Bücklers Vermächtnis

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Foch fixierte mit den Augen wieder sein Pferd. Ärgerlich zerrte er etwas an den Zügeln, worauf das Tier begann den Kopf nach hinten zu werfen, um dem festen Griff zu entgehen.

»Halt still du blöder Gaul«, entfuhr es Foch zornig und er hielt das Pferd noch kürzer am Zügel, worauf dieses ungeduldig begann auf der Stelle zu trampeln. Dann beruhigte sich der Fuchs jedoch wieder und hielt endlich still. Foch beobachtete die Reaktionen des Pferdes. Nichts deutete auf eine Vergiftung hin, aber das war ja auch das tückische an der Eibe. Minutenlang standen sich Pferd und Reiter so gegenüber, ohne dass etwas passierte. Foch begann allmählich zu glauben, dass die Sache glimpflich ausging, als das Pferd ohne Vorwarnung in den Beinen einknickte und zu Boden fiel. Schnaubend riss der Fuchs den Kopf nach hinten, bevor der Körper zur Seite auf den mit Reif bedeckten Waldboden fiel. Sekunden später war das Tier tot.

Foch sah entsetzt auf den leblosen Körper hinab. Panik und Wut schwollen in ihm an und entluden sich in einem Schrei, der die Vögel in den Bäumen aufschrecken ließ. Dann schmiss er die Zügel, die er die ganze Zeit festgehalten hatte, voller Wucht auf den Kadaver. Er ließ sich auf die Knie fallen und spürte, wie die Verzweiflung seinen Zorn verdrängen wollte. Ohne Pferd kam er nicht weit. Und schon gar nicht mit den schweren Satteltaschen voller Gold.

Es war ein sonniger Frühlingsmorgen. Keine Wolke war am Himmel zu sehen. Die Bäume des Soonwaldes leuchteten in prächtigen Farben. Eine einzigartige Vielfalt zeigte sich in ihm. Birken, Kiefern, Erlen, Eichen, Hasel, Hainbuchen, Linden, Ulmen und Eiben. Dazu kamen in den wasserreichen Schluchten und Seitentälern Eschen und Ahorn. Unzählige Farnarten und Gräsersorten waren hier beheimatet und sind es auch heute noch. Auch die Fauna zeigte sich vielfältig. Rehwild, Schwarzwild, Rotwild und Hasen. Aber auch Wölfe, Füchse und Marder und viele Vogelarten. Unter diesen auch Raubvögel wie Steinadler, Habicht, Falken und Milane. Aber an jenem Morgen waren dies nicht die einzigen Räuber im unendlich erscheinenden Soonwald. Noch einer war in ihm unterwegs und er schien es noch nicht einmal eilig zu haben, obwohl er wusste, dass eine hohe Belohnung auf seine Ergreifung ausgesetzt war. Aber dieser Wald war für ihn wie ein schützendes Heim, er gab ihm Deckung und Nahrung. Und so ritt er im Schritt auf einem geheimen Pfad, den nur er und ein paar seiner Spießgesellen kannten. Johannes Bückler war unterwegs in den Taunus, wo er hoffte ein neues Leben beginnen zu können, denn er wollte dem Verbrechen entsagen. Er würde sich einen anderen Namen zulegen, Jakob Ofenloch, und hoffte so seinen Häschern zu entkommen. Er glaubte sich dort in Sicherheit weil die rechtsrheinischen Gebiete nicht von den französischen Behörden kontrolliert wurden. Schon öfter hatte er sich dort versteckt, wenn es hier zu brenzlig für ihn wurde und die Gendarmerie ihm zu nah an den Fersen hing.

Der Räuberhauptmann Bückler hatte eine eindrucksvolle, wenn auch zweifelhafte Karriere hinter sich. Geboren war er, als Kind armer Eltern, 1778 in Miehlen im Taunus. Sein Vater war Abdecker, wie auch dessen Vater. Und so erlernte auch Johannes Bückler diese scheußliche Tätigkeit. Die Abdecker, auch Schinder genannt, schlachteten Tiere aus, zogen ihnen das Fell oder die Haut ab und beseitigten die Tierkadaver. Bückler erinnerte sich nicht gern an diese Zeit zurück. Damals wurde der Grundstein für seine kriminelle Laufbahn gelegt. Von seinem damaligen Lehrmeister berechtigt wegen Diebstahls angezeigt, erhielt der junge Bückler auf dem Kirner Marktplatz eine öffentliche Prügelstrafe. Diese überaus harte Bestrafung, setzte dem damals sechzehnjährigen so zu, dass dadurch sein ganzes weiteres Leben beeinflusst wurde. Anstatt geläutert sein Dasein in eine anständige Bahn zu lenken, obsiegte der Trotz gegenüber der Obrigkeit. Dazu kamen die kostspieligen Ausschweifungen seines jungen Lebens, die finanziert werden wollten. Diebstahl, Raub und Erpressung wurden sein Handwerk. Auch vor Gewalt schreckte Bückler nicht zurück.

