Öffentliches Wirtschaftsrecht

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II. Öffentliches Wirtschafts- bzw Wirtschaftsverwaltungsrecht

1. Begriff und Gegenstand

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Der Begriff des öffentlichen Wirtschafts- bzw Wirtschaftsverwaltungsrechts ist nicht abschließend definiert. Kernstück und zugleich historische Grundlage des deutschen Wirtschaftsverwaltungsrechts ist die Gewerbeordnung (GewO). Wichtige Materien finden sich in Sondergesetzen (sog. Gewerbenebenrecht), von denen vor allem das Handwerks- und das Gaststättenrecht zum Prüfungsstoff im Wirtschaftsverwaltungsrecht gehören. Mit der Bezeichnung als „Öffentliches Wirtschaftsrecht“ wird einerseits die Selbstverständlichkeit zum Ausdruck gebracht, dass jenseits der verwaltungsrechtlichen auch verfassungs- und unionsrechtliche Fragestellungen einbezogen werden[59]. Andererseits kann dieser Begriff aber auch dafür stehen, dass der klassische („wirtschaftsverwaltungsrechtliche“) Kanon von Gewerbe-, Gaststätten- und Handwerksrecht um weitere Bereiche erweitert wird. Insoweit hat sich mittlerweile jedenfalls in der Lehrbuchliteratur zum öffentlichen Wirtschaftsrecht wieder ein weitgehend einheitlicher Fächerkanon herausgebildet. Neben die genannten, klassischen Gebiete traten das Recht der öffentlichen Unternehmen bzw das öffentliche Wettbewerbsrecht sowie das Vergaberecht als Rechtsgebiete, die sich mit der Teilnahme des Staates am Wirtschaftsleben als Anbieter bzw Nachfrager von Leistungen beschäftigen, das Subventions- und Beihilferecht als spezifische Form des Eingriffes in den Wirtschaftsverkehr und – dies freilich mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung – das sog. Regulierungsrecht, insbesondere das Telekommunikations- und/oder Energiewirtschaftsrecht.

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Die Begrifflichkeiten, mittels derer man die komplexe Rechtsmaterie des öffentlichen Wirtschaftsrechts zu ordnen versucht, ist demgegenüber schillernd. Dies hängt zum einen damit zusammen, dass die Begrifflichkeiten das jeweilige politische und ökonomische Vorverständnis reflektieren, zum anderen aber auch die Typisierung und Kategorisierung eines Rechtsgebietes leisten sollen, das sich angesichts seiner Heterogenität und Dynamik einer Typisierung zu entziehen scheint oder diese jedenfalls nur auf hohem Abstraktionsniveau ermöglicht. Umso vorsichtiger muss man sein, wenn aus Begriffsbildungen und Kategorisierungen praktische Folgerungen abgeleitet werden sollen. Besonders deutlich zeigt sich diese Problematik am Begriff der „Regulierung“ (s. unten Rn 23).

2. Wirtschaftsaufsicht und Wirtschaftsregulierung

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Ein genauso zentraler wie umstrittener Begriff des öffentlichen Wirtschaftsrechts ist derjenige der Wirtschaftsaufsicht. Sucht man nach den zentralen Merkmalen der Wirtschaftsaufsicht[60], so handelt es sich um Verwaltungstätigkeit[61] zur Überwachung der für die selbstverantwortliche Teilnahme am privatrechtlichen Wirtschaftsverkehr geschaffenen Rechtsregeln. Außer von Gewerbeaufsicht spricht man insbesondere von Banken-, Versicherungs- und Kapitalmarktaufsicht, s. § 2 FinDAG. Schon diese Bereiche zeigen, dass der Begriff keineswegs homogen verwandt wird und damit offen genug ist, um als formaler Oberbegriff für verschiedene, aber eben nicht überzeugend voneinander abgrenzbare Erscheinungsformen staatlicher Einflussnahme auf die Wirtschaft zu fungieren, der auch die vermeintlich modernen Erscheinungsformen umfasst.

