Bücklers Vermächtnis

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Sophie sah auch heute noch diesen zufriedenen Gesichtsausdruck ihrer Schwester von damals vor sich. Jana war schon immer ein Mensch gewesen der eine Sache zu Ende führte und Sophie bewunderte sie für diese Leistung. Jana war eine Mädchen, dass eine schier unstillbare Neugier in sich hatte. Sie musste alles ganz genau ergründen und ruhte erst dann, wenn etwas lückenlos aufgeklärt war. Diese Eigenschaft war wohl mit ein Grund warum sie sich später für eine Karriere beim BKA entschloss. Die großen Anforderungen die das BKA an seine Mitarbeiter stellte, meisterte sie mit Bravour.



Doch dann war plötzlich alles vorbei. Eine Gerölllawine löschte Janas Leben aus. Im September letzten Jahres war sie im Urlaub zum Bergsteigen in den Dolomiten unterwegs. Dabei löste sich eine Lawine vom Fels und riss sie und einen ihrer Freunde mit in den Tod. Tonnen von Gestein begruben sie und durch die unzugängliche Lage für schweres Bergungsgerät war es unmöglich sie zu bergen. Dieser Umstand machten die Trauer und das Entsetzen nur noch größer. Man konnte keinen Abschied nehmen. Es schien fast so, als wäre Jana immer noch auf einer Reise, auf einer Reise ohne Wiederkehr. Man wartete und wartete auf ihre Heimkehr und wusste dennoch genau, dass es nie dazu kommen würde. Sophie stellte das Bild zitternd zur Seite. Ihr Innerstes war aufgewühlt. Sie hatte ihre Schwester sehr geliebt. Sie hatten regelmäßig Kontakt gehalten und Jana war ihr oft eine Stütze und gute Ratgeberin. Jana hatte noch so viele Pläne. Solch einen frühen Tod hatte sie einfach nicht verdient. Sophie wischte sich die Tränen aus den Augen. Vielleicht war ja etwas daran, dachte sie, dass die Guten immer zuerst sterben.



Dann sah sie nochmals zu dem Foto das Jana und sie zeigte. Wiederum spürte sie die Liebe zu ihrer Schwester und das Loch, dass dieser Unfall in ihr Herz gerissen hatte.



»Du fehlst mir,« sagte sie leise und Tränen stiegen wieder in ihr auf.



Jana sah sie lächelnd vom Foto her an. Aufgeweckte, kraftvolle Augen, die von unbändigem Willen zeugten. Ein Wille der über den Tod hinaus zu gehen schien. Dann änderte sich die Atmosphäre im Zimmer. Sie bekam etwas seltsames, etwas mystisches. Und urplötzlich war es Sophie so, als wenn ihre Schwester anwesend sei. Nicht wirklich visuell, sondern viel mehr mit dem Gefühl der Verbundenheit. Ein Band welches zwischen den beiden vorhanden war, dass keiner Worte bedurfte und über den Tod hinaus bestand.




Sie nahmen das Abendessen gemeinsam ein. Es gab einen Rindfleisch-Pfifferlingstopf in Rosmarinjus. Dazu selbstgemachte Spätzle. Thomas hatte eine Flasche Merlot aufgezogen, dessen trockenes Bouquet sich vorzüglich an den Geschmack des Fleisches anpasste.



Die Unterhaltung am Tisch war eher belangloser Natur. Klara fragte Sophie wie es ihr denn in Heidelberg erging und Sophie erzählte auskunftswillig von ihrem Studium, ihren Mitstudenten und ihren Freizeitaktivitäten.



Thomas Haller beteiligte sich kaum an dem Gespräch. Er schien mit seinen Gedanken ganz wo anders zu sein. Tiefe Falten zeichneten sich auf seiner Stirn ab, die auch den beiden Frauen nicht verborgen blieben. Aber sie sagten nichts. Als sie mit dem Essen dann fertig waren räumten sie den Tisch ab, schenkten sich noch Rotwein nach und begaben sich ins Wohnzimmer. Man spürte deutlich, dass etwas in der Luft lag. Klara und Sophie sahen schweigend hinüber zu Thomas, der gedankenversunken in sein Glas starrte. Dann, endlich brach er das Schweigen.



