Fälle und Lösungen zum Öffentlichen Recht

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Strukturierung des Sachverhalts
1. Tatsachenstoff

Die geltende Fassung des § 5 Abs. 1 Luftsicherheitsgesetz soll durch einen von 240 Abgeordneten des Bundestags eingebrachten Gesetzentwurf wie folgt geändert werden: „Die Luftsicherheitsbehörde kann Personen, welche die nicht allgemein zugänglichen Bereiche des Flughafens betreten haben oder betreten wollen, durchleuchten oder in sonstiger geeigneter Weise überprüfen.“ Die für die Durchleuchtung vorgesehene Terahertz-Technologie ist unstreitig nicht gesundheitsschädlich. Technisch ist es bislang jedoch nicht gelungen zu verhindern, dass bei der Durchleuchtung detailscharfe Bilder des unbekleideten menschlichen Körpers sichtbar werden. Das Konzept sieht vor, dass von durchleuchteten Personen erhobene Bilddaten bei nicht auffälligem Befund sofort gelöscht werden. Werden dagegen am Körper versteckte Gegenstände entdeckt, werden die Daten automatisch an die zuständigen staatlichen Sicherheitsbehörden weitergeleitet. Im Unterschied zum Begleitgepäck im Frachtraum des Flugzeugs, das unverändert nur stichprobenweise kontrolliert werden soll, ist die Personendurchleuchtung strikt und ausnahmslos vorgesehen. Der Gesetzentwurf enthält ferner Bestimmungen, nach denen sämtliche mit dem Durchleuchtungsvorgang |20|verbundenen Eingriffe in Rechte der Fluggäste kompetenzmäßig auf die privaten Flughafenbetreiber und ihr Personal als Beliehene übertragen werden.

2. Parteivorbringen (Streitgegenstand)

Anlass für den Gesetzentwurf war ein Vorfall im Sicherheitsbereich des Flughafens, bei dem ein Suchhund einer polizeilichen Drogenstaffel einem entgegenkommenden Flugpassagier ins Bein biss und sich bei einer Überprüfung herausstellte, dass dieser Flugpassagier unter seiner Hose eine Bombe aus knetbarem Sprengstoff befestigt hatte. Die den Gesetzentwurf tragenden Abgeordneten meinen, die Sicherheit des Flugverkehrs dürfe nicht von solchen Zufallsfunden abhängen. Eine durchgängige Körperkontrolle aller Passagiere sei unverzichtbar.

Die Gegner des Gesetzentwurfs im Bundestag wenden ein, eine ausnahmslose Durchleuchtung der Kleidung von Passagieren sei entwürdigend, insbesondere gegenüber Frauen und Fluggästen, die aus religiösen Einsichtnahmen Fremder in unbedeckte Körperbereiche strikt ablehnten. Außerdem könne die Durchleuchtungstechnologie nur konsistente Gegenstände erkennen, nicht aber Flüssigkeiten und andere nicht reflektierende Stoffe. Es sei unverhältnismäßig, Flugpassagiere ausnahmslos zu durchleuchten, das in demselben Flugzeug mitgeführte Begleitgepäck aber nur stichprobenartig.

3. Rechtliche Fragestellungen

Der Streitgegenstand verlangt die Prüfung eines Eingriffs in den Schutzbereich der Menschenwürde durchleuchteter Flugpassagiere nach Art. 1 Abs. 1 GG. Dafür ist die in der Rechtsprechung des BVerfGs entwickelte Objektformel heranzuziehen, aus der ein konkreter Eingriffsbefund ermittelt werden muss. Angesichts der zeitlichen Kürze des Durchleuchtungsvorgangs und dem ersichtlich vorrangigen reinen Sicherheitszweck ist ein Eingriff problematisch. Nur dann, wenn ein Eingriff in den Schutzbereich der Menschenwürde bejaht wird, besteht Veranlassung, auf die umstrittene Frage einzugehen, ob jeder Eingriff in den Schutzbereich der Menschenwürde per se verfassungswidrig sei, weil diese uneinschränkbar gewährleistet sei. Das ist nach wie vor die überwiegende Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum zu Art. 1 GG. Nur wenige Autoren halten auch die Menschenwürde für abwägungsoffen.