Soweit man sich in der Literatur gegen den Aufsichtsbegriff ausspricht und diesen vor allem durch den Begriff der Wirtschaftsüberwachung ersetzt, so will man auf die Unterscheidung von der dem Innenbereich des Staates zuzuordnenden Rechts- und Fachaufsicht hinweisen[62] oder aber sich von der Tradition des wohlfahrtsstaatlichen Etatismus, aus dem der Aufsichtsbegriff stammt, abgrenzen[63]. In der Sache ist mit einem solchen Austausch der Begrifflichkeiten allerdings nicht viel gewonnen. Der Begriff der Wirtschaftslenkung indiziert mit deutlich unterschiedlichen Schwerpunkten eine stärker intervenistische oder aktiv gestaltende Einflussnahme wie man sie etwa im Energiewirtschaftsrecht, Telekommunikationsrecht, aber auch im Recht der Banken- und Versicherungsaufsicht findet[64]. Eine solche Abgrenzung ist aber weder trennscharf möglich noch lassen sich die beispielhaft genannten Teilbereiche einheitlich klassifizieren, stehen doch klassisch aufsichtsrechtliche und lenkende Erscheinungsformen häufig innerhalb eines Rechtsgebietes nebeneinander. Zum Teil bezieht sich der Begriff aber auch auf den Zusammenhang mit dem allgemeinen Verwaltungsrecht, wenn beispielsweise gefordert wird, die klassische Ordnungs- und Leistungsverwaltung um einen dritten Typus der „lenkenden“ oder „vermittelnden Verwaltung“ zu ergänzen[65]. Insoweit interpretiert man Regulierungsrecht als „moderne Form indirekter staatlicher Steuerung“[66], obwohl viele Varianten von Regulierung mit sehr direkten (und intensiven) staatlichen Eingriffen verbunden sind.

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Neben diese Aufsichtsfunktion tritt klassischerweise die Aufgabe der Daseinsvorsorge (s. dazu und den „Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse“ unten Rn 735 ff), die traditionell jedenfalls in Deutschland (und den meisten europäischen Staaten) vor allem durch staatliche Monopole erbracht wurde[67]. Insoweit vollzog sich – besonders deutlich im Telekommunikationsrecht – ein Paradigmenwechsel. Infolge der Privatisierung der staatlichen Monopole wurde die staatliche Leistungserbringung ersetzt durch eine besondere, verfassungsrechtlich verankerte Gewährleistungs- oder Infrastrukturverantwortung des Staates[68]. Gleichzeitig wurde der Staat vom Leistungserbringer zur Regulierungsinstanz[69], im öffentlichen Wirtschaftsrecht tauchte der Begriff des Regulierungsrechts[70] auf. Für die klassische ökonomische Theorie umfasst Regulierung alle hoheitlichen Eingriffe in die Gewerbe- und Vertragsfreiheit, die nicht allein der Durchsetzung allgemein gültiger Spielregeln gelten[71]. Im juristischen Kontext tauchte der Regelungsbegriff in Deutschland erstmals im Telekommunikationsrecht auf und wurde damit zu einem in seiner Bedeutung freilich häufig überschätzten Rechtsbegriff[72]. Regulierung im Rechtssinn lässt sich als Verhaltenssteuerung von Wirtschaftssubjekten durch hoheitliche Ge- und Verbote – normativ oder im Einzelfall – insbesondere zur Sicherung von Gemeinwohlerfordernissen – des unverfälschten und funktionsfähigen Wettbewerbs sowie angemessener Leistungsbedingungen – verstehen[73]. Das Regulierungs(verwaltungs)recht ist jedenfalls Bestandteil des öffentlichen Wirtschaftsrechts bzw Wirtschaftsverwaltungsrechts. Zu klären bleibt das Verhältnis zu dem oben als formalem Oberbegriff definierten Terminus der Wirtschaftsaufsicht. Teilweise sieht man in der Regulierung eine Form der eher indirekten Steuerung[74] oder ein Mittel zur Erreichung gesetzlich vorgegebener Zwecksetzungen[75], typischerweise der Beeinflussung der Marktstruktur sowie des Verhaltens der Wettbewerber am Markt[76]. Selbst wenn es solche Unterschiede gibt, machen sie den Begriff des Regulierungsrechts nicht zu einem Systembegriff. Seine primäre Aufgabe besteht in der staatlichen Aufsicht über die privaten Leistungserbringer. Regulierungsrecht ist damit eine Erscheinungsform des Wirtschaftsaufsichtsrechts[77].