Für seine kriminelle Machenschaften waren ihm auch seine Intelligenz und seine Redegewandtheit von Nutzen. So schaffte er es ohne große Mühe zwielichtige Gestalten um sich zu scharren und eine schlagkräftige Räuberbande zu gründen. Sie überfielen Höfe und Mühlen. Auch reiche Kaufleute und die verhassten Franzosen blieben von Überfällen nicht verschont. Im Gegenteil, letztere erfuhren den ganzen Hass, den Bückler für sie übrig hatte. Er machte sie verantwortlich für das Leid, das die Bevölkerung hinnehmen musste. Arbeitslosigkeit, Hunger und Plünderungen. Aber auch ganz persönliche Ereignisse trugen dazu bei, dass sich sein Groll gegen die französische Besatzungsarmee richtete. So beging er auch Verbrechen gegen die französische Obrigkeit, was die Suche nach ihm nur noch verstärkte. Einige male schon war der Schinderhannes, so wie ihn das Volk mittlerweile nannte, in die Fänge der Justiz geraten. Aber immer wieder gelang es ihm aus seinem Gefängnis zu flüchten. Es schien keine Mauern zu geben die den Freiheitsdrang des Schinderhannes einzudämmen vermochten.

Aber nun zog sich die Schlinge der Gendarmerie immer enger zu. Dazu kam dass die anfängliche Sympathie und Hilfsbereitschaft der Bevölkerung gegenüber ihm schwand. Zu oft hatte er auch redliche, unschuldige Bürger überfallen und das Volk nahm dies nicht mehr hin. Es war an der Zeit dem Räuberleben zu entsagen. Hier und jetzt wollte er einen Schlussstrich ziehen. Aber wieder einmal sollte es anders kommen.

Bückler war gerade im Begriff den geheimen Pfad zu verlassen und auf eine Lichtung zu reiten, als er einen Schrei vernahm. Ohne Zweifel hatte kein Tier geschrien, sondern es war der Schrei eines Menschen. Bückler spähte zwischen den Bäumen hindurch in die Richtung aus welcher der Schrei gekommen war. Er gab seiner Neugier nach, wendete sein Pferd und ritt in diese Richtung weiter.

Noch immer kniete Foch vor dem Pferdekadaver und starrte diesen unverwandt an. Sein Kopf war leer, kein klarer Gedanke vermochte sich in ihm zu bilden. Foch war überwältigt von der Ausweglosigkeit seiner Situation. Wie sollte es weiter gehen? Er hatte keine Ahnung. Eher automatisch als überlegt, rappelte er sich auf und schleppte sich zu den Satteltaschen. Der schwere Pferdekörper lag auf einer von ihnen. Foch nahm erst die obere Tasche und legte sie beiseite, dann begann er seine Hand zwischen Pferdekörper und Boden zu schieben. Mühevoll tastete er sich nach vorn, bis er das harte Leder der Satteltasche spürte. Dann begann er an ihr zu zerren. Das Gewicht des Goldes und des Pferdes verlangten ihm sein gesamtes Kraftreservoir ab. Nur mühsam, Zentimeter um Zentimeter, brachte er die Tasche näher an sich heran. Der Schweiß stand ihm vor Anstrengung auf der Stirn und sein Atem ging immer schneller. Als er die Tasche zur Hälfte heraus gezogen hatte, verschnaufte er kurz und zerrte dann noch einmal kräftig an ihr. Die Tasche glitt plötzlich unter dem Pferd heraus und Foch verlor sein Gleichgewicht. Rittlings fiel er auf den noch feuchten Boden. Schwer atmend, aber zufrieden mit dem Ergebnis, rappelte er sich wieder auf, als er erschrocken zur Seite blickte. Dort stand ein Reiter. Ein junger Mann, etwa in seinem Alter. Auf dem Kopf trug er einen grünen Hut mit breiter Krempe. Er hatte braunes, mittellanges Haar, das nach hinten zu einem Zopf zusammengebunden war. Sein ovales Gesicht zierte ein Backenbart. Funkelnde blaue Augen beobachteten Foch ganz genau. Er trug eine schwarze Jacke und blaue, mit Leder aufgeschlagene Pantalons, die in braunen Lederstiefeln steckten. Hoch aufgerichtet saß er auf einem Rappen mit weißer Blesse. Eine ganze Weile standen sich Foch und Bückler so gegenüber.