»Ich muss euch etwas sagen«, begann er zögerlich.



Sophie spürte wie sie sich innerlich anspannte. Sie hatte ihren Vater selten so ernst und voller Sorge gesehen.



»Die Auftragslage in der Firma hat sich drastisch verschlechtert.«



Klara stellte ihr Glas bei Seite. »Was heißt das?«



»Das heißt, dass ich Leute entlassen muss.«



Sophie konnte sich vorstellen, wie schwer das ihrem Vater fallen musste. Soweit sie wusste, war er ein sehr fürsorglicher Chef, dem seine Mitarbeiter am Herzen lagen. Er hatte noch letztes Jahr zwei neue Ausbildungsplätze geschaffen.



»Wie viele wirst du entlassen müssen«, wollte ihr Mutter genau wissen.



»Alle!«



Thomas´ Antwort schlug wie ein Bombe ein. Sophie stockte der Atem. Klaras Gesicht wurde plötzlich aschfahl. Sie waren sprachlos.



»Ich muss die Firma schließen«, fügte Thomas hinzu.



Erst jetzt löste sich Klara aus der Starre. »Wie konnte es so plötzlich dazu kommen?«



»Die Banken gewähren mir keinen neuen Kredit mehr.«



»Von heute auf morgen?«



»Nein. Schon seit längerem.«



»Warum erfahre ich das erst jetzt?« Der Tonfall in Klaras Stimme hatte sich verschärft.



»Ich wollte dich nicht damit belasten. Ich dachte ich bekomme das auch so in den Griff.«



Sophie hörte Scham heraus. Dieses Geständnis fiel ihrem Vater nicht leicht. Aber sie konnte auch den Ärger ihrer Mutter sehr gut verstehen.



Klara konnte nicht mehr ruhig sitzen bleiben, stand auf und ging unruhig durchs Zimmer. »Gibt es keine Möglichkeit die Firma zu retten?«



»Nein, ich habe bereits alles versucht.«



Klara stemmte ihre Hände in die Hüften. »Zwölf Menschen arbeiten in deiner Firma.«



»Ich weiß, ich kündige ihnen bestimmt nicht gerne, aber es geht nicht mehr. Die Banken haben den Geldhahn zugedreht. Die Auftragslage ist miserabel. Es gibt keine Zukunft.«



Klara sah zu ihrem Mann hinüber. Diese Endgültigkeit schien sie sprachlos zu machen.



»Da gibt es noch etwas, was ich euch sagen muss.« Thomas´ Stimme hörte sich heiser an. »Um die Firma zu retten habe ich eine Hypothek auf unser Haus aufgenommen.«



»Sag, dass das nicht wahr ist.«



»Es ist leider so. Wir werden das Haus verlieren.«



Sophie spürte wie das Blut plötzlich siedend heiß durch ihren Körper strömte.



Ihre Mutter schlug die Hand vor den Mund und ließ sich zurück in den Sessel fallen. »Was hast du getan?«



»Es tut mir leid. Was soll ich sagen. Es tut mir so unendlich leid.«



Sophie sah wie sich die Augen ihres Vaters mit Tränen füllten.



»Warum hast du nicht eher mit mir darüber gesprochen?«



»Was hätte sich daran geändert, außer dass auch du dir noch Sorgen machst.«



»Ich bin deine Frau, habe ich nicht das Recht so etwas zu erfahren?«



»Ja, es war ein Fehler es dir solange vorzuenthalten.«



»Nein Thomas, es war ein Fehler mich erst gar nicht in die Entscheidung mit einzubeziehen, was unser Haus betrifft.«



Sophies Vater senkte den Kopf vor Scham. »Du hast Recht. Ich habe Mist gebaut.«



»Das ist noch milde untertrieben. Ich erkenne dich nicht wieder, das ist doch nicht deine Art.«



Dann setzte Schweigen ein. Jeder versuchte Ordnung in das Chaos seiner sich überschlagenen Gedanken zu bringen.



