Die Abenteuer des Kapitän Hatteras

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Aus der Reihe: Jules Verne bei Null Papier #15
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Sechstes Kapitel – Die große Polarströmung

Bald lie­ßen sich zahl­rei­che­re Scha­ren von Vö­geln, Sturm­vö­gel und an­de­re Be­woh­ner die­ser öden Ge­gen­den se­hen, wor­aus man die Nähe Grön­lands er­kann­te. Der For­ward fuhr rasch nord­wärts.

Am Diens­tag, den 17. April, ge­gen elf Uhr vor­mit­tags, mel­de­te der Eis­meis­ter das ers­te Er­schei­nen des Eis-Blink, wel­ches sich min­des­tens zwan­zig Mei­len in Nord-Nord-West zeig­te. Es war ein blen­dend wei­ßer Strei­fen, wel­cher trotz dich­ten Ge­wöl­kes den gan­zen be­nach­bar­ten Teil der At­mo­sphä­re leb­haft er­hell­te. Die Leu­te von Er­fah­rung an Bord konn­ten über die Er­schei­nung kei­nen Zwei­fel ha­ben, und sie er­kann­ten an dem wei­ßen Schein, dass die­ser Blink von ei­nem aus­ge­dehn­ten Eis­feld drei­ßig Mei­len über dem Ge­sichts­kreis hin­aus­kom­men muss­te und durch Bre­chung der Licht­strah­len ent­stand.

Ge­gen Abend schlug der Wind süd­lich um und war güns­tig; Shan­don konn­te tüch­tig Se­gel auf­span­nen und ließ aus Spar­sam­keit die Hei­zung auf­hö­ren. Der For­ward fuhr mit vol­len Se­geln dem Kap Fa­re­well zu.

Am 18. um drei Uhr ließ sich an ei­nem wei­ßen, nicht eben dich­ten, aber glän­zen­den Strei­fen, der leb­haft zwi­schen den Li­ni­en des Mee­res und Him­mels ab­stach, ein Eiss­trom er­ken­nen. Er trieb of­fen­bar viel­mehr von der Ost­küs­te Grön­lands her, als von der Da­vis-Stra­ße, denn die Eis­blö­cke zie­hen sich vor­zugs­wei­se an den We­strand des Baf­fins-Mee­res. Eine Stun­de nach­her fuhr der For­ward mit­ten durch ab­ge­son­der­te Blö­cke des Eiss­troms, und da, wo sie am meis­ten zu­sam­men­hin­gen, folg­ten sie der Wel­len­be­we­gung.

Am fol­gen­den Mor­gen, bei Ta­ge­s­an­bruch, mel­de­te die Wa­che ein Schiff: Es war eine dä­ni­sche Kor­vet­te, Wal­kü­re, wel­che in ent­ge­gen­ge­setz­ter Rich­tung der For­ward der Bank von New-Found­land zu­fuhr. Die Strö­mung von der Stra­ße her mach­te sich schon fühl­bar, und Shan­don muss­te die Se­gel ver­stär­ken, um da­ge­gen zu steu­ern.

Da­mals be­fan­den sich der Kom­man­dant, der Dok­tor, Ja­mes Wall und John­son bei­sam­men auf dem Hin­ter­deck, um die Rich­tung und Kraft die­ser Strö­mung zu un­ter­su­chen. Der Dok­tor frag­te, ob wirk­lich die­se Strö­mung gleich­mä­ßig im Baf­fins-Meer exis­tie­re.

»Al­ler­dings«, er­wi­der­te Shan­don, »und die Se­gel­schif­fe kön­nen nur mit Mühe dem Po­lar­strom ent­ge­gen­steu­ern.«

»Umso mehr«, füg­te Ja­mes Wall bei, »als man ihn eben­so­wohl auf der Ost­küs­te Ame­ri­kas als auf der West­küs­te Grön­lands fin­det.«

»Nun«, sag­te der Dok­tor, »das gibt den Auf­su­chern der nord­west­li­chen Durch­fahrt einen be­son­de­ren Grund! Die­ser Strom fließt mit ei­ner Schnel­lig­keit von etwa fünf Mei­len die Stun­de, und es ist schwer­lich vor­aus­zu­set­zen, dass er im In­nern des Golfs ent­steht.«

»Dies ist umso rich­ti­ger, Dok­tor«, fuhr Shan­don fort, »als man gleich die­ser Strö­mung von Nor­den nach Sü­den eine ent­ge­gen­ge­setz­te von Sü­den nach Nor­den in der Beh­rings-Stra­ße fin­det, wel­che den Ur­sprung die­ser bil­det.«

»Dem­nach, mei­ne Her­ren«, sag­te der Dok­tor, »muss man zu­ge­ben, dass Ame­ri­ka völ­lig von den Po­lar­lan­den los­ge­trennt ist, und dass die Ge­wäs­ser des Stil­len Mee­res um die­se Küs­ten her­um bis ins At­lan­ti­sche flie­ßen. Üb­ri­gens er­gibt sich auch aus dem hö­he­ren Ni­veau der Ge­wäs­ser des ers­te­ren noch ein Grund für de­ren Ab­fluss in die Mee­re Eu­ro­pas.«

»Aber«, fuhr Shan­don fort, »es muss doch Grün­de für die­se Theo­rie ge­ben, und wenn das der Fall ist, muss un­ser Uni­ver­sal-Ge­lehr­ter sie ken­nen.«

