Innen wachsen – außen wirken

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2.3 Die innere Dimension der Nachhaltigkeit

Wir freuen uns riesig, dir unser Eisbergmodell der inneren Ebenen zu präsentieren, die den Weg in eine zukunftsfähige Welt aus unserer Sicht entscheidend beeinflussen und daher in den Nachhaltigkeitsdiskurs integriert werden sollten.

Unser Modell unterscheidet grundsätzlich vier Ebenen: die Verhaltensebene, die Werteebene, die Gefühlsebene und die spirituelle Ebene. Auf jeder dieser Ebenen sind bestimmte »innere Verhinderer« angesiedelt, die in jedem Individuum vorhanden sind, aber je nach Konditionierung, Lebenserfahrung, seelischer Reife etc. unterschiedlich stark ausgeprägt sein können. Gleichzeitig birgt jede dieser Ebenen einen Schatz, einen zentralen Schlüssel, der uns die Tore in ein zukunftsfähiges 21. Jahrhundert öffnen kann.

Abb. 2: Eisbergmodell: Die innere Dimension der Nachhaltigkeit

Die Metapher des Eisbergs deutet an, dass nur ein kleiner Teil über der Oberfläche sichtbar ist, während der weitaus größere Teil unsichtbar unter der Oberfläche schlummert, aber deshalb nicht weniger real oder hinderlich ist. Du erinnerst dich sicher: Die Wächter auf der Titanic haben den »winzigen« Eisberg anfangs auch nicht wahrgenommen oder als gefährlich erachtet. Der massive Koloss darunter war es jedoch, der schließlich das Schiff zum Sinken brachte.

Diese Sichtbarkeit bzw. Unsichtbarkeit von inneren Mechanismen ist auch mit unterschiedlichen Maßen an Bewusstheit verbunden.

So ist man sich in der Regel des eigenen Verhaltens bewusst beziehungsweise kann es mit nur wenigen Fragen relativ leicht ins Bewusstsein geholt, erinnert, reflektiert und sichtbar gemacht werden. Wir haben im Kapitel über den inneren Schweinehund ja schon darüber berichtet.

Weniger bewusst hingegen sind die Werte und Einstellungen, die unserem Verhalten zugrunde liegen und im Eisbergmodell bereits unter der Oberfläche angeordnet sind. Werte sind wie Orientierungsleitfäden, die uns sagen, was in der Gesellschaft oder in einem bestimmten sozialen Umfeld als erstrebenswert gilt und was nicht. Nicht jede Person hat ihre eigene Wertelandkarte explizit verfügbar oder bewusst abrufbar, daher bedarf es hier bereits tiefergehender Reflexionsarbeit, um die eigenen, handlungsrelevanten Werte und Wertekonflikte zu identifizieren.

Noch unbewusster ist uns die Ebene unserer Gefühle und des eigenen Schattens. Der Schatten umfasst nach dem Schweizer Psychiater C. G. Jung alle Persönlichkeitsanteile, die verdrängt oder verleugnet wurden, weil sie einem bestimmten Selbstbild von uns entgegenstehen, uns unliebsam erscheinen oder sozial unerwünscht sind.39 Auf dieser Ebene inbegriffen sind auch alle Gefühle wie Ängste, Trauer oder Wut und all unsere negativen Glaubenssätze (»Ich bin wertlos«, »Ich bin nicht gut genug« etc.), die wir nicht haben wollen und daher in unser Unterbewusstsein verfrachtet haben.

Wenn wir nun beginnen, auf persönlicher Ebene »Schattenarbeit« zu leisten, werden wir lernen, unsere eigenen Wunden und Glaubenssätze zu transformieren, und setzen so ein tiefgreifendes Heilungspotenzial für uns und den Planeten frei. Du wirst noch staunen, wenn wir dir im dritten Teil unseres Buchs die Wirkung des tiefenpsychologischen Schattens auf die Nachhaltigkeit vor Augen führen.

Zu guter Letzt treffen wir am Urgrund des Eisbergmodells auf die spirituelle Ebene, die sich mit Ausnahme einiger sehr wacher Menschen tief im Unbewussten versteckt. Sie stellt den größten Hebel für die Nachhaltigkeit dar, da alle darüberliegenden Ebenen auf ihr fußen. Hier liegen alle Grundannahmen über das Leben, über die wir nicht einmal mehr nachdenken, weil sie uns so selbstverständlich vorkommen. Zum Beispiel, dass der Mensch die Krone der Schöpfung sei oder dass wir voneinander getrennte »Fleischklöpschen« seien, die ohne Sinn und Zweck auf der Erde »herumstrawanzen«.

