Mein Leben - Meine Musik

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Aus der Reihe: Musiker-Biographie
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Der Studiotechniker hieß Walt Payne. Jahre später sollte er uns in derselben Funktion bei den Aufnahmen zu „Susie Q“ von Creedence unterstützen. Doug, Stu und ich spielten die Musik ein, und James übernahm den Gesang. Anschließend ergänzte ich noch den Bass, was kein Problem darstellte. James steuerte auch noch eine Tonspur mit Harmoniegesang bei, was damals schon recht fortschrittlich war. „Beverly Angel“ ist vielleicht nicht „Earth Angel“ – aber es kam schon daran heran. Der Song klang ziemlich gut, griff auf Echo-Effekte zurück und verfügte über einen echten Schluss, nicht nur ein Fade-out. „Beverly Angel“ wurde beileibe kein Kassenschlager, aber zumindest wurde der Song im Radio gespielt. Stellt euch das mal vor: Ich nehme mit meiner Band eine Schallplatte auf und bin gerade mal 14 Jahre alt – und diese Schallplatte wird doch tatsächlich im Radio gespielt! Es wird noch abgefahrener: Es war eine R&B-Scheibe, schwarze Musik, die auf einem schwarzen Sender lief, nämlich meinem liebsten R&B-Sender, KWBR!

Ich war schon ziemlich stolz. Ich nahm jetzt nicht an, dass ich mich auf direktem Wege in die Carnegie Hall befand, doch hört euch das an: Stu hatte an der El Cerrito High bei einem gewissen Mr. Thomas einen Kurs in Elektronik belegt, und eines der Klassenprojekte war, ein Radio zu bauen. Nun, Stu stellte seinen Empfänger fertig, und als er sein Radio zum ersten Mal in Betrieb nahm, lief anscheinend, ta-da, „Beverly Angel“. Könnt ihr euch das vorstellen? „Hey, Mr. Thomas – da läuft meine Platte!“

Es gab Zeiten in meinem Leben, da bin ich mit dem Strom geschwommen und der Versuchung erlegen, krumme Dinger zu drehen. Als ich ungefähr acht Jahre alt war, fingen wir als kleine Gruppe von Kids an, Ladendiebstähle zu begehen. Wir klauten etwa Dinge aus dem Werkzeugladen. Ihr wisst schon, unter dem Shirt und so. Dann versuchten wir, die Sachen zu verkaufen, indem wir von Tür zu Tür zogen. So wurden wir auch überführt. Ich meine, wie kommt ein kleiner Junge dazu, irgendeiner Familienmutter an ihrer Haustüre einen Spachtel anzudrehen? Da klebte sogar noch das Etikett aus dem Haushaltswarenladen daran.

Zusätzlich wurde ich noch verraten. Dieser eine Junge, Billy, hielt sich für einen echt harten Typen. Schon als ich etwa vier Jahre alt war, warf er mich bereits einmal mitsamt meinem Dreirad um. Ich überschlug mich und flennte. Billy war ein abgebrühter Junge, der viel rauchte und fluchte – eine gereizter, aggressiver Schlägertyp eben. Billy war es nun auch, der uns ans Messer lieferte. Er war wohl doch nicht ganz so ein zäher Bursche wie damals, als er einen kleinen Jungen auf dem Bürgersteig zu Boden gestoßen hatte. Seinerzeit war das alles nicht besonders lustig. Ich hoffe dennoch, dass Billy irgendwann die Kurve gekriegt hat.

Irgendwann fing ich an, mir gelegentlich mal eine Single zu klauen. Ich hatte, so kam es mir zumindest vor, zu wenig Geld, obwohl ich ja Zeitungen austrug. Ich glaube, dass ich im Plattenladen gesehen hatte, wie ein Junge eine Platte mitgehen ließ. Ich bekam große Augen. Es ging wohl auch um den Kick, was mir echt unangenehm ist. Vermutlich herrschte auch ein gewisser Gruppenzwang.

Ich will mich nicht damit brüsten, und am liebsten würde ich es für mich behalten. Jedoch ist auch dies ein Teil meiner Geschichte.

Ich ließ also hier und da mal eine Single mitgehen. Nach einem Jahr und ein paar Monaten waren es ganz schön viele geworden. Irgendwann warf ich einen Blick darauf und sagte zu mir selbst: „Musik ist die eine Sache, die du liebst. Warum tust du das hier nur? Das ist schrecklich. Es ist das, was dir am wichtigsten ist, und du brichst deine wichtigste Regel. Du weißt doch, was Ehrlichkeit bedeutet. Was außer deinem Wort hast du denn schon zu bieten?“

So wurde das, was mir am Herzen lag, von Missempfindungen und Schuldgefühlen überlagert, weil ich Mist gebaut hatte. Ich überlegte sogar, gegenüber dem Plattenladen reinen Tisch zu machen, damit ich diese üble Angelegenheit hinter mir lassen könnte. Doch so tapfer war ich dann doch nicht. Leider.

