Hereinspaziert!

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Aus der Reihe: Edition IGW #6
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2.5Evangelisation vor Ort

Die Notwendigkeit einer Identifikation mit dem Adressaten führt zu der Annahme, dass Evangelisation eine kontextsensitive Vorgehensweise voraussetzt. Nur so kann das Evangelium in eine konkrete Kultur übersetzt werden.53 Inkarnation als das wesentlichste Merkmal der missionarischen Verkündigung, als „Missionsprinzip“54, macht die Evangelisation zu einer kontextualisierten Mission.55 Und damit stellt sich die Frage nach der Kontextualisierung des Evangeliums.

Jürgen Schuster definiert Kontextualisierung wie folgt: „Ziel der Kontextualisierung ist eine Begegnung von Menschen mit dem Evangelium, bei der das Evangelium ihnen Antwort bietet auf ihre spezifischen Fragen, anknüpft an ihrem Weltbild und ihren kulturellen Reichtum aufnimmt.“56 Mit anderen Worten: Im Prozess der Kontextualisierung suchen Evangelisten eine Botschaft, die auf die wirklichen Fragen der Menschen vor Ort Antwort bietet und eine Sprache, die von ihren Adressaten verstanden und angenommen wird. Für uns Evangelikale ist dabei wichtig, dass die Botschaft nicht beliebig ist, sondern sich am Evangelium Jesu Christi orientiert, wie es in der Heiligen Schrift offenbart worden ist.57 Hierbei spielt es keine Rolle, ob das Evangelium in Wort oder Tat verkündigt wird. Es muss verstanden werden, und dazu bedarf es manchmal nicht der Worte, sondern des Lebens. Schließlich ist ja auch die ewige Wahrheit Gottes nicht als verbales Konstrukt zu uns gekommen, sondern als Person des Sohnes Gottes. „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“, sagt Jesus (Joh 14,6). Wer ihn sieht, sieht das Leben. Konsequenterweise schreibt der Apostel Johannes in seinem ersten Brief, dass er nun an seine Hörer weitergibt, „(…) was wir gehört haben, was wir gesehen haben mit unsern Augen, was wir betrachtet haben und unsre Hände betastet haben, vom Wort des Lebens“ (1Joh 1,1). Dadurch kann eine wirkliche Gemeinschaft mit Gott entstehen (1Joh 1,4).

Evangelisation ist somit eine lokale Angelegenheit. Man kann nicht wirklich allgemein evangelisieren. Wer evangelisieren will, der wird sich seines „Evangelisationsfeldes“ bewusst werden müssen.58 Die Gute Nachricht ist da gut, wo sie auf konkrete Bedürfnisse der Menschen trifft. Der Kampf gegen das allgemeine Übel der Sünde, wie er seit Jahr und Tag in der evangelikalen Szene geführt wird, ist mehr als problematisch. Sünde darf man nicht abstrahieren. Sie kann als Prinzip nicht bekämpft werden. Ihre soziale Gestalt ist es, die ihr das greuliche Gesicht verleiht. Paulus ermutigt deshalb die Gemeinde immer wieder, konkrete Schuld zu bekennen und zu lassen. Er meint ganz konkrete Menschen, wenn er schreibt: „Wer gestohlen hat, wer gelogen hat, wer …“ (Eph 4,25–32). In unterschiedlichen Kulturen werden diese Übel recht unterschiedliche Erscheinungsformen haben und auch einen variierenden Umgang erfahren. So wäre in einer schamorientierten Kultur nichts schlimmer als der Verlust des Gesichts in der Gesellschaft. Eine gute Nachricht ist deshalb immer mit der Wiederherstellung der Ehre verbunden. Dagegen geht es in schuldorientierten Kulturen weniger um Ehre, sondern um Gesetzestreue. Hier ist die gute Nachricht: Die Unfähigkeit so zu leben, wie es wünschenswert erscheint, wird überwunden. Je nach Orientierung der Kultur wird die Botschaft entsprechend ausfallen müssen. Darüber hinaus spielen aber auch noch die lokalen wirtschaftlichen, sozialen oder auch weltanschaulichen Konditionen eine Rolle. Man wird doch nicht einem verdurstenden Menschen allein mit einer Predigt entgegen treten oder einem Menschen, der unter sozialer Kälte und Ablehnung leidet, allein mit einem Bibelwort. Wer die Lage der Menschen nicht berücksichtigt, der wird sie auch nicht gewinnen können.