Wirtschaftsregulierung in diesem Sinne überschneidet sich mit dem Begriff der Wirtschaftslenkung[78], soll sich aber insbesondere dadurch auszeichnen, dass „neuartige Aufgaben der Regulierung … mit zum Teil neuartigen“[79] und vor allem marktkonformen[80] Instrumenten bewältigt werden. Andererseits sei „der Begriff der Regulierung wie dessen Stellung im System des allgemeinen Verwaltungsrechts alles andere als klar“[81] bzw eine abschließende Definition nicht möglich[82]. Die weit verbreitete Charakterisierung als Privatisierungsfolgenrecht[83] war allenfalls für das deutsche Telekommunikationsrecht zutreffend, da es sich erst nach dem Abbau des staatlichen Monopols entwickelt hat. Diese Entwicklung fand aber etwa im Bereich der Energiewirtschaft so nie statt, so dass Regulierungsrecht keinesfalls notwendigerweise die Folge einer Privatisierung sein muss[84]. Erst recht ist es kein Übergangsrecht, das sich mit dem Herstellen von Wettbewerb sozusagen selbst überflüssig macht. Ganz im Gegenteil, je besser Wettbewerb funktioniert oder erkennbar wird, dass er – wie im Energiewirtschaftsrecht – ohne staatlichen Eingriff gerade nicht funktioniert, desto mehr treten die „klassischen“ Funktionen der Wirtschaftsaufsicht in den Vordergrund[85]. Auch die Charakterisierung als sektorspezifisches Wettbewerbs- bzw Kartellrecht greift zu kurz, da trotz teilweise gleicher Ziele (Schaffung von Wettbewerb) das Instrumentarium erheblich divergiert[86]: Auf kartellrechtlicher Grundlage können Markteingriffe außer in der Fusionskontrolle nur nachträglich und bei nachgewiesenen Verstößen gegen bestimmte Verhaltenspflichten erfolgen, während das Wirtschaftsverwaltungsrecht primär der präventiven Kontrolle dient. Damit handelt es sich letztlich nicht so sehr um einen klar konturierten Rechtsbegriff als aus Sicht der modernen Verwaltungsrechtswissenschaft um einen „Kompass für die dogmatische Systembildung und Analyse“[87]. Aus historischem Blickwinkel zeigen sich erstaunliche Parallelen zur Entwicklung Anfang des 20. Jahrhunderts. Zwar systematisierend, aber eben außerhalb des herkömmlichen Systems der Unterscheidung von öffentlichem und Zivilrecht entwickelte Lehmann sein „Industrierecht“, was verschiedenartige Rechtsmaterien unter diesem Oberbegriff zusammenfasst. Die meisten Zeitgenossen sahen es jedoch als temporäres und (als Antwort auf die Industrialisierung) zeitbedingtes Phänomen[88] an. Staatliche Eingriffe in die Wirtschaft konzentrierten sich aber von Anfang an auf die hier unter dem Begriff des Regulierungsrechts zusammengefassten Materien. Auch die Deutung des Regulierungsrechts als „Instrument politisch-gestaltender Wirtschaftslenkung“[89] wiederholt allerdings nur die genauso wenig ergiebige kartellrechtliche Diskussion der 1960er-Jahre[90] und letztlich die Diskussion um die „Wirtschaftsverfassung des GG“ (s. bereits Rn 3 ff).

 

