Die Propeller-Insel

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Aus der Reihe: Jules Verne bei Null Papier #18
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Heu­te lie­gen in dem Bas­sin nur ein hal­b­es Dut­zend Damp­fer, wo­von die einen Pe­tro­le­um zu­füh­ren, die an­de­ren Vor­rä­te für den täg­li­chen Be­darf ge­bracht ha­ben, und au­ßer­dem ei­ni­ge mit elek­tri­schen Ap­pa­ra­ten ver­se­he­ne grö­ße­re Boo­te, die zum Fisch­fang auf ho­her See ver­wen­det wer­den.

Fras­co­lin be­ob­ach­tet, dass der Ein­gang zum Ha­fen nach Nor­den zu liegt, und schließt dar­aus, dass er das nörd­li­che Ende ei­ner je­ner Land­spit­zen ein­neh­men muss, die sich von der Küs­te Nie­der-Ka­li­for­ni­ens in den Stil­len Ozean hin­aus er­stre­cken. Er be­merkt auch, dass die Mee­res­s­trö­mung mit ziem­li­cher In­ten­si­tät nach Os­ten hin ver­läuft, weil sie am Un­ter­bau der Piers wie die an die Plan­ken ei­nes se­geln­den Fahr­zeu­ges an­klat­schen­den Wel­len an­schlägt – of­fen­bar eine Wir­kung der stei­gen­den Flut, ob­wohl die Ge­zei­ten an den West­küs­ten Ame­ri­kas nicht eben stark auf­tre­ten.

Frascolin beobachtet.

»Wo ist denn nun der Fluss, über den wir ges­tern mit dem Fähr­schif­fe ge­kom­men sind?« fragt Fras­co­lin.

»Dem wen­den wir jetzt den Rücken zu«, be­gnügt sich der Yan­kee zu ant­wor­ten.

Nun gilt es aber, mit der Zeit zu gei­zen, wenn die Ge­sell­schaft noch zur Stadt zu­rück­keh­ren will, um den Zug nach San Die­go zu be­nüt­zen.

Sé­bas­ti­en Zorn er­in­nert Ca­lis­tus Mun­bar dar­an, und die­ser er­wi­dert:

»Fürch­ten Sie nichts, lie­be Freun­de, wir ha­ben Zeit ge­nug. Die Tram­bahn be­för­dert uns, nach­dem wir am Ufer ent­lang­ge­gan­gen sind, zur Stadt zu­rück. Sie hat­ten den Wunsch aus­ge­drückt, einen Über­blick über die­se Ge­gend zu ha­ben, und vor Ablauf ei­ner Stun­de wer­den Sie den vom Tur­me des Ob­ser­va­to­ri­ums aus ge­nie­ßen kön­nen.«

»Sie ste­hen also da­für ein …«, be­gann der Vio­lon­cel­list noch ein­mal.

»Ich ste­he da­für ein, dass Sie mor­gen bei Son­nen­auf­gang nicht mehr da sein wer­den, wo Sie au­gen­blick­lich sind!«

Mit die­ser et­was er­küns­tel­ten Ant­wort muss­ten sie sich wohl oder übel be­gnü­gen. Üb­ri­gens quält Fras­co­lin die Neu­gier viel­leicht noch mehr als die an­de­ren. Es ver­langt ihn, auf je­nem Turm zu ste­hen, von wo aus der Blick nach Aus­sa­ge des Ame­ri­ka­ners sich über einen Ho­ri­zont von we­nigs­tens hun­dert Mei­len Um­fang er­streckt. Er­lang­te man da­durch kei­ne Klar­heit über die geo­gra­phi­sche Lage die­ser merk­wür­di­gen Stadt, so muss­te man wohl für im­mer dar­auf ver­zich­ten.

Am hin­tern Tei­le des Ha­fen­bass­ins mün­det eine an­de­re Tram­bahn, die längs des Mee­res hin ver­läuft. Der ab­ge­hen­de Zug be­steht aus sechs Wa­gen, in de­nen schon vie­le Fahr­gäs­te sit­zen. Die­se Wa­gen wer­den von ei­ner elek­tri­schen Lo­ko­mo­ti­ve ge­zo­gen, de­ren Ak­ku­mu­la­to­ren eine Ka­pa­zi­tät von zwei­hun­dert Volt-Am­pe­re ha­ben, und ihre Ge­schwin­dig­keit er­reicht acht­zehn Ki­lo­me­ter in der Stun­de.

Ca­lis­tus Mun­bar nö­tigt das Quar­tett ein­zu­stei­gen, und un­se­re Pa­ri­ser konn­ten glau­ben, dass der Tram­bahn­zug nur auf sie ge­war­tet hät­te.

Was sie von der Land­schaft zu se­hen be­kom­men, un­ter­schei­det sich we­nig von dem Par­ke, der sich zwi­schen Stadt und Ha­fen aus­dehnt. Der­sel­be ebe­ne und sorg­fäl­tig un­ter­hal­te­ne Erd­bo­den. Grü­ne Wie­sen und Fel­der statt der Ra­sen­flä­chen, das ist al­les; Ge­mü­se­pflan­zun­gen, doch kei­ne Ge­trei­de­äcker. Eben jetzt er­gießt sich, aus den un­ter­ir­di­schen Röh­ren her­vor­sprin­gend, ein wohl­tä­ti­ger, reich­li­cher Re­gen auf die lan­gen, nach Win­kel und Richt­scheit an­ge­leg­ten Recht­e­cke.

Der Him­mel hät­te ihn gar nicht so ge­nau be­rech­net und zweck­ent­spre­chend ver­tei­len kön­nen.

