Bücklers Vermächtnis

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Bücklers Vermächtnis
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Johannes Michels

Bücklers Vermächtnis

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Prolog

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

14

15

16

17

18

19

20

21

22

23

24

Epilog

Impressum neobooks

Prolog

Ich weiß, daß ich unendlich viele, mehr oder weniger strafbare Verbrechen begangen habe: Nur meine äusserste Jugend, ein Zusammentreffen unglüklicher Umstände, die Unmöglichkeit, in welcher ich mich befunden habe, eine andere Lebensart wieder zu beginnen, meine lebhaft Reue und mein Benehmen als Räuber selbsten, endlich die offenherzige Angabe meiner Verbrechen und meiner Mitschuldigen, können meine Hoffnung auf die Gnade der Regierung aufrecht erhalten.

...

In dem aufrichtigen Geständniß meiner Verbrechen ersah ich das einzige Mittel, selbige in soweit es von mir abhieng, auszusöhnen, und die Uebel, welche ich der Gesellschaft zugefügt habe, zu verbessern; ich überlasse denjenigen, die mich urtheilen werden, zu erwägen, ob ich diese Verbindlichkeit, welche ich mir aufgelegt, erfüllt habe; und welches auch mein Schiksal seyn mag, ich werde mich ihm mit Standhaftigkeit unterziehen; nur zu unglüklich, wenn es mir nicht mehr erlaubt ist, der Gesellschaft durch rechtschaffende Handlungen Unterpfänder der Aufrichtigkeit meiner Reue geben zu können.

Johannes Bückler, genannt Schinderhannes

Mainz, 18. März 1803

Soonwald 1802

Frederic Foch hieb seine Fersen in die Flanken des Pferdes. Das Pferd war sichtlich erschöpft, aber er duldete dem Tier und sich keine Pause. Schwer schnaubend nahm der Hengst den Hang. Sein Fell glänzte vor Schweiß.

Als sie oben angekommen waren, straffte Foch die Zügel um das Pferd kurz anzuhalten. Er musste sich neu orientieren, denn dieser Wald, mit seinem undurchdringlichen Blätterwerk, ließ nur selten eine freie Sicht zu. Der Pfad auf dem er sich befand wand sich wie eine Schlange zwischen den Bäumen und dem Unterholz hindurch. Das ließ ihn nur mühsam voran kommen. Aber er wollte nicht die bequemere Hauptpassage durch diesen Wald wählen. Das wäre zu gefährlich.

Foch blickte in die Ferne. Er sah der untergehenden Sonne entgegen. In diese Richtung musste er reiten. Gen Westen. Nur weit weg vom Rhein und seinen Verfolgern.

So richtig konnte er noch gar nicht begreifen was geschehen war. Es war eine unüberlegte Handlung gewesen. Seine Gier hatte ihn in diese bedrohliche Lage gebracht und nun gab es keinen Weg zurück, wenn er denn nicht ins Zuchthaus, oder noch schlimmer, auf dem Schafott enden wollte.

Die Misere hatte schon begonnen als man ihn vor zwei Jahren in Nancy als Soldat in die französischen Armee rekrutierte.

Foch war ein einfacher junger Mann, geboren 1782 in einem Hinterhof in Nancy. Aufgezogen wurde er von seiner deutschen Mutter, die sich über Wasser hielt, in dem sie sich an Freier verkaufte. Der französische Vater war schon früh an Schwindsucht gestorben. Als Kind ging Foch betteln und stehlen um zu überleben. Später dann nahm er Gelegenheitsarbeiten an, wurde ein Tagelöhner, der das hart verdiente Geld abends in eine Schenke brachte und mit seinen Kumpanen vertrank. In ihrem Suff kamen sie auf manch dumme Gedanken und so ließen sie sich eines Abends, von jemandem der des Lesens und Schreibens mächtig war, ihre Namen auf die Schultern tätowieren. Ein anderes mal sprangen sie nackt, alkoholisiert und übermütig in die Meurthe. Oder sie lungerten in den schmalen Gassen Nancys herum und pöbelten die Leute an. Irgendwann zu dieser Zeit kam dann der Einberufungsbefehl. Levée en masse sei Dank. Foch hätte gut und gerne darauf verzichten können. Aber durch das 1798 in Kraft getretene Jourdan-Gesetz mussten sich alle unverheirateten Männer zwischen 18 und 25 Jahren registrieren lassen. Weiteres Kanonenfutter für weitere Kriege.

