Bankrott und strafrechtliche Organhaftung

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Teil 2 Bankgeschäft und Insolvenz – zivil- und insolvenzrechtliche Grundlagen, wirtschaftliche Zusammenhänge › D. Zusammenfassung

D. Zusammenfassung

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Die Krise des Bankkunden gefährdet die Darlehensrückzahlung. Ziel der Bankverantwortlichen ist es, in dieser Situation auch dieses gesteigerte Risiko zu beherrschen und wirtschaftlichen Schaden von dem Kreditinstitut abzuwenden. Bankmitarbeiter prüfen die wirtschaftlichen Verhältnisse des Kreditnehmers aus diesem Grund fortlaufend. Detaillierte Informationen offenbaren nicht selten die „Bewegungen“ auf den Geschäftskonten des betroffenen Unternehmens. Bankverantwortliche verlangen darüber hinaus zur Bewertung des Kreditrisikos die Vorlage von Kreditunterlagen und ergänzende Auskünfte auch während der Kreditlaufzeit. Die Einzelheiten über die wirtschaftlichen Verhältnisse des Bankkunden, die Bankmitarbeiter auf diese Weise aus der „Bankverbindung“ heraus gewinnen, begründen eine auch rechtlich „herausgehobene“ Qualität und Intensität dieser Geschäftsbeziehung.

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Sobald ein Unternehmer nicht mehr in der Lage ist, eine anhaltende Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation „aus eigener Kraft“, d.h. ohne externe Unterstützung, zu vermeiden, liegen die Voraussetzungen einer betriebswirtschaftlichen Krise vor. Der Krisenbeginn ist damit bereits in einem frühen Stadium angesiedelt, ohne dass zugleich die Voraussetzungen eines Insolvenzeröffnungstatbestands erfüllt sein müssen. In diesem frühen Stadium gelangen den übrigen Geschäftspartnern „Symptome“ der Krise nur selten zur Kenntnis. Im Gegensatz hierzu bemerken Bankverantwortliche bereits erste Anzeichen einer Unternehmenskrise frühzeitig, häufig schon aus der Bankverbindung heraus. Bankverantwortliche besitzen damit einen erheblichen qualitativen und zeitlichen Informationsvorsprung[1] gegenüber den übrigen Gläubigern des betroffenen Unternehmens. Sie erhalten auf diese Weise die Gelegenheit, die Strategie der Bank frühzeitig auf die Eintrübung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Kreditkunden einzustellen, um einen drohenden wirtschaftlichen Schaden der Bank zu vermeiden.

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Bankkredite sind schon in wirtschaftlich „gesunder“ Zeit für Unternehmen von besonderer Bedeutung. Sie ermöglichen erforderliche Investitionen, damit unternehmerische Tätigkeit. Zwischen dem Kreditgeschäft der Banken und den Gründen einer Insolvenz besteht ein enger wirtschaftlicher Zusammenhang. Der Kredit selbst ist häufig Ursache einer „bilanziellen Überschuldung“, die Zins- und Tilgungsverpflichtung fördert Zahlungsunfähigkeit. In der Unternehmenskrise besitzt zudem die „Kreditentscheidung“ von Banken große Bedeutung. Bankverantwortliche sind in dieser Konstellation, eben wegen einer „wesentlichen Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse“ des Kreditnehmers und der damit verbunden Kreditgefährdung, regelmäßig berechtigt, Kredite außerordentlich zu kündigen. Die Krise des Bankkunden beschränkt das Kündigungsrecht der Banken nicht, sondern ist Kündigungsgrund. Die Kreditkündigung ist in dieser Situation dementsprechend auch rechtstatsächlich der Regelfall.

