Erinnerungen an die "68er": Damals in Dahlem

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Sozial-liberal

So sehr hatten die studentischen Proteste das politische Klima verändert, dass der „CDU-Staat“15 1969 sein Ende fand und die sozial-liberale Koalition unter Willy Brandt und Walter Scheel neue Wege ging. Das Bündnis wähnte sich getragen von einer neuen Interessenlage: der „neuen Mittelschicht“. Die aufgrund ihrer beruflichen Qualifikation unabhängig Beschäftigten seien die Avantgarde der Gesellschaft, am Wohle des Ganzen orientiert und deswegen die Träger der „Friedens“-politik und der Reformen im Innern.

Das schien sich vor allem in der Ostpolitik zu zeigen. Die Konfrontation zu den Staaten Osteuropas, ja sogar zum deutschen Gegenmodell, der DDR („Deutsche Demokratische Republik“), wurde aufgegeben und ein „Wandel durch Annäherung“ angestrebt. Zu dieser Entwicklung beigetragen hatte der Bau der Mauer 1961, als alle Welt sehen konnte, dass die deutsche und europäische Spaltung durch Konfrontation weiter vertieft wurde. Um diesem Zustand zu begegnen, kam es zu Verträgen, die in Bonn mit Moskau, Warschau und sogar Ost-Berlin abgeschlossen wurden; so kam es zu Vereinbarungen über Berlin. Im Innern Westdeutschlands setzte die sozial-liberale Koalition eine Bildungsreform durch, welche die Chancengleichheit erhöhen sollte, neue Bildungswege und -einrichtungen schuf sowie großen Schichten der Bevölkerung höherrangige Ausbildungen ermöglichte. Das Ideal der „antiautoritären Erziehung“ kam auf.

Der Bundespräsident Heinrich Lübke hatte einst von den Vorzügen der Zwergschulen geschwärmt; nun entdeckten Bildungsforscher und -politiker einen „Bildungsnotstand“. Die Öffentlichkeit nahm die neuen Erkenntnisse an, und die Politik reagierte entsprechend. Es wurden Schulen und Universitäten neu geschaffen, Gesamtschulen und Gesamthochschulen gegründet. Die Lehrer in den Schulen traten antiautoritär auf; die Ordinarien- wurde durch die Gruppenuniversität ersetzt. Qualitätsstandards wurden Mengenerfolgen geopfert. Tatsächlich stieg der durchschnittliche Ausbildungsstand. Nur litt darunter die Leistung; Spitzenleistungen gerieten ins Hintertreffen. Wirtschaftsführer; liberale und konservative Parteiführer bemängelten dies, setzten sich für Elitenförderung ein. Dafür wurde öffentliches wie privates Kapital mobilisiert. Nun galt das Hochschulsystem der USA als vorbildlich, und selbst eine rot-grüne Bundesregierung zeigte sich von „Pisa“-Studien über das mangelhafte deutsche Bildungssystem beeindruckt. Sie stellte Mittel zur Verfügung für Ganztagserziehung einer- und elitäre Hochschulstudiengänge anderseits.

Das „Mehr Demokratie wagen“ der Sozial-Liberalen stieß in der Innenpolitik an Grenzen, denen sich die politischen Akteure durch die Bekämpfung des aus der Studentenbewegung erwachsenen Radikalismus und des Terrorismus gegenübersahen. Die neue Ostpolitik war implantiert, aber die Wirtschaftslage verschlechterte sich. Brandt und Scheel wurden abgelöst durch Schmidt und Genscher. Ökonomisches und administratives Krisenmanagement kamen auf. Parteipolitik gewann die Oberhand. Die SPD wollte die „Belastbarkeit der Wirtschaft“ testen und die von den Amerikanern gewünschte „Nachrüstung“ des Westens verhindern: alles gegen den erklärten Willen des eigenen Kanzlers Helmut Schmidt. Da fürchtete die FDP, von der kriselnden SPD in einen Abwärtsstrudel gerissen zu werden und seilte sich aus der Bundesregierung ab.