Foch hielt nichts von der Politik des Ersten Konsuls Napoleon Bonaparte. Für ihn war dieser nicht besser, als König Ludwig XVI. Ihm waren die Machtspielereien des kleinen Korsen zuwider. Viel wichtiger war Frederic Foch, dass er was zu beißen hatte. Und so zeigte sich die Armee anfänglich noch als Glücksgriff, denn hier gab es eine warme Mahlzeit pro Tag. Seine Dienste wurden geschätzt, da er zweisprachig aufgewachsen war und man ihn als Übersetzter in den annektierten Gebieten des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation einsetzen konnte. Sogar Sold fiel für ihn ab, auch wenn dieser mehr als dürftig war.

Aber die Kehrseite der Medaille zeigte sich sehr schnell. In der Schlacht bei Hohenlinden am 03. Dezember 1800 kam Foch zum ersten mal mit dem Feind in Berührung. Die französischen Truppen der Rheinarmee, einhunderttausend Soldaten an der Zahl, kämpften hier unter Befehl des General Jean-Victor Moreau, gegen die Alliierten aus Bayern und Österreich.

Nach diesem brutalen Gemetzel wachte Foch in der Nacht regelmäßig schweißgebadet auf, weil die Fratze des Krieges ihn in seinen Träumen verfolgte. Fallende Soldaten mit fehlenden Gliedmaßen, abgerissen von den Kanonenkugeln der feindlichen Truppen. Begleitet vom unheimlichen Rhythmus der Trommeln, der zum Angriff rief, vermischt mit dem Knallen der Mörser und Flinten und den Schreien der Verwundeten. Dazu kam der Pulvergestank, der einem fast den Atem raubte und unaufhörlich in den Augen brannte. Und er, Foch, mittendrin. Im Chaos gefangen, an seinem jämmerlichen Leben hängend. Besudelt mit Matsch, Blut und Urin. Er konnte von Glück reden, dass er diese Schlacht überlebt hatte. Tausende seiner Kameraden hatten dieses Glück nicht.

Nach dem Frieden von Lunéville am 09. Februar 1801 wurde Foch in der Departement-Hauptstadt Koblenz stationiert. Hier ging es etwas ruhiger zu.

Frankreich hatte seine Ostgrenze bis zum Rhein hin erweitert, was durch den Frieden von Lunéville anerkannt wurde. Die wichtigste Wasserstraße Mitteleuropas stellte jetzt die unmittelbare Grenze dar zwischen Frankreich und den jeweiligen Fürstentümern Deutschlands. Nun saßen sich die ehemaligen Feinde direkt gegenüber und beobachteten misstrauisch das Verhalten ihres verhassten Nachbarn.

Foch war froh, dass die Waffen endlich schwiegen. Zu sehr hing er an seinem Leben, als es aus Patriotismus herzugeben, von dem letztendlich er persönlich nichts hatte. Aber nicht nur der offene Kampf barg Gefahren in sich. Auch die Besatzung hielt Überraschungen bereit, die für Leib und Leben gefährlich werden konnten.

Über ein Jahr verbrachte er schon in der achttausend Einwohner zählenden Stadt. Morgens ging es zum Appell, danach zum Drill, oder zum Wachdienst. Seine freien Tage verbrachte er gerne in Tavernen, frönte dem Alkohol und dem Weibe.

An einem verregneten Apriltag im Jahre 1802, sollte sich sein Soldatenleben grundsätzlich verändern.

Foch war seit zwei Wochen einer Einheit zugeteilt, die sich 20 km vor den Toren Koblenz in einem Feldlager befand. Er war gerade dabei Latrinen vor dem Lager auszuheben, als er einen Trupp französischer Soldaten aufs Lager zureiten sah. Schon länger gingen Gerüchte im Lager umher, dass eine Abteilung direkt aus Paris auf dem Wege nach Koblenz sei. Mit Befehlen von Napoleon selbst für den Koblenzer Präfekten Adrien de Lezay-Marnesia. Normalerweise scherten Foch die Belange der Großen wenig. Er konzentrierte sich mehr auf sich selbst, aufs eigene Überleben. Aber hier und jetzt wo er mit einer Schaufel bewaffnet in einem Graben stand und der Regen ihn schon komplett durchnässt hatte, entstand eine seltsame Neugier in ihm als er die Abteilung Soldaten sah. War es der Instinkt vergangener Jahre, der ihn wachrüttelte, wenn es darum ging als Kind fette Beute zu machen, um zu überleben? Oder war es einfach die groteske Situation die dort vor ihm ablief?