Erst dann brach der Schinderhannes das Schweigen: »Was sucht Ihr auf dem nassen Waldboden, Soldat? Etwa Pilze?«

Foch fiel die heisere Stimme seines Gegenübers auf und auch der Sarkasmus, welcher in dessen Worten lag, blieb ihm nicht verborgen. Aber dann erhellten sich plötzlich Fochs Gedanken, als er begriff, dass dieser Reiter die Rettung für ihn bedeuten konnte. Dort vor ihm war ein Pferd und die so dringend benötigte zivile Kleidung. Er schätzte schnell die Größe des Reiters ab und kam zu Schluss, dass sie seiner in etwa entsprach. Jetzt hieß es geschickt vorzugehen.

»Mein Pferd ist, wie Ihr seht, verendet«, entgegnete Foch verbindlich und wies hinüber zu dem Kadaver. Er setzte eine traurige Mine auf um damit seine wahren Absichten zu kaschieren. Er bemerkte die Überraschung im Gesicht des Reiters, der wohl von einem französischen Soldaten keine in einem perfekten Deutsch gehaltene Antwort erwartet hatte.

Bückler drückte die Fersen in die Flanken seines Pferdes und ritt um den Kadaver herum, um ihn genauer in Augenschein zu nehmen. Danach richtete er seinen Blick wieder auf Foch. »Wie ist Euer Name, Soldat?«

»Henri Colbert«, log Foch ihn an.

»Was macht Ihr hier allein im Wald?«

Foch gefiel die Neugier des Reiters in keiner Weise. Er wusste immer noch nicht was er von diesem halten sollte.

»Ich wurde von meiner Einheit getrennt und irre seit vergangener Nacht durch diesen Wald. Könnt Ihr mir sagen wo ich mich befinde?« Foch beobachtete den Reiter ganz genau, doch in dessen Gesicht regte sich keine Miene. Es war schwer einzuschätzen, ob der Reiter den Ausführungen Fochs Glauben schenkte.

Bückler ignorierte die Frage Fochs und schlug einen schärferen Ton an. »Was ist in den Taschen?«

Foch setzte ein verlegenes Grinsen auf. »Nur Proviant!«

»Ihr tragt schwer an Eurem Proviant, Herr Colbert. Was habt Ihr denn darin? Ein Zentner Schweinshaxen?«

Der Reiter musste beobachtet haben, mit welcher Anstrengung er die Tasche unter dem Pferd hervorgezogen hatte. Fochs Herz begann schneller zu schlagen. Er fühlte wie Panik ihn zu übermannen drohte. »Seht doch selbst nach!«, forderte er den jungen Mann auf, in der Hoffnung ihn am Boden überwältigen zu können. Zu Fochs Unmut machte der Reiter keine Anstalten vom Pferd herabzusteigen.

 

»Euer Ton gefällt mir nicht, Soldat, ganz und gar nicht. Habt Ihr überhaupt einen Passierschein?«

Foch spürte, dass die Situation immer bedrohlicher wurde. Hielt er diesen Reiter vor wenigen Minuten noch für einen arglosen Reisenden, so war er sich jetzt nicht mehr so sicher. In seiner Not fiel ihm nichts besseres ein als zu fragen: »Von wem soll denn dieser Passierschein ausgestellt sein?«

Der Reiter verfiel in ein schallendes Gelächter, bevor er Foch antwortete. »Ich bin überrascht dass Ihr fragt, angesichts des Ortes an dem Ihr Euch befindet?«

Foch sah sich irritiert um.

»Ihr seit im Soonwald und hier stellt die Passierscheine Johannes durch den Wald aus.«

Fochs Knie wurden weich. Jetzt war er sich im Klaren mit wem er es zu tun hatte. Er war hier nicht auf einen kleinen Wegelagerer gestoßen, sondern auf den Räuberhauptmann Johannes Bückler, den alle nur den Schinderhannes nannten. Jeder französische Soldat kannte diesen Namen und seinen Steckbrief. Mit Johannes durch den Wald unterzeichnete der Schinderhannes für gewöhnlich seine Erpresserbriefe und Passierscheine. Foch wurde sich bewusst, dass sein Leben an einem seidenen Faden hing. Dieser Räuber würde ihn unter keinen Umständen laufen lassen und das hieß für Foch, er musste diesen Mann überwältigen.