Zu prüfen ist ferner ein Eingriff in den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG, und zwar in seinen Ausprägungen als Recht am eigenen Bild und als Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Bei der Erörterung des Schrankenvorbehalts im Falle von Eingriffen kommt es auf eine Auseinandersetzung der höchsten Eingriffshürde an, nämlich dem Vorliegen von Gründen, die selbst einen Eingriff in die Intimsphäre rechtfertigen können. Im Hinblick auf Fluggäste, die Einblicke Fremder in ihren unbekleideten Körper aus religiösen Gründen strikt ablehnen, ist eine Verletzung der Glaubens- und Religionsfreiheit nach Art. 4 GG zu erörtern.

|21|Staatsorganisationsrechtlich ist die vorgesehene Übertragung von Kontrolleingriffen gegenüber Fluggästen auf private Unternehmen als Beliehene im Hinblick auf die in Art. 33 Abs. 4 GG enthaltene Verfassungsbestimmung problematisch und überprüfungsbedürftig. Nach Art. 33 Abs. 4 GG ist die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse als ständige Aufgabe in der Regel staatlichen Beamten vorbehalten. Bei der ausnahmslosen Erhebung personenbezogener Daten von Flugpassagieren und ihrer etwaigen Weiterleitung an staatliche Sicherheitsbehörden handelt es sich um hoheitsrechtliche Befugnisse.

Bei der zweiten verfassungsprozessualen Frage des Falles ist die Problematik einer präventiven Beschwerdebefugnis gegen Gesetzesvorhaben zu erörtern.

4. Gutachterlicher Prüfungsauftrag

Aus den Fragestellungen am Ende der Aufgabenstellung ergeben sich gegenüber den ermittelten Rechtsfragen des Falles keine Abweichungen.

Gutachten

Vorbemerkung: Die Einführung einer neuen Sicherheitstechnologie an Flughäfen in Form von Körperscannern ist aufgrund ihres routinemäßigen und massenhaften Einsatzes bei allen Fluggästen und aufgrund der erheblichen Eingriffe in Persönlichkeitsrechte durch Einblicke in den unbekleideten Körper eine wesentliche Frage, die nur der Gesetzgeber regeln kann. Durch einen bloßen Rückgriff auf die bestehenden polizeirechtlichen Generalklauseln zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung lässt sich die geplante Einführung der neuen Durchleuchtungstechnologie nicht rechtfertigen. Die polizeirechtlichen Generalklauseln kommen also als Ermächtigungsgrundlagen für die Einführung der Scannertechnologien von vornherein nicht in Betracht. Das ergibt sich auch aus der Fragestellung des Falles, die klar auf die Verfassungsmäßigkeit der geplanten Änderung des § 5 Luftsicherheitsgesetzes abstellt.

Erste Fallfrage: Ist der vorgelegte Gesetzesentwurf zur Änderung des § 5 Abs. 1 S. 1 Luftsicherheitsgesetz mit dem Grundgesetz vereinbar?
I. Eingriff der geplanten Änderung des § 5 Abs. 1 S. 1 Luftsicherheitsgesetz in die grundrechtliche Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG

Nach dem Wortlaut des Art. 1 Abs. 1 GG und nach dem System des Grundgesetzes ist die Menschenwürde „unantastbar“. Das wird in Lehre und Rechtsprechung über die vom operativen Grundrechtsteil abgehobene Wortwahl des Art. 1 Abs. 1 GG hinaus zusätzlich aus dem Fehlen jeglichen Schrankenvorbehalts zur Menschenwürdegewährleistung hergeleitet. Jeder staatliche Eingriff in die Menschenwürde stellt somit nach |22|klar überwiegender, wenn auch nicht mehr unwidersprochener Auffassung in Lehre und Rechtsprechung zugleich ihre Verletzung dar. Zu prüfen ist also ein staatlicher Eingriff in Art. 1 Abs. 1 GG durch die geplante Gesetzesänderung (Zum Aufbau: auf die Problematik einer Abwägbarkeit der Menschenwürde mit überragenden Gemeinschaftsgütern, wie etwa der öffentlichen Sicherheit, ist im Anschluss an die Schutzbereichserörterung einzugehen. Hier kann dann auch die Streitfrage erörtert werden, ob der verfassungsrechtliche Menschenwürdegehalt überhaupt abwägungsoffen ist oder nicht).

