Zeit der Könige

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Kapitel 11

Griechenland

Sommer 1195

Wochen waren vergangen, seit Nicolas in Aslan Limani gelandet war. Die erste Nacht hatte er sich in der Hafengegend herumgetrieben. Aber wie in allen Häfen auf der Welt, schien auch hier sich alles gemeine Gesindel der Gegend aufzuhalten. So bangte Nicolas um seine Habe und um Leib und Leben. Im tiefsten Schatten in eine kleine Mauernische gedrückt, harrte er stundenlang aus und sehnte sich die Morgendämmerung herbei. Als es hell wurde, ging er in die obere Stadt. Geschäftiges Treiben auf den Straßen und Plätzen empfing Nicolas und die vielen neuen Eindrücke ließen ihn für einen Moment sein Elend vergessen. An einem Stand mit heißen Pasteten blieb er stehen. Sein Magen knurrte und ihm wurde bewusst, wie lange er nichts gegessen hatte. Verstohlen kramte er in dem Beutel in seinem Wams und fischte eine kleine silberne Münze hervor. In der Hoffnung, dass der Pastetenbäcker diese nehmen würde, reichte er sie ihm und zeigt auf ein heißes Küchlein. Der Bäcker schaute einen Moment verdutzt auf die Münze, dann nahm er das große Blatt eines Nicolas völlig unbekannten Baumes, um zwei heiße Pasteten darauf zu legen. Mit mehreren tiefen Verneigungen reichte er ihm das Gebäck. Nicolas nahm es verwundert, aber mit Dank, entgegen und schlenderte mit seinem Leckerbissen zu einem nahegelegenen Brunnen. Hier ließ er sich im Schatten nieder und verspeiste genüsslich die Pasteten. Sie waren mit Fleisch gefüllt und schmeckten würzig. So etwas hatte er noch nie gegessen.

Durch die Schärfe der Speise durstig geworden, beugte er sich über den Brunnen, um mit der Hand Wasser zu schöpfen und zu trinken. „Halt ein!“ rief eine Stimme in der Sprache der Franken. Erschrocken fuhr Nicolas herum. Ein älterer Mann mit einer flachen Kappe auf dem Kopf starrte ihn entsetzt an. „Das Wasser des Brunnens ist nicht zum Trinken gedacht. Er soll die Menschen nur mit seinem Wasserspiel erfreuen. Hast du kein Geld, um dir in einer Schenke Wein zu kaufen?“ Nicolas schüttelte langsam den Kopf. „Ich bin erst mit dem Schiff hier angekommen. Von Sizilien. Sagt mir, guter Mann, wo ich eine solche Schenke finde.“ Nicolas packte sein Bündel noch etwas fester. Doch der Alte schien ihm wohlgesonnen. Ein weißer Bart bedeckte seine Wangen und sein Kinn, seine dunklen Augen blickten lebhaft und warmherzig. „Du kennst hier niemanden, stimmt`s?“ sagte er. Es war eher eine Feststellung als eine Frage. Nochmals schüttelte Nicolas zaghaft den Kopf.

„Könnt Ihr mir sagen, ob ich hier ein Schiff finde, dass mich nach Jerusalem bringt?“, fragte er in seinem schlechten Französisch. Aber der Alte schien ihn trotzdem zu verstehen. „Es kommen und gehen hier viele Schiffe, aber du musst Geduld haben. Große Schiffe, die Pilger mit sich nehmen, gibt es eher selten.“ Der Funken Hoffnung, der in Nicolas erwacht war, wurde im Keim erstickt. Enttäuschung machte sich auf seinem Gesicht breit. Der Alte schien Mitleid zu haben. Auch erkannte er, dass Nicolas wohl kein diebischer Geselle war, sondern nur ein Junge, dem das Schicksal offenbar übel mitgespielt hatte.

„Wenn du willst, komme mit mir in mein Haus. Dort kannst du mir berichten, was dir widerfahren ist und was dich hierher verschlagen hat. Auch einen Schluck reinen Wassers kann ich dir dort geben.“ Damit drehte er sich um und ging davon, es Nicolas selbst überlassend, zu entscheiden, ob er ihm folgte oder nicht.

In Sekundenschnelle spielten sich die Gedanken in Nicolas` Kopf ab, war er entzwei gerissen von seinem Bedürfnis, endlich Hilfe zu bekommen und der Angst, sich in Gefahr zu begeben. Letztlich siegte seine Verzweiflung, nicht zu wissen, was er tun sollte, ganz allein hier in einem vollkommen fremden Land. Und so folgte er dem alten Mann, hatte ihn nach wenigen Schritten eingeholt und ging schweigend neben ihm her.