»Ich werde mein Praktikum in Straßburg absagen«, stellte Sophie fest. Ihr Vater blickte sie fragend an.



»Der Aufenthalt kostet nur unnötig Geld.«



»Das kommt überhaupt nicht in Frage«, entgegnete ihr Vater. »Du machst dein Praktikum und bringst dein Studium zu Ende. Das Geld dafür ist da, ich habe es nicht angerührt.«



»Aber ich könnte statt dem Praktikum in meinen Semesterferien eine Stelle annehmen und Geld verdienen. So wie es andere auch machen. Das würde euch auch entlasten.«



»Sophie du sollst nicht für die Fehler, die ich gemacht habe bezahlen.«



»Aber das macht mir nichts aus.«



»Nichts da, es bleibt so wie es ist, basta!«



Die Schärfe in der Stimme ihres Vaters duldete kein weiteres Wort in dieser Angelegenheit und Sophie schwieg. Sie hatte ihren Vater nur selten so wütend erlebt.



Sophies Mutter stand schweigend auf, durchschritt den Raum in Richtung Tür, wo sie sich nochmals umdrehte. »Wann müssen wir die Koffer packen?«, sagte sie teils resignierend, teils zynisch.



»Wir haben noch drei Monate. Vielleicht geschieht ja noch ein Wunder.«



»Ja, vielleicht«, sagte sie knapp und zog sich zurück ins Schlafzimmer.



Auch Thomas stand auf um ihr zu folgen. Er schenkte seiner Tochter ein bitteres Lächeln. »Keine Angst, alles wird gut.«



Sophie glaubte das nicht.




Sophies Großmutter Mechthild wohnte in einer achtzig Quadratmeter großen Eigentumswohnung in der Altstadt von Wetzlar. Nachdem ihr Mann vor fünfzehn Jahren verstorben war, hatte sie ihr Haus am Rande der Stadt verkauft und sich etwas Übersichtlicheres gesucht. Sie hätte auch bei ihrem Sohn leben können. Das Angebot bestand, aber sie wollte es aus mehreren Gründen nicht annehmen. Zum einen war sie der Meinung, dass ihr Sohn und seine Familie eine Recht auf Eigenständigkeit hatten und nicht das Gefühl haben sollten auf eine alte Frau aufzupassen. Und zum anderen, ja sie musste es sich eingestehen, trieb sie auch ein wenig der Stolz, nicht zum alten Eisen gehören zu wollen und so lange wie möglich selbstständig das Leben zu bewältigen.



Mechthild brühte frischen Kaffee auf und schnitt den Bienenstich an. Sie freute sich auf ihre Enkelin, die sich zum Kaffee angemeldet hatte. Nach dem plötzlichen Tod von Jana waren alle in ein tiefes Loch gefallen. Mechthild hatte genug vom Tod. Sie erinnerte sich schmerzlich an das Ableben ihrer Eltern und ihres Mannes. Aber ein Kind zu verlieren, sei es nun die Tochter, oder auch Enkelin, war noch einmal ganz etwas anderes. Es war nicht der natürliche Lauf der Dinge. Gerne hätte sie ihr fast verbrauchtes Leben für Jana gegeben, aber der Herrgott ließ sich auf solch einen Handel nicht ein. Mechthild war ein sehr gläubiger Mensch. Ohne zu Murren nahm sie die Dinge hin, wie sie auch kamen. Aber an dieser letzten Prüfung hatte sie schwer zu tragen und so ging sie fast täglich in den Dom und betete für das Seelenheil ihrer verunglückten Enkelin.