»Also, Soldat, was ist in den Taschen?« In Bücklers Stimme lag Nachdruck.

Fochs Gehirn arbeitete auf Hochtouren. Wenn er den Inhalt der Taschen zeigte, würde Bückler ihn auf der Stelle töten und das Gold an sich nehmen. Besser war es, wenn Foch den Überraschungsmoment auf seiner Seite hatte. Ohne weiter darüber nachzudenken, sprang er nach vorn und versuchte an Bückler heranzukommen, um ihn vom Pferd zu ziehen. Der Rappe scheute leicht und eh sich Foch versah spürte er Bücklers Fußtritt in seinem Gesicht. Von der Wucht nach hinten gestoßen schlug er hart auf dem Waldboden, in der Nähe des Berghangs, auf. Blut spritze aus seiner gebrochenen Nase und er drückte instinktiv seine Hand auf sie.

Er sah hinauf zum Schinderhannes. Nur verschwommen nahm er diesen war. Als sein Blick wieder klarer wurde, sah er dass dieser eine Pistole in der Hand hielt, die er vermutlich unter seiner Jacke versteckt hatte. Foch erkannte deutlich den Hass im Gesicht des Räubers. Langsam rappelte er sich wieder hoch und hielt sich immer noch die schmerzende Nase. Sein Überlebenstrieb veranlasste ihn dazu durch einen schnellen Sprung zur Seite Bücklers Schussbahn zu entkommen, mit dem Versuch am Berghang zwischen den Bäumen Deckung zu finden. Foch hörte den Schuss krachen während er den Berghang hinunter rannte. Er spürte wie die Kugel ihn traf, stolperte und rollte noch einige Meter den Berghang hinab, bevor er mit dem Kopf an einen Stein schlug und regungslos liegen blieb.

Bückler drehte sein Pferd so, dass er eine gute Sicht auf den zwanzig Meter entfernt im Hang liegenden Soldaten hatte. Eine ganze Weile beobachtete er ihn von oben, achtete darauf, ob dieser irgendeine Regung zeigte. Erst als das nicht der Fall war und er ihn für tot hielt, steckte er die Pistole weg und wandte sich den Satteltaschen zu. Da Colbert, oder wie der Soldat auch immer geheißen hatte, die Taschen so vehement verteidigt hatte, war Bückler überzeugt auf etwas Kostbares zu stoßen. Dieser Narr, dachte er. Hätte er ihm die Taschen überlassen, hätte er dessen Leben vielleicht verschont. Bückler merkte dass es nicht leicht war auf dem Pfad der Tugend zu wandeln. Es hatte nicht allzu lange gedauert, bis er seinem Vorsatz ein neues Leben zu beginnen untreu geworden war. Aber es war auch zu verlockend gewesen einem allein umherziehenden französischen Soldaten das Fürchten zu lehren.

Als er eine der Taschen öffnete und dann die Dukaten zum Vorschein kamen, zitterten vor Aufregung seine Hände. Soviel Gold hatte er noch nie auf einem Haufen gesehen. Diese Dukaten würden ihm ein sorgloses Leben bereiten können, wie geschaffen für den Neuanfang, den er sich vorgenommen hatte.

Aber dann fragte er sich wo dieses Gold wohl herstammen möge. Dass es nicht dem Soldaten gehörte, war klar. Dieser schien es gestohlen zu haben. Aber von wem? Die hohe Summe um die es sich hier drehte ließ einen einfachen Diebstahl nicht wahrscheinlich sein. Da der Dieb Soldat war, sprach vieles dafür, dass das Gold auch aus Militär- oder aber Regierungsbeständen stammte. Dem Schinderhannes gefiel dieser Umstand ganz und gar nicht. Denn er konnte sich lebhaft vorstellen, dass eine ganze Kompanie in Aufruhr war, um das gestohlene Gold wiederzubeschaffen und den dreisten Dieb zur Strecke zu bringen. Bückler wusste um die heißen Kohlen auf denen er da saß. Es war sehr gefährlich mit diesem Gold unterwegs zu sein. Er würde es verstecken müssen, bis Gras über die Sache gewachsen war. Vielleicht ein paar Monate, vielleicht auch ein paar Jahre. Wichtig war nur, dass er mit diesem Gold nicht in Verbindung gebracht wurde. Er könnte, wie geplant als fahrender Händler Jakob Ofenloch im Taunus leben. Wenn die Zeit reif war, könnte er den Rhein wieder überschreiten und die Beute an sich bringen. Dieses Gold würde für ihn und seine Frau Julia reichen und sogar für ihr noch ungeborenes zweites Kind. Schmerzlich dachte er zurück an seine Erstgeborene, die bereits kurz nach der Geburt vor einem Jahr gestorben war. Dieses mal sollte alles gut gehen. Er freute sich schon jetzt auf das Lachen seines Kindes und wollte ihm ein unbeschwertes Leben bereiten. Das Kind sollte nicht unter solch schwierigen Bedingungen aufwachsen müssen wie er. Nein, dass wollte er ihm ersparen. Und da reifte in Johannes Bückler ein Plan, der seinen Nachkommen mitbedachte, wenn es denn das Schicksal wollte und er als Vater nicht mehr für ihn da sein konnte.