Costorkos war ein Kaufmann, der mit vielen Ländern der bekannten Welt Handel trieb. Schon als junger Mann war er mit einer Karawane am Hofe des Kaisers gewesen, den alle Welt ob seines roten Haares wegen Barbarossa nannte. Hier hatte er auch die Sprache der Franken gelernt, die ihm auf seinen vielen Handelsreisen immer dienlich gewesen war. Jetzt im Alter hatte er sich zur Ruhe begeben und sein Geschäft seinem Sohn überlassen. Seine Frau war schon vor Jahren gestorben. Um der Einsamkeit zu entgehen, begab er sich oft stundenlang zum Hafen, dem bunten Treiben hier zuzusehen. Und so hatte das Schicksal es gewollt, dass Nicolas und er sich begegneten.

Costorkos nahm den jungen Mann voller Mitleid bei sich auf. Nicolas erzählte ihm davon, wo er aufgewachsen und was seiner Familie zugestoßen war. Und dass er sich auf dem Weg ins Heilige Land befand, seinen ehemaligen Dienstherrn zu finden. Der Grieche hatte Gefallen an dem Jungen gefunden und gewährte ihn über Wochen hin Gastfreundschaft, ohne etwas dafür haben zu wollen. Nicolas vertrieb ihm die Einsamkeit mit seinen Geschichten vom Lande der Franken. Hier wurde alles so genannt, was jenseits des Mittelmeeres und der Alpen war. Er erzählte von Kaiser Barbarossa und seinem Großvater, der unter diesem gedient hatte. Und er erzählte vom Markgrafen Albrecht. Costorkos versicherte ihm, dass es auf der Welt überall gleich zuginge und dass es allerorten Schurken aber auch viel Gutes gäbe. Und so ging die Zeit dahin, in der Nicolas die unbeschwertesten Tage seines ganzen bisherigen Lebens genoss. Doch letztlich kam die Stunde, in der es hieß, Abschied zu nehmen.

Am Abend zuvor hatte ein großes Handelsschiff im Hafen angelegt, das auf direktem Wege nach Akkon war. Wie es das Glück wollte, kannte sein Gönner den Eigner der Galeere und handelte für Nicolas eine Passage nach Palästina aus. So schwer Nicolas auch der Abschied von dem alten gütigen Mann fiel, den er sehr ins Herz geschlossen hatte, so glücklich war er doch darüber, endlich ans Ziel zu gelangen.

„Ich danke Euch sehr für alles, was Ihr mir hier habt angedeihen lassen“, sagte Nicolas zu Costorkos. „Noch nie in meinem Leben hat mir jemand soviel Liebe gegeben, wie Ihr. Das werde ich niemals vergessen.“

„Geh mit Gott, der auch der meine ist, mein Junge Und diene deinem Herrn im Heiligen Land zum Guten, auf dass wir das Grab unseres Herrn Jesus Christus auf immer beschützen können. Möge Jerusalem eines Tages wieder in die Hände der Christenheit fallen. Mutige junge Männer wie du, geben mir Hoffnung.“

Der Grieche schloss Nicolas kurz in die Arme, dann schob er ihn in Richtung Schiffssteg. Von Bord aus winkte Nicolas dem Alten, in dessen Augen er es verdächtig glitzern zu sehen glaubte. Dann hieß es „Leinen los!“ und das Schiff setzte sich langsam unter Ächzen in Bewegung. Bald war es aus dem Hafen heraus und nahm langsam an Fahrt auf. Ein leichter stetiger Wind trieb es immer weiter aufs Meer hinaus, bis der Hafen von Aslan Limani nur noch ganz wage zu sehen war und Nicolas einer ungewissen Zukunft entgegenfuhr.

Er betete in seiner Angst vor erneuter Seekrankheit leise zu Gott, in der Hoffnung, dass der ihn vielleicht doch erhören und die Überfahrt über das offene Meer diesmal für ihn besser ablaufen würde, ohne das ein Sturm ihm erneut das Leben zur Hölle machte.

Und der liebe Gott schien es gut mit ihm zu meinen; nach vier langen Wochen kam Akkon in Sicht.

Kapitel 12

Akkon

Sommer 1195

Nach dem Verlust der Stadt Jerusalem an Saladin im Jahre 1187 war Akkon zur Hauptstadt des Königreichs Jerusalem geworden. Hier befand sich auch der Sitz des Hochmeisters des Deutschen Ordens.