 

Der Trupp bestand aus 20 Soldaten zu Pferd, die eine Kutsche flankierten und somit zum Mittelpunkt der Gruppe machten. Auf dem Bock saß ein junger Soldat niederen Ranges, der sichtlich erschöpft die Zügel hielt. Die Fenster der Kutsche waren durch Vorhänge zugezogen, so dass man keinen Einblick ins Innere hatte. Hinter der Kutsche befand sich ein Chef d’Escadron der sichtlich angespannt wirkte.

Foch kam es vor als ob dieser unmittelbar mit einem Angriff rechnete. Dennoch schien der Offizier sich immer mehr zu entspannen, je näher er dem Lager kam. Als der Trupp unmittelbar an Foch vorbeizog wurde der Vorhang des Kutschenfensters beiseite geschoben und ein Kopf lugte nach draußen, um wohl nachzusehen, ob man bald am Ziel sei. Foch fiel auf, dass es sich auch hier um einen jungen Soldaten handelte. Als der Chef d’Escadron den neugierigen Soldaten erblickte, wies er diesen durch ein schroffes Kommando an, den Kopf wieder einzuziehen und den Vorhang zu schließen. Foch sah deutlich die Nervosität im Gesicht des Chef d’Escadron. Dies war keine normale Depesche für den Präfekten. Das stand fest. Unter einem Vorwand meldete sich Foch bei seinem Korporal ab und folgte dem Trupp ins Lager, um zu sehen was geschehen würde.

Der Chef d’Escadron ließ direkt vor dem Zelt des Lagerkommandanten halten. Dann gab er weitere Befehle an seine Soldaten, die daraufhin absaßen und die Pferde versorgten. Auch die Kutsche wurde zu den Pferdeplätzen gebracht.

Der Chef d’Escadron saß ebenfalls ab, nahm seine zwei Satteltaschen vom Pferd, wuchtete sich diese über die Schultern und ging zum Zelt des Lagerkommandanten. Dann meldete er den Wachen seine Ankunft, die ihn sofort zum Kommandanten vorließen.

Mittlerweile hielt die Dämmerung Einzug. Vermischt mit dunklen Wolken und starken Regen, waren die Sichtverhältnisse stark gemindert. So stapfte Foch durch den aufgeweichten Boden bis kurz vors Zelt des Lagerkommandanten. Dann schlug er einen Haken, um von den Wachen nicht bemerkt zu werden und schlich sich so an die Zeltrückwand um zu lauschen. Der prasselnde Regen, der auf die Zeltplane fiel, schien dies fast unmöglich zu machen.

Aber dennoch konnte Foch die sonore Stimme des Lagerkommandanten Lefèvre hören.

»Es tut gut dich zu sehen, mein Freund La Fayette.«

»In der Tat«, entgegnete der Chef d’Escadron.

»Hier nimm platz«, hörte Foch den Lagerkommandanten sagen.

»Möchtest du einen Schluck Cognac zum aufwärmen?«

»Hört, hört. Echten Cognac in der tiefsten Provinz?«, scherzte La Fayette.

»Das sind die kleinen Vorteile, wenn man Commandant ist.«

Foch versuchte einen Blick ins Innere zu erhaschen, indem er sich die Verbindung zweier Zeltwände mit Lederriemen zu Nutze machte und den Schlitz zwischen ihnen ein wenig weitete. Nur soviel, um nicht entdeckt zu werden. Dann sah er ins Innere.

Das Zelt war für einen Lagerkommandanten eher spartanisch eingerichtet. Die Offiziere saßen an einem kleinen Schreibtisch, flankiert von der Trikolore. Landkarten lagen zusammengerollt auf einem kleinen Regal, was in der Ecke stand. Das Nachtlager konnte Foch durch den schmalen Schlitz nicht erkennen. Er vermutete es direkt vor sich hinter der Zeltplane.

Lefèvre stellte zwei Gläser auf den Schreibtisch. Dann öffnete er die Schreibtischtür und zog eine Flasche Cognac hervor. Stolz präsentierte er seinem Freund das edle Getränk, der es wohlwollend zur Kenntnis nahm. Der Lagerkommandant füllte die Gläser.

»Es ist lange her, dass wir so zusammengesessen haben«, sagte La Fayette und griff nach seinem Glas.

»Ja, über ein Jahr. Bei den Friedensverhandlungen in Lunéville«, erinnerte sich Lefèvre. Er nahm sein Glas und stieß mit La Fayette an. Genüsslich tranken sie einen Schluck.