Geistig-moralische Wende

Der neue Bundeskanzler, Helmut Kohl16 (CDU), sprach von einer „geistig-moralischen Wende“, die seine Regierung herbeiführen wollte. Sie sollte anknüpfen an die aus seiner Sicht „gute, alte Adenauer-Zeit“ und ihre Spielregeln. Doch daraus konnte nichts werden. Obwohl sich die sozial-liberale „neue Mittelschicht“ als Hirngespinst erwiesen hatte, denn die höheren Angestellten und Beamten liefen 1982/83 in Scharen zur CDU/CSU über, war doch in der Bevölkerung ein Bewusstseinsstand erreicht, dass eigene Rechte auch gegen den Staat durchgeboxt werden müssten, und die allgemeine Ost-West-Entspannung hatte trotz eines erneuten Wettrüstens zwischenstaatliche Beziehungen geschaffen, für die die alten politischen Handlungsmuster nicht mehr passten.

Die „Grünen“ drangen weiter ins Parteiensystem und wandelten sich von einer „Anti-Parteien-Partei“ binnen 20 Jahren zur Regierungs- und Kriegspartei.17 In der allgemeinen politischen Kultur machte sich in der Ära Kohl Besitzstandsdenken und Egoismus breit. Das Gemeinwohl galt immer weniger, das Ego immer mehr. Nicht einmal eine Volkszählung wagte der Staat anzusetzen, weil er sich nicht einer Klageflut aussetzen wollte von Staatsbürgern, die ihre individuellen Freiheitsrechte verletzt sahen. Eine Rechthabergesellschaft war entstanden, und die Regierung Kohl schritt aus Furcht vor Wählerverlusten nicht dagegen ein. So reduzierte sich die politische Kultur auf Besitzstandswahrung, und die öffentliche Debatte wurde durch eine „politische Korrektheit“ geregelt, die folgendes propagierte:

 Der Nationalsozialismus ist schlecht, und rechte politische Strömungen sind es ebenfalls.

 Im Lande lebende Ausländer bereichern die multikulturelle Gesellschaft und sollen integriert werden.

 Die Gewerkschaften haben das Recht, von den Arbeitgebern höchstmögliche Löhne zu erzwingen und obendrein „Errungenschaften“ wie die 35-Stundenwoche und den Kündigungsschutz.

 Strukturelle Arbeitslosigkeit darf es nicht geben; das soziale Netz fängt vorübergehend beschäftigungslos Gewordene auf und führt sie zurück in den ersten Arbeitsmarkt.

 „Die Rente ist sicher.“

 Jeder Bürger hat das Recht, sich gegen den Staat und jede Institution mithilfe von Gerichten zu wehren, wenn er sich in seinen Interessen getroffen fühlt.

 Soziale Defizite oder Benachteiligungen unterschiedlicher Gruppen sind administrativ durch Quoten auszugleichen.

 Es ist das gute Recht eines jeden, den offiziellen politischen Organen zu misstrauen und ihnen durch Runde Tische, Beiräte, Kommissionen, Plebiszite oder Bürgerinitiativen in die Arme zu fallen.

All dies ließ die Regierung Kohl laufen aus Angst vor Amtsverlust, obwohl man wusste, dass in den skandinavischen Staaten, in den USA und in Großbritannien zur gleichen Zeit tiefgreifende Veränderungen durchgeführt wurden. Kohl glaubte es seinen Wählern nicht zumuten zu können, das deutsche Wirtschafts- und Sozialsystem zu modernisieren. Aus dem gleichen Grunde wurde die FDP ein Teil der „Machtmaschine Kohl“ und spielte nur noch die Rolle einer „Partei der zweiten Wahl“.18 Die konservativ-liberale Regierung konnte die aus internationalem Druck entstandene steigende Arbeitslosigkeit nicht abfangen, nicht das Gesundheits-, das Renten- oder das Steuersystem reformieren. Sie war den Ansprüchen ihrer Moderatoren- und Krisenmanagerrolle nicht mehr gewachsen und wäre 1990 wohl abgewählt worden, wäre nicht die deutsche Einheit gekommen.