»Wahr­haf­tig«, ver­setz­te letz­te­rer mit lie­bens­wür­di­ger Be­frie­di­gung, »wenn dies Sie in­ter­es­sie­ren kann, so will ich Ih­nen sa­gen, dass Wal­fi­sche, die in der Da­vis-Stra­ße ver­wun­det wur­den, ei­ni­ge Zeit nach­her in der Nähe der Tar­ta­rei1 noch mit der eu­ro­päi­schen Har­pu­ne im Lei­be ge­fan­gen wur­den.«

»Wo­fern sie also nicht ums Kap Horn oder um das der gu­ten Hoff­nung ge­fah­ren sind«, er­wi­der­te Shan­don, »so müs­sen sie not­wen­dig ih­ren Weg um die Nord­küs­te Ame­ri­kas her­um ge­nom­men ha­ben. Das ist un­be­streit­bar, Dok­tor.«


»Wenn Sie je­doch nicht über­zeugt wä­ren, mein wa­cke­rer Shan­don«, sag­te der Dok­tor la­chend, »so könn­te ich noch an­de­re Tat­sa­chen vor­brin­gen, z. B. das in der Da­vis-Stra­ße flö­ßen­de Holz, Lär­chen, Zit­te­re­s­pen und an­de­re Pro­duk­te der tro­pi­schen Zone. Nun wis­sen wir, dass des Golf­stro­mes we­gen die­ses Holz nicht in die Enge hin­ein­trei­ben kann; wenn sie also aus dem­sel­ben her­aus­trei­ben, so konn­ten sie nur durch die Beh­rings-Stra­ße in den­sel­ben hin­ein­kom­men.«

»Ich bin über­zeugt, Dok­tor, und ge­ste­he, dass man bei Ihren Be­wei­sen schwer­lich un­gläu­big blei­ben kann«.

»Mei­ner Treu!« sag­te John­son. »Da kommt just et­was, was die Sa­che klar­ma­chen kann. Ich sehe da drau­ßen ein hübsch großes Stück Holz. Mit Er­laub­nis des Kom­man­dan­ten wol­len wir den Baum­stamm auf­fi­schen, an Bord zie­hen und um sein Hei­mat­land be­fra­gen.«

»Ganz recht«, sag­te der Dok­tor, »das Bei­spiel nach der Re­gel.«

Shan­don gab den Be­fehl dazu; die Brigg fuhr auf das wahr­ge­nom­me­ne Holz, und bald dar­auf zog es die Mann­schaft mit ei­ni­ger Mühe an Bord.

Es war ein Aca­jou­stamm, der vom Ge­würm bis in den Kern zer­fres­sen war, sonst hät­te er nicht oben­auf schwim­men kön­nen.

»Das ist ja über­füh­rend«, rief der Dok­tor freu­dig, »denn da die Strö­mun­gen des At­lan­ti­schen Ozeans den­sel­ben nicht ha­ben in die Da­vis-Stra­ße trei­ben kön­nen, weil er nicht durch nord­ame­ri­ka­ni­sche Flüs­se in das Po­l­ar­be­cken ge­trie­ben wer­den konn­te, da der Baum in der Ge­gend des Äqua­tors wächst, so ist es klar, dass er di­rekt aus der Beh­rings-Stra­ße kommt. Und se­hen Sie, mei­ne Her­ren, dies Meer­ge­würm, von dem es durch­fres­sen wur­de, es ge­hört zu den Gat­tun­gen der hei­ßen Zone.«

»Of­fen­bar«, ver­setz­te Wall, »ha­ben die Wi­der­sa­cher der Durch­fahrt un­recht.«

»Mit die­sem da sind sie gänz­lich ge­schla­gen!« er­wi­der­te der Dok­tor. »Ge­ben Sie acht, ich will Ih­nen den Weg be­schrei­ben, wel­chen die­ses Aca­jou­holz ge­macht hat. Es ist durch einen Fluss des Isth­mus2 von Pa­na­ma oder aus Gua­te­ma­la in den Stil­len Ozean ge­flö­ßt wor­den; von da aus hat die Strö­mung längs der ame­ri­ka­ni­schen Küs­ten es bis zur Beh­rings-Stra­ße ge­führt, und, gut­wil­lig oder nicht, es muss­te in die Po­lar­mee­re hin­ein; es kann noch nicht lan­ge her sein, dass es aus sei­ner Hei­mat ab­ge­fah­ren ist; so­dann ist es glück­lich über alle Hin­der­nis­se der lan­gen Rei­he von En­gen bis zum Baf­fins-Meer hin­aus­ge­kom­men, und von der aus dem Nor­den kom­men­den Strö­mung leb­haft er­grif­fen ist es durch die Da­vis-Stra­ße ge­trie­ben, um an Bord des For­ward auf­ge­fischt zu wer­den zu großer Freu­de des Dok­tor Cla­w­bon­ny, wel­cher den Kom­man­dan­ten um die Er­laub­nis er­sucht, ein Mus­ter­pröb­chen da­von auf­zu­he­ben.«

»Tun Sie es nur«, ver­setz­te Shan­don; »aber ge­stat­ten Sie auch mir, Ih­nen mit­zu­tei­len, dass Sie nicht der ein­zi­ge Be­sit­zer ei­nes sol­chen Strand­gu­tes sind. Der dä­ni­sche Statt­hal­ter der In­sel Dis­ko …«