Foch blickte neidisch auf ihr Tun. Nur allzu gerne hätte er den Cognac gekostet.

»Was ist eigentlich aus der Kleinen geworden, die du damals kennen gelernt hat?«

»Du meinst Josefine?«

»Ich meine die dralle Blondine mit dem üppigen Dekolleté.«

»Du meinst Josefine!«, stellte La Fayette amüsiert fest.

»Ja und?«

»Ich habe sie vor einem halben Jahr geheiratet.«

Lefèvre riss überrascht die Augen auf. »Ist es denn die Möglichkeit? Der größte Bettenhüpfer von ganz Paris hat sich einfangen lassen.«

»Irgendwann holt einen die Liebe halt ein.« La Fayette lehnte sich zurück und sah versonnen auf die goldbraune Flüssigkeit in seinem Glas.

»Aber der Liebe wegen muss man nicht gleich heiraten.«

La Fayette löste den Blick vom Glas und sah zu seinem Freund. »Dieses mal ist es etwas anderes. Es ist keine Liebelei. Ich möchte mit Josefine alt werden und Kinder haben. Am besten einen ganzen Stall voll.«

»Ich erkenne meinen alten Freund nicht wieder. Er ist sittsam geworden«, sagte Lefèvre in gespielt spöttischem Ton.

La Fayette musste lächeln. »Vielleicht.«

»Na, dann wünsche ich euch eine glückliche Zukunft. Santé.« Lefèvre hob sein Glas zum Gruß und trank.

La Fayette tat es ihm gleich. Dann wurde seine Miene ernst. »Ich brauche ein Nachtlager.«

»Wir haben zwar erst in ein paar Tagen mit euch gerechnet. Aber ich werde gleich veranlassen, dass Zelte für euch aufgestellt werden.« Der Lagerkommandant rief in Richtung Zeltausgang: »Wache.«

Ein Soldat trat ein und salutierte vor den Offizieren.

»Caporal, stellt Zelte auf für den Trupp aus Paris. Und ein gesondertes Zelt für den Chef d’Escadron, mit einer Wache davor.

»Jawohl, Commandant.« Der Soldat salutierte erneut, machte eine Kehrtwendung und verließ wieder das Zelt.

»Ich danke dir, mein Freund. Es war ein anstrengender Ritt von Paris bis hier her.« La Fayette löste den obersten Knopf seiner Uniformjacke. Ihm schien warm zu sein.

»Gab es Schwierigkeiten?«, wollte Lefèvre wissen.

»Nicht mit irgendwelchem Gesindel. Aber die Straßen hier sind für eine Kutsche alles andere als gut befahrbar.«

»Trotzdem wart ihr schnell unterwegs.«

»Napoleon möchte schnellst möglich seine Befehle in die Tat umgesetzt sehen. Da soll es nicht schon beim Überbringen der Depesche zu Verzögerungen kommen.«

»Nun, morgen wirst du den Präfekten erreichen. Coblence ist nicht mehr weit.« Dann deutete Lefèvre auf die Satteltaschen, die der Chef d’Escadron neben sich abgestellt hatte. »Aber wie ich sehe ist die Depesche nicht das einzige, das der Präfekt erwartet.«

La Fayette senkte die Stimme, als er antwortete: »Du hast recht und glaube mir eines, ich bin erleichtert wenn ich diese Taschen Adrien de Lezay-Marnesia übergeben habe.«

Lefèvre nickte verstehend. Dann begann er die Stirn zu runzeln. »Glaubst du es erfüllt seinen Zweck?«

La Fayette wischte sich eine Schweißperle von der Stirn. »Wir wissen doch beide, dass dieser Frieden nicht ewig halten wird. Und dann ist es besser gewappnet zu sein, nicht wahr? Informationen sind da das Wichtigste und die sind bekanntlich käuflich.« Zur Bekräftigung seiner Worte wies der Chef d´Escadron auf die in schwarzem Leder gehaltenen Satteltaschen.

Der Lagerkommandant nickte zustimmend. Dann veränderte sich seine Miene und er sah etwas angewidert auf die Bagage herab. »Ich hasse diese Ränkespiele.«

»Ich auch, aber der Erste Konsul befiehlt und wir gehorchen.«

Plötzlich schlug Lefèvre mit der Hand auf der Tisch. »Wie sieht es aus. Hast du schon etwas gegessen?«

»Dafür war noch keine Zeit.«

»Dann lass uns nachsehen, ob unser Koch noch etwas von seinem berühmten Eintopf übrig hat.« Lefèvre war aufgesprungen und kam um den Schreibtisch herum.