Die Notwendigkeit einer kontextuellen Evangelisation macht verständlich, wieso die Ortsgemeinde von besonderer Bedeutung ist. Sie ist es, die den Kontext der Menschen am besten kennen sollte. Sie ist es, die unter den Menschen lebt, die sie erreichen möchte, und mit ihnen den gleichen kulturellen und sozio-politischen Raum teilt. Deshalb ist Evangelisation deshalb primär die Aufgabe der lokalen Gemeinde. Nicht die begnadeten Reiseevangelisten sind die primären Agenten der Evangelisation, nicht die speziell für diesen Dienst aufgebauten Missionswerke, sondern die Ortsgemeinde. Sie ist am besten dafür geeignet zu evangelisieren.

2.6Liebeswerke als Grundlage

Evangelisation ist ein ganzheitliches Geschehen. Es zieht einen Menschen außerhalb der Herrschaft Gottes in die Gemeinschaft mit Gott, wobei das Leben des Betroffenen grundsätzlich verändert und neuorientiert wird. Ein solches Geschehen kann nur ganzheitlich verwirklicht werden. Recht verstandene Evangelisation ist daher Verkündigung durch Tat und Wort. So hat Jesus, das Vorbild aller Evangelisten, evangelisiert. Bei ihm gingen Worte und Taten nicht auseinander, wie das bei seinen Zeitgenossen, den Schriftgelehrten und Pharisäern, der Fall war. Er predigte und heilte, er sprach und tat! So gewannen Menschen zu Jesus Vertrauen, was eine wesentliche Voraussetzung ist für Evangelisation. Das Wirken Jesu in Wort und Tat stellt deshalb den wichtigsten „Ausgangspunkt für das Gespräch über die Mission der Gemeinde“59 dar.

Ohne ein etabliertes Vertrauensverhältnis werden Worte nicht ernst genommen, ja in der Regel sogar abgelehnt. Mayers60 verlangt daher mit Recht, jede missionarische Aktion mit der „prior question of trust (PQT)“, der Frage nach dem Basisvertrauen, zu beginnen. Wer sich um ein solches Basisvertrauen bemüht, der wird klären müssen, welches Verhalten, Reden und Tun in der jeweiligen Kultur Vertrauen schafft; und dann wird er sich darum bemühen, genau dieses Verhalten zu suchen. Nur wenn ein Vertrauensverhältnis zwischen dem Evangelisten und dem Evangelisierten hergestellt ist, kann eine Beziehung zwischen dem Adressaten des Evangeliums und dem Evangelium entstehen.61 Die Frage nach dem Basisvertrauen ist somit zentral und kann nicht umgangen werden. Die Antworten auf diese Frage entscheiden wesentlichen über die zu wählenden evangelistischen Instrumente. Ob evangelistische Bemühungen Erfolg haben, wird entscheidend davon abhängen, dass Vertrauen besteht.

Vertrauen gewinnt man nicht mit bloßem Reden. Jesus gewann das Vertrauen der Menschen, indem Er ihnen diente. Für Ihn stellte der Dienst das Herzstück seiner Mission dar. „Der Menschensohn [ist] nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und gebe sein Leben zu einer Erlösung für viele“ (Mt 20,28), sagte Jesus über sich selbst. Und entsprechend sahen auch sein Leben und seine Verkündigung aus. Er stand Kranken und Bedürftigen bei, kümmerte sich um Menschen in Not und sorgte sich sogar um fehlenden Wein bei einer Hochzeit (Joh 2). Dieses Wunder der Verwandlung von Wasser in Wein nennt der Evangelist Johannes ein Zeichen, das Glauben wirken soll.

Ähnlich wie Jesus soll auch die Gemeinde Jesu ihr Licht in den guten Werken vor den Menschen leuchten lassen, damit diese ihre guten Werke sehen und den Vater im Himmel preisen (Mt 5,16). Der praktische Liebesdienst am Nächsten ist eine unbedingte Voraussetzung und integraler Bestandteil der Evangelisation.62 Eine evangelistische Gemeinde liebt es, den Menschen zu dienen.63 Petrus bringt diese Tatsache auf den Punkt, wenn er im Bezug auf die Andersgläubigen schreibt: „Und führt ein rechtschaffenes Leben unter den Heiden, damit die, die euch verleumden als Übeltäter, eure guten Werke sehen und Gott preisen am Tage der Heimsuchung“ (1Petr 2,12). Wer Glauben erwartet, der sollte Werke vorleben, ist doch „der Glaube ohne Werke tot“ (Jak 2,17).

