Innen wachsen – außen wirken

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Welche Zukunft wollen wir denn? Wie wollen wir leben und wer wollen wir sein?

Diese Fragen muss sich jeder Mensch selbst stellen. Denn eine kollektive Vision kann nur dann Wirklichkeit werden, wenn sie von vielen einzelnen Individuen getragen wird.

Darum fragen wir dich heute: Welche Zukunft erträumst du dir? Welche Zukunftsbilder nährst du mit deinen Gedanken, Worten und Handlungen? Welche Realität erschaffst du für dich und damit für uns alle?

Viel zu oft glauben wir, dass es nicht wichtig sei, wie wir über die Zukunft denken. Doch das ist weit gefehlt! Denn so, wie wir unser eigenes Leben wählen und gestalten können, so gestalten wir zugleich auch den kollektiven Lauf der Dinge mit.

Vielleicht wärst du ja lieber klein und unbedeutend. Vielleicht würdest du am liebsten keine Verantwortung tragen. Vielleicht gefällt es dir zu hören, dass zuallererst einmal die anderen etwas unternehmen sollten.

Tja, tut uns leid, dich hier enttäuschen zu müssen. Denn wir sagen dir hier und jetzt: Du bist wichtig, du spielst eine Rolle, du bist ein Teil im Netz des Lebens und hast eine riesige Wirkung auf das, was rund um dich passiert.

Alles auf dieser Erde ist miteinander verbunden. Wir alle sitzen im selben Boot. Wir alle sind Mitgestalter des Lebens und der Zukunft. Darum fühl dich ermutigt und berufen, neue Bilder über UNSERE Zukunft zu malen. Neue Träume zu träumen. Neue Wege zu denken und neue Möglichkeiten für möglich zu halten.

Visionen schenken uns Kraft, Sinn, Orientierung und Motivation. Wie also soll deine Zukunft aussehen? Wie sieht dein Bild einer lebenswerten Welt aus und wie möchtest du die Transformation dahin unterstützen? Für eine lebenswerte Zukunft brauchen wir deine Visionen, deine Gedanken, deine Liebe und – vor allem – deinen Einsatz. Wie sagte es Friedensreich Hundertwasser einmal so schön:

»Wenn einer allein träumt, ist es nur ein Traum.

Wenn viele gemeinsam träumen, ist es der Anfang einer

neuen Wirklichkeit.«

a Deklaration grundlegender ethischer Prinzipien für eine nachhaltige globale Entwicklung.

b Gemeinsames Forschungsprojekt des Umweltbundesamtes und der Universität für Bodenkultur Wien, gefördert vom österreichischen Klima- und Energiefonds.

2. Warum wir den Blick nach innen richten müssen

Wir haben heute die Technik als auch die Ressourcen, die Vision einer nachhaltigen Welt zu verwirklichen. Theoretisch ist es möglich, alle Menschen mit ausreichend Nahrung zu versorgen und die dabei entstehenden Umweltauswirkungen sogar noch zu verringern.32 Wir haben mit der Digitalisierung fast unbegrenzte Möglichkeiten, um in einen globalen Dialog zu treten und eine neue, humane Weltordnung zu erschaffen.

Überall auf diesem Planeten gibt es mittlerweile hervorragende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die uns die Zusammenhänge der Welt verständlich machen und uns auf Basis der Vernunft zeigen können, welche Wege gesund und welche gefährlich sind. Nicht zuletzt gibt es Tausende und Abertausende von aktiven Pionieren in allen Bereichen der Gesellschaft, die neue Lebensstile leben, alternative Modelle ausprobieren und sich beherzt für einen neuen Umgang mit Mensch und Natur einsetzen. Es mangelt uns also nicht an Ressourcen, Wissen, Technik oder Kreativität, um eine neue Welt zu erschaffen.

