Der Code für deine Zukunft

Text
Aus der Reihe: Dein Erfolg
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Wer Youtube hat, braucht keine Schule

Jonas wollte einen eigenen Youtube-Kanal starten, um mit der Gamer-Gemeinde über neue Spiele, Erfahrungen und Wünsche zu kommunizieren. Das Problem war lediglich, dass er nichts über das Erstellen und Schneiden von Videos wusste. Ein Freund empfahl ihm, doch mal auf Youtube zu schauen. Nach einer kurzen Suche fand Jonas mehrere Videos, in denen man das Filmen und Schneiden von Videos lernen konnte. Es kostete nichts und schon nach kurzer Zeit konnte sich Jonas über seine ersten selbst produzierten Videos freuen.

Es gibt explizites Wissen und implizites Wissen. Explizites Wissen wird auch kodiertes Wissen genannt. Darunter versteht man Dokumente, Datenbanken, Notizen, Abläufe, Berichte, Zeichnungen, Anleitungen und Anweisungen. Das implizite oder personengebundene Wissen ist individuelle Erfahrung, Know-how, Intuition, es wird gesammelt in langjährigem Umgang mit komplexen Aufgaben. Das explizite Wissen ist sozusagen die Spitze des Eisbergs, während das implizite Wissen, der größte Teil unseres Wissens, unter der Wasseroberfläche verborgen bleibt und sich nur schwer erfassen, speichern und verteilen lässt. Das implizite Wissen kann beispielsweise in Unternehmen zu Problemen führen, wenn es nicht weitergegeben wird, wenn jemand das Unternehmen verlässt. Wissen ist etwas sehr Dynamisches. Das implizite Wissen verändert sich mit jeder neuen Erfahrung, vor allem wenn es wieder angewendet wird.

Schlecht angepasstes Bildungssystem

Der größte Wissensvermittler ist das Bildungssystem und leider hat es sich bisher nur schlecht an die Bedingungen einer VUCA-Welt angepasst. Wissen hat immer mit Lernen zu tun und gerade da versagt das Bildungssystem: Unsere Kinder lernen weder die richtigen Dinge, nämlich die, die sie in einer unsicheren, unruhigen Zeit brauchen, noch bringt sie das Lernen in der Schule weiter.

Sehen wir einmal davon ab, dass unser Bildungssystem durch das föderale Recht völlig zerrüttet ist, es zu wenige Lehrer gibt und die Ausstattung vieler Schulen zu wünschen übrig lässt, und wenden wir uns den wirklich drängenden Problemen zu: In unseren Schulen und Universitäten ist es sowohl um die wirtschaftliche als auch um die digitale Bildung schlecht bestellt. Bisher gibt es kein Schulfach Wirtschaft an allen weiterführenden Schulen und in allen Bundesländern. Theoretisches und praktisches Wissen über wirtschaftliche Abläufe spielt keine große Rolle. Deshalb fehlt auch das Verständnis breiter Bevölkerungsschichten für die Zusammenhänge von Wohlstand, Unternehmertum und Wettbewerbsfähigkeit. Unsere Bildungseinrichtungen sind nach wie vor zu stark auf Wissensvermittlung ausgerichtet, auch wenn sich im Kleinen etwas ändert. Es sollte vielmehr darum gehen, die Kompetenz zur Verknüpfung von Wissen aus unterschiedlichen Fachgebieten zu fördern, denn das ist es, was letztlich Innovation entstehen lässt. Die Qualität der digitalen Bildung hängt vor allem von der Kompetenz der Lehrenden ab und die ist meistens nicht sehr hoch. Laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung nutzen nur 15 Prozent aller Lehrkräfte digitale Medien vielseitig in der Stundengestaltung. Fast die Hälfte der Befragten gab an, selten von traditionellen Lehrmaterialien abzuweichen. Es reicht nicht, nur finanzielle Mittel für Hardware bereitzustellen, sondern wir sollten massiv in die Weiterbildung der Lehrenden investieren. Lehrinhalte und Lehrmethoden müssen an die digitale Veränderung angepasst werden. Die klassische Wissensvermittlung funktioniert nicht mehr und wir brauchen sie auch nicht mehr.