Deutsche Einheit

Als der Ostblock zusammenbrach, ergriffen Helmut Kohl und Hans-Dietrich Genscher nach Zögern den „Mantel der Geschichte“ und setzten auf die deutsche Einheit. Der Wunsch nach der Einheit des Nationalstaates gehörte zu den Wertvorstellungen älterer Politiker wie auch Willy Brandt oder Richard von Weizsäcker. In der westdeutschen Bevölkerung war die nationale Einheit besonders bei den Jüngeren kein relevanter Wert, und entsprechend agierten der Kanzlerkandidat der SPD von 1990, Oskar Lafontaine, und die „Grünen“. Aber Kohl und Genscher setzten auf die deutsche Einheit. Sie erhielten die Unterstützung einer Mehrheit der Ostdeutschen sowie ihrer Generationsgenossen in Westdeutschland.

Bei der Einheit stießen zwei politische Kulturen in Deutschland aufeinander. Wie hätte es anders sein sollen, nachdem die politische Sozialisation in Ost und West unterschiedlich verlaufen war? Wurden im Westen Individualismus bis hin zum Egoismus, Leistung und Durchsetzungsfähigkeit als grundlegende Werte vermittelt, so waren es im Osten die Werte Gemeinschaft, Solidarität und soziale Sicherheit. War vom Westen aus trotz aller Antiamerikanismen New York der Mittelpunkt der Welt, so war es vom Osten her Moskau. Der Osten sollte sich an den Westen anpassen. Das führte zu unterschiedlichen Verarbeitungsprozessen. Die Systemkritiker im Untergang des Staatskommunismus verabsolutierten ihre in der Wende gemachten Erfahrungen und waren danach für westliche Verhältnisse ungewohnt rigoros und unerbittlich in der Verurteilung des alten Systems. Die Verlierer und die sich missverstanden Fühlenden aus dem alten System wollten ihre eigene Identität „einbringen“ und machten die PDS stark. Die meist bei den „Grünen“ gelandeten Rigoristen aus dem Osten wie die von „Bündnis 90“ und eben die PDS waren neue Elemente im Parteiensystem.

Entgegen der Erwartungen von 1990 passte sich der Osten nicht an den Wohlstand des Westens an, sondern der Westen büßte ebenfalls Arbeitsplätze ein. Die ökonomische Schere zwischen Ost und West schloss sich nicht, sondern öffnete sich weiter. Das ist die Hauptursache dafür, dass sich ein ostdeutsches Milieu hielt, gehegt von der PDS – später den „Linken“ –, die bei Landtagswahlen davon profitierte. 2005, nachdem die rot-grüne Bundesregierung – möglicherweise handwerklich unzulänglich – eine Reform des Sozialstaates gewagt hatte, schwappte die Verunsicherung darüber in den Westen.

Rot-Grün

Wenn auch die rot-grüne Koalition 2005 jäh endete, so hatte sich doch in deren Zeit einiges an der politischen Kultur in Deutschland geändert:

 

 Die Einbürgerung länger in Deutschland lebender Ausländer wurde erleichtert; die Zuwanderung weiterer allerdings erschwert. Was die offizielle Politik bislang ignoriert hatte, galt nun als Tatsache: Deutschland wurde ein Einbürgerungsland.

 Das Monopol der Ehe zwischen Mann und Frau als Basis der Gesellschaft wurde gebrochen; gleichgeschlechtliche „Ehen“ wurden möglich.

 Der absolute Wert der Familie wurde aufgehoben, temporäre Beziehungen und „Singlehaushalte“ wurden der Ehe gleichgesetzt.

 Die absolute Fortschrittsgläubigkeit im Hinblick auf neue Technologien wurde konterkariert durch den eingeleiteten Ausstieg aus der Atomenergie und durch die von den „Grünen“ eröffnete Debatte über die Grenzen der Gen- und Zellentechnologie.