Was ist es aber dann? Was hindert uns daran, eine soziale, naturbewusste und zukunftsfähige Gesellschaft aufzubauen? Was hält uns davon ab, ganzheitlich zu handeln und uns nach vorn blickend auszurichten? Welche Kräfte sind hier am Werk, die uns wider besseres Wissen am Status quo festhalten lassen? Tausende Forscher haben sich darüber bereits den Kopf zerbrochen. Die einen meinen, es läge am langweiligen Charakter von Daten und Fakten und dass man diese einladend, spannend und kreativ aufbereiten müsse, um die Leute für ein Umdenken zu begeistern. Andere wiederum sind der Meinung, dass unsere Medienlandschaft zu viel über Probleme berichtet, anstatt Lösungen anzubieten. Und dann gibt es noch jene, die meinen, fehlende beziehungsweise überteuerte Alternativen seien schuld und dass zuerst Politik und Wirtschaft leistbare Angebote und Rahmenbedingungen schaffen müssten, bevor Menschen bereit für einen Wandel seien.

Vieles davon ist sicherlich wahr und auch richtig. Dass äußere Barrieren – wie fehlender politischer Wille, ökonomische Zwänge, mangelnde Verhaltensangebote und andere systemische Hindernisse – der Nachhaltigkeit entgegenstehen, ist unumstritten. Sie sind weithin bekannt und werden seit vielen Jahrzehnten umfassend diskutiert.

Was aber, wenn es auf dem Weg zur Zukunftsfähigkeit noch weit mehr Verhinderer gibt, die wir bislang vollkommen außer Acht gelassen haben? Verhinderer, die unterhalb der Grenze der offensichtlichen Wahrnehmbarkeit ihr Unwesen treiben? Was, wenn es eine andere Dimension der Wirklichkeit gibt, die wir bisher gar nicht zu konfrontieren gewagt haben?

Es ist doch so: Die ganze Aufmerksamkeit liegt immer darauf, was wir im Außen verändern, reparieren oder erfinden müssen, damit wir als Gesellschaft einen nachhaltigen Weg einschlagen können. Was aber wäre, wenn es auch einen inneren Weg der Nachhaltigkeit gibt? Und was, wenn dieser innere Weg das fehlende Bindeglied zur »Rettung der Welt« ist? Vielleicht ist die Erkenntnis, die uns bislang fehlte, jene, den Blick auf die Ursachen statt auf die Symptome zu richten.

Derzeit erleben wir die Symptome in Form von Klimawandel, Artensterben oder Waldrodung und versuchen sie mit zahlreichen äußeren Mitteln zu bekämpfen oder zumindest zurückzudrängen. Womöglich wäre es ein viel zielgenauerer Weg, sich den tiefer liegenden Ursachen dieser Symptome zu widmen. Und diese finden sich nicht nur in der äußeren Welt, sondern vor allem in uns selbst.

2.1 Über den Wert innerer Reife

»Früher dachte ich, die größten Umweltprobleme seien der

Verlust der biologischen Vielfalt, der Zusammenbruch der

Ökosysteme und der Klimawandel. Ich dachte, dass wir mit

30 Jahren guter Wissenschaft diese Probleme angehen könnten.

Aber ich habe mich getäuscht. Die größten Umweltprobleme sind

Egoismus, Gier und Gleichgültigkeit. Um damit aber umzugehen,

brauchen wir eine spirituelle und kulturelle Transformation.

Und wir Wissenschaftler wissen nicht, wie das geht.«

Nach weit über zehn aktiven Jahren im Nachhaltigkeitsbereich möchten wir diese Aussage des amerikanischen Umweltanwalts James Gustave Speth voll und ganz unterstreichen. Gerade in Hinblick auf Umweltschutz und Nachhaltigkeit waren die meisten aktiv Beteiligten stets davon überzeugt, mit »End-of-Pipe«-Technologien oder ausreichend Wissensgenerierung schon irgendwie die Kurve zu kratzen. Ein paar mehr Umweltgesetze hier, ein paar neue Innovationen da und dazu noch ein etwas besseres Marketing, und alles würde sich zum Guten wenden.

Innere Mechanismen, die in jedem Einzelnen und damit auch kollektiv in unserer Gesellschaft wirken, wurden hingegen vollkommen außer Acht gelassen. Diese Mechanismen sind zum Beispiel tief verinnerlichte Werthaltungen wie Hedonismus, Gewinnstreben oder Konkurrenz, die uns trotz aller Kritik nach wie vor am Kapitalismus festhalten lassen; es sind unbewusste Ängste, wie etwa die Angst vor Veränderung oder die Angst vor Mangel, die unsere umweltschädigenden Muster prägen; es sind unreflektierte Projektionen, die uns in Schuldzuweisungen verharren lassen, statt gemeinsam an Lösungen zu arbeiten; es ist der Egoismus in uns, der sich aus der Verantwortung stiehlt; es sind ein gefrorenes Herz und die emotionale Gleichgültigkeit, die uns blind machen für die Nöte der Welt.