 



Das Schrillen der Haustür ließ sie in ihren Vorbereitungen innehalten. Sie verließ die Küche, durchschritt den schmalen Flur und öffnete Sophie die Tür. Ein herzliches Lächeln zauberte sich auf ihr Gesicht und noch im Türrahmen stehend umarmte sie ihre Enkelin.



»Sophie, das ist schön, dass du da bist.«



»Ja, es tut gut hier zu sein.«



Mechthild ließ Sophie eintreten. »Setz dich doch schon mal ins Wohnzimmer ich komme gleich mit dem Kaffee.«



»Aber ich kann dir doch helfen.« Sophie folgte ihrer Großmutter in die Küche und so trugen beide Kaffee und Kuchen auf. Dann machten sie es sich im Wohnzimmer gemütlich. Sophie genoss die seltenen Zusammenkünfte mit ihrer Großmutter sehr. Sie waren für sie wie der Fels in der Brandung. Ein Bollwerk von Beständigkeit in einer Zeit in der jegliches auf der Flucht zu sein schien. Hier konnte sich Sophie erholen und wenn sie wollte auch immer noch Kind sein.



»Wie geht es dir, was macht das Studium?«



»Dem Studium geht es gut und mir auch. Wenn alles so läuft wie ich es mir vorstelle, werde ich nächstes Jahr fertig.«



»Das ist doch toll.«



»Ja.«



Mechthild sah ihre Enkelin an. Sie spürte dass Sophie etwas bedrückte. »Was ist los?«



»Was meinst du?«



»Mach mir nichts vor.«



Sophie musste unwillkürlich lächeln, auch wenn es von Bitterkeit zeugte. »Wie konnte ich nur glauben irgendetwas vor dir zu verheimlichen?«



»Das frage ich mich auch gerade«, sagte ihre Großmutter in gespielt vorwurfsvollem Ton.



»Weißt du«, begann Sophie etwas zögerlich. »Irgendwie läuft alles aus dem Ruder. Erst der unbegreifliche Tod von Jana...« Sophie stiegen Tränen in die Augen. »...und nun erzählt uns mein Vater, dass er höchstwahrscheinlich die Firma verliert und wir eventuell unser Heim.«



Mechthild stockte der Atem. Die Geldnöte der Firma waren für sie nicht ganz neu, doch dass es so ernst war wusste sie nicht. Sie legte ihre Hand auf Sophies Arm, um sie zu beruhigen. »Es gibt wichtigeres als Geld«, sagte sie sanft.



Sophie wischte sich die Tränen aus den Augen und sah sie erstaunt an. »Das Geld ist mir doch so was von egal. Aber diese Firma bedeutet meinem Vater so immens viel und auch unser Haus, dass er selbst gebaut hat. Dazu kommt dass Mutter sich hintergangen fühlt und deshalb leidet, was man ihr nicht verdenken kann. Und so geht alles den Bach runter. Wie müssen sie sich nur dabei fühlen? Gerade jetzt.«



»Ja«, sagte ihre Großmutter knapp. Sie wusste dass ihr Sohn ein sehr verantwortungsbewusster Mensch war. Und wie es aussah stand er nun vor einem Scherbenhaufen und musste seiner Familie und seinen Mitarbeitern erklären, dass es nicht so weiter ging wie bisher. Dazu kam, dass er den Tod von Jana noch nicht verkraftet hatte, wie keiner von ihnen. »Es tut mir so leid«, fügte sie hinzu und sie spürte wie ihr die Sorge die in ihr aufstieg die Kehle zuschnürte.



»Warum nur?«, fragte Sophie. »Kannst du mir sagen warum? Was hat unsere Familie verbrochen?«



»Nichts, Sophie. Allerdings hilft uns Selbstmitleid hier nicht weiter.« Mechthild versuchte den Druck in der Kehle los zu werden. All zu oft in ihrem Leben hatte sie Schicksalsschläge hinnehmen müssen, immer wieder war sie aufgestanden und hatte gekämpft. Dieses mal würde es nicht anders sein.