Auch La Fayette stand nun auf. Allerdings wirkte er etwas skeptisch. »Was meinst du mit berühmt?«

Der Lagerkommandant begann zu lachen. »Keine Angst, der Koch hasst keine streunenden Katzen.«

Nicht wirklich überzeugt von der Äußerung seines Freundes griff La Fayette dennoch nach den Satteltaschen und schulterte sie. Dann verließen die Offiziere weiter scherzend das Zelt des Lagerkommandanten.

Auch Foch löste sich von seinem Platz an der Zeltrückwand. Er kämpfte sich durch den immer noch fallenden Regen zurück zu den Latrinen, wo mittlerweile Laternen aufgestellt waren. Er meldete sich beim Korporal zurück und nahm die Arbeit wieder auf. Aber mit seinen Gedanken war er nicht beim Graben, sondern ganz wo anders. Auch später als er auf seiner Pritsche lag, ließen ihn die Gedanken an das Geschehene nicht los.

La Fayette schien auf einer bedeutenden Mission zu sein. So viel war sicher. Aber merkwürdig war es schon. Zwanzig Mann um eine Depesche zu transportieren. Der Soldat in der Kutsche, ein Chef d’Escadron, der für diese Truppenstärke einen zu hochdekorierten Rang besaß, dann die schweren Satteltaschen, die er unentwegt mit sich herum schleppte... All das ergab keinen Sinn, dachte Foch. Es sei denn..., sein Herz begann schneller zu schlagen, verstohlen sah er sich im Mannschaftszelt um, als ob jemand seine Gedanken erraten könnte. Aber um ihn herum war es ruhig. Die Soldaten lagen alle im Schlaf und ergaben sich ihren Träumen. Ein monotones Schnarchen lag in der Luft, das von ihrem Schlaf zeugte.

Es sei denn..., man berücksichtigte die Andeutungen La Fayettes. Dann machte plötzlich alles Sinn. In den Satteltaschen befand sich Geld oder Gold. Dies würde erklären warum die Taschen so schwer waren. Und weiter würde es erklären, warum sich ein Soldat in der Kutsche befand. Es war eine Finte. Sollte, aus welchen Gründen auch immer, dieser Transport nicht geheim bleiben und überfallen werden, so würden die vermeintlichen Räuber ihren Angriff auf die Kutsche konzentrieren. Der Chef d’Escadron hätte flüchten können. Plötzlich wurde Foch auch die Bedeutung des Kavallerieoffiziers klar. Diese Männer waren ausgezeichnete Reiter, mit ihrem Pferd fast verwachsen. Dass dieser sehr gut ausgebildete Offizier einer einfachen Räuberbande, die ohnehin ihre Beute in der Kutsche vermutete, leicht entkommen konnte stand außer Frage.

Fochs Mundwinkel umstrich ein Lächeln. So musste es sein. Aber warum sollte der Präfekt Adrien de Lezay-Marnesia dieses Geld bekommen? Foch erinnerte sich zurück, was La Fayette sagte: Wir wissen doch beide, dass dieser Frieden nicht ewig halten wird. Und dann ist es besser gewappnet zu sein, nicht wahr? Informationen sind da das Wichtigste und die sind bekanntlich käuflich.

Dafür brauchte der Präfekt das Geld, um Leute zu bestechen. Menschen, die wichtige Positionen in den Fürstentümern inne hatten, wie exempli gratia die Diener des Staates. Damit Frankreich wusste wie es auf der anderen Seite des Rheins aussah. Truppenbewegungen, Truppenstärke, wirtschaftliche Lage, Stimmung des Volkes, strategisch wichtige Punkte, all diese Informationen waren von enormer Bedeutung für Frankreich. Bedeutend deshalb, um Vorkehrungen treffen zu können, falls dieser Frieden zerbröckelte.