Des Weiteren ist es die fälschliche Überzeugung, dass wir die Krone der Schöpfung sind, was unseren Raubzug auf diesem Planeten moralisch überhaupt erst vertretbar macht. Und es ist der Verlust einer sinnstiftenden Spiritualität, der Verlust der Verbundenheit mit uns selbst und der Welt, der uns dazu veranlasst, unser Glück im Außen statt im Innen zu suchen. Eine Suche, bei der wir jedoch niemals echte Befriedigung finden werden.

Diese drei Dimensionen – Werte, Gefühle und Weltbilder – sind innere Dimensionen, die keine Politik der Welt und keine technologische Erfindung allein je tangieren könnten. Denn sie liegen der äußeren Welt zugrunde und bilden das unsichtbare Fundament, auf dem politische, wirtschaftliche und soziale Systeme gebaut und gestaltet werden. Unsere äußere Welt ist ein Produkt unserer Innenwelt. Wir werden sie nicht ändern, bevor wir uns nicht selbst geändert haben!

Und genau deshalb können wir so viel gewinnen, wenn wir beginnen, den Blick nach innen zu richten. Wir können dabei einen Schlüssel finden, der uns weit mehr Türen öffnet und weit nachhaltiger wirkt, als es äußere Reparaturmaßnahmen alleine je vermögen. Und wir können darüber hinaus für uns selbst einen Weg finden, um ein erfülltes Leben im Einklang mit uns selbst, den Mitmenschen und der Natur zu führen.

Wie innen, so außen!

Die innere Verfassung bestimmt, wie du mit der Welt in Verbindung trittst und wie du dich darin verhältst. Es ist ja im persönlichen Leben nichts anderes: Wenn du dich schlecht fühlst, bist du vermutlich nicht so freundlich wie sonst. Vielleicht siehst du generell alles etwas pessimistischer und fühlst dich auch schneller angegriffen. Hast du hingegen richtig gute Laune, wirst du viel eher strahlen. Du wirst den Fokus auf die schönen Dinge legen und sehr wahrscheinlich anderen gegenüber offen und freundlich sein.

 

So ähnlich verhält sich das auch im großen Maßstab. Wenn unser kollektiver Geist oder die »Seele der Gesellschaft« nicht heil sind, wenn wir unser Weltbild im Kern auf Macht, Kampf und Ausbeutung aufbauen, dann wirken wir auch nach außen hin destruktiv. Dann können wir natürlich auch in den äußeren Lebensbereichen keine heilvolle und regenerative Welt erwarten. Solange wir in alten, zerstörerischen Denkmustern stecken, wird kein Wandel in Richtung einer nachhaltigen Gesellschaft möglich sein!

Wenn wir eine zukunftsfähige, lebensbejahende Welt erschaffen wollen, dann müssen wir uns auch persönlich verändern und zuerst einmal in uns selbst die Voraussetzungen dafür schaffen. Das klingt nicht nur logisch, das ist auch logisch! Doch leider scheinen dies nur sehr wenige Menschen zu berücksichtigen.

Kaum jemand kümmert sich wirklich um die Stärkung persönlicher Qualitäten, den Aufbau von seelischer Reife oder ein innerliches Wachstum. Die wenigsten Menschen hinterfragen ihr eigenes Sein. Noch dazu, wenn es um ein scheinbar so »äußerliches« Thema wie nachhaltige Entwicklung geht. Doch gerade hier hat die Nachhaltigkeit ihren blinden Fleck und somit auch ihr größtes Potenzial für einen Wandel. Aus unserer Sicht bedarf es also eines großen Bewusstseinswandels. Denn noch einmal: Innen und Außen gehören zusammen. Das war schon immer so und wird auch immer so bleiben.

