Baphomets Jünger

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Aus der Reihe: Dunkelwaldtrilogie #3
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„Erlaubt mir eine letzte Frage, Bruder Guy“, wagte Rudger noch einmal das Wort zu ergreifen. „Verzeiht mir meine Unwissenheit. Aber wie war es überhaupt möglich, dass der Orden in ganz Frankreich innerhalb nur weniger Stunden aufgerieben werden konnte? Obwohl es, wie ihr gerade selbst gesagt habt, immer wieder Gerüchte darüber gab, der Papst würde im Einklang mit Philipp gegen die Templer vorgehen? Wieso habt Ihr die Anzeichen ignoriert? Warum hat unser Großmeister die Brüder nicht gewarnt oder sich entsprechende Verbündete gesucht? Das begreife ich nicht.“

Fast hatte es den Anschein, als würde Guy de Saint Neville nicht antworten. Doch dann blickte er Rudger traurig an. „Diese Frage, mein Sohn, kann ich dir auch nicht beantworten.“

Mit einem Ruck wandte er sich wieder Friedrich zu. „Es ist alles gesagt, Bruder. Wir sehen uns, und wenn es im Himmel oder auch in der Hölle ist.“ Mit einem Nicken stand er auf und wandte sich zur Tür. Er schickte er sich an, hinauszugehen. Dabei streifte sein Blick Bruder Hippolit, welcher sich daraufhin umständlich von seinem Stuhl erhob. „Gott sei mit Euch, Bruder Friedrich“, beeilte der Mönch sich, zu sagen. Rudger vollkommen ignorierend, folgte er dem Ritter.

Die eintretende Stille war schier erdrückend. Rudger wagte nicht, als erster die Stimme zu ergreifen. Friedrich blickte auf einen imaginären Punkt vor sich. Das Schweigen zog sich einige Minuten hin. Dann ging ein Ruck durch den Ordensmeister. Er holte tief Luft. „Geh mein Sohn. Du musst unverzüglich aufbrechen. Zuerst reite nach Mücheln. Du bist lange Zeit dort gewesen. Unser Meister Gero muss gewarnt werden. Er wird wissen, was zu tun ist und wohin er dich als nächstes schickt. Er kennt sich Richtung der Ostmarken am besten aus. Du nimmst dir ein paar Männer mit, denen du vertraust. Ich schätze, ich weiß auch, wen du auswählen wirst.“ Er lächelte Rudger an. Vor dessen geistigem Auge erschienen sofort sie Gesichter vor Endres, Jorge und Valten. Er grinste zurück. Dann wurden beide schnell wieder ernst.

„Ich schreibe in der Zwischenzeit ein paar Briefe, sowohl um dir sicheres Geleit zu garantieren als auch einen für Bruder Gero. Im Meißner Land dürfte deine Familie noch recht sicher sein. Da musst du dir keine Sorgen machen. Der Markgraf ist ein Freund der Templer. Auch steht er mit dem König auf Kriegsfuß und streitet sich mit diesem um sein Erbe in der Mark. Doch trotzdem ist Vorsicht geboten, denn der Papst hat seine Verbündeten überall. Und der König wird demjenigen nachgeben, der seine Macht am wenigsten bedroht. Friedrich, als ein Enkel des letzten großen Staufers, gehört leider nicht zu den bevorzugten Freunden seiner Majestät. Also mach dich bereit, mein Sohn. In einer Stunde erwarte ich euch im Hof. Ich werde dafür sorgen, dass ihr Pferde und Proviant erhaltet. Außerdem müsst ihr noch ein paar Pferde aus den Stallungen mitnehmen. Ich will nicht, dass diese edlen Rösser in die Hände unserer Feinde fallen.“

Damit war Rudger entlassen. Schnell deutete er eine Verbeugung vor Friedrich an. Doch der hielt ihn unvermittelt am Ärmel fest und sah ihn mit durchdringendem Blick an. „Rudger, es soll noch keiner weiter von den Vorgängen in Frankreich erfahren. Nur deine Männer dürfen eingeweiht werden. Ich möchte nicht, dass es zu Unruhen in unseren Reihen kommt. Ich werde erst einmal abwarten, wie sich der Erzbischof in Magdeburg in dieser Sache verhält, bevor ich die Brüder in Angst und Schrecken versetze. Doch Bruder Gero muss gewarnt werden. Unter Umständen bin ich vielleicht später nicht mehr in Lage dazu, alles Nötige zu unserer Rettung zu veranlassen.“

„Davor bewahre uns Gott“, brachte Rudger mit heiserer Stimme hervor. Dann eilte er aus der Kammer, in der Hoffnung, seine Freunde noch beim Morgenmahl zu finden.