Die Glei­se fol­gen dem Ufer, so­dass sie das Meer auf der einen, das Land auf der an­de­ren Sei­te ha­ben. So rol­len die Wa­gen fast vier Mei­len – ge­gen sechs Ki­lo­me­ter – da­hin. Dann hal­ten sie vor ei­ner Bat­te­rie von zwölf großen Ge­schüt­zen, zu de­nen der Ein­gang die Auf­schrift: »Ramm­sporn-Bat­te­rie« trägt.

»Hin­ter­la­de­ka­no­nen, die sich nie­mals nach der falschen Sei­te ent­la­den, wie das bei den Ge­schüt­zen des al­ten Eu­ro­pa so häu­fig vor­kommt!« be­merkt Ca­lis­tus Mun­bar dazu.

An die­ser Stel­le zeigt die Küs­te einen sehr schar­fen Rand und bil­det einen spitz aus­lau­fen­den Vor­sprung, der dem Vor­der­tei­le ei­nes Schiffs­rump­fes oder gar dem Sporn ei­nes Pan­zer­schif­fes gleicht, an dem sich die Wel­len zer­tei­len, in­dem sie ihn mit ih­rem wei­ßen Schaum be­net­zen. Of­fen­bar ist das eine Wir­kung der Strö­mung, denn drau­ßen be­wegt sich das Was­ser nur in lan­ger, fla­cher Dü­nung,3 die mit dem Nie­der­gan­ge der Son­ne noch wei­ter ab­zu­neh­men ver­spricht.

Von die­sem Punk­te geht eine zwei­te Tram­bahn­li­nie nach dem Mit­tel­punk­te der Stadt aus, wäh­rend die ers­te­re der Ufer­krüm­mung wei­ter folgt.

Ca­lis­tus Mun­bar steigt hier mit sei­nen Gäs­ten um und mel­det ih­nen, dass sie nun ge­ra­de­wegs nach der Stadt zu­rück­keh­ren wer­den.

Die Pro­me­na­de ist auch lang ge­nug ge­we­sen. Ca­lis­tus Mun­bar zieht sei­ne Uhr her­vor, ein Meis­ter­stück von Si­van in Genf … eine spre­chen­de, pho­no­gra­phi­sche Uhr. Er drückt dar­an auf einen Knopf und man hört sie deut­lich sa­gen: »Vier Uhr drei­zehn Mi­nu­ten.«

»Sie ver­ges­sen doch nicht, dass wir den Turm des Ob­ser­va­to­ri­ums be­stei­gen wol­len?« mel­det sich Fras­co­lin.

»Ver­ges­sen, mei­ne lie­ben und schon al­ten Freun­de! … Eher wür­de ich mei­nen ei­ge­nen Na­men ver­ges­sen, der sich üb­ri­gens ei­ni­ger Berühmt­heit er­freut. Noch vier Mei­len, und wir wer­den vor dem präch­ti­gen Ge­bäu­de ste­hen, das am Ende der Ers­ten Ave­nue er­rich­tet ist und die bei­de Hälf­ten un­se­rer Stadt schei­det.«

Der Wa­gen ist ab­ge­gan­gen. Jen­seits der Fel­der, auf die noch im­mer »der Nach­mit­tags­re­gen« – so sag­te der Ame­ri­ka­ner – nie­der­rie­selt, zeigt sich wie­der der mit Bar­rie­ren um­schlos­se­ne Park mit sei­nen Baum­grup­pen, Ra­sen­flä­chen und Blu­men­kör­ben.

Da schlägt es halb fünf Uhr. Zwei Wei­ser zei­gen die Stun­de auf ei­nem rie­si­gen Zif­fer­blat­te, das, an ei­nem vier­e­cki­gen Tur­me an­ge­bracht, etwa dem des Lon­do­ner Par­la­ments­hau­ses äh­nelt.

Am Fuße des Tur­mes lie­gen die für die ver­schie­de­nen Dienstzwei­ge des Ob­ser­va­to­ri­ums be­stimm­ten Ge­bäu­de. Ei­ni­ge der­sel­ben, die mit me­tal­le­nen Kup­peln und ver­glas­ten Spal­ten in letz­te­ren ver­se­hen sind, ge­stat­ten den Astro­no­men, den Lauf der Gestir­ne zu be­ob­ach­ten. Sie um­schlie­ßen einen ge­räu­mi­gen Hof, in des­sen Mit­te sich der hun­dert­fünf­zig Fuß hohe Turm er­hebt. Von sei­ner obe­ren Ga­le­rie reicht der Blick auf fünf­und­zwan­zig Ki­lo­me­ter weit hin­aus, da der Ho­ri­zont von kei­nem Hü­gel, kei­nem Berg ver­deckt wird.

Sei­nen Gäs­ten vor­aus­ge­hend, schrei­tet Ca­lis­tus Mun­bar durch eine Tür, die ihm ein Die­ner in rei­cher Li­vrée ge­öff­net hat. Im Hin­ter­grun­de des Haus­flurs be­fin­det sich der mit­tels Elek­tri­zi­tät be­trie­be­ne Auf­zug. Das Quar­tett nimmt mit sei­nem Füh­rer in dem Fahr­stuh­le Platz. Die­ser steigt so­fort sanft und gleich­mä­ßig in die Höhe. Nach fünf­und­vier­zig Se­kun­den hält er an der Platt­form des Tur­mes an.

Auf die­ser Platt­form er­hebt sich eine rie­si­ge Flag­gen­stan­ge, an der das Flag­gen­tuch im schwa­chen Nord­win­de flat­tert.