Evangelisation setzt somit das Liebeswerk voraus. Sie baut auf der Diakonie der Gemeinde auf und löst diese wiederum aus. „Diakonie und Mission stehen in einem engen Zusammenhang. Die Diakonie hat teil am Auftrag der Kirche, die Botschaft von der Liebe und Gerechtigkeit Gottes auszurichten und zum Glauben an Jesus Christus einzuladen“, fasst die EKD Synode in Leipzig 1999 richtig zusammen.64 Nur da, wo die Gemeinde ihre Nächstenliebe praktisch erfahrbar macht, entsteht Vertrauen – die einzige Grundlage, auf der das Gespräch über den Glauben und damit Evangelisation stattfinden kann.

2.7Dialogisches Dasein

Gegenseitiges Vertrauen entsteht nicht über Nacht. Aber wenn es einmal entstanden ist, dann entstehen Beziehungen, die das Gespräch ermöglichen. Und das Gespräch ist die Grundlage für jede erfolgreiche Evangelisation. Wer Menschen dient, wer mit den Menschen lebt, ihre Nöte, Bedürfnisse und Sorgen teilt, wer nach Lösungen im Alltag der Menschen sucht und diese hier und da findet, der verschafft sich Chancen zum Gespräch. Loewen sprach an dieser Stelle vom Prinzip der Reziprozität und Partnerschaft,65 dem Willen und der Bereitschaft beider Seiten, voneinander und miteinander lernen zu wollen – und das in gegenseitiger Akzeptanz und Respekt. Wie sonst sollten Menschen mit uns über die tiefsten Bedürfnisse ihres Herzens reden, wenn sie uns nicht vertrauen? Und wie sollen Menschen uns verstehen, wenn wir nicht Worte und Vorstellungen, Bilder und Symbole benutzen, die ihnen bereits vertraut sind?66 Das Gespräch ist eine natürliche Folge eines gesellschaftstransformativen Dienens.

Evangelisation verlangt nach Hörern, die bereit sind zu hören. Wo niemand hört, da kann man auch nicht evangelisieren. „Niemandem kann man nicht predigen“ – diese Worte Rudolf Bohrens stehen gerade und vor allem für die evangelistische Predigt. Wer findet aber Hörer, wenn nicht derjenige, der Vertrauen bei den Menschen gefunden hat und gelernt hat, mit ihnen über ihre Alltagsnöte zu reden? Evangelisation geht somit Hand in Hand mit einer gewissen Gesprächskompetenz des Evangelisten und der evangelisierenden Gemeinde. Sie setzt einen eingeleiteten Dialog mit den Menschen voraus. Ein solcher Dialog beginnt mit den praktischen Fragen des Lebens, im Vollzug des Dienstes und geht schließlich zu existenziellen Themen weiter. Wer mit den Menschen, die man evangelisieren will, nicht redet, kann sie auch nicht evangelisieren. Wer aber mit ihnen im Dialog steht, hat große Chancen, sie auch mit der Botschaft von der Erlösung in Christus zu konfrontieren. Freilich ist unter Gespräch mehr gemeint als eine einmalige Unterhaltung. Dialog setzt einen Prozess voraus, der die Bereitschaft wachsen lässt, voneinander hören und lernen zu wollen. Kommunikation ist niemals ein Monolog. Wer jedoch in einen Dialog einsteigt, der wird sich dem anderen auch persönlich offenbaren müssen. Loewen sieht sogar jedes Zeugnis als prinzipiell dialogisch festgelegt.67 Wer Menschen gewinnen will, wird sie zuerst für sich selbst gewinnen müssen. Oder wie Loewen es sagt: „Wer andere kennenlernen will, der sollte sich selbst ihnen zu erkennen geben.“68

 

Für eine evangelisierende Gemeinde bedeutet das, sich bewusst in der Gemeinwesenarbeit und ihren Initiativen zu engagieren. Hier sind alle Akteure im sozialen Raum im Gespräch miteinander. Der Dialog über brennende Themen des Alltags läuft schon. Ist die Gemeinde kompetent und hat sie einen Beitrag zur Lösung konkreter Probleme im Gemeinwesen, so wird sie gehört, gefragt und herzlich eingeladen, bei der Umsetzung lebensrelevanter Fragen mitzumachen. Gelingt die Umsetzung, so öffnen sich bald schon Türen, um auch eigene und sogar spirituelle Akzente im Gemeinwesen zu setzen. Was sonst würde man von einer Kirche denn erwarten?