Innere Reifung und innere Erkenntnis gehen der äußeren Veränderung voraus. Wie oft waren es die großen, unbeantworteten Fragen unseres Lebens, die wir tagein, tagaus wälzen mussten, bevor wir uns zu neuen und mutigen Schritten in unserem Leben durchringen konnten? Wie oft mussten wir nach einem Streit zuerst mit uns selbst ins Reine kommen, bevor wir zum Verzeihen bereit waren? Wie oft sind wir in einer Sache immer wieder gegen die Wand gelaufen, bevor wir erkannten, dass es ein inneres Umdenken braucht?

Wenn die Innenschau im Leben des Einzelnen schon so einen Unterschied macht, dann denk doch einmal daran, was innere Reife für die Gesellschaft als Ganzes bedeuten würde! Stell dir einfach mal vor, wie viel mehr Zusammenhalt und Kooperation wir erreichen könnten, wenn mehr Menschen wieder Zugang zu ihrem eigenen Herzen finden.

Wie viel mehr Frieden es in der Welt geben würde, wenn mehr Menschen Frieden in sich selbst finden! Wie viel bewusster wir mit den Ressourcen unserer Erde umgehen würden, wenn mehr Menschen erkennen, dass wahres Glück nicht in materiellen Dingen zu finden ist. Wie viel mehr Sorge wir für andere und unseren Planeten tragen würden, wenn Liebe und Mitgefühl anstatt des Egos unser Handeln bestimmen. Wie viel mehr Schönheit in der Welt zu finden wäre, wenn jeder Mensch sein volles Potenzial zum Strahlen bringt und sein Umfeld mit der liebevollsten Version seiner selbst beschenkt.

Wir sind überzeugt: Diese Welt ist möglich! Alles, was es braucht, ist, den Widerstand gegen die innere Dimension des Menschen fallen zu lassen. Aufzuhören, die Lösungen nur im Außen zu suchen, und stattdessen endlich damit zu beginnen, in völliger Offenheit den Blick nach innen zu richten.

Durch die aktive Innenschau und andere Formen der inneren Arbeit, die in diesem Buch vorgestellt werden, können wir eine völlig neue Sicht auf die Welt gewinnen und am eigenen Leib erfahren, was es bedeutet, ein liebender und innerlich reifer Mensch zu werden – eine wache Person, die ihr Leben im Einklang mit sich selbst, ihrer Mitwelt und der Erde führt.

Du wirst sehen, wie das unserer Erfahrung nach gelingen kann und wie wir die inneren Ressourcen im Sinn einer nachhaltigen Entwicklung am besten einsetzen können.

Doch zuerst müssen wir uns noch einigen Hindernissen stellen, die uns bislang den Weg in eine zukunftsfähige Welt versperrt haben. Denn innere Reife bedeutet nicht nur, ein glückliches und stets unbeschwertes Dasein zu feiern oder alles positiv zu sehen. Es bedeutet vor allem auch, sich seinen inneren Konditionierungen zu stellen, das scheinbar Dunkle in sich zu umarmen und über althergebrachte Muster hinauszuwachsen. Denn nur was uns bewusst ist, können wir auch loslassen.

Und so wollen wir in den nächsten Abschnitten des Buchs den Blick auf jene inneren, psychologischen und seelischen Faktoren werfen, die uns Menschen daran hindern, aufzuwachen und eine neue und gedeihliche Zukunft zu wählen.

2.2 Der innere Schweinehund

Zum Einstieg in die Thematik möchten wir »den inneren Schweinehund« etwas genauer unter die Lupe nehmen. Dieses kleine Fabeltierchen kennen wir alle, und weil er in unserem Inneren haust und uns von dort aus immer wieder gekonnt manipuliert, eignet er sich besonders gut als »Begleiter« für unsere ersten Schritte in Richtung mehr Bewusstheit.

So können wir uns langsam an die innere Ebene herantasten und uns an diese neue Denkweise gewöhnen, bevor wir später in die tieferen Sphären unseres Seins abtauchen. Für den Anfang gehen wir es also erst einmal sachte an.

Der innere Schweinehund bezeichnet die Trägheit gegenüber einer als richtig erkannten Handlung – oder auch die Willensschwäche, die eine Person daran hindert, ethisch gebotene oder sinnvolle Tätigkeiten auszuführen. Gerade wenn es um die ethisch gebotenen Maßnahmen im Bereich Nachhaltigkeit und Naturschutz geht, verwandelt sich der innere Schweinehund sehr schnell in ein mannigfaltiges Wesen mit zahlreichen überaus »interessanten« Eigenschaften.