Letztlich lassen sich – und das werden wir noch ausführlich erläutern – viele unserer ökologischen Probleme auf eine spirituelle Krise des Menschen zurückführen. Der Mensch hat vergessen, wer er in Wahrheit ist, wie viel Kraft und Lebendigkeit durch seine Adern fließt, welche Träume in ihm schlummern und wie viel Liebe er eigentlich zu verschenken hat.

Das Loslösen aus überholten Weltbildern, das Erlangen von innerer Freiheit und das tiefe Empfinden von Verbundenheit ist also etwas, woran wir arbeiten können und müssen, wenn wir eine nachhaltige und zukunftsfähige Welt erschaffen wollen. Gleichzeitig aber ist genau das auch ein Prozess der Gnade, der meist viel Zeit verlangt und den wir nur bedingt aktiv beeinflussen können. Mit diesem Paradoxon müssen wir wohl oder übel leben. Was wir aber auf alle Fälle tun können, ist ein erhöhtes Bewusstsein dafür zu entwickeln, wer wir sind, was wir können, was wir erschaffen wollen und wie wir mit unserer Natur und Umwelt in Verbindung stehen. Und allein damit ist schon sehr viel gewonnen.

In den folgenden Abschnitten möchten wir anhand des Eisbergmodells erörtern, wie eine gesellschaftliche Verwandlung in Richtung Nachhaltigkeit aussehen könnte. Und auch wenn dieser Wandel viel gemeinschaftliches Engagement im Außen benötigt, so wollen wir in diesem Buch vor allem auf die innere und individuelle Ebene eingehen und den erforderlichen Transformationsprozess von hier aus betrachten.

Wir werden, von oben beginnend, den Eisberg Schritt für Schritt nach unten wandern und auf jeder Ebene die Frage stellen, wie wir die erlangten Erkenntnisse über die »inneren Verhinderer« positiv und zukunftsweisend nutzen können. Das wird uns helfen, den Pfad des Problemdenkens zu verlassen und eine neue, lösungsorientierte und visionäre Perspektive einzunehmen.

Jeder der drei tiefer liegenden Ebenen – Werte, Gefühle und Weltbilder – ist nachfolgend ein eigener Buchteil gewidmet. In jedem Teil beschreiben wir neben den hinderlichen Faktoren auch immer Schlüssel und Methoden, durch die wir zu mehr Bewusstheit und Achtsamkeit für uns selbst und für unsere Mitwelt gelangen können.

Zudem zeigen wir, wie wir jene inneren Kernkompetenzen erreichen können, die wir für die Gestaltung einer lebenswerten Zukunft brauchen:

 Ein aufgeklärtes Wertebewusstsein

 Emotionale Kompetenz

 Ein neues Weltbild der Verbundenheit

Natürlich haben diese Kernkompetenzen keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Unser Hauptanliegen ist die Beschreibung eines bewussten, reifen und zukunftsfähigen Menschen, der es vermag, das 21. Jahrhundert mit Liebe und Verantwortung zum besten Wohle aller mitzugestalten. Diese Beschreibung kann von dir beliebig ergänzt und weitergedacht werden. Du darfst, nein, SOLLST sogar all unsere Ideen prüfen und kritisch hinterfragen, denn dies zählt zu den wichtigsten Eigenschaften jeder wachen Person.

Da sich das vorangegangene Kapitel bereits mit der Verhaltensebene beschäftigt hat, wollen wir nun weiter abtauchen ins Unbewusste, immer tiefer und tiefer, bis an die Wurzeln unserer Existenz. Am tiefsten Punkt werden wir schließlich erkennen, was die Transformation unseres Bewusstseins tatsächlich für die Erhaltung des Planeten bedeutet und welche Schätze wir für unser Leben daraus mitnehmen können. In diesem Sinn wünschen wir dir viele gute Erkenntnisse, spannende Denkprozesse, inspirierende Gefühle und eine angenehme Reise – nach innen!