Der grundrechtliche Gehalt der Menschenwürde liegt im Selbstbestimmungsrecht jedes Einzelnen über den Status und die Reichweite der eigenen Persönlichkeitssphäre und des hiermit verbundenen Achtungsanspruchs gegenüber Staat und Gesellschaft (Art. 1 Abs. 1 S. 2: „zu achten und zu schützen“).[10] Auch[11] hier ist somit der klassische negatorische Ausschlussgehalt der Menschenwürde als Grundrecht zunächst einmal maßgeblich, der aber – im Unterschied zur bloßen allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG – alle Bereiche der menschlichen Persönlichkeit umfasst, nicht nur die verhaltensbezogenen, geäußerten Formen, sondern auch „innere Werte“, wie u.a. die Intimsphäre und das Schamgefühl. Hinzu kommt, dass die Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG von der staatlichen Gewalt „zu achten und zu schützen ist“. Diese Schutzpflicht geht über einen rein klassischen negatorischen Grundrechtsgehalt hinaus.

1. Sog. Objektformel

Dieser grundrechtliche Gewährleistungsgehalt der Menschenwürde wird nach unverändert überwiegender Auffassung in Lehre und Rechtsprechungspraxis in die sog. Objektformel gekleidet. Danach darf der Mensch nicht zum bloßen Objekt staatlichen Handelns degradiert werden. Dies sei der Fall, wenn seine Subjektqualität in Frage gestellt werde, das heißt „die Behandlung durch die öffentliche Gewalt die Achtung des Wertes vermissen lässt, der jedem Menschen um seiner selbst willen zukommt“ (BVerfGE 109, 279, 312f.; BVerfG, Urteil vom 15.02.2006, 1 BvR 357/05, NJW 2006, 751, 757f.).

Der Körperscanner erzeugt Bilder, auf denen u.a. intime Details des Körpers des jeweiligen Fluggastes sichtbar werden. Dadurch wird das individuelle Schamgefühl tangiert. Da diese Form der Sicherheitskontrolle per Gesetz allgemeinverbindlich für alle ausgestaltet werden soll, bleibt dem Einzelnen keinerlei Vermeidungs- und Rückzugsmöglichkeit mehr. Die Prozedur muss hingenommen werden, auch bei entschiedener Ablehnung durch den einzelnen Fluggast. Andernfalls steht das Flugzeug als Transportmittel nicht mehr zur Verfügung. Ob und inwieweit dieser Eingriff in den Intimbereich und das Schamgefühl der Fluggäste technisch durch Verschleierungen des Einblicks des Sicherheitspersonals in körperliche Einzelheiten der Fluggäste verhinderbar ist und hieraus ggf. eine modifizierte Beurteilung der Frage des Eingriffs in die Menschenwürde folgt, ist aufgrund der Angaben im Sachverhalt nicht zu er|23|örtern. Im Sachverhalt heißt es, dass solche Verschleierungstechniken noch nicht zur Verfügung stehen.

 

Hinweis zur gutachterlichen Prüfung der Objektformel

Eine Auseinandersetzung mit der sog. Objektformel als in Lehre und Rechtsprechung übereinstimmend hervorgehobenes Substrat des grundrechtlichen Gewährleistungsgehalts der Menschenwürde ist für die hier verlangte Prüfung eines staatlichen Eingriffs in den Schutzbereich der Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG unerlässlich. Dabei muss der in der Objektformel verankerte individualrechtliche Schutz- und Gewährleistungsgehalt der Menschenwürde fallbezogen zum Tragen kommen. Die bloße These, durch die Einführung der Scannertechnologie würden alle Flugpassagiere zum „Objekt staatlicher Behandlung“ degradiert, wäre gutachterlich unzureichend. In ihr fehlt jede Begründung für den individualrechtlichen Schutz- und Gewährleistungsgehalt des Menschenwürdegrundrechts. Eine solche Begründung kann nur aus der Werthaftigkeit der Menschenwürde gewonnen werden, die in jedem Menschen verankert ist, weil er Mensch ist. Die konkrete Frage lautet also, ob diese Werthaftigkeit jedes Menschen mit der flächendeckenden Einführung der Scannertechnologie missachtet würde. Das lässt sich nicht mit stereotypen Pauschalierungen beantworten, zu denen die Objektformel leider verleitet.