Unwissen und mangelnde Urteilskraft

Zwei gewiefte Eigenschaften des inneren Schweinehunds sind seine vorgegaukelte Unwissenheit und die mangelnde Urteilsfähigkeit. Wenn wir gar nicht wissen, was die eigentlichen Probleme sind, was sie verursacht und wie wir angemessen darauf reagieren können, dann fällt uns eine richtige und lösungsorientierte Handlung natürlich schwer. Und ja, manche Menschen mögen es vielleicht wirklich nicht besser wissen.

Fraglich wird es aber dann, wenn man im Jahr 2020 einen Hausmann dabei erwischt, dass er noch immer nicht imstande ist, Plastik-, Papier- und Glasabfälle entsprechend zu trennen, und dies mit Unwissenheit begründet. Oder wenn Autokonzerne die Abgaswerte ihrer Dieselfahrzeuge per Software nach unten manipulieren, um gesetzliche Grenzwerte zu umgehen – und die Spitzen des Managements dann in den Interviews stets ihre Unwissenheit beteuern.33

Aber Vorsicht, diese vermeintliche Unwissenheit ist nicht nur bei den anderen zu finden! Vielleicht ist ja auch dir schon mal der Spruch: »Ich will es gar nicht wissen …« über die Lippen gekommen. In solch einem Fall wird man vom inneren Schweinehund gewarnt, dass dieses zusätzliche Wissen einem womöglich das Leben erschwert und man lieber unwissend bleibt. Man weiß zwar, dass »etwas nicht stimmt«, versucht aber, sich mit Unwissenheit davor zu schützen. Ob das streng genommen noch als Unwissenheit zählt, ist allerdings eine andere Frage.

Für unser zentrales Thema ist das aber ohnehin nicht wirklich relevant. Denn in unserer digitalisierten Informationsgesellschaft ist es unwahrscheinlich, über lokale wie globale Umweltprobleme nicht Bescheid zu wissen. Auch wenn der Durchschnittseuropäer den Treibhauseffekt vermutlich nicht beschreiben, die SDGs (Sustainable Development Goals) nicht aufzählen und auch die Fotosynthese nicht erklären kann, so wissen dennoch die meisten in unseren Breiten, dass wir Umweltprobleme haben und damit an ökologische Belastungsgrenzen stoßen. Irgendwie und irgendwo ist es uns allen schon mal untergekommen, dass das ein oder andere »Problemchen« vorliegt – und dass wir uns dem auch widmen sollten.

So stuften in einer repräsentativen Umfrage des deutschen Umweltbundesamts im Jahr 2019 satte 68 Prozent der Befragten den Umwelt- und Klimaschutz als sehr wichtige Herausforderung ein. Sie gaben ihm eine ähnlich hohe Bedeutung wie den beiden anderen Topthemen Bildung (65 Prozent) und soziale Gerechtigkeit (63 Prozent).34 Unter den Jugendlichen im Alter von 14 bis 22 Jahren waren es sogar 81 Prozent, die Umwelt- und Klimaschutz als sehr wichtig erachteten. Diese Zahlen zeigen recht deutlich, dass der Bevölkerung die künftigen Herausforderungen weitgehend bekannt sind und sie diese zumeist auch als wichtig erachtet.

Was somit viel stärker ins Gewicht fallen dürfte als die Unwissenheit, ist die mangelnde oder getrübte Urteilsfähigkeit, mit welcher der innere Schweinehund über den Belang eingehender Informationen entscheidet.

Jene, die die Umweltproblematik bereits erkannt und auch akzeptiert haben, urteilen gern mit dem Glauben, sie allein könnten ohnehin nichts ändern. Manch andere hingegen beruhigen sich selbst über die Leugnung des Offensichtlichen: »Wer weiß, ob das alles stimmt, was man uns erzählt? Wem kann man heutzutage noch glauben? Wer sagt, dass der Klimawandel tatsächlich menschengemacht ist? Den gab es doch schon immer, oder!?«

Der innere Schweinehund liebt es, Informationen anzuzweifeln und generell eine skeptische Grundhaltung gegenüber Veränderungen einzunehmen. Denn solch eine Skepsis schützt gleich einmal effektiv vor notwendigen, weiterführenden Überlegungen.