Wel­che Na­tio­na­li­tät die­se Flag­ge be­zeich­net, ver­mö­gen un­se­re Pa­ri­ser nicht zu er­grün­den. Auf den ers­ten Blick scheint es die ame­ri­ka­ni­sche Flag­ge mit den waag­rech­ten rot­wei­ßen Strei­fen zu sein; die obe­re in­ne­re Ecke ent­hält aber statt der sie­ben­und­sech­zig Ster­ne, die zu je­ner Zeit am Fir­ma­ment des Staa­ten­bun­des fun­keln, nur einen ein­zi­gen: einen Stern oder viel­mehr eine gol­de­ne Son­ne, die von dem Him­mel­blau der Flag­gen­e­cke schim­mert und mit dem Strah­lenglanze des Ta­ges­ge­stirns ri­va­li­sie­ren zu kön­nen scheint.

»Un­se­re Flag­ge, mei­ne Her­ren«, sagt Ca­lis­tus Mun­bar, der ehr­er­bie­tig das Haupt ent­blö­ßt.

Sé­bas­ti­en Zorn und sei­ne Ka­me­ra­den kön­nen nicht um­hin, es ihm nach­zu­tun. Dann tre­ten sie an die Brust­wehr der Platt­form her­an, beu­gen sich hin­aus …

Da ent­ringt sich ih­rer Brust ein lau­ter Auf­schrei – erst der Über­ra­schung und dann des hel­len Zorns.

Vor ih­ren Bli­cken liegt das gan­ze Land, und die­ses Land zeigt die Form ei­nes re­gel­mä­ßi­gen Ovals, das von ei­nem Mee­res­ho­ri­zon­te ein­ge­fasst ist. So­weit der Blick schwei­fen kann, nir­gends ist Land in Sicht.

Und doch sind Sé­bas­ti­en Zorn, Fras­co­lin, Yver­nes und Pin­chi­nat ges­tern in der Nacht, nach­dem sie das Dorf Fre­schal im Wa­gen des Ame­ri­ka­ners ver­las­sen hat­ten, zwei Mei­len weit stets dem Wege über Land ge­folgt. Da­rauf ha­ben sie, gleich im Wa­gen ver­blei­bend, mit­tels der Fäh­re nur einen Was­ser­lauf über­schrit­ten und sind dann wie­der auf fes­tes Land ge­kom­men. Hät­ten sie die Küs­te Ka­li­for­ni­ens auf ei­nem Schif­fe ver­las­sen, so müss­ten sie das doch be­merkt ha­ben …

Fras­co­lin wen­det sich vol­ler Er­re­gung an Ca­lis­tus Mun­bar.

»Wir sind doch auf ei­ner In­sel?« fragt er.

»Wie Sie sa­gen«, be­stä­tig­te der Yan­kee, des­sen Mund sich zum ver­bind­lichs­ten Lä­cheln ver­zieht.

»Und wel­che In­sel ist das?«

»Stan­dard Is­land.«

»Und die­se Stadt heißt …?«

»Mil­li­ard City.«

Standard Island

 

1 An­ge­hö­ri­gen der so­zia­len Ober­schicht <<<

2 nach François Ra­be­lais, fran­zö­si­scher Schrift­stel­ler der Re­naissance (1494–1553) <<<

3 durch den Wind her­vor­ge­ru­fe­ner See­gang mit gleich­mä­ßi­gen, lang ge­zo­ge­nen Wel­len <<<

Fünftes Kapitel – Standard Island und Milliard City

Zu je­ner Zeit er­war­te­te man noch einen un­ter­neh­men­den Sta­tis­ti­ker und gleich­zei­ti­gen Geo­gra­phen, der die wirk­li­che Zahl der auf der Erd­ku­gel ver­streu­ten In­seln an­ge­ge­ben hät­te. Es wird nicht über­trie­ben sein, wenn man die­se Zahl zu meh­re­ren Tau­sen­den ver­an­schlagt. Und un­ter die­sen In­seln hät­te sich kei­ne ein­zi­ge be­fun­den, die den Wün­schen der Grün­der von Stan­dard Is­land und den Be­dürf­nis­sen sei­ner spä­te­ren Be­woh­ner ent­spro­chen hät­te? Nein, kei­ne ein­zi­ge! Da­her der »ame­ri­ka­me­cha­nisch« prak­ti­sche Ge­dan­ke, eine nach al­len Sei­ten neue, künst­li­che In­sel her­zu­stel­len, die die voll­kom­mens­te Leis­tung der mo­der­nen Me­tall­ur­gie bil­den soll­te.

Stan­dard Is­land – was man etwa mit »Mus­ter-In­sel« über­set­zen könn­te – ist eine Schrau­ben- oder Pro­pel­ler-In­sel und Mil­li­ard City ihre Haupt­stadt. Wo­her die­ser Name stammt?… Of­fen­bar da­her, dass die Stadt die der Mil­li­ar­däre, der Goulds, der Van­der­bilts und der Roth­schilds ist. Man wird hier ein­wen­den, dass das Wort »Mil­li­ar­de« in der eng­li­schen Spra­che nicht vor­kommt. Die An­gel­sach­sen der Al­ten und der Neu­en Welt sa­gen noch im­mer: a thou­sand mil­li­ons, tau­send Mil­lio­nen. Mil­li­ar­de ist ein fran­zö­si­sches Wort. Den­noch ist es seit ei­ni­gen Jah­ren in die Volkss­pra­che Groß­bri­tan­ni­ens und der Ve­rei­nig­ten Staa­ten über­ge­gan­gen und auf die Haupt­stadt Stan­dard Is­lands mit vol­ler Be­rech­ti­gung an­ge­wen­det wor­den.