Zumindest wurde ich dadurch zu einem großen Verfechter von Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit. Das geht so weit, dass ich mich sklavisch an Verkehrsregeln halte, auch wenn das nicht immer absolut notwendig wäre. Sehr zum Leidwesen meiner Kinder übrigens. Ich sage dann: „Nein, auch wenn es wehtut! Das Verkehrsschild schreibt vor, was zu tun ist!“

Es ist ein schmaler Grat. Heute tust du vielleicht diese eine kleine Sache und morgen dann … Natürlich ist niemand von uns perfekt. Wie ihr vielleicht erraten habt, bin auch ich ein Mensch mit Fehlern. Doch Aufrichtigkeit ist mir immer noch sehr wichtig – diese Vorstellung, ehrlich zu sein. Moral zu besitzen.

Diese Erfahrung trug nicht alleine dazu bei, dass ich so wurde. In der achten Klasse blieb ich, anstatt in die Schule zu gehen, einfach mal zu Hause. Meine Mom stampfte, bevor sie sich auf den Weg in die Arbeit machte, wie immer auf die Metallluke über meinem Bett und schrie: „Johnny! Wach auf!“ Es war der Oktober 1958, und es fand gerade die Finalserie im Baseball statt. Damals wurde die World Series noch tagsüber ausgetragen, weshalb ich beschloss, dem Unterricht fernzubleiben, um die Spiele zu verfolgen und auf meiner neuen Silvertone herumzuzupfen. Ich blieb dann auch am nächsten Tag zu Hause. Meine Mom war ja nicht da. Auch sonst war ich ganz allein.

Wochen später trug ich gerade nach der Schule die Zeitung aus, als Mr. Noricaine, mein Sportlehrer, in seinem ’49er-Ford an mir vorbeizog. Ich dachte bloß, dass meine Stunde bald schon kommen würde. Sie kam schließlich wenige Tage später, als mich meine Mutter mit meinem Fehlverhalten konfrontierte. Sie war von der Schule angerufen worden, und letzten Endes wurde ich mit einem richtig schlechten Zeugnis abgestraft, da ich so viel Unterricht versäumt hatte. Vier „Fünfen“ und eine „Vier minus“.

Also steckte ich so richtig – Länge mal Breite – in der Tinte. Ich musste den Sommer lang lernen und den Stoff nachholen. Dieselbe Prozedur musste ich sogar noch ein zweites Mal erdulden. Es war meine letzte Chance, wenn ich zusammen mit meinen Klassenkameraden abschließen wollte. Kinder werden sich der Konsequenzen selten bewusst, bis es zu spät ist. Damals fand der Sommerkurs an der Richmond High – also nicht einmal an meiner eigenen Schule – statt. Aber immerhin unterrichtete dort Mrs. Starck, meine Musiklehrerin aus der Portola Junior High! So wurde der Sommerkurs anstelle einer Bestrafung zu einer Art Offenbarung, und es war absolut großartig, daran teilnehmen zu können!

Außerdem gab es da noch dieses Mädchen. Ich erfuhr nie ihren richtigen Namen, doch alle nannten sie Plookie. Sie war ein etwas stabiler gebautes schwarzes Mädchen, und Mrs. Starck erlaubte ihr, den Unterricht mit Musik zu bereichern. Plookie spielte eine Gitarre von Supro über einen Verstärker mit Vibrato, ebenfalls von Supro. Irgendjemand begleitete sie am Tamburin. Plookie und ein paar ihrer Freunde trugen ein paar Gospel-Songs vor, und es war unbeschreiblich gut. Sie mag vielleicht bloß einen oder zwei Akkorde mehr als ich gekannt haben, aber es hatte auch einfach mit ihrer Haltung zu tun.

Sie spielte die Musik, die ich mir im Radio anhörte, aber ich kannte niemanden, der selbst so etwas machte. Wenn ich Sachen wie die Staple Singers hörte und versuchte, selbst so etwas zu spielen, klang es sofort nach den Ventures. Plookie wusste jedoch, wie der Hase lief, und hatte diesen Sound drauf. Sie war einfach umwerfend. Absolut fantastisch. Und sie war in meinem Alter! Das öffnete mir echt die Augen.

