Der reiche Mann

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Aus der Reihe: Die Forsyte Saga #1
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Fünftes Kapitel
Eine Forsytesche Häuslichkeit

Wie Tausende von Aufgeklärten seiner Klasse und seiner Generation in dem großen London, die nicht mehr an rote Plüschmöbel glauben und wissen, daß moderne italienische Marmorgruppen › vieux jeu‹ sind, bewohnte Soames Forsyte ein Haus, das allen Ansprüchen genügte. Es hatte einen kupfernen Türklopfer von eigenartiger Gestalt, Fenster, die sich nach außen öffnen ließen, hängende, mit Fuchsien gefüllte Blumenbretter, und an der Rückseite (sehr vornehm) einen kleinen, mit nephritgrünen Fliesen belegten Hof, von rosenroten Hortensien in pfaublauen Kübeln umgeben. Hier konnten sich unter einem pergamentfarbenen japanischen Sonnenschirm, der den ganzen Raum bedeckte, Bewohner und Gäste vor neugierigen Blicken schützen, wenn sie ihren Tee tranken und in Muße die neuesten von Soames' kleinen silbernen Dosen betrachteten.

Bei der inneren Einrichtung waren der Empirestil und William Morris bevorzugt. Für seine Größe war das Haus behaglich; überall waren zahllose kleine, Vogelnestern gleichende Nischen, und kleine silberne Nippsachen lagen umher wie Eier.

In dieser allgemeinen Vollkommenheit waren zwei verschiedene Geschmacksrichtungen sehr wählerischer Art mit einander im Streit. Es lebte eine Herrin darin, die sich auf einem wüsten Eiland ein zierliches Heim zu schaffen gewußt hätte, und ein Gebieter, dessen Schönheitssinn, den er nur im Gedanken an sein Emporkommen pflegte, eigentlich eine den Gesetzen des Wettbewerbs entsprechende Kapitalsanlage war.

Dieser berechnete Schönheitssinn hatte bei Soames schon in seiner Schulzeit das Verlangen erweckt, der erste unter den Jungen zu sein, der im Sommer weiße und im Winter Manchesterwesten trug, sie hatte ihn davor bewahrt, öffentlich mit verschobener Krawatte zu erscheinen und ihn veranlaßt, seine Lackstiefel blank zu reiben, wenn sich bei der Schulfeier eine große Menge versammelte, um ihn Molière rezitieren zu hören.

Wie vielen Londonern, war Soames eine makellose Sauberkeit angeboren; es war unmöglich, sich vorzustellen, daß bei ihm ein Härchen in Unordnung geraten könnte, daß seine Krawatte ein Haar breit von der senkrechten Linie abweichen, sein Kragen ohne Glanz sein könnte. Nicht um die Welt hätte er auf sein tägliches Bad verzichtet – es war Mode Bäder zu nehmen, und mit welch bitterer Verachtung sah er auf Leute herab, die es unterließen!

Irene aber konnte man sich als Nymphe vorstellen, die von der Frische und dem Anblick ihrer eigenen holden Gestalt erfreut, in verstecktem Weiher badet.

In diesem häuslichen Konflikt hatte die Frau nachgeben müssen. Wie bei dem Kampf zwischen Sachsen und Kelten, der noch in der Nation fortlebte, war das eindrucksfähigere und empfänglichere Temperament in eine konventionelle Form hineingezwängt worden.

So war das Haus nun von hundert andern Häusern mit den gleichen hohen Ansprüchen kaum zu unterscheiden, war: ›Das reizende kleine Haus von Soames Forsyte geworden, ganz eigenartig – wirklich elegant!‹

Liest man für Soames Forsyte James Peabody, Thomas Atkins, Emmanuel Spagnoletti oder den Namen sonst irgend eines Engländers des besseren Mittelstandes in London, der Anspruch auf guten Geschmack erhebt, so paßt derselbe Satz auf sie, mag die Einrichtung auch verschieden sein.

Am Abend des achten August, eine Woche nach der Expedition nach Robin Hill, saßen im Speisezimmer dieses Hauses, das – ganz eigenartig – wirklich elegant! – war, Soames und Irene bei Tisch. Warmes Mittagessen am Sonntag galt in diesem, wie vielen andern Häusern als eine besondere Vornehmheit. Soames hatte es gleich zu Anfang seiner Ehe zur Bedingung gemacht. »Es muß am Sonntag warmes Mittagessen geben,« pflegte er zu sagen, »sonst haben die Dienstboten nichts zu tun und spielen den ganzen Tag Harmonika.«

Die Anordnung war keinem Widerstand begegnet. Denn – Soames sah es als ein ziemlich bedauerliches Zeichen an – die Dienstboten hingen an Irene, die aller unverletzlichen Tradition zum Trotz, deren Recht auf einen Anteil an den Schwächen der menschlichen Natur anzuerkennen schien.