Dietrich hielt sich bereits seit Mai in Akkon auf. Obwohl er vor dem Reichstag in Bari den Kaiser verlassen hatte, wollte er dessen Bemühungen, den Orden als militärische Organisation für seine Kreuzzugszwecke einzuspannen, unterstützen. Vielleicht gelang es ihm ja, den Kaiser doch noch umzustimmen, dass er ihm die Markgrafenkrone gab und sein Bruder Albrecht den Kürzeren zog. Er musste nur alles zur Zufriedenheit des Kaisers vorantreiben. Er würde es Heinrich schon beweisen, dass er der bessere Kandidat für die Markgrafenwürde war.

Es war ein heißer Junitag. Dietrich saß an seinem Schreibtisch und sah einige Papiere durch. Als es klopfte, fuhr er erschrocken zusammen. Sehr selten kam es vor, dass er während seiner Arbeit gestört wurde.

„Was gibt`s?“, fragte er deshalb auch ungehalten.

„Herr, der Bruder Pförtner schickt mich. Es ist ein Besucher für Euch unten“, kam es unsicher von der anderen Seite der Tür.

„Soll warten“, antwortete Dietrich, schon wieder in die Lektüre seiner Korrespondenz vertieft.

„Wie Ihr befehlt, Herr“, sagte der Diener und wunderte sich darüber, dass sein Herr nicht einmal den Namen seines Besuchers wissen wollte. Doch der Graf hörte ihn bereits nicht mehr.

Die Sonne stand inzwischen hoch am Himmel und die Hitze fand sogar Eingang in die sonst so kühlen Räume des Ordenshauses. Auf dem Tisch stapelten sich etliche Briefe. Dietrich wischte sich den Schweiß von der Stirn, nahm die hübsche kleine Glocke, die vor ihm aus dem Tisch stand, zur Hand und läutete. Welch nette Erfindung, dachte er bei sich. Fast augenblicklich erschien der Laienbruder, der dem Grafen bei seiner Arbeit behilflich war.

„Bruder Johannes, bringt mir etwas Wein. Die Hitze heute ist unerträglich.“ Dietrich zögerte. Da war doch noch irgendetwas gewesen. Er dachte angestrengt nach.

„Sag, was wollte der Diener vorhin von mir? Hat er nicht etwas von einem Besucher gefaselt?“

„In der Tat, Euer Gnaden“, antwortete der Mann. „Unten im Empfangsraum wartet seit geraumer Zeit ein junger Mann und wünscht Euch zu sprechen. Da er seine Identität nicht nachweisen konnte, haben wir ihn in die Kammer rechts neben der Tür gebracht.“ Johannes grinste.

 

„Schick ihn herauf, mit der nötigen Bewachung, wenn es sein muss. Nimm am besten Modorok mit“, antwortete Dietrich. „Aber bring mir vorher den Wein!“, rief er Johannes hinterher.

Nachdem Nicolas das Schiff verlassen hatte, begab er sich schnurstracks zur Ordensburg, in der Hoffnung hier Dietrich anzutreffen. Es war nicht sonderlich schwer gewesen, den richtigen Weg zu finden, wie eine einzige mächtige Festung beherrschten Mauern die gesamte Stadt und umschlossen diese vom Hafen aus mit einer teilweisen Dicke von 150 Metern. Templer, Johanniter, Malteser und nun auch die Deutschherren hatten der Stadt ihren Stempel aufgedrückt und sie zu einem mächtigen Bollwerk gegen die Heiden ausgebaut. Dort oben sah er in bestimmten Abständen bewaffnete Wächter patrouillieren. Doch dieser Umstand erschreckte ihn nicht, sondern gab ihm eher das Gefühl, sprichwörtlich in einem sicheren Hafen angekommen zu sein.

Eine lange Gasse, gesäumt von steinernen Häusern, die gleichsam Teil der Festung waren, führte in das Innere der Stadt. Gewölbe bildeten den unteren Teil der meisten Gebäude. In ihnen hatten Händler ihre Stände errichtet und boten hier ihre Waren feil. Neben den Auslagen mit frischen Früchten und Gewürzen, mit Teppichen und bunten Stoffen gab es auch solche, an denen Ampullen mit Weihwasser und kleine Tonfiguren angeboten wurden, welche die Pilger als Andenken an die Kreuzfahrerstadt oder zur Rettung ihres eigenen Seelenheils kauften.