Lernen im 21. Jahrhundert

Es gibt mittlerweile einige Ansätze vorwiegend im privaten Bildungsbereich, mit denen versucht wird, Bildung und Lernen an die Erfordernisse der modernen digitalen Welt anzupassen. Ich möchte dir mit der »Open School«, einem Projekt von zwei befreundeten Unternehmern aus Stuttgart, ein Beispiel vorstellen, damit du siehst, was im Bildungsbereich möglich wäre, wenn wir uns denn trauen würden, unser Bildungssystem radikal umzukrempeln.

Die »Open School« arbeitet unter anderem nach dem Konzept des »Growth Mindset« von Carol Dweck, einer Psychologieprofessorin an der Stanford University. Das »Growth Mindset« steht im Gegensatz zum »Fixed Mindset«, das davon ausgeht, dass Fähigkeiten und Intelligenz angeboren und unveränderlich sind. Menschen mit diesem Mindset messen ihren Selbstwert daran, wie viel Talent sie haben und was ihnen leicht von der Hand geht. Fehlschläge verunsichern sie, weil das Bild ihrer Persönlichkeit ins Wanken gerät. Da sie keine Strategie haben, um an Herausforderungen zu wachsen, versuchen sie diese zu vermeiden. Ganz anders Menschen mit dem »Growth Mindset«: Diese Menschen gehen davon aus, dass sie sich immer weiterentwickeln und alles lernen können, wenn sie nur ausreichend viel Arbeit und die richtigen Methoden hineinstecken. Das »Growth Mindset« wird bestimmt von dem Glauben an die eigene Fähigkeit, zu wachsen, zu lernen und erfolgreich zu sein. Misserfolge werden als Schritte auf dem Weg zum Erfolg betrachtet. Wenn etwas schiefläuft, fragen sich die Kinder mit einem »Growth Mindset«, was sie das nächste Mal besser machen können.

Das Konzept der »Open School« setzt auf selbstbestimmtes, individualisiertes Lernen. Kinder sollen ihre Schule mitgestalten können und spüren, dass sie ihre Träume und Ideen durch herausfordernde Arbeit Realität werden lassen können. Die Lern-Coaches sollen die Schüler dazu anleiten, sich selbst Wissen und Fähigkeiten aneignen zu können. Durch Kooperationen mit Unternehmen, Freiberuflern und Experten erhalten die Kinder Einblicke in den Alltag, erfahren die große Vielfalt an Möglichkeiten und Ideen für die eigene Lebensgestaltung und entwickeln Wertschätzung und Akzeptanz für verschiedenste Lebenswege.

Die »Open School« setzt auf »Lernen durch Tun«, denn: Wie kannst du Verantwortung lernen, ohne die Entscheidungsfreiheit, für etwas verantwortlich sein zu wollen? Wie kannst du lernen, Entscheidungen zu treffen, wenn sie meistens für dich getroffen werden? Es liegt ein Menschenbild zugrunde, das vom Können, Wollen und Mitwirken der Schüler ausgeht. Der Schwerpunkt der Aktivität und damit auch die Verantwortung liegt bei den Kindern als »Lernunternehmer« und nicht mehr bei den Erwachsenen. Erst dann wird das Lehren zum Lernen. Die Schüler wählen ihre Lernpartner, den Lernweg, den Lerninhalt und das Tempo selbst. Der offene Unterricht führt so zu fächerübergreifendem vernetztem Lernen. Die Kinder übernehmen Verantwortung für ihren eigenen Lernprozess.

Lass mich noch etwas zum Thema Digitalisierung in der »Open School« sagen: Man geht dort davon aus, dass wir beziehungsweise die Kinder auch die hinter der Bedienoberfläche stehende Technik begreifen und eine Vorstellung entwickeln müssen, wie Software und Programmiersprachen funktionieren. Auch wenn nicht jeder Programmierer wird, soll jedes Kind das Programmieren kennenlernen. Schulen sind einer der besten Wege, die nötigen Fähigkeiten zu demokratisieren. Der Fokus an der »Open School« liegt deshalb nicht auf Nutzungskompetenzen von Computern und Tablets, sondern auf den informatischen Grundkonzepten inklusive Kryptologie und Coding als »Fremdsprache und Handlungslogik«.

