Roland Emmerich

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Aus der Reihe: Film-Literatur
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Interview mit Roland Emmerich:

„In L.A. fühle ich mich zu Hause“

Wie lebt es sich denn als Schwabe in Los Angeles? Haben Sie sich schon perfekt assimiliert oder sich ihre deutsche Skepsis bewahrt?

RE: Im Kern bin ich natürlich noch Deutscher. So etwas kriegt man nicht los. Seine Wurzeln kann niemand verleugnen. Das geht auch meiner Schwester Ute so. Das wird sich auch niemals ändern. Wir sind aber natürlich amerikanisiert. Heißt: Wenn wir zu einem Restaurant fahren und da ist kein „Valet Parking“, dann nervt uns das. Und wenn wir eine Pizza bestellen und sie ist nicht innerhalb von 20 Minuten geliefert, dann wird natürlich auch gemeckert. Meine Schwester sagt immer, dass einem das Leben hier in L.A. wirklich sehr einfach gemacht werde – wenn man das Geld hat. Ich habe auch schon mal ein Jahr in London gelebt und fand es dort – was den Alltag angeht – schon wesentlich schwieriger. Autofahren kann man in London völlig vergessen. Zu viele Einbahnstraßen, zu viel Verkehr. Deshalb müssen Sie jeden Tag ein Taxi rufen. Und dann natürlich das ständig wechselnde Wetter. In meinem Haus in London bin ich ein Gast. In meinem Haus in L.A. fühle ich mich zu Hause. Das ist so etwas wie meine Heimat.

Wenn man sich in Ihrem Haus umguckt, fallen einem die vielen historischen Bösewichte auf, man findet Osama Bin Laden und andere, die Sie als Büsten oder Porzellanfiguren haben …

RE: … in meinem Haus in London habe ich da noch mehr. Das hat ästhetische Gründe. Mir gefällt einfach Propaganda-Kunst. Mir gefällt das Plakative daran! Es ist für mich einfach faszinierend, z.B. zu sehen, wie viele Formen und Figuren von Mao gegossen wurden. Es gibt ihn aus Metall oder aus Porzellan. Aber ich sammle nicht nur Diktatoren, sondern auch Penisse aus Holz oder Stahl, groß oder klein, manche mit Schrift, manche ohne. Ich habe irgendwann mal zwei gekauft, fand diese sehr witzig. Dann begann ich, eine Sammlung aufzubauen. Das sind Fruchtbarkeitssymbole, eine uralte Tradition. Vor allem in Asien. Ich habe hier in Los Angeles eine ganze Menge, aber in London noch viel mehr. Jedes Mal, wenn meine Mutter die sieht, verzieht sie das Gesicht und ist empört. (lacht) Ich bin tatsächlich ein Sammler. Vor unserem Interview hatte ich kurz Zeit und mich im Blackman Cruz Store umgeguckt, die haben Sachen, die ich mag. Was ich dort gefunden habe und extrem witzig finde: eine Pistole zur alten Flash Gordon-Serie. Ein Kinderspielzeug aus den 1950er Jahren – aber es sieht aus wie ein Kunstobjekt. Oder einen Feuerwehrhelm, Jahrhundertwende. Er sieht aus wie der Helm von Darth Vader, nur viel schöner.

Sie sind jetzt seit über 25 Jahren in Los Angeles. Fühlen Sie sich inzwischen als Amerikaner?

RE: Ich würde sagen, ich bin Kalifornier. Dennoch behält man seine Nationalität. Interessanterweise kommen mir die 25 Jahre hier in Kalifornien wesentlich länger vor als die 34 Jahre in Deutschland. In dieser Zeit ist für mich einfach wesentlich mehr passiert. Als ich damals hier ankam, versuchte ich mich erst mal zu orientieren. Wollte wissen, wie man hier lebt, was man so macht. Es ist ein ganz, ganz langsamer Prozess. schließlich ist es nicht so, dass man sagt: „Yeah, jetzt bin ich in Amerika.“ Bis man wirklich ankommt, dauert das seine Zeit. Erst ist es natürlich wahnsinnig aufregend. Alles ist neu, man fühlt sich lebendig. Dann, nach vier oder fünf Jahren, kippt es ins Gegenteil. Sie sind von allem genervt und überlegen sich, ob es nicht besser wäre, woandershin zu ziehen. Und dann stellen Sie fest: Hier in Kalifornien ist es perfekt. Das Wohnen ist toll, das Klima herrlich und es wird einem alles einfach gemacht. Das Gefühl ist irgendwie, als sei man auf einer Insel. Ein Filmemacher wie ich muss ja auch viel reisen. Wenn ein neuer Film von mir Premiere hat, muss ich um die ganze Welt reisen. Außerdem reise ich auch privat sehr gerne und viel. Aber es ist für mich immer ein schönes Gefühl, wieder zurück, nach Hause zu kommen. Ich fühle mich hier wirklich wohl.