Foch gratulierte sich selbst zu seinem Scharfsinn. Aber was konnte er mit dieser Schlussfolgerung anfangen? Welchen Nutzen konnte er daraus ziehen? Fest stand, dass es eine ganze Menge Geld sein musste was sich in den Satteltaschen befand, höchst wahrscheinlich war es sogar Gold, wenn man bedachte wie schwer La Fayette daran trug. Die Menge würde mit Sicherheit ausreichen um ihm, Frederic Foch, ein sorgloses Leben zu bereiten. Der Gedanke soviel Geld sein Eigen nennen zu können gefiel ihm. Aber wie könnte er an dieses Geld heran kommen, fragte er sich. Schon morgen war es aus seiner Reichweite. So blieb nur die Nacht zum Handeln. La Fayette hatte die Satteltaschen bestimmt mit in sein Zelt genommen. Er würde sie wie seinen Augapfel hüten, dessen war sich Foch bewusst. Es war ein heikles Unterfangen sich ins Zelt zu schleichen und die Taschen zu stehlen. Dazu kam, dass das Zelt bewacht wurde. Und selbst wenn er es schaffen sollte unbemerkt mit den Taschen das Zelt zu verlassen, wie sollte es dann weitergehen? Foch war hin und her gerissen. Die Verlockung nach Reichtum kämpfte gegen die Angst entdeckt zu werden.

Er würde sich ein Pferd nehmen und gen Westen reiten, da ihm die Überquerung des Rheins zu gewagt erschien. Da er perfekt deutsch sprach, würde er unter der Bevölkerung keinen Verdacht erregen, er könnte untertauchen und dann einen neuen, ausgereifteren Plan schmieden, um weiter den Fängen der Armee zu entgehen. Je mehr er über das weitere Vorgehen nach erfolgreichem Diebstahl nachsann, umso größer wurde die Gewissheit, dass sein Vorhaben gelingen konnte.

 

Der Regen hatte nachgelassen, als Foch sich unter der Zeltwand nach draußen rollte. Nur noch vereinzelte Wolkenfetzen zogen vom Wind getrieben am Himmel entlang und der Vollmond lugte dann und wann zwischen ihnen hervor. Im Lager war es still.

Die Zelte als Schutz benutzend, schlich sich Foch zum Zelt des Chef d´Escadron. Er wusste genau wo es stand, denn es war das einzige neu aufgestellte Zelt, vor dem ein Soldat Wache schob. Zumindest sollte er dass. Aber der Wachsoldat kauerte neben dem verschlossenen Eingang auf dem Boden und war eingenickt.

Foch war erleichtert. Das würde die Sache vereinfachen. Darauf bedacht kein Geräusch zu erzeugen, schlich er sich von hinten ans Zelt. Er spürte wie seine Knie zu zittern begannen und sein Herz wie wild in der Brust hämmerte. Es war ein großes Risiko dem er sich da aussetzte und jetzt in diesem Augenblick bestand noch die Möglichkeit umzukehren. Ein innerer Kampf entbrannte noch einmal. Feigheit gegen Mut, Anstand gegen Gier, Vernunft gegen Torheit. Doch noch ehe dieser Kampf ausgefochten war, nahm Foch sein Messer aus der Tasche und durchschnitt die Lederriemen der Zeltwand und damit auch den Widerstreit seiner Gefühle und Gedanken. Geräuschlos zwängte er sich durch die Öffnung und verharrte in der Hocke. Die Dunkelheit im Zeltinnern ließ nichts erkennen und Foch wartete eine Weile, bis seine Augen sich an die Finsternis gewöhnt hatten. Langsam zeichneten sich Silhouetten ab und er erkannte genug um sich zurecht zu finden.