Demokratisierung des Wissens

Wissen über jedes Thema ist heute dank Internet über wenige Mausklicks jedem zugänglich. Auf Videokanälen können wir Vorträge beliebiger Experten weltweit anschauen. Wir können ihre Vorträge und Präsentationen herunterladen und uns mit ihnen vernetzen. Ja, wir lernen für das (Berufs-)Leben, aber nicht indem wir uns mit theoretischem Wissen vollstopfen, sondern indem wir lernen, Zusammenhänge zu erkennen, Theorie mit Praxis und Erfahrung, explizites Wissen mit implizitem Wissen zu verknüpfen, auszuprobieren, zu recherchieren und uns mit anderen zu verbinden. Stell dir vor, man würde dir eine Anleitung zum Fahrradfahren in die Hand drücken. Das würde eine langwierige und komplizierte Angelegenheit werden und doch würdest du so wohl kaum Fahrradfahren lernen. Wenn es dir aber jemand vormacht, dir vielleicht anfangs Hilfestellung leistet, würdest du es schnell begreifen und erlernen.

Fachwissen ist nur dann nützlich, wenn es uns befähigt, größere Zusammenhänge zu erkennen und es mit anderem Wissen zu verbinden, um neuartige Lösungen zu finden. Damit uns das gelingt, brauchen wir vor allem Kompetenzen wie Kreativität, Kommunikationsfähigkeit, Sozial- und Methodenkompetenz, unternehmerisches Denken, Adaptions- und Kollaborationsfähigkeit.

Future Skills für Veränderung

Die Autorin und Management-Trainerin Barbara Messer sieht in ihrem Buch »Wir brauchen andere Trainings« folgende sechs Fähigkeiten als unabdingbar für beruflichen Erfolg in der Zukunft an:

 Achtsamkeit

 Neugier

 Mut

 Resilienz

 Ethisches Bewusstsein

 Führungsstärke (Leadership)

Diese Anforderungen beweisen, dass wir umdenken müssen. Fachwissen ist nur eine von vielen notwendigen Kompetenzen. Selbstverständlich werden wir auch die Datenanalysten, die UX-Designer und die Robotikentwickler brauchen, aber nicht nur. Vor allem brauchen wir Menschen, die bereit sind, Herausforderungen anzugehen, Probleme zu lösen, im Team zu arbeiten und ihre Wohlfühlzone zu verlassen, die auf Neues mit Mut und Neugier zugehen, sich mit anderen vernetzen und Erkenntnisse aus verschiedenen Bereichen zusammenführen können. Und wir brauchen Menschen, denen es ein Bedürfnis ist, lebenslang zu lernen, wobei ich mir nicht sicher bin, ob Lernen im klassischen Sinn es richtig trifft. Ich würde eher sagen: Wir brauchen Menschen, die sich beruflich und privat permanent weiterentwickeln und auch andere dabei unterstützen möchten, die bereit für ständige Veränderung sind und in der Veränderung Chancen für sich selbst sehen – Menschen, für die Lernen und Entwicklung Genuss sind.

 

»Lernen und Genießen sind das Geheimnis eines erfüllten Lebens. Lernen ohne Genießen verhärmt, Genießen ohne Lernen verblödet.«

Der Philosoph Richard David Precht

Lebenslanges Lernen oder der Wert von Ausbildung

Vielleicht fragst du dich, wieso der Hype um das lebenslange Lernen? Ganz einfach: Ähnlich wie sich die Halbwertszeit von Wissen immer weiter reduziert, ist es auch mit der Ausbildung. Was jemand vor zehn oder 20 Jahren während seiner Ausbildung gelernt hat, ist heute wahrscheinlich überholt und nicht mehr viel wert. Manche Berufe gibt es gar nicht mehr, dafür gibt es viele neue. In zahlreichen Berufen und Branchen werden Algorithmen und Roboter die Arbeit der Menschen übernehmen. Davon sind nicht bloß Tätigkeiten in der Produktion betroffen, sondern auch in den Büros. Steuerberater, Versicherungsmakler und Bankberater sind ebenso ersetzbar wie Buchhalter oder Übersetzer. Gleichzeitig wird die Digitalisierung aber zahlreiche neue Jobs schaffen, über die du bisher nicht einmal nachgedacht hast, beispielsweise für einen Virtual-Reality-Architekten, für einen 3-D-Druck-Experten, einen Tele-Chirurgen, einen urbanen Farmer oder einen Talentsucher. Wenn dir das zu utopisch erscheint: Auch die Ausbildungsberufe werden schon seit Jahren sowohl im Namen als auch bezüglich der Ausbildungsinhalte angepasst. Sportplatzbauer zum Beispiel ist ebenso wie Kaufmann für E-Commerce ein neuer Ausbildungsberuf. Transportanalytiker und Roboterberater stehen zusammen mit dem »Cyber Security Officer« auf der Liste der zukunftsträchtigen Berufe. Es gibt sogar ein Buch über verschwundene Berufe: Spielzeugmacher, Posamentierer, Rohrpostbote und Ähnliches mehr. Aber so weit zurückgehen muss man gar nicht. Denke nur an den Automechaniker. Mit dem, was er vor zehn Jahren in der Ausbildung gelernt hat, kommt er heute nicht mehr weit, denn das Auto wird immer mehr zum rollenden Computer. Deshalb heißt der Beruf heute Kfz-Mechatroniker. Dreher und Fräser heißen heute Zerspanungsmechaniker, denn sie arbeiten heute an hochempfindlichen CNC-Maschinen. Sie müssen also ganz andere Kenntnisse und Fähigkeiten haben als früher.