Westlich der gewaltigen Anlage des Templerordens, die ein eigenes Quartier für die Ritter und deren gesamtes Gefolge beherbergte, hatte der Deutsche Orden ein festes Haus errichtet. Noch dominierte die von allen Christen genutzte St. Andreaskirche der Templer das Areal, aber eine große Baustelle verwies darauf, dass auch der deutsche Orden bald eine eigene Kathedrale haben würde. Die sich anschließende östlich gelegene große Anlage der Johanniter beherbergte allein sieben Rittersäle und ein riesiges Refektorium. Das dagegen sich noch recht bescheiden ausnehmende Deutschherrenhaus war von einer eigenen Mauer umgeben. Ein großes Tor aus massiven Holzbohlen verwehrte den Eingang. Ein Glockenzug, wie Nicolas ihn schon zu Hause im Kloster Altzella gesehen hatte, war die einzige Möglichkeit, sich Gehör, wenn schon nicht Zutritt, zu verschaffen.

Nicolas zog mehrmals kräftig an dem Seilzug. Im Innern ertönte der hohle Klang einer Glocke. Mit klopfendem Herzen wartete er, ob sich etwas tun würde. Nach einer schier endlosen Zeit wurde eine kleine Klappe im mittleren Teil des Tores geöffnet und das bärtige Gesicht eines Mönches schaute ihm entgegen. „Was willst du?“, fragte dieser mit ungeduldiger Stimme und einem unverkennbar niederdeutschen Dialekt. Nicolas kapierte zumindest soviel, dass er nach seinem Begehr gefragt worden war.

„Ich bin ein Bote aus Meißen und hoffe, Herrn Dietrich von Wettin hier zu finden“, antwortete er, in der Hoffnung, dass der Mönch ihn verstand.

„Kannst du das beweisen? Wir können schließlich nicht jeden dahergelaufenen Strolch hereinlassen.“

Nicolas schluckte. Wie sollte er den Kerl davon überzeugen, dass er in der Tat ein Mann des Grafen war?

„Führ mich zu deinem Herrn, der wird bestätigen, wer ich bin“, versuchte er es erneut. Doch der Mönch war wenig überzeugt von Nicolas` Worten.

„Damit du ihn dann versuchst zu ermorden, was“, höhnte er.

„Wie soll das gehen? Du kannst mich ja vorher nach Waffen untersuchen.“ Nicolas drohte die Stimme zu versagen. Schnell blinzelte er die Tränen weg, die ihm in die Augen traten. Nun war er endlich bis hierher vorgedrungen. Sollte er wirklich an diesem Tor scheitern?

„Frag den Grafen nach Nicolas von Lichtenwalde und sag ihm, dass ich hier unten am Tor stehe. Er wird es dir danken.“ Der junge Mann sah den Mönch mit flehendem Blick an.

Das Gesicht des Bärtigen verschwand und die Klappe schloss sich. Für einen kurzen Moment zweifelte Nicolas, dass sich etwas tun würde. Doch da öffnete sich eine kleine Tür neben dem Tor, die er bisher gar nicht wahrgenommen hatte. Der Mönch bedeutete ihm, einzutreten. Nicolas gelangte in einen hohen gepflasterten Durchgang, der sich hinter der Mauer auftat. Links und rechts sah er Türen, die in die Mauer hineinzuführen schienen. Unweigerlich drängte sich ihm der Gedanke auf, wo diese Türen wohl hinführen würden, als er auch schon unsanft von dem Mönch gepackt und durch den rechten dieser Eingänge in einen niedrigen fensterlosen Raum geschoben wurde, den einzig eine kleine Funzel an der Wand spärlich erhellte.

Dumpfe, feuchte Luft umfing ihn. Eine lange Bank stand an der hinteren Wand des Raumes. Nicolas setzte sich und wartete. Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor, bis die Tür wieder geöffnet wurde und eine hohe Gestalt in einem Kettenhemd den Raum betrat. Gespannt harrte Nicolas, was nun folgen würde. Aber mit dem, was dann geschah, hatte er am allerwenigsten gerechnet. Die Gestalt bewegte sich mit nahezu rasender Geschwindigkeit und einem lauten Schrei auf ihn zu. Nicolas sträubten sich die Haare. Er meinte, sein letztes Stündlein habe geschlagen. Wochenlange Entbehrung und banges Hoffen, doch noch zu Dietrich zu gelangen, sollten nun durch sein jähes Ende einen Abschluss finden. Sein ganzer Körper spannte sich an, und er war entschlossen, sich seinem Schicksal nicht kampflos zu ergeben. Der Mönch hatte ihn letztendlich doch nicht nach Waffen untersucht. Aber bevor er seinen Dolch, den er vorsorglich seit seinen Erlebnissen auf dem Schiff griffbereit im Wams versteckt trug, hervorziehen konnte, fand er sich in den Armen des Riesen wieder, was ihm allerdings recht seltsam vorkam. Zu verdutzt, um sich zu wehren, wartete er einfach ab.

