Zentrale Aspekte der Alten Kirchengeschichte

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

2.4 Der eine Bischof, die Presbyter und die Diakone bei Ps.-Ignatius

Eindeutig taucht der so genannte Monepiskopat erstmals in einem wohl pseudepigraphischen Briefcorpus auf, das sieben fingierte Briefe an hauptsächlich kleinasiatische Gemeinden umfasst. Diese gehen höchstwahrscheinlich auf einen unbekannten Autor zurück, der seinen Lesern um 170 unter dem Pseudonym des hochangesehenen Märtyrerbischofs Ignatius von Antiochien38 sein kirchliches Idealbild nahe bringen will. Besonders am Herzen liegt ihm die von Irrlehren bedrohte Einheit diverser Ortskirchen, die ihm der jeweils eine Ortsbischof garantiert. So schreibt Ps.-Ignatius an die Smyrnäer:

„Folgt alle dem Bischof wie Christus dem Vater, und dem Presbyterium wie den Aposteln; die Diakone aber achtet wie Gottes Gebot! Keiner soll ohne Bischof etwas, was die Kirche betrifft, tun. Jene Eucharistiefeier gelte als zuverlässig, die unter dem Bischof oder einem von ihm Beauftragten stattfindet. Wo der Bischof erscheint, dort soll die Gemeinde sein, wie da, wo Jesus Christus ist, die katholische Kirche ist. Ohne den Bischof darf man weder taufen noch das Liebesmahl halten; was aber jener für gut findet, das ist auch Gott wohlgefällig, auf dass alles, was ihr tut, sicher und zuverlässig sei“ (Smyrn. 8,1f.).

Aufrufe dieser Art durchziehen die Ps.-Ignatiusbriefe wie ein roter Faden. Immer ist dabei vom einen Bischof die Rede, während die Presbyter und Diakone stets in der Mehrzahl genannt werden und dem Bischof zu- und untergeordnet sind. Hier macht sich also eindeutig der Monepiskopat bemerkbar, ein Gemeindemodell, in dem der Bischof eine überragende Stellung einnimmt. Er allein ist befugt, den Gottesdienst zu leiten. Taufe, Eucharistie und Agape können nur unter seiner Leitung oder mit seinem Einverständnis vollzogen werden und selbst die Eheschließung unterliegt seiner Zustimmung. Schließlich kann von Kirche nur dort die Rede sein, wo sich die Gemeinde in Eintracht um den Bischof und die seiner Leitung anvertrauten Presbyter und Diakone sammelt.

Wird diese Ordnung eingehalten, dann ist die Kirche der Widerhall der himmlischen Harmonie, in der nach Ps.-Ignatius „das Lied Jesu Christi“ und „Gottes Melodie“ ertönen (Eph. 4). Stellt diese Ordnung doch ein Abbild der himmlischen Ordnung dar, die im himmlischen Urbild ihre metaphysische Begründung besitzt. Der himmlischen Hierarchie, die Gott mit Christus und den Aposteln bildet, entspricht deshalb die irdische, die sich aus Bischof, Diakonen und Presbytern zusammensetzt. In diesem Sinn schreibt Ps.-Ignatius an die Magnesier:

„Seid bestrebt, alles in Gottes Eintracht zu tun, wobei der Bischof an Gottes Stelle und die Presbyter an Stelle der Ratsversammlung der Apostel den Vorsitz führen und die mir besonders lieben Diakone mit dem Dienst Jesu Christi betraut sind, der vor aller Zeit beim Vater war und am Ende erschienen ist“ (Magn. 6,1).39

Der Bischof ist also Abbild und Repräsentant Gottes. Wo sich folglich die Presbyter, Diakone und Gläubigen dem Bischof unterordnen, da ordnen sie sich Gott selbst unter und gewinnen so Anteil an Ihm (Eph. 4,2; 5,3).

Besonderen Wert legt Ps.-Ignatius auf die letztlich in Gott gründende Einsetzung des Bischofs.

Denn er habe seinen „Dienst an der Gemeinde nicht von sich aus und nicht durch Menschen erlangt, auch nicht infolge leerer Ruhmsucht, sondern in der Liebe Gottes des Vaters und des Herrn Jesus Christus“ (Philad. 1,1).