Wie man es dreht und wendet: Wir alle müssen uns fachlich und auch methodisch weiterbilden, unsere Kompetenzen erweitern. Das fordert nicht nur uns, sondern auch die Unternehmen, denn Weiterbildung kostet Zeit und Geld. Allerdings werden die Kosten durch E-Learning und »Virtual Reality« entscheidend verringert. Doch der beste Weiterbildungsplan bringt nichts, wenn Weiterbildung im Unternehmen nicht akzeptiert wird oder verpufft. Aktuell werden viele Leute auf einen Scrum- oder Design-Thinking-Kurs geschickt. Meistens kommen sie dann hoch motiviert ins Unternehmen zurück und freuen sich darauf, das Gelernte anzuwenden. Allerdings macht ihnen das System dann häufig einen Strich durch die Rechnung, weil es keine Möglichkeit zur Anwendung gibt oder sie nicht erwünscht ist. Im Mittelstand hat man die Notwendigkeit zur Weiterbildung noch nicht überall erkannt oder beschränkt sie auf fachliche Weiterbildung.

Ähnlich wie Schule muss sich auch die Weiterbildung verändern. Durch die Digitalisierung werden die Personalabteilungen von Routineaufgaben entlastet. Die freien Kapazitäten können in das Thema Weiterbildung investiert werden, das heißt, Lernen neu zu gestalten. Der klassische Weiterbildungskatalog hat ausgedient. Es muss überlegt werden, was wo gebraucht wird und welche Formate dafür geeignet sind. Eine bewegliche Lernlandschaft, die den Schwerpunkt auf das selbstverantwortliche Lernen legt, scheint mir geeignet, um lebenslanges Lernen tatsächlich zu fördern. Mentoring-Programme zwischen Kollegen, »Training on the Job«, zum Beispiel via »Virtual Reality«, und Job-Rotation können flankierende Maßnahmen sein. Am wichtigsten ist es aber, dass die Geschäftsführung das Lernen während der Arbeitszeit akzeptiert und fördert.

Vergiss nicht: Der Mensch ist von Natur aus neugierig und möchte sich entwickeln. Man muss ihm nur geeignete Möglichkeiten bieten. Der eine wird den größten Nutzen aus der Interaktion mit anderen ziehen, der andere bevorzugt ein Videoformat und der dritte liest ein Buch oder schaut sich Zeichnungen an. Jeder lernt anders und ich bin überzeugt, dass Individualität und Selbstbestimmung in der Bildung Priorität haben müssen. Außerdem sollten wir weg von der subjektiven Beurteilung des theoretischen Lernfortschritts in Form von Noten kommen. Viel wichtiger ist die Anwendung!

Wie wollen wir in Zukunft leben und arbeiten?

Laut einer Untersuchung des globalen Marktforschungsunternehmens Ipsos und des Zukunftsforschers Horst Opaschowski war 2013 für drei Viertel der Deutschen die Ehe mit Trauschein und Kindern die erstrebenswerteste Lebensform. Obwohl nur jeder dritte Bundesbürger so lebte, wünschten sich mehr als doppelt so viele diese familiäre Idylle. Früher war die Welt eben noch geordnet, der Lebensweg für viele vorgezeichnet.