TEIL II

3. Werte als Richtungsweiser

Der österreichische Neurologe und Psychiater Viktor Frankl meinte einmal, dass man Werte nicht lehren, sondern nur vorleben könne. Da wir diese Einstellung grundsätzlich teilen, hat es uns auch viel Zeit und Muße abverlangt, all unsere Gedanken, Erfahrungen und wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Thema Werte in passende Texte zu packen. Wir hoffen, dir damit ein paar interessante Einsichten vermitteln zu können und dich darin zu bestärken, mit gutem Beispiel voranzugehen und zukunftsfähige Werte nach außen hin vorzuleben.

Warum wir Werte überhaupt betrachten müssen, zeigt uns etwa der sogenannte »Knowledge-Action-Gap«. Er beschreibt die häufig vorhandene Kluft zwischen Wissen und Verhalten, die wir schon beim inneren Schweinehund beobachten konnten. Wir wissen zum Beispiel, dass Fernreisen via Flugzeug klimaschädliche Gase in die Atmosphäre blasen, dennoch lassen wir uns zu gerne die südliche Sonne auf den Bauch scheinen. Wir wissen, wie unwürdig die Lebensbedingungen von Tieren in der Massentierhaltung sind, aber auf unser Schnitzel wollen wir nicht verzichten. Wir wissen auch, dass Textilarbeiter in Bangladesch nicht gerade in einem fairen, sicheren oder gesunden Arbeitsumfeld beschäftigt sind, dennoch ist das neue T-Shirt einfach zu toll, um nicht zuzugreifen.

Hand aufs Herz: Wie oft hast du schon etwas gemacht, von dem du wusstest, dass es dir oder anderen womöglich Schaden zufügt? Eben! Diese Dinge passieren einfach, und irgendwann geht es uns allen mal so. Doch was lenkt uns da?

Um diese Frage zu beantworten, sollten wir einen Blick auf all die inneren Werte werfen, die unseren Handlungen zugrunde liegen. Sie beeinflussen unser Verhalten, auch wenn uns das nicht immer bewusst ist. Gerade bei komplexen Problemstellungen, wo der Verstand allein nicht mehr ausreicht, um eine geeignete Entscheidung zu treffen und eine entsprechende Handlung zu setzen, wird fehlendes Wissen häufig durch Werte ersetzt. Dies passiert umso stärker, je unübersichtlicher die Situation ist.40 Im Alltag lenken oftmals Routinen, Reflexe, Triebe, Automatismen oder die Ratio unser Verhalten. Bei komplexen Entscheidungen oder Konflikten hingegen sind es die Werte, die uns als Richtungsweiser oder Handlungsmotivatoren dienen.

 

Gerade soziale und ökologische Probleme fallen in diese Kategorie. Sie sind hochkomplex, mit zahlreichen Wertekonflikten behaftet und mit anderen gesellschaftlichen Bereichen so stark verwoben, dass es uns schwerfällt, rein rational zu einer praktischen Lösung zu gelangen.

In unserer globalisierten und vernetzten Welt ist alles mit allem verzahnt und der soziale und technologische Wandel beschleunigt sich ständig. Dadurch wird es für uns Bürger zunehmend schwieriger, sachlich zu beurteilen, wie sich eine bestimmte Maßnahme im persönlichen Alltag auf die Umwelt auswirkt oder welche Alternative einer anderen vorzuziehen ist. In solchen Fällen wird Handeln nur noch auf Basis von Wertentscheidungen realisierbar und der Mensch als rational handelndes Wesen wird dann schnell zur Fiktion.

Aber was sind Werte eigentlich konkret, wie funktionieren sie und auf welche Weise beeinflussen sie unser Verhalten?

Es ist wahrlich keine leichte Aufgabe, auf diese Fragen passende Antworten zu finden. Rein wissenschaftlich gesehen befassen sich die unterschiedlichsten Disziplinen mit der Werteforschung, wie zum Beispiel die Philosophie, die Soziologie, die Psychologie, die Ökonomie und sogar die Naturwissenschaften. Die Soziologie etwa untersucht die Bedeutung von Werten für die Gesellschaft als Ganzes, die Psychologie hingegen für das einzelne Individuum. Allein schon deshalb können die verschiedenen Theorien auch einmal auseinanderklaffen.