 Das Gebot der trotz aller Antiamerikanismen in der Bevölkerung bis dahin gepflegten diplomatischen Rücksichtnahme auf die Interessen der Führungsmacht USA wurde im Bunde mit Frankreich und Russland bei den Entscheidungen über den Irakkrieg gebrochen. Die deutsche Abnabelung von den USA-Interessen hielt an – verstärkt durch die antideutsche Einstellung des früheren US-Präsidenten Trump.

 Der Anspruch, die Menschenrechte als einen Maßstab der deutschen Außenpolitik zu nehmen, wurde wie im Falle Tschetschenien gegenüber Russland aber auch Guantanamo gegenüber den USA und generell gegenüber China fallen gelassen: Wirtschaftsinteressen wurden über moralische Ansprüche gestellt.

 Die Einordnung deutscher Politik hinter die Ziele der Europäischen Union wurde – zumindest zeitweise – aufgegeben wie die mehrfachen Nichtachtungen vereinbarter Defizitkriterien beim Haushalt gezeigt hatten.

 Deutschland definierte sich als „größere Mittelmacht“, die eigene Interessen auch ohne Rücksicht auf traditionelle Verbündete durchsetzte.

 Der Begriff „Reform“ wurde umgedeutet: Rot-Grün wagte unter der Überschrift „Hartz I – IV“ ein Abspecken des Sozialstaates wie ihn Schwarz-Gelb nicht geschafft hatte mit der Folge, dass die SPD ein Defizit bei ihrem Leitthema „soziale Gerechtigkeit“ hatte.

 Angela Merkel hingegen, die spätere langjährige Bundeskanzlerin von der CDU, lebte von den Früchten dieser „Reform“.

Gegen den Druck nach politischer Korrektheit gab es gelegentliches Aufbegehren. Insbesondere die von „Grünen“, aber auch von der SPD favorisierte „Multikulturelle Gesellschaft“ forderte vor allem Konservative heraus. Sie sprachen von der Notwendigkeit einer „deutschen Leitkultur“, was wiederum Protest rot-grüner Aktivisten hervorrief.

Dann kamen als Folge des 11. September 2001 – dem Tag der Flugzeugentführungen ins New Yorker World Trade Center – Verdächtigungen gegen undurchschaubare muslimische Gruppen auf. Diese wären oft Brutstellen des Terrors. Das Attentat auf einen Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz bestätigte für viele diesen Verdacht.

Schließlich kam der Begriff von „Parallelgesellschaften“ auf. Hiermit waren zunächst türkische Kreise gemeint, die jenseits der deutschen Kultur und Sprache existierten, sich durch Frauenzuzüge aus Anatolien rekrutierten und in denen es sogar zu „Ehrenmorden“ an Frauen gekommen wären, die sich in Deutschland integriert hatten und sich den Wertvorstelllungen der Herkunftsfamilie entzögen.

Später wurden „arabische Clans“ aufgedeckt, denen organisierte Kriminalität vorgeworfen wurde.

Die Ära Merkel

Nach dem Ende von „Rot-Grün“ folgte eine lange Periode der Vorherrschaft von CDU und CSU in Deutschland unter der Bundeskanzlerin Angela Merkel. Die erste Frau an der Spitze einer Bundesregierung kam aus dem Osten und dort aus dem evangelischen Milieu. Diese Frau entzog sich bald dem altbekannten Bild einer CDU-Politikerin. Hinter ihr lag weder eine „Ochsentour“ in der Jugendorganisation JU19 noch eine in der Partei selbst.

Ganz Deutschland rätselte anfangs, wie es Angela Merkel möglich war, an der Macht zu bleiben. Sie hatte die CDU, diese Schlangengrube, umgestülpt – personell und inhaltlich. Kohl, Merz, Stoiber, Koch, Oettinger, Beust, Guttenberg und viele andere waren bald nicht mehr im Zentrum der Macht. In der großen Koalition hatte sich die Partei geräuschlos sozialdemokratisiert und war bald die stärkste Atomausstiegskraft der Republik. Die SPD kam an die Union nicht mehr heran, und die im Herbst 2009 noch übermütige FDP war zum trostlosen Haufen geworden.