Dies war nicht irgendeine Fantasie, der ich in meinem kleinen Schlafgemach nachhing, sondern absolut greifbar und geschah direkt vor meinen Augen. Ich wurde dadurch in eine Richtung gelenkt, die weder für etwas Verbotenes stand noch zu gefährlich für meine Mom war. Auch war es nicht etwa peinlich, sich damit zu befassen. Vielmehr dachte ich mir: Das ist es, was mich anspricht. Genau das möchte ich machen. Plookie nahm sich netterweise die Zeit, mir zu zeigen, wie sie das mit dem Vibrato hinbekam und was sie mit ihrem coolem Amp noch so anstellte. Mein kleiner Verstärker hatte ja bloß fünf Watt; ihrer war sicher doppelt so groß. Ich legte mir in Folge auch eine Gitarre von Supro zu ‒ zuerst das Ozark-Modell und dann eine formidable Res-O-Glas aus dem Sears-Katalog. Die Ozark blieb jahrelang meine bevorzugte Gitarre. Ich schaffte mir Gitarren mit kurzen Hälsen an, da ich meine Hände für klein hielt. So fiel mir etwa auf, dass ich die Saiten nur dann richtig dehnen konnte, wenn ich meine Supro mit einer geringeren Stärke bespannte.

Das mit den dünnen Saiten fing an, als sich die Blue Velvets gemeinsam mit Tom in einem kleinen Fotostudio in Oakland fotografieren lassen wollten. Es waren stimmungsvolle Schwarz-Weiß-Bilder; wir trugen alle schwarze Anzüge. Bei dieser Fotosession stand auch eine Stratocaster herum. Sie hatten diese Sunburst-Optik und war sehr, nun ja, kurvig.

Was mir aber auffiel, war, dass die Saiten dünn, leichtgewichtig und sehr dehnbar waren. Fast wie Gummibänder! Ich hob das Ding hoch und sagte: „Wow, was geht denn hier ab?“ Damals benutzte ich Saiten von Black Diamond, die, wenn sie normal aufgezogen wurden, ziemlich streng und starr waren. Als ich diese Strat in Händen hielt, dachte ich mir: Wie bekomme ich das bloß so hin?

Also ging ich zu Louis Gordon Music und kaufte mir zusätzlich zu meinem üblichen Saitensatz noch eine hohe E-Saite. Ich spannte die erste E-Saite auf ihrer normalen Position ein. Dann nahm ich mir die andere hohe E-Saite und zog sie eine Position darüber ein. Somit befanden sich schließlich alle Saiten tiefer als vom Hersteller vorgesehen, wodurch sich eine leichtere Saitenstärke ergab.

Später fand ich heraus, dass James Burton es auch so machte. Allerdings verwendete er eine Banjo-Saite. Mir fehlte das Grundwissen für diese Vorgehensweise, doch ich hatte das Glück, diese Stratocaster in die Hände zu bekommen. So entwickelte ich durch Zufall eine Vorliebe für Saiten, die sich fast nach Belieben dehnen lassen – etwas, das wesentlich für meine Spieltechnik werden sollte.

 

Zu jener Zeit, als wir mit James ins Studio gingen, traten wir wie gesagt eben auch immer wieder als Toms Begleitband in Erscheinung. Als ich in der neunten oder zehnten Klasse war, begaben wir uns mit ihm erneut in irgendein improvisiertes Studio, das sich in der Nähe von Vallejo befand. Tom sang, und die Blue Velvets unterstützen ihn instrumental. Es gab aber irgendeine technische Panne mit dem Equipment, weshalb wir eine Pause einlegten. Ich sah, wie der Studiobesitzer mit einem Schraubenschlüssel versuchte, das Aufnahmegerät wieder in Gang zu bekommen. Das war schon witzig.

Ich weiß nicht, wohin sich Tom verzog, aber Stu machte sich gemeinsam mit Doug auf den Weg, um Kippen zu kaufen.

„John, kommst du mit?“, fragte er mich.

„Nein, ich bleibe hier.“

„Warum?“

„Weil ich vielleicht etwas lernen kann.“ Wie oft kam ich denn schon in ein Aufnahmestudio?