Kapitel 3

Wichmannsdorf

17. Oktober 1307

Endres, Jorge und Valten saßen in der Tat noch im Refektorium. Die meisten der Brüder waren bereits hinausgegangen, um ihr Tagwerk zu beginnen. Die Kerzen auf den Tischen spendeten nur ein dusteres Licht. Noch hatte die Morgendämmerung nicht alle Winkel des niedrigen Speisesaals erreicht. Doch die drei jungen Männer wollten unbedingt auf die Rückkehr ihres Freundes warten. Da heute eh alles anders zu sein schien, wagten sie dann auch, ihn laut anzusprechen. Den bösen Blick der zwei Priesterbrüder, die sich anschickten, die Tische abzuräumen, ignorierten sie. Schließlich war das Morgenmahl vorbei.

„Was wollte Friedrich von dir?“, fragte Valten ungeduldig. Lässig lehnte er mit dem Rücken an einer der steinernen Säulen, die das niedrige Gewölbe des Refektoriums stützten und zwischen denen die Tische und Bänke aufgereiht waren. Sein dichtes braunes Haar stand in alle Richtungen. Obwohl er es nach dem Aufstehen mit Wasser geglättet hatte, war es zu widerspenstig, um sich bändigen zu lassen. Er trug es kurz, wie alle Ordensritter. Doch im Gegensatz zu den Priesterbrüdern mussten sie sich keine Tonsur rasieren. Sein wilder Haarschopf und seine leuchtenden dunkelblauen Augen verliehen ihm ein verwegenes Aussehen, das seinem stürmischen Charakter entsprach.

Auch Endres und Jorge schauten Rudger mit gespanntem Gesichtsausdruck an. Sie konnten unterschiedlicher nicht sein. Endres dunkle Locken schimmerten fast schwarz. Seine feinen Gesichtszüge hätte man weich nennen können, wäre da nicht sein energisches Kinn gewesen, das er jetzt trotzig nach vorne schob. Er war genau so groß gewachsen wie fast alle seiner Brüder, denn sie waren die Elite der Ritter und mussten ganz besondere körperliche und charakterliche Eigenschaften besitzen. Der schon fast hypnotisierende Blick aus seinen dunklen Augen, ließ manchen seiner Gegner auf dem Schlachtfeld ein kurzes Gebet gen Himmel senden, bevor sie sich ihrem Schicksal stellten. Er war ein knappes Jahr jünger als Rudger, aber ließen ihn die Erfahrungen etlicher Kämpfe älter erscheinen. Auch Jorge konnte sich in der Runde der jungen Männer sehen lassen. Er war blond, doch hatte er das Haar ganz kurz geschoren. Der Blick aus seinen hellblauen Augen war offen und herzlich und offenbarte seinen aufrechten Charakter. Seine hohen Wangenknochen verliehen seinem Gesicht einen stolzen Ausdruck und ließen auf seine edle Herkunft schließen. Allerdings war er nur ein nachgeborener Sohn und sein älterer Bruder der Erbe des beträchtlichen Landgutes im Emsland. Sein Vater war ein Lehnsmann des Fürstbischofs von Münster, und es war ihm gelungen, durch seine Beziehungen zum Bischofshof seinen Sohn in einem Ordenshof der Templer unterzubringen. Jorge war der Stolz seiner Familie, auch wenn er nicht der Erbe war. Doch dem jungen Ritter war das eher gleich. Für ihn gab es nur den Orden, dem er sich verpflichtet hatte, alle weltlichen Dinge schloss er aus seinem Leben aus.

Rudger hob beschwichtigend die Hände. „Ruhig Freunde“, warnte er sie mit verhaltener Stimme. Er sah sich im Raum um. Die zwei Ordensbrüder trugen gerade das benutzte Geschirr hinaus. Hinter ihnen schloss sich die Tür, dann zog Ruhe ein.

„Ich glaube“, begann er, „ihr habt es bereits gemerkt. Aber der heutige Morgen ist alles andere als normal verlaufen. Mich wundert es, dass niemand offen gefragt hat, was los ist.“

„Haben wir ja auch nicht“, meinte Endres grinsend. Doch Rudger schaute ihn ernst an.

