Haftungsrisiken des automatisierten und autonomen Fahrens

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Aus der Reihe: InTeR-Schriftenreihe #1
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C. Zwischenergebnis

Nach alledem lässt sich folgender Zwischenstand festhalten: Die Maschine bleibt ein zweckgebundenes, „schwaches“ Werkzeug des Menschen und kann nur innerhalb der engen Grenzen der ihr zugewiesenen Nutzung agieren. Streng genommen ist sie daher bereits aus diesem Grund nicht selbstständig;53 jedenfalls nicht so, wie es der Mensch ist. Das schließt aber nicht unbedingt aus, dass sie – im Rahmen dieser Grenzen – eine von menschlicher Kontrolle freie Instanz sein kann. Ausgangspunkt und zentrale Voraussetzung dafür ist hochqualifizierte künstliche Intelligenz. Dennoch ist nicht jede KI gleichzeitig auch als autonom zu bezeichnen; hierfür muss zunächst unterschieden werden: Die Autonomie des Menschen wird vornehmlich unter philosophischen Gesichtspunkten diskutiert und erreicht weitaus vielfältigere Dimensionen als das technische Verständnis. Menschliche und maschinelle Autonomie sind daher niemals gleichzusetzten und somit nicht den gleichen Voraussetzungen unterworfen. Auch wenn sich durch jüngste technische Entwicklungen und den noch zu erwartenden Fortschritt Mensch und Maschine immer weiter annähern, ist (und bleibt) eine Unterscheidung von Autonomie im menschlichen und technischen Sinne unabdingbar.54

53 Vgl. Freise, VersR 2019, 65 (73); Feldle, Notstandsalgorithmen, S. 47f. 54 A. A. Mayinger, Die künstliche Person, S. 15.

§ 3 Automatisierung und Autonomie im Straßenverkehr

Mediale und gesellschaftliche Aufmerksamkeit erhalten intelligente Systeme vor allem im Bereich des automatisierten und autonomen Fahrens. Das mag einerseits daran liegen, dass das Auto als Mobilitätsmittel unangefochten an der Spitze steht55 und sich ein technologischer Wandel somit auf sämtliche Bevölkerungsschichten auswirkt. Andererseits ist gerade das Automobil schon seinem begrifflichen Ursprung nach56 Sinnbild für eine „selbstständige“ Maschine und die Technologie unserer Zeit. Kaum eine andere Erfindung der letzten Jahrhunderte lässt den Fortschritt der Technik so anschaulich erkennen wie das Automobil, vom ersten Benz Patent-Motorwagen Nr. 157 bis zum autonomen Fahrzeug. Die Automatisierung trägt seit etwa 30 Jahren ihren Teil zu dieser Entwicklung bei.

Im folgenden Abschnitt soll zunächst gezeigt werden, welche Stadien die Automatisierung von Fahrzeugen bereits in der Vergangenheit erreicht hat, wo wir heute stehen und was die Zukunft bringen könnte. Anschließend erfolgt eine Einschätzung darüber, welche Chancen die Technologien bieten, aber auch, welche Gefahren und Risiken mit ihnen einhergehen.

55 58 Prozent der Bürger über 18 Jahren fahren täglich mit dem eigenen PKW, Brandt, Auto weiterhin Fortbewegungsmittel Nr. 1, https://de.statista.com/infografik/2836/die-beliebtesten-verkehrsmittel-der-deutschen/. 56 „Automobil“ setzt sich zusammen aus dem griechischen Wort „auto“ (selbst) und dem lateinischen Wort „mobilis“ (beweglich), Dwds, https://www.dwds.de/wb/Auto. 57 Der Benz Patent-Motorwagen Nr. 1 von 1886 gilt als das erste Automobil mit Verbrennungsmotor, dazu Dietsche/Kuhlgatz/Reif, in: Reif, Grundlagen Fahrzeug- und Motorentechnik, S. 2.