2.8Transformation als Ziel der Evangelisation

Evangelisation will Leben verändern. Es geht ihr um Menschen. Sie sind ihr eigentliches Ziel.69 Es geht um mehr als nur um eine bloße Vermittlung von Offenbarungsinhalten. Natürlich will Evangelisation, dass Menschen über Gott Bescheid wissen, aber das allein genügt nicht – sie sollen Gott kennenlernen und ihr Leben nach seinen Geboten ausrichten. Evangelisation will Konversion und Transformation im besten Sinne dieser Worte.70 Damit ist sie aber viel mehr als nur ein Beitrag zur Diskussion über Gott und die Welt; sie ist ein Aufruf zur Bekehrung und Lebensveränderung. Sie mutet ihren Zuhörern eine radikale Neuorientierung in allen Lebensbereichen zu, eine „ganzheitliche Umorientierung, in welcher ein einzelner Mensch oder eine Gruppe das vergangene Leben re-interpretiert, die Abwendung von diesem vollzieht und das Künftige in einem veränderten gesellschaftlichen Beziehungsnetz neu begründet und gestaltet.“71 Evangelisation will bekehren, und zwar zum Herrschaftswechsel im Leben des Menschen. Es ist ein Totalanspruch: hier ist der ganze Mensch gemeint, sein ganzes Leben, nichts wird ausgeschlossen, nichts ist belanglos, alles, absolut alles wird unter den Herrschaftsanspruch Gottes gestellt.72 Wenn Evangelisation nicht mehr bekehren will oder wenn sie nur noch Teilbereiche des menschlichen Daseins meint, wenn sie sich auf rein spirituelle Inhalte reduzieren lässt, wenn sie aufhört, ganzheitliche Umkehr und Buße zu predigen, dann hört sie auf, Evangelisation zu sein. Wo Evangelisation ganzheitlich bekehrt, da werden alle Lebensbereiche des Menschen betroffen sein und vom Evangelium verändert werden.73 Das Reich Gottes gewinnt dann nicht nur „in uns“ Gestalt, sondern „mitten unter uns“ (Lk 17,21)74 und durchzieht dann konsequenterweise auch die „sozialen Strukturen, die Kultur, die Politik und die Wirtschaft“, um diese „auf Gottes Willen hin zu verändern“.75

Damit ist nicht der Weg zum Ziel, sondern das Ziel selbst beschrieben. Freilich geht es dabei um weises und nicht manipulatives Evangelisieren. Niemals darf sich Evangelisation zu einer manipulativen Propaganda hinreißen lassen, niemals seelischen und geistigen Druck ausüben. Menschen werden nicht ins Reich Gottes gedrängt. Wie fatal eine solche Haltung ist, hat die Geschichte der Christianisierung nur zu deutlich gezeigt. Menschen werden zu Christus immer durch Liebe gezogen. Und Liebe kennt keinen Zwang, auch keinen seelischen Zwang. Liebe will immer freiwillige Einsicht und Umkehr. Das Ziel aller Evangelisation – Umkehr und bewusste Nachfolge Christi – wird durch den „sanften Ruf“ nicht korrigiert, sondern eher bestätigt. Ohne Konversion keine Evangelisation. Evangelistische Verkündigung muss mit O. Weber verstanden werden als „Kundmachung der Entscheidung Gottes, die zur Entscheidung ruft“76. Wo das Evangelium gelebt und gepredigt wird, da werden Menschen mit der Frage konfrontiert, ob sie ihr Leben ohne Gott leben wollen, und sie werden eingeladen, sich mit Gott zu versöhnen. „Evangelistische Verkündigung ist also nichts anderes als solche Provokation zur Antwort, Einladung zum Einverständnis und dringende Bitte zur Versöhnung. Sie zielt darauf, dass ihre Hörer Gottes rettendes Handeln als die ihr Leben bestimmende Wirklichkeit annehmen.“77 Erst so kann eine umfassende Änderung ihrer Lebensverhältnisse einsetzen. Volker Kessler bringt es auf den Punkt wenn er schreibt: „erst eine Erneuerung des Sinnes, des „mind-sets“, bewirkt nachhaltige Änderungen.“78