„Und was ist los?“, fragte der Ritter, durch die betroffene Miene des anderen stutzig geworden. Doch bevor sein Freund zu einer Antwort ansetzen konnte, wurde die Tür leise geöffnet und der Kopf Bruder Anselms erschien.

„Hast du nichts zu tun?“, herrschte ihn Valten an.

Rudger, der sich herumgedreht hatte, gebot Valten mit einer Geste seiner Hand Einhalt.

„Nein, Anselm. Komm rein. Du sollst hören, was ich erfahren habe. Anselm war der erste, der mir heute am frühen Morgen eine ungeheuerliche Neuigkeit zugetragen hat“, wandte er sich an seine Freunde. „Erst wollte ich ihm nicht glauben. Aber vorhin war ich bei unserem Meister. Und was ich da gehört habe, das ahnt ihr nicht einmal.“

Anselm setzte sich zu ihnen und sah Rudger gespannt an.

„Nun mach schon, lass uns nicht solange schmoren. Was gibt es so furchtbar Geheimnisvolles, dass ihr zwei euch ständig verstohlen umschaut, aus Angst, es könnte einer zuhören?“ Jorge wurde wie die anderen langsam ungeduldig. Die Geheimniskrämerei seines Freundes mutete ihm etwas seltsam an.

„König Philipp hat im Namen des Papstes alle Templer in Paris und ganz Frankreich zur gleichen Zeit verhaften und einsperren lassen“, platzte Rudger heraus. Aber anstatt ihn sofort mit Fragen zu löchern, starrten die anderen ihn entsetzt an.

„Du machst Witze“, fand Endres endlich seine Stimme wieder. Doch ein Blick in die Gesichter von Rudger und Anselm belehrten ihn eines Besseren. „Erzähle“, meinte er nur kurz und die anderen nickten.

In knappen Worten schilderte Rudger, was er am frühen Morgen von Friedrich von Alvensleben und seinen beiden Besuchern erfahren hatte. „Ich möchte, dass ihr mit mir kommt“, schloss er seinen Bericht. „Auch du, Bruder Anselm. Hier ist niemand mehr sicher.“

Anselm hob abwehrend die Hände. „Oh nein, Rudger. Ich bleibe hier. Ich kann hier nicht einfach fort. Immerhin stehe ich dem Wirtschaftshof der Komturei vor. Und selbst wenn es gefährlich ist. Wie könnte ich meine Brüder hier im Stich lassen, nur um mich selbst in Sicherheit zu bringen.“

„Willst du damit sagen, dass wir die anderen im Stich lassen?“, fragte Valten ungehalten und funkelte den Mönch böse an. Er hatte schon immer ein Problem mit dem Priesterbruder gehabt. Ganz in seinem Innern nagte ein Gefühl der Eifersucht.

„Nein, will er nicht“, fuhr ihn Rudger an. „Ich verstehe dich ja“, wandte er sich wieder Anselm zu. „Aber ich könnte dich gut gebrauchen auf unserer Mission. Du kannst wesentlich besser lesen und schreiben als wir alle, von unserem Latein gar nicht erst zu sprechen.“ Er lächelte kurz.

 

„Ach, ich schätze, darin seid ihr ebenso gut wie ich“, schmeichelte ihnen Anselm. „Doch ich bin kein Kämpfer, Rudger. Ich würde euch nur behindern. Ohne mich seid ihr wesentlich besser dran. Und wer weiß, wenn Gott will, sehen wir uns alle bald wieder.“

„Nun gut, aber ich versuche, mit dir in Kontakt zu bleiben, Anselm.“

„Ich schätze, eure Mission wird keine Zeit dazu lassen. Aber ich werde für euch beten, dass ihr heil und gesund bleibt. Möge Gott unseren Brüdern in Frankreich beistehen. Und euch.“ Anselm erhob sich. In seinen Augen schimmerten Tränen. Kurz legte er seine Hand auf Rudgers Schulter, dann drehte er sich wortlos um, und verschwand genauso leise durch die Tür, wie er hereingekommen war.

„Gott sei auch mit dir, Bruder“, sagte Jorge leise. Doch Anselm hörte es bereits nicht mehr.

Immer noch mit Bestürzung in ihren Mienen schauten sich die Freunde an.

„Und nun?“, fragte Endres.

„Friedrich erwartet uns in einer halben Stunde im Hof. Also packt schnell euer Zeug und eure Waffen zusammen und dann kommt raus. Proviant besorgt uns Friedrich.“

„Da gibt es nicht viel zusammenzupacken“, meinte Valten trocken.