Die Objektformel liefert nicht mehr als eine Grundorientierung für den gutachterlichen Umgang mit der Menschenwürde, wobei viele konkrete Einzelfragen und Abgrenzungen offenbleiben. So ist es beispielsweise keineswegs klar, ob eine Degradierung des Einzelnen zum Objekt staatlicher Behandlung schon in zielmäßig klar begrenzten Einzelmaßnahmen liegen kann, in denen ersichtlich eine – für sich genommen unstreitige und allgemein akzeptierte – staatliche Sicherheitsverantwortung zum Ausdruck kommt, ohne jede staatliche Absicht der Degradierung des Einzelnen zum Objekt. Der zeitlich kurze Kontrollvorgang – 30 bis 40 Sekunden – und die unterschiedslose Anwendung auf alle Fluggäste, lassen klar erkennen, dass das Ziel der neuen Scannertechnologie nur darauf ausgerichtet ist, hochbrisante Einzelfälle im Interesse der Flugsicherheit für alle herauszufiltern. Hier kann man durchaus Zweifel an einer Objektbehandlung haben. Umgekehrt spricht der Ausschluss jeder Rückzugs- und Vermeidungsmöglichkeit für den Einzelnen für eine Objektbehandlung. Die Objektformel ist also in ihrer konkreten Anwendung auf den Fall erörterungsbedürftig.

2. Zwischenergebnis

Die vorausgegangenen Überlegungen lassen bei entsprechender Begründung sowohl eine Bejahung als auch eine Verneinung eines Eingriffs in die Menschenwürde zu. Eine konkrete Fallanalyse spricht wohl eher dafür, einen Eingriff in die Menschenwürde zu verneinen. Der Kontrolleingriff bleibt, ungeachtet einer Beeinträchtigung des Schamgefühls und der Intimsphäre, begrenzt und strikt auf die Durchführung von Sicherheitsaufgaben bezogen.

|24|3. Abwägungsoffenheit der Menschenwürde

Nur wenn man einen Eingriff in die Menschenwürde bejaht, stellt sich nach dem heutigen Stand der Diskussion des Art. 1 Abs. 1 GG im verfassungsrechtlichen Schrifttum die Frage, ob die Menschenwürde mit anderen Verfassungsgütern abgewogen werden kann. Eine Antwort hierauf hängt von der Deutung des verfassungsrechtlichen Gewährleistungsgehalts der Menschenwürde ab. Das im Schrifttum noch immer deutlich überwiegende Verständnis als strikt absoluter Wert schließt eine solche Öffnung für Abwägungen aus. Es mehren sich jedoch Stimmen in der Lehre, die strikte und absolute Verfassungspositionen auch im Hinblick auf den „obersten Wert“ der Verfassung, die Menschenwürde, nicht mehr akzeptieren. Auf diese Diskussion einzugehen, besteht im vorliegenden Fall keine Veranlassung. Dem stehen die erheblichen Zweifel im Wege, ob überhaupt in den Schutzbereich der Menschenwürde eingegriffen wird.

II. Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach Art. 2 Abs. 1 GG

Das in der Rechtsprechung des BVerfGs entwickelte allgemeine Persönlichkeitsrecht nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG hat, durch Weiterentwicklungen dieser Rechtsprechung, verschiedene Ausprägungen erfahren. Im vorliegenden Fall kommen Verletzungen

 des Schutzes der körperlichen Intimsphäre und

 des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung in der Form des Rechts am eigenen Bild

in Betracht.

1. Eingriff in den Schutzbereich der Intimsphäre

Der Körperscanner dringt in die engste persönliche Lebenssphäre, in die Intimsphäre ein. Das ist derjenige Persönlichkeitsbereich, den der Grundrechtsinhaber gegenüber dem Staat vollständig verschließt (BVerfGE 6, 32, 41; 38, 312, 320) und den er anderen Personen in der Regel nur im Rahmen enger persönlicher Vertrauensverhältnisse öffnet. Dazu gehört auch, dass man sich in der Öffentlichkeit nur in bekleidetem Zustand zeigt. Das BVerfG hat die Entkleidungsdurchsuchung im Strafvollzug nur im Einzelfall unter engen Voraussetzungen für einen rechtfertigungsfähigen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht bezeichnet. Zu diesen Voraussetzungen gehört die Anordnung der Entkleidungsdurchsuchung durch den Anstaltsleiter im Einzelfall aus besonderem Anlass. Als ein solcher Anlass wurde der konkrete Verdacht auf Drogenbesitz akzeptiert, nachdem der Strafgefangene Besuch im Gefängnis erhalten hatte (BVerfG, Beschluss vom 04.02.2009, 2 BvR 455/08). Die Durchleuchtung von Flugpassagieren durch Körperscanner kommt dadurch, dass der unbekleidete Körper des Fluggastes für das Kontrollpersonal sichtbar wird, einer Entkleidung gleich. Dieser Entkleidungseffekt kann zwar verfahrensmäßig in gewissem Umfang abgemildert werden. Etwa durch eine räumliche Trennung der durchleuchteten Personen vom Kontrollpersonal. Er wird aber durch solche Maßnahmen nicht effektiv verhindert, da in der Kontrolle des unbekleideten Körpers der Zweck der Sicherheitsmaßnahme liegt.