Das glückliche Paar saß sich nicht gegenüber, sondern an den rechtwinklig zu einander stehenden Seiten des hübschen Tisches aus Rosenholz. Sie speisten ohne Tischtuch – eine besondere Eleganz – und hatten bis jetzt noch kein Wort gesprochen.

Soames liebte es, sich bei Tisch von Geschäften oder seinen Einkäufen zu unterhalten, und solange er sprach, verstimmte Irenens Schweigsamkeit ihn nicht. An diesem Abend aber war es ihm unmöglich zu sprechen. Die Absicht zu bauen hatte ihm die ganze Woche auf der Seele gelastet, und er war entschlossen, es ihr zu sagen.

Die Unruhe angesichts dieser Eröffnung erregte ihn sehr; sie durfte ein solches Gefühl in ihm nicht aufkommen lassen – Mann und Frau waren doch eins. Nicht ein einziges Mal hatte sie ihn angeblickt, seitdem sie sich zu Tisch gesetzt hatten, und er fragte sich, woran sie wohl die ganze Zeit hindurch gedacht haben mochte. Es war hart für einen Mann, der so arbeitete wie er, um Geld für sie zu verdienen – und dazu noch mit diesem Weh im Herzen – wenn sie dasaß und aussah – aussah, als beengten die Wände des Zimmers sie. Es konnte einen Mann vom Tisch vertreiben.

Das rosig gedämpfte Licht der Lampe fiel auf ihren Hals und ihre Arme – Soames sah sie bei Tisch gern im ausgeschnittenen Kleide, es gab ihm ein Gefühl von Überlegenheit über die Mehrzahl seiner Bekannten, deren Frauen sich mit ihren besten hohen Kleidern oder ›Teagowns‹ begnügten, wenn sie zu Hause speisten. Unter dem rosigen Licht bildeten ihr bernsteinfarbenes Haar und die helle Haut einen seltsamen Kontrast zu ihren dunkelbraunen Augen.

Konnte man etwas Hübscheres haben als diesen Speisetisch mit seinen tiefen Farben, den leuchtenden zartblättrigen Rosen, dem rubinfarbenen Glas und dem wunderbar feinen Silberzeug; konnte man etwas Reizenderes haben als diese Frau, die daran saß. Dankbarkeit war jedoch keine Forsytesche Tugend, denn, mit ihrem gesunden Menschenverstand und nur auf Gewinn bedacht, hatten sie keine Verwendung dafür; und Soames empfand nur ein Gefühl der Erbitterung, das sich bis zum Schmerz steigerte, weil er sie nicht besaß, wie es sein Recht war sie zu besitzen, daß er seine Hand nicht ausstrecken konnte wie nach jener Rose, sie nicht pflücken und die tiefsten Heimlichkeiten ihres Herzens ausspüren konnte.

All sein sonstiges Besitztum, alles was er gesammelt hatte, sein Silber, seine Bilder, seine Häuser, seine Gelder, gaben ihm ein geheimes vertrautes Gefühl, nur sie gab ihm keines.

Es stand auf jeder Wand dieses Hauses geschrieben. Seine geschäftsmäßige Natur wehrte sich gegen die geheime Mahnung, daß sie nicht für ihn geschaffen sei. Er hatte diese Frau geheiratet, hatte sie erobert, sie zu seinem Eigentum gemacht, und es schien ihm dem wesentlichsten aller Rechte, dem Besitzrecht zu widersprechen, daß er nichts als ihren Körper sein eigen nennen sollte – wenn das überhaupt der Fall war; er fing fast an daran zu zweifeln. Hätte ihn jemand gefragt, ob er ihre Seele besitzen wolle, wäre die Frage ihm so lächerlich wie sentimental vorgekommen. Aber er wollte es, und die Schrift an den Wänden sagte ihm, daß es ihm nie gelingen würde.

Sie war stets schweigsam, passiv, sanft abweisend, als fürchtete sie durch ein Wort, eine Bewegung oder ein Zeichen den Glauben in ihm zu erwecken, daß sie ihn liebte; und er fragte sich: Wird es niemals anders werden?