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Die Entscheidung, von dem Kündigungsrecht Gebrauch zu machen und Darlehen in der Krise zurückzuführen, vertieft die wirtschaftliche Krise häufig irreversibel. Zugleich werden hierdurch nicht selten die tatsächlichen Voraussetzungen der Insolvenzeröffnungstatbestände von Zahlungsunfähigkeit (§ 17 Abs. 2 InsO) und, sofern auch bilanzielle Überschuldung vorliegt, der Überschuldung (§ 19 Abs. 2 InsO) begründet. Unternehmern gelingt in der Krise nur selten und rechtzeitig (Drei-Wochen-Frist)[2] eine Umschuldung, um das Liquiditätsdefizit auszugleichen. Kündigung und Rückführung von Krediten in der Krise bewirken durch den damit verbundenen Liquiditätsentzug häufig ebenfalls, dass die wirtschaftliche Ertrags- und Leistungsfähigkeit in einer Weise beeinträchtigt ist, dass eine positive Fortführungsprognose (§ 19 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 InsO) nicht (mehr) gestellt werden kann. Die „existenzielle“ Bedeutung der Kreditentscheidung von Banken in der Krise des Bankkunden führt allerdings nicht nur den engen Zusammenhang zwischen dem Kreditgeschäft, wirtschaftlicher Krise und den Gründen einer Insolvenz vor Augen. Banken gewinnen in dieser Lage vielmehr eine „einflussreiche Position“ gegenüber dem Bankkunden, da Entscheidungen der Bankverantwortlichen den weiteren Krisenverlauf maßgeblich beeinflussen. Bankmitarbeiter haben es in der Hand, dem Unternehmen in der Krise wirtschaftlich den „Todesstoß“ zu versetzen.[3]

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Die Krisensituation wird damit insbesondere durch zwei Faktoren geprägt, die die Gefahr begründen, dass ein drohender wirtschaftlicher Schaden der Bank „auf Kosten“ der übrigen Gläubigerschaft vermieden werden soll: Einerseits besitzen die Bankverantwortlichen einen zeitlichen und qualitativen Informationsvorsprung, andererseits haben sie die Möglichkeit, wegen der „existenziellen“ ökonomischen Bedeutung der Kreditentscheidung auf unternehmerische Entscheidungen ihres Kunden weitgehenden Einfluss nehmen zu können. Das gesteigerte Kreditrisiko in der Krise des Kreditnehmers ist Anlass und Motiv möglicher Insolvenzdelikte. Der Informationsvorsprung gegenüber der übrigen Gläubigerschaft des Bankkunden begründet faktisch die Möglichkeit hierzu. Die Bedeutung und wirtschaftliche Auswirkung der Kreditentscheidung für das betroffene Unternehmen eröffnet Bankverantwortlichen die Möglichkeit, unternehmerische Entscheidungen des Bankkunden im Interesse der Bank zu beeinflussen, in die Geschäftsführung einzugreifen, sogar das Unternehmen in der Krise durch „Vertrauensleute“ der Bank weitgehend zu steuern. Die Krise des Bankkunden begründet so gesehen zugleich Anlass und Gelegenheit für Eingriffe in die Geschäftsführung des Bankkunden, die insolvenzstrafrechtliche Risiken beinhalten, sofern sie wirtschaftlich zum Nachteil der übrigen Unternehmensgläubiger wirken, in dem sie den wirtschaftlichen Schaden der drohenden Insolvenz des Unternehmers einseitig auf diese verlagern.

Anmerkungen

[1]

Batereau WM 1992, 1517: „Banken verfügen regelmäßig über Informationsvorsprünge gegenüber anderen Gläubigern, insbesondere Lieferanten“.

[2]

Hierzu oben Rn. 20 ff.

[3]

Mit vergleichbaren Formulierungen BGH WM 1965, 475, BGH NJW 1970, 657 (658); Batereau WM 1992, 1517; Ganz in: Bittmann, Insolvenzstrafrecht, § 27 Rn. 2.

Teil 3 Anwendungsbereich des Bankrotts in der Krise des Bankkunden – Schutzzweck und Reichweite der Krisenmerkmale

Teil 3 Anwendungsbereich des Bankrotts in der Krise des Bankkunden – Schutzzweck und Reichweite der Krisenmerkmale