A. Entwicklungsstufen des automatisierten und autonomen Fahrens

Vor nicht allzu langer Zeit hatten Fachleute, Institutionen und Behörden noch ein sehr vielfältiges begriffliches Verständnis von den verschiedenen Ausprägungen automatisierter und autonomer Fahrfunktionen, was den wissenschaftlichen Diskurs deutlich erschwerte. Heute hat sich die internationale ingenieurs- und rechtswissenschaftliche Diskussion mittlerweile auf ein sechsstufiges Kategorisierungssystem58 verständigt, das auch dieser Arbeit als Grundlage dienen soll. Dieses System geht ursprünglich auf das Stufenmodell der US-amerikanischen Behörde für Straßen- und Fahrzeugsicherheit NHTSA (National Highway Traffic Safety Administration)59 zurück und wurde im Laufe der Zeit auch von nationalen europäischen Behörden wie der Bundesanstalt für Straßenwesen (Bast) übernommen.60

I. Stufe 0

Das Fahren ohne jegliche technische Unterstützung hinsichtlich Längs- oder Querführung des Fahrzeugs („no automation“) wird der Stufe 0 zugeordnet. Da in Europa jedoch bereits seit der EU-Verordnung Nr. 661/2009 elektronische Fahrhilfen wie das elektronische Stabilitätsprogramm (ESP) in Serie verbaut werden müssen,61 werden Neufahrzeuge der Stufe 0 heute nicht mehr zugelassen und nach und nach von der Bildfläche verschwinden.

II. Stufe 1

Das sogenannte „assistierte“ Fahren der Stufe 1 bezeichnet den Einsatz von aktiven Fahrerassistenzsystemen, die dem Fahrer beim Gas geben, Bremsen oder Lenken behilflich sind.62 Als Vorreiter gelten hier die bereits in den 1980er Jahren entwickelte Antriebsschlupfregelung (ASR)63 sowie das 1995 erstmalig eingesetzte ESP.64 Heute werden diese mittlerweile essentiell gewordenen (Brems-)Systeme insbesondere durch eine Vielzahl von Lenkassistenten wie den Spurhalte- und Spurwechselassistenten oder Parklenkassistenten ergänzt.65 Den Assistenzsystemen dieser Stufe ist gemein, dass sie nur kurzzeitig und punktuell in die Fahrzeugführung eingreifen; im Falle des ESP etwa durch gezielte Bremseingriffe an einzelnen Rädern zur Verhinderung des Ausbrechens des Fahrzeugs.66 Dabei wird aber immer nur die Längs- oder die Querführung beeinflusst, eine Kombination aus Brems- und Lenkassistenten erfolgt auf diesem Level nicht.

III. Stufe 2

Das (teil-)automatisierte Fahren beginnt auf der zweiten Stufe, auf der sich Systeme befinden, bei denen Fahr- und Bremsautomatisierungen kombiniert werden und die in der Lage sind, die Fahrzeugsteuerung für eine gewisse Zeit zu übernehmen. Je nach Funktion des Systems kann der Fahrer in dieser Zeit bestimmte Fahraufgaben zwar vollständig dem System überlassen, er muss es dabei jedoch dauerhaft überwachen.67

IV. Stufe 3

Das als „hochautomatisiert“ bezeichnete System der Stufe 3 eignet sich bereits zur Verwendung im Rahmen größerer „use-cases“, also beispielsweise bei stop-and-go-Verkehr auf der Autobahn. Im Zuge der Gesetzgebungsinitiative68 zum automatisierten Fahren hat der Gesetzgeber 2017 im neuen § 1a II StVG die wesentlichen Kerneigenschaften von Fahrzeugen der Stufe 3 und 4 formuliert. Das automatisierte Fahrsystem muss danach folgende Fähigkeiten besitzen:

 – Es kann die spezifische Fahraufgabe durch Übernahme der Längs- und Querführung bewältigen.

 – Es folgt den einschlägigen Verkehrsvorschriften.

 – Der Fahrer kann es jederzeit deaktivieren oder übersteuern.

 – Es erkennt die eigenen Funktionsgrenzen selbstständig.

 – Es kann den Fahrer durch optische, akustische, taktile oder sonstige wahrnehmbare Hinweise mit ausreichender Zeitreserve auf das Erfordernis der manuellen Übernahme der Fahrzeugsteuerung aufmerksam machen.

 – Es warnt den Fahrer bei nicht bestimmungsgemäßer Verwendung des Systems.