Wie bei den meisten Romanlesern seiner Generation (und Soames war ein großer Freund von Romanen), waren seine Lebensanschauungen von der Literatur beeinflußt, und er wiegte sich in dem Glauben, daß es nur eine Frage der Zeit sei. Zuletzt gewann der Mann doch immer die Liebe seiner Frau. Selbst in Fällen – er liebte derartige Bücher nicht sehr – die tragisch endeten, starb die Frau immer mit Worten bitterer Reue auf den Lippen, oder wenn der Mann starb – ein unangenehmer Gedanke – warf sie sich in der Pein ihrer Gewissensqualen über ihn.

Er ging oft mit Irene ins Theater und wählte instinktiv moderne Gesellschaftsstücke mit modernen Eheproblemen, die glücklicherweise von den Eheproblemen im wirklichen Leben so verschieden waren. Er fand, daß sie ebenfalls immer in der gleichen Weise endeten, selbst wenn ein Liebhaber mit im Spiele war. Solange er dem Stück zuschaute, sympathisierte Soames mit dem Liebhaber; aber noch ehe er auf der Heimfahrt in der Droschke mit Irene zu Haus anlangte, sah er ein, daß es keinen Sinn hatte und war froh, daß das Stück geendet hatte, wie er es gesehen. Es war damals gerade eine neue Art von Ehemännern in Aufnahme gekommen, der starke, ziemlich rohe, aber außerordentlich gesunde Mann, der am Ende des Stückes so merkwürdigen Erfolg hatte. Für diesen empfand Soames durchaus keine Sympathie, und wäre er nicht um seine eigene Stellung besorgt gewesen, so hätte er seinem Abscheu gegen den Burschen Ausdruck gegeben. Aber er war sich so wohl bewußt, wie wesentlich die Notwendigkeit für ihn war, ein glücklicher und selbst ein ›starker‹ Ehemann zu sein, daß er niemals von seinem Widerwillen sprach, der vielleicht infolge von wunderlichen Naturprozessen aus einem geheimen Fond von Brutalität in ihm selbst entstanden war.

Allein die Schweigsamkeit Irenens an diesem Abend war außergewöhnlich. Er hatte noch nie einen solchen Ausdruck in ihrem Gesicht gesehen. Und da Ungewohntes immer beunruhigt, war Soames beunruhigt. Er aß seinen Nachtisch und trieb das Mädchen an, als es die Krumen mit der silbernen Tischbürste abfegte. Als es das Zimmer verlassen hatte, füllte er sein Glas mit Wein und sagte:

»War heute Nachmittag irgend jemand hier?«

»June.«

»Was wollte denn die?« Es war ein Axiom bei den Forsytes, daß man nirgendwohin ging, ohne etwas zu wollen. »Wollte sich wohl über ihren Bräutigam aussprechen?«

 

Irene erwiderte nichts.

»Es sieht mir so aus,« fuhr Soames fort, »als wäre sie verliebter in ihn als er in sie. Sie läuft ihm überall nach.«

Irenens Blicke gaben ihm ein unbehagliches Gefühl.

»Es kommt dir nicht zu, so etwas zu sagen!« rief sie aus.

»Warum nicht? Jeder kann es sehen.«

»Keiner kann das. Und wenn man es könnte, ist es unerhört, es zu sagen.«

Soames verlor seine Fassung.

»Du bist mir eine nette Frau!« sagte er. Aber im geheimen wunderte er sich über ihre hitzige Antwort, das sah ihr gar nicht ähnlich. »Du bist ganz übertrieben mit June. Eines kann ich dir sagen, jetzt, wo sie den Bukanier am Bändel hat, macht sie sich keinen Pfifferling aus dir, du wirst schon noch dahinter kommen. Aber du wirst sie künftig nicht mehr so häufig sehen, wir ziehen aufs Land.«

Es war ihm lieb, seine Eröffnung unter dem Deckmantel dieser gereizten Auseinandersetzung machen zu können. Er hatte einen Ausruf des Entsetzens erwartet, und das Schweigen, mit dem diese Mitteilung entgegengenommen wurde, beunruhigte ihn.

»Es scheint dich nicht zu interessieren,« sah er sich genötigt hinzuzufügen.

»Ich wußte es bereits.«

Er sah sie scharf an.

»Wer sagte es dir?«

»June.«

»Woher wußte sie es?«

Irene antwortete nicht. Enttäuscht und verstimmt sagte er:

»Es ist eine gute Sache für Bosinney; er wird sein Glück dabei machen. Sie hat dir wohl alles darüber erzählt?«

»Ja.«

Es entstand abermals eine Pause, dann sagte Soames:

»Du tust es wohl nicht gern?«

Irene gab keine Antwort.