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Für die Rechtsdogmatik blieb die Diskussion um ein einheitliches Regulierungsrecht eher unergiebig. Die von Masing auf dem 66. DJT erhobene Forderung nach einem Netzregulierungsgesetz des Bundes stieß auf Ablehnung[91]. Umso dringlicher ist daher die genuine Aufgabe der Rechtswissenschaft, gemeinsame Strukturen dieser sektorenspezifischen Regulierung herauszuarbeiten und in das System von Wirtschaftsaufsichts- und allgemeinem Verwaltungsrecht zu integrieren, ohne die bereichsspezifischen Besonderheiten zu ignorieren. Die Wurzeln der aktuellen Regulierungsdiskussion liegen im US-amerikanischen Verwaltungsrecht[92] und dem dortigen, vor allem in den 1960er Jahren entwickelten Konzept der „regulated industries“, das zunächst das Telekommunikationsrecht beeinflusste[93]. Von dort stammt insbesondere das für das europäisierte Regulierungsrecht typische[94] Grundmodell der unabhängigen Regulierungsbehörde (independent agency)[95]. Gerade die Rechtsvergleichung kann helfen, den „Mythos Regulierungsrecht“ zu entzaubern[96]. Nach amerikanischem Verständnis bedeutet regulation schlichtweg Regelung, ist also nicht mit der (vermeintlichen) Dichotomie von Regelung und Regulierung verbunden, wie sie im deutschen Verständnis teilweise behauptet wird[97]. Die weitreichende Autonomie der Verwaltungsbehörden genauso wie die besondere Betonung des Verwaltungsverfahrens sind kein Spezifikum der „regulated industries“, sondern Grundentscheidungen des amerikanischen (allgemeinen) Verwaltungsrechts, als dessen Referenzgebiet insbesondere das Telekommunikationsrecht denn auch verstanden wird[98].

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Gleichwohl herrscht weitgehend Einigkeit über den Gegenstand des Regulierungsrechts. Zusammengefasst werden unter diesem Begriff mindestens die Bereiche, für die die Bundesnetzagentur zuständig ist, dh neben dem Telekommunikationsrecht, an dem man den juristischen Begriff des Regulierungsrechts zunächst zu entwickeln versuchte, auch das Energiewirtschafts- und das Eisenbahn- und Postrecht[99]. Aus diesem Blickwinkel scheint naheliegend, von Netzregulierung zu sprechen[100]. Zunehmend wird aber dieses Verständnis als zu eng erachtet. Aus ökonomischer Sicht, aber auch von denjenigen Autoren, die von Wirtschaftslenkung sprechen, wird die Aufsicht über Finanzdienstleistungen einbezogen[101]; auch das Börsenrecht spricht seit 2007 vom „regulierten Markt“. Angesichts der Lissabon-Strategie (s. bereits Rn 17) ist es daher auch kein Zufall, dass es sich gleichermaßen um die zentralen Bereiche des europäisierten Wirtschaftsrechts handelt. Was die wirkliche Bedeutung eines Regulierungsrechts ausmacht, wird sich nicht am Begriff, sondern erst anhand der Strukturen ermitteln lassen (s. näher Rn 495 ff).

Die Regelungsmuster lassen die gewerberechtlichen Wurzeln erkennen, auch die eingesetzten Handlungsformen sind nicht neu, gilt doch als typisches Instrument des Regulierungsrechts insbesondere der Verwaltungsakt. Allerdings macht das Regulierungsrecht deutlich, dass die Intensität der Wirtschaftsaufsicht bzw -überwachung variiert. Sie reicht von der mehr punktuellen gewerberechtlichen Überwachung bis hin zur Ausbildung von „Dauerrechtsverhältnissen“, etwa in der Kapitalmarktaufsicht, von der bloßen Pflicht zur Anzeige eines Gewerbes bis zu unterschiedlichen Formen der Genehmigungspflicht, von einer Zuverlässigkeitsprüfung (s. zum Grundmodell der GewO Rn 250 ff) bis hin zu Sachkunde- und Solvabilitätsnachweisen (s. Rn 123, 263, 305). Aus diesem Blickwinkel könnte man die eher punktuelle Wirtschaftsüberwachung und die intensivere, dauerhaft angelegte Regulierungsüberwachung zu unterscheiden versuchen[102] bzw von Wirtschaftsaufsicht mit zusätzlichem Gestaltungsauftrag[103] sprechen. Bei näherer Hinsicht zeigt sich jedoch, dass selbst innerhalb der regulierten Bereiche – insbesondere im Bereich der Regulierung des Marktzutritts – unterschiedlich intensive Formen der Wirtschaftsaufsicht nebeneinander bestehen (s. unten Rn 510, 531 ff). Andererseits gleichen sich die eingesetzten Instrumente, die sich allerdings weitgehend am Vorbild der GewO als dem Grundmodell staatlicher Wirtschaftsaufsicht orientieren[104].