Können Sie sich noch erinnern, wann Sie zum ersten Mal in Amerika waren?

RE: Das war schon als Kind. Mein Vater sagte zu mir, dass mein Bruder Wolfgang nach Irland und mein Bruder Andy nach Frankreich gehen würden. Und nun wollte er von mir wissen, wohin ich wolle. Aus Jux sagte ich: „Amerika.“ Und so kam ich hierher zu einem Geschäftskollegen meines Vaters. Diese Erfahrung hat mich wirklich geprägt. Ich war damals acht Wochen hier. Ich habe tolle Erinnerungen an diese Zeit. Ein Highlight war der Besuch in Washington D.C., da war es wahnsinnig heiß und wir standen vor dem Weißen Haus und dem Capitol. Toll! Großartig war auch der Ausflug nach Chesapeake Bay, wo sie alte Schiffe einmotten, oder in die Cherokee Mountains, ins Indianerreservat. Das hat mich alles geprägt. Darüber habe ich mich auch viel mit Ossi von Richthofen unterhalten, der mit mir zusammen eine Art amerikanischer Fraktion auf der Filmhochschule in München bildete. Auch er war als Teenager oft in Amerika. Während unserer Studienzeit besuchte er einmal Verwandte in Kalifornien und brachte einen Sticker zurück: HFF – see you in Hollywood. Den klebten wir auf mein Auto und es haben sich alle furchtbar darüber aufgeregt. Dabei war es von uns nur als Spaß gemeint. Wir provozierten da aber natürlich schon ein bisschen. Es gab auf der HFF immer endlose Diskussionen, wenn Filme neu herauskamen. Und als Star Wars gestartet war, wurde er von den meisten Studenten als purer Kommerz abgetan. Wir aber sagten: „Es ist auch ein guter Film!“ Das war die Zeit, in der ich mich an der Filmhochschule, sehr zum Entsetzen vieler, zu meinen US-Vorbildern bekannte. Ich sagte, dass ich nichts mit Wim Wenders oder Rainer Werner Fassbinder anfangen könne. Meine Helden waren Martin Scorsese, Francis Ford Coppola, Steven Spielberg oder George Lucas. Sie waren mir wesentlich näher als die deutschen Filmemacher. So unglaublich das heute klingen mag: Aber wenn man so etwas damals auf der HFF offen sagte, ging ein Aufschrei durch die Klasse. In dieser Zeit begann sich eine kleine Gruppe zu bilden, die sich zum Hollywood-Kino bekannte. Ossi von Richthofen, Gabi Walther oder Egon Werdin. Wir waren Studenten, die kommerzielle Filme machen wollten, keine Kunst. Als Provokation antwortete ich immer auf die Frage, wer mein Regievorbild sei: Harald Reinl. Der hatte Winnetou- und Edgar-Wallace-Filme gemacht. Natürlich war er nicht mein Lieblingsregisseur, aber ich wollte mir diese Provokation nicht entgehen lassen.

Das SOLO-Imperium und der Emmerich-Clan:

Die Wurzeln

Vielleicht war es Liebe auf den ersten Blick. Sehr wahrscheinlich sogar. Aber so genau weiß sich Hilde Klein nicht zu erinnern. Denn 1947 tauschte sie noch romantische Briefe mit einem anderen jungen Mann aus, einem Grenzer, den sie erst kurz zuvor im Urlaub kennengelernt hatte. Da stand eines Tages plötzlich Hans Emmerich vor ihr. Er kam als ehemaliger Leutnant aus der französischen Kriegsgefangenschaft zurück und suchte eine Bleibe. Und im Hause Klein war eine Wohnung freigeworden, die tatsächlich an ihn vermietet werden konnte. Auch Hans hatte während des Krieges, als er verwundet im Krankenhaus lag, jemanden kennengelernt, dem er schrieb.