„Nicolas, Nicolas!“ Dem Hünen schien die Stimme zu versagen. „Ich fasse es nicht. Oh, Nicolas, dass du es bist, wer hätte das gedacht!“ Langsam drang es in sein Bewusstsein, dass er diese Stimme kannte. Und dann traf es ihn schlagartig. Es war sein Freund Modorok, der ihn da umarmte.

„Modorok?“, fragte er fast zögerlich. „Bist du es wirklich?“ Der Bursche hatte in der Tat einiges an Gewicht zugelegt, seit er ihn das letzte Mal in Sizilien sah. Mit Sicherheit trainierte er viel, und das Kettenhemd tat sein Übriges. Groß und kräftig war er ja schon immer gewesen.

„Nie hätte ich gedacht, dass ich dich hier in Outremer treffen würde. Hat der Kaiser dich geschickt, oder warum bist du hier?“ Einen Arm um Nicolas Schultern legend, führte er ihn aus dem Raum. Ihn nicht loslassend und immer weitere Fragen stellend, wie es ihm gelungen sei, hierher zu kommen, zerrte er Nicolas über einen großen gepflasterten Hof direkt auf ein großes Gebäude zu. „Wenn du mich zu Wort kommen lässt, erkläre ich dir, warum ich hier bin“, sagte er lachend. „Doch ich würde gern als erstes Herrn Dietrich sehen wollen, denn ich habe ihm einiges zu berichten. Und bevor ich alles zweimal erzähle, wirst du also noch etwas warten müssen.“ Nicolas schmunzelte, kannte er doch das ungeduldige Naturell seines Freundes zu gut.

„Gut. Komm mit“, forderte ihn Modorok auf und wies auf die Tür, an der zwei Bewaffnete Wache standen. Er nickte ihnen kurz zu und bedeutete Nicolas, hineinzugehen. Sie gelangten in eine große Halle, an deren Wänden mehrere Bänke und Stühle aufgereiht waren. Auf einigen saßen Männer, die auf irgendetwas zu warten schienen. „Boten, Gesandte aber auch Bittsteller“, sagte sein Freund. „Sie hoffen, zum Großmeister vorgelassen zu werden. Immer wichtiger wird die Stellung des Ordens hier. Doch komm, Dietrich ist in einem der Räume im oberen Stockwerk.“ Sie gingen eine breite, geländerlose steinerne Treppe hinauf, die von Fackeln hell erleuchtet wurde. Oben schloss sich ein langer Flur an, von dem aus mehrere Türen in diverse Räume führten. Vor der dritten Tür blieb Modorok stehen und klopfte leise in einem bestimmten Rhythmus an. „Ja!“, erklang es kurz hinter der Tür.

„Ich bin es, Herr, Modorok. Ich habe einen Gast mitgebracht, den Ihr sicher gerne sehen würdet.“ Er konnte sich ein Grinsen nicht ganz verkneifen.

Mit Schwung wurde die Tür nach innen geöffnet und vor Nicolas stand Dietrich von Wettin, angetan mit einem schlichten, langen Gewand, ein kurzes Schwert lose um die Hüften gegürtet. Dietrichs Augenbrauen schnellten erstaunt nach oben.

„Du hier, Nicolas?“, fragte er erstaunt. „Was ist passiert, wo ist der Auensteiner?“ Nicolas verbeugte sich leicht vor seinem Herrn, denn er hatte nicht vergessen, dass er diesem Respekt zollte, wo auch immer er sich befand. „Tot“, sagte er ohne Umschweife. Dietrich runzelte die Stirn. Bevor Nicolas zu einer weiteren Erklärung ansetzen konnte, forderte er diesen auf: „Sprich, was ist passiert? Warum ist der Auensteiner tot? Ich hatte euch schon vor einigen Wochen hier erwartet. Was hat das alles zu bedeuten?“