Eine künst­li­che In­sel ist ja eine Idee, die an und für sich kei­ne au­ßer­ge­wöhn­li­che zu nen­nen ist. Mit hin­rei­chen­der Men­ge von Ma­te­ri­al, das in ei­nem Stro­me, ei­nem See oder ei­nem Meer ver­senkt wird, liegt es für Men­schen nicht au­ßer der Mög­lich­keit, eine sol­che her­zu­stel­len. Das hät­te hier aber nicht ge­nügt. Mit Rück­sicht auf ihre Be­stim­mung, auf die An­for­de­run­gen, de­nen sie ent­spre­chen soll­te, muss­te die­se In­sel ihre Lage ver­än­dern kön­nen, also schwimm­fä­hig sein. Hie­rin lag eine Schwie­rig­keit, die je­doch nicht über die Leis­tungs­fä­hig­keit der Werk­stät­ten für Ei­sen­be­ar­bei­tung hin­aus­ging, de­nen Ma­schi­nen von so­zu­sa­gen un­be­grenz­ter Kraft zu Ge­bo­te stan­den.

Schon ge­gen Ende des 19. Jahr­hun­derts hat­ten die Ame­ri­ka­ner bei ih­rer Vor­lie­be für das Gro­ße, ih­rer Be­wun­de­rung für das »Enor­me«, den Plan ent­wor­fen, meh­re­re hun­dert Ki­lo­me­ter vom Fest­lan­de in of­fe­ner See ein rie­sen­haf­tes, durch An­ker fest­ge­hal­te­nes Floß zu bau­en. Das wäre, wenn auch kei­ne Stadt, so doch im At­lan­ti­schen Mee­re eine Sta­ti­on ge­wor­den, mit Re­stau­rants, Ho­tels, Thea­tern, Klub­lo­ka­len usw., wo die Tou­ris­ten alle An­nehm­lich­kei­ten der be­lieb­tes­ten Ba­de­or­te ge­fun­den hät­ten. Eben die­ses Pro­jekt war nun hier, nur in mehr voll­kom­me­ner Wei­se, zur Aus­füh­rung ge­bracht … statt des fest­lie­gen­den Flo­ßes hat­te man eine be­weg­li­che In­sel ge­schaf­fen.

Sechs Jah­re vor der Zeit, wo un­se­re Ge­schich­te be­ginnt, war eine ame­ri­ka­ni­sche Ge­sell­schaft un­ter der Fir­ma Stan­dard Is­land Com­pa­ny li­mi­ted mit ei­nem Ka­pi­ta­le von fünf­hun­dert Mil­lio­nen Dol­lar (zwei Mil­li­ar­den Mark), ge­teilt in fünf­hun­dert An­teil­schei­ne, ge­grün­det wor­den, um die künst­li­che In­sel her­zu­stel­len, die den Na­bobs der Ve­rei­nig­ten Staa­ten alle die Vor­tei­le bie­ten soll­te, wel­che den an die Stel­le ge­bun­de­nen Ge­bie­ten der Erd­ku­gel feh­len. Die An­teil­schei­ne wur­den schnell un­ter­ge­bracht, so zahl­reich sind in Ame­ri­ka die un­ge­heu­ern Ver­mö­gen, die der Aus­beu­tung der Ei­sen­bah­nen oder Ban­k­ope­ra­tio­nen, dem Er­tra­ge von Pe­tro­le­um­quel­len oder dem Han­del mit gepö­kel­tem Schwei­ne­fleisch ent­spran­gen.

Die Her­stel­lung der In­sel nahm vier Jah­re in An­spruch. Es dürf­te hier an­ge­bracht sein, die wich­tigs­ten Grö­ßen­ver­hält­nis­se, die in­ne­re Ein­rich­tung und die Ap­pa­ra­te zur Fort­be­we­gung an­zu­ge­ben, die ihr ge­stat­ten, im­mer die an­ge­nehms­ten Tei­le der un­ge­heu­ern Flä­che des Stil­len Welt­mee­res auf­zu­su­chen.

Schwim­men­de Dör­fer gibt es in Chi­na auf dem Yang-Tse-Ki­ang, in Bra­si­li­en auf dem Ama­zo­nass­tro­me, in Eu­ro­pa auf der Do­nau und wenn man will, in klei­ne­rem Maß­sta­be auf vie­len schiff­ba­ren Ge­wäs­sern. Das sind aber nur für kur­ze Zeit be­rech­ne­te Kon­struk­tio­nen mit ei­ni­gen Häu­schen, die auf lan­gen Flö­ßen er­rich­tet wur­den. Am Be­stim­mungs­or­te an­ge­langt, wird der Holz­bau aus­ein­an­der­ge­nom­men, die Häu­ser­grup­pe ab­ge­bro­chen und das Dörf­chen hat aus­ge­lebt.

Mit der In­sel, von der wir hier re­den, liegt die Sa­che ganz an­ders; sie soll­te auf dem Mee­re schwim­men … für im­mer, so­weit das Werk der Men­schen­hand eben Be­stand hat.

Wer weiß denn, ob die Erde nicht ei­nes Ta­ges zu klein wer­den wird für ihre Be­woh­ner, de­ren An­zahl im Jah­re 2072 der Rech­nung nach auf sechs­tau­send Mil­lio­nen stei­gen dürf­te, wie es Ra­ven­stein und an­de­re Ge­lehr­te mit er­staun­li­cher Si­cher­heit be­haup­ten? Wenn das Fest­land dann über­füllt ist, muss man sich doch ent­schlie­ßen, als Wohn­stät­te das Meer zu Hil­fe zu neh­men.

Aus Einzelbehältern zusammengesetzt.