Im Unterschied zu Assistenzsystemen der Stufe 2 erkennt die Software nun also ohne Zutun des Fahrers, ob und wie lange die automatisierte Fahrfunktion verwendet werden kann. Das hat zur Folge, dass es dem Fahrer nun auch grundsätzlich gestattet ist, sich in gewissen Grenzen von der Fahrzeugsteuerung abzuwenden, wobei er aber dennoch geistig anwesend sein muss, wie § 1b I StVG klarstellt.69

V. Stufe 4

Zur vierten Stufe automatisierter Fahrzeuge zählen solche, die wiederum innerhalb spezieller use-cases70 sämtliche denkbaren Fahraufgaben übernehmen können („vollautomatisiert“).71 Allerdings unterliegt auch diese Stufe noch dem Anwendungsbereich der §§ 1a und 1b StVG, sodass der Fahrer weiterhin Überwachungspflichten hinsichtlich des Funktionsumfangs und der Funktionsgrenzen des Systems hat. Durch § 1a II Nr. 3 StVG ist klargestellt, dass in einem Fahrzeug der Stufe 4 wegen der notwendigen Übersteuerungsmöglichkeit nach wie vor manuelle Steuerungsinstrumente verbaut sein müssen.72 Technologisch setzt sich die Stufe 4 insofern vom hochautomatisierten Fahren ab, als vollautomatisierte Fahrzeuge bei systemkritischen Situationen zusätzlich zur bloßen Warnung an den Fahrer dazu in der Lage sind, das Fahrzeug selbständig in einen risikominimalen Zustand zu versetzen, also beispielsweise rechts heranzufahren und die Warnblicklichtanlage zu betätigen.73

VI. Stufe 5

Die letzte Stufe stellt schließlich das autonome Fahren dar. Anders als bei Fahrzeugen der Stufe 3 und 4 ist die Funktionsfähigkeit des Systems nicht mehr auf spezifische Anwendungsfelder beschränkt; das Fahrzeug beherrscht alle Fahraufgaben unabhängig vom Einsatzgebiet eigenständig.74 Aus diesem Grund werden Lenkrad und Pedalerie in diesem Stadium nicht mehr erforderlich sein. Alle Insassen sind nunmehr nur noch Passagiere.75

58 Balke, SVR 2018, 5 (5); Kaler/Wieser, NVwZ 2018, 369 (369); Lange, NZV 2017, 345 (346); Freise, VersR 2019, 65 (66); Bratzel/Thömmes, Alternative Antriebe, autonomes Fahren, Mobilitätsdienstleistungen, S. 39. 59 NHTSA, Automated Vehicles for Safety, https://www.nhtsa.gov/technology-innovation/automated-vehicles-safety. 60 Bundesanstalt für Straßenwesen, Rechtsfolgen zunehmender Fahrzeugautomatisierung, https://www.bast.de/BASt_2017/DE/Publikationen/Foko/2013-2012/2012-11.html. 61 EG 611/2009, S. 8. 62 Heißing, in: Ersoy/Heißing/Gies, Fahrwerkshandbuch, S. 878; Sander/Hollering, NStZ 2017, 193 (194). 63 May, in: 53. Deutscher Verkehrsgerichtstag, S. 81. 64 Klauder, Meilensteine der Fahrzeugsicherheit, https://www.auto-motor-und-sport.de/reise/abs-esp-co-meilensteine-der-fahrzeugsicherheit/. 65 Vgl. Lenninger, in: 53. Deutscher Verkehrsgerichtstag, S. 77. 66 Heißing, in: Ersoy/Heißing/Gies, Fahrwerkshandbuch, S. 886; Hammer, Automatisierte Steuerung im Straßenverkehr, S. 20. 67 Balke, SVR 2018, 5 (5); Freise, VersR 2019, 65 (66); Oppermann, in: Oppermann/Stender-Vorwachs, Autonomes Fahren, 1. Auflage, S. 177; Hammer, Automatisierte Steuerung im Straßenverkehr, S. 21; Sander/Hollering, NStZ 2017, 193 (194); May, in: 53. Deutscher Verkehrsgerichtstag, S. 83. 68 Dazu unter § 5 III A. 1. a. 69 Dazu unter § 5 A. III. 1. a. ee. ccc. 70 Wachenfeld/Winner/Gerdes/Lenz/Maurer/Beiker/Fraedrich/Winkle, in: Maurer/Gerdes/Lenz/Winner, Autonomes Fahren, S. 12ff. 71 Singler, NZV 2017, 353 (353); Oppermann, in: Oppermann/Stender-Vorwachs, Autonomes Fahren, 1. Auflage, S. 178; Hammer, Automatisierte Steuerung im Straßenverkehr, S. 23; Bratzel/Thömmes, Alternative Antriebe, autonomes Fahren, Mobilitätsdienstleistungen, S. 41. 72 Vor dem achten StVG-Änderungsgesetz vom 16.06.2017 wurde in der Literatur teilweise diskutiert, ob eine manuelle Steuerungsmöglichkeit noch erforderlich ist, vgl. dazu Oppermann, in: Oppermann/Stender-Vorwachs, Autonomes Fahren, 1. Auflage, S. 178; Hammer, Automatisierte Steuerung im Straßenverkehr, S. 23. 73 Jänich/Schrader/Reck, NZV 2015, 313 (314); Singler, NZV 2017, 353 (353f.); Sander/Hollering, NStZ 2017, 193 (194); König, NZV 2017, 123 (124); Schulz, NZV 2017, 548 (549); May, 53. Deutscher Verkehrsgerichtstag, S. 82. 74 Lange, NZV 2017, 345 (346); Balke, SVR 2018, 5 (6); Gasser, in: Maurer/Gerdes/Lenz/Winner, Autonomes Fahren, S. 551. 75 Bratzel/Thömmes, Alternative Antriebe, autonomes Fahren, Mobilitätsdienstleistungen, S. 41; Singler, NZV 2017, 353 (354); Lange, NZV 2017, 345 (346).