»An der Küs­te Grön­lands«, fuhr der Dok­tor fort, »be­sitzt einen Tisch, der aus ei­nem Block des­sel­ben Hol­zes ge­fer­tigt ist, wel­cher un­ter glei­chen Um­stän­den auf­ge­fischt wur­de; es ist mir dies nicht un­be­kannt, lie­ber Shan­don; nun, ich be­nei­de ihn nicht um sei­nen Tisch, denn, wenn es nicht zu viel zu schaf­fen mach­te, so hät­te ich hier ge­nug, um mir ein gan­zes Schlaf­ge­mach zu zim­mern.«

Wäh­rend der Nacht vom Mitt­woch zum Don­ners­tag weh­te der Wind äu­ßerst hef­tig; das Treib­holz zeig­te sich häu­fi­ger; die An­nä­he­rung an die Küs­te war ge­fähr­lich zu ei­ner Zeit, wo die Eis­ber­ge sehr zahl­reich sind; der Kom­man­dant ließ da­her die Zahl der Se­gel ver­min­dern, und der For­ward fuhr dann mit nur zwei­en.

Das Ther­mo­me­ter fiel un­ter den Ge­frier­punkt. Shan­don ließ an­ge­mes­se­ne Klei­dung an die Mann­schaft ver­tei­len, wol­le­ne Ja­cke und Ho­sen, fla­nell­nes Hemd, St­rümp­fe von Wad­mel, wie die nor­we­gi­schen Bau­ern tra­gen. Des­glei­chen wur­de je­der Mann mit ei­nem Paar völ­lig was­ser­dich­ten Meers­tie­feln ver­se­hen.

Ka­pi­tän Hund war mit sei­nem na­tür­li­chen Pelz zu­frie­den; er schi­en ge­gen die Ver­än­de­run­gen der Tem­pe­ra­tur we­nig emp­find­lich; er muss­te schon mehr wie ein­mal die Pro­be be­stan­den ha­ben. Er war fast im­mer in den dunklen Schiffs­räu­men ver­steckt.

Ge­gen Abend ließ sich durch eine Lich­tung im Ne­bel, un­ter 37° 2' 7" Län­ge die Küs­te Grön­lands se­hen; der Dok­tor konn­te ver­mit­tels sei­nes Fern­rohrs eine Rei­he Pics mit brei­ten Glet­schern er­ken­nen.


Der For­ward be­fand sich am 20. April früh im An­ge­sicht ei­nes hun­dert­und­fünf­zig Fuß ho­hen Eis­bergs, der seit un­denk­li­chen Zei­ten an die­ser Stel­le fest­liegt; das Tau­wet­ter hat ihn noch nie be­wäl­tigt und sei­ne selt­sa­men For­men nicht an­ge­tas­tet. Snow hat ihn ge­se­hen; Ja­mes Ross im Jah­re 1829 eine Zeich­nung des­sel­ben auf­ge­nom­men, und der fran­zö­si­sche Lieu­ten­ant Bel­lot an Bord des Prin­zen Al­bert hat ihn im Jah­re 1851 be­merkt. Auch der Dok­tor ent­warf eine ge­lun­ge­ne Skiz­ze des­sel­ben.

 

Sol­che un­über­wind­lich fest­lie­gen­den Mas­sen fin­den sich mit­un­ter; dann ha­ben sie ge­gen je­den Fuß Höhe über dem Was­ser zwei un­ter dem­sel­ben, was also bei die­sem drei­hun­dert Fuß Tie­fe, also zu­sam­men vier­hun­dert Fuß be­trägt.

End­lich bei ei­ner Tem­pe­ra­tur, die mit­tags zwölf Grad (-elf Grad hun­dert­tei­lig) be­trug, be­kam man in ne­be­li­gem Schnee­wet­ter Kap Fa­re­well zu se­hen.

»Da ist denn«, sag­te bei sich der Dok­tor, »das be­rühm­te, rich­tig be­nann­te3 Kap. Vie­le sind dar­an vor­über­ge­fah­ren und ha­ben es nim­mer wie­der ge­se­hen. So sind Fro­bis­her, Knight, Bar­low, Vaug­ham, Scroggs, Bar­entz, Hud­son, Blos­se­ville, Fran­klin, Cro­zier, Bel­lot nie zum hei­mi­schen Herd zu­rück­ge­kehrt, ih­nen rief es ein letz­tes Le­be­wohl zu.«

Grön­land wur­de von is­län­di­schen See­fah­rern schon ums Jahr 970 ent­deckt. Se­bas­ti­an Ca­bot4 drang im Jah­re 1498 bis zum sechs­und­fünf­zigs­ten Brei­ten­grad, Gas­pard und Mi­chel Cotréal, 1500 bis 1502, ge­lang­ten bis zum sech­zigs­ten Gra­de, und Mar­tin Fro­bis­her 1576 bis zu der nach ihm be­nann­ten Bai.

John Da­vis ent­deck­te 1585 die Stra­ße, wel­che sei­nen Na­men führt, und zwei Jah­re spä­ter, bei ei­ner drit­ten Rei­se, ge­lang­te die­ser küh­ne See­fah­rer und Wal­fisch­jä­ger bis zum 73°, noch sieb­zehn Grad vom Pol. Bar­entz 1596, Wey­muth 1602, Ja­mes Hall 1605 und 1607, Hud­son, nach wel­chem die große Bai be­nannt ist, die sich so tief ins Fest­land hin­ein­zieht, Ja­mes Poo­le 1611, dran­gen wei­ter in der Stra­ße vor, um die nord­west­li­che Durch­fahrt zu su­chen, durch wel­che der Ver­kehr zwi­schen den bei­den Wel­ten so sehr ab­ge­kürzt wor­den wäre.