Dass das Leben deshalb schöner oder angenehmer war, wage ich zu bezweifeln. Die Sicherheit, die feste Strukturen bietet, nimmt uns gleichzeitig Freiheit und Wahlmöglichkeiten. Heute stehen uns jeden Tag unzählige Optionen zur Verfügung. Wir müssen nur wählen, doch das fällt uns manchmal schwer. Das zeigt sich zum Beispiel manchmal am Verhalten jüngerer Menschen, wenn es um Verabredungen geht. Eine Zu- oder Absage wird erst in letzter Minute erteilt, denn es könnte ja sein, dass sich noch eine bessere, spannendere, ungewöhnlichere Möglichkeit mit interessanteren Menschen ergibt. Oder schauen wir uns die Nachfolge in Unternehmen an: Früher war ganz klar, dass der Sohn einmal die Firma vom Vater übernehmen wird. Heute tun sich die Firmenchefs schwer, einen Nachfolger aus der Familie zu finden. Die Kinder können, statt den Betrieb zu übernehmen, weiterstudieren, eine Beraterkarriere einschlagen, ein Start-up gründen, angestellt arbeiten und/oder ins Ausland gehen. Die Vielzahl der Möglichkeiten verleiht ihnen auch das Standing, »Nein« sagen zu können.

Selbstbestimmung und Unabhängigkeit

Max kommt mit dem traditionellen Familienbild seiner Eltern mit dem Mann als Versorger nicht zurecht. Die Aussicht, jahrzehntelang für fremde Menschen zu arbeiten, schien ihm ebenfalls nicht verlockend. Er hat schon früh beschlossen, dass er es einmal anders machen würde. Sein eigenes Unternehmen zu gründen, war der erste Schritt, doch nach einigen Jahren fällt es ihm schwer, seinen weiteren Weg zu erkennen. Er ist nicht richtig zufrieden, das Unternehmen macht keine großen Fortschritte und die Partnerschaft mit seiner Freundin Valeri ist abgesehen davon, dass sie beide arbeiten, nicht so weit entfernt von einer traditionellen Partnerschaft. Was ihm noch fehlt, ist die Erkenntnis, dass er seine Realität ändern kann, indem er sich neu orientiert.

Vielfalt statt sicherer Karriere

Schauen wir uns das Thema Karriereplanung an. Berufseinstieg und bis zur Rente im gleichen Unternehmen, sichere Arbeitsplätze und Berufsbilder, die sich über Jahrzehnte nur langsam weiterentwickeln, gehören in der neuen digitalen Welt der Vergangenheit an. Die gute Ausbildung und der unbefristete Arbeitsvertrag als Sicherheitsanker für den privaten Lebensentwurf haben ausgedient. Früher blieb man im Ausbildungsbetrieb und arbeitete dort bis zur Rente oder Pensionierung. Loyalität gegenüber dem Arbeitgeber war oberstes Gebot. In manchen Unternehmen, zum Beispiel bei Bosch oder Daimler, arbeiteten früher oft mehrere Mitglieder oder Generationen einer Familie. Väter brachten ihre Söhne zur Ausbildung unter oder verschafften ihrer Frau einen Nebenjob – heute undenkbar. Abschlusszeugnisse und Berufserfahrung sowie der persönliche Auftritt sind heute entscheidend bei der Personaleinstellung und nicht die Reputation des Vaters als fleißiger und loyaler Mitarbeiter.

Ganz abgesehen davon, möchten die Kinder gar nicht beim Arbeitgeber des Vaters arbeiten. Sie haben ihre eigenen Vorstellungen von Karriere und Arbeitsleben und planen selbst. Praktika und Auslandserfahrung sind ebenso wichtig wie Abwechslung und Spaß bei der Arbeit zusammen mit Freunden. Vor allem jüngere Menschen planen ihre Karriere, wie sie leben: schnell, spontan und frei von Zwängen. Zwei Jahre bei einem Start-up, drei Jahre bei einem Beratungsunternehmen, dann vielleicht ein eigenes Unternehmen gründen – alles möglich. Dabei sollte man nicht vergessen, dass die Generationen Y und Z Erbengenerationen sind. Das von ihren Eltern Geschaffene ermöglicht ihnen per se ein relativ sorgloses und freies, selbstbestimmtes Leben. Nicht falsch verstehen: Ich gehöre selbst zu dieser Generation und versuche lediglich herauszuarbeiten, was sich warum geändert hat.

Der sichere Hafen verschwindet

Mit der flexiblen Karriereplanung ändern sich auch die Familienstrukturen und unser soziales Umfeld. Die Kollegen werden zu Freunden, mit denen man sich gerne einmal abends trifft. Aber manche Freunde verschwinden auch wieder. Daran ändern auch Facetime und Co. nicht viel. Die Familie sieht man nur am Wochenende. Fernbeziehungen werden Normalität. Beziehungen zerbrechen. Patchwork-Familien entstehen. Viele Menschen bleiben allein.