 

B. Technologische Herausforderungen

Die technische Umsetzung von Reaktions-, Kooperations- und Proaktionsfähigkeit76 stellt höchste Ansprüche an Hard- und Software der Fahrzeuge.77 Der derzeitige technologische Fortschritt lässt sich dabei häufig nur an dem messen, was die Automobil- und Technologiekonzerne der Öffentlichkeit preisgeben, und läuft gerade in den letzten Jahren offensichtlich derart rasant, dass eine detaillierte Beschreibung technischer Spezifikationen morgen bereits veraltet sein könnte.78 Die Ausführungen beschränken sich deshalb auf einige spezielle technische Funktionsweisen und ihre Besonderheiten.

Zunächst einmal muss das Fahrzeug dazu in der Lage sein, die gegebenen Umwelteinflüsse und Faktoren wahrzunehmen, um überhaupt die Software mit Informationen bedienen zu können. Dies erfolgt in erster Linie durch ein Zusammenspiel von Kameras und verschiedenen Sensoren.79 Die Automobilindustrie macht sich dabei insbesondere sog. Lidar-Sensoren (Light Detection and Ranging) zu Nutze, die die Entfernung, Form und Größe von Objekten durch eine Laufzeitmessung des Lichts (Time of Flight) zum Objekt und wieder zurück wesentlich genauer bestimmen können als die bisher branchenüblichen Messsysteme.80 Weil das Licht der Lidar-Sensoren auch von kleinsten Partikelteilchen reflektiert wird, leidet ihre Funktionsfähigkeit allerdings bei schlechten Witterungsbedingungen wie starkem Regen, Nebel oder Schneefall.81 Sie werden deshalb durch Radar- und Ultraschallsensoren ergänzt, die zwar in Sachen Präzision und Reichweite Lidarsystemen unterlegen, dafür aber weniger störanfällig für äußere Umwelteinflüsse sind.

Im nächsten Schritt können die gewonnenen Daten dann durch die Betriebssoftware interpretiert und ausgewertet werden. Eine der größten Herausforderungen ist dabei die Reaktionsgeschwindigkeit der sog. Echtzeitsysteme.82 Jedes Wahrnehmungsorgan – ob menschlich oder maschinell – braucht eine gewisse Zeit, bis es gesammelte Informationen zu verwertbaren Daten umgewandelt hat. Bei technischen Systemen hängt die Verarbeitungszeit maßgeblich von der Datenmenge und den technischen Spezifikationen bzw. den Leistungsgrenzen der Hardware ab. Weil auch die intelligenteste Software nutzlos ist, wenn das Zeitfenster zwischen Informationsaufnahme und Reaktion des Fahrzeugs zu groß ist, ist die Optimierung der maschinellen Reaktionsgeschwindigkeiten ein zentraler Aspekt auf dem Weg zum autonomen Fahren.

Zur finalen Routenplanung und lokalen Bewegungssteuerung muss eine geeignete Telekommunikationsinfrastruktur sichergestellt sein, um jederzeit die Position des Fahrzeugs bis auf wenige Zentimeter genau bestimmen zu können.83 Diese Infrastruktur besteht zum einen aus einer „globalen“ Lokalisierung des Fahrzeugs durch GPS, die bis auf wenige Meter genau möglich ist,84 zum anderen aus einer Orientierung des Fahrzeugs im Raum, die durch ständig aktualisierbares, hochauflösendes Kartenmaterial85 und die Kommunikation der Fahrzeuge untereinander (Car-2-Car) sowie mit vernetzten Verkehrseinrichtungen (Car-2-X)86 sichergestellt ist.