Stan­dard Is­land ist eine In­sel aus Stahl­plat­ten, und die Trag­fä­hig­keit und Wi­der­stands­kraft ih­res Rump­fes wur­den un­ter Berück­sich­ti­gung des un­ge­heu­ern Ge­wich­tes, das dar­auf las­ten soll­te, be­rech­net. Sie ist aus zwei­hun­dert­sieb­zig­tau­send Ein­zel­be­häl­tern zu­sam­men­ge­setzt, von de­nen je­der sech­zehn Me­ter sieb­zig Zen­ti­me­ter hoch und je zehn Me­ter lang und breit ist. Die Ober­flä­che je­des Be­häl­ters misst also zehn Me­ter an je­der Sei­te oder um­fasst ein Ar, gleich hun­dert Qua­drat­me­ter. Alle durch Bol­zen und Nie­ten mit­ein­an­der ver­bun­de­ne Be­häl­ter bil­den die etwa sie­ben­und­zwan­zig Mil­lio­nen Qua­drat­me­ter oder sie­ben­und­zwan­zig Qua­drat­ki­lo­me­ter große In­sel. Bei der ihr ge­ge­be­nen ova­len Ge­stalt misst sie sie­ben Ki­lo­me­ter in der Län­ge und fünf Ki­lo­me­ter in der größ­ten Brei­te und hat in runder Zahl einen Um­fang von acht­zehn Ki­lo­me­tern. Zur Ver­glei­chung die­ne, dass die Be­fes­ti­gungs­li­nie von Pa­ris neun­und­drei­ßig, die alte Mau­er um die Stadt drei­und­zwan­zig Ki­lo­me­ter lang ist. Der ein­ge­tauch­te Teil des Rump­fes hat bei vol­ler Be­las­tung etwa zehn Me­ter, der über Was­ser ste­hen­de ge­gen sie­ben Me­ter Höhe. Daraus er­gibt sich, dass das Vo­lu­men von Stan­dard Is­land vier­hun­dertzwei­und­drei­ßig Mil­lio­nen Ku­bik­me­ter misst und sein De­pla­ce­ment (Was­ser­ver­drän­gung), ge­gen drei Fünf­tel des Vo­lu­mens, zwei­hun­dert­neun­und­fünf­zig Mil­lio­nen Ku­bik­me­ter er­reicht.

Der gan­ze un­ter­tau­chen­de Teil der Be­häl­ter ist mit ei­nem lan­ge Zeit ver­geb­lich ge­such­ten Prä­pa­ra­te – der Er­fin­der des­sel­ben wur­de da­durch Mil­li­ar­där – be­stri­chen, das je­des An­le­gen von Mu­scheln und See­tie­ren ver­schie­de­ner Art an die vom Was­ser be­spül­ten Tei­le un­be­dingt ver­hin­dert.

Der »Un­ter­grund« der neu­en In­sel ist ge­gen Form­ver­än­de­rung und Bruch voll­stän­dig ge­si­chert, denn der stäh­ler­ne Rumpf wird durch mäch­ti­ge Qu­er­rie­gel ver­steift, und auf das Ver­nie­ten und Ver­bol­zen al­ler Tei­le wur­de die denk­bars­te Sorg­falt ver­wen­det.

Na­tür­lich muss­ten zur Her­stel­lung die­ses rie­sen­haf­ten Bau­wer­kes erst be­son­de­re Werf­ten ge­schaf­fen wer­den. Das über­nahm die »Stan­dard Is­land Com­pa­ny«, nach­dem sie die Mag­da­le­nen­bucht nebst de­ren Ufer­land am Aus­läu­fer der lan­gen Halb­in­sel Nie­der-Ka­li­for­ni­en, ganz nahe dem Wen­de­krei­se des Kreb­ses, zu die­sem Zwe­cke er­wor­ben hat­te. In die­ser Bucht wur­de die Ar­beit aus­ge­führt, und zwar un­ter Lei­tung der In­ge­nieu­re der Stan­dard Is­land Com­pa­ny und un­ter der Ober­lei­tung des be­rühm­ten Wil­liam Ter­son, der we­ni­ge Mo­na­te nach Vollen­dung sei­nes Rie­sen­wer­kes eben­so mit Tod ab­ging, wie Brun­nel, nach­dem er sei­nen, lei­der ziem­lich nutz­lo­sen »Gre­at-Eas­tern« vom Sta­pel ge­las­sen hat­te. Stan­dard Is­land ist ja auch kaum et­was an­de­res als ein mo­der­ni­sier­ter Gre­at-Eas­tern, nur nach ei­nem tau­send­fach ver­grö­ßer­ten Mo­dell ge­schaf­fen.

Selbst­ver­ständ­lich konn­te von ei­nem wirk­li­chen Sta­pel­lauf der In­sel kei­ne Rede sein. Sie wur­de viel­mehr stück­wei­se her­ge­stellt, in­dem man die ein­zel­nen Stahl­be­häl­ter auf dem Was­ser der Bucht selbst mit­ein­an­der ver­band. Die­se Stel­le der ame­ri­ka­ni­schen Küs­te wur­de auch der Not­ha­fen der be­weg­li­chen In­sel, nach dem sie sich zur Vor­nah­me et­wai­ger Re­pa­ra­tu­ren al­le­mal be­gibt.