Ich beobachtete also diesen Kerl mit all seinen Drähten. Er sagte: „Weißt du, wenn du Zeug aufnimmst, musst du dir immer merken: Es ist wie mit einem Glas Wasser.“

„Häh?“

„Ihr Jungs macht all diesen Lärm, aber ihr dürft auch den Sänger nicht außer Acht lassen.“

„Yeah, okay.“

„Und dann kommt auch noch die Leadgitarre.“

„Yeah. Meinen Sie, wie ‚Ist das Glas halb leer oder halb voll?‘“

„Nein, nein, nein. Ihr habt ein Glas mit Wasser – das ist eure Platte, das, was ihr auf Band aufnehmen wollt. Ihr dürft nicht vergessen, dass ihr ein Glas nur bis zu einem gewissen Grad mit Wasser füllen könnt, denn sonst läuft es über. Eine Verschwendung, eine Sauerei. Hässlich. Wenn ihr also noch etwas darüberlegen wollt – wie etwa Gesang –, dann müssen die anderen Dinge etwas reduziert werden, damit nichts überläuft.“

Analoges Tonband liefert einen wunderbar vollen Sound. Das bestätigen alte Blues-Scheiben, Bo Diddley und Chess Records, der Rock ’n’ Roll in seiner Hochblüte oder auch Manfred Manns „Do Wah Diddy Diddy“. Wenn alles ideal eingestellt ist, erwacht Rock ’n’ Roll zum Leben. Ein großartiger Studiotechniker weiß, wie er zu diesem Ziel gelangt. Wir halten nicht an, wo der rote Bereich beginnt – das ist der Heilige Gral.

In der digitalen Welt ist dies nicht möglich. Man zieht davor den Schwanz ein. Der rote Bereich ist tabu. Frei nach diesem weisen alten Studio-Typen: „Das Glas läuft über, und das ist hässlich.“ Digitales Krachen ist jedenfalls kein sehr schöner Sound.

Was mir dieser Typ an jenem Tag beibrachte, sollte ich mein Leben lang nicht mehr vergessen. Als die Jungs schließlich wieder eintrudelten, kicherten sie unbedarft: „Und, hast du irgendetwas gelernt?“ Später versuchte ich sie einzuweihen. Sie lachten bloß. Meine Bandkollegen hatten kein besonders großes Interesse an solchen Dingen. Ich musste sie mit aller Gewalt ins Studio schleifen oder darum betteln, dass sie nicht gleich wieder das Weite suchten. Manchmal blieben sie bei der Stange – und manchmal zogen sie mit ihren Freundinnen ab oder verdrückten sich auf irgendeine Party.

Ich blieb dann allein zurück und sagte nur: „Oh, yeah, kein Problem.“ Stu ließ mich sogar ein paar Mal wissen: „Musik ist eben nicht mein ganzes Leben!“ Auf Stu mochte das schon zutreffen – auf mich jedoch nicht. Musik war sehr wohl mein ganzes Leben. Ich hatte mich mit ihr infiziert und stand nun ganz in ihrem Bann.

Ich war der Typ, der stets etwas Neues lernen wollte und sich dachte: Ich werde so lange recherchieren, bis ich es auf die Reihe bekomme. Es ging mir ums Lernen. Zu sagen: „Ich armer Junge kriege das nicht gebacken, weil das Aufnahmestudio so mies ist“, war nur eine faule Ausrede. Das Tolle an Rock ’n’ Roll ist, dass er zu einem Großteil aus irgendwelchen Garagen stammte und schließlich auf Labels namens Del-Fi oder Sun veröffentlicht wurde. Das waren nicht nur passable Platten, sondern die allerbesten!

Obwohl wir alle noch sehr, sehr junge Musiker waren, war ich den anderen musikalisch stets voraus; deshalb war ich von Anfang an auch derjenige, der den anderen erklärte, was sie zu spielen hatten. Doug wusste zumindest, dass er das Fußpedal der Bassdrum auf der Eins betätigte und den Snare-Schlag auf der Zwei setzte. Das war aber auch schon alles. Es lag an mir, die Songs im Radio genauer zu studieren, um herauszufiltern, wer was spielte und wie die Arrangements aufgebaut waren. Ich war der Übersetzer, ich konnte Songs dechiffrieren. Die meisten Menschen nehmen einen Song nur als ein großes Ganzes war. Wenn ich jedoch Musik hörte, konnte ich zwischen den einzelnen Parts unterscheiden.

Musik live zu hören unterstützte dieses Verständnis ungemein; so beeinflussten mich auch die Live-Konzerte im Oakland Auditorium stark. Diese Shows waren großen Revuen, bei denen jedem Act eine halbe Stunde auf der Bühne gewährt wurde: James Brown, Jackie Wilson, Duane Eddy oder Ray Charles. Bei jeder dieser Shows im Oakland Auditorium saß ich in der ersten Reihe.