Nicolas nahm allen Mut zusammen. „Euer Bote erreichte uns in Bari. Der Kaiser hatte den Entschluss gefasst, nach dem Reichstag in die deutschen Lande zurückzukehren und für seinen Kreuzzug zu werben. Die deutschen Fürsten schienen noch nicht allzu überzeugt und er wollte sie mit neuen Versprechungen die weibliche Erbfolge betreffend überreden. Den Beginn des Kreuzzuges hat er auf Weihnachten im nächsten Jahr festgelegt.“

Dietrich wurde blass. Das könnte unter Umständen bedeuten, dass der Kaiser seinen Bruder Albrecht als Markgraf für immer bestätigte. Das hieß in diesem Falle, dass auch dessen Tochter nach seinem Tod berechtigt war, die Nachfolge als Markgräfin anzutreten. Und er saß hier in dieser Hölle und hatte gehofft, dass Heinrich sich nach dem Reichstag ebenfalls nach Akkon begeben würde. Doch seine Rechnung war nicht aufgegangen. Nun musste er versuchen, schnellstmöglich nach Meißen zurück zu gelangen. Doch das würde Monate dauern. Was in dieser Zeit nicht alles passieren konnte.

Kapitel 13

Da Dietrich als einer der bedeutendsten Fürsten des Reiches an der Umstrukturierung der Hospitalgenossenschaft zu einem kriegerischen Ritterorden großen Anteil hatte, wurden ihm im Quartier der Deutschherren weitläufige Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt. Dietrich war nur mit wenigen Vertrauten ins Heilige Land gereist. Es würde sicher noch Monate, wenn nicht gar Jahre dauern, bis die Arbeit ihren Abschluss fand. Doch war Dietrich voller Ungeduld, sah er seine verbliebenen Besitzungen in der Mark Meißen nun auch noch in Gefahr. Vergebens hatte er den Kaiser kurz vor Ostern angefleht, sich für seine Sache zu verwenden. Doch was hatte es ihm gebracht? Er war beim Kaiser in Ungnade gefallen.

Nun konnte er nur hoffen, dass wenigstens sein Schwiegervater Hermann zu Hause seine Interessen vertrat, schon seiner Tochter Jutta zuliebe, die er im vorigen Jahr geheiratet hatte. Für einen kurzen Moment waren seine Gedanken zu Hause in der Mark Meißen.

Jutta. Dieses junge Mädchen, von dem alle Welt behauptete, sie sei hässlich. Aber sie taten ihr Unrecht. Vielleicht war sie nicht unbedingt schön von Angesicht und ihre Beine viel zu lang und dünn. Aber sie war noch jung, erst elf Jahre alt. Sicher mauserte sich das hässliche Entlein in ein paar Jahren zu einem Schwan. Was bedeutete schon äußere Schönheit? Jutta war gütig und zu jedermann freundlich, selbst zu den Geringsten unter ihrem Gesinde. Was für eine prächtige Landesfürstin sie abgeben würde.

Inzwischen bildeten sich lange Schatten hinter den hohen Säulen des Gemaches. Der Abend war schon weit fortgeschritten und die Schwüle des Tages hatte etwas nachgelassen.

Dietrich straffte die Schultern. Doch wieder schweiften seine Gedanken ab. Die arme Jutta, nun musste sie allein zu Hause sitzen und war vielleicht der Willkür seines Bruders ausgeliefert. Doch wie konnte er das verhindern, wo er doch hier festsaß? Er musste unbedingt einen Weg finden, nach Meißen zu kommen.

Dietrich erhob sich aus seinem Sessel, den er nahe ans Fenster geschoben hatte. Von hier aus genoss er oft den Blick über die weite Bucht, in die sich der Hafen und die Stadt von Akkon schmiegten. Die Sonne sandte die letzten Strahlen warmen, weichen Lichts über die Häuser, bevor sie am Horizont im Meer versank.

Dietrich winkte den Bewaffneten, der zu seiner Sicherheit immer neben der Tür stand, zu sich, und beauftragte ihn, jemanden nach Nicolas von Lichtenwalde zu schicken.

Nicolas streifte mit Modorok in den Tagen nach seiner Ankunft durch Akkon. Die Stadt war ein Schmelztiegel vieler Religionen: Moslems, Juden, Christen – alle lebten sie hier oder waren auf der Durchreise. Und alle hatten irgendwie miteinander zu tun. Die Händler auf den Basaren, die Reliquienverkäufer in den Arkaden unter den Häusern, die Wanderprediger, welche auf den Plätzen der Stadt standen und die Leute mit ihren Prophezeiungen vom jüngsten Gericht ängstigten, die jüdischen Geldwechsler und die Juweliere. Alle gehörten in diese Stadt und waren mit ihr verwoben, machten Akkon zu einem Ort, wo alles möglich schien.

