7 und, und, und ...Minuten gekochte Eier usw.

Wenn dann die Gang (Mannschaft) in die Messe kam, schrie mir jeder seinen Wunsch entgegen und ich stiefelte zur Kombüse, in der Hoffnung, nichts zu vergessen oder zu verwechseln. Das musste schnell gehen, denn die hatten alle Hunger, jeder wollte der Erste sein. Natürlich vergaß ich häufig, wer was bestellt hatte, und dann gab es richtig Ärger. Da bewegte ich mich immer dicht an der Prügel vorbei. Die ließen immer ihre schlechte Laune an mir aus, und am Schlimmsten war der Bootsmann, der anscheinend Berliner nicht leiden konnte. Außerdem sprach er Plattdeutsch, von dem ich kaum ein Wort verstand. Ich musste immer nachfragen, und das machte ihn noch grimmiger. „Seh too Icke, sünst givt dat wat ant Muul“, war sein Standardspruch. Also fragte ich immer seltener nach und brachte immer häufiger das Falsche. Das war dann Stress pur, und manchmal flog auch ein Aschenbecher hinter mir her. Das war ein richtiges Drama, denn 15 Leute wollten 15mal verschiedene Eier haben und möglichst gleichzeitig und umgehend.

In der etwas schmuddeligen Messe herrschte auch eine Hierarchie. Links der Viermanntisch, mit dem Bootsmann, Zimmermann und Storekeeper. Ein Platz blieb leer. Dann die große Matrosenback, an der alle anderen Decksleute saßen. Und weiter hinten rechts, die Schmiergang, wie Reiniger, Schmierer und Motorenwärter. Deren Back war immer etwas schmierig, denn die Jungs kamen immer direkt aus dem Maschinenraum, total verschmiert. Sie wuschen sich nur oberflächlich die Hände und das Gesicht. Aber sie stanken immer fürchterlich ölig. Sie wurden auch immer von der Decksgang gehänselt. Das wurde manchmal auch schon ernst, aber nie so ernst, dass es zur Schlägerei kam.

Sie wurden eben geduldet, aber selten akzeptiert

Traditionell gab es sonntags zum Mittag immer „La Plata Geier“, „Sturmvogel“ oder auch „Pleitegeier“, kurz und gut einen halben Gockel, der meist schon sehr lange gelebt hatte und womöglich an Altersschwäche gestorben war, denn meist war er ziemlich hart und zäh. Aber vielleicht war ja auch nur der Backofen defekt. So verteidigte sich oft der Koch, um möglichen Ärger zu entgehen.

Oder es gab nur Eintopf, meist Erbsensuppe mit Einlage, die man aber suchen musste. Jedenfalls wurde immer gemeckert und ich musste alles, was dem Koch galt, abfangen und ertragen.

Am sogenannten Seemannssonntag, also donnerstags, gab es immer zum Mittag, auch in den Tropen, Schweinebraten mit Rotkohl und viel Soße zum Stippen, natürlich ordentlich fett. Nachschlag nur Kartoffel und wenn noch vorhanden, Rotkohl und Soße. Die kam aus „Tank 7“, so nannten das die Seeleute.

Damit war ein gedachter Tank gemeint, aus dem immer die gleiche Soße für jedes Essen genommen wird. Es schmeckte also immer alles gleich. Das war auch der Grund, warum ich darauf zu achten hatte, das immer genug Ketchup, Maggi, Pfeffer und Salz, sowie ganz wichtig, das megascharfe Sambal Olek, auf dem Tisch stand. Besonders Ketchup wurde zu fast allem benutzt. Ich glaube, manche nahmen Ketchup auch zum Pudding. Jedenfalls musste die Buddel immer voll sein, sonst war die Hölle los. „Moses, Ketchup her“, klingt es noch heute in meinen Ohren.

Außerdem gab es noch an diesen beiden „Sonntagen“ nachmittags die berühmten „Panzerplatten“, das war ein Art Streuselkuchen mit Zuckerguss. Damit wurde ordentlich der Unterkiefer trainiert, denn meist waren die Dinger ziemlich hart, eben Panzerplatten.

Und abends blieb die Küche kalt. Da gab es kalte Platte. Das war Aufschnitt, wie z. B. die „Seemannsverfolgungswurst“ (die hieß so, weil sie auf jedem Schiff zu finden war), eine Art Blutwurst mit reichlich Fettstücken. Es wurde auch Teewurst angeboten, dann ein Stück „Alma Hoppe“ Schmierkäse, Käseaufschnitt und eine Dose Fisch, wie Sardinen oder Hering in Tomatensoße. Brotsorten waren Schwarzbrot, Feinbrot und Weißbrot. Das wurde immer vom Bäcker frisch gebacken. Wie ich beobachten konnte, knallten die Seelords, bevor sie das Brot aßen, das Teil auf den Tisch, damit die Kakerlaken herausfielen. Die Viecher waren ja überall, und ich möchte nicht wissen, wie viele ich im Laufe meiner Seemannszeit mitgegessen habe. Ich empfand das Ganze als reinen Schweinkram, und es fiel mir sehr schwer, mich an diese Dinger zu gewöhnen, kam ich doch aus sogenanntem guten Hause, mit zivilisierter Esskultur.