Da der Bischof also von Gott selbst zur Verwaltung seines Hauses gesandt sei, müsse man ihn ansehen wie den Herrn selbst (Eph. 6,1). Mit zwei Hauptargumenten begründet Ps.-Ignatius folglich die überragende Stellung des einen Bischofs:

1. Ist der eine Bischof Abbild des einen göttlichen Urbilds,

2. ist er von Gott selbst zu seinem bischöflichen Dienst bestellt.

Die Presbyter sind in einem Kollegium organisiert, stehen im Einverständnis mit dem Bischof in seiner Abwesenheit der Eucharistie vor und nehmen in seinem Auftrag auch andere pastorale Aufgaben wahr. Die Diakone unterstehen sowohl dem Bischof als auch den Presbytern.40 Sie sind jedoch „nicht Diener für Speise und Trank, sondern Gehilfen der Kirche Gottes, welche die Geheimnisse Jesu Christi verwalten“ (Trall. 2,3), sind nach Ps.-Ignatius also auch im liturgisch-sakramentalen Bereich tätig. Schließlich dienen sie den Gläubigen, aber auch ihren Vorstehern als Reisebegleiter und Gemeindeboten. Insgesamt macht sich bei Ps.-Ignatius folglich ein Gemeindemodell bemerkbar, das sich auch in anderen Gemeinden erst in den späten fünfziger und sechziger Jahren des 2. Jahrhunderts manifestiert.

BÖHM (wie S. 36) 123-125 (Monepiskopat bei Ps.-Ignatius).

DASSMANN (wie S. 12) 167f. (Monepiskopat bei Ignatius von Antiochien).

HÜBNER (wie S. 32) 75-79 (Monepiskopat bei Ps.-Ignatius und Datierung der Ps.-Ignatianen).

FISCHER, Josef A., Die Apostolischen Väter (= Schriften des Urchristentums 1) Darmstadt 19818, 109-225 (Text und deutsche Übersetzung der Ignatianen mit Einleitung).

2.5 Frauen als kirchliche Autoritäten in altkirchlicher Zeit
2.5.1 Die Anfänge

Nach der Beschäftigung mit den verfassungsgeschichtlichen Entwicklungsprozessen, die zum dreigestuften kirchlichen Amt führten, stellt sich die Frage, ob in altkirchlicher Zeit auch Frauen in Ämtern und Diensten in christlichen Gemeinden wirken.

Bereits die Evangelien berichten von Frauen, die Jesus bis zu seiner Kreuzigung folgen und auch seine Auferstehung bezeugen. Lukas erwähnt ausdrücklich, dass Ihn neben den Zwölf auch Frauen bei seinen Wanderungen durch Galiläa begleiten und Ihn und seine Jünger mit dem unterstützen, was sie besitzen (Lk 8,3). Jesus hat offensichtlich etwas Besonderes an sich, das eine Reihe von Frauen zu diesem unüblichen Verhalten motiviert. Tatsächlich pflegt Jesus einen für damalige Verhältnisse einzigartigen Umgang mit Frauen. Äußerst anstößig wirkt auf seine jüdischen Zeitgenossen, dass Er sich in seiner engsten Gefolgschaft mit Frauen umgibt. Selbst seine männlichen Jünger „wunderten sich, dass Er mit einer Frau redete“ (Joh 4,27). So umschreibt Johannes die Reaktion der Jünger auf das Gespräch Jesu mit der Samariterin. Jesus lässt aber nicht nur hier, sondern auch sonst Begegnungen mit Frauen zu. Er unterhält sich mit ihnen, hilft ihnen, heilt sie, redet gut von ihnen, erwähnt sie als handelnde Personen in Gleichnissen und akzeptiert ihre Begleitung und ihren Dienst. Angesichts der patriarchalischen Gesellschaft Palästinas muss dieses Verhalten Jesu eine Initialzündung ausgelöst haben für das Heraufziehen einer neuen gesellschaftlichen Stellung der Frau in der Jüngergemeinde und darüber hinaus. Mit einzigartiger Souveränität überschreitet Jesus die von der zeitgenössischen Gesellschaft gesetzten Schranken und führt die Frauen hinaus in eine attraktive Weite.