Die Macht der Gewohnheit

Hat es die Information trotz aller Gegenwehr doch irgendwie in unser System geschafft, so liegen die nächsten Barrieren in unseren Gewohnheiten und Routinen. Diese laufen längst wie Automatismen ab und flüstern uns ganz heimlich und leise ins Ohr: »Wir haben es immer schon so gemacht, also machen wir es auch künftig so. Warum sollten wir daran etwas ändern? Das ist doch viel zu anstrengend und bringt ja ohnehin nicht viel.«

Im Vergleich zu einem Umdenken haben die Routinen und Gewohnheiten des inneren Schweinehunds einen entscheidenden Vorteil: sie sind wahnsinnig bequem. Man muss gar nicht mehr nachdenken, wie etwas funktioniert oder wie man in dieser oder jener Situation handeln soll. Es ist in Fleisch und Blut übergegangen, und das erspart Zeit, Nerven und vielleicht sogar Geld.

Hast du eine Ahnung, wie viel Energie es eine Person kosten kann, etwas anders zu machen, als sie es von Kind auf gelernt hat? Sie muss ihre Komfortzone verlassen und sich womöglich sogar einen Fehler eingestehen, den sie jahrelang vollzogen hat. Darüber hinaus muss sie sich einer neuen Herausforderung stellen, und egal, wie groß oder wie klein diese auch sein mag, es ist und bleibt etwas, mit dem sie sich auseinandersetzen muss. Und das ist vielen von uns nicht immer lieb.

Stell dir einen Kettenraucher vor, der seit jeher seine Zigaretten mit dem Auto holt. Denkst du, es würde ihm leichtfallen, für seinen Einkauf auf das Rad umzusteigen oder gar mit dem Rauchen aufzuhören? Denk an eine begeisterte Fleischesserin, die seit Jahrzehnten täglich Wurst, Speck, Koteletts und Würstel konsumiert. Wie schwierig wäre es wohl für sie, nur noch einmal pro Woche Fleisch zu essen? Sie müsste ihr Kochverhalten komplett umstellen, sich einen Plan für die Mittagspausen machen und könnte in ihrem Stammlokal nur noch die Gemüselaibchen aus dem Tiefkühler »genießen«.

Oder denk etwa an eine deutschsprachige Familie, die seit einem Jahrzehnt mindestens einmal jährlich in den Urlaub nach Mallorca fliegt. Sie kennt jeden Winkel der Insel, hat längst ihre Lieblingsrestaurants gewählt und fühlt sich wie daheim. Die Kinder haben sogar schon Freunde gefunden und sprechen ein paar Worte Spanisch. Es fiele dieser Familie bestimmt alles andere als leicht, auf einmal mit dem Zug an die Nordsee zu fahren und dort Urlaub zu machen. Was für ein Aufwand, die Zugverbindungen zu recherchieren, sich mit einer neuen Region vertraut zu machen und sich auf unbekannte Wetterverhältnisse einstellen zu müssen. Das alles ist kein leichtes Unterfangen, denn der innere Schweinehund liebt Gewohnheiten und ändert nur ungern seine vertrauten Routinen. »Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht«, diese alte Volksweisheit trägt viel Wahres in sich und beschreibt die Liebe zu unseren Gewohnheiten nur zu gut.

Ausreden für den Selbstwert

Was also tun, wenn man weiß, dass man etwas ändern sollte, sich aber einfach nicht dazu durchringen kann? Richtig, man findet Rechtfertigungen und wird in Sachen Ausreden so richtig kreativ und erfinderisch! Denn wenn nicht, wird die innerlich wahrgenommene Widersprüchlichkeit zwischen Wissen, Werten und Handlungen irgendwann unerträglich.