Hilde, die damals Anfang 20 war, zeigte sich jedoch schon bald von dem „klapperdürren“ Neuankömmling sehr angetan. Denn der packte überall mit an, war hilfsbereit und sich für nichts zu schade. Ein echter Macher eben! Er half auch mit, den hauseigenen Wein zu verarbeiten. „Mir hat gefallen“, so erinnert sie sich heute, „dass er sehr spontan, witzig und ein echter Workaholic war. Wie ich auch.“

Bald schon begann er mit seinem älteren Bruder Heinz in der Scheune der Familie Klein zu basteln und zu tüfteln. Die beiden hatten sich nach dem Krieg zusammengesetzt, um zu überlegen, womit sie ihren Lebensunterhalt verdienen könnten. Heinz war der Ingenieur, Hans der Kaufmann. Eine perfekte Kombination. Sie kamen dann auf die Idee, leichte Verbrennungsmotoren zu entwickeln, die in tragbare Geräte eingebaut werden konnten. Und so kam es zur bahnbrechenden Erfindung mobiler Motorsprühgeräte, die beide reich machten.

Und weil diese tragbaren Sprühgeräte von Einzelpersonen benutzt werden konnten, kam es zum Firmennamen SOLO. Am 10. Februar 1948 wurde die eigene Firma gegründet. Die beiden Brüder hatten sofort riesigen Erfolg und reisten von Messe zu Messe. Die Geräte wurden ihnen dabei regelrecht aus den Händen gerissen. Damit war der Grundstein für ein kleines schwäbisches Firmenimperium gelegt, das schließlich in der ganzen Welt bekannt wurde. SOLO eröffnete Filialen und Werke u.a. in den USA, Südamerika, Australien, Frankreich und der Schweiz. Neben Sprühgeräten stellte die Firma aber auch schon bald andere Gerätschaften her, ob Rasenmäher, Motorsägen oder Mofas, und eroberte damit den Markt. 1972 z.B. brachten die Brüder mit dem Solo 720 das erste Elektro-Mofa der Welt auf den Markt, wofür sie später vom Bundeswirtschaftsminister ausgezeichnet wurden. Durchsetzen konnte es sich aber auch in der Zeit der Ölkrise nicht, was mit dem hohen Preis von damals 1.100 Mark zu erklären ist.

Hilde Klein erlebte den Aufstieg der Firma hautnah mit, denn sie wurde am 25. Februar 1950 zu Hilde Emmerich. Schon nach kurzer Zeit waren Hans und sie sich in der Blautopfstraße 18 in Stuttgart-Obertürkheim näher gekommen. Immer, bevor er sich auf den Weg zu einer Messeveranstaltung machte, schrieb Hans ihr kleine romantische Briefchen. Wovon freilich Hildes Eltern anfangs nichts wissen durften. Gleichzeitig beendeten die beiden ihre Korrespondenzen mit ihren früheren Bekanntschaften. Und nachdem auch Hildes Vater sich von dem hilfsbereiten jungen Mann begeistert zeigte, stand einer Heirat schließlich nichts mehr im Wege.

In der Blautopfstraße kamen schließlich auch die vier Kinder auf die Welt: 1951 Wolfgang, 1954 Andreas, 1955 Roland und schließlich 1961 Ute.

 

Später ließ sich das Ehepaar Emmerich eine ebenso große wie moderne Flachdach-Villa auf einer Anhöhe im schwäbischen Industrieort Sindelfingen bauen. Ein wundervolles Areal mit eigener Quelle, Hallenbad, üppig bepflanztem Garten und herrlichem Blick über die Stadt. Die perfekte Idylle. Vor allem auch für Kinder. Dorthin zog die Familie 1963. Hilde Emmerich lebt noch heute dort. Sie sei hier „einfach fest verwurzelt“ und liebe den Garten, das ganze Terrain, nach wie vor heiß und innig. Ihr Mann Hans verstarb überraschend am 1. Januar 2005. Er erlag einem Herzinfarkt. Die Söhne Wolfgang und Andreas hatten zu diesem Zeitpunkt schon längst die Geschäftsführung von SOLO übernommen.

Roland und Ute wiederum leben und arbeiten bereits seit 1990 in der Film-Traumfabrik von Los Angeles.

Interview mit Hilde Emmerich:

„Kein Durchschnittskind“

An welche Anekdoten erinnern Sie sich, wenn Sie an Ihren Sohn als kleinen Jungen denken?