Baf­fin, 1616, fand in dem Mee­re sei­nes Na­mens die Lan­cas­ter-Stra­ße; ihm folg­te 1619 Ja­mes Munk, und 1719 Knight, Bar­low, Vaug­ham und Scroggs, von wel­chen man nie wie­der Nach­richt be­kam.

Im Jah­re 1776 er­reich­te der Lieu­ten­ant Pickers­gill, wel­cher dem Ka­pi­tän Cook ent­ge­gen­ge­schickt wur­de, den 68°; im fol­gen­den Jahr drang Young bis zur Frauen­in­sel vor.

Nun kam Ja­mes Ross, der 1818 die Küs­te des Baf­fins-Mee­res auf­nahm und die hy­dro­gra­fi­schen Irr­tü­mer sei­ner Vor­gän­ger ver­bes­ser­te.

End­lich, 1819 und 1820, drang der be­rühm­te Par­ry durch den Lan­cas­ter-Sund in­mit­ten un­zäh­li­ger Schwie­rig­kei­ten bis zur In­sel Mel­ville und ge­wann den Preis von fünf­tau­send Pfund, wel­cher durch eine Par­la­ments­ak­te den eng­li­schen See­fah­rern ver­spro­chen war, die bei ei­ner hö­he­ren Brei­te als 77° über den hun­dert­und­sieb­zigs­ten Me­ri­di­an ge­lan­gen wür­den.

Im Jah­re 1826 kam Bee­chey bis zur In­sel Cha­mis­so; Ja­mes Ross über­win­ter­te 1829-1830 in der Prinz-Re­gen­ten-Stra­ße und ent­deck­te, ne­ben an­de­ren wich­ti­gen Leis­tun­gen, den ma­gne­ti­schen Pol.

Wäh­rend die­ser Zeit er­forsch­te Fran­klin, auf dem Land­weg, die Nord­küs­ten Ame­ri­kas vom Ma­cken­zief­luss bis zu der Um­kehr-Spit­ze; der Ka­pi­tän Back ver­folg­te von 1823-1835 die­se Bahn wei­ter, und sei­ne Ent­de­ckun­gen wur­den 1839 durch Dea­se, Simp­son und den Dok­tor Rae ver­voll­stän­digt.

End­lich fuhr Sir John Fran­klin, voll Ei­fer, die nord­west­li­che Durch­fahrt auf­zu­fin­den, im Jah­re 1845 auf dem Ere­bus und Ter­ror aus Eng­land ab, drang ins Baf­fins-Meer hin­ein, und seit er bei der In­sel Dis­ko vor­bei­ge­kom­men, be­kam man kei­ne Nach­richt mehr von sei­ner Ex­pe­di­ti­on.


Die­se zahl­rei­chen Ent­de­ckungs­fahr­ten ha­ben zur Auf­fin­dung der Durch­fahrt und zur Auf­nah­me der so tief aus­ge­zack­ten Po­lar­kon­ti­nen­te ge­führt; die un­ver­zag­tes­ten See­män­ner Eng­lands, Frank­reichs und der Ve­rei­nig­ten Staa­ten wag­ten sich in die schreck­li­chen Ge­gen­den, und ih­ren An­stren­gun­gen ist zu ver­dan­ken, dass die so schwie­ri­ge Kar­te die­ser Land­schaf­ten im Archiv der kö­nig­li­chen Geo­gra­fi­schen Ge­sell­schaft zu Lon­don nun pran­gen kann.

So über­blick­te der Dok­tor im Geis­te die merk­wür­di­ge Ent­de­ckungs­ge­schich­te die­ser Land­schaf­ten, wäh­rend er auf die Sen­te ge­lehnt mit den Au­gen dem lan­gen Kiel­was­ser der Brigg folg­te.

1 Ta­ta­rei (auch: Tar­ta­rei, Ta­ta­rey, Tar­ta­rey) ist eine his­to­ri­sche Be­zeich­nung für Mit­te­la­si­en, Nor­da­si­en und Tei­le Ost­eu­ro­pas. Die­ser Raum war die Hei­mat der Ta­ta­ren, wie die Mon­go­len und Turk­völ­ker ver­all­ge­mei­nernd be­zeich­net wur­den, und das Herr­schafts­ge­biet des mon­go­li­schen Rei­ches und sei­ner Nach­fol­ge­staa­ten. <<<

2 engs­ter Punkt ei­ner Land­brücke <<<

3 ›Le­be­wohl.‹ <<<

4 Se­bas­tia­no Ca­bo­to (1484–1557) war ein aus Ve­ne­dig stam­men­der Ent­de­cker und Kar­to­graph, der im Dienst der eng­li­schen und spa­ni­schen Kro­ne stand. Be­kannt ist er heu­te vor al­lem für die in sei­nem Auf­trag ge­druck­te Welt­kar­te, von der ein Exem­plar aus dem Jahr 1544 er­hal­ten ist. <<<

Siebtes Kapitel – Die Davis-Straße

Die­sen Tag über bahn­te sich der For­ward einen leich­ten Weg zwi­schen den halb zer­brö­ckel­ten Eis­blö­cken; der Wind war güns­tig, aber die Tem­pe­ra­tur sehr nied­rig; die über die Eis­fel­der strei­chen­de Luft durch­drang mit fri­scher Käl­te.