Er wusste, dass das was er vorhatte, einige Wochen in Anspruch nehmen würde und sich seine Flucht somit verzögerte. Aber in diesem Augenblick sah er ganz deutlich eine Zukunft vor sich die ihm gefiel und im hier und jetzt wollte er diese begründen. Zuerst musste er das Gold verstecken. Er durfte keine Zeit verlieren.

Bückler wuchtete die schweren Satteltaschen auf sein Pferd, stieg auf und ritt los. Er warf noch einmal einen Blick hinunter zu dem im Hang liegenden Soldaten. Dann verschwand er auf geheimem Pfad zwischen den unzähligen Bäumen des Soonwaldes.

Die Sonne hatte den Zenit bereits überschritten. Fliegen und andere Insekten machten sich mittlerweile über den Pferdekadaver her und es würde nur noch eine Frage der Zeit sein, bis größere Tiere sich seiner annahmen.

Ein leichte Brise war aufgekommen und entlockte Millionen von Blättern ein sattes Rauschen. Foch lag immer noch am Berghang zwischen den Bäumen. Aber er war nicht tot, wie Bückler vermutet hatte, sondern durch den Aufschlag auf den Stein bewusstlos.

Erst jetzt kam er langsam wieder zu sich. Ein leises Stöhnen entfuhr ihm. Vorsichtig bewegte er den Kopf. Foch verspürte solche Kopfschmerzen, dass er glaubte, sein Schädel müsste zerbersten. Er setzte sich langsam auf und hielt sich den pochenden Schädel. Erst als er sich so eine Weile erholt hatte, konnte er sich wieder auf die Geschehnisse konzentrieren. Anhand des Sonnenstandes erkannte er, dass seit der Konfrontation mit Bückler einige Zeit verstrichen sein musste. Er hatte unheimliches Glück gehabt. Auch wenn ihn sämtliche Knochen schmerzten, so hatte er sich bei dem Sturz doch nichts gebrochen. Noch mehr Glück hatte er, dass ihn Bücklers Kugel nur gestreift hatte. Er zog Jacke und Hemd aus und begutachtete seine linke Schulter. Direkt unterhalb seiner Tätowierung hatte die Kugel einen Fetzen Fleisch fortgerissen. Aber wichtige Strukturen schienen unverletzt, denn er konnte den Arm bewegen. Dennoch brannte es, als ob man ihm heißes Öl über den Arm geschüttet hätte. Mit schmerzverzerrtem Gesicht riss er einen Streifen seines Hemdes ab und verband die Wunde. Er würde sie später, sobald er Wasser fand, reinigen müssen. Dann stemmte sich Foch in die Höhe und kletterte den Hang nach oben. Als er sich wieder auf der Anhöhe befand schweifte sein Blick in die Ferne. Seine Gedanken waren beim Schinderhannes und dem Gold. Bei seinem Gold. Und er hatte nicht vor, dieses aufzugeben. Er würde Bückler finden und es ihm wieder abjagen, dass schwor er sich. So leicht gab Frederic Foch nicht auf.