HE: In besonderer Erinnerung ist mir folgende Situation: Wir waren erst kurz zuvor in unser neues Haus in Sindelfingen umgezogen, das sich auf einem Hügel befindet. Damit die Kinder richtig spielen konnten, haben wir vieles begradigt – aber trotzdem kam es zu einem Unfall. Roland spielte Fußball, rannte den Garten hinunter und fiel über die Mauer. Er brach sich dabei das Handgelenk und musste ins Krankenhaus. Weil ihm später oft der Arm auskugelte, dachte ich lange Zeit, dass das vielleicht eine Folge des Sturzes war …

Wie war er als Kind?

HE: Roland war kein Durchschnittskind, wie ich finde. Er fiel schon im Kindergarten durch seine künstlerische Begabung auf und konnte wirklich toll zeichnen und malen. Während seiner Schulzeit half er auch einer Klassenkameradin, die Mode studieren wollte, indem er ihr für die Bewerbungsmappe alle Zeichnungen erstellte. Er hatte immer großartige Ideen und lief nie mit der Masse mit. Auch war er alles andere als ein Rowdy. Im Gegensatz zu seinem Bruder Andy hatte er auch keinen riesigen Freundeskreis, sondern verhielt sich eher zurückhaltend. Roland suchte seine Freunde genau aus. Allerdings war er schon sehr lebendig, unruhig und hatte immer was am Laufen. Als Kind ist er manchmal mit seinen Geschwistern und seiner Cousine Renate auf Friedhöfen herumgewandert und hat sich über die absurden Namen auf manchen Grabsteinen amüsiert. Renate erzählt immer, das sei gewesen wie bei Tom Sawyer und Huckleberry Finn. Er hat später mit 15 oder 16 immer Grabsteine und Särge gemalt. An seinem 21. Geburstag ließ er sich schließlich in einem Sarg beerdigen. Er hat das damals im Geheimen zelebriert, auf einem angemieteten Gartengrundstück, mit engen Freunden. Mein Mann und ich wussten nichts davon. Als ich es später erfahren habe, war ich geschockt. Aber es hat wohl mit seinem schwarzen Humor zu tun, vielleicht auch mit Surrealismus, der ihm sehr gefiel. Was Roland vor allem war: Ein absoluter Bücherwurm. Ich kann mich erinnern, dass er z.B. schon als Steppke alles von Hermann Hesse gelesen hatte. Aber auch wenn Roland manchmal etwas eigen war, zu den Familien-Ausflügen ging er immer mit, selbst wenn er vielleicht das eine oder andere Mal gar nicht so viel Lust darauf hatte. Beispielsweise waren wir lange Zeit jeden Samstag auf der Teck, weil unser Sohn Wolfgang gerne Modellflugzeuge steigen ließ und später auch zum Segelflieger wurde. Im Übrigen erlebten wir viele klassische Familienurlaube, an die ich immer noch wundervolle Erinnerungen habe. Im Winter waren wir oft im Engadin Skifahren, im Sommer in Spanien, an der Costa Brava.

Wie haben Sie die ersten filmischen Gehversuche Ihres Sohnes erlebt?

HE: Wir konnten zuerst nicht so viel damit anfangen. Weil es halt so was ganz anderes war. Andererseits war auch beispielsweise mein Mann Hans sehr filmbegeistert. Er drehte viele Super-8-Filme. Immer wenn wir im Urlaub waren, rannte Hans mit der Kamera herum.

Lebhaft in Erinnerung sind mir die ersten Filme von Roland deshalb, weil ich oft für die ganze Crew kochen musste. Bereits bei seinem Studentenprojekt Franzmann wuselten hier viele herum. Ich machte ihnen Boeuf Stroganoff mit Spätzle und es schmeckte ihnen wunderbar. Bei Das Arche Noah Prinzip kochte ich Kartoffelsuppe mit Würstchen und brachte das Ganze in Kochtöpfen zum Drehort. Manchmal mussten wir hier auch 40 bis 50 Butterbrezeln schmieren. Natürlich haben viele hier zudem übernachtet, weil niemand von der Filmproduktion Geld besaß. Aber ich muss sagen, dass ich mich sehr gerne an diese Zeit zurückerinnere. Ich bin mit diesen Leuten wunderbar ausgekommen, es war ein Riesen-Spaß. Und ich habe mit vielen von ihnen heute noch Kontakt, weil sie sich regelmäßig bei mir melden. Das finde ich natürlich sehr erfreulich. Ich habe damals natürlich auch mitgekriegt, dass irgendwann mal das Geld ausging und mein Mann einspringen musste. Rolands Ideen waren immer phantastisch, aber sie kosteten eben auch Geld.