»Ja, ich weiß nicht, was du willst. Du scheinst hier nie zufrieden.«

»Kommen meine Wünsche dabei irgendwie in Betracht?«

Sie nahm die Vase mit den Rosen und verließ das Zimmer. Soames blieb sitzen. Hatte er dazu den Kontrakt unterzeichnet? Sollte er dafür an zehntausend Pfund ausgeben? Bosinneys Ausspruch: »Frauen sind des Teufels«, fiel ihm wieder ein.

Aber bald beruhigte er sich. Es hätte schlimmer kommen können. Sie hätte aufbrausen können. Er hatte etwas mehr erwartet als dies. Ein glücklicher Zufall immerhin, daß June das Eis für ihn gebrochen hatte. Sie hatte es wohl aus Bosinney herausgelockt; das hätte er sich doch denken können.

Er zündete sich eine Zigarette an.

Schließlich hatte Irene doch keine Szene gemacht! Sie würde nachgeben – das war das Beste an ihr; sie war zwar kalt, aber nicht trotzig. Er paffte einen Marienkäfer auf dem blanken Tisch an und versank in Nachdenken über sein Haus. Es hatte keinen Zweck sich zu ärgern; er wollte sofort zu ihr und alles wieder gut machen. Sie saß wahrscheinlich im Dunkeln draußen unter dem japanischen Sonnenschirm und strickte. Die Nacht war warm und schön ...

Wirklich war June am Nachmittag mit leuchtenden Augen gekommen und hatte gesagt: »Soames ist ein guter Kerl! Eine famose Sache für Phil – genau, was er braucht!«

Da Irenens Gesicht verständnislos und verblüfft blieb, fuhr sie fort:

»Euer neues Haus in Robin Hill nämlich. Wie? Weißt du nichts davon?«

Irene wußte nichts.

»O, dann hätte ich es dir wohl nicht sagen dürfen!« Und mit einem ungeduldigen Blick auf die Freundin hatte sie ausgerufen: »Du siehst aus, als liege dir nichts daran. Siehst du denn nicht, daß es gerade das ist, was ich immer gewünscht habe – genau die Gelegenheit, die er braucht. Jetzt wirst du sehen, was er kann;« und dann gab sie die ganze Geschichte zum besten.

Seit ihrer eigenen Verlobung schien sie kein großes Interesse an der Lage der Freundin zu nehmen; die Stunden, die sie bei Irene zubrachte, waren ihren eigenen vertraulichen Mitteilungen gewidmet. Und zuweilen war es ihr trotz ihres liebevollen Mitgefühls unmöglich, einen Anflug verächtlichen Mitleids mit der Frau zu unterdrücken, die einen solchen Fehler im Leben begangen hatte – solch einen unbesonnenen, lächerlichen Fehler.

»Er soll auch die Inneneinrichtung machen – er hat völlig freie Hand. Es ist prächtig –« Sie lachte fröhlich auf, ihre kleine Gestalt bebte vor Vergnügen; sie hob die Hand und schlug nach einem Musselinvorhang. »Weißt du, ich bat sogar Onkel James –« Aber in einer plötzlichen Unlust von dem Vorfall zu sprechen, hielt sie inne und ging, da sie ihre Freundin so einsilbig fand, dann plötzlich fort. Auf der Straße blickte sie noch einmal zurück, Irene stand noch in der Haustür. Ihren Abschiedsgruß erwidernd, winkte sie mit der Hand, wandte sich langsam um und schloß die Tür ...

Soames ging ins Wohnzimmer und spähte durchs Fenster nach ihr.

Draußen im Schatten des japanischen Sonnenschirmes saß sie ganz still, die Spitze auf ihren weißen Schultern bewegte sich, wenn der Busen sich leise hob und senkte.

Aber die schweigsame Gestalt, die so regungslos dort im Dunkeln saß, schien eine Wärme, eine heimliche Glut zu durchzittern, als wäre ihr ganzes Wesen aufgewühlt und ein Wandel in ihrem tiefsten Innern eingetreten.

Er stahl sich unbemerkt ins Speisezimmer zurück.

Sechstes Kapitel
James auf eigene Hand

Es währte nicht lange, bis Soames' Entschluß zu bauen in der Familie herumgekommen war und eine Unruhe verursachte, wie jede Entscheidung, die mit Vermögensangelegenheiten in Beziehung stand, sie unter den Forsytes hervorgerufen hätte.