2.9Evangelisation und Leiden

Evangelisation ist Zeugnis. Und Zeugnis, griechisch martyria (Apg 1,8), impliziert die Bereitschaft zu leiden, was nicht unbedingt populär ist. In der Tat ist Evangelisation der Gemeinde, wie wir oben in der evangelisationsgeschichtlichen Darstellung gesehen haben, immer wieder mit Verfolgung der Christen verbunden gewesen. Wer evangelisiert, der fordert Strukturen der Ungerechtigkeit heraus. Wer sagt, was in den Augen Gottes korrupt und falsch ist, handelt sich schnell den Vorwurf ein, systemkritisch, politisch unkorrekt und gesellschaftsfeindlich zu sein. Wer im Sinne Jesu evangelisiert, der findet sich bald auf der Seite der Benachteiligten und Armen wieder. Evangelisierende verschließen ihre Ohren nicht vor dem Bösen in dieser Welt, sondern stellen die Strukturen des Bösen bloß. Ein solches Einstehen für Gottes Gerechtigkeit passt selten mit den Plänen der Machthabenden zusammen. Deshalb wird Evangelisation geahndet und Evangelisten werden verfolgt.

Denken wir da nur an die Beispiele aus der Bibel.

Was sonst brachte denn die mächtigen Mitglieder des geistlichen Rates der Juden, des Sanhedrin, gegen Jesus auf?

Was sonst löste die erste Verfolgungswelle gegen die junge Gemeinde der Jesus-Nachfolger in Jerusalem aus?

Was sonst provozierte den Aufstand der Goldschmiede in Ephesus, wenn nicht das von Paulus verkündigte Evangelium, das Freiheit von der religiösen Versklavung brachte und damit all diejenigen arbeitslos machte, die am Kult der Aphrodite verdienten (Apg 19)?

Was sonst brachte Paulus und Silas ins Gefängnis, als die Befreiung der von Geistern besessenen Wahrsagerin (Apg 16,16ff). Ihre Befreiung machte Schluss mit dem einträchtigen Geschäft der Leute, die die zweifelhaften Weissagungen dieser Frau effektiv vermarkteten.

Was sonst brachte die menschenverachtenden Wellen der Verfolgung gegen die Christen im alten Rom, im römisch-katholischen Mittelalter oder im orthodoxen Russland, in islamischen oder atheistischen Ländern der neueren Geschichte in Gang? Immer waren es die Christen, die sich nicht dem herrschenden System mit seinen gottfeindlichen Vorstellungen unterordnen wollten und trotz aller Verbote das Evangelium von der Herrschaft Gottes lebten und predigten.

Was sonst ruft die Mächtigen dieser Welt auf den Plan, ob nun in der Schattenwelt der Gesellschaft oder in den vordersten Reihen der Politik, als die Botschaft des Evangeliums, die schonungslos Ungerechtigkeit, Korruption und Sünde frei legt? Keine selbstherrliche Macht dieser Welt hat sich bis dato damit arrangieren können. Vielleicht ist die Verfolgung der Boten des Evangeliums in den sogenannten westlichen Demokratien subtiler geworden, aber Unruhe bewirkt die Predigt des Evangeliums immer noch. Und diejenigen, die eine solche Unruhe verursachen, werden dann isoliert und als die ewig Gestrigen beschimpft und degradiert. Man sollte sich nur einmal in unserem Land da umsehen und umhören, wo Christen es wagen und Lebensweisen ansprechen, die vom Evangelium als Sünde angeprangert werden. Augenblicklich gehen andere auf die Barrikaden und verteidigen ihre eigene hedonistische Freiheit, indem sie mit allen Mitteln die Christen mundtot machen wollen.