Ich weiß noch, wie ich mich mit Doug und Tom dafür anstellte. Tom war unser Chauffeur. Wenn wir um 3 Uhr nachmittags eintrafen, waren wir die Ersten in der Warteschlange und konnten, sobald die Türen öffneten, unsere Ärsche direkt vor der Bühne parken. Daher konnte ich mir viele Details einprägen.

Ich sah James Brown, als ich 14 Jahre alt war. Bei ihm war eine Menge Präzision im Spiel. Er sang etwa einen Song – „Please, Please, Please“ – und dann, zack, legte er einfach einen Spagat hin! Der nächste Song fängt an, und er ist wieder auf den Beinen! Dann: noch ein Song! Bam! Vielleicht performte er für gerade mal eine halbe Stunde, aber in dieser Zeit gaben er und seine Band dem Publikum ganze zwölf Songs. Es ging darum, in kürzester Zeit eine Explosion zu entfesseln. Es ging um die Energie! Am Ende stand allen der Mund weit offen: „Was war das gerade eben?“ Ich liebte das!

Im Anschluss sprang Larry Williams mit seiner Gitarre von der Bühne und wurde von all diesen Mädchen belagert. Bam! Als sie wieder von ihm abließen, war er von der Hüfte aufwärts nackt, weil sie ihm sein Hemd in Streifen gerissen hatten! Dann kam Jackie Wilson in einem Smoking auf die Bühne, und die Frauen drehten komplett durch. Weiße Mädchen, schwarze Mädchen ‒ das war ganz egal. Jackie war auf eine Weise attraktiv, die auf einen Filmstar hätte schließen lassen. Seine Bewegungen waren grazil und mühelos. Er war ein richtiger Panther!

DJ Bouncin’ Bill, der die Show moderierte, kam auf die Bühne und wies die Frauen an, sich wieder auf ihre Plätze zu begeben, sonst drohten Probleme mit der Feuerpolizei. Bei Jackie Wilson hörte die Action gar nicht mehr auf. Die coole R&B-Band, die ihn bei diesen Auftritten öfter begleitete, hatte einen Song mit dem Titel „Spunky Onions“ (ursprünglich „Funky Onions“), und der Gitarrist spielte, wie ich mittlerweile weiß, einen sogenannten übermäßigen Akkord. Tom drehte sich zu mir und sagte: „Du solltest dir genau ansehen, was dieser Gitarrist da abzieht.“ Er sagte das zu mir und nicht zu sich selbst. Darüber machte ich mir später noch öfter Gedanken.

Ein Konzert im Oakland Auditorium unterschied sich von all den anderen. Wie üblich waren wir bereits am Nachmittag eingetroffen, um uns ganz vorne anzustellen. Die Türen wurden in der Regel um sechs oder halb sechs geöffnet. Wir saßen dann die längste Weile so da, bis schließlich irgendetwas passierte. Der angekündigte Zeitpunkt für die erste Show kam und verstrich wieder. Nichts tat sich. Inzwischen war das Auditorium gut gefüllt, und alle waren bereit für das Konzert. Es wurde später und später, und das Publikum wurde schlicht im Dunkeln gelassen. Lautstarkes Gemurmel setzte ein, die Leute wurden langsam, aber sicher säuerlich.

45 Minuten, vielleicht auch eine Stunde nach der angekündigten Anfangszeit kam plötzlich Bewegung in die hinteren Reihen des Auditoriums. Als wir uns umdrehten, konnten wir ein paar Typen sehen, die auf dem zentralen Gang zwischen den Sitzreihen in Richtung Bühne marschierten. Ein paar der Jungs hatten sich Tüten bis über die Schultern gezogen. Langsam dämmerte es dem Publikum, dass das die Musiker sein mussten und dass das alles zur Show gehörte. Als die Typen schließlich die Bühne erreichten, die vielleicht etwas über einen Meter hoch war, sprangen sie einfach hinauf.

Das Publikum entspannte sich nun wieder und nahm an, nun werde es mit der Show losgehen. Einer dieser Kerle setzte sich ans Klavier und spielte die Eröffnungsakkorde zu „What’d I Say“ von Ray Charles, das gerade ein Hit im Radio war. Als er zu der Stelle kam, an der die rechte Hand kurz pausierte, bevor sie den Riff am Ende der Strophe weiterspielte, verhaspelte er sich aber. Er versuchte es ein paar Mal, bekam es jedoch nicht wirklich auf die Reihe. Da sich die anderen Jungs nun um das Klavier versammelt hatten, stieß einer von ihnen den Pianisten vom Hocker, um es selbst zu versuchen. Auch er scheiterte, woraufhin der nächste sich aufs Glatteis wagte. Das ging vielleicht fünf oder sechs Typen lang so dahin, bis endlich Bouncin’ Bill die Bühne betrat, um diesen Trupp hinter die Bühne zu scheuchen.