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Insgesamt lassen sich drei Stufen der Wirtschaftsaufsicht unterscheiden. Die intensivste Form findet sich dort, wo – wie besonders deutlich im Kapitalmarkt- und Versicherungsaufsichtsrecht, aber auch im Energie- und Telekommunikationsrecht – die Geschäftstätigkeit im Einzelnen behördlich überwacht und bestimmender Einfluss auf die Geschäftsorganisation genommen wird, was nach der hier vertretenen Auffassung den zentralen Aspekt des sog. Regulierungsrechts darstellt. Auf der mittleren Stufe stehen die „geregelten Berufe“ wie das Handwerk, aber beispielsweise auch die Freien Berufe, bei denen allerdings auch die Möglichkeit einer Selbstregulierung durch Kammern im Zentrum steht. Die geringste Regelungsdichte findet sich im allgemeinen Gewerberecht, wo sich die Überwachung des nicht genehmigungspflichtigen Gewerbes auf nachträgliche Maßnahmen für den Fall der Unzuverlässigkeit beschränkt (s. Rn 250 ff, 280 ff). An dieser Trias orientiert sich auch das unionale Regelungsregime: Im Bereich der ersten, regelungsintensivsten Stufe erfolgte eine Sachrechtsangleichung auf der Grundlage von Richtlinien, auf der mittleren Ebene favorisiert das Europarecht das Modell der gegenseitigen Anerkennung, (nur) auf der untersten Stufe gilt im Interesse des Binnenmarkts weitgehend das Herkunftslandprinzip ohne Rechtsvereinheitlichung[105].

3. Wirtschaftslenkung und Marktteilnahme

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Staatliche Marktteilnahme wird traditionell als Ausfluss der Daseinsvorsorge[106] verstanden. Diese motiviert sich weniger aus der Gewinnerzielungsabsicht als aus dem Bestreben, bestimmte Leistungen „allen Bürgern gleichmäßig und zu gleichen, billigen Bedingungen zuteil werden“ zu lassen[107]. Der Übergang zur fiskalischen Tätigkeit ist freilich eher fließend[108]. Die Teilnahme öffentlicher Unternehmen am Wirtschaftsverkehr (§ 8) unterliegt bestimmten Schranken, insbesondere des Haushalts- und kommunalen Wirtschaftsrechts (s. Rn 702 ff), deren gerichtliche Kontrolle freilich eher rudimentär geblieben ist. Der zentrale Stellenwert von Daseinsvorsorge auch im Unionsrecht wird deutlich (Art. 14 AEUV). Danach sind Union und Mitgliedstaaten zur Gewährleistung funktionierender Grundstrukturen der Daseinsvorsorge verpflichtet[109]. Dieser Bereich betrifft vor allem „Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse“ (s. dazu Rn 735 ff), „die in den Augen des Staates auch dann erbracht werden müssen, wenn der Markt unter Umständen nicht genügend Anreize dafür gibt“[110], also Konstellationen außerökonomischen Marktversagens[111]. Allerdings müssen solche Dienstleistungen gerade nicht zwangsläufig vom Staat erbracht werden. Damit verschiebt sich die Abgrenzung zur Wirtschaftsaufsicht, nachdem infolge der Privatisierung beispielsweise der Telekommunikation aus staatlicher Leistungserbringung eine Gewährleistungsverantwortung (s. Rn 23) und Wirtschaftsaufsicht wurde[112].

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Gleichzeitig erweisen sich staatliche Leistungen durchaus als Eingriff „in den Wettbewerb“ oder werden sogar bewusst als Lenkungsmittel eingesetzt werden. Dies gilt für Subventionen (§ 9), öffentliche Aufträge (§ 10). Als derartige „janusköpfige“ Materien lassen sich das Subventionsrecht aber beispielsweise auch das Recht der Auftragsvergabe verstehen, das außer seinem Hauptzweck des „günstigen Einkaufs“ für den Staat zunehmend dem Schutz von Wirtschaftsteilnehmern[113] dient und sich unter bestimmten Voraussetzungen auch zur Durchführung von Sekundärzwecken, etwa der Mittelstandsförderung, einsetzen lässt (s. dazu ausf Rn 1071 ff). Dadurch formt es einen wichtigen Teilbereich des privatrechtsförmigen Handelns um und ergänzt gleichzeitig das Spektrum der klassischen Verwaltungsverfahren[114].