Nein, Evangelisation ist noch nie leidensfrei gewesen, und Besserung ist nicht in Sicht. Gerade in der modernen Gesellschaft, die nur noch wenig mit Wahrheitsansprüchen anfangen kann, mehren sich die Stimmen derer, die den Absolutheitsanspruch Jesu und seines Evangeliums nicht nur infrage stellen, sondern auch als fundamentalistisch verschreien und für höchst gefährlich und deshalb verfolgungswürdig halten.

Eine evangelisierende Gemeinde wird sich deshalb immer auch auf Verleumdung, Verfolgung und Leiden einstellen müssen. Es ist genau das, was Jesus seinen Nachfolgern versprach, als er ihnen sagte: „Haben sie mich verfolgt, so werden sie euch auch verfolgen“ (Joh 15,20). Evangelisation kann also Leiden implizieren. Aber die evangelisierende Gemeinde rechnet auch mit dem Beistand ihres Herrn, denn Jesus versprach seinen Jüngern als er ihnen den Missionsbefehl gab: „Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende“ (Mt 28,20).

2.10Evangelisation in der Kraft des Heiligen Geistes

Evangelisation ist zuallererst die Sache Gottes. Sie wird von Menschen ausgeführt, aber der eigentliche Herr der Mission ist der Geist Gottes (2Kor 3,17). Stone beschreibt Evangelisation als „die Praxis des Heiligen Geistes“.79 Er ist es, der den Menschen Gaben gibt, die entsprechend der Vorgabe des Herrn in Diensten eingesetzt werden. So wirkt Gott Kraft und Frucht (1Kor 12,4–6). Che Ahn schreibt: „Der Heilige Geist war schon immer Gottes Weg, sein Reich in dieser Welt sichtbar zu demonstrieren.“80 Und der Geist Gottes bedient sich dabei nicht nur rationaler Mittel, um das Evangelium vom Reich Gottes den Menschen nahe zu bringen. Auch wenn er, um mit Jüngel zu sprechen, der „intimste Freund des gesunden Menschenverstandes“ ist.81 Er ist es, der durch seine Gegenwart der Gemeinde und ihren Evangelisten Geistesgegenwart verleiht.82 Durch Ihn wird die Verkündigung aktuell und lebensnah. Er ist der eigentliche Verkündiger, der eigentliche „Hermeneut des Wortes“, der das Evangelium in die Herzen und die Situation der Menschen übersetzt.83

Gottes Geist wirkt durch das Wort, aber er zeigt seine Macht auch auf andere Weisen, die sich nicht immer dem kritischen Verstand des Betrachters rational erschließen. Der Apostel Paulus sprach davon, dass seine Predigt vom Kreuz geschah „in Erweisung des Geistes und der Kraft“ (1Kor 2,1–5).84

Die Geschichte der Evangelisation ist voller solcher Machterweise Gottes.85 Evangelisation in der Kraft des Heiligen Geistes wird von Zeichen und Wundern begleitet. John Wimber sprach an dieser Stelle von „power evangelism“.86 Die Verwirklichung einer solchen kraftvollen Evangelisation bedarf bestimmter Geistesgaben, wie Wimber richtig bemerkt.87 Die Bestätigung der Verkündigung des Evangeliums durch Zeichen und Wunder begleitete sowohl den Dienst Jesu als auch der Apostel im Neuen Testament, sodass Hans-Werner Gensichen das „Vollbringen der Machttaten“ Gottes neben den Auftrag zur Verkündigung im Dienst der Apostel stellt.88 Ein Phänomen, das sich wie ein roter Faden durch die ganze Geschichte der geistlichen Erweckung zieht. Wo immer Gottes Reich in Vollmacht gepredigt wurde, geschahen auch jene Wunder, die der Mensch selbst nicht imstande ist zu tun.

Michael Green weist mit Recht darauf hin, dass Zeichen und Wunder als Begleiterscheinungen der Evangelisation unbedingt in der lokalen Gemeinde verortet werden müssen.89 So kann die Erfahrung des übernatürlichen Wirkens Gottes bewusst seelsorgerlich begleitet und geistlich vertieft werden. Damit kann auch jene ungesunde Euphorie vermieden werden, die in entsprechenden Kreisen allgegenwärtig ist, welche nicht mehr Gott und die Beziehung zu ihm, sondern das Wunder und die damit verbundene Mystik sucht.

 
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