Die Nacht er­for­der­te die strengs­te Acht­sam­keit; die schwim­men­den Ber­ge dräng­ten sich in der en­gen Stra­ße zu­sam­men: Man zähl­te ih­rer oft bei hun­dert am Ho­ri­zont; sie lös­ten sich durch Ein­wir­kung der be­na­gen­den Wel­len und der April­son­ne von den vor­ra­gen­den Küs­ten ab, um zu zer­schmel­zen oder in die Tie­fen des Ozeans zu ver­sin­ken. Man be­geg­ne­te auch lan­gen Flö­ßen Treib­holz, mit wel­chen man nicht zu­sam­men­sto­ßen durf­te. Da­rum wur­de auch das »Krä­hen­nest« an der Spit­ze ei­nes Mas­tes an­ge­bracht, be­ste­hend aus ei­ner Ton­ne mit be­weg­li­chem Bo­den, worin der Eis­meis­ter, zum Teil ge­gen den Wind ge­schützt, das Meer über­schau­te, die her­an­na­hen­den Eis­blö­cke mel­de­te und selbst nö­ti­gen­falls das Ma­nö­vrie­ren des Schif­fes an­gab.

Die Näch­te wa­ren kurz; die Son­ne war in­fol­ge der Strah­len­bre­chung seit dem 31. Ja­nu­ar wie­der zum Vor­schein ge­kom­men und hielt sich all­mäh­lich län­ger über dem Ho­ri­zont. Aber durch den Schnee war die Aus­sicht ge­hemmt, und wenn er auch nicht Dun­kel­heit ver­an­lass­te, so mach­te er doch die Fahrt schwie­rig.


Am 21. April zeig­te sich mit­ten im Ne­bel das Kap De­so­la­ti­on; die Mann­schaft war durch das Ma­nö­vrie­ren er­schöpft; seit­dem die Brigg zwi­schen den Eis­blö­cken fuhr, hat­ten die Ma­tro­sen nicht einen Au­gen­blick Ruhe ge­habt; man muss­te bald den Dampf zu Hil­fe neh­men, um sich mit­ten durch auf­ge­schich­te­te Blö­cke einen Weg zu bah­nen.

Der Dok­tor und Meis­ter John­son plau­der­ten auf dem Hin­ter­deck mit­ein­an­der, wäh­rend Shan­don in sei­ner Ka­bi­ne ei­ni­ge Stun­den Schlaf ge­noss. Cla­w­bon­ny such­te die Un­ter­hal­tung des al­ten Ma­tro­sen auf, wel­chem sei­ne zahl­rei­chen Rei­sen eine in­ter­essan­te und ver­stän­di­ge Er­zie­hung ge­ge­ben hat­ten. Der Dok­tor ge­wann ihn sehr lieb, und der Rüst­meis­ter blieb ihm nichts schul­dig.

»Se­hen Sie, Herr Cla­w­bon­ny«, sag­te John­son, »die­ses Land ist nicht wie alle an­de­ren; sein Name be­deu­tet ›Grü­nes Lan­d‹, aber nur we­nig Wo­chen im Jah­re ist die­se Be­nen­nung ge­recht­fer­tigt!«

»Wer weiß, wa­cke­rer John­son«, er­wi­der­te der Dok­tor, »ob nicht im zehn­ten Jahr­hun­dert die­ses Land An­spruch auf eine sol­che Be­nen­nung ha­ben konn­te. Auf un­se­rem Erd­ball ist schon man­che Um­än­de­rung die­ser Art vor­ge­kom­men, und Sie wer­den viel­leicht stau­nen, wenn ich Ih­nen sage, dass is­län­di­schen Chro­ni­ken zu­fol­ge vor acht- bis neun­hun­dert Jah­ren zwei­hun­dert Dorf­schaf­ten auf die­sem Kon­ti­nent blüh­ten.«

»Die­se Äu­ße­rung, Herr Cla­w­bon­ny, ver­setzt mich der­ma­ßen in Stau­nen, dass ich ihr nicht ein­mal Glau­ben bei­mes­sen kann, denn ’s ist ein ödes Land!«

»Gut! So öde es auch sein mag, so bie­tet es doch Be­woh­nern, und selbst zi­vi­li­sier­ten Eu­ro­pä­ern, hin­rei­chend eine Stät­te ru­hi­ger Ab­ge­schie­den­heit.«

»Al­ler­dings! Zu Dis­ko, zu Up­per­na­wik wer­den wir Leu­te fin­den, die mit ei­nem Le­ben in sol­chem Kli­ma zu­frie­den sind; aber ich habe im­mer ge­dacht, sie hät­ten die­sen Auf­ent­halt nicht mit Vor­lie­be, son­dern not­ge­drun­gen ge­wählt.«

»Ich glau­be es gern; doch ge­wöhnt sich der Mensch an al­les, und es scheint mir, die­se Grön­län­der sind nicht eben­so zu be­kla­gen als die Ar­bei­ter in un­sern großen Städ­ten; sie kön­nen un­glück­lich sein, aber si­cher­lich im Elend le­ben sie nicht, fer­ner, ich sage wohl un­glück­lich, aber die­ses Wort drückt nicht völ­lig mei­nen Ge­dan­ken aus; in der Tat le­ben die­se Leu­te auch nicht so im Wohl­be­ha­gen wie wir in der ge­mä­ßig­ten Zone; in die­sem Kli­ma ge­bo­ren, fin­den sie of­fen­bar dar­in Genüs­se, für wel­che uns der Be­griff ab­ge­ht!«