Trotz der Fülle an Disziplinen, Studien und Hypothesen haben wir versucht, die für uns wesentlichen Aussagen und Essenzen zusammenzufassen und mit unseren eigenen Erfahrungen verständlich aufzubereiten. Auf den nächsten Seiten wirst du also erfahren, was Werte konkret sind, wie sie auf unser Umwelt- und Sozialverhalten wirken und welche speziellen Werthaltungen eine zukunftsfähige Entwicklung behindern wie auch fördern können.

3.1 Wie Werte unser Verhalten beeinflussen

In den gängigen Definitionen werden Werte als »Vorstellungen vom Wünschenswerten« bezeichnet. Sie dienen uns als Beurteilungskriterien oder Maßstäbe, mit denen wir Dinge, Menschen oder Handlungen entweder positiv oder negativ bewerten können. Wenn also zum Beispiel in einer Bevölkerungsgruppe der Wert »Leistung« sehr hochgehalten wird, dann werden alle Handlungen, die auf Leistungsbereitschaft und Ehrgeiz basieren, für gut befunden. Und alle »Faulsäcke« für schlecht.

Wir legen also mithilfe unserer Wertestandards fest, was wir als erstrebenswert erachten, moralisch oder ethisch für gut befinden und wie wünschenswerte Endzustände und Verhaltensweisen unserer Ansicht nach auszusehen haben. Wenn wir etwas positiv bewerten, dann führt dies dazu, dass wir diese Werte erreichen wollen, während negativ beurteilte Werte abgelehnt werden. Darüber hinaus fühlen wir uns gut und belohnt, wenn wir in Übereinstimmung mit unseren Werten handeln.41 Das verdeutlicht, wie sehr Werte die Auswahl und Beurteilung unserer Verhaltensweisen und der Verhaltensalternativen beeinflussen können. Sie bilden gewissermaßen die Identität einer Gesellschaft, weil sie das Handeln und auch das Denken der Gesellschaftsangehörigen systematisch regeln und lenken.42

Ob und inwiefern Werte die Beziehung des Menschen zu seiner natürlichen Umwelt beeinflussen, wird etwa in der Umweltpsychologie, der Sozialpsychologie oder auch in der Anthropologie und Philosophie seit mindestens drei Jahrzehnten umfassend untersucht und diskutiert. Als gemeinsames Ergebnis lässt sich ableiten, dass neben anderen Faktoren, wie Bildung oder Verhaltensanreizen, auch unsere Werte einen wichtigen Einflussfaktor auf unser Umwelt- und Sozialverhalten darstellen.

Werte sind vor allem für die Suche und das Verarbeiten von Informationen relevant, denn sie bestimmen, welche Informationen wir bevorzugen oder wie wir Erfolg und Nutzen bewerten. Sie wirken auch auf die Stetigkeit und Regelhaftigkeit unseres Verhaltens. Also zum Beispiel, wie lange oder mit welchem Engagement wir eine bestimmte Aktivität oder eine Sache verfolgen. Zu guter Letzt sind sie auch bei der Entscheidungsfindung ein wichtiger Faktor und beeinflussen etwa die Wahrscheinlichkeit, mit der wir umweltfreundliche Entscheidungen den anderen vorziehen.43

Stell dir als Beispiel eine Person vor, die seit zehn Jahren mit dem Auto zur Arbeit fährt. Neulich hat sie von den ständig steigenden CO2-Emissionen gehört und dass der Verkehr einen wesentlichen Beitrag dazu leistet. Jetzt steht diese Person vor der Entscheidung, ob sie weiterhin mit dem Auto zur Arbeit fahren oder auf Alternativen umsteigen soll. Laut dem US-amerikanischen Soziologen Talcott Parsons kommen bei dieser Entscheidung drei wesentliche Aspekte ins Spiel:44

 Der kognitive Aspekt lässt uns mögliche Alternativen wahrnehmen, hier zum Beispiel den Bus, das Fahrrad oder die Mitfahrt bei einem Kollegen oder einer Kollegin, die in der Nähe wohnen.

 Der kathektischec Aspekt erlaubt es uns, mögliche Alternativen im Hinblick auf individuelle Wünsche und Bedürfnisse abzuschätzen. In unserem Beispiel wären dies Fragen über passende Busintervalle, die Dauer der Busfahrt, die Geografie und Lage der Fahrradstrecke oder auch die Beziehung zum Arbeitskollegen bzw. zur Arbeitskollegin.