Es war nicht seine Schuld, denn er war entschlossen, niemand etwas davon wissen zu lassen. June hatte es in der Überfülle ihres Herzens Mrs. Small erzählt und ihr erlaubt, es nur Tante Ann zu sagen – sie dachte, es würde die gute alte Seele erfreuen! denn Tante Ann mußte seit vielen Tagen das Zimmer hüten.

Mrs. Small erzählte es sogleich Tante Ann, die in ihren Kissen liegend, lächelnd mit ihrer deutlichen, alten zittrigen Stimme sagte:

»Wie schön für die liebe June; aber ich hoffe, sie werden sorgsam sein – es ist doch ziemlich gewagt!«

Als sie wieder allein war, überflog ein Schatten gleich einer Wolke, die einen Regentag ankündigt, ihr Gesicht.

Wie sie die vielen Tage dort so lag, war sie unaufhörlich bemüht, ihre ganze Willenskraft immer aufs neue anzuspannen; auch ihrem Gesicht war es anzumerken, und um die Mundwinkel zuckte es beständig.

Ihr Mädchen, – ›ein gutes Mädchen – aber langsam!‹ – das seit fast zwanzig Jahren in ihren Diensten stand, vollzog jeden Morgen mit peinlichster Genauigkeit die Schlußzeremonie ihrer gewohnten Toilette. Aus der Tiefe einer sauberen weißen Putzschachtel nahm sie die flachgedrückten grauen Locken, das Abzeichen persönlicher Würde, legte sie vorsichtig in die Hände ihrer Herrin und kehrte ihr den Rücken zu.

Und jeden Tag mußten die Tanten Juley und Hester kommen und berichten wie es Timothy ging; was für Nachrichten von Nicholas gekommen; ob es June geglückt, den alten Jolyon zu einer Kürzung der Verlobungszeit zu bestimmen, da Mr. Bosinney doch nun das Haus für Soames baute; ob des jungen Rogers Frau wirklich – erwartete; wie Archie die Operation überstanden und was Swithin mit dem leeren Hause angefangen hatte, dessen Mieter sein ganzes Geld verloren und sich so schlecht benommen hatte. Vor allen Dingen aber über Soames. Verlangte Irene noch – noch immer getrennte Zimmer? Und jeden Morgen sagte sie zu ihrem Mädchen: »Ich komme heute Mittag hinunter, so gegen zwei Uhr. Du wirst mich stützen müssen nach all diesen Tagen im Bett.«

Nachdem Mrs. Small Tante Ann alles erzählt hatte, sprach sie in strengstem Vertrauen zu Nicholas' Frau von dem Haus, und diese wieder ließ es sich von Winifred Dartie bestätigen, in der Voraussetzung natürlich, daß sie als Soames' Schwester alles wissen müsse. Durch sie war es dann auf direktem Wege James zu Ohren gekommen. Er hatte sich nicht wenig darüber aufgeregt.

»Mir,« sagte er, »erzählt keiner was.«

Und anstatt direkt zu Soames zu gehen, vor dessen Einsilbigkeit er sich fürchtete, nahm er seinen Schirm und ging zu Timothy.

Er fand Mrs. Septimus Small und Hester (man hatte es ihr gesagt, denn sie war so zuverlässig und fand es so ermüdend zu sprechen) bereit, sogar begierig, sich über die Neuigkeit zu unterhalten. Es wäre sehr gütig von dem lieben Soames, fanden sie, Mr. Bosinney zu beschäftigen, aber ziemlich riskant. Wie hatte George ihn doch genannt? »Den Bukanier!« Wie drollig! Aber George war immer so drollig! Immerhin würde alles in der Familie bleiben – sie mußten Mr. Bosinney doch wohl als zur Familie gehörig betrachten, so sonderbar es ihnen auch vorkam.

James warf hier ein:

»Niemand weiß etwas von ihm. Ich verstehe nicht, was Soames mit diesem jungen Mann will. Es sollte mich nicht wundern, wenn Irene da die Hand mit im Spiele hätte. Ich werde darüber mit –«

»Soames,« fiel Tante Juley hier ein, »sagte zu Mr. Bosinney, er wünsche nicht, daß darüber gesprochen werde. Er sähe es gewiß nicht gern, wenn man mit ihm darüber spräche, und wenn Timothy es wüßte, würde er sich sehr ärgern, ich –«

James hielt die Hand hinters Ohr.