Inhaltsverzeichnis

A. Normzweck der §§ 283 ff. StGB

B. Krise des Bankkunden – bankrottstrafrechtliche Einordnung

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Die Rückführung eines Kreditengagements entzieht dem betroffenen Unternehmen Liquidität. Durch die Verwertung von Kreditsicherheiten zu diesem Zweck werden ebenfalls Wirtschaftsgüter aus dem Betrieb entfernt. Für den Fall eines anschließenden Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Bankkunden ist die potentielle Insolvenzmasse hierdurch geschmälert. Verhaltensweisen, die nur eine kurzfristige Erhöhung der Liquidität bewirken, das Schuldnervermögen jedoch im Ergebnis reduzieren, etwa um eine Darlehensrückführung zu fördern oder den Eintritt einer Krise bzw. Vermögensbestandteile durch unrichtige Auskünfte zu „verschleiern“, sind ebenfalls geeignet, wirtschaftliche Nachteile für die Gläubigerschaft zu begründen. Diese Erwägungen führen zu der Frage, ob Bankmitarbeiter, die im wirtschaftlichen Interesse des durch sie vertretenen Kreditinstituts an derartigen Vorgängen beteiligt sind, möglicherweise Insolvenzdelikte im engeren Sinn,[1] namentlich den Tatbestand des Bankrotts (§ 283 Abs. 1 StGB), verwirklichen können. Bevor das Risiko der Bankverantwortlichen, strafrechtliche Verantwortung als Täter eines Bankrotts zu tragen, sowie mögliche Bankrotthandlungen im Einzelnen untersucht werden, sollen der Schutzzweck dieses Delikts sowie die bankrottstrafrechtlichen „Krisenbegriffe“ näher beleuchtet werden, um auf diese Weise den sachlichen Anwendungsbereich von § 283 Abs. 1 StGB in der Krise des Bankkunden zunächst einzugrenzen.

Anmerkungen

[1]

Die im Schrifttum gebrauchte Terminologie sieht eine Unterscheidung zwischen Insolvenzdelikten im engeren sowie im weiteren Sinne vor. Als Insolvenzdelikte im engeren Sinne werden danach die Tatbestände des Bankrotts (§§ 283, 283a StGB), der Verletzung der Buchführungspflicht (§ 283b StGB), der Gläubigerbegünstigung (§ 283c StGB) sowie der Schuldnerbegünstigung (§ 283d StGB) bezeichnet. Zu den Insolvenzdelikten im weiteren Sinne zählen dagegen Delikte, die typischerweise im Zusammenhang mit einer Insolvenz verwirklicht werden, etwa der Tatbestand der Insolvenzverschleppung (§ 15a Abs. 4, 5 InsO n.F.) und das Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt (§ 266a StGB); im Einzelnen Moosmayer Auswirkungen der Insolvenzordnung 1999, S. 53 ff.; LK-StGB-Tiedemann Vor § 283 Rn. 2; NK-StGB-Kindhäuser Vor § 283 ff. Rn. 1; MK-StGB-Radtke Vor §§ 283 ff. Rn. 1; Pelz Strafrecht in Krise und Insolvenz, Rn. 4 f.

 

Teil 3 Anwendungsbereich des Bankrotts in der Krise des Bankkunden – Schutzzweck und Reichweite der Krisenmerkmale › A. Normzweck der §§ 283 ff. StGB

A. Normzweck der §§ 283 ff. StGB

Teil 3 Anwendungsbereich des Bankrotts in der Krise des Bankkunden – Schutzzweck und Reichweite der Krisenmerkmale › A › I. Individuelles Rechtsgut – wirtschaftliche Interessen der Gläubigerschaft

I. Individuelles Rechtsgut – wirtschaftliche Interessen der Gläubigerschaft

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Die Insolvenzdelikte des 24. Abschnitts (§§ 283 StGB ff.) schützen die wirtschaftlichen Interessen der Gesamtgläubigerschaft i.S. einer faktischen Interessengemeinschaft.[1] Dieser Schutzzweck ist in den verschiedenen Straftatbeständen des Abschnitts unterschiedlich akzentuiert.[2] Allgemein zielen die Insolvenzdelikte im engeren Sinn darauf, das ökonomische Interesse der Gläubigerschaft an einem anteilig gleichmäßigen, möglichst auskömmlichen Ausgleich ihrer Forderungen (par condicio creditorum) zu sichern.[3] Die im Rahmen des Bankrotts (§ 283 Abs. 1 Nr. 1-8 StGB) und der übrigen Tatbestände des Abschnitts genannten Tathandlungen (Bankrotthandlungen) betreffen insbesondere eine unwirtschaftliche Verringerung, Verheimlichung oder einseitige Verteilung der Insolvenzmasse zum Nachteil der Gesamtgläubigerschaft.[4] Die Insolvenzdelikte sind damit „im Kern“ Vermögensdelikte.[5]