Unerträglich war auch das Ess- oder besser gesagt Fressverhalten der Leute. Sie schlürften und schmatzten, rülpsten und grunzten beim Essen. Und wenn dann der Teller fast leer war (es blieb eigenartigerweise immer etwas darauf), wurde darin die Zigarette ausgedrückt.

Tja, ich musste mich daran gewöhnen, das waren Barbaren, jedenfalls für mich, der ja zu Hause bei Tisch immer gerade sitzen musste, die Hände auf dem Tisch halten, Messer und Gabel immer korrekt in den Händen haben und natürlich nicht schmatzen durfte. Ich muss im Nachhinein aber auch sagen, dass das Essen an Bord durchweg gut und reichhaltig war. Es kam natürlich vor, das auf der Heimreise die Qualität nachließ, aber das lag daran, dass der Koch in den meist tropischen Häfen keine Frischware, wie z. B. Fleisch, einkaufen konnte. Es gab auch ab und zu Obst zum Nachtisch, wie Äpfel oder Birnen, in den Tropen auch reichlich Apfelsinen oder Bananen, die dort in den Häfen günstig gekauft wurden.

Sonst war die Vitaminzufuhr äußerst mager. Nach heutigen Erkenntnissen, hätten wir alle Skorbut haben müssen. Somit ist es auch verwunderlich, dass ich in der gesamten Seefahrtzeit kaum erlebt habe, dass ich oder auch irgendjemand anderes ernsthaft krank war. Erkältungen habe ich nie erlebt. Verletzungen nach Arbeitsunfällen oder auch mal malariaähnliche, fiebrige Erkrankungen kamen natürlich vor.

Aber an Bord heißt es: Ein Seemann ist nicht krank, er hat nur ein Leiden.

Hein Seemann musste körperlich hart arbeiten und die Moral durfte auch nicht leiden. Also musste das Essen auch recht gut und reichhaltig sein. Gemeckert wurde natürlich immer, aber das war mehr Therapie.

In der Regel bekamen die Offiziere das gleiche Essen, wie die Mannschaft. Nur wurde es von einem Steward, der natürlich weiße Dienstkleidung trug, serviert. Und das Ganze mit besserem Geschirr und Besteck. Und für die Schiffsführung (Kapitän, erster Offizier, leitender Ingenieur) nicht in der Messe, sondern im Salon.

So, jetzt habe ich schon ein bisschen vorgegriffen, aber das war das, was nun auf mich zukam.

Also, ich hatte einen Arbeitstag von 6.00 Uhr bis ca. 21.00 Uhr, wenn ich nach dem Abendbrot schnell abgeräumt und das Geschirr abgewaschen hatte (mit Hand im Becken), war ich schon mal um 20.30 Uhr fertig. Ich hatte locker einen 12-Stunden-Tag. Jugendschutz galt da nicht viel.

Das hatte mir nun mein Vorgänger erklärt, und ich war erst mal platt. Ich wollte doch ein Seemann sein und kein Kellner mit Stubenmädchentätigkeiten.

Der Jungmann half mir aber erst mal, damit ich mich orientieren konnte, zeigte mir alle wichtigen Dinge und machte mir ein bisschen Mut.

Er war ganz in Ordnung, im Gegensatz zu den anderen Leuten, die ich noch richtig „genießen“ sollte. Teilweise kam auch eine neue Mannschaft an Bord. Nur der Bootsmann gehörte leider zur Stammbesatzung und fuhr weiterhin mit.

 

Also erledigte ich erst mal mit dem anderen Ex-Moses die Frühstücksarbeiten. Saubermachen der Mannschaftskammern war noch nicht angesagt, aber die Gänge, Waschräume, Pantry und Messe mussten gefegt oder auch gefeudelt werden. „Feudeln“, also wischen, war für mich, wie viele andere Ausdrücke, auch neu, und die mussten erst mal erlernt und begriffen werden.

In den Toiletten und den Waschräumen wurde mit dem Desinfektionsmittel Sagrotan nicht gespart. Und danach roch es auch überall.

Ich war ziemlich frustriert, denn mir war klar, dass ich nun 9 Monate den Feudel (Wischlappen) schwingen musste.

Von Seemannsromantik, La Paloma, weißen Segeln beim Sonnenuntergang, bärtiger Bootsmann mit Pfeife singt Shantys und Matrosen stimmen mit ein, war nun wirklich nichts zu spüren. Ich war geschockt und enttäuscht.