Mainz 1803

Mainz, von den Franzosen Mayence genannt, war die Hauptstadt des Départements du Mont-Tonnerre, verwaltet unter dem damaligen Präfekten Jeanbon St. André. Die Stadt war im 17. Jahrhundert mehr und mehr zu einer Festung umgebaut worden. Relikte einer stürmischen Zeit, die teilweise bis heute erhalten geblieben sind. Eine Stadtmauer mit 22 Pforten, Toren und Türmen umrahmte zur Zeit der französischen Besatzung die Stadt. Davon wiesen Fünf zur Landseite und 17 zur Rheinseite, was davon zeugte wie wichtig der Fluss für die Bevölkerung und den Handel war. Unter anderem stand dort, nördlich der Zollpforte, direkt am Rheinufer gelegen, der sogenannte Holzturm, der bereits im 14. Jahrhundert erbaut worden war. Er erhielt seinen Namen, weil er unweit des Stapelplatzes für Holz errichtet worden war, welches damals per Schiff den Rhein hinab transportiert wurde.Zur Zeit der französischen Besatzung wurde der Holzturm als Gefängnis benutzt.

Johannes Bückler hockte auf der mit Stroh bedeckten hölzernen Pritsche und sah auf die Ketten, mit denen er an die Gefängnismauer des Holzturmes geschmiedet war. Er wirkte sichtlich erschöpft. Nicht nur aufgrund des harten Nachtlagers und des Eisenbeschlages, der ihm die Haut aufscheuerte, sondern auch wegen des langen Verhörs, dass sich von Juni 1802 bis in den März 1803 hingezogen hatte. In 54 Einzelsitzungen hatte er Rechenschaft ablegen müssen über seine Taten. Jegliche Kleinigkeit wollte Untersuchungsrichter Wilhelm Wernher und der Kommis-Greffiers Brellinger wissen, aber nach Golddukaten fragte ihn niemand. Und jetzt wartete der Schinderhannes auf seinen Prozess. Durch das freiwillige Geständnis seiner Verbrechen hoffte er auf eine mildere Strafe, nichtsahnend, dass auch auf Einbruch und Raub bei den Franzosen die Todesstrafe stand. Erst vor wenigen Wochen hatte er davon erfahren, dass die Wahrscheinlichkeit, zum Tode verurteilt zu werden, sehr groß war.

Bückler stemmte sich hoch und ging zum vergitterten Fenster, begleitet vom Rasseln der Ketten. Er sah nach draußen zum Rhein auf dem Kähne ihre Fracht beförderten. Und schmerzlich stellte er fest, dass er sich auf der falschen Rheinseite befand. Wie geplant hatte er im Mai letzten Jahres das linksrheinische Gebiet verlassen und war so dem Zugriff der französischen Behörden entgangen. Er gab sich als fahrender Händler aus und durchstreifte so Taunus, Westerwald und Lahntal. Als er dann von einer kurtrierischen Patrouille verhaftet wurde, weil er sich nicht ausweisen konnte, ließ er sich, um der Untersuchungshaft zu entgehen, bei der deutsch kaiserlichen Armee unter falschem Namen als Soldat anwerben. Hier wurde er jedoch von einem früheren Spießgesellen erkannt und verraten. Wiederum verhaftet überführte man ihn nach Frankfurt zum Verhör. Der Schinderhannes bat darum nicht den Franzosen ausgeliefert zu werden. Aber die kaiserliche Militär-Direktion und die Reichsstadt Frankfurt übergaben Johannes Bückler am 16. Juni 1802 dennoch den Franzosen.

Er war nicht der einzige Angeklagte. 67 weitere potentielle Diebe, Räuber und Mörder waren vorgeladen. Darunter auch seine Frau Julia, die er liebevoll Julchen nannte. Sie war ebenfalls im Holzturm inhaftiert und hatte dort am 1. Oktober 1802 des Schinderhannes’ Sohn, Franz-Wilhelm, zur Welt gebracht. Trotz der Gefängnismauern um ihn herum war es der glücklichste Tag im Leben des Johannes Bückler. Ab und an durften das Julchen und sein Sohn ihn unter Aufsicht besuchen und dann wurde dieser hartgesottene Räuber, der vor keiner Gräueltat zurückschreckte, lammfromm.

Wehmütig dachte er an seine kleine Familie, als er so am Fenster stand. Tränen stiegen ihm in die Augen und ließen den Rhein und die Kähne auf ihm verschwimmen. Er wandte sich ab und ging zurück zu seinem Lager. Eine abgegriffene Bibel lag dort und er strich mit Bedacht über den verschlissenen Einband. Er erinnerte sich zurück an den sonnigen Morgen im Soonwald, an dem er sich geschworen hatte, einen neuen Weg einzuschlagen. Eine bessere Zukunft für sich und seine Familie herzurichten. Er hatte alle Vorkehrungen dafür getroffen. Das Gold lag bereit. Nun galt es, sein Wissen, sein Erbe an seine Familie weiterzugeben.