 Mit dem evaluativen Aspekt werden die Alternativen schließlich aufgrund von Wertestandards abgewogen und beurteilt. So könnte sich die Person etwa gegen den Bus entscheiden, weil ihr der Wert Pünktlichkeit sehr wichtig ist und sie diesen Wert mit der Variante »Bus« womöglich nicht einhalten könnte. Sie könnte sich aber auch für den Bus entscheiden, weil ihr der Wert Sparsamkeit viel bedeutet und das Busticket günstiger kommt als der Treibstoff für das Auto. Die Person könnte sich für das Fahrrad entscheiden, wenn sie Aktivität schätzt und gern etwas für ihren Körper tut. Wenn ihr aber gutes Auftreten wichtig ist und sie vielleicht nicht verschwitzt zur Arbeit kommen will, dann ist das Fahrrad tabu. Ebenso wird sie die Mitfahrgelegenheit entsprechend ihrem Grad an Sympathie, ihrer Offenheit für Neues oder ihrem Sinn für Gemeinschaft beurteilen.

Natürlich könnte man nun argumentieren, dass dieser Entscheidungsprozess grundsätzlich davon abhängt, ob es überhaupt die besagten Alternativen wie Bus, Bahn oder sichere Fahrradwege gibt. Strukturelle Einschränkungen, wie etwa ein fehlendes öffentliches Verkehrsnetz, werden wahrscheinlich dazu führen, dass unsere Person ihr Auto verwendet, obwohl ihr der Klimaschutz eigentlich viel wert wäre. Nichtsdestotrotz spielen immer auch innere Parameter eine Rolle. Denn selbst in flachen Gegenden mit gutem Verkehrsnetz nehmen viele Leute nach wie vor das Auto – ein strukturelles Problem kann also ausgeschlossen werden.

Darüber hinaus müssen wir uns die provokante Frage stellen, ob nicht die strukturellen Einschränkungen an sich schon einen Spiegel unserer herrschenden Werte darstellen. Bringt denn nicht das Fehlen des öffentlichen Verkehrsnetzes die Prioritätensetzung der Politik und in weiterer Folge die Werte der Wählerschaft zum Ausdruck? Zeigen uns die schmalen und teils gefährlichen Fahrradstreifen auf unseren Straßen nicht auch, dass das kräftige Auto einfach höher bewertet wird als das gesunde, umweltfreundliche Fahrrad? Sind also äußere Beschränkungen nicht gleichzeitig auch wieder ein Hinweis für unsere inneren Wertehaltungen? Wir glauben schon!

Ein bisschen Forschung gefällig?

Egal wie man es auch drehen und wenden mag, unsere Werte wirken auf unsere Handlungen ein und sind somit mitverantwortlich für unser gesellschaftliches Verhalten. Eine spannende Studie dazu liefern Tom Crompton und seine Kollegen in ihrem Bericht »Common Cause – The Case for Working With Our Cultural Values« aus dem Jahr 2010.45 Darin erörtern sie den Zusammenhang zwischen gewissen Werthaltungen auf der einen und bestimmten Verhaltensweisen auf der anderen Seite. In Anlehnung an den weltweit anerkannten Wertekreis von Schwartz46 mit seinen zehn universellen Werten differenzieren sie unterschiedliche Kategorien. Auf der einen Achse finden wir selbsttranszendierende (über das eigene Ego hinausgehende) und selbstbezogene Werte, auf der anderen Achse wandlungsoffene und konservierende Werte.


Abb. 3: Wertekreis nach Shalom Schwartz47

Laut den Studienergebnissen zeigen Menschen mit starker Orientierung an selbsttranszendierenden und wandlungsoffenen Werten eine höhere Sensibilität für globale Probleme als andere Gruppen. Weiterhin sind sie eher bereit, diesen Problemen konstruktiv zu begegnen, sei es über eine Veränderung des persönlichen Verhaltens oder durch Einmischung in den gesellschaftspolitischen Diskurs.

Einer der für förderlich befundenen Werte ist beispielsweise »Universalismus«, definiert als Verständnis, Wertschätzung, Toleranz und Schutz für das Wohl aller Menschen und der Natur. Ein zweiter, sehr stark mit nachhaltigem Verhalten einhergehender Wert ist »Selbstbestimmung«, definiert als Unabhängigkeit in Gedanken und Handlungen.