Oft wurde das politische Ende Angela Merkels prophezeit, und stets lebte sie fort. Ihr Vorgänger Gerhard Schröder fing damit an, indem er weissagte, sie werde es nicht schaffen. Die Herren vom „JU – Andenpakt“ warteten auf den richtigen Moment, um „Mutti“ – wie sie ihre Vorsitzende tauften – aus dem Amt zu putschen. Selbst der loyale Sozialdemokrat Peter Struck bekannte einst: „Die kann mich mal.“

Heute sind sie alle in Pension oder weggelobt: der Altkanzler Schröder, die einst so stolzen CDU-Ministerpräsidenten und auch der einstige SPD-Fraktionsvorsitzende. Dessen Nachfolgerin Andrea Nahles hat ebenfalls resigniert, Friedrich Merz verlor mehrere Abstimmungen beim CDU-Bundesparteitag, und Peter Struck und Guido Westerwelle sind nicht mehr auf dieser Welt. Angela Merkel hingegen ist weiterhin Bundeskanzlerin.

Was hält diese Frau?

Gerd Langguth schilderte eine Episode aus der Schulzeit der Angela Dorothea Kasner, der späteren Bundeskanzlerin Angela Merkel: „In ihrer Schulzeit brauchte sie eine geschlagene Dreiviertelstunde, um, als die Klingel bereits das Ende der Stunde ankündigte, einen Sprung vom Dreimeterbrett in das Wasserbecken zu wagen.“20

Sie zögert und zaudert, aber sie tut es am Ende doch. Horst Seehofer, der Freund/Feind aus dem eigenen Lager, beschwört: „Wer sie unterschätzt, hat schon verloren.“

Im Binnenclinch scheint sie stark zu sein. Franz Müntefering, ihr erster Vizekanzler und Sozialdemokrat soll gesagt haben, bei ihr als Pilotin lande man immer, man wisse nur nicht, wo.

Am wichtigsten ist es ihr offensichtlich, oben zu bleiben.

Charismatisch tritt sie nicht auf, eher gibt sie sich pragmatisch und formuliert meist ungenau. So kann sie jederzeit die Position wechseln, ohne von gestern Gesagtem allzu sehr aufgehalten zu werden.

Sie entscheidet und erweckt den Eindruck, sie durchschaue die jeweiligen Materien jederzeit. Ihre Minister lässt sie dabei oft wie Assistenten aussehen, lässt sie ansonsten gewähren. Sigmar Gabriel konnte als SPD-Vorsitzender über sie herziehen, Guido Westerwelle lavierte im UN-Sicherheitsrat.

Irgendwann verhedderten sie sich alle, und dann war sie – die Kanzlerin – es, die die Sache regelte. Sie hat eben einen langen Atem.

Dass der einst zapplige Sarkozy ihr in der EU den Rang abzunehmen schien, störte sie offenbar nicht. Sie machte derweil Geschäfte mit der Weltmacht China und holte sich im Weißen Haus in Washington einen hohen Orden ab. Als Sarkozys Nachfolger Emmanuel Macron dann als glühender Europäer antrat, strebte er zweifellos die Führung in Europa an, lehnte sich aber zugleich bei Merkel an. Dass Deutschland das größte EU-Mitglied ist, weiß mittlerweile jeder, und dass Frau Merkel und nicht ihr Außenminister die Außenpolitik bestimmt, ist klar. Als der einstige US-Präsident Donald Trump sie öffentlich verachtete, prallte das an ihr ab.

Diese Angela Merkel hat die politische Kultur Deutschlands Schritt für Schritt verändert:

 Die „alten Herren“, die früher mächtig waren, sind abserviert.