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Die Gestaltungsinteressen der Gläubiger im Rahmen des Insolvenzverfahrens werden überwiegend als (nur) unselbstständiger Teil der Vermögensinteressen qualifiziert.[6] Diese Einordnung ist stringent, auch wenn mit Einführung der Insolvenzordnung die Gestaltungsmöglichkeiten der Gläubiger erweitert wurden, so dass Bankrotthandlungen nicht selten zugleich mögliche Gestaltungsrechte (insolvenzrechtliche Befugnisse)[7] der betroffenen Gläubigerschaft einschränken.[8] Gleichwohl beinhalten insolvenzrechtliche Gestaltungsrechte, etwa die Fortführung (Sanierung) des betroffenen Unternehmens, nur ein neben die Liquidation des Vermögens tretendes, dem primären Verfahrensziel (Ausgleich der Forderungen der Gesamtgläubigerschaft) nach- bzw. untergeordnetes „Instrument“.[9] In Relation zum primären Ziel des Insolvenzverfahrens besitzen die erweiterten Gestaltungsmöglichkeiten danach keinen eigenständigen, gleichrangigen Charakter.[10] Sie werden dementsprechend bankrottstrafrechtlich ebenfalls nur als unselbstständiger Bestandteil der wirtschaftlichen Interessen, d.h. des Vermögens, der Gesamtgläubigerschaft vom Schutzzweck der §§ 283 ff. StGB erfasst.[11]

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Von Teilen des Schrifttums und der Rechtsprechung wird die Insolvenzmasse selbst neben den wirtschaftlichen Interessen der Gesamtgläubigerschaft als ein eigenständiges Schutzgut eingeordnet.[12] Der BGH hat zuletzt den „Schutz der Insolvenzmasse vor einer unwirtschaftlichen Verringerung zum Nachteil der Gesamtheit der Gläubiger“ als Rechtsgut des Bankrotts benannt.[13] Trotz der Betonung des Schutzes der Insolvenzmasse bleibt anhand dieser Formulierung offen, ob der 3. Strafsenat die Insolvenzmasse neben den wirtschaftlichen Interessen der Gesamtgläubigerschaft als eigenständiges Schutzgut einordnet. Die überwiegende Auffassung im Schrifttum lehnt eine selbstständige Einbeziehung der Insolvenzmasse in den Schutzumfang von § 283 StGB dagegen zu Recht ab.[14] Hierfür spricht zunächst, dass ein Schutzgut in Gestalt einer Insolvenzmasse zum Zeitpunkt der Tathandlung nicht zwingend existieren muss.[15] Zudem bleiben die Bestandteile der späteren Insolvenzmasse dem Eigentum (bzw. dem Vermögen) und bis zur Verfahrenseröffnung (abgesehen von vorläufigen Sicherungsmaßnahmen im Insolvenzeröffnungsverfahren) auch der Verfügungsberechtigung des Täters zugeordnet.[16] Gegen die Eigenschaft der (potentiellen) Insolvenzmasse als eigenständiges Schutzgut spricht ebenfalls die Formulierung des 3. Strafsenats, die (im Zusammenhang mit einem „Beiseiteschaffen“ i.S.v. § 283 Abs. 1 Nr. 1 Var. 1 StGB) auf die Vermögensbestandsreduktion als notwendigen Zwischenschritt zur Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Interessen der Gläubiger in ihrer Gesamtheit abstellt. Die Insolvenzmasse ist so gesehen Tatobjekt, nicht aber „Zwischenrechtsgut“.[17]

Teil 3 Anwendungsbereich des Bankrotts in der Krise des Bankkunden – Schutzzweck und Reichweite der Krisenmerkmale › A › II. Überindividuelles Rechtsgut – Schutz der Kreditwirtschaft?