„Vielleicht willst du ja noch mal in die Kirche gehen, um zu beten. So kriegst du die halbe Stunde auch rum“, meinte Jorge zynisch.

„Ich weiß, was du meinst“, antwortete Valten, auf den Spott des anderen nicht eingehend, mit Unmut in der Stimme. „Wie kann Gott zulassen, dass unseren Brüdern solch Unrecht widerfährt? Haben wir IHM nicht immer nach bestem Wissen und Gewissen gedient?“

„Vielleicht nicht alle“, konterte Jorge trocken.

„Brüder, für derlei Disput haben wir jetzt keine Zeit“, ermahnte Rudger die beiden. „Also bis gleich.“ Er erhob sich und rannte förmlich aus dem Refektorium. Bevor er sich zu den anderen im Hof gesellte, musste er unbedingt noch einmal einen Versuch starten und kurz mit Bruder Anselm sprechen. Niemals würde er den Freund freiwillig seinem Schicksal überlassen.

Kapitel 4

Mücheln

20. Oktober 1307

Die letzten schrägen Strahlen der Abendsonne bahnten sich ihren Weg in das kleine Gotteshaus, das direkt in der Mitte des Templerhofes in Mücheln stand. Rudger kniete vor dem Altar mit der Mutter Gottes. Doch war es nicht das Gebet, was er suchte, sondern eher die Stille und Einsamkeit, um seine wirren Gedanken ordnen zu können.

Ein verirrter Strahl verfing sich in seinen Haaren, die er schon seit einiger Zeit nicht mehr geschnitten hatte. Das Licht ließ seine dunkelblonden Locken bronzen schimmern. Unter seiner Tunika zeichneten sich seine kräftigen Schultern deutlich ab und das Spiel seiner angespannten Muskeln zeugte vom täglichen Umgang mit den Waffen.

Fast drei Tage waren sie ununterbrochen im Sattel gewesen, immer gegenwärtig, von den Häschern des Magdeburger Erzbischofs aufgehalten zu werden. Doch ihre Reise nach Mücheln war ohne Zwischenfälle verlaufen. Am frühen Morgen hatten sie unter Umwegen das Ordenshaus erreicht. Das Tor war fest verschlossen gewesen und es dauerte eine ganze Weile, bis der Bruder Schließer auf ihr lautes Klopfen hin eine kleine Tür einen Spalt weit öffnete.

Vollkommen erschöpft ließen sich die Männer aus dem Sattel gleiten, Rudger strauchelte leicht. Die Müdigkeit drohte ihn zu überwältigen. Seit vier Nächten hatte er fast nicht geschlafen.

Der alte Ordensbruder erkannte den jungen Ritter sofort. Bereits nach wenigen Minuten war Gero im Hof erschienen. Erstaunen zeichnete sich auf seinem Gesicht ab. Mit knappen Worten hatten ihm die jungen Templer von den Geschehnissen in Frankreich berichtet. Bestürzt bat Gero sie in seine Kammer, wo sie ihm dann nochmals in allen Einzelheiten Rede und Antwort stehen mussten, soweit sie überhaupt dazu in der Lage waren.

Später hatten sie sich einige Stunden im Schlafsaal der Ritter niedergelegt. Doch schon bald erwachte Rudger wieder aus einem unruhigen Schlaf. Er hatte seinen Mantel übergeworfen und sich in die Kapelle geschlichen.

Leise Schritte erklangen hinter ihm. Rudger wandte den Kopf nach hinten. Als er Gero auf sich zukommen sah, erhob er sich. Der alte Bruder lächelte ihn wohlwollend an. Seine ergrauten Haare waren immer noch erstaunlich dicht, auch wenn er sie sehr kurz geschnitten trug. Hochgewachsen und hager war er nur wenige Zentimeter kleiner als sein jüngerer Ordensgefährte. Um seinen Mund und seine Augen zeichneten sich sichtbare Falten ab, die von einem entbehrungsreichen Leben kündeten. Trotz seiner scharf geschnittenen Züge strahlte sein Gesicht eine ruhige Würde aus und sein offener, freundlicher Blick brachte ihm die Sympathien der meisten seiner Mitbrüder ein.