»Das muss man wohl an­neh­men, Herr Cla­w­bon­ny, weil der Him­mel ge­recht ist; aber ich bin viel­fach auf Rei­sen an die­se Küs­ten ge­kom­men, und der An­blick die­ser trau­ri­gen Ein­öden hat mir stets das Herz zu­sam­men­ge­schnürt; man hät­te z. B. den Kaps, Vor­ge­bir­gen, Bai­en freund­li­che­re Na­men ge­ben sol­len, denn die Be­zeich­nun­gen Fa­re­well und De­so­la­ti­on sind nicht ge­eig­net, die See­fah­rer an­zu­zie­hen!«

»Die­se Be­mer­kung habe ich eben­falls ge­macht«, er­wi­der­te der Dok­tor; »aber die­se Na­men ha­ben un­ver­kenn­bar ein geo­gra­fi­sches In­ter­es­se; sie be­zeich­nen die Er­leb­nis­se de­rer, wel­che die Na­men bei­ge­legt ha­ben; wenn ich ne­ben den Na­men Da­vis, Baf­fin, Hud­son, Ross, Par­ry, Fran­klin das Kap De­so­la­ti­on (Trost­lo­sig­keit) fin­de, so sto­ße ich bald auf die Bai der Gna­de (Mer­cy): Es ist da die un­un­ter­bro­che­ne Rei­he von Ge­fah­ren, Hin­der­nis­sen, Er­fol­gen, Verzwei­feln und Ge­lin­gen ver­bun­den mit den großen Na­men mei­nes Va­ter­lan­des, dass ich die gan­ze Ge­schich­te die­ser Mee­re dar­in le­sen kann.«


»Rich­tig ge­ur­teilt, Herr Cla­w­bon­ny, und möch­ten wir nur bei un­se­rer Rei­se auf mehr Bai­en des Er­fol­ges (Suc­cés) als Kaps der De­so­la­ti­on tref­fen!«

»Das wün­sch’ ich, John­son; aber, sa­gen Sie mir, hat sich die Mann­schaft ein we­nig von ih­ren Stra­pa­zen er­holt?«

»Ein we­nig, mein Herr; und doch, um al­les her­aus­zu­sa­gen, seit un­se­rer Ein­fahrt in die Stra­ße hat man wie­der an­ge­fan­gen, sich über den ein­ge­bil­de­ten Ka­pi­tän Ge­dan­ken zu ma­chen; man­cher war dar­auf ge­spannt, dass er an der Spit­ze von Grön­land er­schi­en, und bis jetzt, nichts! Se­hen Sie, Herr Cla­w­bon­ny, un­ter uns, ist das nicht et­was zum Ver­wun­dern?«

»Ja­wohl, John­son.«

»Glau­ben Sie, dass der Ka­pi­tän exis­tiert?«

»Ganz ge­wiss.«

»Aber was konn­te er für Grün­de ha­ben, so zu han­deln?«

»Soll ich völ­lig her­aus­sa­gen, was ich den­ke, so glau­be ich, die­ser Mann woll­te die Mann­schaft erst weit ge­nug fort­zie­hen, dass sie nicht mehr um­keh­ren konn­te. Wäre er nun im Mo­ment der Ab­fahrt an sei­nem Bord er­schie­nen, so hät­te je­der die Be­stim­mung des Schif­fes ha­ben hö­ren wol­len, wo­durch er in Ver­le­gen­heit ge­ra­ten wäre.«

»Und wes­halb?«

»Wahr­haf­tig, wenn er eine über­mensch­li­che Un­ter­neh­mung wa­gen, wenn er vor­drin­gen will, wo­hin so vie­le an­de­re vor ihm nicht konn­ten, glau­ben Sie, dass er sei­ne Mann­schaft bei­sam­men be­hal­ten hät­te? Da­ge­gen, wenn man ein­mal un­ter­wegs ist, kann man so­weit ge­hen, dass das Vor­wärts­drin­gen zu ei­ner Not­wen­dig­keit wird.«

Von Eisblöcken umgeben.

 

»Das ist mög­lich, Herr Cla­w­bon­ny; ich habe mehr als einen un­er­schro­cke­nen Aben­teu­rer ken­nen­ge­lernt, des­sen blo­ßer Name in Schre­cken setz­te und der kei­nen Mann ge­fun­den hät­te, um ihn bei sei­nen ge­fähr­li­chen Un­ter­neh­mun­gen zu be­glei­ten …«

»Mich aus­ge­nom­men«, sag­te der Dok­tor.

»Und mich nach Ih­nen«, er­wi­der­te John­son, »und um mich Ih­nen an­zu­schlie­ßen! Ich neh­me also an, dass un­ser Ka­pi­tän ohne Zwei­fel zu sol­chen Aben­teu­rern ge­hört. Wir wer­den es am Ende se­hen; ich ver­mu­te, dass in der Ge­gend von Up­per­na­wik oder der Bai Mel­ville die­ser tap­fe­re Un­be­kann­te sich im Stil­len an Bord ein­fin­den und uns zu er­ken­nen ge­ben wird, bis wo­hin sei­ne Fan­ta­sie das Schiff fort­zu­zie­hen im Sin­ne hat.«

»Der Mei­nung bin ich auch, John­son; aber die Schwie­rig­keit wird dar­in be­ste­hen, bis zu die­ser Bai Mel­ville zu ge­lan­gen; se­hen Sie, wie auf al­len Sei­ten die­se Eis­blö­cke uns um­ge­ben! Sie las­sen ja dem For­ward kaum einen Durch­weg. Be­trach­ten Sie nur die­se un­er­mess­li­che Ebe­ne.«

»Wir Wal­fisch­fän­ger, Herr Cla­w­bon­ny, nen­nen dies ein Eis­feld, d. h. eine Flä­che zu­sam­men­hän­gen­der Eis­blö­cke, de­ren Ende man nicht ab­sieht.«