 

Dieses als »kognitive Dissonanz« bezeichnete Phänomen führt sehr schnell zu inneren Spannungen, die wir möglichst rasch überwinden wollen. In solchen Fällen sind also Ausreden, Scheinlösungen und hausgemachte Illusionen das Mittel der Wahl für unseren inneren Schweinehund. Typische Sager sind etwa:

 »Ach was, es ist doch alles gar nicht so schlimm, wie es aussieht.«

 »Die Politiker sind es, die handeln müssen!«

 »Es ist mir viel zu teuer, Biomilch zu kaufen.«

 »Wieso soll ich mich einschränken, ich zahl schon genug Steuern für den Sozialstaat.«

 »Jetzt habe ich so viel Geld in das neue Auto investiert, jetzt möchte ich es auch ordentlich nutzen.«

 »Was kann ich allein denn schon groß verändern? Mein eigenes Verhalten spielt doch ohnehin keine Rolle.«

Wir reden das Problem klein, ziehen uns aus der Verantwortung und stellen andere oder auch uns selbst einfach als unfähig dar. Die Psychologie nennt dieses Phänomen »Self-Serving Denials«, also Selbstschutz-Behauptungen oder selbstwertdienliche Ausreden. Nehmen wir als Beispiel ein gescheitertes Unternehmen her. Im Konkursfall argumentieren die Eigentümer gern, dass das Management wohl versagt haben müsse. Das Management selbst ortet die Gründe bei der Konkurrenz, den Zulieferern oder der Belegschaft, während die Mitarbeiter wiederum dazu tendieren, dem Management und der Aktionärsversammlung die Schuld in die Schuhe zu schieben. Und sieht man noch etwas genauer hin, wird man auch welche finden, die den Konkurs ohnehin schon immer vorausgesehen haben und nun froh sind, sich endlich was Neues suchen zu können. So finden alle Beteiligten die passende Ausrede, um durch das Scheitern nicht am eigenen Selbstwert zweifeln zu müssen. Das ist wirklich eine grandiose Strategie, um sich selbst auszutricksen, sich wieder besser zu fühlen und letztlich auch nichts an sich selbst verändern zu müssen!

Alibi-Aktionen für das gute Gewissen

Eine andere Strategie, um sich und sein Verhalten nicht ändern zu müssen, sind die sogenannten Alibi- oder Jo-Jo-Aktionen. Anstatt etwas grundsätzlich zu verändern, tut man einfach so, als würde man sich nachhaltig verhalten. Bei den Alibi-Aktionen sucht man sich etwa im ganz kleinen Rahmen eine nachhaltige Verhaltensänderung, die leicht zu bewerkstelligen ist und einem nicht wehtut. Dies hilft darüber hinweg, bei den großen Problemen nicht wirklich hinsehen zu müssen und trotzdem ein gutes Gefühl zu behalten.

Eine Alibi-Aktion ist zum Beispiel, wenn du die Kartonummantelung eines Joghurtbechers sorgfältig abnimmst und mit dem Altpapier trennst, aber täglich mit deinem SUV in den Supermarkt um die Ecke fährst und exotische Früchte aus aller Herren Länder kaufst. Oder wenn du dem Bettler auf der Straße gern mal einen Euro schenkst, gleichzeitig aber Lohndumping bei deinen Mitarbeitern betreibst und in Verhandlungen um jeden Cent feilschst.

Der Jo-Jo-Effekt wiederum beschreibt die negative Rückkopplung von zuvor gesetzten Maßnahmen. Die meisten von uns haben den Jo-Jo-Effekt bei sich selbst oder im Bekanntenkreis sicherlich schon beobachten können. Zum Beispiel, wenn jemand eine Diät zur Gewichtsabnahme macht. Zuerst wird eine Woche lang gefastet und auf alles Mögliche verzichtet. Doch weil dieser Verzicht so schwerfällt, wird im Anschluss in gewohntem Maße weitergegessen, und das Gewicht schlägt sofort wieder nach oben aus. Dies führt zur nächsten Diät inklusive anschließenden Fressattacken. Und wenn man das Ganze ein paar Mal wiederholt, verhält sich das Gewicht ähnlich einem Jo-Jo, es pendelt ständig auf und ab. Das ist nicht nur nervig, sondern sogar gefährlich. Studien aus den USA und Deutschland zeigen, dass eine oftmalige Gewichtsschwankung Herz-Kreislauf-Erkrankungen fördert und schlimmere gesundheitliche Auswirkungen hat als das Übergewicht selbst.35

Auch in der Nachhaltigkeit ist der Jo-Jo-Effekt wohlbekannt. So hat man etwa festgestellt, dass manche Menschen umweltschädlicher handeln, nachdem sie sich zuvor einmal kurzfristig nachhaltig verhalten haben.36 Den Klassiker kennen wohl die meisten von uns: Man verzichtet ab und zu auf das Auto und benutzt die öffentlichen Verkehrsmittel, um damit den redlich verdienten Langstreckenflug in den Urlaub rechtfertigen zu können. Ein anderes Beispiel wäre, sich ein benzinsparendes Auto zu kaufen, das man aber dann umso häufiger nutzt, weil es ja so wahnsinnig benzinsparend ist.