„Es ist wahrlich schreckliche Kunde, die ihr uns gebracht habt, mein junger Bruder. Doch längst habe ich dieses Schicksal für unseren Orden kommen sehen.“

„Wie das, Meister?“, fragte Rudger. „Nichts deutete darauf hin, dass der Orden sobald angegriffen würde. Auch wenn es schon lange Gerüchte gab, der König von Frankreich würde immer wieder Versuche starten, sich am Vermögen der Templer zu bereichern. So wurde er dennoch bis jetzt in seine Schranken gewiesen.“

„Es war nur eine Frage der Zeit. Der Orden war für Philipp das Goldene Kalb, das er schlachten wollte. Er braucht dringend Geld, so verschuldet, wie er ist.“

„Aber der Papst sprach den Orden von allen Anschuldigungen frei, die gegen ihn im Umlauf waren. Warum dann also, Bruder Gero? Und wieso so schnell und unerwartet? Warum bricht Clemens sein Wort?“

„Der Papst! Das ich nicht lache.“ Gero ließ ein verächtliches Schnauben vernehmen. „Dieser Möchtegernvater der Christenheit sitzt verängstigt in Avignon, wo ihn Philipp stets unter Kontrolle hat. Er ist vollkommen abhängig von dem Franzosen. Niemals würde er eine Entscheidung gegen die Interessen der französischen Krone treffen. Alles nur Gerede.“ Gero redete sich regelrecht in Rage. „Wir waren ihm schon längst ein Dorn im Auge. Zu reich, zu mächtig. Wir drohten, seiner Macht zu entgleiten. Und das, mein lieber Rudger, durfte nicht sein. Niemals darf es in der Kirche Mächtigere geben als den Papst. Doch der Papst sitzt nicht mehr in Rom, sondern hockt wie ein verschrecktes, altes Weib in Avignon, unter dem Schutz eines weltlichen Herrschers. Und glaube mir, mein Sohn, es ging nie um den Glauben oder das Wohl der Christenheit. Es ging immer nur um Geld und Macht.“ Gero sackte erschöpft in sich zusammen, als hätte die lange Rede ihn angestrengt.

Ächzend ließ er sich auf einer der Kirchenbänke nieder, die am Rande der Kapelle standen. Ohne seine Aufforderung abzuwarten, gesellte sich Rudger zu ihm.

„Nun, Bruder Rudger“, begann Gero nach einer Weile. „Wir müssen besprechen, wie wir die Ordenshöfe hier im Osten des Landes warnen können. Heinrich von Anhalt ist ein alter, kranker Mann. Als Erzbischof von Magdeburg ist er seit jeher sehr papsttreu eingestellt, fürchtet um seine Exkommunikation, wenn er sich zum Papst zu sehr in Opposition begibt. Und ich glaube, er wird lieber der Templerverfolgung stattgeben, als Papst Clemens zu widersprechen.“

„Und wie sieht es mit den Bischöfen von Halberstadt und Meißen aus?“, fragte Rudger.

„Albrecht von Anhalt, der in Halberstadt das geistliche Amt innehat, ist aus ganz anderem Holz geschnitzt als sein Verwandter in Magdeburg“, antwortete Gero. „Die Linien des Hauses der Anhaltiner bekriegen sich bis auf Blut. Hinzu kommt noch, dass die Bischöfe von Halberstadt schon immer in Opposition zu ihrem Erzbischof standen. Ich denke, Albrecht wird uns unterstützen“, meinte er voller Hoffnung. „Ich werde ihm schreiben, vielleicht gelingt es mir, ihn auf unsere Seite zu ziehen. Wir brauchen einen Kirchenfürsten, der uns hier im Reich den Rücken freihält.“

„Doch sein Amtsbruder in Meißen wird nicht so leicht zu haben sein?“, mutmaßte Rudger und Bitterkeit schwang in seiner Stimme mit. „Bischof Albrecht hat sich nie sonderlich gut mit dem Markgrafen vertragen. Und jetzt, wo Friedrich nicht nur Markgraf von Meißen, sondern auch Landgraf von Thüringen ist und weit weg auf der Wartburg residiert, glaubt der Kirchenfürst auf dem Meißner Burgberg, freies Spiel zu haben. Es sitzt ihm ja keiner mehr direkt vor der Nase, um ihm Paroli zu bieten. Das war unter dem Großvater Friedrichs, als die Markgrafen noch in Meißen wohnten, entschieden anders.“

„Und das macht mir Sorge, mein lieber Bruder. Soviel mir bekannt ist, hält deine Familie im Pleißenland ein Waldenburger Lehen.“

„Glaubt Ihr, es könnte sich zum Nachteil für meine Familie erweisen, weil ich dem Templerorden angehöre?“, fragte Rudger erschrocken.