76 Siehe oben unter § 2 A. III. 77 Maurer spricht sogar von den „komplexesten technischen Sicherheitssystemen, die für den Massenmarkt produziert werden“, Maurer, in: 56. Deutscher Verkehrsgerichtstag, S. 48. 78 Wagner, in: Oppermann/Stender-Vorwachs, Autonomes Fahren, 1. Auflage, S. 18. 79 Maier, in: Grundlagen der Robotik, S. 52f.; Wagner, in: Oppermann/Stender-Vorwachs, Autonomes Fahren, 1. Auflage, S. 19ff.; Maurer, in: 56. Deutscher Verkehrsgerichtstag, S. 44f.; Lenninger, in: 53. Deutscher Verkehrsgerichtstag, S. 74. 80 Stroh, Markt&Technik 21/2019, Sonderheft Automotive Trend Guide 2019, S. 33; Reeb, Lidar auf dem Vormarsch, Markt&Technik 42/2019, 76 (76). 81 Bratzel/Thömmes, Alternative Antriebe, autonomes Fahren, Mobilitätsdienstleistungen. Neue Infrastrukturen für die Verkehrswende im Automobilsektor; S. 41; Stroh, Markt&Technik 21/2019, Sonderheft Automotive Trend Guide 2019, S. 34; Harloff/Reek, So weit ist das autonome Fahren, https://www.sueddeutsche.de/auto/verkehrssicherheit-so-weit-ist-dasautonome-fahren-1.3913983. 82 Wagner, in: Oppermann/Stender-Vorwachs, Autonomes Fahren, 1. Auflage, S. 24; Lenninger, in: 53. Deutscher Verkehrsgerichtstag, S. 74. 83 Rauch/Aeberhard/Ardelt/Kämpchen, Autonomes Fahren auf der Autobahn – Eine Potentialstudie für zukünftige Fahrerassistenzsysteme, https://mediatum.ub.tum.de/doc/1142101/file.pdf; Wagner, in: Oppermann/Stender-Vorwachs, Autonomes Fahren, 1. Auflage, S. 25; Jansen/Grewe, RAW 2019, 2 (2); Bratzel/Thömmes, Alternative Antriebe, autonomes Fahren, Mobilitätsdienstleistungen, S. 41. 84 Wagner, in: Oppermann/Stender-Vorwachs, Autonomes Fahren, 1. Auflage, S. 25. 85 Ob die erforderliche Dateninfrastruktur über den neuen Telekommunikationsstandard 5G erreicht werden kann, ist aktuell noch nicht abzuschätzen und umstritten, dazu Volkswagen, Car2X: die neue Ära intelligenter Fahrzeugvernetzung, https://www.volkswagenag.com/de/news/stories/2018/10/car2x-networked-driving-comes-to-real-life.html. 86 Lenninger, in: 53. Deutscher Verkehrsgerichtstag, S. 78; Zech, in: Gless/Seelmann, Intelligente Agenten und das Recht, S. 169f.; Weichert, SVR 2016, 361 (361).

C. Chancen und Risiken

Zahlreiche Unfälle mit tödlichen Folgen lassen zum jetzigen Zeitpunkt an der Vision des fahrerlosen Fahrens in absehbarer Zukunft zweifeln.87 Die Vorstellung, sich im Straßenverkehr komplett in die Hände eines Roboters zu begeben, schürt mangels Vertrauens in das System berechtigte Ängste.88 Furcht vor unbekannter Technologie ist immer schon ein fester Bestandteil in der Geschichte technischer Innovationen gewesen. So wurde beispielsweise die erste Eisenbahn, die „Puffing Billy“, als „Teufelsding“ bezeichnet und auch das erste Automobil war in seiner Anfangszeit nicht gerne auf den Straßen gesehen.89 Trotzdem hat sich die Eisenbahn und später auch das Auto auf ganzer Linie durchgesetzt. Die Erklärung dafür ist dabei immer die gleiche: Die Technik bringt in Relation zu ihrem Risiko enorme Vorteile mit sich, die das Leben der breiten Öffentlichkeit erheblich erleichtert und Möglichkeiten eröffnet, die bis dato nicht vorstellbar waren. Das Potential, das sich aus der Automatisierung des Straßenverkehrs ergibt, ist vielschichtig und könnte deshalb ein wichtiger Bestandteil zur Lösung von vielen gesellschaftlichen Problemen sein, die sich teilweise schon heute, aber vor allem in naher Zukunft stellen werden.