In diesem Licht verwundert es nicht, dass sowohl in der Urgemeinde von Jerusalem als auch in den Anfängen der christlichen Mission Frauen genannt werden. So wissen die Bücher des Neuen Testaments von Frauen zu berichten, die sich in den Gemeinden als Prophetinnen, karitativ Engagierte, theologische Lehrerinnen (Apg 18,26), missionarische Mitarbeiterinnen und Förderinnen hervortun. In Joppe sorgt Tabita für hilfsbedürftige Witwen; in Jerusalem stellt Maria, die Mutter des Markus, ihr Haus der Gemeinde zur Verfügung; in Philippi nimmt die Purpurhändlerin Lydia Paulus und seine Begleiter in ihr Haus auf, wie auch in 1 Kor 11,4 von prophetisch redenden und betenden Frauen und Männern die Rede ist. Schließlich richtet sich auch 1 Kor 14,34 nicht grundsätzlich gegen das Prophezeien und Zungenreden von Frauen, wenn es an dieser Stelle heißt: „Die Frauen sollen in der Versammlung schweigen.“ Denn entweder handelt es sich hier um eine spätere judenchristliche Interpolation oder es wird einzelnen, ofensichtlich etwas undisziplinierten Frauen ungestümes Dazwischenreden verboten, um dadurch die damals ohnehin etwas gefährdete Ordnung des charismatisch bewegten Gottesdienstes aufrechtzuerhalten. Diese Interpretation legt jedenfalls die Tatsache nahe, dass christliche Frauen z.B. in kleinasiatischen Gemeinden des 1. und 2. Jahrhunderts keineswegs geschwiegen haben.

DASSMANN (wie S. 12) 172f. (Frauen bei Jesus und in der frühen Kirche).

SCHÜRMANN, Heinz, Das Lukasevangelium (= Herders Theologischer Kommentar zum Neuen Testament 3/1) Freiburg Basel Wien 1969, 446f. (Verhältnis Jesu zu Frauen).

2.5.2 Ein frühes Beispiel: Christliche Frauen als Autoritäten kleinasiatischer Gemeinden des 1. und 2. Jahrhunderts

Das Wirken früher Christinnen als Autoritäten kleinasiatischer Christengemeinden des 1. und 2. Jahrhunderts ist ohne den Kontext der zeitgenössischen kleinasiatischen Gesellschaft nicht denkbar. Wie Inschriften dieser Ära bezeugen, sind Frauen dieses Raums in Handel und Gewerbe selbständig tätig und verwenden einen Teil ihres Vermögens bisweilen für Projekte, die in ihrer Heimatstadt ihrem Sozialprestige dienen. So treten beispielsweise in Ephesus Frauen als Wohltäterinnen auf, indem sie auf eigene Kosten prachtvolle öffentliche Gebäude errichten lassen. Darüber hinaus steigen kleinasiatische Honoratiorentöchter des 2. Jahrhunderts in ihren Heimatstädten zu höchsten öffentlichen Ämtern auf. Nollé erklärt dieses Phänomen mit den personellen Engpässen dieser Familien, die zur Behauptung ihrer Position darauf angewiesen sind, auch weibliche Familienmitglieder auf der politischen Bühne ihrer Heimatstadt agieren zu lassen, zumal z.B. im kleinasiatischen Selge „der Familienclan [der Plancii Magniani] weitgehend mit der als politische Körperschaft agierenden Stadt identisch [war]. Die Stadt war zum überdimensionalen Haushalt (oikos) dieser Familie geworden. Damit schwächt sich natürlich das Anstößigste an der Amtsführung von Frauen, [nämlich] das Heraustreten aus dem Oikos, merklich ab. Die Frauen blieben, folgen wir dieser Betrachtungsweise, gewissermaßen doch im Oikos, in einem Oikos, der [… freilich] an Größe und damit auch an Bedeutung gewonnen hat.“41 Außerdem ist die damalige Bevölkerung Kleinasiens den Anblick öffentlich fungierender Frauen in priesterlichen Ämtern gewöhnt. Denn in vielen kleinasiatischen Städten sind Göttinnen die ersten Stadtgottheiten und ihre erstrangigen Kultdienerinnen sind folglich Frauen, während männliche Priester einer solchen Göttin oft nur als Gehilfen einer Frau amtieren (vgl. Abb. 12).