Wie haben Sie darauf reagiert, als Roland und Ute Ihnen erklärten, dass sie nach Amerika ziehen wollten?

HE: Die beiden hatten ja schon immer ein Faible für die USA und waren auch schon vorher mehrfach dort. Das war eine logische Konsequenz. Hier in Deutschland wurde Roland als „Spielbergle“ belächelt und hatte einfach ab einem bestimmten Moment keine Lust mehr, sich das anzuhören. Zumal er von Mario Kassar nach Moon 44 ein Angebot bekam, das er nur schwerlich hätte ausschlagen können. Und weil er bei all seinen Filmen mit Ute eng zusammengearbeitet hatte, war klar, dass auch sie mitgehen würde. Zuerst war es schwierig für mich, das zu akzeptieren, fast ein Schock. Schließlich sind es ja meine Kinder. Ich erinnere mich daran, dass Roland eines Abends seinen Vater aus den USA anrief und ihm erklärte, er habe ein lukratives Angebot bekommen. Mein Mann meinte zu ihm: „Es kann dir gar nichts Besseres passieren. Nimm das Angebot an!“ Mein Mann war lange Zeit für Roland ein enger Vertrauter, mit dem er alles besprechen konnte.

Es fällt auf, dass Ihr Sohn Sie in ganz vielen Interviews oder Ansprachen erwähnt. Schmeichelt das?

HE: Natürlich schmeichelt mir das. Ich bin auch wirklich stolz auf Roland und das, was er erreicht hat. Natürlich höre ich eher selten von ihm, meistens telefoniere ich mit Ute. Roland ist ständig im Stress und umringt von einem Tross von Leuten. Es ist etwas schwierig, sich mit ihm in Ruhe unterhalten zu können. Deswegen freue ich mich natürlich umso mehr, wenn er mich immer an Weihnachten besuchen kommt – sofern es ihm möglich ist. Er hat mich auch schon auf sein Schiff in Thailand mitgenommen, die Maid Marian II. Das war herrlich. Zusammen mit meinen fünf Enkeln. Einmal reservierte er mir eine Hotel-Suite in Bangkok, die so überwältigend groß war, dass ich dachte, ich könnte darin tanzen.

Vom Hobby-Künstler zum Kino-Enthusiasten:

Roland Emmerich entdeckt seine Leidenschaft

Nein. Die Schule hat ihn alles andere als begeistert. Er war ein höchst durchschnittlicher Schüler und am Lehrstoff wenig interessiert. Um einen Streber hat es sich bei ihm wahrlich nicht gehandelt. Zwar hatte er erkannt, dass es wichtig war, Abitur zu machen, war dieses doch die Eintrittskarte in ein späteres Berufsleben. Aber der Unterricht langweilte ihn einfach. Während der Mathelehrer sich darum bemühte, den Satz des Pythagoras detailliert zu erläutern, oder im Physikunterricht der Faraday-Effekt besprochen wurde, pflegte Emmerich seine Gedanken um andere, wesentlich aufregendere Dinge kreisen zu lassen: Er träumte von den phantastischen Welten der Malerei.

Seit frühester Kindheit war er ein begeisterter Freizeit-Künstler, malte viel und gern, einerseits surreale, teils düstere Ölgemälde im Stil von Dalí, andererseits traditionelle Portraits. Bereits als 16-jähriger Steppke machte er in seinem Heimatort Sindelfingen durch sein ausgeprägtes künstlerisches Talent von sich reden. Mit präzisen Strichen zeichnete er Portraits von Nachbarskindern und besserte damit sein Taschengeld auf. Wobei ihn der Spaß an der kreativen Arbeit wesentlich stärker reizte als die Entlohnung, schließlich entstammte er einem gutsituierten Elternhaus und war der Sohn des erfolgreichen Fabrikanten Hans Emmerich, der in den Nachkriegsjahren zusammen mit seinem Bruder Heinz für eine Revolution im Kaffee-, Kakao- und Weinanbau gesorgt hatte. Bevor die beiden Brüder damals ihre Erfindung auf den Markt brachten, mussten sich die Kaffee- und Kakao-Pflanzer ebenso wie die Weinbauern mit handbetriebenen Maschinen abplagen, um ihre Schützlinge zu besprühen. Das mobile Gerät mit Benzinmotor war dann natürlich zum Verkaufsschlager geworden und machte Hans und Heinz Emmerich zu Millionären.