I. Chancen
1. Verkehrssicherheit

Zentraler Aspekt und deshalb das wohl am häufigsten genannte Argument für einen autonomen Verkehr ist die Reduzierung der Unfallzahlen und damit die Minimierung der im Straßenverkehr verletzten oder getöteten Personen.90 Auch die von der Bundesregierung eingesetzte Ethik-Kommission stellt klar, dass „der Schutz der Menschen Vorrang vor allen anderen Nützlichkeitserwägungen hat.“91 Aktuell sind etwa 90 Prozent der Unfälle auf menschliches Versagen zurückzuführen, nur ein Prozent dagegen haben ihre Ursache in einem technischen Defekt.92 Natürlich wird sich der Anteil maschinell bedingter Unfälle mit zunehmender Automatisierung verhältnismäßig erhöhen, weil auch autonome Fahrzeuge nicht völlig unfallfrei fahren werden und die „Vision Zero“, also die Reduzierung der Unfallopfer auf 0, wohl eine Vision bleiben wird. Die Technik macht aber berechtigterweise Hoffnung auf eine signifikante Verringerung der absoluten Opferzahlen, auch wenn dies aus heutiger Sicht nur sehr vage prognostiziert werden kann.93 Das Meinungsbild der Öffentlichkeit zu diesem Thema ist zwiespältig: So ergaben internationale Studien, dass ca. 40 Prozent der Autofahrer glauben, dass autonome Fahrzeuge in Zukunft sicherer fahren werden als menschlich gesteuerte.94 Es gibt allerdings große Differenzen bei Herkunft, Alter und Geschlecht der Befragten. Männer sind optimistischer als Frauen, junge Menschen optimistischer als ältere.95 Die technische Umsetzung steht dabei vor der Herausforderung eines Spagates zwischen einer möglichst sicheren, also defensiven und vorausschauenden Fahrweise,96 und einer dennoch praktikablen Lösung. In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, welchen Einfluss die Insassen autonomer Fahrzeuge auf Parameter wie Geschwindigkeit oder Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug haben sollten.

Ebenfalls diskutiert wird eine Verpflichtung zur Nutzung automatisierter und autonomer Systeme im Straßenverkehr.97 Technologische Voraussetzung dieser Debatte ist sicherlich, dass sich die Technik tatsächlich als wesentlich sicherer erweist und der Schutz der Verkehrsteilnehmer deshalb durch einen flächendeckenden Einsatz autonomer Systeme wesentlich besser gewährleistet werden kann. Es kommt dann zu einer Divergenz zwischen staatlichem Schutzauftrag und der Privatautonomie des Einzelnen (in diesem Fall also das Recht, kein autonomes Fahrzeug zu nutzen). Verfassungsrechtlich lässt sich strikt mit der allgemeinen Handlungsfreiheit argumentieren.98 Problematisch ist allerdings, inwieweit nicht ein Eingriff in Art. 2 I GG verfassungsmäßig gerechtfertigt sein kann. Stender-Vorwachs und Steege führen hier die Vergleichbarkeit dieser Frage mit den Gurt- bzw. Helmpflicht-Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts an,99 in denen den Belangen der Allgemeinheit der Vorrang gegenüber den Individualinteressen der Gurt- oder Helmgegner gewährt wurde.100 Wenn der Schutz der Allgemeinheit sogar Vorrang gegenüber dem Bedürfnis hat, ohne Helm oder Gurt zu fahren, dann hat er erst Recht Vorrang gegenüber dem Bedürfnis, ein Fahrzeug mit manueller Steuerung zu führen; schließlich würde ein solches Verhalten die Allgemeinheit weitaus mehr gefährden als der Verzicht auf einen Helm oder Gurt.

 

Gesetzt den Fall, dass die Technik tatsächlich signifikant sicherer ist als der menschliche Fahrer, wäre die zulassungsrechtliche Beschränkung auf autonome Fahrzeuge in (ferner) Zukunft also durchaus ein zulässiges Mittel.