Dem gegenüber steht eine Orientierung an selbstbezogenen Werten und Lebenszielen, die nachweislich mit einer geringeren Besorgnis für globale Umwelt- und Sozialprobleme einhergeht. Beispiele hierfür sind Macht, Leistung oder auch finanzieller Erfolg. Zudem steigt bei solchen Wertorientierungen die Wahrscheinlichkeit für geringere Empathie, vermehrt manipulatives Verhalten, hierarchisches Denken, stärkere Vorurteile, weniger Großzügigkeit, geringeres politisches Engagement und mehr Konkurrenzverhalten. Wie du dir sicherlich denken kannst, handelt es sich dabei um Qualitäten, die einer nachhaltigen Entwicklung nicht gerade dienlich sind.

Darüber hinaus gibt es mittlerweile einige Studien, die zeigen, dass selbsttranszendierende Werte auch mit dem persönlichen Klimaengagement in engem Zusammenhang stehen.48 In einer der ersten Publikationen, die sich explizit mit der Beziehung zwischen Werten und Überzeugungen zum Klimawandel befasste, sollte die Akzeptanz politischer Klimaschutzmaßnahmen untersucht werden. Man fand heraus, dass die Bereitschaft, politische Maßnahmen zu akzeptieren, positiv mit selbsttranszendierenden Werten zusammenhing. Außerdem zeigten nachfolgende Untersuchungen, dass jene Menschen, die biosphärisched und altruistische Werte vertraten, eher Bedenken hinsichtlich der Risiken und Folgen des Klimawandels hatten und weniger skeptisch waren gegenüber der Schwere des Problems als Menschen mit egozentrischen Werten.

Andere Studien wiederum untersuchten den Einfluss von extrinsischen und intrinsischen Werten auf das individuelle Verhalten. Zur Erklärung: Als intrinsisch werden jene Werte bezeichnet, welche die angeborenen, psychologischen Bedürfnisse direkt befriedigen und eher nicht von materieller Natur sind, während extrinsische Werte kompensatorisch eingesetzt werden, meist mit materiellen Gütern in Verbindung stehen und nicht per se befriedigend wirken.49

Beispiele für intrinsische Werte sind etwa persönliches Wachstum, emotionale Beziehungen oder das Gemeinschaftsgefühl. Extrinsische Werte gehen in Richtung Image, Status oder finanzieller Erfolg. Sieht man sich die Studienergebnisse an, so zeigen diese quer durch die Bank, dass intrinsische Wertorientierungen nicht nur mit höherem Wohlbefinden, sondern auch mit einer höheren sozialen und ökologischen Verantwortung gekoppelt sind, während sich Menschen mit extrinsischen Werthaltungen weniger umweltfreundlich verhalten.

So stellte man etwa bei einer Untersuchung mit knapp tausend Universitätsstudenten aus sechs Nationen fest, dass Studierende mit hohen Werten bezüglich Macht und Leistung andere Menschen eher als Konsumenten und nicht als Teil der Natur betrachteten.50 Diese Studierenden hatten auch viel weniger Sorgen angesichts der Tatsache, dass sich Umweltschäden negativ auf Mitmenschen, Kinder, künftige Generationen oder nicht-menschliches Leben auswirken.

 

Natürlich lassen sich solche Effekte nicht nur individuell, sondern auch auf der Ebene ganzer Nationen beobachten. So fand im Jahr 2011 eine Untersuchung statt, wie sich unsere kulturellen Werte auf das Wohlbefinden künftiger Generationen auswirken.51 Bei den zwanzig reichsten Nationen unseres Planeten wurde etwa festgestellt, dass jene Länder, die Harmonie und Miteinander als gesellschaftliche Werte verfolgten, pro Kopf weniger CO2 emittierten als Länder, die Wohlstand, Leistung und Status eine höhere Priorität einräumten. Die Harmonie-orientierten Länder wiesen auch ein größeres Wohlbefinden bei den Kindern auf, die nationalen Gesetze zum Mutterschaftsurlaub waren großzügiger gestaltet und es gab weniger an Kinder gerichtete Werbung. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen!

Zusammenfassend ist es aus Sicht der Forschung also unbestritten, dass es gewisse Werte gibt, die ein sozial- und umweltrelevantes Verhalten stärker begünstigen, als andere Werte dies tun. Deshalb ist es auch so wichtig, die innere Dimension der Werte in all den Debatten rund um die Nachhaltigkeit genauso zu berücksichtigen wie soziale, ökologische, ökonomische oder technische Fragestellungen.