Das Erfolgsrezept: Erfindungsreichtum und Tüchtigkeit gepaart mit Geschäftssinn und Durchsetzungsvermögen. Die gleichen Eigenschaften scheinen sich später auch auf Sohn Roland übertragen zu haben. Als 20-Jähriger brachte Emmerich seine Lehrer etwa zur Weißglut, weil er ausgerechnet in der Zeit des schriftlichen Abiturs eine große Kunstausstellung in einer Galerie organisierte, bei der er seine Gemälde der Öffentlichkeit vorzustellen gedachte. Die herbe Kritik der Pädagogen ließ den selbstbewussten Pennäler indes völlig kalt und der Erfolg gab ihm recht: Erstens konnte er bei der Ausstellung die Hälfte der Bilder verkaufen und zweitens schaffte er es, die Abiturprüfungen zu bestehen.

Ebenso wie für Malerei begeisterte er sich schon früh auch für Literatur. Als Halbwüchsiger verschlang er Romane von Novalis, Joseph von Eichendorff, E.T.A. Hoffmann und Hermann Hesse. Besonders hingezogen fühlte er sich zur deutschen Romantik. Sie prägte seine Gedanken und machte einen nachhaltigen Eindruck auf ihn.

Tiefe Spuren hinterließ, wie gesagt, auch seine erste Reise nach Amerika. Als 13-Jähriger besuchte er einen kleinen Ort namens Newport News, an der Ostküste der Vereinigten Staaten, wo Geschäftsfreunde der Familie lebten. Es war das erste Mal, dass er alleine, ohne seine Eltern, auf Reisen ging. Die Sommerferien, die er dort verbrachte, erlebte er wie einen Traum von gigantischen Städten, Highways und Drive-ins. In sein Gedächtnis brannte sich besonders das Bild einer geheimnisvoll funkelnden Lichterkette ein, die er am Horizont entdeckte: Das nächtliche New York.

Bei seinem ersten USA-Besuch verschlug es ihn aber auch ins Kino und seine Leidenschaft für die bewegten Bilder begann langsam in ihm zu keimen. Als überzeugter Bücherwurm wollte er sich dann natürlich auch mit den Werken amerikanischer Autoren vertraut machen und so las er in späterer Zeit Romane von Tom Wolfe, Jack Kerouac, William S. Burroughs oder J. D. Salinger.

Es waren jedoch nicht nur seine Amerika-Besuche, die ihn den Zelluloid-Träumen näherbrachten, sondern auch seine regelmäßigen Aufenthalte in einer südfranzösischen Ferienschule. Die Lehranstalt war in einer alten Villa untergebracht und verströmte den Hauch vergangener Geschichte, was ihm sehr gut gefiel. Die Villa wurde für Emmerich zur zweiten Heimat. In ihren Mauern begann er sich eingehend mit dem französischen Literaten, Dichter, Theaterautor und Filmregisseur Jean Cocteau zu beschäftigen. Mit Begeisterung verschlang er dessen Bücher, studierte dessen Werke auf Zelluloid – und wurde damit auch durch sie mit der magischen Welt des Kinos vertraut gemacht.

Seine Begeisterung für die bewegten Bilder wurde bald so groß, dass er fast jeden Tag Stunden im Kino verbrachte und sein ganzes Taschengeld für diese neue Leidenschaft ausgab. Besonders beeindruckten ihn dabei amerikanische Musicals. An der Spitze seiner persönlichen Hitliste standen Tanzfilm-Klassiker von Vincente Minnelli mit den beiden Musical-Legenden Ginger Rogers und Fred Astair.

Emmerich las in dieser Zeit zudem alles an Filmliteratur, was ihm in die Hände fiel: Drehbücher von Federico Fellini, Biografien über Fritz Lang und Truffauts legendäres Buch Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?. Besonders begeistert zeigte er sich dabei von den Tricks des genialen „Master of Suspense“. Beeindruckend fand er etwa jene Szene in dessen Klassiker Verdacht, in der Cary Grant seiner Filmgattin Joan Fontain ein Glas Milch bringt, das wie der Zuschauer vermutet, vergiftet ist. Um die Aufmerksamkeit des Zuschauers ganz auf das Glas zu lenken, versteckte Hitchcock ein Lämpchen darin. Deshalb leuchtet es auf geheimnisvolle, aber nicht aufdringliche Weise …

Den jungen Kinofan interessierten alle Aspekte der Filmproduktion: die Technik, das Handwerk, die Effekte. Trotz seiner Begeisterung für das Medium Film bedeutete ihm in dieser Zeit die Bildende Kunst aber immer noch sehr viel. Nach wie vor malte und zeichnete er mit großem künstlerischen Enthusiasmus. Er versuchte sich zudem auch als Designer und entwarf für die väterliche Firma einen Messeaufbau, der ein großer Erfolg und auch viele Jahre später noch benutzt wurde. Und eine weitere Leidenschaft kam hinzu: die Fotografie.