Während ich dieses Schauspiel verfolgte, dachte ich mir: Das ist nicht richtig, das wirkt sehr amateurhaft. Ich schwor mir in diesem Augenblick, so etwas niemals während „meiner Show“ zuzulassen. Da war ich 14 Jahre alt.

Ich glaube, dass es dieselbe Show war, bei der ich noch eine weitere Lektion in Sachen Showbiz lernen durfte. Bouncin’ Bill kündigte den nächsten Act an, das Publikum jubelte und applaudierte. Aber nichts geschah! Niemand kam auf die Bühne. Er sagte noch einmal den Namen der Band, und wieder tat sich nichts. Nach ein paar weiteren Versuchen machte sich Bill auf in Richtung Backstage-Bereich, und schlagartig rannte eine Gruppe von Leuten in völlig gleichen Anzügen auf die Bühne. Bouncin’ Bill war offenbar ganz schön angepisst und machte seinem Ärger am Mikro Luft: „Da hat wohl jemand ein gutes Blatt und wollte es ungern aufdecken.“

Ich zog daraus die Lehre, dass man sein Publikum gefälligst nicht wie Dreck behandelte. Schließlich waren sie hier, um dich zu sehen! Trotz gelegentlicher Eskapaden bekamen wir jedoch vornehmlich gute, professionelle Bühnenshows im Oakland Auditorium geboten. Was ich zu Füßen von James Brown und Jackie Wilson lernte, war, wie man unterhielt.

Für das neunte Schuljahr wurde ich wieder auf eine katholische Schule, St. Mary’s, geschickt. Auch meine älteren Brüder hatten sie von der neunten Klasse bis zur ihrem Abschluss besucht. Dort gab es nicht allzu viel, was mich interessierte, doch immerhin hatten sie an der St. Mary’s einen Knabenchor. Das war doch etwas! Eines der Lieder, das wir einstudierten, war „There Is Nothing Like a Dame“ aus dem Musical South Pacific mit Textzeilen wie „We got mangoes and bananas …“

Wenn Musik alles ist, was du im Leben hast, dann klammerst du dich regelrecht daran. Als ich an diese Schule kam, war da dieser Dekan namens Bruder Neil. Er ließ mich nicht lange im Unklaren: „Ich hatte bereits deine beiden Brüder hier und habe ein Auge auf dich. Wir sehen uns dann beim Nachsitzen.“ Damit sollte er recht behalten.

Doch nach meinem ersten Schuljahr brannte Bruder Neil mit der Empfangssekretärin durch, trat aus dem Orden aus und heiratete. Ein paar meiner Freunde wurden vom einen oder anderen Ordensbruder angegraben, was wir ziemlich eklig fanden. In meiner persönlichen Wahrnehmung erhielt die strahlende Fassade der katholischen Kirche dadurch nur noch ein paar weitere hässliche Risse.

Einmal sollte ich beim Nachsitzen 1000 Mal irgendeinen Satz schreiben. Vielleicht „Ich darf in der Klasse nicht Kaugummi kauen“ oder so. Egal, meinem Füller ging irgendwann die Tinte aus, was ich aber niemandem mitteilen konnte. Auch die Hand heben oder einfach aufstehen war nicht drin. Also schrieb ich einfach mit dem leeren Füller weiter. Wenn man genau hinsah, konnte man auch tatsächlich die Abdrücke erkennen, wo sich die Füllerspitze ins Papier gegraben hatte. Der Bruder, der uns beaufsichtigte, warf einen Blick darauf und herrschte mich an: „Bist du verrückt?“

Ich hätte es wissen müssen. Bei meiner Geburt war die Erbsünde auf mich übergegangen, und daran war so ein Typ, der vor Millionen von Jahren gelebt hatte, schuld. Hätte ich mir nicht denken können, dass einem beim Nachsitzen besser nicht die Tinte ausgeht?