»Wie?« sagte er. »Ich werde sehr schwerhörig. Ich glaube, ich verstehe nicht recht was gesagt wird. Emily hat einen schlimmen Zeh. Vor Ende des Monats werden wir nicht nach Wales reisen können. Es ist immer was los!« Und da er erfahren hatte, was er wollte, nahm er seinen Hut und ging.

Es war ein schöner Nachmittag und er ging quer durch den Park zu Soames, wo er zu Tisch bleiben wollte, denn Emilys Fuß fesselte sie ans Bett, und Rachel und Cicely waren zum Besuch auf dem Lande. Er schlug einen Querweg über eine Wiese mit kurzem dürren Gras ein, wo hier und dort zerstreut schwarze Schafe weideten, Pärchen lagerten und sonderbare Gesellen auf dem Bauch lagen wie Leichen auf einem Feld, über das die Wogen einer Schlacht geflutet sind.

Er ging schnell, mit gesenktem Kopf und blickte weder nach rechts noch links. Der Anblick dieses Parks, der Mittelpunkt seines eigenen Schlachtfeldes, auf dem er sein Leben lang gekämpft hatte, regte ihn weder zum Nachdenken noch zu Betrachtungen an. Diese dort im Sturm und Drang des Kampfes hingestreckten Leiber, diese Liebespaare, die dicht aneinandergeschmiegt der Einförmigkeit ihrer Tretmühle eine Stunde eitel Elysium abgerungen, ließen seine Phantasie unberührt; diese Art von Vorstellungen waren ihm fremd geworden; seine Nase war wie die eines Schafes auf die Weide gerichtet, die er abgraste.

Einer seiner Mieter hatte kürzlich angefangen mit seiner Miete im Rückstand zu bleiben, und es war eine ernste Frage für ihn gewesen, ob er ihn nicht lieber gleich hinaussetzen sollte und so Gefahr laufen, die Wohnung vor Weihnachten nicht wieder zu vermieten. Swithin war gerade übel mitgespielt worden, aber es war ihm recht geschehen – er hatte zu lange gezaudert.

Darüber sann er nach, als er da gleichmäßigen Schrittes weiterging und seinen Schirm vorsichtig, dicht unter der Krücke am Stock trug, um mit der Zwinge den Boden nicht zu berühren und die Seide in der Mitte nicht abzunutzen. Und wie er gebeugt mit seinen hohen mageren Schultern weiterschritt, wobei die langen Beine sich mit mechanischer Genauigkeit vorwärtsbewegten, glich dieser Gang durch den Park, wo die Sonne mit hellem Licht auf soviel Müßiggang – auf so viele menschliche Zeugen des unbarmherzigen Kampfes um Hab und Gut herabschien, der draußen tobte – dem Flug eines Zugvogels über das Meer.

Er fühlte eine Berührung am Arm, als er aus dem Park trat.

Es war Soames, der aus dem Wege vom Bureau plötzlich neben ihm auftauchte.

»Mutter liegt zu Bett,« sagte James. »Ich wollte eben zu euch, aber ich störe wohl.«

Die äußeren Beziehungen zwischen Soames und seinem Vater zeichneten sich durch einen echt Forsyteschen Mangel an Herzlichkeit aus, aber die beiden hingen trotzdem an einander. Vielleicht betrachteten sie sich gegenseitig als Kapitalsanlage; jedenfalls war jeder um das Wohl des andern besorgt und freute sich des Zusammenseins mit ihm. Nie hatten sie zwei Worte über intimere Lebensfragen gewechselt oder in der Gegenwart des andern die Existenz eines tieferen Gefühls verraten.

Etwas, das sich in Worten nicht ausdrücken läßt, verknüpfte sie mit einander, etwas, das verborgen tief in Familien und Nationen wurzelt – denn Blut ist dicker als Wasser, wie man sagt – und keiner von ihnen hatte kaltes Blut. Wirklich war James' Liebe zu seinen Kindern jetzt die Haupttriebkraft seines Lebens. Um diesen, die Teile von ihm selbst waren, sein erspartes Geld hinterlassen zu können, hatte er gespart; und mit fünfundsiebzig Jahren, was war ihm denn noch geblieben sich daran zu freuen, als – das Sparen. Das Sparen für seine Kinder bildete den Inhalt seines Lebens.