Der Un­ter­bau der In­sel, ihr Rumpf, wie man sa­gen könn­te, der, wie er­wähnt, aus zwei­hun­dert­sieb­zig­tau­send Ein­zel­be­häl­tern be­steht, wur­de, mit Aus­nah­me des für die Stadt in der Mit­te be­stimm­ten und des­halb be­son­ders ver­stärk­ten Tei­les, mit ei­ner di­cken Schicht gu­ter Erde über­schüt­tet. Die­se Hu­mus­de­cke ge­nügt für die Ve­ge­ta­ti­on, die auf Ra­sen­flä­chen, Blu­men­bee­te, Ge­sträu­che, ei­ni­ge Baum­grup­pen, Wei­de­plät­ze und Ge­mü­se­fel­der be­schränkt ist. Es war nicht rat­sam er­schie­nen, auf die­sem künst­li­chen Erd­bo­den auch noch Ge­trei­de und Fut­ter für Schlacht­tie­re er­bau­en zu wol­len, und so wird der Be­darf an bei­den durch re­gel­mä­ßi­ge Zu­fuhr ge­deckt. Da­ge­gen hat­te man Vor­sor­ge ge­trof­fen, we­nigs­tens die nö­ti­ge Milch, den Be­darf an Ei­ern und Ge­flü­gel von je­ner Ein­fuhr un­ab­hän­gig zu ma­chen.

Drei Vier­tel des Bo­dens von Stan­dard Is­land, d.h. etwa ein­und­zwan­zig Qua­drat­ki­lo­me­ter, sind für die Kul­tur von Nutz­pflan­zen und für Ra­sen­flä­chen be­stimmt, die in im­mer­wäh­ren­dem Grün pran­gen, wäh­rend die in­ten­siv aus­ge­beu­te­ten Fel­der Ge­mü­se und Früch­te lie­fern und künst­li­che Wie­sen ei­ni­gen Vieh­her­den als Wei­de­plät­ze die­nen. Hier be­dient man sich eif­rig der Elek­tro­kul­tur, d.h. der Mit­wir­kung per­ma­nen­ter elek­tri­scher Strö­me, die das Wachs­tum der Pflan­zen über­ra­schend be­för­dern und Ge­mü­se von kaum glaub­li­cher Grö­ße her­vor­brin­gen hel­fen. So züch­tet man z.B. hier Ra­dies­chen von fünf­und­vier­zig Zen­ti­me­ter Län­ge und ern­tet Mohr­rü­ben von drei Kilo Ge­wicht. Die Zier- und Kü­chen­gär­ten, so­wie die Ob­st­an­lan­gen kön­nen mit den schöns­ten in Vir­gi­ni­en und Loui­sia­na wett­ei­fern. Kein Wun­der: auf der In­sel, die mit Recht das »Ju­wel des Stil­len Ozeans« ge­nannt wird, spart man kei­ne Kos­ten, um al­les in vollen­dets­ter Wei­se durch­zu­füh­ren.

Ihre Haupt­stadt Mil­li­ard City nimmt un­ge­fähr ein Fünf­tel der Ober­flä­che ein, be­deckt also ge­gen fünf Qua­drat­ki­lo­me­ter oder fünf­hun­dert Hek­tar, bei ei­nem Um­fan­ge von neun Ki­lo­me­tern. Un­se­re Le­ser, die ja Sé­bas­ti­en Zorn und sei­ne Ka­me­ra­den auf de­ren Spa­zier­gan­ge be­glei­tet ha­ben, ken­nen sie schon so weit, dass sie sich dar­in schwer­lich ver­ir­ren wür­den. Üb­ri­gens ver­irrt man sich über­haupt nicht in ame­ri­ka­ni­schen Städ­ten, we­nigs­tens nicht, wenn sie gleich­zei­tig das Glück und das Un­glück ha­ben, neue­ren Ur­sprungs zu sein – das Glück, we­gen der Ve­rein­fa­chung des Ver­kehrs und das Un­glück we­gen ih­res voll­stän­di­gen Man­gels an künst­le­ri­scher Be­deu­tung. Wir wis­sen, dass Mil­li­ard City ein Oval bil­det, das durch eine zen­tra­le Ver­kehrs­ader, die First Ave­nue, die et­was über drei Ki­lo­me­ter lang ist, in zwei Hälf­ten ge­teilt wird. Das an dem einen Ende der­sel­ben auf­ra­gen­de Ob­ser­va­to­ri­um hat am an­de­ren als Pend­ant das groß­ar­ti­ge Stadt- oder Rat­haus. In die­sem fin­den sich die Amts­räu­me für die Be­hör­den, für Was­ser- und We­ge­bau, für An­pflan­zun­gen und Pro­me­na­den, für die städ­ti­sche Po­li­zei, den Zoll, die Markt­hal­len, für Be­er­di­gungs­we­sen, Ho­spi­ze, die ver­schie­de­nen Schu­len, so­wie für die Kir­chen­sa­chen und die Küns­te in be­quems­ter Wei­se ver­ei­nigt.

 

Und wie stark ist die Be­völ­ke­rung auf die­sem künst­li­chen Stück­chen Erde von acht­zehn Ki­lo­me­ter Um­fang?

Die Erde zählt den der­zei­ti­gen An­ga­ben nach zwölf Städ­te – vier da­von in Chi­na – mit mehr als ei­ner Mil­li­on Ein­woh­ner. Die Schrau­ben­in­sel hat de­ren nur ge­gen zehn­tau­send – lau­ter Ein­ge­bo­re­ne der Ve­rei­nig­ten Staa­ten. Man woll­te es ver­mei­den, dass je­mals in­ter­na­tio­na­le Strei­tig­kei­ten un­ter den Bür­gern auf­lo­der­ten, die auf die­sem Wer­ke neues­ter Art Ruhe und Er­ho­lung such­ten. War es doch schon ge­nug, wenn nicht zu viel, dass sie in re­li­gi­öser Be­zie­hung nicht zu ei­nem und dem­sel­ben Ban­ner hiel­ten. Es wäre aber zu schwie­rig ge­we­sen, nur den Yan­kees aus dem Nor­den, den Back­bord­be­woh­nern von Stan­dard Is­land, oder um­ge­kehrt den Ame­ri­ka­nern aus dem Sü­den, den Steu­er­bord­be­woh­nern, das Recht vor­zu­be­hal­ten, sich auf die­ser In­sel häus­lich nie­der­zu­las­sen. Dar­un­ter hät­ten die In­ter­es­sen der Stan­dard Is­land Com­pa­ny gar zu emp­find­lich ge­lit­ten.