»Und hier, die­ses un­ter­bro­che­ne Feld, die­se lan­gen Stücke, wel­che mehr oder min­der an­ein­an­der an­sto­ßen?«

»Das hei­ßen wir pack, und palch, wenn die Form rund ist, so­wie stream, wenn sie lang.«

»Und die­se schwim­men­den Blö­cke?«

»Das ist Treib­eis; sind sie et­was hö­her, so nennt man sie Eis­ber­ge; ein Zu­sam­men­sto­ßen mit ih­nen ist den Schif­fen ge­fähr­lich, und man muss sie sorg­fäl­tig mei­den. Se­hen Sie, dort un­ten auf je­nem Eis­feld, eine vom Druck der Eis­blö­cke ver­ur­sach­te hö­her em­por­ra­gen­de Stel­le, die nen­nen wir hum­mock, und wenn sie an ih­rer Ba­sis un­ter Was­ser ist, calf; die­se Be­nen­nun­gen gab man, um sich dar­über ver­ständ­lich zu ma­chen.«


»Ah! Das ist wahr­haf­tig ein merk­wür­di­ger An­blick«, rief der Dok­tor beim Be­trach­ten die­ser Wun­der des Eis­mee­res aus, »und was ma­chen die­se ver­schie­de­nen An­schau­un­gen für einen leb­haf­ten Ein­druck auf die Fan­ta­sie!«

»Al­ler­dings«, er­wi­der­te John­son; »die Eis­schol­len neh­men manch­mal fan­tas­ti­sche For­men an, und un­se­re Leu­te sind nicht in Ver­le­gen­heit, sie in ih­rer Wei­se zu deu­ten.«

»Schau­en Sie, John­son, und stau­nen über dies Ge­samt­bild von Eis­blö­cken! Sieht es nicht wie eine son­der­ba­re Stadt, eine ori­en­ta­li­sche mit Mina­retts und Mo­scheen in blei­chem Mond­schein? Wei­ter dort eine lan­ge Rei­he go­ti­scher Bo­gen gleich der Ka­pel­le Hein­richs VII., oder wie am Par­la­ments­haus.«

»Wirk­lich, Herr Cla­w­bon­ny; aber es wäre doch ge­fähr­lich, dar­in­nen zu woh­nen, und man darf ih­nen nicht all­zu na­he­kom­men. Es gibt da Mina­retts, die wan­ken auf ih­rer Ba­sis und könn­ten ein Schiff wie den For­ward zer­trüm­mern.«

»Und man hat sich in die Ge­fahr die­ser Mee­re hin­ein­ge­wagt«, fuhr der Dok­tor fort, »ohne den Dampf be­reit zu ha­ben! Wie ist es mög­lich, dass ein Se­gel­schiff mit­ten zwi­schen die­sen schwim­men­den Klip­pen eine Rich­tung ver­fol­gen kann?«

»Man hat’s je­doch aus­ge­führt, Herr Cla­w­bon­ny; wenn der Wind wid­rig wur­de, was mir mehr wie ein­mal be­geg­ne­te, hing man sich ge­dul­dig mit dem An­ker an einen sol­chen Block fest, trieb mehr oder min­der mit ihm, und war­te­te so die güns­ti­ge Stun­de zum Wei­ter­fah­ren ab; zwar brauch­te man bei die­ser Art zu rei­sen ei­ni­ge Mo­na­te Zeit da, wo bei ei­ni­gem Glück wir nur ei­ni­ge Tage dar­auf wen­den.«


»Es kommt mir vor«, sag­te der Dok­tor, »als sin­ke die Tem­pe­ra­tur noch mehr.«

»Das wäre schlimm«, er­wi­der­te John­son, »denn es ist Tau­wet­ter nö­tig, dass die­se Mas­sen sich zer­tei­len und sich im At­lan­ti­schen Mee­re ver­lie­ren; sie sind üb­ri­gens in der Da­vis-Stra­ße zahl­rei­cher, weil zwi­schen dem Kap Wal­sin­g­ham und Hol­stein­borg das Land merk­lich nä­her bei­sam­men ist; doch über den sie­ben­und­sech­zigs­ten Grad hin­aus wer­den wir fin­den, dass im Mai und Juni die Mee­re leich­ter zu be­fah­ren sind.«

»Ja, aber man muss erst hin­kom­men.«

»Ja­wohl, Herr Cla­w­bon­ny, im Juni und Juli hät­ten wir die Fahrt frei ge­fun­den, wie die Wal­fisch­fän­ger auch; aber es war uns ge­nau an­be­foh­len, dass wir im April uns hier ein­fän­den. Da­rum irre ich sehr, oder un­ser Ka­pi­tän ist ein tüch­ti­ger Schelm, der weiß, was er will; er ist nur des­halb so früh­zei­tig ab­ge­fah­ren, um recht weit zu fah­ren. Schließ­lich wer­den wir es se­hen.«

Der Dok­tor hat­te sich in sei­ner Äu­ße­rung über das Sin­ken der Tem­pe­ra­tur nicht ge­irrt; das Ther­mo­me­ter zeig­te um Mit­tag nur sechs Grad (-vier­zehn Grad hun­dert­tei­lig) und es herrsch­te ein Nord-West, der, ob­wohl er die Wit­te­rung hei­ter mach­te, doch zu­gleich mit der Strö­mung die schwim­men­den Eis­blö­cke hef­ti­ger dem For­ward ent­ge­gen be­för­der­te. Es trie­ben je­doch nicht alle in der­sel­ben Rich­tung; nicht sel­ten traf man sol­che, und zwar die höchs­ten, wel­che, an ih­rer Ba­sis von ei­ner un­ter­see­i­schen Strö­mung ge­fasst, in ent­ge­gen­ge­setz­ter Rich­tung trie­ben.