 

Mag die geschilderte Öffnung der kleinasiatischen Gesellschaft für öffentlich tätige Frauen auch in erster Linie die Frauen der dortigen Mittel- und Oberschicht betreffen und mag diese Öffnung auch die Grenzen des antiken Oikos nicht überschreiten, so dürfte das zugehörige Milieu doch einen gut vorbereiteten Boden für die nicht zuletzt die Frauen aufwertende Botschaft Jesu darstellen. In diesem Licht ist es jedenfalls besser verständlich, warum das wohl im kleinasiatischen Raum entstandene Johannes-Evangelium eine Gemeinde des ausgehenden 1. Jahrhunderts spiegelt, in der eine Frau namens Maria Magdalena im Auftrag Jesu und mit Billigung der Gemeinde die Auferstehung Jesu öffentlich bezeugt, in der eine Samariterin die Frohe Botschaft Jesu empfängt und mit Erfolg in ihrer Heimatstadt verkündet und in der eine Frau namens Martha als Repräsentantin der Gemeinde das Messiasbekenntnis ablegt.

Des Weiteren wirken hier von der Mitte des 1. bis zur Mitte des 2. Jahrhunderts eine Reihe von Christinnen, die man zweifellos als Gemeindeautoritäten bezeichnen kann. Denn seit den christlichen Anfängen lassen sich in Kleinasien bis in die Mitte des 2. Jahrhunderts einige Prophetinnen nachweisen. So gelten die im 1. Jahrhundert in Ephesus und Hierapolis lebenden Töchter des Philippus noch der kleinasiatischen Kirche des ausgehenden 2. Jahrhunderts als Autoritäten apostolischer kirchlicher Überlieferung. Ammia wirkt in der ersten Hälfte oder in der Mitte des 2. Jahrhunderts in der Gemeinde von Philadelphia als Prophetin und erfreut sich noch im Kleinasien der 60er Jahre des 2. Jahrhunderts eines hohen Ansehens. Wie am Beispiel dieser Prophetinnen deutlich wird, sind es also nicht zuletzt Frauen, die das zu den urchristlichen Gemeindeautoritäten zählende Prophetentum bis zur Mitte des 2. Jahrhunderts in der kleinasiatischen Kirche aufrechterhalten.42 Die Ursache für ihr fortan beobachtbares Verschwinden dürfte in dem allmählich zum Abschluss kommenden Ausbauprozess der kleinasiatischen Kirchenorganisation zu suchen sein, in der das im Urchristentum übliche charismatische Prophetentum keinen Platz mehr hat.

Abb. 12 Am Prunktor von Perge befindet sich eine Statue der Plancia Magna, die als Priesterin des städtischen Kaiserkults ein Diadem trägt, das mit den Büsten von Mitgliedern des Kaiserhauses geschmückt ist.

Neben Prophetinnen lassen sich in Kleinasien auch christliche Lehrerinnen namhaft machen. An erster Stelle ist hier Priska in der urchristlichen Ära als theologische Lehrerin des Apollos zu nennen. Vor allem ist es aber Thekla, eine wahrscheinlich von Paulus bekehrte Frau, die im ausgehenden 2. Jahrhundert von einem pseudepigraphischen Autor als eine im Raum von Antiochien, Iconium und Seleucia öffentlich wirkende Lehrerin dargestellt wird, was wiederum die Existenz entsprechender christlicher Lehrerinnen im damaligen kirchlichen Erscheinungsbild Kleinasiens nahe legt.