Sophie sah ihre Großmutter an. »Du hast recht. Aber es ist verdammt schwer.«



»Keiner sagt, dass es einfach ist nicht aufzugeben. Aber haben wir eine Wahl, wenn wir nicht untergehen wollen?«



»Nein.«



Schweigen.



Mechthild dachte nach, stand plötzlich auf und ging zu ihrer Kommode aus der sie ein altes Fotoalbum nahm.



»Tut mir leid Oma, aber mir ist jetzt nicht nach irgendwelchen Erinnerungen aus der guten alten Zeit zumute.« Sophie unterstrich ihre Ablehnung mit einer abwehrenden Handbewegung.



Mechthild ignorierte das Gesagte, nahm direkt neben Sophie platz und begann in dem Album zu blättern. »Seit einem knappen Jahr geht es der Firma deines Vater schon sehr schlecht, sodass wir damals schon dachten, dass früher oder später die Insolvenz unvermeidlich sei.«



Sophie sah sie erstaunt an. »Das höre ich zum ersten mal.«



»Dein Vater wollte nicht, dass ihr Kinder was davon erfahrt. Ihr solltet euch keine Sorgen machen. Auch ich erfuhr nur durch Zufall davon.«



»Was war passiert?«



»Nun ich schätze, das Gleiche wie heute auch. Eine schlechte Auftragslage? Auf jeden Fall war die Sache ernst. Dein Vater brauchte unbedingt Liquidität. Sprich viel Geld, um die Firma zu retten.« Mechthild hörte mit dem Blättern in dem Fotoalbum auf und sah Sophie an. »Da kam mir eine Idee, wie ich ihm vielleicht helfen könnte, doch ich brauchte Jana dazu.«



Sophie sah ihre Großmutter überrascht an. Bis zu dem Geständnis ihres Vaters hatte sie geglaubt über die Vorgänge, die die Familie betrafen, bestens informiert zu sein. Aber jetzt musste sie feststellen, dass dem ganz und gar nicht so war. »Was meinst du damit?«



Sophies Großmutter nahm ein altes Foto aus dem Album heraus. »Dies hier«, sagte sie fast ehrfürchtig«, ist eine Fotografie von meinem Vater Anton Abel, als Soldat im ersten Weltkrieg.



Das Foto zeigte einen stolzen Mann in Soldatenuniform, abgebildet vor einem inszenierten Hintergrund in einem Fotoatelier. Die Szenerie wirkte irgendwie grotesk. Schräg hinter Sophies Urgroßvater war eine kleine Schultafel aufgestellt auf der das Wort

Oberstein

 mit Kreide geschrieben war. Ihr Urgroßvater hatte in der einen Hand ein Kirchenmodell und in der anderen einen faustgroßen Stein. Diese Gegenstände präsentierte er bewusst der Kamera.



In all den Jahren die sie als Kind bei ihrer Familie verbracht hatte, wo kein Schrank, kein Gegenstand vor ihr sicher war, hatte sie dieses Foto dennoch nie gesehen.



»Was hat das mit Jana und unserem Vater zu tun?«



Ihre Großmutter legte das Foto zurück ins Album. Dann sprach sie leise: »Als mein Vater aus dem Krieg zurückkam war er ein sehr schweigsamer Mann geworden. Das Leid, der Hunger und der Tod, den er dort kennen gelernt hatte, hatten ihn verändert. So hat es mir zumindest meine Mutter erzählt.«