II. Überindividuelles Rechtsgut – Schutz der Kreditwirtschaft?

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Über die individuellen Vermögensinteressen der konkret betroffenen Gläubiger (in ihrer Gesamtheit) hinaus werden in Rechtsprechung und Schrifttum zum Teil auch überindividuelle soziale Rechtsgüter benannt, die vom Schutzbereich der Bankrottdelikte erfasst seien. Zuletzt hat der BGH ausdrücklich den „Schutz des gesamtwirtschaftlichen Systems“ als Rechtsgut des § 283 StGB erneut bestätigt.[18] Ein Rechtsgut „Funktionsfähigkeit des gesamtwirtschaftlichen Systems“ erscheint allerdings bereits auf Grund seiner inhaltlichen Weite wenig griffig. Weder der Wortlaut von § 283 StGB noch die Gesetzesmaterialien[19] geben einen Hinweis auf den Schutz eines überindividuellen Rechtsguts neben den Vermögensinteressen des individuell betroffenen Gläubigerkreises.[20]

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Im Schrifttum werden als Anknüpfungspunkt einer Rechtsgutsbestimmung typische, geradezu notwendige Folgewirkungen der Verwirklichung des Tatbestands, die auch empirisch belegbar sind, herangezogen.[21] Derartige – nicht nur im Einzelfall mögliche, sondern generell auftretende – überindividuelle Auswirkungen (über den Kreis der jeweils unmittelbar betroffenen Gläubiger hinaus) kennzeichnen nach dieser Auffassung auch die Sozialschädlichkeit der durch die Bankrottdelikte inkriminierten Verhaltensweisen.[22] Die auf diese Weise betroffenen Allgemeininteressen seien daher vom Schutzumfang des § 283 StGB ebenfalls mit umfasst. Konkret werden zum Beleg typischer – gesamtwirtschaftlich schädlicher – Folgewirkungen von Bankrottstraftaten insbesondere zwei Aspekte ins Feld geführt: Einerseits begünstige die (zunehmend) starke wirtschaftliche Verflechtung der Gläubiger mit dritten Wirtschaftssubjekten die Folge, dass von Bankrottdelikten typischerweise auch Unternehmen (i.S. eines „Dominoeffekts“) mittelbar nachteilig betroffen werden, die selbst nicht in geschäftlichem Kontakt mit dem Schuldner stehen („Kettenreaktionsthese“).[23] Andererseits werde von Bankrottdelikten eine „Spiral- bzw. Sogwirkung“ ausgelöst, indem der Wettbewerbsvorteil des Wirtschaftsdelinquenten einen Anreiz für Wettbewerber schaffe, ihrerseits Wirtschaftsstraftaten zu begehen.[24] Überdies bringe erst ein überindividueller Schutzumfang, derartige „übergreifende Gefahren“ zu vermeiden, den Unrechtsgehalt des Bankrotts hinreichend sicher zur Geltung.[25] Allein der Bezug zu einem überindividuellen Schutzgut könne dementsprechend die Strafbarkeit wegen eines abstrakten Gefährdungsdelikts selbst bei nur einfacher Fahrlässigkeit (§§ 283 Abs. 4 und 5, 283b Abs. 2 StGB) hinreichend legitimieren.[26]