Schließlich sei noch auf die in christlichen Hausgemeinden wirkenden Frauen Kleinasiens eingegangen. In den paulinischen Gemeinden von Ephesus und Laodizea (oder Hierapolis) machen sich zunächst in Priska und Nympha zwei Frauen bemerkbar, die Paulus als Mitarbeiterinnen grüßt und als Autoritäten von Hausgemeinden charakterisiert. Folglich könnte er bei anderer Gelegenheit – neben Männern – auch Frauen meinen, wenn er etwa im Philipper-Brief die dortigen Gläubigen zusammen mit ihren anonymen „Episkopen und Diakonen“ (Phil 1,1) grüßt. Denn unter diesen sind zumindest unter den Diakonen auch Frauen denkbar, da in Röm 16,1 in der Person der Phöbe ein weiblicher Diakon bezeugt ist43 und Plinius der Jüngere um 112 im kleinasiatischen Bithynien von ähnlichen christlichen ministrae zu berichten weiß.

Wie ist die bisher behandelte Phänomenologie Kleinasiens zu interpretieren? Ohne Zweifel stoßen die ersten christlichen Missionare im Kleinasien des 1. und 2. Jahrhunderts auf ein für Frauen relativ offenes Milieu, weshalb auch das in dieser Region inkulturierte Christentum zunächst entsprechende Züge trägt. In diesem Licht wird es verständlich, warum die soeben kurz vorgestellten kleinasiatischen Frauen in ihren Gemeinden als maßgebliche Autoritäten wirken bzw. sich in kirchlichen Tätigkeitsfeldern bewegen, die seit dem Ausbau der antiken Kirchenorganisation ausschließlich von Männern wahrgenommen werden. Gerade in letzterer Erscheinung zeichnet sich aber im Kleinasien des ausgehenden 2. Jahrhunderts ein deutlicher kirchlicher Wandel ab: Die ursprünglich relativ locker miteinander kommunizierenden Ortsgemeinden, die vor allem im antiken Oikos beheimatet44 und daher für weibliche und männliche Autoritäten gleichermaßen offen sind, entwickeln sich nunmehr zu regional und überregional systematisch vernetzten Ortskirchen. Den Beginn dieses Prozesses markiert um 195 jene kleinasiatische Bischofssynode, die Bischof Polykrates von Ephesus auf Initiative Bischof Viktors von Rom zur Klärung des Osterfeststreits einberuft.45 Meines Erachtens macht sich hier nämlich ein neuer Inkulturationsvorgang des Christentums bemerkbar, indem sich die kleinasiatische Kirche des ausgehenden 2. Jahrhunderts im Zuge ihrer systematischen regionalen und überregionalen Vernetzung auf die Rezeption imperialer Verwaltungs-, Repräsentations- und Kommunikationsstrukturen einlässt und folglich auf ihre ursprünglich zumindest im Oikos für Frauen offene Position verzichtet; denn eine über die Grenzen des Oikos hinaus öffentlich wirkende Frau ist im Römischen Reich – ja selbst in Kleinasien – nicht denkbar und folglich auch nicht auf einer die Grenzen des Oikos überschreitenden Bischofssynode.

HOFMANN, Johannes, Christliche Frauen im Dienst kleinasiatischer Gemeinden des ersten und zweiten Jahrhunderts. Eine prosopographische Studie, in: Vigiliae Christianae 54 (2000) 283-308 (Frauen im Johannes-Evangelium, kleinasiatische Prophetinnen, Lehrerinnen und weibliche Autoritäten von Hausgemeinden).

NOLLÉ, Johannes, Frauen wie Omphale? Überlegungen zu ‚politischen‘ Ämtern von Frauen im kaiserzeitlichen Kleinasien, in: DETTENHOFER, Maria H. (Hg.), Reine Männersache? Frauen in Männerdomänen der antiken Welt, München 1996, 229-259 (Frauen in der antiken kleinasiatischen Gesellschaft).