An Bord herrschte ein ziemliches Chaos, denn die alte Gang musterte ab und neue Leute kamen an Bord. Überall wurden von Handwerkern Reparaturarbeiten durchgeführt, und so lagen in den Gängen Schweißerzubehör, kleine Maschinenteile, Werkzeug usw.

Es war in den Gängen und in der Messe überall dreckig und schmierig. An Deck wurde Tag und Nacht gearbeitet. Das Schiff wurde mit Maschinen, riesigen Kisten, Fässern, Rohren, Kartons, Autos usw. beladen. Auf der Ladung war dann der Bestimmungsort zu lesen, wie z. B. Kingston / Jamaica, Port au Prince / Haiti, Havanna / Cuba und Santo Domingo / Dominikanische Republik.

Also, es ging wirklich in die Karibik, und das stimmte mich doch schon sehr froh, und ich war sehr neugierig auf die fremden, exotischen Länder.

Allein die Namen der Häfen zu lesen, war ein Genuss für mich und ließ mich träumen.

Am nächsten Abend ging es los. Nachdem das Schiff zoll- und passrechtlich abgefertigt, der Lotse an Bord war, wurde die Gangway einholt. Die Schlepper standen bereit, und es hieß endlich „Klar vorn und achtern“. Das heißt, die Mannschaft musste vorn und hinten (Bug und Heck) bereit sein, die Leinen einzuholen und den Schlepper festzumachen. Zuvor wurde an Deck alles seeklar gemacht. Die Luken geschlossen, die Ladebäume heruntergelegt, Fässer und andere Gegenstände an Deck gesichert. Ich konnte beobachten, wie die Jungs schufteten. Das ging alles Hand in Hand. Klare Anweisungen vom Bootsmann wurden sofort umgesetzt. Obwohl die Mannschaft frisch zusammengewürfelt war, verlief alles reibungslos. Ich war beeindruckt. Es wurde kaum gesprochen.

Dann endlich waren die Schlepper vorn und achtern fest, die Leinen los, und ich hörte die Maschine dröhnen. Das Schiff vibrierte leicht, und ich hatte ein Wahnsinnsgefühl im Bauch, obwohl ich ja nun erst mal nur „Putzbüddel“ war.

Langsam setzte sich der Pott in Bewegung, die Distanz zwischen Schiff und Pier wurde größer, und wir verließen das Hafenbecken Richtung Elbe. Laut dröhnten die Signale der Schlepper und der „BRANDENBURG“ in die Nacht hinaus. Auf der Flussmitte wurden die Schlepper losgemacht, und das Schiff fuhr mit eigener Kraft Richtung See, bzw. zum nächsten Hafen, nach Bremen.

Es war ca. 20.00 Uhr, ich hatte meine Arbeiten erledigt und konnte an Deck stehen. Langsam glitten wir an Teufelsbrück, Blankenese, Schulau usw. vorbei.

Es regnete leicht, ich sah die Lichter der Häuser an Land und wusste nicht, ob ich lachen oder weinen sollte. In meinem Kopf war alles durcheinander. Ich hatte Fernweh, Heimweh, Angstgefühle, Freudengefühle. Nun wurde es ernst, und mit jeder Meile entfernte ich mich mehr von meiner Heimat, vom Land, von allem Vertrauten.

Niemand wird da sein, wenn ich Hilfe brauche, wenn ich mich jemanden mitteilen möchte. Was kommt da auf mich zu? Ich fühlte mich in diesem Moment sehr, sehr einsam.

Es war ein sehr emotioneller Moment, denn mir war klar, dass ich nun Abschied von meiner Kindheit nehme.

Ich habe auch schnell festgestellt, dass sich hier niemand um mich kümmert, nicht mal fragt, wer ich bin, wo ich herkomme und so weiter. Es gab immer nur Order. Das tat schon sehr weh.

Während die Mannschaft an Deck noch arbeitete, ging ich müde in meine Kammer und legte mich in die Koje, lauschte den Motorengeräuschen und hörte das Röhren der Schiffsschraube, die direkt unter uns das Schiff vorwärts trieb.

Es knarrte und knirschte überall in der Kammer.

Das war schon ziemlich laut, aber ich war todmüde von den Aufregungen des vergangenen Tages und mit den Gedanken an zu Hause, was die wohl machen, ob sie an mich denken, schlief ich dann auch irgendwann ein.

Zur See, icke fahr zur See, waren meine letzten Gedanken vor einem todesähnlichen Schlaf.

Noch in der Nacht wurde Bremen erreicht, am Tage wurde dann noch dazu geladen.

Dann ging es weiter nach Rotterdam und Antwerpen, bevor es dann endlich über den großen Teich ging.