 

Dann war James Forsyte trotz all seiner ›Jonaismen‹ der gesundeste Mensch (wenn der Selbsterhaltungstrieb wirklich das erste Symptom von Gesundheit ist, obwohl Timothy darin entschieden zu weit ging) in ganz London, dem er so viel verdankte, an dem er als dem Mittelpunkt seiner Tätigkeit mit einer stillen Liebe hing. Er besaß die wunderbare instinktive Gesundheit des Mittelstandes. Mehr als bei Jolyon mit seiner festen Willenskraft und seinen Anwandlungen von Zärtlichkeit und Philosophie – mehr als bei Swithin, dem Märtyrer seiner Verschrobenheit – und Nicholas, der unter seinen Fähigkeiten litt – mehr als bei Roger, dem Opfer seiner Unternehmungslust – trat bei ihm die Neigung für Kompromisse zutage. Von allen Brüdern war er an Geist und Persönlichkeit am wenigsten bemerkenswert, und aus diesem Grunde wahrscheinlich zu ewigem Leben ausersehen.

James hatte mehr Liebe für ›die Familie‹ und deren Bedeutung, als einer der andern. Von jeher hatte in seinem Wesen dem Leben gegenüber etwas Ursprüngliches und Gemütliches gelegen; er liebte den häuslichen Herd, liebte es, zu plaudern und zu brummen. Alle seine Ansichten waren wie ein Rahm, den er von der Familiengesinnung abschöpfte, und durch diese Familie wieder von der Gesinnung Tausender von andern Familien gleicher Beschaffenheit. Jahr für Jahr und Woche für Woche besuchte er Timothy, saß mit übergeschlagenen Beinen und dem langen weißen Bart um den glattrasierten Mund im Wohnzimmer seines Bruders, sah die Familienkanne brodeln und den Rahm an die Oberfläche steigen und ging dann erfrischt und gestärkt, mit einem unbeschreiblichen Gefühl des Behagens wieder fort.

Unter der demantharten Decke seines Selbsterhaltungstriebes war viel echte Weichheit in James. Ein Besuch bei Timothy war wie eine Stunde auf dem Schoß einer Mutter; und sein tiefes Verlangen nach Schutz unter den Fittichen der Familie wirkte darum auch auf seine Empfindungen den eigenen Kindern gegenüber zurück. Wie ein Alp bedrückte es ihn, sie mit ihrem Vermögen, ihrer Gesundheit oder ihrem Ruf dem Treiben der Welt ausgesetzt zu sehen. Als der Sohn seines alten Freundes John Street als Freiwilliger eintreten wollte, schüttelte er bedenklich den Kopf und wunderte sich, daß John Street seine Einwilligung dazu gab. Und als der junge Street dann, durch einen Wurfspeer der Wilden getroffen, fiel, nahm er es sich so zu Herzen, daß er überall eigens zu dem Zweck Besuche machte, seine Empörung auszusprechen und zu sagen, daß er gewußt, wie es hatte kommen müssen.

Als sein Schwiegersohn Dartie damals infolge seiner Ölspekulationen jene verhängnisvolle geschäftliche Krisis durchzumachen hatte, war James vor Ärger krank geworden; ihm war, als würde aller Wohlstand zu Grabe geläutet, und es kostete ihn drei Monate und eine Reise nach Baden-Baden, um sich zu erholen; in dem Gedanken, daß ohne sein Geld Darties Namen vielleicht auf die Konkursliste gekommen wäre, lag etwas Furchtbares.

Da er sich einer so gesunden Konstitution erfreute, daß er, wenn er Ohrenschmerzen hatte, schon zu sterben wähnte, betrachtete er gelegentliche Unpäßlichkeiten seiner Frau und Kinder als persönliche Kränkung, als besondere Eingriffe der Vorsehung, um seinen Seelenfrieden zu stören. Aber bei Leuten außerhalb seiner unmittelbaren Familie glaubte er überhaupt nicht an Krankheit und schob die Schuld in jedem Fall auf ein vernachlässigtes Leberleiden.

»Was erwarten sie denn,« pflegte er zu sagen, »mir geht's ebenso, wenn ich nicht vorsichtig bin!«

Als er an diesem Abend zu Soames ging, fand er, daß das Leben ihm hart mitspielte. Emily lag mit ihrem kranken Fuß zu Bett, und Rachel kutschierte auf dem Lande umher; um ihn kümmerte sich keiner. Ann war krank – sie würde den Sommer wohl kaum überstehen – dreimal war er nun bei ihr gewesen, ohne daß sie ihn hatte sehen können! Und diese Idee von Soames ein Haus zu bauen, da mußte man doch aufpassen. Dann aber diese Sorge um Irene, was sollte daraus noch werden – es konnte alles Mögliche daraus entstehen!