|25|Hinweis: Direkter staatlicher Eingriff

Schon in der ausnahmslosen gesetzlichen Anordnung der Durchleuchtung von Flugpassagieren als flächendeckende Sicherheitsmaßnahme liegt eine allgemeinverbindliche Rechtsgrundlage für direkte Eingriffe in Grundrechte der Flugpassagiere, wenn auch zunächst nur in potentieller Form. Die tatsächliche Scannerdurchleuchtung bedarf administrativer Umsetzung gegenüber den einzelnen Flugpassagieren durch das Flughafenpersonal. Dass es sich bei diesem Personal um Angestellte einer privatrechtlichen Betreibergesellschaft handelt, schließt den auch auf der administrativen Ebene stattfindenden direkten staatlichen Eingriff nicht aus. Denn der Gesetzgeber hat für den Flughafenbetreiber und sein Personal die Rechtsstellung als Beliehene vorgesehen. Er hat sie also mit staatlichen Eingriffskompetenzen ausgestattet.

Ein direkter staatlicher Eingriff in die Intimsphäre ist zu bejahen.

Eine zusätzliche Eingriffswirkung in das allgemeine Persönlichkeitsrecht liegt in der gesetzlichen Ausgestaltung der Durchleuchtung mittels Körperscanner als ausnahmslose Zwangsmaßnahme. Selbst Fluggäste, denen die Durchleuchtung des eigenen Körpers im Interesse der Flugsicherheit im Hinblick auf die Beeinträchtigung ihres Intimbereichs eher gleichgültig ist, werden von dieser strikten Eingriffswirkung erfasst. In Verbindung mit dem erzwungenen visuellen Eindringen in die Intimsphäre von Fluggästen liegt in diesem Zwangscharakter noch einmal eine erhebliche Verschärfung des Eingriffs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht.

2. Mögliche Eingriffsrechtfertigung

Im Unterschied zu einer – isolierten – staatlichen Antastung der Menschenwürde sind Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht trotz der Verknüpfung dieses Rechts mit einem Menschenwürdegehalt aus Art. 1 Abs. 1 GG rechtfertigungsfähig. Das ergibt sich systematisch daraus, dass das BVerfG das allgemeine Persönlichkeitsrecht maßgeblich in Art. 2 Abs. 1 GG verankert sieht, also den Menschenwürdegehalt in einen individualrechtlichen Verhaltenskontext stellt.

Die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG wie auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG werden übereinstimmend durch die Schrankentrias des Art. 2 Abs. 1 GG, also die verfassungsmäßige Ordnung, die Rechte anderer und das allgemeine Sittengesetz, eingeschränkt. Dem Umstand, dass sich im allgemeinen Persönlichkeitsrecht mit unterschiedlicher Intensität ein Menschenwürdegehalt äußert, trägt das BVerfG durch eine an der Sphärentheorie ausgerichtete Handhabung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes Rechnung. Je mehr gesetzliche Eingriffe die Privatsphäre oder gar die Intimsphäre beeinträchtigen, je höher sind die zur Rechtfertigung solcher Eingriffe maßgeblichen Anforderungen. Entsprechend geht das BVerfG auch innerhalb der allgemeinen Handlungsfreiheit und der Prüfung der Verhältnismäßigkeit in diese vor: „Je mehr dabei der gesetzliche Eingriff elementare Äußerungsformen der menschlichen Handlungsfreiheit berührt, umso sorgfältiger müssen die zu seiner Rechtfertigung vorgebrachten Gründe gegen den grundsätzlichen Freiheitsanspruch des Bürgers abgewogen werden.“ (BVerfGE 17, 306, 314).