4. Öffentliches und privates Wirtschaftsrecht als komplimentäre Rechtsdurchsetzungsregime

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Das öffentliche Wirtschaftsrecht steht – jedenfalls auf der Grundlage der spezifisch deutschen Differenzierung von Zivil- und Öffentlichem Recht – selbstständig neben dem privaten Wirtschaftsrecht. Wenn deswegen auch in der juristischen Ausbildung „Wirtschaftsrecht“ kein einheitliches Prüfungsfach mehr ist, bedeutet dies deswegen keinen Rückfall „hinter den Stand am Anfang der Weimarer“ Zeit[115], sondern ist Ausdruck einer Arbeitsteilung, die im deutschen Recht über den Rechtsweg entscheidet, aber vor allem dadurch begründet ist, dass das öffentliche Recht über eigene Organisations- und Handlungsformen verfügt und insbesondere mit den Grundrechten auch verfassungsrechtlichen Bindungen unterliegt, die für Private nicht in der gleichen Weise gelten. Zur Abgrenzung von öffentlichem und privatem Wirtschaftsrecht kann die sog. modifizierte Subjektstheorie herangezogen werden. Danach kommt es darauf an, ob die anzuwendenden Normen den Staat einseitig berechtigen oder verpflichten[116]. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn Behörden zur Überwachung der Einhaltung der Normen und deren Durchsetzung eingesetzt sind.

Die jedenfalls für das deutsche Recht dogmatisch bedeutsame Trennung zwischen privatem und öffentlichem Wirtschaftsrecht wird in einzelnen Gesetzen verwischt. So enthalten vor allem die kapitalmarktrechtlichen Gesetze sowohl öffentlichrechtliche wie zivilrechtliche Vorschriften[117]; ebenfalls zivilrechtlich sind die Verbraucherschutzvorschriften des TKG. Strukturbildend und entscheidend für die Qualifikation des Telekommunikationsrechts als öffentliches Recht sind die staatlichen Aufsichtsbehörden und ihr – öffentlichrechtliches – Handlungsinstrumentarium. Geschuldet ist diese zunehmende Verzahnung dem europäischen Konzept, das zwischen „Rechtssetzung“, der Begründung von Verhaltenspflichten durch Gesetz und Behörden, und der „Rechtsdurchsetzung“ differenziert, als Durchsetzungsmechanismen aber neben dem öffentlichen Recht auch das Zivil- und nicht zuletzt das Ordnungswidrigkeiten- und Strafrecht heranzieht. Ausprägung eines „private enforcement“ sind aber auch die Verbandsklagebefugnisse[118] und die voraussetzungslosen Informationsansprüche in den Informationsfreiheitsgesetzen und ihren bereichsspezifischen Parallelvorschriften (zum Verbraucherinformations- und Lebensmittelrecht Rn 131).

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Die Bedeutung des öffentlichen Rechts nimmt dabei stetig zu. Gerade wenn man sich die regulierten Wirtschaftszweige in ihrer Gesamtheit betrachtet, lässt sich ein häufig als „Re-Regulierung“ bezeichnetes Phänomen beobachten: Das Vertrauen in die Selbstregulierung des Marktes ist ein allenfalls temporäres. Ein plastisches Beispiel liefert die Netzregulierung: Sofern nicht – wie im Telekommunikationsrecht – von Anfang an eine staatliche Regulierungsbehörde eingeschaltet wird, erfolgt dieser Schritt jedenfalls aufgrund der Erfahrungen mit kooperativen Strukturen und kartellrechtlicher Kontrolle (s. zum Energiewirtschaftsrecht Rn 498). Dabei ist Regulierungsrecht auch, „aber doch nicht nur eine Rückkehr zur Gefahrenabwehr und dem alten Modell der Gewerbeordnung“[119].