 

Nachdem er sich eine Dunkelkammer eingerichtet hatte, begann er mit fotografischen und grafischen Arbeiten für seinen Vater und andere, die sich für sein Schaffen interessierten. So dauerte es nicht lange, bis er nebenher auch in einer Werbeagentur zu arbeiten begann. Schon in dieser Zeit zeigte sich, dass der Kopf des begeisterungsfähigen Nachwuchskünstlers prallgefüllt war mit unorthodoxen Ideen und Einfällen. Wie bizarr diese zum Teil waren, zeigte sich im November 1976. Zu seinem 21. Geburtstag verschickte er Einladungen in Form von Trauerkarten und bat seine Gäste, dem traurigen Ende seiner von ihm innig geliebten Jugend beizuwohnen. Zur Überraschung der Besucher wurden sie dann tatsächlich Zeugen einer Beerdigung: Emmerich hatte keine Kosten und Mühen gescheut, um dem Spektakel einen realistischen Anstrich zu geben, weswegen er sich weiß schminken ließ und in einen Sarg legte. Vollends verblüfft zeigten sich die Zuschauer, als der Sarg geschlossen und zu Grabe getragen wurde. Die irritierten Gäste erfuhren später, dass das Behältnis leer gewesen sei. Schon damals hatte Emmerich eben erkannt, wie sich mit einfachen Tricks große Wirkung erzielen lässt.

Sein Schaffensdrang aber war, auch nachdem er seine Jugend zu Grabe getragen hatte, ungebrochen, weshalb er sich in die Arbeit zu einem Kinderbuch stürzte: Der Planet Himmelblau handelte von einem Jungen, der im Traum zu einem anderen Planeten fliegt, auf dem es keinen Regenbogen, sondern nur drei Farben gibt, die gleichzeitig Völker repräsentieren: die Blauen, die Roten und die Gelben. Die Blauen beherrschen die anderen. Aber der Junge zeigt einen Ausweg aus der Tyrannei auf, indem er den Völkern erklärt, dass sich die drei Farben mischen lassen und so neue Farben entstehen können. Derart kehrt der Regenbogen schließlich auf den Planeten zurück.

Das Buch hatte Roland Emmerich für Fünf- bis Achtjährige konzipiert. Er schrieb den Text, zeichnete für die Illustrationen verantwortlich und bemühte sich, das in mühevoller Arbeit entstandene Bilderbuch auch zu veröffentlichen. Aber das wollte nicht klappen. Alle Verlage, die er anschrieb, sagten ihm ab. Was ihn an diesem Projekt trotzdem fasziniert hatte, war das Zusammenwirken von Text und Bild. Er musste sich dann jedoch selbst eingestehen, dass das Buch nicht mehr als ein Notbehelf für ihn war: Sein eigentlicher Traum handelte davon, Filme zu drehen, aber eben nicht nur Super-8-Urlaubserinnerungen, sondern professionelle Produktionen mit einem talentierten Team und ordentlichem Budget. Dazu fehlte ihm zu diesem Zeitpunkt allerdings das nötige Kleingeld.

Nachdem er schließlich das Abitur hinter sich gebracht hatte, machte er sich über seine Zukunft ernsthafte Gedanken: Er war an einem Kunststudium interessiert, zog jedoch auch ein Studium in den Bereichen Publizistik und Grafik in Betracht. Aber es gelang ihm nicht, sich zu entscheiden, was seine Eltern verständlicherweise nervös werden ließ, hätten sie doch gern gewusst, welchen Beruf ihr Sohn zu ergreifen gedachte.

Aber dieser drückte sich erst einmal vor der Entscheidung und fuhr mit einem Freund nach Paris. Während er behaglich auf dem Beifahrersitz lümmelte und weiter über seine Zukunft nachgrübelte, packten ihn Erinnerungsbilder und Zukunftsvisionen, die auftauchten und wieder verschwanden, wie Rückblenden in einem Film. Bewegte Bilder schwebten in seinen Gedanken vorüber, wie im Kino. Als er in dieser Nacht mit seinem Freund die französische Grenze passierte, fühlte er sich wie der Zuschauer in einem Kinosaal: In der Dunkelheit lief eine Art innerer Film vor ihm ab. Ihn durchzuckte die Erkenntnis, dass sich weder mit Worten noch mit Gemälden Gefühle erzeugen ließen, die mit denen eines guten Films vergleichbar wären.