Mechthild sah auf ein anderes Foto der aufgeschlagenen Seite des Albums, das ihre Mutter zeigte. Dann blickte sie wieder auf das Soldatenfoto. »Ich hatte zu meinem Vater nicht das beste Verhältnis. Allzu sehr hatte er sich einen Erben gewünscht. Aber das blieb ihm verwehrt. Ich war sein einziges Kind. Nach meiner Geburt konnte meine Mutter keine Kinder mehr bekommen. Diesen Umstand ließ er sie und mich spüren. Mein Vater war ein verbitterter, alternder Mann geworden und die Große Depression und später die Nazis trugen ihres dazu bei.«



Mechthilds Augen füllten sich mit Tränen. »Weißt du«, sagte sie zu ihrer Enkelin, »er war kein schlechter Mensch, aber dieser Krieg hatte ihn nun mal verändert und er wusste das auch. Letztendlich hat ihn wohl diese Verbitterung gegenüber dem Schlechten in der Welt auch sterben lassen.«



Sophie sah ihre Großmutter verlegen an. So hatte sie sie noch nie erlebt.



Mechthild wischte sich eine herablaufende Träne von der Wange. Dann atmete sie tief durch, bevor sie weiter sprach.



»Nach dem Ende des zweiten Weltkrieges ging es uns finanziell sehr schlecht wir hatten fast alles verloren. Zu allem Übel erkrankte mein Vater dann schwer. Auf seinem Sterbebett gab er mir dann diese Fotografie.« Sie zeigte auf das Soldatenfoto im Album.



»Er sagte zu mir, dass dieses Foto sehr viel wert sei. Ich verstand zuerst nicht was er damit meinte. Dann griff er nach meiner Hand, drückte sie ganz fest, soweit es sein geschwächter Körper denn zu ließ, und sagte mir es hätte mit sehr viel Gold zu tun und ich solle auf die Suche danach gehen, damit meine Mutter und ich gut versorgt seien.«



Sophie griff nach dem Foto. Es war auf dunkelgrünem Pappkarton geklebt, was zur Verstärkung des Bildes diente.



Dann sah sie sich die Rückseite an. Der Karton war bedruckt mit der Adresse des Fotoateliers, wo das Bild entstanden war.






Atelier für moderne







Photographie und Malerei







Heinrich Schmid







Strassburg i/Els.







Schwarzwaldstraße 174






Sie drehte das Bild wieder um und betrachtete es weiter von vorne. Ihre Neugierde war geweckt.



»Hast du irgendetwas in Erfahrung bringen können?« Sie löste den Blick von dem Foto und sah zu ihrer Großmutter.



»Nicht, viel.« Mechthild griff nochmals zum Album und zog ein gefaltetes Stück Papier hervor und reichte es Sophie. »Neben der Fotografie gab mir mein Vater noch diesen Zettel.«



Vorsichtig nahm Sophie diesen in Empfang und entfaltete ihn. Auf ihm standen Namen und Adressen dreier Männer. Die Wörter waren in Kurrentschrift gehalten. Aber das stellte für Sophie kein Hindernis dar, da ihre Großmutter Jana und ihr diese alte Schreibweise schon früh beigebracht hatte. Trotz der mittlerweile schon sehr verblassten Tusche waren die Buchstaben noch sehr gut zu entziffern und sie spürte wie Interesse und Neugier in ihr aufstiegen. Ohne Mühe konnte sie die Handschrift lesen:






Oswald Rasche (Klosterstraße, Hagenau)







Jakob Leffler (Weizengasse, Freising)







Heinrich Schmid (Schwarzwaldstraße, Strassburg)






»Hat Urgroßvater dir gesagt was die Namen zu bedeuten haben?«



»Nein, wie schon erwähnt war er sehr geschwächt. Er konnte mir nichts weiter sagen, bevor er starb.«



Für einen Moment kehrte Stille ein. Dann brach Sophie das Schweigen. »Hast du versucht diese Männer ausfindig zu machen?«