2.5.3 Restriktive Tendenzen in den Pastoralbriefen

Vor dem Hintergrund der kleinasiatischen Beispiele wird Paulus also zu Unrecht unterstellt, er habe die Frauen in 1 Kor 14,34 zum Schweigen in der Kirche verurteilt. Zwei Generationen nach ihm, also etwa um 100, machen sich unter dem Einfluss der römisch-patriarchalischen Umwelt aber tatsächlich restriktive Tendenzen bemerkbar. Bei der Interpretation von 1 Tim 2,11-14 wird man nämlich wirklich von einem Lehrverbot für Frauen sprechen müssen. Freilich plädiert selbst der erste Timotheusbrief nicht gänzlich gegen das Mitwirken von Frauen in der Gemeinde. Der für kirchliche Amtsträger gedachte Tugendspiegel von 1 Tim 3,11 verlangt wohl vielmehr von ihren Frauen: „Ebenso sollen die Frauen ehrbar sein, nicht verleumderisch, sondern nüchtern und in allem zuverlässig.“ Man erwartet von diesen Frauen also ein angemessenes Verhalten und rechnet ausdrücklich mit ihrem kirchlichen Engagement. Nachhaltigere Wirkung erzielt freilich 1 Tim 5,3-16 mit seinen Anweisungen über die Witwen.

2.5.4 Die Witwen und Gemeindejungfrauen als kirchlicher Stand

Zunächst geht es in 1 Tim 5,3-16 um die Fürsorgepflicht der Gemeinde für die offensichtlich besonders hilfsbedürftigen Witwen. Doch fallen bei der Beschreibung der Witwen Formulierungen auf, die über die Regelung ihrer Versorgung hinausgehen. So entspricht das Gebot, nur einmal verheiratet gewesen zu sein, den Amtskriterien für den Bischof und die Diakone. Diese Vorschrift hat also, ebenso wie die anschließend aufgezählten moralischen Qualitäten, nichts mit ihrer Bedürftigkeit zu tun. Die wahre Witwe soll vielmehr beharrlich Tag und Nacht zu Gott beten. Alter, Erfahrung und guter Ruf qualifizieren sie außerdem dazu, jungen Frauen beizustehen und sie im Glauben zu unterweisen. Daraus lässt sich zwar kein kirchliches Amt rekonstruieren, doch scheinen Ansatzpunkte für zwei spezifische Aufgaben der Witwen auf: ihr Einsatz als Beterinnen der Kirche und als Lehrerinnen für Frauen.

So wachsen sie allmählich in einen kirchlichen Stand hinein. Denn die Versorgung der von der Gemeinde anerkannten Witwen führt dazu, dass sie ihr Engagement in Gebet, geschlechtsspezifischer Lehrtätigkeit und karitativer Sorge um Waisen, Kranke und Gefangene nicht als beliebiges Handeln, sondern als Erfüllung von beispielhaft-christlichen Standespflichten auffassen, die man kirchlicherseits von ihnen erwartet.

Zu ihnen gesellen sich die so genannten Gemeindejungfrauen, Gruppen von unverheirateten Frauen, deren standesartiges Zusammenwachsen mit den Witwen bereits Ps.-Ignatius um 170 bezeugt. Grüßt er doch am Schluss seines Briefs an die Smyrnäer „die Jungfrauen, die man Witwen nennt“ (Smyrn. 13,1). Diese jungfräulich lebenden Asketinnen, die einige Jahrzehnte später bereits in klosterähnlichen Gemeinschaften anzutreffen sind, sind es, die fortan – ob verwitwet oder nie verheiratet – den Standesnamen Witwen tragen.

Im 3. Jahrhundert mehren sich die Nachrichten über den Stand der Witwen. Sie empfangen beträchtliche kirchliche Privilegien und sind an bestimmte Standespflichten gebunden. Doch kann bei ihnen nicht von kirchlichen Amtsfunktionen die Rede sein. Versorgt und geehrt von der Gemeinde gehören vor allem Enthaltsamkeit, Gebet und karitative Dienste für bedürftige Mitchristen zu ihren Charismen. Im Lauf des 3. Jahrhunderts geraten die Gemeindewitwen freilich immer mehr an den Rand des Gemeindelebens und bilden bisweilen eine klosterähnliche Gemeinschaft. Die ursprünglich im Gemeindeleben verankerten Aktivitäten der Witwen übernehmen dagegen – von Ortskirche zu Ortskirche unterschiedlich organisiert und mit bestimmten Kompetenzen ausgestattet – die so genannten Diakonissinnen.

Weitere Bücher von diesem Autor