Die Fahrten auf den großen Flüssen wie der Weser, nach Bremen oder der Schelde, nach Antwerpen, waren sehr interessant. Zu dieser Jahreszeit herrschte meist dichter Nebel oder es war sehr diesig. Manchmal konnte man keine 10 Meter weit sehen. Man hörte nur die Nebelhörner, und erst im letzten Moment sah man ein Schiff ganz dicht vorbeirauschen. Das war unheimlich. Für mich war das schleierhaft, wie die da oben auf der Brücke damit zurechtkamen.

Natürlich waren auf den Flüssen auch ein Lotse, sowie der „Alte“, der Wachoffizier, der Rudergänger und die Ausguckleute auf der Brücke. Aber trotzdem kam es immer wieder zu Kollisionen, besonders auf den engen Flüssen.

Der „Alte“ war an der Küste, wenn es neblig war, ständig auf der Brücke, d. h. rund um die Uhr. Ich fand das richtig stark, dass in so einer Situation ein Kapitän die volle Verantwortung übernahm.

Natürlich hatte man auch Radar, aber reichte das? Ständig hörte ich die Nebelhörner der entgegenkommenden Schiffe oder auch der „BRANDENBURG“.


BRANDENBURG“ auf See

Frieda“, mein Vorgänger, musste auf der Back, also ganz vorne Ausguck gehen, erzählte er mir, als er einmal total durchgefroren von der Wache kam. Da stand man völlig ungeschützt, ob es regnete oder schneite und fror sich den Hintern ab. Warm anziehen nützte nicht sehr viel, denn die feuchte Kälte kroch ganz langsam von den Socken bis zum Kopf. Rauchen war verboten. Nur stur nach vorne gucken und jeden Gegenstand oder jedes Geräusch sofort zur Brücke melden. Die haben natürlich das Objekt längst gesehen, was der Ausguck meldet, aber dieser Posten war nun mal Vorschrift.

Also tat mit eisernem Gesicht, stets der Seemann seine Pflicht!

Auch der Rudergänger stand unter Stress, absolute Konzentration war da gefordert. Einmal vom Kurs abkommen und die Katastrophe war da. Ich würde das ja auch noch alles kennen lernen, aber erst mal war ich der „Arsch“, der achtern alles zur Zufriedenheit der Herren Seeleute herzurichten hatte.

Im letzten Hafen Antwerpen, vor der Überfahrt zur Karibik, machten die Seeleute das Schiff richtig seeklar, das heißt, die Luken wurden mit drei Persenningen (Planen) absolut wasserdicht gemacht, alles was lose an Deck herumlag oder auch Ladungsteile, wie Fässer und große Röhren, wurde festgezurrt.

Die Ladebäume mit der gesamten Takelage (Drähte, Seile, Blöcke usw.) wurden gesichert.

Ich hatte in meinem Bereich auch für sogenannte Seeklarheit zu sorgen, d. h. alles, was irgendwie herunterfallen könnte, musste gesichert werden. Wenn es hieß, draußen ist schwere See, mussten auf den Tischen sogenannte Schlingerleisten angebracht werden. Das sind quergelegte Leisten auf den Tischen, die ein Wegrutschen oder herunterfallen des Geschirrs verhindern sollen. Wenn es ganz dicke kommen sollte, so musste ich noch zusätzlich nasse Geschirrtücher auf die Tische legen, dann rutschen die Teller nicht so sehr. Noch hatte ich keine Vorstellung, warum so ein Theater gemacht wurde, aber der Bootsmann gab mir die Order, und es war immer besser, allen Anordnungen Folge zu leisten und nicht zu fragen: Warum?

Das Schiff rollte ein wenig, als wir in der Nordsee waren, kurz vor dem englischen Kanal, aber da war die See noch nicht so grob. Das sollte sich aber schnell ändern.

Im Englischen Kanal, genauer in der Straße von Dover, stand ich abends an Deck und genoss den Anblick. Überall leuchteten die Positionslichter der Schiffe. Es waren Frachtschiffe, die von oder zur Nordsee fuhren. Fähren, die quer von England nach Frankreich, Holland oder Belgien kamen. Dazwischen sah man Fischereifahrzeuge und auch manchmal kleine Segelboote. Dazu kamen noch die hell blinkenden Leuchtfeuer von der französischen und britischen Küste und den Feuerschiffen.

Leuchttonnen, die das Fahrwasser, Untiefen oder ein Wrack markierten, blinkten überall.

Es herrschte ein enormes Gewirr auf dem Wasser, und ich wunderte mich, dass das alles so klar ging. Aber es war schön, an Deck auf einem Poller zu sitzen und die frische Seeluft einzuatmen. „Icke“ war auf See! Und „Icke“ war trotz allem glücklich!

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