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Das Rechtsgut „Funktionsfähigkeit des gesamtwirtschaftlichen Systems“ ist schon inhaltlich schwer fassbar.[27] Die Volkswirtschaft beinhaltet eine Vielzahl unterschiedlicher Wirtschaftssubjekte, die mit häufig gegenläufigen Interessen, orientiert am eigenen ökonomischen Nutzen, wirtschaften.[28] Zudem fehlt auch ein greifbarer inhaltlicher Bezug zur besonderen Konstellation des Bankrotttatbestands, der ebenso wenig individuell die gesamte wirtschaftliche Aktivität des Gläubigers erfasst oder schützt.[29] Die hohe Abstraktionsstufe eines Rechtsguts „Gesamtwirtschaft“ bewirkt zugleich, dass die Funktion des Rechtsguts zur Auslegung des Straftatbestands beizutragen, gänzlich ausfällt.[30] Jedenfalls droht eine „ausufernde“ Auslegung.[31] Zugleich werden hierdurch auch Wertungsdifferenzen zum Insolvenzrecht begründet. Die Insolvenzordnung ist (ebenfalls) nicht von der Förderung gesamtwirtschaftlicher Interessen, sondern, wie gesehen, vom Primat der Haftungsverwirklichung (primäres Ziel)[32] geleitet.[33] Dementsprechend kennt das Insolvenzrecht etwa einen speziellen Schutz von Arbeitnehmern (Erhalt von Arbeitsplätzen im gesamtwirtschaftlichen Interesse) – über den allgemeinen Gläubigerschutz hinaus – nicht, so dass diese Interessen auch strafrechtlich durch § 283 StGB nicht besonders geschützt sind.[34] Der Schutz der „Funktionsfähigkeit des gesamtwirtschaftlichen Systems“ ist allenfalls als abstrakte – allgemeine – Zielbestimmung des Wirtschaftsstrafrechts geeignet. Der Einwand, dass insofern der Anlass zur Schaffung der Strafnorm mit der Rechtsgutsbestimmung in unzulässiger Weise vermengt wird,[35] trifft dementsprechend zu. Hinzu kommt, dass die reklamierten faktischen Auswirkungen von Bankrottstraftaten auf nicht unmittelbar beteiligte Unternehmen, die letztlich nur eine Addition von Einzelschäden enthalten,[36] nicht belegt sind. Zweifellos haben Insolvenzen einzelner, insbesondere großer Unternehmen auch wirtschaftlich nachteilige Auswirkungen über den Kreis unmittelbar betroffener Gläubiger hinaus. Die Bankrotthandlung betrifft allerdings (abgesehen von § 283 Abs. 2 und § 283b StGB) allein das zum Zeitpunkt der Krise (noch) vorhandene Vermögen des Schuldners. Dieses genügt häufig ohnehin nur, um die Gläubigerforderungen nur zu einem (sehr geringen) Bruchteil zurückzuführen.[37] Ausschlaggebend für den „Dominoeffekt“ ist damit nicht selten der Umstand der Insolvenz (Krise) allein,[38] ohne dass die Bankrotthandlungen gesamtwirtschaftliche Auswirkungen – überindividuell – noch zusätzlich nennenswert vertiefen. Gravierende Folgewirkungen über den unmittelbar betroffenen Gläubigerkreis hinaus treten überdies im Fall von Privatinsolvenzen, die ebenfalls von den §§ 283 ff. StGB erfasst werden,[39] praktisch nicht ein.[40] Hinzu kommt, dass dem Schuldner derartige Folgewirkungen auch nicht zugerechnet werden können.[41] Das Argument einer möglichen „Sog- oder Spiralwirkung“, die im Übrigen soweit ersichtlich auch empirisch nicht belegt ist, greift ebenso wenig. Der an den Auswirkungen der Konkurrentensituation im Wettbewerb orientierte Gedanke ist inhaltlich nicht auf die Konstellation der Bankrottdelikte übertragbar.[42] Zudem beinhaltet die Argumentation, durch die §§ 283 ff. StGB zu verhindern, dass Wettbewerber dem einzelnen „schlechten“ Vorbild folgend gleichfalls normwidrig handeln, bei Lichte besehen nur eine Umschreibung positiver Generalprävention als Funktion des Strafrechts allgemein.[43] Auch aus diesem Grund liefert das Argument keinen Anhaltspunkt für ein überindividuelles Rechtsgut des Bankrotts. Auswirkungen von Bankrottdelikten auf das „Gesamtwirtschaftliche System“ liegen danach außerhalb des Schutzzwecks der Bankrottdelikte. Ein möglicher überindividueller Schutzzweck ist – orientiert am Tatbestand des Bankrotts – enger einzugrenzen und präziser zu bestimmen.[44]