Das ist prinzipiell nicht alles schlecht, schließlich macht man viele neue und gute Erfahrungen, kommt im Job weiter, gewinnt neue Freunde hinzu. Aber: Das Heimatgefühl oder besser das Gefühl von Zugehörigkeit und Vertrautheit verschwindet. Diese ungebundenen Lebensformen haben darüber hinaus zu unübersehbaren gesellschaftlichen Herausforderungen geführt. Denn wenn die Mitglieder einer Familie über ganz Deutschland oder sogar weltweit verstreut sind, geht das familiäre Unterstützungsnetzwerk verloren. Es sind keine Großeltern oder Geschwister, Tanten und Onkel da, die mal schnell als Babysitter einspringen oder das Kind vom Kindergarten abholen. Umgekehrt können Kinder die Eltern nicht mehr unterstützen. In der Folge dieser Entwicklung haben sich Dinge wie die Elternzeit etabliert, Kindertagesstätten, Ganztagesschulen und betreutes Wohnen. Das ist gut, denn es macht uns alle unabhängiger, ermöglicht beiden Elternteilen, Vollzeit zu arbeiten, und wer nicht will, muss ja nicht.

Das sind Fortschritte, die wir nicht mehr missen möchten, aber wir sollten uns bewusst sein, dass sie unser Zusammenleben grundlegend verändern und weitere gesellschaftliche Folgen nach sich ziehen, die nicht immer gut sind. Ein Beispiel dafür ist der Wohnungsmarkt in den Städten. Für Familien gibt es dort kaum noch bezahlbaren Wohnraum, denn die großzügigen Wohnungen in Neu- und Altbauten kaufen oder mieten meist gut verdienende Paare oder die vielen Singles. Das wiederum führt dazu, dass Familien in die Randgebiete der Städte gedrängt werden, was dann in immer größeren Pendlerströmen resultiert.

Wir müssen uns bewusst sein, dass die Unsicherheit und Komplexität der VUCA-Welt in jeden Bereich unseres privaten und gesellschaftlichen Lebens vordringen, denn wir verlieren zunehmend unsere Wurzeln. Dafür gewinnen wir an Möglichkeiten. Ob das gut oder schlecht ist, weiß ich nicht. Wahrscheinlich muss das jeder für sich selbst entscheiden. Immerhin stiegen die Zahlen von Eheschließungen und Geburten im Zehnjahresverlauf leicht an. Im Jahr 2008 lag die Zahl der Eheschließungen in Deutschland bei 377 055, 2018 waren es 449 466. Ähnlich sieht es bei den Geburten aus. Wurden im Jahr 2009 in Deutschland noch 682 514 Kinder geboren, waren es zehn Jahre später gut 100 000 mehr. Die Scheidungsquote sinkt übrigens seit Jahren.

Also doch Familie? Vielleicht, aber später. Das Heiratsalter steigt stetig und liegt bei Frauen durchschnittlich bei 32,1 Jahren. Männer heiraten im Durchschnitt sogar erst mit 34,2 Jahren. Vermutlich eine Folge der länger dauernden Orientierungs- und Freiheitsphase. Im Zeitraum von 2008 bis 2018 ist die Zahl der Einpersonenhaushalte in Deutschland um zwei Millionen auf 17,3 Millionen gestiegen, Tendenz steigend. Der Online-Partnervermittler Parship hat 2018 eine Studie auf Basis einer repräsentativen Befragung vorgelegt, nach der lediglich 19 Prozent der Singles ohne Partner zufrieden sind. Die Studie zeigt auch, dass die Digitalisierung die Partnersuche erreicht hat: Rund jeder zweite Deutsche hat laut Studie schon einmal online nach einer neuen Liebe gesucht. Von den Singles, die aktiv nach einem Partner suchen, nutzen 90 Prozent dazu das Internet. Bei den unzufriedenen Alleinstehenden zwischen 35 und 44 Jahren sind es sogar 97 Prozent. 21 Prozent der Deutschen hat den derzeitigen Partner im Internet kennengelernt. Auch das unterstützt die »Keine-Wurzeln-Theorie«, denn wer alle zwei Jahre wegen des Jobs den Wohnort wechselt oder sich nur auf den Beruf konzentriert, tut sich schwer, einen Partner vor Ort zu finden.