 

In einem Hammam erfuhr Nicolas zum ersten Mal, wie wunderbar ein Bad sein konnte. In Meißen hatte er höchstens in dem Bächlein Meisa, das hinter der Burg entlangfloss, mit den anderen Knaben herumgetollt. Aber nach dem Tod seines Vaters war auch dieses Vergnügen recht selten geworden. Die Knappen und Waffenknechte reinigten sich nach ihren Kampfesübungen oft nur am Brunnen, der im inneren Hof der Burg stand, oder an kalten Tagen an einem Trog mit eisigen Wasser, der in den Mannschaftsräumen aufgestellt wurde.

In der Mitte des Baderaumes befand sich eine große, runde Platte aus cremefarbenem Marmor. In einem Raum darunter war ein Ofen, der über mit Wasser gefüllte Leitungen die Platte aufheizte, und damit ein wohliges Gefühl der Wärme verbreitete. An den Wänden standen Brunnen, aus denen kaltes Wasser floss. Badediener gingen umher und verteilten in großen Kellen das Wasser an die auf der Platte Ruhenden. Heiße Steine, die ebenfalls mit kaltem Wasser begossen wurden, verströmten aromatischen Dampf, in den sich die Gerüche seltener Kräuter mischten. Im Innenhof des Hammams befanden sich große Becken, in denen mit Blüten versetztes Wasser nach dem Dampfbad die nötige Kühlung verschaffte. Bänke mit weichen Polstern und Kissen, umgeben von weißen, leise im Wind flatternden Vorhängen, luden zu einer Ruhestunde nach dem Bade ein.

Nicolas gefiel diese Badeeinrichtung so gut, dass er fast täglich hierherkam.

Im Ordenshaus hatte Nicolas zusammen mit Modorok und zwei anderen Jungen einen Raum zugewiesen bekommen, der nicht weit von den Gemächern Dietrichs entfernt war. Die beiden Freunde waren gerade von einem ihrer Streifzüge eingetroffen, als ein Diener Nicolas zum Markgrafen beorderte.

Dietrich stand mit dem Rücken zur Tür und schaute auf den Hafen. Seit Tagen schon war kein einziges Pilgerschiff gekommen, dass ihn hätte wieder mit zurücknehmen können. Langsam wurde er ungeduldig. Auch gab es immer öfter Übergriffe seitens seldschukischer Reiterhorden. Diese bedeuteten eine große Gefahr für den Kreuzfahrerstaat und seine neue Hauptstadt Akkon. Seit Jerusalem wieder in muslimischer Hand war und ganz besonders seit dem Tode Saladins, kam es häufig zu Bündnissen einzelner arabischer Stämme, die dann mit großen Horden über die christlichen Stützpunkte herfielen und den Kreuzfahrern das Leben schwermachten.

Auch am Tag zuvor hatte es wieder im Hafen solch ein Scharmützel gegeben.

„Komm herein und schließ die Tür“, forderte Dietrich deshalb mit harscherer Stimme als beabsichtigt den zaghaft anklopfenden Nicolas auf. Verstohlen schlich Nicolas herein. Das schlechte Gewissen plagte ihn. Tagelang war er in der Stadt umhergestreift, suchte die Bäder und die Spelunken auf und war nicht selten mit einer Schönen in einem Hinterraum verschwunden. Nie zuvor hatte er bei einem Mädchen gelegen. Hier wurde er in die Kunst der Liebe eingeführt, und es erschien ihm neben dem Hammam als das Himmlischste, was er je erlebt hatte. Modorok leistete ihm dabei oft Gesellschaft. Der Dienst beim Markgrafen war eher locker, denn was sollte hier in Akkon schon groß passieren. Bis jetzt!

„Wie kommt es, dass ihr euch so oft in der Stadt herumtreibt? Seid ihr nicht genügend ausgelastet in meinem Dienst?“ Der Markgraf wusste offenbar genauestens Bescheid über die Umtriebe seiner Schützlinge. „Nun gut, ab heute werde ich euch ein paar mehr Aufgaben erteilen, dass ihr euch hier auch mal nützlich erweisen könnt. Woher habt ihr eigentlich das Geld für eure Ausschweifungen?“ Das hatte sich Dietrich schon lange gefragt, denn sowohl Nicolas als auch Modorok waren beide arme Schlucker, die nie über eigene Mittel verfügten.