„Du weißt, große Teile des Pleißenlandes gehörten zur Morgengabe der Mutter unseres Landesherrn Friedrich. Nun ist seine Mutter aber auch gleichzeitig die Tochter Kaiser Friedrichs, Gott habe ihn selig. Damit ist das Pleißenland in den Besitz der Markgrafen übergegangen. Und deshalb ist nun deine Familie dem Meißner Bischof zinspflichtig, dem geistigen Oberhirten der Mark. Auch wenn Markgraf Friedrich ein Freund der Templer ist, so ist es Bischof Albrecht noch lange nicht. Also sei auf der Hut, Rudger. Ungern würde ich von deiner Gefangennahme hören.“

Rudger dachte einen Moment nach. „Um mich macht Euch keine Sorgen, Meister. Es gehört schon mehr als ein Meißner Bischof dazu, einen Ritter der Templer festzusetzen“ meinte er mit einem etwas unsicheren Lächeln. „Doch wichtiger ist es jetzt erst einmal, unsere Ordensbrüder in den Marken zu warnen.“

„Darüber habe ich mich schon mit einigen der älteren Brüder beraten“, antwortete Gero. „Wir sind zwar nicht viele hier in Mücheln, doch werden vier unserer Ritter mit Briefen und der Nachricht von der Zerschlagung des Ordens in Paris losziehen. Auch die Familien der Ritter, die unserem Orden angehören, müssen unterrichtet werden. Es ist nicht ausgeschlossen, dass man auch sie bedrängt.“

„Warum können diese Aufgabe nicht meine drei Freunde und ich übernehmen, wie es Friedrich von Alvensleben vorgeschlagen hat?“, fragte Rudger leicht verärgert. Er hatte wahrlich keine Lust, hier in Mücheln zu versauern. Wahrscheinlich würde man sie hier einfach vergessen. Unmut breitete sich in ihm aus.

„Ganz einfach, weil ihr als erfahrene Kämpfer hier die Stellung halten müsst. Weiter oben, in Richtung des Dunkelwaldes in der Mark Meißen, gibt es keinen Stützpunkt unseres Ordens. Der Weg aus den westlichen Teilen des Reiches nach Böhmen geht hier vorbei. Es könnte gut sein, dass Brüder, die aus Frankreich fliehen konnten, hierherkommen, um dann weiter ins slawische Gebiet zu gelangen. Der böhmische König Rudolf ist zwar aus dem Geschlecht der Habsburger. Doch diese stehen bekanntlich mit dem deutschen König Albrecht auf Kriegsfuß. Er wird unsere Ordensbrüder nicht abweisen.“

„Ja, ich weiß“, warf Rudger dazwischen. „Das ist alles ziemlich verworren. König Albrecht wollte lieber seinen Sohn auf dem böhmischen Thron sehen, als den Habsburger Rudolf.“

„All das spielt natürlich eine Rolle, wenn es um das Überleben unserer Ordensbrüder geht“, ergänzte Gero.

Schweren Herzens musste Rudger dem Komtur recht geben. Doch würde es nicht einfach werden, seine Brüder davon zu überzeugen, die sich im Geiste schon Kämpfe mit den Feinden der Templer ausfechten sahen. Niedergeschlagen ließ er den Kopf hängen.

„Friedrich von Alvensleben hat mich in einem Brief gebeten, euch aus genau diesem Grund hier in Mücheln zu lassen“, erklärte Gero. „Ich selbst werde auch hierbleiben. Es ist wichtig, dass unser Stützpunk gut besetzt ist. Vielleicht gelingt es uns, den einen oder anderen der Fürsten zu unserem Schutz zu gewinnen. Unter Umständen müsst ihr auch einige unserer geflohenen Brüder sicher nach Böhmen geleiten“ versuchte er Rudger zu trösten. „Wir werden sehen.“

Rudger nickte resigniert. Gegen den Großmeister hatte er keine Chance. Und Komtur Gero würde sich dessen Befehlen niemals widersetzen. Langsam erhob er sich.

„Willst du mit mir beten, mein Bruder?“, fragte Gero freundlich. Doch Rudger stand jetzt nicht der Sinn nach einem Gebet. Er war viel zu unruhig. Er musste auch noch mit seinen Freunden sprechen, eine Aufgabe, die ihm nicht wenig zusetzte, denn sie wären alles andere als begeistert darüber, hier in Mücheln bleiben zu müssen. Nun hieß es einfach abwarten, wie die Dinge sich entwickeln würden. Doch darauf hatten sie wahrlich wenig Einfluss.