Na­tür­lich ent­stan­den da­durch Schwie­rig­kei­ten für die Schiff­fahrt; die Ma­schi­nis­ten hat­ten nicht einen Au­gen­blick Ruhe; die Lei­tung der Dampf­kraft wur­de un­mit­tel­bar auf dem Ver­deck vor­ge­nom­men ver­mit­tels He­bel, wel­che sie ver­stärk­ten, hemm­ten, plötz­lich, nach Be­fehl des Of­fi­ziers der Wa­che, in um­ge­kehr­te Rich­tung brach­ten. Bald muss­te man ei­len, um durch eine Öff­nung im Eis­feld zu drin­gen, bald an Schnel­lig­keit ei­nem Eis­berg, der den ein­zi­gen Weg zu ver­sper­ren droh­te, zu­vor­kom­men; oder auch es nö­tig­te ein un­ver­se­hens rück­wärts fal­len­der Block zu ra­schem Um­keh­ren, um nicht zer­schmet­tert zu wer­den. Die­se An­häu­fung von Eis­blö­cken, wel­che von der Strö­mung aus Nor­den fort­ge­trie­ben und auf­ge­schich­tet wur­den, dräng­te sich in der Enge, und wenn der Frost sie fest­hielt, konn­ten sie dem For­ward eine un­über­wind­li­che Schran­ke set­zen.


Es zeig­te sich in die­sen Ge­gen­den eine un­zäh­li­ge Men­ge Ge­vö­gel; Sturm­vö­gel flat­ter­ten über­all mit be­täu­ben­dem Ge­schrei, und Mö­wen mit dickem Kopf und lan­gen Flü­geln trotz­ten scher­zend dem vom Sturm ge­peitsch­ten Schnee. Die­se Mun­ter­keit des Ge­flü­gels be­leb­te die Ge­gend.

Zahl­rei­che Stücke Treib­holz stie­ßen wi­der­ein­an­der; ei­ni­ge Pott­fi­sche mit enor­men Köp­fen ka­men in die Nähe des Schif­fes, aber zum Har­pu­nie­ren war kei­ne Zeit. Ge­gen Abend sah man auch ei­ni­ge Rob­ben zwi­schen den Blö­cken schwim­men.

Am 22. sank die Tem­pe­ra­tur noch mehr; der For­ward ver­stärk­te sei­nen Dampf, um güns­ti­ge Fahr­we­ge zu ge­win­nen; der Wind war ent­schie­den Nord-West ge­wor­den; die Se­gel wur­den ein­ge­zo­gen.


Wäh­rend die­ses Ta­ges, der ein Sonn­tag war, hat­ten die Ma­tro­sen we­nig zu ma­nö­vrie­ren. Nach dem von Shan­don ver­rich­te­ten Got­tes­dienst be­schäf­tig­te sich die Mann­schaft mit der Jagd auf Weiß­män­tel und fing de­ren vie­le. Die­se Vö­gel lie­fer­ten, ge­hö­rig zu­be­rei­tet, ein an­ge­neh­mes Ge­richt für die Ta­fel.

Um drei Uhr nach­mit­tags hat­te der For­ward nord­öst­lich Kin de Sael er­reicht, und das Ge­bir­ge Suk­ker­top lag süd­öst­lich; die See ging sehr hohl; von Zeit zu Zeit senk­te sich ein un­ge­heu­rer Ne­bel un­ver­mu­tet vom grau­en Him­mel her­ab. Doch konn­te zu Mit­tag eine ge­naue Beo­b­ach­tung ge­macht wer­den, und es zeig­te sich, dass das Schiff sich un­ter 65° 20' Brei­te und 54° 22' Län­ge be­fand. Man muss­te noch um zwei Grad wei­ter vor­wärts­drin­gen, um bes­se­re Fahrt auf frei­em Meer zu be­kom­men.

Wäh­rend der drei fol­gen­den Tage, am 24., 25. und 26. April, hat­te man be­stän­dig mit den Eis­blö­cken zu kämp­fen; die Be­hand­lung der Ma­schi­ne wur­de sehr er­mü­dend.

Im dich­ten Ne­bel konn­te man die An­nä­he­rung der Eis­ber­ge nur am dump­fen Ge­tö­se er­ken­nen, wel­ches von den La­wi­nen her­rühr­te; dann wen­de­te das Schiff so­gleich; man kam in Ge­fahr, wi­der Eis­mas­sen aus süßem Ge­wäs­ser zu sto­ßen, wel­che an der Durch­sich­tig­keit und ei­ner Fel­sen glei­chen Här­te zu er­ken­nen wa­ren. Richard Shan­don ver­sah sich zur Er­gän­zung sei­nes Trink­was­sers täg­lich mit ei­ni­gen Ton­nen sol­chen Ei­ses.

Der Dok­tor konn­te sich nicht an die op­ti­schen Täu­schun­gen ge­wöh­nen, wel­che die Strah­len­bre­chung in die­sen Ge­gen­den er­zeug­te; in der Tat, man­cher Eis­berg, der zehn bis zwölf Mei­len von der Brigg ent­fernt war, kam ihm wie eine klei­ne wei­ße Mas­se in nächs­ter Nähe vor.