|26|Auf der Grundlage dieser Maßstäbe sind fallbezogene Ausführungen zu den drei Grundelementen des Verhältnismäßigkeitsprinzips erforderlich, und zwar sowohl vor dem Hintergrund eines Eingriffs in die Intimsphäre als auch vor dem Hintergrund einer ausnahmslos zwangsweisen Anordnung der Anwendung von Körperscannern für alle Fluggäste ohne deren Zustimmung. Was den letzten Aspekt betrifft, sind vergleichende Überlegungen zur polizeirechtlichen Gesetzeslage aufschlussreich. Gemäß § 43 Bundespolizeigesetz können Personen im Rahmen der Aufgabe des Schutzes vor Angriffen auf die Sicherheit des Luftverkehrs nur dann durchsucht werden, wenn sie nach einer Rechtsvorschrift polizeilich festgehalten werden können. Untersuchungen einer Person „nach Waffen, Explosionsmitteln und anderen gefährlichen Gegenständen“ sind nach § 43 Abs. 3 BPolG nur im Rahmen der polizeilichen Identitätsfeststellung und nur bei gegebenem konkreten Anlass zulässig. Diese Linie wurde auch in der bisher geltenden Fassung des § 5 Luftsicherheitsgesetzes verfolgt, die generelle und anlasslose Durchleuchtungen von Personen nicht zuließ.

Bei dieser Gesetzeslage kommt der ausnahmslosen und zwangsweisen Anordnung der Anwendung der Körperscannertechnologie besonderes Gewicht im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu. Zu der gegenwärtig noch immer sehr umstrittenen Frage des tatsächlichen Sicherheitsgewinns durch diese Technologie können keine näheren Ausführungen gemacht werden, weil der Sachverhalt in diesem Punkt völlig offenbleibt. Spekulative Ausführungen zu diesem Punkt wären gutachterlich fehlerhaft.

Ein sehr konkreter und diskussionsbedürftiger Punkt für die Verhältnismäßigkeitsprüfung – und zwar sowohl unter dem Kriterium der Eignung als auch der Erforderlichkeit – ist der Hinweis im Sachverhalt auf die gänzlich andere Behandlung des Begleitgepäcks. Zumindest für die Gruppe der potentiellen Suizidattentäter erweist sich die lediglich stichprobenartige Durchsuchung von Gepäckstücken als effektive Ausweichmöglichkeit für Körperkontrollen, die in ihrer Verschärfung vor diesem Hintergrund fragwürdig werden. Auch die anderen Fälle, in denen Personen für einen bestimmten Flug einchecken und Gepäckstücke aufgeben, die Explosivstoffe enthalten, ohne dann selbst das Flugzeug zu besteigen, werfen eine Reihe erörterungswürdiger Fragen im Rahmen der Verhältnismäßigkeitskontrolle auf. Sicherheitslücken für diese Fälle könnten vermieden werden, wenn eingecheckte Personen, die nicht die Reise antreten, zu einer eingehenden Kontrolle des gesamten Reisegepäcks im Frachtraum führen würden. Das ist aber nicht die Praxis im heutigen Flugverkehr.

Es sprechen gute Gründe dafür, in der flächendeckenden Einführung der Scannertechnologie für Passagierkontrollen bei gleichzeitig nur stichprobenartiger Kontrolle von Fluggepäck, das in demselben Flugzeug mitgeführt wird, einen unverhältnismäßigen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Passagiere zu sehen. Zwar bliebe der Eingriff durch Scannerdurchleuchtung der Passagiere derselbe, wenn das Begleitgepäck nicht nur stichprobenmäßig, sondern ausnahmslos kontrolliert würde. Abweichungen ergäben sich aber sowohl hinsichtlich der Geeignetheit als auch der Erforderlichkeit der Durchleuchtung der Passagiere. Wenn das Begleitgepäck flächendeckend kontrolliert wird und Risiken in diesem Bereich ausgeschlossen werden können, stellen unter der Kleidung am Körper versteckte Gegenstände das einzig verbleibende Sicherheitsrisiko dar. Damit erhöhten sich Eignung und Erforderlichkeit und mit ihnen die Rechtfertigungsfähigkeit der Durchleuchtung der Passagiere.