Als ich ein anderes Mal nachsitzen musste, nahm mich einer der Brüder, ein älterer Herr, beiseite. Ich hatte es nicht leicht in der Schule und freute mich nicht gerade auf den Unterricht. Der Bruder begann also ein Gespräch mit mir. Man sollte nicht vergessen, dass das alles sehr religiöse Leute waren, die nicht unbedingt über Sex sprechen sollten. Andererseits hatten sie es mit einer Horde pubertierender Jungs zu tun, deren Hormone verrücktspielten. Diese Jungs dachten vermutlich alle paar Sekunden an Sex, das heißt, wenn sie beim Gedanken daran nicht schon die Besinnung verloren hatten. Im Verlaufe unseres Gesprächs erkundigte sich dieser Ordensmann nun danach, ob ich mitunter über sexuelle Dinge nachdächte, was ich bejahte. Und er sagte: „Na ja, vielleicht sind ja deine Unterhosen zu eng.“ Daran erinnere ich mich noch gut. Ich wusste gar nicht, was ich darauf antworten sollte, und dachte nur: Au Backe, jetzt geht’s los. Der Bruder brät dich an.

 

Zum Glück gab es aber die Musik. Wir hatten eine kleine Band an der St. Mary’s aus der Taufe gehoben, in der Baynard Cheshire gemeinsam mit mir Gitarre spielte. Baynard besaß eine kleine E-Gitarre, eine National. Manchmal tauschten wir, und er spielte meine Silvertone. Ron White, ein Typ, der richtig gut spielte, trommelte bei uns, und John Tonaga spielte Klavier. Wir hatten, glaube ich, weder einen Bassisten noch einen richtigen Namen, obwohl wir uns womöglich irgendwann einen ausgedacht haben.

Einmal nahm ich die Jungs für einen Auftritt mit zur El Cerrito High. Als unsere kleine Band an der St. Mary’s auftrat, hieß der Direktor Bruder Frederick. Er war ein wenig zu kurz geraten, was mir bloß auffiel, weil er ständig überkompensierte. Irgendwann erfuhr ich, dass man das Napoleon-Komplex nennt. Damals hörte ich gerade viel Elmore James; er inspirierte mich zum Erlernen einer Vibrato-Technik, bei der man drei Töne in E-Dur griff, ähnlich dem hohen Part von Link Wrays Song „Rumble“. Man schlug ein oder zwei Mal an und schüttelte sich dann wie ein Irrer, um Elmore zu imitieren. Wir standen also im Turnsaal der St. Mary’s und spielten irgendein rasantes Rock ’n’ Roll-Instrumental, und ich fing an, ebendiese Nummer abzuziehen. Ich schüttelte mich, und der Sound, der erklang, war dieses BIIIIIEEEEEAAAAAUUUUUHH! Die Kids fuhren alle darauf ab. Wenn etwa jemand behauptete, wir hätten sie zur Raserei gebracht, würde ich das nicht abstreiten wollen.

Und plötzlich: Stille! Irgendjemand hatte uns den Stecker gezogen. Ich blickte auf und sah Bruder Frederick. Er runzelte verächtlich die Stirn, und mir dämmerte, dass ich die schwerste aller Sünden begangen hatte: Ich hatte mich nämlich während des Spielens rhythmisch bewegt. Das war mir selbst gar nicht aufgefallen! Das tut es übrigens bis heute nicht. So ist Rock ’n’ Roll nun mal – das gehört einfach dazu!

In Bruder Fredericks Augen war dies jedoch absolut verdammenswert: „Diese abscheuliche Musik ist der Untergang der ganzen Schule!“ In diesem Moment verlor ich jedenfalls jegliche Motivation, an der St. Mary’s meinen Abschluss zu machen. Ich dachte mir nur, was dieser Typ doch für ein Knilch war. Ein wandelndes Klischee!

So verließ ich mitten im zehnten Schuljahr St. Mary’s. Ich weiß nicht, ob die Schule mich einfach nicht mehr wollte. Auf jeden Fall war ich sehr erleichtert darüber, dass mir so ein Neustart an der El Cerrito High ermöglicht wurde. Es wirkte sich auch sehr positiv auf meine Noten und meine Anwesenheit aus, obwohl es eine Weile dauerte, bis ich endlich Fuß gefasst hatte. Am ersten Tag stellte mir mein Biologielehrer eine Frage, woraufhin ich mich von meinem Platz erhob, um zu antworten. So war es nämlich Usus an der St. Mary’s. Meine Mitschüler reagierten jedoch mit einem deutlich hörbaren Murmeln, und der Lehrer sagte: „Eine ausgezeichnete Antwort – und übrigens: Hier musst du nicht aufstehen.“

Dieser Vorfall war mir zwar einen Augenblick lang peinlich, doch dann sah ich dieses hübsche Mädchen, wie es mich freundlich anlächelte. Sie trug eine Brille und erkundigte sich nach meinem Namen. Mich durchfuhr es: Wow, hier gibt es doch tatsächlich Mädchen! Alles war so heiter und unkompliziert. Mann, ich liebte die El Cerrito High!