 

Diese im öffentlichrechtlichen Schrifttum wohl einhellige Qualifikation des Regulierungsrechts als Teil des öffentlichen Wirtschaftsrechts wird von den Wettbewerbsrechtlern nicht uneingeschränkt geteilt. So werden von Säcker[120] die „privatrechtlichen Grundlagen der Netzinfrastrukturregulierung“ betont, ohne dass allerdings aus diesem Ansatz Konsequenzen gezogen werden: An der Dominanz öffentlicher Strukturen scheitert letztlich auch der Versuch einen „Allgemeinen Teil des Besonderen Wirtschaftsrechts“ zu entwickeln und diesen dem allgemeinen Wirtschaftsrecht gegenüber zu stellen[121]. Zumindest missverständlich war die Bezeichnung der telekommunikationsrechtlichen Vorschriften als „sektorspezifische Regelungen als Ergänzung zum allgemeinen Wettbewerbsrecht“[122].

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Zu einer Verzahnung zwischen dem öffentlichen und privaten Wirtschaftsrecht kommt es nicht nur dort, wo an die Verletzung von Verhaltenspflichten (auch) zivilrechtliche Schadensersatzansprüche geknüpft werden, sondern insbesondere auch dadurch, dass der Verstoß eines Privaten gegen öffentlichrechtliche Vorschriften zugleich einen Verstoß gegen das UWG darstellen kann; für die Klage eines Konkurrenten, der sich darauf beruft, dass ein (privater) Wirtschaftsteilnehmer öffentlichrechtliche Vorschriften verletzt hat, sind daher die Zivilgerichte zuständig, die vorfrageweise auch über öffentlichrechtliche Fragen entscheiden. Davon zu unterscheiden ist die Frage, inwieweit nicht nur das erwerbswirtschaftliche (dazu Rn 711), sondern auch öffentlichrechtliches Handeln von Hoheitsträgern Anknüpfungspunkt für wettbewerbsrechtliche Unterlassungsansprüche sein kann[123]; praktisch relevant wurde dies insbesondere bei Verstößen gegen das beihilferechtliche Durchführungsverbot des Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV[124]. Anknüpfungspunkt ist in beiden Fällen § 3a UWG, der den „Vorsprung durch Rechtsbruch“ unter den dortigen Voraussetzungen als Wettbewerbsverstoß qualifiziert. Konsequenz aus der Anwendung des UWG sind nicht nur die Ansprüche des Wettbewerbers auf Beseitigung, Unterlassung und Schadensersatz, sondern auch die Rechtsdurchsetzung mittels der Verbandsklage (§ 8 Abs. 3 Nr 2–4 UWG).

Aus dieser Reglung in § 3a UWG, aber auch dem Telos des UWG folgt, dass ein Normverstoß nur dann wettbewerbsrechtlich als unlauter zu qualifizieren ist, wenn die Vorschrift zumindest auch zur Regelung des Marktverhaltens dient und so gleiche Voraussetzungen für die Wettbewerber schaffen soll. Dies ist hinsichtlich Privater anerkannt für die Bestimmungen des Jugendschutzes[125], des Ladenschlusses[126] und des Nichtraucherschutzes, aber auch produktbezogene Vorschriften, zB Versandhandelsverbote[127] und Werbeverbote (zB §§ 19 ff TabakerzG, §§ 3 ff HWG), aber auch die berufsrechtlichen Werbebeschränkungen[128]. Ein „Vorsprung durch Rechtsbruch“ kann aber auch in einem Verstoß des Privaten gegen wirtschaftsverwaltungsrechtliche Erlaubnispflichten (dazu Rn 32) sowie in Vergaberechtsverstößen liegen[129]. Allerdings bietet hier ein Vorgehen gegen den öffentlichen Auftraggeber in der Regel effektiveren Rechtsschutz, da auf diese Weise nicht nur das wettbewerbswidrige Handeln des Konkurrenten, sondern die Zuschlagserteilung verhindert werden kann[130].