Nach Fer­tig­stel­lung des me­tal­le­nen Un­ter­bau­es und Her­rich­tung des für die Stadt re­ser­vier­ten Tei­les zur Be­bau­ung, nach der An­nah­me des Pla­nes für die Stra­ßen und Ave­nues, be­gin­nen die Bau­lich­kei­ten aus dem Bo­den zu wach­sen. Hier er­he­ben sich Pracht­ge­bäu­de oder ein­fa­che Wohn­stät­ten, dort für den De­tail­han­del be­stimm­te Häu­ser, öf­fent­li­che Bau­wer­ke, Kir­chen und Tem­pel, nir­gends aber jene Wohn­häu­ser mit sie­ben­und­zwan­zig Stock­wer­ken, jene häss­li­chen »Skys­cra­pers«, d.h. »Wol­ken­krat­zer«, wie man sie in Chi­ca­go fin­det. Das ver­wen­de­te Bau­ma­te­ri­al ist gleich­zei­tig leicht und wi­der­stands­fä­hig. Das nicht oxy­dier­ba­re Me­tall, das in den Kon­struk­tio­nen vor­herrscht, ist das Alu­mi­ni­um, das fast sie­ben­mal so leicht ist wie Ei­sen von glei­chem Vo­lu­men – das Me­tall der Zu­kunft, wie es schon Sain­te-Claire De­ville ge­nannt hat – und das al­len An­for­de­run­gen an ein so­li­des Bau­werk ent­spricht. Mit dem Me­tall ver­band man künst­li­chen Stein, Ze­ment­wür­fel, die sich be­quem an­pass­ten. Man ver­wen­de­te auch glä­ser­ne, hohl­ge­bla­se­ne Werk­stücke, die also wie Fla­schen her­ge­stellt wa­ren, und ver­ei­nig­te sie durch ganz dün­ne Mör­tel­schich­ten – durch­sich­ti­ge Bau­stei­ne, mit de­nen das Ide­al, ein Haus aus Glas, zu er­rei­chen wäre. In der Haupt­sa­che herrsch­te aber doch die me­tal­le­ne Ar­ma­tur vor, wie man sie heu­ti­gen­tags in den Er­zeug­nis­sen der Schiffs­bau­kunst fin­det. Stan­dard Is­land ist ja schließ­lich nichts an­de­res als ein un­ge­heu­er ver­grö­ßer­ter Schiffs­kör­per.

Das Gan­ze ist Ei­gen­tum der Stan­dard Is­land Com­pa­ny. Alle Be­woh­ner der künst­li­chen In­sel sind, wie groß auch ihr Ver­mö­gen sei, nur Ab­mie­ter. Üb­ri­gens wur­de be­züg­lich des Kom­forts und der Zweck­mä­ßig­keit hier al­les vor­ge­se­hen, was die un­glaub­lich rei­chen Ame­ri­ka­ner nur er­war­ten konn­ten, die­se Leu­te, ne­ben de­nen die Sou­ve­rä­ne Eu­ro­pas und die Na­bobs In­diens nur eine un­ter­ge­ord­ne­te Rol­le spie­len.

Wenn sta­tis­tisch nach­ge­wie­sen ist, dass der Gold­vor­rat der Erde acht­zehn Mil­li­ar­den und der Sil­ber­vor­rat zwan­zig Mil­li­ar­den be­trägt, so be­sit­zen die Be­woh­ner die­ses Ju­wels des Stil­len Welt­meers da­von in der Tat einen recht be­trächt­li­chen Teil.

Von An­fang an hat sich das gan­ze Un­ter­neh­men üb­ri­gens fi­nan­zi­ell vor­züg­lich ge­stal­tet. Ein­zel­häu­ser und Woh­nun­gen wur­den zu gra­de­zu fa­bel­haf­ten Prei­sen ver­mie­tet, so­dass sol­che zu­wei­len meh­re­re Mil­lio­nen über­stei­gen, denn nicht so we­ni­ge Fa­mi­li­en wa­ren in der be­nei­dens­wer­ten Lage, der­ar­ti­ge Sum­men all­jähr­lich nur für ihr Un­ter­kom­men an­zu­le­gen. Die Com­pa­ny er­ziel­te da­mit schon aus die­ser einen Quel­le einen Über­schuss. Hier­nach wird je­der­mann zu­ge­ste­hen, dass die Haupt­stadt von Stan­dard Is­land den ihr bei­ge­leg­ten Na­men mit Recht ver­dien­te.