Ihm kam Mike Nichols Liebesdrama Reifeprüfung mit Dustin Hoffman und Anne Bancroft in den Sinn. Schnelle Schnittfolgen zeigen dort den Protagonisten an verschiedenen Orten: im Hotelzimmer, Swimmingpool oder Elternhaus. Diese blitzschnellen Wechsel, diese totale Freiheit von Ort und Zeit, gewährt als Möglichkeit nur der Film. Als Emmerich von Paris nach Hause zurückkehrte, entschloss er sich, eine Karriere als Filmemacher einzuschlagen.

Zuerst einmal gelang es ihm dann dank einer Freundin seiner Eltern, ein Praktikum beim Süddeutschen Rundfunk zu ergattern. Dort konnte er zwei Monate lang hinter die Kulissen des TV-Geschäfts blicken. Doch die Arbeit beim Abendjournal war letztlich nicht das, was er sich vorgestellt hatte. Er zeigte kein Interesse daran, ein Fernsehjournalist zu werden, der davon lebt, jeden Tag einen zweiminütigen Bericht abzuliefern. Weil er schon damals viel Wert auf ausgetüftelte Bildgestaltung legte, befriedigten ihn die schnell produzierten und formal unausgereiften TV-Nachrichten nicht.

Immerhin bekam er die Empfehlung, sich doch für ein Studium an der Münchner Hochschule für Fernsehen und Film (HFF) zu bewerben. Eine angesehene Institution, die schon viele Filmschaffende von Rang und Namen hervorgebracht hatte. Allerdings machte sich Emmerich keine allzu großen Hoffnungen, schließlich waren die Chancen, einen der begehrten zwölf Studienplätze zu erobern, sehr gering, gingen die Bewerberzahlen doch in die Tausende. Trotzdem bewarb sich der junge Filmfan mit einem aufwendig gestalteten Lebenslauf. Er schaffte es in die engere Auswahl und wurde sogar zur Aufnahmeprüfung geladen. Ohne zu wissen, ob er diese bestanden hatte, reiste er anschließend quer durch Europa. Er wollte einfach nochmals ausgiebig Urlaub machen, bevor er sich ins Berufs- oder Studentenleben stürzte.

Gerade als er in Griechenland angekommen war, klingelte dann das Telefon. Am anderen Ende der Leitung meldete sich seine Mutter, die ihm mit vor Aufregung zitternder Stimme mitteilte, dass er von der HFF angenommen worden sei und dort mit dem Studium sofort beginnen könne. Die Reise hatte ein abruptes Ende gefunden.

An der HFF informierte sich der frischgebackene Student erst einmal über die verschiedenen Studienschwerpunkte. Er hatte ein besonderes Interesse für die Ausstattung von Filmen entwickelt und sah in dem Beruf des Production Designers die Möglichkeit, seine Vorliebe für das Kino und die Malerei miteinander zu vereinen. Für das Design und den Look eines Films verantwortlich zu sein, war ein Gedanke, der ihn durchaus faszinierte.

Tatsächlich arbeitete er während des Studiums auch sehr engagiert als Ausstatter für Projekte anderer Studenten. Doris Dörries Der erste Walzer gehörte ebenso dazu wie Tomy Wigands Lotte. Auch als Darsteller versuchte er sich u.a. in dem Übungsfilm Verlieben vielleicht von Gabriele Walther, die dann nach dem Studium Produktionsleiterin seiner ersten Kinofilme wurde. An der HFF lernte Emmerich auch Karl Walter Lindenlaub kennen, der viele seiner späteren Kinofilme fotografieren sollte, u.a. auch Independence Day.

Aber nicht nur, dass der filmbegeisterte Schwabe während des Studiums viele seiner späteren Mitarbeiter kennenlernte, er stellte auch recht bald fest, dass ihn die Arbeit als Production Designer zu unterfordern begann. Und da er sich bei zahlreichen Studenten-Projekten so stark über seine Arbeit als Ausstatter hinaus engagiert hatte, gaben ihm Kommilitonen schließlich den Tipp, ins Regiefach zu wechseln.