Schräg vor ihm lag der Chef d’Escadron auf einer Pritsche und schlief. Foch vernahm den regelmäßigen Atem des Offiziers. Sein Blick wanderte durch das Zelt und suchte nach den Taschen. Seine Augen flogen hastig von einer Ecke in die andere, ohne dass sie fündig wurden. Doch da, endlich, unter der Pritsche zeichneten sich schemenhaft die gesuchten Satteltaschen ab. Foch stöhnte innerlich auf. Er würde die Taschen nie unter der Pritsche hervorziehen können, ohne dass La Fayette erwachte. Langsam ließ sich Foch auf alle Viere herab und kroch weiter nach vorn zur Pritsche um die Lage besser einschätzen zu können. Er spürte wie seine Hosen an den Knien von dem aufgeweichten Boden durchnässt wurden, aber das war bedeutungslos. Foch war jetzt nur noch wenige Zentimeter von dem Feldbett entfernt. Er senkte seinen Kopf und erkannte nun ganz deutlich die Satteltaschen. Seine Einschätzung von vorhin bestätigte sich. Die Chance diese dort herauszuziehen, ohne dass der Chef d´Escadron erwachte, war äußerst gering. Aber um aufzugeben war es in Fochs Augen zu spät. Er war zu nah an seinem Ziel. Foch löste die Hände vom Boden und richtete sich auf. Er befand sich nun unmittelbar vor dem schlafenden Offizier. Auch jetzt vernahm er die Stimmen in seinem Innern, der Kampf schien sich aufs Neue zu entfachen. Und abermals nahm Foch das Messer, doch diesmal waren es keine Lederriemen die er durchschneiden wollte, sondern La Fayettes Kehle. Der Offizier lag auf der Seite und hatte ihm den Rücken zugewandt. Foch ergriff das volle, dunkle Haar des Soldaten und riss dessen Kopf brutal nach hinten, so dass die Kehle ungeschützt war. Seine Hand, die das Messer hielt, schnellte nach vorn. Foch vollzog einen kräftigen, tiefen Schnitt der sich vom einen Ohr bis zum anderen erstreckte. Sofort spritzte Blut aus den durchtrennten Halsschlagadern und schoss in einer gewaltigen Fontäne an die Zeltwand. Ein Röcheln entfuhr dem Offizier und in seinem Todeskampf begann er mit den Armen um sich zu schlagen, was Foch jedoch nicht gefährdete. Der Mann aus Nancy fixierte nun mit beiden Händen den sich windenden Körper des Opfers und wartete. Das Röcheln schwang um in ein Gurgeln, bedingt dadurch, dass sich das Blut in die eröffnete Luftröhre und somit in die Lunge ergoss. Seines Blutes beraubt ließen die verzweifelten Befreiungsversuche La Fayettes immer mehr nach, bis sein Körper schließlich in sich zusammenfiel und regungslos auf dem Feldbett verharrte. Foch wartete noch einen Augenblick, dann drehte er den Offizier auf den Rücken, um sich zu vergewissern, dass dieser tot war. Der stattgefundene Todeskampf stand La Fayette noch im Gesicht geschrieben und er starrte Foch mit weit aufgerissenen Augen an, als ob er nicht glauben könne, was soeben geschehen war. Fochs Herz raste. Schweiß tropfte ihm von der Stirn. Sein Atem ging schwer. Seine Augen flogen hinüber zum Zelteingang, in der Befürchtung die Wache könnte etwas bemerkt haben. Aber es schien nicht so. Draußen war alles still. Foch wischte sich das Blut von den Händen und den Schweiß aus dem Gesicht. Dann zog er leise die Satteltaschen unter der Pritsche hervor. Er musste einige Kraft aufwenden, denn wie vermutet, hatten sie ein großes Gewicht. Er öffnete eine und griff hinein. Es befanden sich Geldsäcke in ihnen. Foch griff nach einem und riss ihn auf. Zum Vorschein kamen Dukaten. Goldmünzen mit einem immens hohen Wert. Foch unterdrückte einen Freudenschrei und beförderte Münze und Sack wieder zurück in die Tasche. Dann schleppte er die Satteltaschen durch die aufgeschnittene Zeltplane nach draußen. Im Lager war es nach wie vor ruhig. Ohne weitere Zwischenfälle schleppte er die Taschen zur Pferdekoppel, sattelte ein Pferd und führte es erst an den Zügeln weit genug vom Lager fort, bevor er aufstieg und im Schutze der Nacht verschwand.

Zwei Tage und zwei Nächte war er nun bereits auf der Flucht. Bis man die Leiche La Fayettes am nächsten Morgen entdeckt haben würde, dürften etwa sechs Stunden vergangen sein. Das war zwar kein großer Vorsprung, aber die Soldaten wussten auch nicht wo sie nach ihm suchen sollten. Seine Spuren wurden durch den kurz nach seiner Flucht einsetzenden Regen verwischt. Somit konnte Foch davon ausgehen, dass man ihm nicht direkt auf den Fersen war und er von Stunde zu Stunde seinen Vorsprung vergrößern konnte. Allerdings hatte er bei der überhasteten Planung seines Verbrechens eines übersehen und das war die Kleidung. Er trug immer noch die Uniform der Französischen Rheinarmee und damit würde er bei der hiesigen Bevölkerung Argwohn erregen. Er brauchte dringend zivile Kleidung. Aber er konnte schlecht, so wie er aussah, in einen Ort reiten und sich etwas kaufen. Dazu kam, dass er, bis auf die Golddukaten, kein Geld besaß und es war einfach unmöglich mit diesen zum jetzigen Zeitpunkt zu bezahlen, ohne Aufsehen zu erregen. Nein, es musste eine andere Lösung geben. Und jetzt wo er schon einen Raubmord begangen hatte, würde er keine Hemmung haben weiterhin Moral und Anstand beiseite zu schieben.