Er betrat das Haus am Montpellier Square Nummer 62 mit der festesten Absicht, sich unglücklich zu fühlen.

Es war schon halb acht, und Irene saß, zum Essen angekleidet, im Wohnzimmer. Sie trug ihr goldfarbenes Kleid – denn nachdem sie bei einem Diner und einem Ball damit geprunkt hatte, mußte es im Hause aufgetragen werden – und hatte den Busen mit einer Kaskade von Spitzen geschmückt, an denen James' Blicke sofort haften blieben.

»Wo kaufst du deine Sachen?« fragte er lebhaft. »Rachel und Cicely sehen nie auch nur halb so gut aus. Aber diese Spitze mit dem Rosenmuster da – die ist nicht echt!«

Irene trat dicht an ihn heran, um zu beweisen, daß er sich irre.

Und wider Willen empfand James den Einfluß ihres Wesens, des leisen verführerischen Duftes, der von ihr ausströmte. Kein Forsyte, der einige Selbstachtung besitzt, ergibt sich mit einem Schlage, darum sagte er nur: Kann sein – sie mußte wohl ein schönes Stück Geld für ihre Toilette ausgeben.

Der Gong ertönte, Irene schob ihren weißen Arm in den seinen und führte ihn ins Speisezimmer. Sie wies ihm Soames' gewöhnlichen Platz an der Seite zu ihrer Linken an. Das Licht fiel nur schwach dahin, so daß das allmähliche Verlöschen des Tages ihn nicht belästigen konnte; dann fing sie an mit ihm über sich selbst zu sprechen.

Mit James ging alsbald eine Veränderung vor, wie mit einer Frucht, die in der Sonne reift. Er fühlte sich wie geliebkost, gelobt und getätschelt, und alles das, ohne eine einzige Zärtlichkeit oder ein Wort des Lobes von seiner Seite. Er hatte ein Gefühl, daß alles, was er aß, ihm zuträglich war; zu Haus hatte er nie diese Empfindung; er erinnerte sich nicht, daß ihm jemals ein Glas Champagner so gut geschmeckt hatte, und als er sich nach der Marke und dem Preis erkundigte, überraschte es ihn zu hören, daß es derselbe war, von dem er einen großen Vorrat besaß, jedoch zu Haus nie trinken konnte. Er beschloß sogleich seinem Weinhändler zu melden, daß er betrogen worden war.

Von seinem Teller aufblickend bemerkte er:

»Ihr habt hier eine Menge hübscher Sachen. Was zahltet ihr zum Beispiel für diesen Zuckerstreuer? Wird wohl schweres Geld gekostet haben?«

Besonders gut gefiel ihm ein Bild an der gegenüberliegenden Wand, das er selbst ihnen geschenkt hatte.

»Ich hatte keine Ahnung, daß es so gut ist!« sagte er.

Sie erhoben sich, um ins Wohnzimmer zu gehen, und James folgte Irene auf dem Fuße.

»Das nenne ich ein ausgezeichnetes kleines Diner,« murmelte er leise und beugte sich auf ihre Schultern herab, »nichts Schweres – und nicht zu sehr französiert. Aber zu Haus bekomme ich es nicht so. Ich zahle meiner Köchin sechzig Pfund das Jahr, aber sie kann mir kein Mittagessen bereiten wie dieses!«

Er hatte bis jetzt noch nichts von dem Bau des Hauses erwähnt und tat es auch nicht, als Soames sich unter dem Vorwand von Geschäften nach oben in das Zimmer begab, wo er seine Bilder aufbewahrte.

James blieb mit seiner Schwiegertochter allein. Die Glut des Weines und eines ausgezeichneten Likörs wirkte noch in ihm nach. Er hatte ein herzliches Gefühl für sie. Sie war wirklich ein reizendes kleines Geschöpf, hörte einem zu und schien auch zu verstehen was man sagte; und während der Unterhaltung betrachtete er beständig ihre Figur, von den bronzefarbenen Schuhen bis zu dem welligen Gold ihres Haares. Sie saß leicht zurückgelehnt in einem Empiresessel, an dessen oberen Rand die Schultern sich stützten – die biegsame Gestalt wiegte sich bei jeder Bewegung frei in den Hüften, als überließe sie sich den Armen eines Geliebten. Ihre Lippen lächelten und die Augen waren halb geschlossen.

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