Mit Alibi- und Jo-Jo-Aktionen waschen wir also unser Gewissen rein, was aber im Endeffekt durch ein anderes, viel schädlicheres Verhalten wieder wettgemacht wird.

Die sieben Drachen der Untätigkeit

Es gibt noch viele Dutzend weitere Strategien, die wir im Lauf der Zeit entwickelt haben, um in alten Mustern bleiben zu können und uns im Sinne der Zukunftsfähigkeit nicht verändern zu müssen. Ja, wir sind mittlerweile richtig kreativ geworden, was diese Strategien anbelangt.

Der kanadische Umweltpsychologe Robert Gifford hat im Jahr 2011 die unterschiedlichsten Gründe zusammengefasst, warum es vielen so schwerfällt, sich aktiv für Nachhaltigkeit und Naturschutz einzusetzen. In einer Publikation im »American Psychologist« hat er diese psychologischen Hürden als »Die sieben Drachen der Untätigkeit« benannt.37 Vieles davon lässt sich wunderbar auf den inneren Schweinehund umlegen, den wir zuvor beschrieben haben. Manch andere Punkte und viele weitere »Drachen« werden wir dann an späterer Stelle noch mal im Detail aufgreifen. Daher seien hier die »sieben Drachen« nur in aller Kürze benannt:38

 Begrenztes Denkvermögen: Fehleinschätzungen und unangebrachter Optimismus hinsichtlich der ökologischen Probleme.

 Ideologien: Bestehende Weltanschauungen wollen nicht infrage gestellt werden.

 Vergleiche mit anderen: Sich zu sehr an den Meinungen anderer und den gängigen sozialen Normen orientieren.

 Unumkehrbare Kosten: Einmal getroffene Investitionen lassen sich so schnell nicht mehr rückgängig machen.

 Missbilligung: Mangelndes Vertrauen und Verleumdung wissenschaftlicher Ergebnisse.

 Wahrgenommenes Risiko: Das finanzielle oder soziale Risiko des Handelns und der Konsequenzen erscheint zu groß.

 Begrenztes Handeln: Einfache Verhaltensveränderungen werden durchgeführt, schwierigere nicht.

Wie können wir nun unseren inneren Schweinhund oder diese gefährlich anmutenden »Drachen der Untätigkeit« überwinden? Wie schaffen wir es, diesen Strategien nicht auf den Leim zu gehen, sondern konsequent an den Zielen und Lösungen für eine nachhaltige Zukunft zu arbeiten?

Um die Frage zu beantworten, müssen wir zuerst verstehen, dass all diese psychologischen Barrieren nicht ohne Grund existieren und dass sie mit noch viel tieferen Mechanismen in Zusammenhang stehen. Mechanismen, deren wir uns in der Regel nicht bewusst sind und die wir somit kaum betrachten.

An so manchen Gewohnheiten halten wir womöglich deshalb fest, weil tief in unserem Inneren die Angst vor Veränderung schlummert. Weil wir uns mit dieser Angst aber nicht konfrontieren wollen, bleiben wir lieber in unseren gewohnten Bahnen und halten unsere Muster und Automatismen aufrecht.

Auch bestimmte Werte oder Weltbilder können unsere Entwicklung und Motivation negativ beeinträchtigen. Wir müssen also erst einmal verstehen, dass der innere Schweinehund nur die Spitze des Eisbergs ist – Gefühle, Werte und unsere zugrunde liegenden Annahmen über die Welt befinden sich auf den tieferen Ebenen darunter. Diese Ebenen werden wir später ausführlich betrachten. Erst mal wollen wir dir eine Übersicht geben, welche inneren Verhinderer es auf dem Weg in eine nachhaltige Zukunft gibt und was die »innere Dimension« der Nachhaltigkeit für uns Autoren bedeutet.