Er könnte in ein einsam gelegenes Gehöft einbrechen und sich dort Kleidung stehlen, oder aber einen der vielen Landstreicher überwältigen und dessen Kleider an sich bringen.

Vorerst war er hier im Soonwald sicher. Über zwanzig tausend Hektar Wald umfasste das Gebiet. Neblige Wälder die sich auf dem quarz- und schieferhaltigen Boden zwischen dem Hauptkamm des Hunsrücks und dem Nahetal befanden. Teilweise undurchdringliches Dickicht, Moor- und Sumpflandschaften. Ein ideales Gebiet um sich zu verstecken.

Foch trieb sein Pferd weiter den schmalen Pfad entlang. Immer wieder schlugen ihm tiefhängende Äste ins Gesicht und zerschnitten ihm die Haut. Die Dämmerung hatte mittlerweile eingesetzt und die Lichtverhältnisse ließen ein Weiterreiten kaum noch zu. So suchte sich Foch eine große Eiche aus unter der er schlafen konnte. Nachdem er sein Pferd festgebunden hatte, legte er sich hin, doch sein knurrender Magen ließ ihn nur unruhig schlafen. Er hatte seit zwei Tagen nichts richtiges mehr gegessen, nur das was der Wald hergab. Beeren und Wurzeln.

Im Morgengrauen saß er schon wieder auf dem Pferd und ritt weiter Richtung Westen. Sein Plan in ein einsames Gehöft einzubrechen hatte sich immer mehr gefestigt. Er würde dort nicht nur die benötigte Kleidung finden, sondern auch etwas zu essen und zu trinken. Aber dafür musste er aus diesem Wald heraus.

Foch wollte sich einen Überblick verschaffen und trieb sein Pferd einen Berghang hinauf, um sich von dort oben zu orientieren. Der Weg ging steil nach oben und das Tier kämpfte mit dem Gewicht des Reiters und des Goldes. Das letzte Stück war so steil dass Foch abstieg und den Rest zu Fuß gehen musste. Oben angelangt band er das Pferd fest und sah sich um. Unter ihm lag der Soonwald. Und in jede Richtung in die er schaute erblickte er nichts anderes als Wald. In den Tälern stieg der Nebel auf, angezogen von der Sonne und eingerahmt von weiteren, geschwungenen Gebirgszügen.

Zum ersten Mal seit seiner Flucht überkam Foch die Angst. Angst davor, hier in diesem hölzernen Labyrinth gefangen zu sein. Tage und Nächte umher zu irren und so den mühsam erkämpften Vorsprung gegenüber seinen Verfolgern wieder zu verlieren. Fochs Blick schweifte nochmals über die Baumwipfel des Waldes. Irgendwo dort unten war sein Weg. Er würde ihn finden müssen, wenn er sein Leben nicht verlieren wollte. Er drehte sich um und ging zu seinem Pferd, das sich genüsslich über die Nadeln eines Baumes hermachte. Foch spürte wie ihm siedend heiß wurde. Im ersten Augenblick blieb er wie erstarrt stehen, als könne er nicht fassen, was er da sah. Dann ergriff ihn die Panik und er rannte zu seinem Pferd und zerrte es wie von Sinnen von der Eibe fort, an der es zu fressen begonnen hatte. Foch spürte seinen Herzschlag bis hinauf zum Hals. Er öffnete dem Fuchs das Maul, griff hinein und erwischte noch ein paar zermahlene Zweige mit giftigen Eibennadeln, die er angeekelt auf den Boden warf. Er hielt das Pferd immer noch am Zügel, sah entsetzt in dessen Augen und wartete. Binnen Minuten würde sich das Schicksal seinen Pferdes und somit auch seines entscheiden. Sein Blick wanderte nochmals zur Eibe. Warum war ihm der Baum eben nicht aufgefallen, dann hätte er das Pferd nie in die Nähe dieser Pflanze gebracht. Aber jetzt war es zu spät für solche Überlegungen. Jetzt half nur noch zu hoffen, dass der Gaul noch nicht zu viele Nadeln gefressen hatte. Foch wusste genau um die Gefährlichkeit, die die Eibe besaß. Das Gift in ihren Nadeln konnte Pferde innerhalb von Minuten zusammenbrechen und sterben lassen.