„Ich hatte noch etwas von der Reise mit Herrn von Auenstein“, verteidigte sich Nicolas schuldbewusst.

„Wie auch immer, ab jetzt weht ein anderer Wind. Ihr werdet hier im Hause bleiben, denn es schleichen immer wieder finstere Gestalten umher, von denen niemand weiß, woher sie kommen. Auch wurde mir zugetragen, dass seldschukische Banden sich schon nahe an die Stadt herangewagt haben. Überdies habe ich dir einen Vorschlag zu machen, für den du sicher dankbar sein wirst.“ Der Graf von Weißenfels lächelte verschmitzt. „Also hör zu, Nicolas. Ich weiß, dass du und Modorok schon recht kampferprobt seid aus der Zeit, als ich mit meinem Bruder manchen Streit vor Weißenfels ausgefochten habe. Auch hat der alte Tassilo euch mit Sicherheit viel abverlangt, was das Proben der Schwertkunst betrifft. Deshalb möchte ich, dass ihr ab jetzt meine Leibwachen seid, denn ich weiß bei Gott nicht mehr, wem ich hier trauen kann.“

Nicolas glaubte, nicht recht gehört zu haben. Er hielt die Luft an. Meinte der Graf das wirklich ernst? „Und mir vertraut ihr, Herr?“, fragte er. „Ich bin arm, ohne Land, habe nix außer dem Hemd an meinem Leib. Befehlt Ihr mir oder bittet Ihr mich?“ Trotzig streckte Nicolas das Kinn nach vor. In seinem Inneren focht er einen Kampf aus. Auf der einen Seite war er einst der Erbe eines reichen Dienstmannes Kaiser Barbarossas gewesen. Jetzt war er nichts weiter als ein fern der Heimat Gestrandeter. Aber das Hier und Jetzt zählte wohl einzig, das wusste er. Und außerdem hatten er und Modorok ja bisher auch kein schlechtes Leben gehabt in Akkon. Soviel Freiheit würden sie dann sicher nicht mehr haben. Allerdings war es eine große Ehre, der persönliche Leibwächter eines so mächtigen Mannes zu sein, wie es der Graf war. Trotz allem ließ es sein Stolz nicht zu, sich bedingungslos dem Wettiner unterzuordnen.

Dietrich merkte wohl, was in dem Jungen vorging. Auch er war nie frei von Zwängen gewesen, musste sich zuerst dem Willen des Vaters, dann dem des Bruders und immer dem des Kaisers unterordnen. So war der Lauf der Dinge, so war die Ordnung der Welt. Aber auch Nicolas würde das bald begreifen.

Der Lichtenwalder war ihm irgendwie ans Herz gewachsen. Sein Vater diente ihm immer als treuer Kampfgefährte, und sein ungerechtes Ende lag dem Grafen immer noch schwer auf der Seele. Auch dafür hasste er seinen Bruder.

„Also sei es, ich ernenne euch hiermit offiziell zu meinen Leibwachen. Ihr habt euch ständig in meiner Nähe aufzuhalten. Will einer von euch beiden frei haben, dann muss der andere uneingeschränkt zur Verfügung stehen. Was meinst du dazu? Nimmst du meinen Vorschlag an?“ Der Markgraf schmunzelte leicht, was Nicolas natürlich nicht entging. Er wusste wohl, dass er eigentlich keine Wahl hatte, aber er rechnete es Dietrich hoch an, dass er ihm scheinbar die Entscheidung überließ.

„Natürlich wird dein Freund lauthals protestieren, da ja nun eure gemeinsamen Streifzüge und Badehausorgien ausfallen werden.“ Also auch davon wusste der Graf. Er hätte auch nichts anderes erwartet. „Aber da er dein bester Freund und ein wahrscheinlich wirklich aufrechter Mensch ist, wird er dir überall hin folgen.“

„Und wann soll unser Dienst beginnen?“, fragte Nicolas mit großer Zurückhaltung. Er wollte nicht zu übereifrig erscheinen, da er gern noch den letzten freien Tag mit Modorok in der Stadt verbringen wollte. Und außerdem gab es da eine mandeläugige Schönheit, die heute Abend auf ihn warten würde.

„Morgen früh. Ich gewähre euch noch einen freien Abend, damit ihr euch noch mal richtig austoben könnt und später nicht auf den Gedanken kommt, euch heimlich abzusetzen. Nun geh, unterrichte deinen Freund von seiner neuen Aufgabe.“