 

Ebenso wie die Unternehmen ihre Geschäftsmodelle an das digitale Zeitalter anpassen, versucht anscheinend auch der einzelne Mensch, sein Lebensmodell anzupassen. Doch noch ist unklar, wie ein neues Modell aussehen könnte und nach welchen Kriterien wir es gestalten sollen. Sicher ist nur eines: Das Lebensmodell der Babyboomer ist ein Auslaufmodell.

Wo früher noch gesellschaftliche Normen und Wertvorstellungen sowie planbare Bedingungen am Arbeitsmarkt Halt und Orientierung gegeben haben, müssen wir uns heute ohne Anleitung von außen unseren eigenen Platz im Leben suchen.

Die Suche nach einem individuellen Lebensmodell wird in unserer multioptionalen, schnell drehenden, digitalen Welt zur Hauptaufgabe der Generationen Y und Z sowie aller folgenden Generationen. Doch nicht nur die »Jungen« sind betroffen, auch die Lebensmodelle der Babyboomer und der Generation X stehen aufgrund des rapiden Wandels und der damit verbundenen neuen Anforderungen am Arbeitsmarkt unter Beschuss.

Wir brauchen ein neues Lebensmodell

Im Jahr 1918 wurde mit acht Stunden Regelarbeitszeit pro Tag der Normalarbeitstag eingeführt. Gearbeitet hat man noch bis in die 1960-Jahre an sechs Tagen in der Woche. Der Acht-Stunden-Tag bildete fast ein Jahrhundert lang den Rahmen für das, was wir Arbeit nennen. Das hieß bisher, fünf Tage die Woche, acht Stunden am Tag an einem Ort Lebenszeit gegen Geld zu tauschen. Doch was ist Arbeit heute? In vielen Berufsbildern und Branchen hat sich bereits Orts- und Zeitunabhängigkeit eingeschlichen.

Mit der völligen Flexibilisierung erst der Tages-, dann der Lebensarbeitszeit, wie sie von unterschiedlichsten Seiten vorangetrieben wird – kurz gesagt mit dem Ende des normalen Arbeitstags –, bricht ein elementarer Grundpfeiler unseres Lebensmodells weg. Im Moment arbeiten wir noch viele Stunden, wenn auch nicht unbedingt an einem Ort oder zu einer festgelegten Zeit, aber auch das wird sich in absehbarer Zeit ändern, denn digitale Technologien werden uns vermutlich einen Großteil der Arbeit abnehmen, die wir heute noch machen. Was machen wir, wenn wir nicht mehr fünf Tage die Woche acht Stunden an einem Ort für unseren Broterwerb sorgen müssen? Was fangen wir mit unserer Freizeit an? Werden wir die überhaupt haben? Engagieren wir uns ehrenamtlich? Bilden wir uns weiter oder beginnen eine zweite Karriere? Vertrödeln wir die gewonnene Zeit, gehen wir auf Reisen, widmen wir uns unseren Hobbys?

Mit dem Ende der klassischen Arbeit als strukturierendes und bestimmendes Element unserer Lebenszeitgestaltung stellt sich die Frage nach einem neuen Lebensmodell. Die Frage nach dem Sinn, den Möglichkeiten, nach den Aufgaben unserer Existenz: Wie wollen wir in Zukunft leben? Das klingt einschüchternd und wir begeben uns bei der Beantwortung dieser Frage auf unbekanntes und unsicheres Terrain. Ich möchte dir mit diesem Buch einen Leitfaden geben, mit dem du durch diese Unsicherheit navigieren und dich zurechtfinden kannst.