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Teilweise wird – insoweit restriktiver – insbesondere die „Funktionsfähigkeit der Kreditwirtschaft“ als bankrottrelevanter Bestandteil der Gesamtwirtschaft und eigenständiges überindividuelles Schutzgut herausgehoben.[45] Diese Auffassung beruht auf der Erwägung, dass insbesondere die Kreditwirtschaft typischerweise[46] von den Verhaltensweisen (mit-)betroffen wird, die durch die Insolvenzdelikte der §§ 283 ff. StGB inkriminiert sind.[47] Zugleich hebt diese Auffassung die besondere (gesamt-)wirtschaftliche Bedeutung des Kreditwesens hervor.[48] Die individuellen Vermögensinteressen der Gesamtgläubigerschaft einerseits sowie das „Funktionieren der Kreditwirtschaft“ andererseits, seien aus diesem Grund als gleichrangige Schutzgüter zu behandeln.[49] In diesem Zusammenhang wird auch der Kredit als bedeutsames „Instrument“ des modernen Wirtschaftsverkehrs als besonders geschützt eingestuft.[50] Zunächst ist festzuhalten, dass der Bankrotttatbestand – als Ausgangspunkt der Rechtsgutsbestimmung – einzelne Gläubigergruppen, die, wie etwa das Kreditgewerbe, typischerweise von Insolvenzen ihrer Geschäftspartner wirtschaftlich betroffen werden können, nicht bevorzugt. Die „Funktionsfähigkeit der Kreditwirtschaft“ als überindividuelles Schutzgut der §§ 283 ff. StGB unterstellt, hätte in der vorliegend zu untersuchenden Konstellation die bemerkenswerte Konsequenz, dass eine Beeinträchtigung dieses überindividuellen Rechtsguts durch Angehörige des Kreditgewerbes selbst – so gesehen „aus sich selbst heraus“ – Gegenstand eines Bankrottdelikts wäre. Die Möglichkeit der Verwirklichung von Insolvenzdelikten durch Bankmitarbeiter im Interesse von Kreditinstituten spricht allerdings eher gegen dessen Anerkennung.

 

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Der Gedanke, dass der Kredit häufig Ursache (drohender) Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung ist,[51] führt im Rahmen der Rechtsgutsbestimmung nicht weiter, da insoweit nicht die Gründe der Insolvenz, sondern die typischen Auswirkungen der Bankrotthandlungen maßgeblich sind.[52] Allerdings betrifft § 283 StGB inhaltlich häufig Konstellationen, in denen Gläubiger, die Leistungen an den (potentiellen) Gemeinschuldner bewirken, ohne sogleich (Zug-um-Zug) die vertraglich vorgesehene Gegenleistung zu erhalten, dem Schuldner insofern „Kredit“ (in einem weiten Sinn) gewähren.[53] In diesen Fällen besteht das Bedürfnis, den Gläubiger in der Krise des Schuldners besonders zu schützen. Dieser tatsächliche Bezug des Bankrotts könnte dafür sprechen, allenfalls ein institutionalisiertes Vertrauen in das ökonomische „Instrument“ des Kredits (in diesem weit verstandenen Sinn) als überindividuellen Rechtsgutsaspekt in den Schutzumfang von § 283 StGB einzubeziehen.[54] Die Ansprüche des konkret (individuell) betroffenen Kreditgebers sind jedoch bereits materieller Bestandteil der individuell geschützten Gläubigerinteressen.[55] Daneben werden von den §§ 283 ff. StGB überdies auch Ansprüche des Fiskus oder der Sozialversicherungsträger erfasst.[56] Derartige Forderungen beruhen nicht auf Kredit (in weitem Sinn) und stehen aus diesem Grund mit der Kreditwirtschaft in keiner Verbindung.