Als ich 16 war, war ein Auto zu haben das Allergrößte. Ich wollte den Führerschein machen, aber meine Mom war dagegen. Meine älteren Brüder hatten sich Strafzettel eingehandelt, und sie wollte sich das Theater fortan ersparen. Mit 15 hatte ich einen Job an einer Tankstelle bekommen, an der vor mir schon Tom gearbeitet hatte. Ich sparte mein Geld, und als ich schließlich 17 war, zog ich los und kaufte mir ein Auto, das ich in unserer Einfahrt parkte. Zu meiner Mom sagte ich, dass ich vielleicht doch den Führerschein machen sollte, wo ich doch ein Auto besaß.

Es war ein Ford Fastback, Baujahr 1948, mit 48.000 Meilen auf dem Tacho. Ein tolles Auto! Die Polsterung war in einem Traumzustand. Ich hatte 100 Dollar dafür hingelegt, obwohl ich den Verkäufer eigentlich auf 90 runterhandeln wollte. Zur Ausstattung gehörte ein Motorola-Radio mit einem kleinen Elektromotor, der grrrrr machte, wenn man auf einen Knopf drückte, um den Sender zu wechseln. Ich installierte einen Kipphebelschalter, damit ich zwischen meinen Lieblingssendern, KEWB und KDIA (vormalig KWBR), wechseln konnte.

Ich wollte mir irgendwann einen Hot-Rod bauen und schraubte dafür den Wagen auseinander. Eine schlechte Idee! Von nun an lud sich nämlich die Batterie nicht länger auf, sodass der Motor oft nicht anspringen wollte. Ständig musste ich die blöde Karre anschieben. Weil ich ein Idiot war, bescherte mir dieser Wagen noch etliche intensive Momente. Schließlich verkaufte ich ihn für 40 Dollar an jemanden von der Tankstelle.

Bis heute schuldet er mir noch 20.

Meine erste richtige Freundin war eine Einser-Schülerin, der es irgendwie ein Anliegen zu sein schien, dass auch ich einer wäre. Nichts motiviert einen so sehr, sich zu einem Musterschüler zu entwickeln, wie diese Art von Freundin. Ich war 17 und sie ein Jahr jünger. Irgendwann verließ sie mich dann für einen Jungen namens Fred. Ich fuhr eine typische Großmutter-Schüssel und er einen Hot-Rod mit offenliegendem Motor und jeder Menge Chrom. Außerdem war Fred ein Jahr älter als ich. Er belegte den Mechaniker-Kurs, ich saß in der Geometrie-Klasse. Ich nehme an, dass meine Freundin in dieser Phase ihres Lebens der Raubein-Masche zugetan war und sich schließlich eingestehen musste: „Yeah, eigentlich will ich in diesem Auto sitzen!“ Das war wie ein Schlag in die Magengrube, eine Harpune durch mein Herz.

Diesen jugendlichen Schmerz verarbeitete ich in einem Song, „Have You Ever Been Lonely“. Ihr kennt sicher alle diese kleinen Anzeichen dafür, dass irgendetwas schiefläuft. Dann gibt es da noch diesen Typen, der ziemlich nett zu deinem Mädchen ist. Und man selbst ist wieder mal der Letzte, der es mitbekommt. Ich komponierte den Song auf dem Piano. Der Vibe der Nummer ähnelte ein bisschen jenem von „Where Have You Been (All My Life)“ von Arthur Alexander oder „Love You So“ von Ron Holden and the Thunderbirds. Ich spielte den Song auf dem Klavier, und Tom sang. „Have You Ever Been Lonely“ enthält ein Solo, das in dieselbe Kerbe haut. Wir nahmen den Song schließlich 1961 für Wayne Farlows Orchestra Records auf. Es war unsere zweite Single bei seinem Label. Auf der Platte stand „Tommy Fogerty and the Blue Velvets“. Als wir den Song in meinem Wohnzimmer einübten, sagte Wayne: „Ich kann das Solo nicht hören. Spiel es doch bitte höher!“ Also spielte ich es eine Oktave höher. Zwar hätten wir das Solo beim Abmischen einfach hervorheben können, aber so stach es nun nicht nur heraus, nein, der Song erhielt einen anderen Charakter. So etwas nennt man „arrangieren“, und es war ein sehr guter Vorschlag. Diese Lektion merkte ich mir für die Zukunft.