Um die Bibel hatte er den Gefängniskaplan gebeten, der sich den Häftlingen annahm. Bückler benötigte sie nicht, weil er tief gläubig gewesen wäre, obwohl er dies dem Kaplan vorgaukelte. Nein, er brauchte sie für andere Zwecke. Sie sollte ihm als Sprachrohr dienen.

 

Während des Verhörs, als sich der Richter und der Kommis-Greffiers unterhielten, war es ihm bereits gelungen einen Crayon - einen Schreibstift - an sich zu bringen. So war er jetzt in der Lage seinem Sohn eine versteckte Botschaft zu hinterlassen. Er würde sie mit Vorsicht verfassen müssen.

Bückler legte sich auf die harte Pritsche und starrte zur Decke. In seinem Kopf formulierte er die Sätze, nachdem er mit dem Text zufrieden war, setzte er sich auf, zückte den Crayon und begann die Botschaft zu verfassen.

Am nächsten Morgen wurde er durch das Zurückschieben der Zellentürriegel aus seinem Schlaf gerissen. Geschäftig wirkend trat der Wächter ein, gefolgt vom Kommis-Greffiers Brellinger. Bückler, der sich langsam von der Pritsche erhob, zeigte sich erstaunt über solch hohen Besuch. Brellinger verzichtete auf irgendwelche Begrüßungsformeln und kam gleich zur Sache: »Citoyen Jean Buckler vernehmt hiermit, dass Euer Prozess morgen früh beginnen wird.«

Der Schinderhannes machte einen gefassten Eindruck.

»Man wird Euch morgen früh zum Gerichtsgebäude bringen«, fuhr Brellinger fort. »Dort werdet Ihr Euch für Eure Schandtaten verantworten! Der Kontakt zu Eurer Frau und Eurem Sohn, bleibt von nun an versagt!«

Bückler spürte einen Stich in seinen Eingeweiden, als hätte ihm jemand einen Dolch in sie gerammt. Seine Knie wurden weich, sein Herz raste. Verzweifelt ging er einen Schritt auf Brellinger zu, der sich irritiert umsah. Die Wache stellte sich Bückler umgehend in den Weg.

»Kommis-Greffiers, dies ist die schlimmste Strafe, die ich erhalten kann. Noch schlimmer als der Tod. So bitt ich Euch nur um eines. Lasst mich zumindest Abschied nehmen. Von meiner geliebten Frau und meinem Sohn.«

Brellinger, ein kleiner, graubärtiger Mann, der selbst vier Kinder hatte, wusste sehr wohl um die Härte dieser Anordnung. Aber er hatte keinen Einfluss darauf. Richter Wernher hatte dies persönlich angeordnet. Andererseits konnte Bückler Frau und Kind heute ja schon gesehen haben, dachte Brellinger. Aber die Wachen wüssten um die Wahrheit. Der Kommis-Greffiers schätze ab in wie weit ein heutiger Kontakt zwischen Bückler und seiner Frau für ihn Nachteile haben könnte. Er kam zum Schluss, dass es für ihn zu gefährlich war hier selbstständig, ohne Befugnis einen weiteren Kontakt zu erlauben.

»Es steht nicht in meiner Macht, Citoyen Buckler.«

»In wessen dann, Kommis-Greffiers?« Verzweiflung sprach aus Bücklers Stimme.

»Nur der Richter selbst kann Eurer Bitte entsprechen,« Brellinger stockte für einen Augenblick, »oder es lassen.«

»Nun, dann fleh ich Euch an, Kommis-Greffiers, tragt meine Bitte dem Richter vor.«

Brellinger dachte eine Augenblick darüber nach. Was würde schon dagegen sprechen wenn er dem Richter Bücklers Bittgesuch unterbreitete? »Nun gut, ich werde sehen was ich tun kann.« Dann verließ Brellinger und die Wache die Gefängniszelle, die Tür wurde zugeschlagen und die Riegel wieder vorgeschoben.

Der Schinderhannes war wieder allein, stand in der Mitte seiner Zelle und sah sich dem Wohlwollen eines Mannes ausgesetzt, der ihn ganz sicher auf dem Schafott sehen wollte.