 Das Klima und der Klimawandel wurden wichtiger Teil ihrer Politik.

 2005 schon machte Angela Merkel Deutschland zum Einwanderungsland.

 Die Industrienation Deutschland akzeptiert und erstrebt vor allem erneuerbare Energien.

 Zur Bewältigung der Corona-Pandemien greift die Regierung in liebgewordene Rechte der Bürger ein, und der Opposition im Bundestag bleibt müder Protest.

 Nach dem Austritt Groß Britanniens erfuhr die Europäische Union eine Grunderneuerung, angetrieben durch die Ratspräsidentin Angela Merkel und ihre europäische Gehilfin Ursula von der Leyen.

Gegen Ende der Ära Merkel fragt sich: Was steckt da von 68 drin?

Damals in Dahlem schwärmten viele von einer neuen Kultur in Deutschland. Ahnte jemand, wohin das führen könnte und wie die Bundesrepublik 50 Jahre später aussehen würde?

Wäre Angela Merkel nicht auch ohne die 68er möglich gewesen?

1 Gabriel Almod / Sidney Verba, The Ciciv Culture. Political Attitudes and Democracy in Five Nations, Princeton 1963

2 Dass die Demokratie sich in Deutschland nach 1945 stabil entwickelte, hatte also damit zu tun, dass man an eine im Lande vorhanden gewesene Kultur, auch wenn sie brutal zerstört worden war, anknüpfen konnte: -personell und institutionell. Bei ihrem Einmarsch im Irak verwiesen die Amerikaner später gerne auf das „erfolgreiche“ Modell Deutschland und unterschätzten dabei, dass es im Irak derartige Vorgängerkulturen gar nicht gegeben hatte.

3 Helmut Schelsky, Die skeptische Generation. Eine Soziologie der deutschen Jugend, Düsseldorf-Köln 1963

4 Jürgen Leinemann, Höhenrausch. Die wirklichkeitsleere Welt der Politiker, München 2004, S. 128

5 Jürgen Dittberner, Sind die Parteien noch zu retten? Die deutschen Parteien: Entwicklungen, Defizite und Reformmodelle, Berlin 2004, S. 33

6 APO = „Außerparlamentarischen Opposition“

7 Ronald Inglehart, Modernization and postmodernizazion: cultural, economic, and political change in 43 societies, Princeton 1997

8 Jürgen Dittberner, Berlin Brandenburg und die Vereinigung. Und drinnen tobt das pralle Leben. Eine Innenansicht, Berlin 1994, S. 36 f/ S. auch Beiträge „Benno Ohnesorg“ und „Kurras“ in diesem Band.

9 Jürgen Dittberner, Sind die Parteien noch zu retten?, a.a.O., S. 59 ff

10 Joachim Raschke, Die Grünen. Wie sie wurden, was sie sind, Köln 1963

11 RAF = „Rote-Armee-Fraktion“

12 BDI = Bundesverband der Deutschen Industrie

13 Hans-Peter Schwarz, Adenauer. Der Staatsmann: 1952 – 1967, Stuttgart 1991

14 Peter Merseburger, Der schwierige Deutsche. Kurt Schumacher. Eine Biographie, Stuttgart 1995

15 Wolf-Dieter Narr (Hg.), Auf dem Weg zum Einparteienstaat, Opladen 1977

16 Hans-Peter Schwarz, Helmut Kohl. Eine politische Biographie, München 2012

17 Edgar Wolfrum, Rot-Grün an der Macht. Deutschland 1998 – 2005, München 2013

18 Jürgen Dittberner, FDP- Partei der zweiten Wahl, Ein Beitrag zur Geschichte der liberalen Partei und ihrer Funktionen im Parteiensystem der Bundesrepublik, Opladen 1987

19 JU = „Junge Union Deutschlands“ / Jugendvereinigung von CDU und CSU auf Bundesebene

20 Gerd Langguth, Angela Merkel, München 2005. S. 58

Sie haben die kostenlose Leseprobe beendet. Möchten Sie mehr lesen?