Jammern bringt nicht weiter

Alex und sein Bruder Max sitzen mal wieder in der Kneipe und klagen sich gegenseitig ihr Leid. Beide sind mit ihrer aktuellen Situation unzufrieden, aber noch nicht an dem Punkt angekommen, wirklich etwas zu ändern. Alex stellt sich einmal mehr die Frage nach dem Sinn seiner Arbeit: »Ich habe keine Ahnung, weshalb ich das immer noch mache. Es ist sowieso egal, welche Ideen ich habe, denn mein Chef hat nur die nächsten Quartalszahlen im Kopf und merkt nicht einmal, wie viele Chancen wir auf dem Wachstumsmarkt E-Mobilität verpassen. Er findet immer irgendwo etwas, das nicht so gut läuft, und auch immer gleich einen Schuldigen.« – »Was würdest du denn anders machen, wenn du dein eigener Boss wärst?«, fragt Max. – »Darüber brauche ich gar nicht nachzudenken«, antwortet Alex. »Schließlich habe ich drei Kinder, die ich ernähren muss, und ein Haus abzubezahlen. Eine eigene Firma wäre für mich viel zu unsicher. Was, wenn es nicht klappt?« – »Da hast du wohl recht. Ich habe als Dienstleister maximal drei Monate Planungssicherheit und die Gewinnmargen sind verschwindend gering«, stimmt Max zu. »Im Moment läuft es zwar ganz gut, aber Sicherheit gibt es nicht. Manchmal frage ich mich schon, ob sich das alles lohnt. Ich arbeite ständig und komme doch auf keinen grünen Zweig. Eine Familie zu gründen, ist gar nicht drin. Vielleicht sollte ich mir auch eine sichere Anstellung suchen.« Beide seufzen und sind sich mal wieder einig, dass die Lage bescheiden ist.

Jeder Mensch braucht Sicherheit

Die Unsicherheit, die eine sich schnell verändernde Welt und ihre wachsende Komplexität mit sich bringen, verunsichert auch jeden Einzelnen von uns. Wir haben das Gefühl, dass wir uns auf nichts mehr verlassen können. Es gibt so viele Optionen, dass es uns schwerfällt, zu entscheiden, was für uns das Richtige ist. Die alten Rollenbilder, die uns frühere Generationen vorlebten, funktionieren nicht mehr.

Ein Beispiel dafür ist die Veränderung des weiblichen Rollenbilds: Während es für die Generation der nach dem Zweiten Weltkrieg geborenen Babyboomer anfangs noch völlig klar war, dass in der Familie die Frau ins Haus an den Herd und zu den Kindern gehört, änderte sich das mit der Emanzipationsbewegung in den 1970er-Jahren, als Frauen die Gleichberechtigung einforderten. Die Frauen der nachfolgenden Generation X identifizierten sich damit, trafen aber auf Rahmenbedingungen, die es ihnen schwer machten, ihre Rechte wahrzunehmen. Es gab keine Ganztageskinderbetreuung, keine Aufstiegsmöglichkeiten für Frauen, eine misstrauische Haltung gegenüber arbeitenden Frauen in der Gesellschaft und keine Veränderung des männlichen Rollenbilds. Das besserte sich zwar nach und nach, aber jetzt kamen die Männer nicht mit ihrer neuen Rolle als Partner der Frauen zurecht. 2018 nahmen 1,4 Millionen Frauen Elterngeld in Anspruch, aber nur rund 450 000 Männer. Außerdem ist die Auszeit, die sich Väter vom Beruf nehmen, viel kürzer als die der Frauen.

Das zeigt nicht nur, dass die Rollen noch immer im Wandel sind, sondern auch, dass sich Veränderungen nur langsam ihren Weg bahnen. Wenn wir unsicher sind, tendieren wir dazu, abzuwarten, statt zu handeln. Wir wägen ab und versuchen herauszufinden, was richtig ist. Das spiegelt unser Bedürfnis nach Sicherheit wider, das uns die Konformität der Gruppe scheinbar gibt. Doch abzuwarten wird immer schwieriger, denn während Veränderungen früher über Generationen dauerten, um sich durchzusetzen, geschehen sie heute immer schneller. Die Technologie treibt sie voran, egal ob wir schon bereit sind oder nicht.

Sicherheit, um zu wachsen

Das Bedürfnis nach Sicherheit und seine Bedeutung für ein erfolgreiches Leben lässt sich gut am Beispiel der Maslowschen Bedürfnispyramide erklären, die der amerikanische Psychologe Abraham Maslow entwickelt hat. Das Modell versucht, Motivationen und Bedürfnisse des Menschen zu erklären. Basis von Maslows Theorie ist ein positives Menschenbild. Maslow glaubte, dass der Mensch nicht durch niedere Triebe gesteuert, sondern »durch ein angeborenes Wachstumspotenzial angetrieben« werde, um sein höchstes Ziel, die Selbstverwirklichung, zu erreichen. Die fünfstufige Bedürfnispyramide wird zwar oft als statisches Modell interpretiert, ist aber eigentlich ein dynamisches, und über die Pyramidenstruktur lässt sich streiten, denn sie impliziert, dass die Bedürfnisse sozusagen nacheinander, stufenweise befriedigt werden müssen.

Sie haben die kostenlose Leseprobe beendet. Möchten Sie mehr lesen?