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Der Schuldner verletzt oder gefährdet durch Bankrotthandlungen über die wirtschaftlichen Interessen des konkret betroffenen Gläubigerkreises – allein gegenüber diesem Kreis besteht die strafrechtliche Sonderpflicht[57] – richtigerweise kein gesamtökonomisches Vertrauen in den „Kredit“ oder die „Funktionsfähigkeit des Kreditwesens“. Typische gesamtwirtschaftliche Auswirkungen von Insolvenzdelikten,[58] speziell für die Kreditwirtschaft, mögen unter dem Aspekt der Strafwürdigkeit bestimmter Tathandlungen in der Krise Anlass des Gesetzgebers zur Normierung der Bankrottdelikte sein. Ein schuldrelevanter Bezug zu diesen überindividuellen Aspekten liegt jedoch nicht vor.[59] Die ins Feld geführten überindividuellen Rechtsgutsaspekte, insbesondere Gefahren für die „Funktionsfähigkeit“ der Kreditwirtschaft, beinhalten einen bloßen „Schutzreflex“, der sich aus den individuell geschützten Vermögensinteressen der Gesamtgläubigerschaft ableitet.[60] Es handelt sich letztlich (nur) um „mittelbare Gläubigerschäden“ ohne eigenständigen überindividuellen Schutzgutcharakter.[61] Allein die herausgehobene volkswirtschaftliche Bedeutung des Kreditwesens „erhebt“ diesen Wirtschaftssektor nicht zum überindividuellen Schutzgut der Bankrottdelikte.[62] Dementsprechend besteht eine besondere strafrechtliche Verpflichtung des Schuldners – als Sonderpflicht des Normadressaten von § 283 StGB – ausschließlich gegenüber seiner individualisierten Gläubigerschaft, nicht aber gegenüber einem Gemeinwesen, der Volkswirtschaft oder der Kreditwirtschaft als Ausschnitt hieraus.[63] In der nach Eintritt der Krise begründeten Sonderpflicht gegenüber der Gläubigerschaft liegt zugleich der Grund für die – von anderen Vermögensdelikten, die generell und krisenunabhängig gelten, abweichende – strafrechtliche Verantwortung bereits bei einfacher Fahrlässigkeit (vgl. § 283 Abs. 4 Nr. 1, Abs. 5 Nr. 1 StGB), da der Schuldner in der Krise den Eintritt von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung besonders gewissenhaft zu prüfen hat und ihn in dieser Situation auch gegenüber den Gläubigern gesteigerte Sorgfaltspflichten treffen, so dass im Einzelfall bereits fahrlässiges Verhalten strafwürdig erscheint. Sofern eine Gläubigergefährdung außerhalb der Krise fahrlässig bewirkt wird (§ 283 Abs. 4 Nr. 2, Abs. 5 Nr. 2; § 283b Abs. 2 StGB), ist zu bedenken, dass nur Handlungen erfasst werden, die eine Krise herbeiführen und/oder mit einer Zahlungseinstellung, der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bzw. der Ablehnung des Eröffnungsantrags mangels Masse „tatsächlich“ in Zusammenhang[64] stehen. Die Strafbarkeit fahrlässigen Verhaltens wird durch die objektive Bedingung der Strafbarkeit (§ 283 Abs. 6 StGB) erheblich limitiert, so dass die strafrechtliche Sanktion auch in diesen Fällen ohne überindividuellen Rechtsgutsbezug nicht unverhältnismäßig erscheint. Die hiermit verbundene Vorverlagerung der Strafbarkeit verlangt daher nicht nach einer Rechtfertigung durch Schöpfung übergeordneter (abstrakter) Rechtsgutsaspekte. Die etwa durch Betrug oder Untreue individuell verursachten Schäden sind ebenfalls – im Vergleich zum Bankrott sogar noch in gesteigertem Maß – geeignet, durch überindividuelle, volkswirtschaftlich schädliche Folgewirkungen gesamtwirtschaftliche Verwerfungen zu verursachen. Anhand derartiger Folgen ließen sich dementsprechend auch dort, ebenso beim Diebstahl,[65] ohne weiteres überindividuelle Rechtsgüter konstruieren. Wegen der Komplexität der innerhalb des Wirtschaftsstrafrechts zu beurteilenden Sachverhalte setzt der Gesetzgeber jedoch an den individuell betroffenen wirtschaftlichen Beziehungen, im Fall des Bankrotts an dem konkret betroffenen Gläubigerkreis, an. Die Rechtsgutsbestimmung hat daher auch im Rahmen der §§ 283 ff. StGB, wie im Fall der Vermögensdelikte des Kernstrafrechts, an den konkret bestehenden – tatbestandlich erfassten – wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den Beteiligten anzuknüpfen. Im Fall von § 283 StGB wird die Bestimmung des individuellen Schutzguts durch die Verlagerung der Strafbarkeit bereits in den Gefährdungsbereich hinein nur erschwert. Neben den individuell geschützten ökonomischen Interessen der Gesamtgläubigerschaft besteht für ein überindividuelles Rechtsgut in Gestalt der „Funktionsfähigkeit der Kreditwirtschaft“ auch kein Bedürfnis. Überindividuelle Rechtsgüter werden von den §§ 283 ff. StGB daher nicht geschützt. Diese Konsequenz ist stringent, da die Einwilligung sämtlicher Gläubiger in ein von § 283 Abs. 1 StGB erfasstes Verhalten (etwa im Rahmen von Sanierungsbemühungen) eine Strafbarkeit ausschließt.[66] Ein überindividuelles Rechtsgut wäre für den beteiligten Gläubigerkreis nicht disponibel.

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