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In Fall 2 (Rn 2)[131] könnte K vor den Zivilgerichten einen wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruch nach §§ 3, 3a, 8 Abs. 3 Nr 1 UWG iVm § 1 Abs. 1 HwO auf Unterlassung der Ausübung handwerklicher Tätigkeiten geltend machen. Nach § 3a UWG setzt dies voraus, dass die öffentlichrechtlichen Vorschriften der HwO nicht nur als Marktzutrittsregelungen, sondern auch als wettbewerbsbezogene Marktverhaltensregeln gedeutet werden können, was die Rechtsprechung bejaht[132]. Die Vorschriften der HwO stellten Qualifikationsanforderungen an den Unternehmer und dienten jedenfalls auch dazu, die Interessen der Abnehmer von Handwerksleistungen zu schützen (vgl zum Paradigmenwechsel der Neuregelung Rn 457 f); entsprechendes wird angenommen hinsichtlich der Erlaubnispflichten nach der GewO[133] oder dem sonstigen Wirtschaftsrecht[134]. Allerdings sehen sich die Zivilgerichte nicht an die Auslegung der öffentlichrechtlichen Vorschriften durch die Verwaltungsgerichte gebunden. Auch das Unterlassen der Werbung könnte auf das UWG gestützt werden. Wer mit Leistungen wirbt, die Handwerksbetrieben vorbehalten sind, selbst aber nicht in die Handwerksrolle eingetragen ist, handelt außerdem unlauter iSd §§ 3, 5 Abs. 1 S. 2 Nr 3 UWG[135]. Den irreführenden Charakter seiner Werbung wird man nur dann annehmen können, wenn die Voraussetzungen einer Eintragung in die Handwerksrolle nicht vorliegen[136]. Ebenso wird man nicht von einem Verstoß ausgehen können, wenn die zuständigen Stellen bzw auch der Bund-Länder-Ausschuss Gewerberecht in ihrer Auslegung divergieren[137].

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Vorschriften des öffentlichen Wirtschaftsrechts können auch Verbotsgesetze im Sinne von § 134 BGB darstellen. Dazu gehören nicht nur gesetzliche Vorschriften, sondern auch die Satzungen von berufsständischen Kammern (vgl Rn 206)[138]. Daher sind Verträge zur Umgehung öffentlichrechtlicher Erlaubnispflichten grundsätzlich nichtig[139]. Trifft das Verbot allerdings nur einen Vertragspartner, wie es bei gewerberechtlichen Erlaubnispflichten der Fall ist, so folgt aus der Verletzung einseitiger Verbote nur dann die Nichtigkeit des Vertrages, wenn der Zweck des Gesetzes anders nicht zu erreichen ist und die durch das Rechtsgeschäft getroffene Regelung nicht hingenommen werden kann. Im Ergebnis wird die Nichtigkeitsfolge daher häufig verneint (vgl zB § 15 Abs. 5 KWG), soweit sie nicht ausdrücklich im Gesetz geregelt ist. Von der Qualifikation als Verbotsgesetz zu unterscheiden ist die Frage nach dem Charakter als Schutzgesetz iSv § 823 Abs. 2 BGB[140]. § 134 BGB soll einen bestimmten rechtsgeschäftlichen Erfolg wegen des „Wie“ des Zustandekommens des Inhalts des Rechtsgeschäfts verhindern, § 823 Abs. 2 BGB dient dem Individualrechtsschutz.

Bei der Eintragung in die Handwerksrolle in Fall 2 (Rn 2) hielt der BGH die öffentlichrechtlichen Möglichkeiten des Einschreitens für ausreichend[141], so dass die fehlende Eintragung in die Handwerksrolle die Wirksamkeit der mit Kunden eingegangenen Verträge nicht beeinträchtigt. Allerdings ist auch das Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz Verbotsgesetz[142], so dass sich daraus eine Nichtigkeit des Vertrages ergeben kann. Bei den Erlaubnispflichten für das Reisegewerbes hielt der BGH die zivilrechtlichen Widerrufsmöglichkeiten bei Haustürgeschäften als ausreichend[143]. Kontrovers und teilweise differenziert werden die Konsequenzen des Fehlens einer Bankerlaubnis nach § 32 KWG beurteilt[144]. Der Verstoß gegen Anordnungen der BaFin führt dagegen nicht zur Nichtigkeit entsprechender anordnungswidrig abgeschlossener Verträge[145].

§ 1 Wirtschaft und Verwaltung › III. Öffentliches Wirtschaftsrecht als Referenzgebiet des (allgemeinen) Verwaltungsrechts