Ein bitteres Lächeln zeigte sich bei Mechthild »Nach dem Tod meines Vaters ging alles drunter und drüber. Meine Mutter und ich versuchten uns mit Gelegenheitsarbeiten am Leben zu halten. Da war keine Zeit und auch kein Geld für großartige Nachforschungen. Erst Jahre später, als sich unsere Situation ein klein wenig verbessert hatte, fiel mir die Fotografie und der Zettel mit den Adressen wieder ein. Ich schrieb an den Mann in Freising einen Brief, aber ich erhielt nie eine Antwort.«



»Und was war mit den beiden anderen Adressen?«



»Nun, seit dem Krieg gehören sie zu Frankreich. Zur damaligen Zeit, so kurz nach dem Krieg, war das deutsch-französisch Verhältnis immer noch sehr feindselig. Ich erwartete von dort keine Kooperation, deshalb versuchte ich es erst gar nicht. Später, als es uns wieder besser ging, war es für uns einfach nicht mehr so wichtig und es geriet in Vergessenheit.«



Mechthild bot ihrer Enkelin an, nochmals Kaffee nachzuschenken. Aber Sophie verneinte. Ihre Gedanken drehten sich weiterhin um diese mysteriöse Geschichte. »Du hast vorhin Jana und Papa in dem Zusammenhang erwähnt.«



Mechthild nickte zustimmend. »Wie gesagt als ich von den Geldnöten deines Vaters erfuhr, fiel mir plötzlich unsere Situation kurz nach Kriegsende ein und ich erinnerte mich wieder an die Fotografie und die Adressen. Ich wusste, dass ich deinen Vater nicht mit der Geschichte zu behelligen brauchte. Er würde es als Hirngespinst abtun. So erzählte ich Jana davon und da sie doch beim BKA war, dachte ich sie könnte etwas über dieses Foto und die Adressen herausfinden.«



»Sie war bestimmt Feuer und Flamme.«



»Das kann man so sagen. Du kennst ja deine Schwester. Geheimnisse und Rätsel waren für sie das Größte. Sie versprach mir gleich nach ihrem Italienurlaub mit den Recherchen zu beginnen. Dann geschah dieser schreckliche Unfall.«



Sophie spürte erneut diesen bohrenden Schmerz in sich, als sie wieder an Janas Tod erinnert wurde. Sie versuchte so gut es ging den Gedanken zu verdrängen.



»Aber da gibt es noch einige Fragen auf die ich mir noch keinen Reim machen kann.«



»Dann raus damit«, forderte ihre Großmutter sie auf.



»Warum hat mein Urgroßvater nicht schon vorher Kontakt mit den Personen auf dem Zettel aufgenommen?«



»Das kann ich dir nicht beantworten. Aber ich denke dass er aufgrund seiner schrecklichen Kriegserlebnisse nichts mehr mit alten Geschichten zu tun haben wollte, die ihn unnötig wieder daran erinnert hätten.«



»Wie hat Urgroßvater dass wohl gemeint. Die Fotografie sei viel wert?«



»Auch hier kann ich nur Vermutungen anstellen. Vielleicht schuldeten ihm die Personen auf dem Zettel noch Geld?«



»Aber warum ließ er sich dann auf so ungewöhnliche Weise ablichten. Mit einem Stein und einem Kirchenmodell in der Hand? Und wenn ich dich richtig verstanden habe, sprach er von viel Gold.«

 



Mechthild stellte die benutzten Kuchenteller aufeinander und legte die Gabeln sorgfältig obendrauf. »Weißt du ich glaube dein Urgroßvater und die anderen drei Männer haben Gold versteckt und zwar Gold was nicht ihnen gehörte.«



»Wie kommst du denn darauf?«



»Na diese ganze Geheimniskrämerei. Warum ein solch merkwürdiges Foto machen lassen, wenn ich nichts zu verbergen habe? Warum rede ich mein ganzes Leben nicht darüber, sondern erst wenn ich im Sterben liege?«



»Aber du sagtest eben noch, er wollte nic

Sie haben die kostenlose Leseprobe beendet. Möchten Sie mehr lesen?