Den ganzen Morgen und den frühen Nachmittag, zermarterte sich Bückler den Kopf, ob er denn seine Frau und sein Kind noch einmal vor dem Prozess sehen würde. Nicht nur der Zuneigung wegen, die er für beide empfand, sondern auch wegen seinem Erbe. Denn er wusste nicht, ob nach dem Prozess sich eine Gelegenheit ergeben würde, um seine Informationen Julchen zukommen zu lassen. So waren Julias momentane Besuche die ideale Möglichkeit um Informationen weiterzugeben. Und nun, so kurz vorm Ziel, sah sich Bückler seiner Möglichkeit beraubt. Er stand vor dem Zellenfenster und sah hinaus auf den trüben Oktobertag. Graue Wolken zogen am Himmel entlang und ließen einen leichten Nieselregen zu Boden fallen. Trübe Aussichten, dachte er, dort draußen wie hier drinnen.

Dann plötzlich wurden die Riegel der Zellentür zurückgeschoben und die Wache trat ein.

»Ihr habt zehn Minuten.«

Julchen und sein Sohn Franz-Wilhelm traten ein.

Erleichtert sah er zu den beiden, ging auf sie zu und nahm sie in die Arme. Tränen stiegen in ihm hoch, als er sie an sich drückte. »Ich freue mich, euch beide zu sehen. Ich dacht schon, es bliebe mir verwehrt.«

Julchen löste sich aus der Umarmung und gab Franz-Wilhelm seinem Vater, der ihn auf den Arm nahm. Dann setzten sie sich auf Bücklers Pritsche, genau beobachtet von der Wache.

»Der Kommis-Greffiers, teilte mir mit, dass ich dich während des Prozesses nicht sehen dürfe. Heute wäre auf Richters Gnaden hin, die letzte Gelegenheit.« Verstohlen sah sie hinüber zur Wache, die aufmerksam das Gespräch verfolgte.

Dann hat der Herr Brellinger Wort gehalten und beim Richter diesen Besuch noch erwirkt, dachte Bückler. Er strich seinem Sohn durchs Haar, der ungeachtet dessen das Gesicht seines Vater abtastete. Augen, Nase, Mund. Bückler begann zu lächeln. »Ganz schön vorwitzig, mein Kleiner.«

»Sollen wir deinem Vater einmal zeigen, was du gelernt hast?«, schaltete sich Julchen ein. Sie nahm Franz-Wilhelm, ging mit ihm ans andere Ende der Zelle und stellte ihn auf den Boden. »Na, Franz dann geh zu deinem Papa.« Der Junge begann sich in Bewegung zu setzen. Noch waren seine Schritte ungelenk und es fiel ihm schwer Balance zu halten, aber er schaffte es ohne Fallen, den Weg bis in die ausgebreiteten Arme seines Vaters zurückzulegen. In Bücklers Gesicht lag große Freude. Stolz drückte er Franz-Wilhelm an sich, dann wandte er sich wieder an Julchen. »Komm Frau setz dich zu mir. Ich habe euch beiden etwas zu sagen.«

Julchen nahm wieder neben ihrem Mann platz und dieser ergriff ihre Hand. Aus den Augenwinkeln heraus beobachtete er den Wächter. Dieser ließ die drei nicht aus den Augen. Wie schon bei den Besuchen zuvor, achtete er ganz genau auf das was sie taten und noch mehr auf das was sie sprachen. Es stand außer Frage, dass der Wächter Anweisung hatte, jegliche verdächtige Unterredung zu melden. Und plötzlich kam es Bückler in den Sinn, dass dieses Besuchsverbot, bewusst so kurzfristig anberaumt worden war. Vielleicht sollte es dazu dienen ihn unter Druck zu setzen, um so eventuell noch etwas zu erfahren. Umso wichtiger war es jetzt auf der Hut zu sein mit dem was er sagte. »Ich wäre so gerne die ganze Zeit bei euch, aber wie es scheint, bleibt mir dies verwehrt.«

Julchen drückte seine Hand. »Es werden bessere Zeiten kommen, ganz bestimmt. Auch die Jahre im Gefängnis werden wir überstehen.«

Der Schinderhannes wirkte nachdenklich, sein Blick ging in die Leere des Raums. »Ich glaube nicht, dass ich eine Gefängnisstrafe erhalte.«

Seine Frau sah ihn entsetzt an. »Was soll das heißen, Johannes?«

Bückler blickte ihr in die Augen. »Ich glaube nicht, dass mir ein Leben mit euch vergönnt ist. Hier in dieser Stadt wird es enden.«

Julchen griff sich mit der freien Hand an die Brust. Tränen schossen ihr in die Augen. »Wie kannst Du so etwas nur sagen«, schluchzte sie hervor.

»Sehen wir der Wahrheit ins Gesicht.« Bückler strich seiner Frau durchs Haar.