Von je­nen über­rei­chen Fa­mi­li­en ab­ge­se­hen, gibt es hier meh­re­re hun­dert an­de­re, de­ren Miet­zins hun­dert- bis zwei­hun­dert­tau­send Fran­cs be­trägt und die sich mit sol­chen be­schei­de­nen Ver­hält­nis­sen be­gnü­gen. Die noch üb­ri­ge Ein­woh­ner­schaft um­fasst dann Leh­rer je­des Fa­ches, Lie­fe­ran­ten, An­ge­stell­te, Dienst­bo­ten und Frem­de, de­ren Zuf­luss nur ge­ring ist und de­nen nicht ge­stat­tet wird, sich in Mil­li­ard City oder sonst­wo auf der In­sel an­zu­sie­deln. Von Ad­vo­ka­ten gibt es nur we­ni­ge, wo­durch auch Pro­zes­se nur sel­ten sind; Ärz­te noch we­ni­ger, wo­durch die Sterb­lich­keit auf eine lä­cher­lich tie­fe Stu­fe her­ab­sinkt. Je­der Be­woh­ner kennt üb­ri­gens sehr ge­nau sei­ne Kon­sti­tu­ti­on, sei­ne am Dy­na­mo­me­ter ge­mes­se­ne Mus­kel­kraft, sei­ne mit­tels Spi­ro­me­ter fest­ge­stell­te Lun­gen­ka­pa­zi­tät (At­mungs­grö­ße), die am Sphyg­mo­me­ter be­ob­ach­te­te Zu­sam­men­zie­hungs­fä­hig­keit sei­nes Her­zens und end­lich sei­ne am Ma­gne­to­me­ter ab­les­ba­re all­ge­mei­ne Le­bens­kraft. In der Stadt gibt es üb­ri­gens we­der Schank­stät­ten, Cafés oder Re­stau­ra­tio­nen, über­haupt nichts, was den Al­ko­ho­lis­mus be­för­dern könn­te. Nie­mals ist hier ein Fall von Dyp­so­ma­nie – sa­gen wir für die des Grie­chi­schen nicht kun­di­gen Le­ser: von Trunk­sucht – vor­ge­kom­men. Ver­ges­sen wir nicht an­zu­füh­ren, dass der Stadt elek­tri­sche Ener­gie, Licht, me­cha­ni­sche Kraft, Wär­me, ver­dich­te­te und ver­dünn­te, so­wie kal­te Luft, Druck­was­ser ge­lie­fert und ihr pneu­ma­ti­sche Te­le­gram­me und te­le­fo­ni­sche Nach­rich­ten durch öf­fent­li­che Wer­ke über­mit­telt wer­den. Geht je­mand mit Tode ab auf die­ser Schrau­ben­in­sel, die je­der kli­ma­ti­schen Un­bill ent­zo­gen und ge­gen jede Be­ein­flus­sung durch Mi­kro­ben ge­schützt ist, so ge­schieht das, weil man, wenn die frü­her auf­ge­zo­gnen Fe­dern der Le­bens­ma­schi­ne­rie nach lan­ger, lan­ger Zeit ab­ge­lau­fen sind, doch eben ein­mal ster­ben muss.

Auch Sol­da­ten gibt es auf Stan­dard Is­land, näm­lich eine Trup­pe von fünf­zig Mann un­ter dem Be­feh­le des Co­lo­nel Ste­wart, denn man durf­te nicht au­ßer acht las­sen, dass die wei­ten Ge­bie­te des Stil­len Ozeans nicht im­mer si­cher sind. In der Nach­bar­schaft ge­wis­ser In­sel­grup­pen ist es ein Ge­bot klu­ger Vor­sicht, sich ge­gen Über­fäl­le durch man­cher­lei See­räu­ber si­cher­zu­stel­len. Dass die­se Mi­liz einen sehr ho­hen Sold be­zieht und der ge­wöhn­li­che Mann sich bes­ser steht, als ein hö­he­rer Of­fi­zier im al­ten Eu­ro­pa, ist ja selbst­ver­ständ­lich. Die An­wer­bung die­ser Sol­da­ten, die auf öf­fent­li­che Kos­ten un­ter­ge­bracht, er­nährt und ge­klei­det wer­den, geht ohne Schwie­rig­kei­ten vor sich. Der gleich ei­nem Krö­sus be­zahl­te An­füh­rer der Trup­pe hat da­bei nur die Qual der Wahl.

Auf Stan­dard Is­land exis­tiert auch eine Po­li­zei – nur ei­ni­ge schwa­che Rot­ten, die aber völ­lig hin­rei­chen für die Si­cher­heit ei­ner Stadt, in der kei­ne Ur­sa­che vor­liegt, die­se Si­cher­heit ge­stört zu se­hen. Es be­darf ja stets be­son­de­rer Ge­neh­mi­gung der obers­ten Ver­wal­tungs­be­hör­de, um sich hier häus­lich nie­der­zu­las­sen. Die »Küs­ten« sind Tag und Nacht durch eine Ab­tei­lung Zoll­be­am­ter über­wacht. Nur in den Hä­fen ist eine Lan­dung über­haupt mög­lich. Wie soll­ten Übel­tä­ter also Ein­gang fin­den? Was etwa Leu­te be­trä­fe, die sich erst hier Un­ge­bühr­lich­kei­ten zu­schul­den kom­men lie­ßen, so wür­den sol­che kur­zer­hand ver­haf­tet, ab­ge­ur­teilt und im Wes­ten oder Os­ten des Gro­ßen Ozeans ir­gend­wo an der Neu­en oder Al­ten Welt aus­ge­setzt wer­den, so­dass sie nach Stan­dard Is­land nie­mals zu­rück­keh­ren könn­ten.

Wir be­dien­ten uns des Aus­drucks: die Hä­fen von Stan­dard Is­land; de­ren gibt es in der Tat zwei, und zwar an bei­den En­den der kur­z­en Durch­schnitts­li­nie des Ovals, das die Schrau­ben­in­sel bil­det. Der eine heißt Steu­er­bord-, der an­de­re Back­bord­ha­fen, ent­spre­chend den im See­we­sen ge­bräuch­li­chen Be­zeich­nun­gen.